Knut Elstermann
Der Canaletto vom Prenzlauer Berg Der Maler Konrad Knebel
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages u nzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen. © be.bra verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2020 KulturBrauerei Haus 2 Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin post@bebraverlag.de © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 für die Werke von Konrad Knebel Lektorat: Ingrid Kirschey-Feix, Berlin Umschlag: Manja Hellpap, Berlin (Covermotiv: Konrad Knebel, Sredzkystraße, Berlin 1980, Ausschnitt) Satz: typegerecht berlin Schrift: Rasa, 10,5 pt Druck und Bindung: FINIDR, Český Těšín ISBN 978-3-89809-174-9 www.bebraverlag.de
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1 Die Häuser auf den Bildern des Berliner Malers Konrad Knebel sind Überlebende. Sie überstanden den Lauf der Zeit, den Krieg, die Vernachlässigung und Verwahrlosung, die Abrisswellen, die Entkernungen, die radikalen Sanierungen. Mir waren Knebels Gemälde schon in der DDR vertraut. Ich sah sie in Ausstellungen, Galerien, in Zeitschriften. Diese bewohnten oder leer stehenden Mietshäuser beeindruckten mich mit ihrer Würde als einsame Zeugen einer vergangenen Zeit. In dieser Bilderwelt wuchs ich auf, im Prenzlauer Berg der 1960er-Jahre, einem aufgegebenen, teilweise zum Abriss vorgesehenen Gebiet. In diesen Straßen hatte ich gespielt, vor den meist schrundigen, bröckelnden Fassaden, an denen noch rätselhafte Inschriften wie »Kolonialwaren« zu lesen und Einschusslöcher zu erkennen waren. Der Gründerzeitarchitektur schlug in meiner Kindheit in der DDR allgemeine Verachtung entgegen. Sie galt ausschließlich als Relikt einer überwundenen Epoche der Ausbeutung und Unterdrückung, in der man einen Menschen mit einer Wohnung wie mit einer Axt erschlagen konnte, nach einem viel zitierten Ausspruch des Zeichners Heinrich Zille. Manche Lehrer meiner ersten Schule in der Heinrich-Roller-Straße, in einer vergleichsweise gut erhaltenen Gegend des Prenzlauer Bergs, schmähten im Unterricht diese kapitalistischen »Mietskasernen«. Auch meine Eltern, immerhin mit einer großen, trockenen Wohnung mit Innen-WC in der Winsstraße versorgt, suchten nach einem Weg, den in ihren Augen rückständigen und düsteren Bezirk schnell zu verlassen. Für mich war es der natürliche Lebensraum, eine aufregende, unübersichtliche, unergründliche Welt mit abblätternden Stuckfassaden, angeschlagenen Skulpturen, Säulen und Sockeln, stillen Höfen, überraschenden Perspektiven, Durchbrüchen, Übergängen, kleinen, dunklen Läden und vermauerten Schaufenstern. Ich bewunderte die Gemälde von Knebel schon in meiner Schulzeit, weil er genau die alten Häuser, die vertraute und geliebte Stadtlandschaft meiner Kindheit in ihr Recht setzte, weil er zum alleinigen Gegenstand seiner Kunst erhob, was zum Niedergang verurteilt war.
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In Kunstdingen völlig unerfahren erstaunte mich doch, dass dieser Mann Werke schuf, die so gar nicht in die optimistische Welt der staatlich gefeierten Maler passten, zu diesen heroischen Epochenbildern mit den heldenhaften, aufbaufreudigen Arbeitern, den aufblühenden Städten, bewohnt von neuen, vorbildhaften Menschen. Das Stadtzentrum wurde in jenen Jahren umgepflügt, die Reste des historischen Berlins verschwanden, um einer großflächig geplanten Architektur Platz zu machen. Vom Balkon unserer Wohnung in der Winsstraße beobachteten wir das Entstehen des Fernsehturms, ein Betonstumpf zunächst, der in schwindelerregende Höhe wuchs, in der schließlich die Riesenkugel montiert wurde. Der Fernsehturm, ursprünglich für einen Standort am Stadtrand vorgesehen, wurde in das Zentrum gepflanzt als auftrumpfendes Symbol für den endgültigen Abschied von der alten Mitte. Unberührt vom Zeitgeist, von Moden und von Strömungen durchforschte indessen der Maler Konrad Knebel die baulichen Hinterlassenschaften, Straße für Straße, Haus für Haus. Er schuf einen ganz eigenen Bilderkanon des Vergangenen, der kunstwürdigen Alltäglichkeiten, der mich mit Dankbarkeit und einer gewissen Rührung erfüllt. Knebels Bilder lösen in mir eine Flut von Erinnerungen aus, selbst die Gerüche von Braunkohle, modrigen Kellern und Eckkneipen steigen wieder auf. Diese verschlissenen, geschundenen, vernarbten Gebäude, diese Straßenfluchten und Plätze, die alten Bahnstationen, die in Baulücken gesetzten Wellblech-Garagen und Bretterverhaue, diese dunklen, feuchten Hauseingänge malt Knebel ohne jeden Anflug von Nostalgie und mit größter Genauigkeit. Er fühlt sich ganz der realen Architektur verpflichtet, hat dabei aber nichts Pedantisches. Sein freier, entschlossener, persönlicher Strich, mit dem er das Gemäuer schöpferisch durchdringt und das Licht auf den Fassaden leuchten lässt, macht bei aller Detailtreue aus den Häusern vergangener Epochen immer auch Knebel-Bauten. Seine große Kunst stemmt sich gegen den Verfall. Sie ist ein Innehalten inmitten der Erosion.
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2 Vor einiger Zeit rief ich den Maler an, der seit über 60 Jahren nicht weit entfernt am Arnswalder Platz wohnt. Ich wollte ein Bild kaufen, das mich an meine Kindheit im Prenzlauer Berg erinnern sollte. Der Besuch wurde immer wieder verschoben, mal war der Künstler erkrankt, dann seine Frau. Der Tod eines nahen Freundes löste tiefe Trauer aus. Eine beschwerliche Reise war anzutreten, danach war Ruhe geboten. Schließlich fiel es mir unendlich schwer, mich für eines der vielen, verfügbaren Motive zu entscheiden. Fast alle Häuser kannte ich, jedes Bild kam in Betracht. Ein Beispiel: In der noch heute existierenden, christlichen Buchhandlung am Königstor deckte ich mich schon früh mit Büchern ein. Es ist ein jüngeres, strenges, sehr reduziertes Bild von Knebel, dessen Motiv aber Ortskundige sofort erkennen werden (Abb. 1). Der gut sortierte Buchladen befindet sich in dem weißen, flachen Gebäude auf der rechten Seite, direkt am Berliner Missionshaus. Das Mietshauses auf einem Gemälde, das auch in die engere Auswahl für den Kauf kam, könnte überall in Berlin stehen, hier ist es das Hinterland der Frankfurter Allee, das rechte Nachbarhaus fiel vermutlich dem Krieg zum Opfer (Abb. 2). Dem Maler mag die hohe, harmonisch strukturierte Fassade gefallen haben, mit zwei grauen Sockelgeschossen und den rötlichen Etagen darüber, an denen die Balkone fehlen. Das Gebäude vermittelt selbst in diesem unsanierten Zustand einen Anflug von Eleganz. Es ist ein Musterbeispiel für Knebels Meisterschaft, den Charakter eines Hauses, die Seele des Gebauten zu erfassen. Am S-Bahn-Ring, der nach dem Mauerbau natürlich kein geschlossener Kreis mehr war, fand Knebel, der die gemalten Orte immer genau notierte, ein besonders starkes Motiv (Abb. 3). Mir kommt diese Ansicht bekannt vor, ohne dass ich genau benennen könnte, wo sie sich befindet, ein Effekt, der sich oft bei Bildern von Knebel einstellt. Auch das macht seine Kunst aus: Das Unauffällige, das nicht Repräsentative wird durch seinen Blick, seine ungemein atmosphärische Darstellung zum Berlin-Typischen, das man zu kennen meint. Drahtzaun, Garagen, Fabrikgebäude und Pappeln – wer außer Knebel kann aus der unauffälligen Hinteransicht einer Stadt ein so eindringliches Gemälde schaffen?
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1 Straße am Friedrichshain, 2017
46 × 60 cm, Öl auf Leinwand (Knebels Arbeitsnotiz: »Friedenstraße am Königstor«)
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2 Haus an der Gürtelstraße, 2003
76 × 80 cm, Öl auf Leinwand (Arbeitsnotiz: »Haus mit reicher Fassade und mit Hofeinblick auf der rechten Seite an der Gürtelstraße, Friedrichshain«)
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3  Pappeln und Garagen, 1970er Jahre Tempera/Öl auf Leinwand
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Jedes Bild Knebels zeigt einen realen Ort. Er malt keine ideale Fantasie-Stadt, wie es Schinkel manchmal tat. Seine Genauigkeit im Erfassen der architektonischen Strukturen, der räumlichen Situation, des Charakters einzelner Gebäude, der Lichtstimmung, macht ihn zu einem Verwandten von Eduard Gärtner, dem bedeutenden Berlin-Maler des 19. Jahrhunderts. Knebel hat bestimmte Motive immer wieder gemalt, nicht als Wiederholungen seiner eigenen Originale, sondern als vollgültige Varianten mit anderen Lichtverhältnissen, veränderten Standpunkten und Ausschnitten. Oft bietet Knebel die frontale Ansicht eines Hauses, die Klarheit schafft über den Aufbau, den Zustand, das Wesen des Gebäudes. Gemalt meist von der anderen Straßenseite aus, von einem Blickpunkt, der etwa unserer Augenhöhe entspricht. Als ich mich für eine Ansicht mit einem angeschnittenen Schulgebäude in der Pasteur straße entschied (Abb. 4), an deren oberem Ende Knebel lebt, erzählte er mir, dass die darauf sichtbare Mauer einst eingestürzt sei und einen kleinen Jungen unter sich begraben habe, ein furchtbares Unglück. Heute befindet sich auf dem Gelände ein Spielplatz, umgeben von hohen Bäumen, die den Blick auf die Häuser in der Seitenstraße, die auf dem Gemälde perspektivisch schräg erscheinen, vollkommen verstellen. Der Anblick bietet sich heute also nicht mehr. Ich hatte mich endlich entschieden. Mir kam es so vor, als mische sich bei Knebel unter die Freude, ein Bild verkauft zu haben, eine gewisse Schwermut wegen des endgültigen Abschieds vom eigenen Werk. Vielleicht geht es allen Künstlern so. Es tröstet Knebel etwas, wenn er den Sammler persönlich kennt, bei Verkäufen über Galerien erbittet er sich immer einige Angaben über den neuen Besitzer seiner Arbeiten. Mein Bild, Anfang der 1990er-Jahre gemalt, erzählt vom gelebten Individualismus der Mieter, die sich bedenkenlos ihre Balkone nach eigenem Geschmack farblich gestalteten. Der Kommunalen Wohnungsverwaltung waren solche Verschönerungen gleichgültig, sie kam mit dem Verwalten der Wohnungen ohnehin kaum hinterher. Heute wäre ein so bunter Fassaden-Flickenteppich schlicht undenkbar. Solche kleinteiligen Farblandschaften finden sich oft auf den Fassaden Knebels. Er liebte die löchrigen, sich ablösenden und
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4 Kohlenplatz I, 1993
67,5 × 63 cm, Öl auf Leinwand (Arbeitsnotiz: »Blick über die Mauer des Kohlenplatzes neben der Schule in der Pasteurstraße auf Häuser in der Esmarchstraße«)
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überlagernden Putzschichten aus mehreren Jahrzehnten besonders, ohne dass die vielen abgestuften Töne sich jemals verselbständigten. Auch die bunten Akzente, das Altrosa und das schmutzige Gelb, gehen ein in das Gesamtbild, in Knebels Realismus, der nichts beweisen oder widerlegen will, der die vorgefertigte Architektur zum Ausgangspunkt für seine Schöpfungen nimmt. Von dem Bild existieren übrigens zwei Fassungen, weil Knebel mit der ersten nicht zufrieden war. Ich kenne beide und entdecke überhaupt keinen Unterschied. Deshalb habe ich auch nie gefragt, welche ich denn nun besitze, die geglückte oder die in seinen Augen weniger gelungene.
3 In den langen Gesprächen mit dem 87-jährigen Maler weigerte er sich konsequent, seinen Gemälden einen Symbolwert zuzusprechen. Sie sind für ihn einfach nur, was sie sind: reale, mit Präzision wiedergegebene Berliner Mietshäuser, nicht metaphorisch aufgeladene Sinnbilder der Vergänglichkeit. Dass ich in diesen verwitterten Gebäuden, den leeren Fabrikhallen, den nackten Brandmauern, den engen Hinterhöfen, den blinden Fenstern etwas sehe, das sich gar nicht malen lässt, nämlich die vergehende Zeit, kommentierte er mit einem Lächeln und dem Satz: »Wenn Sie das so sehen wollen …« Er ist kein Mann großer Worte, mit denen er sich festlegen und dem Betrachter seiner Bilder eine Richtung vorschreiben würde. Doch er stimmte mir zu, als ich meinte, dass seine Berliner Bauten durch die Lebensspuren über sich hinauswüchsen. Auch wenn es kaum Menschen auf seinen Bildern gibt, sind sie anwesend, die einstigen Mieter und die Maurer, Zimmerleute, Stuckateure, deren Leben und Arbeit in die Häuser eingeflossen ist, mehrere Generationen, die alle einen Abdruck ihrer Existenz hinterlassen haben. Man fragt sich beim Betrachten der Gemälde, wer hier lebte, welche Geschichten sich abgespielt haben, welche Tragödien, welche Augenblicke des Glücks. Für Knebel haben diese Gebäude ein Gesicht, wie er sagte, »irgendetwas von Lebewesen, dass man ihnen alles ansieht, was
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durch die Häuser durchgegangen ist, von den Zeiten meiner Kindheit an bis heute. Das alles, was ich selber miterlebt habe«. (So im DEFA-Dokumentarfilm »Stadtlandschaften« von Karheinz Mund.) Von den Dokumentaristen Barbara und Winfried Junge, deren berühmte »Chronik der Kinder von Golzow« ich seit Jahrzehnten bewundere, habe ich gelernt, dass jedes Leben erzählenswert ist. In der Dorfschul-Klasse von 1961 entdeckten sie ihre Filmhelden, die sie bis 2007 begleiteten, jeder Lebenslauf, auch der scheinbar gewöhnlichste, ist ein kleines Spiegelbild der Weltgeschichte. Von Knebel kann man lernen, dass jedes Haus, auch das Unscheinbarste, es wert ist, angeschaut und gemalt zu werden. Knebel schätzt Canaletto, und zwar beide Maler, die mit diesem Namen bezeichnet werden: Giovanni Antonio Canal, der vor allem mit Ansichten seiner Geburtsstadt Venedig unsterblich wurde, und seinem Neffen und Schüler Bernardo Bellotto, dessen Bilder den Glanz von Wien und der später so furchtbar zerstörten Städte Dresden und Warschau bewahrten. Bellottos Gemälde wurden nach dem Krieg für den Wiederaufbau der Warschauer Altstadt herangezogen. Die exakte Wiedergabe öffentlicher Räume, das Gespür für die unverwechselbare Atmosphäre städtischer Winkel und Ecken verbindet Knebel mit den Arbeiten der beiden alten Meister, mit denen er sich aber nie vergleichen würde. Weder bei ihnen noch bei ihm gibt es Hinzugefügtes, Ergänzungen oder gar Erfindungen. Wir können diesen Bildern in jedem Detail trauen. Auf vielen Gemälden der italienischen Meister wimmelt es von Figuren, sie beleben die städtische Szenerie. Man sieht Menschen im Gespräch, beim Handel treiben, beim Spazierengehen. Kutschen fahren vorüber, Boote werden beladen. Bei Knebel verschwinden die Menschen im Verlauf seines Schaffens immer mehr. Auf dem frühen Gemälde »Vorortstraße im Winter« ist eine Frau mit Schirm zu sehen und eine Mutter mit einem kleinen Kind an der Hand, die durch den Schneefall laufen (Abb. 5). Der junge Künstler Konrad Knebel beschrieb seinen Blick auf die städtische Architektur genau: »Ich wollte die Straße malen, aber nicht, wie sie sich in der optischen Erschei-
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5 Schneeflockenbild mit Berliner Vorortstraße, 1956 67 × 50 cm, Öl auf Leinwand (Arbeitsnotiz: »Straße in Weißensee«)
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nung darbietet, sondern so, wie diejenigen sie erleben, die in ihr wohnen und denen sie ein Stück Heimat ist.« (1957 in »Bildende Kunst«) Diese Bewohner sind hier noch persönlich anwesend. Das kleinformatige Bild entstand 1956 an der Kunsthochschule, das Thema hatte er frei wählen dürfen. Später erschienen ihm solche erzählerischen Details wie die vorbeieilenden Menschen als rein zufällig, störend und von der Architektur ablenkend. »Ein Haus erzählt doch auch etwas«, meint er. Dieses frühe Werk, das die verträumte Vorstadtstimmung spiegelt, gehört zu den wenigen Arbeiten, die er aus jenen Anfangsjahren gelten lässt. Es befindet sich noch immer in seinem Besitz.
4 Vor mir sitzt ein bescheidener und nachdenklicher Mann, sehr beweglich trotz des hohen Alters. Sein Tonfall hat noch immer die leichte Färbung des heimatlichen Sächsisch, denn wie Heinrich Zille kommt auch dieser große Berliner Künstler aus Sachsen. Knebel wurde am 24. Februar 1932 in Leipzig geboren. Er entstammt einer Musikerfamilie, der Vater hat komponiert und als Dirigent bedeutende Chorwerke aufgeführt. Ein Jahr lang besuchte Konrad Knebel die Thomasschule und sang dort im Schulchor, nicht zu verwechseln mit dem berühmten Knabenchor, den Thomanern. Mutter und Vater unterrichteten Klavier, auch Konrad erhielt schon früh Stunden, noch heute spielt er hin und wieder am Instrument in seiner Wohnung. Alles drehte sich in dieser Familie um Musik. Die Eltern waren auf solide musikalische Grundlagen bedacht, auf das tägliche Üben am Klavier, auf erprobte und unveränderliche Abläufe. So lernte Knebel früh den Wert von Geduld und Ausdauer kennen, die ihn sein Künstlerleben lang begleiteten. Tag für Tag geht er, mit der Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit eines Fabrikarbeiters, früh am Morgen in sein Atelier und malt die vertrauten Motive aus der unmittelbaren Umgebung. Noch immer hat er Pläne für neue Bilder. Knebels Eltern empfanden wohl eine leichte Enttäuschung darüber, dass der Sohn lieber zeichnete als musizierte, aber sie förderten sein früh erwachtes Interesse an Kunst
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und Architektur, gingen mit ihm in die Leipziger Museen, von denen er das Grassimuseum besonders liebte. Der Vater berichtete nach seinen häufigen Reisen von den Städten, die er gesehen hatte, von den prägenden Plätzen und Gebäuden, dem Charakter der Straßen und entzündete damit die Fantasie des Jungen. Im Kopf des Kindes entstanden ideale Städte, die er auf Papier zeichnete. In einer Buchreihe, kleine, blaue Bände, die Konrad Knebel als Kind sammelte, wurden architektonische Meisterwerke der Vergangenheit vorgestellt. Stundenlang versenkte sich Konrad in den Anblick der berühmten Monumente aus aller Welt. Er konnte nicht ahnen, dass er später auf seinen Bildern die Sehenswürdigkeiten meiden, dass er das Wesen der Stadt in den unauffälligen Wohnhäusern, in den gewöhnlichen Zweckbauten und nicht in den Wahrzeichen suchen würde. Bei den ausgedehnten Stadtführungen, die seine Lehrer mit ihren Schülern durch die Leipziger Altstadt unternahmen, beeindruckten ihn die prachtvollen, barocken Fassaden weniger als die Durchbrüche zu den Handelshöfen, die planlos anmutenden An- und Umbauten in den Hinterhäusern, wo nichts zusammen zu passen schien. Er unternahm auch eigene Erkundungstouren ins Zentrum. Die Familie lebte im Leipziger Musikerviertel. In einer Bombennacht zersplitterten sämtliche Fenster der Wohnung, glühende Funken stieben im Dunkel herein. Später wurde das Haus vollständig zerstört, so wie auch große Teile der historischen Altstadt. Konrad verstand in jenen Nächten der Brände, der berstenden Wände, der einstürzenden Gebäude, dass scheinbar für die Ewigkeit Gebautes keinen dauerhaften Bestand hat. Dass er später ein so unermüdlicher Bewahrer des Verschwindenden, ein so gründlich Suchender in den Überresten der alten Städte wurde, hat sicher auch mit diesen frühen, erschütternden Erfahrungen zu tun. Später wird er die Spuren des Krieges, der Zerstörungen, die toten Fenster in den unbewohnbaren Häusern, die Leerstellen der verwundeten Stadt in seinen Bildern aufspüren, die zerrissenen, baulichen Zusammenhänge. Zu seinem Gemälde »Haus mit rotem Himmel« von 1961 (Abb. 6) sagte er: »Das Bild hält ein Nachkriegserlebnis fest, das mich immer wieder beschäftigt hat. Es zeigt ein kleines Stück ziemlich zufällig bebauter Vorstadt. Ein System rechteckiger Flächen, denen nur wenige runde Formen gegenüberstehen, vermittelt zunächst den Eindruck von etwas Gebautem, Festem. Aber
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gleichzeitig sieht man, dass die äußeren Formen nur noch Kulisse sind, das anscheinend fest Gebaute zerstört ist. Der Sinn dieser Mauern, menschliche Wohnstätten zu umschließen, ist verloren gegangen.« (»Welt der Kunst«) Der Vater war eingezogen worden, die Mutter floh mit dem Sohn vor den Bomben zu Bekannten nach Oschatz, sie konnte noch einige persönliche Gegenstände aus der Leipziger Wohnung retten. Ende Dezember 1943 gingen sie in die Heimat des Vaters, nach Marienberg im mittleren Erzgebirge, wo die Eltern bis zu ihrem Lebensende wohnten. Knebel, der urbane Maler, empfindet diese Landschaft als seine zweite Heimat und denkt oft mit Sehnsucht an sie. Nach dem Abitur 1951 wollte Konrad Knebel zunächst Architektur studieren, angetrieben von »sehr sonnigen Berufsvorstellungen«, wie er heute meint. Fachzeitschriften aus dem Westen ernüchterten ihn, die Debatten über industrielles Bauen, über die Schwierigkeiten, engen Grenzen und Abhängigkeiten des Architekten schreckten ihn ab. Die Architektur jener Jahre schien ihm von »einem mechanischen Denken« geprägt. Knebel fuhr damals häufig nach Polen und sah staunend mit welcher Akribie und großem handwerklichen Geschick im Nachbarland nicht nur markante Gebäude der zerstörten Städte wiederaufgebaut wurden, sondern ganze Straßenzüge, Ensembles und Viertel wiedererstanden, ganz anders als in der DDR. Städte wie Warschau und Danzig, die im Krieg ihr Gesicht verloren hatten, fanden ihre Identität wieder. Er bewarb sich an der Berliner Kunsthochschule in Weißensee zum Studium der Malerei, das ihm eine gewisse Freiheit versprach. Nach einer dreitägigen Prüfung wurde er angenommen. Ein Jahr später wurde auch Gerlind, seine spätere Frau und Mutter seiner drei Kinder, dort Studentin. Sie war nach dem Studium in der industriellen Formgestaltung tätig, noch heute ist sie seine wichtigste Ratgeberin und erste Kritikerin seiner Arbeiten. Es war eine offene, kreative und sehr lebendige Schule, an der vor dem Mauerbau auch Lehrer aus dem Westen unterrichteten. Legendär waren die Faschingsfeste, zu deren fantastischer Ausstattung alle Gewerke beitrugen. Einen schönen Eindruck von der bunten Ausgelassenheit eines solchen Karnevals erhält man in der DEFA-Komödie »Verwirrung der Liebe« von 1959, mit Annekathrin Bürger und Angelica Domröse.
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6 Weißes beschädigtes Haus mit rotem Himmel, 1960 40 × 60 cm, Öl auf Leinwand
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5 Dem Dogma vom sozialistischen Realismus entnahm Knebel für sich nicht die propagandistische Aufgabenstellung, aber eine lebenslange Hinwendung zur sozialen Realität. Seine Lehrer waren anerkannte Maler der DDR, von denen er viel gelernt hat, weniger für sein unmittelbares Arbeitsgebiet, die Architekturmalerei, als für seine künstlerische Haltung. Er verstand, dass ständiges Zeichnen und gründliches Handwerk wichtig sind, nicht einfach als sichere »Rezeptwirtschaft«. Ein Bild entsteht immer aus der Zeit, aus der konkreten Situation heraus, mit einer Technik, die für jede Aufgabe neu gefunden werden muss. Knebel übernahm diese, für ihn noch heute gültigen Grundsätze vom Maler Kurt Robbel, der ab 1953 an der Hochschule als Dozent tätig war. Die Namen der Professoren sind mir alle vertraut, ihre Werke hingen in den DDR-Museen und wurden im Kunst-Unterricht besprochen. Rektor Bert Heller, der sich bemühte, die Hochschule aus politischen Stürmen herauszuhalten, wie sich Knebel erinnert, half durch sicheres, entschlossenes Korrigieren auf der Leinwand. Er war der führende Porträtist der DDR. Von Arno Mohr, der vor allem durch seine Grafiken, intime Bilder von Brecht, Weigel und Eisler, in Erinnerung geblieben ist, habe er überhaupt erst das genaue Hinsehen gelernt. Seine besondere Liebe außerhalb der akademischen Ausbildung galt dem proletarischen Maler Otto Nagel, der von den Nazis als »entartet« diffamiert worden war. Mit Malverbot im Atelier belegt, war der verfolgte Künstler aus dem heimatlichen Wedding als Straßenmaler ins Berliner Zentrum gegangen. In der Berliner Altstadt, besonders gern im Fischerkietz, zeichnete er seine schönen Pastelle von den schiefen Häuschen mit ausgetretenen Stufen, den verwinkelten Gassen und Höfen. Ihm stand deutlich vor Augen, dass kaum etwas davon die Bomben überleben würde. Manches Haus, das er gezeichnet hatte, gab es schon wenige Tage später nicht mehr. Es war ein »Wettrennen gegen die Vernichtung«, sagte Nagel nach dem Krieg. »Das wenige aber, was uns der Krieg hinterlassen hat, ist uns teuer, weil es die letzte Brücke darstellt zur Stadt unserer Urahnen.« Diese Worte könnten auch von Knebel stammen.
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