Berliner Weihnacht (Leseprobe)

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Weihnachtsstimmung auf dem Berliner Gendarmenmarkt.

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Kaija Voss

Berliner Weihnacht Eine besinnliche Zeitreise durch die Jahrhunderte

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen. Alle Angaben zu den Rezepten ohne Gewähr. © berlin edition im be.bra verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2013 KulturBrauerei Haus 2 Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin post@bebraverlag.de Lektorat: Gabriele Dietz, Berlin Umschlag: typegerecht berlin, Berlin Innengestaltung: Friedrich, Berlin Schrift: Garamond 10/12pt Druck und Bindung: Finidr, Český Těšín ISBN 978-3-8148-2412-3

www.bebraverlag.de

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»Ze den wîhen nahten« – Mittelalterliche Bräuche 13

Preußenweihnacht 25

»Morgen, Kinder, wird’s was geben« – Berliner Weihnacht im 19. Jahrhundert 41

Alle Jahre anders – Weihnachten 1900 bis 1944 73

Weihnacht Ost – Weihnacht West 101

Berliner Weihnachtswelten 141 Anhang 155

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Lichterschmuck in der TauentzienstraĂ&#x;e .

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Berlin im Dezember Auf einmal ist er da, der erste Lichterbaum. An einem gesichtslosen, austauschbaren Ort der Großstadt: auf einer S-Bahnstation, einer Kreuzung, an der Tankstelle, auf einer Verkehrsinsel. Er erscheint plötzlich, über Nacht und bis Weihnachten in stetig steigender An­ zahl, und verwandelt so die novembergraue Stadt in eine verheißungsvoll leuchtende. Der mit Lichtern bestückte Tannenbaum, der am Heiligabend auch die heimischen Wohnzimmer schmückt, ist fester Bestandteil der Berliner Stadtlandschaft im Dezember geworden. Er ist das erste sichere weihnachtliche Zeichen, das der weihnachtsfreudige Mensch wahrnehmen will. Nicht die Spekulatiusund Lebkuchenpakete, die seit Ende August in den Regalen schwitzen, nicht die Schokoladenweihnachtsmänner im Spätsommer und die in immer neuen Modefarben geschmückten Bäume der großen Kaufhäuser versetzen uns in Weihnachtsstimmung. Erst wenn das erste Lichterbäumchen leuchtet, wissen wir, Weihnachten naht mit Macht heran. Aber nicht nur die geschmückten Weihnachtsbäume ziehen im Dezember in die Stadt ein, sondern auch die grünen Tannen und Fichten. Bäume, die einmal Weihnachtsbaum werden sollen: »Nordmanntannen, nur 19 Euro!« Schnell entstehen kleine umzäunte Wälder in der Stadt, oft auf Brachflächen und an Orten, die man sonst kaum eines Blickes würdigt. Und dann der erste Schnee! Neben der Faszination der weißen Flocken, einer weiß bepuderten Stadt, muss der Lichterbaum kurz-

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zeitig an die zweite Stelle treten, aber beides ergänzt sich doch vortrefflich. Allerdings ist auf das Wetter kein Verlass. Glaubt man der Statistik, so lag in Berlin seit Anfang des 20. Jahrhunderts im Durchschnitt nur alle sieben Jahre Schnee an Weihnachten, zuletzt vier Mal in den 1960er-Jahren, zwei Mal in den 1980ern und dann wieder 2000, 2001 und 2010. Nicht immer gab es dabei solche Rekordhöhen wie die 17 Zentimeter Schnee an Heiligabend 1986 oder jene denkwürdigen 34 Zentimeter im Jahr 2010. Gerade weil die »Weiße Weihnacht« so selten ist, erscheint sie uns kostbar. Daher ist sie sogar Bestandteil des Wetterberichtes im Fernsehen, wo man regelmäßig ab Anfang Dezember über die »Schneefallwahrscheinlichkeit in Prozent« spekuliert. Immerhin kann man sich in Berlin auf die Kälte verlassen, auf kontinentale Kaltluft aus dem Osten, die westlichsten Ausläufer des russischen Winters. Und Frost heißt in Berlin: Schlittschuhlaufen auf den Seen in und rund um die Stadt. Szenen, die an gemalte Landschaften von Pieter Bruegel erinnern, wenn die Temperatur in Berlin eine Woche lang unter null Grad lag und die Seen zugefroren sind. Fällt dazu wirklich einmal Schnee, fahren die Berliner zum Rodeln in die Müggelberge oder einfach in die städtischen Parks, die Trümmer- oder Bunkerberge wie den immerhin 78 Meter hohen »Mont Klamott« im Volkspark Friedrichshain. Im Westen der Stadt entstanden 1951 zwei Trümmerberge, die heute zum Rodeln dienen, der Insulaner in Steglitz und der Teufelsberg im Grunewald. Die Adventszeit, nach dem lateinischen »adventus« (Ankunft) be­ nannt, die Zeit unmittelbar vor der Geburt des Kindes in der Krippe, ist eine Zeit, erfüllt von Bräuchen und Ritualen, duftend nach Zimt und Kerzenwachs. Es ist die Zeit des Jahres, die in der Kindheit endlos scheint und mit den Jahren immer schneller und hektischer vergeht, mit Vorbereitungen, Einkäufen und vielen (Vor-)Weihnachtsfeiern. »Mir ist noch gar nicht nach Weihnachten zu Mute!«, oder »Dieses Jahr bin ich noch gar nicht in Weihnachtsstimmung!«, hört man immer häufiger in der Vorweihnachtszeit. Sätze, die nur scheinbar im Widerspruch zu den äußeren Anreizen stehen, die uns durch die Medien – vom virtuellen Adventskalender bis zum Weihnachtsportal im Internet – oder beim Gang durch die bunte Warenwelt vermittelt werden. »Erleben eigentlich Stadtkinder Weihnachtsfreuden? Erlebt man sie heute noch?«, fragte schon vor rund hundert Jahren Ludwig Thoma und konnte »nicht glauben, daß das Fest in den engen

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Schlittschuhlaufen auf der Spree, Lithographie von F. A. Calau, um 1820.

Gassen der Stadt, in der wochenlang die Ausstellungen der Spielwarenhändler die Freude vorwegnehmen«, so freudig erregt ge­feiert werden könne wie auf dem Lande. Hatte er Recht? Keinesfalls, denn es gibt sie, die »Berliner Weihnacht«, mit Weihnachtsfreuden aller Art für Stadtkinder und Erwachsene, mit Weihnachtsmärkten und Krippenspielen, mit erleuchteten Fenstern und Tannenbäumen, mit bunten Schaufenstern und Schlittenfahren mitten in der Großstadt, mit typisch Berliner Festtagsschmaus und mit Begebenheiten, die nur hier und nirgendwo anders stattgefunden haben können. Märkische Weihnachtsspiele im mittelalterlichen Berlin, Preußenweihnacht, Weihnachten in der geteilten und der wiedervereinigten Stadt, eine Mischung von Tradition und ständigen Innovationen einer lebendigen Metropole – Weihnachten in Berlin, das ist etwas anderes als »Bergweihnacht«, als Weihnachten in einem kleinen Dorf, ja selbst in einer kleinen Stadt. Wenn das Glockengeläut der unzähligen Kirchen

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Himmlische Schlittenfahrt 端ber dem Berliner Schloss, Postkarte, um 1900.

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der Stadt am Heiligen Abend erschallt, wenn die Berliner Kirchen bis auf den letzten Platz gefüllt sind, selbst die hektische Großstadt den Atem anhält, dann weiß man, dass Weihnachten in Berlin auch bedeutet, das Fest gemeinsam mit Millionen Menschen zu begehen. Weihnachten 1899 schrieb der Berliner Theaterkritiker und Publizist Alfred Kerr: »Oft wünscht man sich weg aus der Stadt. Zwanzigmal im Jahr fasst man den Plan, nach Italien durchzubrennen … Aber einmal im Jahr will mit keinem anderen Ort tauschen, wer so glücklich ist, in Berlin zu leben. Das ist zu Weihnachten. Nicht mit Hamburg, nicht mit Breslau, nicht mit Pisa, nicht mit Kottbus. Nicht mit Honfleur sur mer, Département Calvados, nicht mit Ajaccio, nicht mit Alt-Treptow a. d. Tollense, Kreis Demmin, Regierungs­ bezirk Stettin. Sondern bloß zwischen der Potsdamer Brücke, dem Brandenburger Tor, dem Polizeipräsidium am Alexanderplatz, der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, der Friedrichstraße, der Sieges­ allee ... fühlt man sich wohl. Hier ist alles beisammen, was dazugehört. Nämlich einerseits großstädtischer Luxus, andererseits die festliche Weihnachtsstimmung eines riesigen arbeitenden Volkes. Die frohe Innigkeit des Christabends geht nicht verloren, und der Charakter dieses Weltpunkts hält die Krähwinkligkeit fern. Weihnachten ist hier ein holder Familienvorgang, zugleich ein gesellschaftliches Ereignis. Eine private Freude, zugleich eine Massendemonstration für die Glückseligkeit aller Menschen. Auch feiert sich das deutsch­este aller Feste am komfortabelsten in der deutschen Hauptstadt.« Schauen wir sie uns also näher an, die Berliner Weihnacht – vielleicht wird uns schon dabei ganz weihnachtlich zu Mute.

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Sternsinger als Heilige Drei Könige verkleidet, Kupferstich, um 1784.

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»Ze den wîhen nahten« Mittelalterliche Bräuche Heute ist es schwer vorstellbar, in Berlin am Heiligen Abend wild johlend, verkleidet mit Masken, um die Häuser zu ziehen und da­bei brennende Kerzen und Fackeln zu schwingen, Mummenschanz und Possenspiel, Schabernack und »Büberey« zu treiben – statt einen besinnlichen Abend im Kreis der Familie zu verbringen. Doch wurde in der mittelalterlichen Doppelstadt Berlin-Cölln das Christfest wohl vor allem laut und lärmend begangen, die »stille Nacht, heilige Nacht« und die häusliche Feier setzten sich erst viel später durch. Noch war Weihnachten ein Volksfest; auf den Straßen, in den Gassen und in den Kirchen wogte eine fröhliche Menschenmenge, die halbe Nacht und bis zum Morgen. Der Name »Weihnachten« geht auf Verse des aus dem Bayerischen stammenden Spruchdichters Spervogel zurück. Der fahrende Spielmann sang schon 1170: »Er ist gewaltic unde starc / der ze wîhen naht geborn wart.« Der mittelhochdeutsche Ausdruck »ze wîhen naht« wandelte sich im Laufe der Zeit zur Mehrzahl: »ze den wîhen nahten« – in den heiligen, den »geweihten Nächten«. Das über mehrere Tage andauernde Fest wurde zu »wînahten« und schließlich zu »Weihnachten«. Vermutlich wurde schon 221 der 25. Dezember als Christi Geburt festgelegt, um heidnische Bräuche zu überlagern. Nachweisbar gefeiert wurde dieser Tag das erste Mal 354 in Rom. Die Mainzer Synode erklärte 813 die Christgeburtsfeier zum kirchlichen Feiertag. Zu dieser Zeit gab es weder Berlin noch Cölln: Soweit archäo­ logisch feststellbar, entstanden beide Ansiedlungen in der zweiten

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Hälf­te des 12. Jahrhunderts auf in slawischer Zeit weitgehend un­­ besiedeltem Land. Zur Stadt wurden Berlin und Cölln wohl im 13. Jahrhundert erhoben, doch sind die Gründungsurkunden nicht erhalten. Die Doppelstadt Berlin-Cölln ging erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts aus beider Vereinigung hervor. In den frühen Anfängen der zwei Städte dürfte Weihnachten nur im kirchlichen Leben eine Rolle gespielt haben, wobei sich hartnäckig die nicht be­wiesene Auffassung hält, zumindest der Weihnachtsmarkt sei »so alt wie die Stadt selbst«. Seit dem 14. Jahrhundert etwa verlagerte sich das Weihnachtsfest aus dem bis dahin innerkirchlichen auch in das öffentliche Leben.

Märkische Weihnachtsspiele In Berlin und Cölln wurden die geweihten Nächte nun mit Mysterienspielen und Maskenumzügen begangen. Ausgelassenes Treiben herrschte auf den Straßen, das sogenannte »Heilige-Christ-Umgehen« war ein Fest für jedermann, ob Herr, ob Knecht. Das Volksfest wurde draußen gefeiert, über mehrere Tage und Nächte hinweg. Vergleichen kann man den Trubel vielleicht mit heutigen Fastnachtsoder Karnevalsumzügen am Rhein oder in Süddeutschland. Teile des mittelalterlichen Weihnachtsfestes fanden sogar in aller Ausgelas­ senheit in der Kirche statt, bis im 16. Jahrhundert das gar zu wilde Treiben aus den Kirchen verbannt wurde. Bis dahin gab es in den mit Hunderten von Lichtern bestückten Kirchenräumen die Krippen- oder Weihnachtsspiele zu sehen. Vier Hauptkirchen hatte Berlin im Mittelalter: St. Nikolai, St. Marien, die Franziskanerklosterkirche und die Heiliggeistkapelle. Die gewaltigste unter ihnen war die Nikolaikirche. In Cölln stand die Petrikirche. Die weihnachtlichen Aufführungen waren gegenüber den prunkvollen Christmetten, die im Zuge der Gegenreformation in Süd- und Westdeutschland mehr und mehr in Mode kamen, wohl eher bescheiden, dafür aber sehr volkstümlich und lebendig durch die Teilnahme der Bewohner der Stadt. Sie zogen sich über Stunden hin, die Zu­ schauer selbst waren aktiver Teil der Mysterienspiele und prägten durch lautstarke Untermalungen, wie man sie heute wohl nur noch

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Die Pfarrkirche St. Petri in Cölln, Zeichnung von Johann Stridbeck d. J., 1690.

vom Kindertheater kennt, das Geschehen im Altarraum der Kirche mit. Neben den Volksaufführungen war die Messe in der Christnacht oder am Morgen des Weihnachtstages ein glanzvoller Höhepunkt des Festes. Alte Chroniken berichten, dass Unmengen von Kerzen den Kirchenraum erhellten, dass der Rauch, der von Wachsstöcken, Talglichtern und Kohlebecken ausging, die Kirche erfüllte und den Prediger als vielleicht einzigen nüchternen Mann fast erstickt hätte. Im Mittelpunkt der bildhaften Aufführungen standen die Geburt Christi, die Krippe mit Maria und Josef, den Engeln und den Hirten, die Verfolgung durch König Herodes. Die Spieltexte der Weihnachtsaufführungen aus der Zeit bis in das 16. Jahrhundert hinein sind nicht bekannt; aus der Mitte des Jahrhunderts aber sind »drei märkische Weihnachtsspiele« überliefert, die nachweislich in Berlin zur Aufführung gekommen sind. Hermann Kügler zählte sie 1930 in der »Niederdeutschen Zeitschrift für Volkskunde« auf: Ein

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»seer schön und nützlich Spiel von der lieblichen Geburt unseres Herren Jesu Christi, zu Cöln an der Sprew gehalten … 1541«, ein »gar schön herrlich Trostspil, noch niemals in Druck kommen. Von der Geburt Christi vnnd Herodis Bluthundes ... 1549« sowie eine »kurze Comedien von der Geburt des Herren Christi«. Das letzte der drei genannten Weihnachtsspiele wurde 1589 erstmals am Hof des Kurfürsten Johann Georg aufgeführt; einige seiner 21 Kinder wirkten als Schauspieler mit. Im selben Jahr erließ sein Nachfolger Kurfürst Joachim Friedrich je-­ doch bereits ein ausdrückliches Verbot Titelblatt eines märkischen öffentlicher Weihnachtsspiele. Diesem vorausgegangen war 1574 der – offenWeihnachtsspiels, 1541. sichtlich nicht sehr wirksame – »Visitations-Abscheidt für Kirchen und Schulen«: »Also soll auch der Rath die bösen Buben, so in der Christnacht und Osternacht in den Kirchen alle Büberey treiben, durch Stadt-Diener herausjagen oder in Thürme setzen lassen, damit Zucht und gar Disciplin in den Kirchen erhalten und die Gottesfürchtigen an ihrem Christlichen Gebete nicht mögen gehindert, noch sonst geärgert werden.« Der »Weihnachtsunfug« sollte jedoch noch lange währen und die gestrengen Preußenkönige zu Edikten für dessen Abschaffung zwingen.

Heidnische Bräuche, christliche Ideale Zu Zeiten der mittelalterlichen Doppelstadt, deren Bewohner überwiegend slawischer und germanischer Herkunft waren, verwoben sich in den weihnachtlichen Spielen und Ritualen christliche Inhalte mit vorchristlichen Szenerien und Aberglauben. Die Volkskundlerin Ingeborg Weber-Kellermann schrieb über die Vermischung heidni-

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scher, christlicher und später auch familiärer Bräuche: »Wem diese Tage und Nächte geweiht waren, welchen Zeitraum sie umfaßten, welche Handlungen und Maßnahmen sie als großer Wendetermin erforderten: das ist ein buntes Geflecht von Bräuchen und Traditionen, verändert in immer neuen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen.« Die Sitte, »grün Tannenreis«, »Weihnachtsmaien« – noch keinen Weihnachtsbaum und noch keinen Adventskranz – ins Haus zu stellen, ist bereits seit Ende des 15. Jahrhunderts bezeugt. Die immergrünen Zweige dienten, genauso wie die laut- Neujahrswunsch, Holzschnitt, starken Umzüge, auch der Abwehr 16. Jahrhundert. von Dämonen, der Beschwörung eines guten neuen Jahres. So heißt es im »Narrenschiff« (1494) von Sebastian Brant: »Wer nit gryen tann risz steckt in syn hus, der meynt, er leb das jor nit usz.« (Wer nicht grün Tannenreis steckt in sein Haus, der meint, er leb das Jahr nicht aus.) Grüne, immergrüne Zweige sind bis heute in vielen Bräuchen gegenwärtig; man denke nur an den grünen Richtkranz beim Hausbau – eine Stilisierung des einst zum selben Zweck angebrachten Tannenbäumchens. Die Freude und Hoffnung auf die alljährliche Wiederkehr des Lichtes nach der Wintersonnenwende war bereits Bestandteil vorchristlicher Mittwinterfeste und -kulte. Auch eine besondere Bedeutung, die den zwölf Nächten zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar, dem Tag der Heiligen Drei Könige, zukam, war schon dem germanischen Kalender bekannt. In dieser Zeit steht das Geisterreich offen, so der alte Volksglaube; dann gehen Dämonen und die See-­ len der Verstorbenen um, in Norddeutschland Frau Holle, in Süddeutschland Frau Perchta. Die Zahl Zwölf hat auch in der christlichen Symbolik ihre Bedeutung: die Zahl der Leiden Christi oder die zwölf Jünger seien hier genannt. Die Träume in den zwölf Nächten, die als »Rauch oder Rauhnächte« bezeichnet werden, sollten Auskunft geben über die Monate des folgenden Jahres. Kein Wunder

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Anbetung der Könige, Albrecht Altdorfer, Mischtechnik auf Lindenholz, um 1530.

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also, dass sich gerade in dieser geheimnisvollen Zeit in Berlin die Bräuche und Riten verdichteten, mit Krippen- und Weihnachtsspielen in den Kirchen, Possenspiel und Maskenumzügen auf den Straßen und – bereits damals – mit einem Festschmaus. Die Adventszeit nämlich war Fastenzeit. In der vorchristlichen Mythologie sollte das Fasten helfen, die Dämonen der Finsternis zu vertreiben, nach christlichem Verständnis tat man so Buße. Begonnen wurde die Fastenzeit im November an St. Martin, an den Weihnachtsfeiertagen wurde sie mit einem Festmahl beendet. Das Festessen nahm man nicht im Kreis der Familie ein, sondern mit Freunden, in den Zunftstuben, im Rathaus oder bei Hofe. Während der Fastenzeit aß man im Allgemeinen nur einmal am Tag, auf Fleisch wurde verzichtet, Fisch und Gemüse waren erlaubt. Die strenge Regel wurde gemildert durch eine mögliche Zwischenmahlzeit, in der Adventszeit mag es ein Honigkuchen gewesen sein, vielleicht mit etwas Wein. Man kann sich gut vorstellen, dass beim Festessen an den Weihnachtsfeiertagen der Schwerpunkt auf dem Fleischgenuss lag. Geschenke gab es nicht zum Weihnachtsfest der vorreformatorischen Zeit. Die Geburt Christi war den Gläubigen Geschenk genug. Wollte man dennoch Gaben überbringen, so war dazu am 6. Dezember, am Tag des heiligen Nikolaus, oder zum Jahreswechsel Gele­ genheit. Zu Nikolaus gab es »Äpfel, Nuss und Mandelkern«, die als Glücksbringer geschenkt wurden, an Neujahr hauptsächlich Glückund Segenswünsche, manchmal kleine Geschenke. Seit dem ausgehenden Mittelalter sind Weihnachts- oder Neujahrstaler bekannt, die den Bediensteten überreicht wurden. Auch Naturalien oder Kleidungsstücke wurden gegeben, die aber streng genommen einen Be­­ standteil des Lohnes ausmachten. Überliefert ist, dass es im Hause Martin Luthers am Neujahrstag zunächst eine »Bescherung« für die Dienstboten gab. Luther war es aber dann, der 1545 das »Kindleinbescheren« einführte, das – wie so vieles, wenn es um die Weihnachtszeit in ihrer ganzen regionalen, konfessionellen und historischen Vielfalt geht – unterschiedlich interpretiert wird. Eine Erklärung des »Kindleinbescherens« lautet, dass der Reformator das Weihnachtsfest von Mummenschanz, heidnischen Riten und katholischen Zeremonien befreien wollte – und das wollte er in jedem Fall –, und es deshalb für am besten hielt, das neue Bild von Weihnachten gleich in die Kindererziehung einzubrin-

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^^^^@5%2^^^^ Vom Himmel hoch, da komm’ ich her Vom Himmel hoch, da komm’ ich her, ich bring’ euch gute, neue Mär, der guten Mär bring’ ich so viel, davon ich sing’n und sagen will. Euch ist ein Kindlein heut geborn von einer Jungfrau auserkorn, ein Kindelein so zart und fein, das soll euer Freud und Wonne sein. Lob, Ehr sei Gott im höchsten Thron, der uns schenkt seinen eignen Sohn; des freuet sich der Engel Schar und singet uns solch neues Jahr. Worte von Martin Luther, 1535.

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gen. Eine Bescherung der Kinder wurde auf den 24. Dezember (auch auf den 25. Dezember, den »Christtag«) gelegt. Geschenke gab es also nicht mehr am 6. Dezember vom heiligen Nikolaus und nicht mehr an Neujahr, sondern an Weihnachten als Sinnbild für das Geschenk, das Gott den Menschen mit seinem Sohn gemacht hat. Sie sollten an die Gaben erinnern, welche die Heiligen Drei Könige dem Jesuskind darbrachten. Eine etwas andere, nicht unbedingt gegensätzliche Erklärung führt den Namen »Kindleinbescheren« darauf zurück, dass Luther die Kinder vom »heiligen Christ« oder vom »heiligen Christkind« (»Vom Himmel hoch, da komm ich her«) an Weihnachten beschenken ließ und nicht vom Nikolaus. Überliefert ist, dass Luther seine Tochter einst gefragt haben soll: »Lenichen, was will dir der heilige Christ bescheren?« – dieser Satz könnte ebenso in rein geistlichem Sinn gemeint gewesen sein, ohne materielle Gaben. Neben Luther wünschten sich jedoch auch andere protestantische Geistliche, dass das »Christkind beschere und nicht Sankt Nikolaus«. Im 19. Jahrhundert wurde das Christkind allerdings vor allem im katholischen Raum in Süddeutschland zum Gabenbringer. In protestantischen Gegenden ist es der Weihnachtsmann, sozusagen als Nachfahre des heiligen Nikolaus, der die Geschenke verteilt. Welchen genauen Ur­

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sprungs der Name »Kindleinbescheren« auch sei, fest steht, dass das Schenken direkt an Weihnachten, nicht davor oder danach, seine Wurzeln in der Reformationszeit hat.

Honigkuchen vom Mittelaltermarkt Heute erleben die Mittelaltermärkte und -spektakel eine wahrhaftige Renaissance, unter anderem in Form mittelalterlicher Weihnachtsmärkte. Die Händler sind in dunkle Gewänder oder Felle gehüllt, mit übergeschlagener Kapuze, Schellen klimpern an den Schuhen, die Stände werden mit Kerzen oder Fackeln beleuchtet, Schmuck oder Kleidung wird angeboten, Gebäck oder gebratenes Fleisch im Fladen. Überzogen von Rauchschwaden, die von offenen Feuerstellen oder den Fackeln stammen, und dem Duft nach Lebkuchengewürzen und Glühwein, bietet ein heutiger Mittelalterweihnachtsmarkt – oder auch nur einige Stände dieser Art – eine willkommene und fantasievolle Ergänzung der weihnachtlichen Fülle, die uns umgibt. Wie aber sah im Mittelalter der Berliner Weihnachtsmarkt wirklich aus? Die Stadt im 15. Jahrhundert hatte keinesfalls viele Einwohner. »Berlin kann kaum mehr als dreitausend gehabt haben«, schätzt der Schriftsteller Joachim Fernau. »Sie lebten innerhalb der Wehrmauern dichtgedrängt in ein paar hundert Häusern, die den Bürgern und den Stiften gehörten, und in vielleicht noch einmal so viel ›Buden‹ (vom mittelhochdeutschen buode = Hütte), die die Zugewanderten besitzen durften. Die engen Gassen, die sich in Berlin um die Nikolaiund die Marienkirche scharten und in Cölln um die Petrikirche, waren voller Leben wie der Rialto in Venedig, und sie stanken auch so. (...) Läden gab es noch nicht. Die Waren wurden auf Verkaufsbänken, den ›Schragen‹, vor der Tür oder im Winter im Flur ausgestellt. In den Fluren arbeiteten, hämmerten, klopften, nähten und hobelten auch die Handwerker: die Schneider, die Schuster, die Hutmacher (der feine Mann trug Hut), die Gerber (die mörderische Luft verbreiteten), die Drechsler, die Schreiner und Zimmerleute, ferner die wichtigen Kerzenzieher und die noch wichtigeren Böttcher, denn ihre Tonnen waren es, in denen fast alle Güter befördert wurden, sogar Kleider und Handschriften.«

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^^^^@5%2^^^^ Honigkuchen 250 g Honig 250 g Mehl Hirschhornsalz je eine Messerspitze geriebenen Zimt, Nelken, Kardamom und Ingwer evtl. ganze, abgezogene süße Mandeln Den Honig erhitzen, bis er flüssig ist – er darf nicht kochen! –, und abkühlen lassen. Mehl mit den Gewürzen und dem Hirschhornsalz sorgfältig mischen. Abgekühlten, flüssigen Honig unterrühren und den Teig auf ein gut gefettetes Backblech streichen. Nach Belieben mit süßen Mandeln verzieren. 25 Min. bei ca. 200 Grad backen.

^^^^@5%2^^^^ Bereits aus dem 15. Jahrhundert überliefert ist der Handel mit Votivgaben, Pilgerandenken und geweihten Kerzen. Rund um die Petrikirche in Cölln und die Nikolaikirche in Berlin wurden die Waren feilgeboten. Der verstärkte Handel mit Kerzen in dieser Zeit – Kirchenlichte wurden das ganze Jahr über benötigt – soll von der Berliner Geistlichkeit angeregt worden sein. (Kerzen-)Wachs und Honig gehörten als Produkte der Bienenzucht eng zusammen, so liegt es nahe, dass ebenfalls Honig und verschiedene Sorten Honigkuchen verkauft wurden. Aus den Honigkuchenbäckern wurde schließlich eine eigene Zunft, die Pfefferküchler. Pfeffer diente als Sammelbegriff für Gewürze, die aus den morgenländischen »Pfef­ ferländern« kamen: Zimt, Kardamom, Muskatnuss, Piment, Koriander, Nelken und andere, heute teilweise nicht mehr bekannte oder verwendete Gewürze. Gesüßt wurde das Gebäck mit Honig; dieser war recht teuer, Zucker aber großenteils unerschwinglich oder einfach nicht verfügbar. Erst zum Ende des 18. Jahrhunderts, mit der Zucker­gewinnung aus einheimischen Zuckerrüben, fand er an Stelle von Honig eine breite Verwendung im vorweihnachtlichen Gebäck. Das lockte nun in größerer Menge und zu deutlich niedrigeren Preisen. Den Honigkuchen sagte man eine fruchtbarkeitserhaltende und

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^^^^@5%2^^^^ Lebkuchen 1 Pfd. Zucker 1/2 Seidlein oder 1/8erlein Honig 4 Loth Zimet 1/2 Muskatrimpf 2 Loth Ingwer 1 Loth Cardamumlein 1/2 Quentlein Pfeffer 1 Diethäuflein Mehl ergibt 5 Loth schwer (Rezept aus dem 16. Jahrhundert)

^^^^@5%2^^^^ heilende Wirkung nach – heute ist erwiesen, dass Honig wirklich gesundheitsfördernde Stoffe beinhaltet. Auch den Gewürzen wurden im Mittelalter große medizinische Wirkungen zugesprochen, nicht zuletzt deshalb waren sie sehr teuer. Nelken zum Beispiel, die »Nägelein des Mittelalters«, wie Minnesänger sie priesen, wurden mit Gold aufgewogen. Das Backen und Verkaufen dieser Kostbarkeiten fand besonders vor und an dem hohen Fest von »winahten« statt. Der Verkauf von Honigkuchen und anderem Gebäck aus »Syrupteig« – Zucker in flüssiger Form mit eingedicktem Obstsaft – ist in Berlin seit dem 16. Jahrhundert verbürgt, andere (nicht sehr zuverlässige) Quellen verweisen auf einen Handel damit bereits im 15. Jahrhundert. Gerade die Anfänge des Weihnachtsfestes sind geheimnisvoll – eine Zeit, die gern romantisch verklärt wurde und wird, ob im 19. Jahrhundert mit der Zuordnung von in Wahrheit erst viel später aufkommender Bräuche oder in der heutigen Zeit mit dem Nach­ erleben des Mittelalters in einer Form, in der es nie existiert hat, wir es aber gern erlebt hätten: ohne Pest und Kriege, ohne Schlamm und Dreck, voll von Lebkuchen mit Zuckerglasur, mit gebratenen Würstchen und Backkartoffeln vom Weihnachtsmarkt – doch auch Kartof­feln kamen erst Mitte des 18. Jahrhunderts durch Friedrich II. nach Berlin.

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H채usliches Fest am Weihnachtsabend, Kupferstich von Daniel Chodowiecki, 1799.

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Preußenweihnacht Vor allem am Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts waren die Preußenkönige bestrebt, neben anderen Bereichen des öffentlichen Lebens auch in das weihnachtliche Treiben Ordnung und Disziplin zu bringen. Der weihnachtlichen »Gaukeley« haftete aus ihrer Sicht zu viel Germanisches und Slawisches, Heidnisches und Katholisches an. Im Land Brandenburg war die protestantische Glaubensschicht noch dünn. In der »Brandenburgischen Geschichte« heißt es: »Ka­ tholische Elemente in Kultus und Religiosität, auch Prozessionen, Fastnachtsspiele und lateinische Gesänge waren verbreitet, wurden verboten, florierten weiter und wurden neuerlich untersagt. Zauberund Hexenglauben waren im Schwange, um 1680 sogar noch in Berlin und erst recht auf dem Lande.« Das Umherziehen »bey der finstern Abendzeit« müsse auch einen schlechten Eindruck auf die jüdischen Mitbürger machen, fürchtete der Konrektor des Gymnasiums zu Cölln an der Spree, Georg Grabow, im Jahre 1680: »Was müssen sie gedencken von unserm Messia, wenn sie unsern heiligen Christ sehen und hören daherkommen, in Begleitung vieler Jungen und Mägde, mit Spießen und mit Stan-­ gen, mit vielen Schellen, mit grossem Geschrey und Klatzschen der Peitsche.« 1671 hatte Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, gerade fünfzig aus Wien vertriebene jüdische Familien in Brandenburg aufgenommen. Vermutlich ist die Äußerung Grabows auch im Zusammenhang mit der gewaltsamen Vertreibung von Juden aus der Stadt

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zu sehen, wie sie zum Beispiel von 1571 bis 1573 nach dem Tode Kurfürst Joachims II. stattgefunden hatte. Am 2. Dezember 1677, nach dem Sieg in der Schlacht von Fehrbellin, fand ein Umzug ganz anderer Art statt, nämlich der »sieghafte Einzug des Kurfürsten in Dero Residenz und Festung Berlin«. Der Große Kurfürst ließ sich wohlig feiern, anlässlich seines Einzuges wurden fast weihnachtlich anmutende Zeilen gesungen: »Berlin, jetzt freue Dich / Der Feind ist überwunden, / Mark, jauchze und sey froh«. Die Weihnachtsumzüge mochte der Herrscher dagegen nicht: 1686 erließ Kurfürst Friedrich Wilhelm das Edikt von Cölln, das deren gänzliche Abschaffung forderte. Doch diese Maßnahme­ erreichte wie die bereits vorausgegangenen Verbote nur wenig. Die Einwohner von Berlin-Cölln, vor allem die Jugendlichen, ließen sich so leicht nicht bändigen.

Weihnachtliche Ordnung Auch dem Nachfolger des Großen Kurfürsten, dem ersten preußischen König Friedrich I., missfiel die an Weihnachten umherzie­h­ende ungezügelte Volksmenge, die damit verbundene öffentliche Unordnung sowie die Gefahr eines Stadtbrandes, hervorgerufen durch die Lichterkronen. Diese waren einfache, auf mehreren Ebenen mit Kerzen bestückte Leuchter, die man zu Weihnachten in den Kirchen entzündete und anschließend brennend durch die Straßen trug. 1711 legte König Friedrich I. Weihnachten auf drei Uhr nachmittags: »Weil mit denen Lichter-Cronen auf dem Christabend viel Gaukeley, Kinder-Spiel und Tumult getrieben wird; als befehlen wir Euch hiermit nicht allein solche Christ- und Lichterkronen gänzlich abzuschaffen, sondern auch die Christ-Messen nicht des Abends, sondern des Nachmittags um 3 Uhr zu halten. Daran geschieht Unser Wille, Und seynd Euch mit Gnaden gewogen. Datum Cölln an der Spree, den 18. Dezbr. 1711.« Das nächste Edikt gegen die »Christabend-Ahlfanzereien« erließ König Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1739. Er bestimmte, dass am Tag vor Weihnachten sämtliche Kirchen geschlossen und keine Christabends- oder Christnachtspredigten gehalten werden sollten. Friedrich

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Berliner Kurrende-Sänger zur Weihnachtszeit, Holzschnitt, 1828.

der Große, der sich in Glaubensfragen stets als tolerant erweisen sollte, lockerte wiederum die Verbote seines Vaters schon bald nach seinem Regierungsantritt im Jahre 1740. Er selbst feierte, aufgrund seiner eigenen stark durch Frankreich beeinflussten Lebensart, am Neujahrstag. Für sein Volk legte er das Weihnachtsfest, genauer gesagt den Tag, an dem es die Geschenke gab, auf den 25. Dezember fest. Die »Ahlfanzereien« in der Christnacht gerieten ins soziale Abseits. Bald waren in aller Andacht gehaltene Weihnachtsgottesdienste in den Kirchen die Regel. 1784 hieß es in der »Berlinischen Monatsschrift«: »In der Hauptstadt sind nur noch für den Pöbel die Verkleidungen geblieben«, die heutigen Schauspieler, »gemeiniglich Kinder aus den Vorstädten«, würden ihre Rollen bei den Weihnachtsspielen immer mehr verkürzen und verderben. Die hartnäckige Vorgehensweise der Preußenkönige – gegen die zunächst nicht minder hartnäckige Volksmenge, die in den Straßen

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^^^^@5%2^^^^ Wie soll ich dich empfangen Wie soll ich dich empfangen und wie begegn’ ich dir, o aller Welt Verlangen, o meiner Seele Zier? O Jesu, Jesu, setze mir selbst die Fackel bei, damit, was dich ergötze, mir kund und wissend sei. Dein Zion streut dir Palmen und grüne Zweige hin, und ich will dir in Psalmen ermuntern meinen Sinn. Mein Herze soll dir grünen in stetem Lob und Preis und deinem Namen dienen, so gut es kann und weiß.

Was hast du unterlassen zu meinem Trost und Freud, als Leib und Seele saßen in ihrem größten Leid? Als mir das Reich genommen, da Fried und Freude lacht, da bist du, mein Heil, kommen und hast mich froh gemacht. Ich lag in schweren Banden, du kommst und machst mich los; ich stand in Spott und Schanden, du kommst und machst mich groß und hebst mich hoch zu Ehren und schenkst mir großes Gut, das sich nicht läßt verzehren, wie irdisch Reichtum tut. Worte von Paul Gerhardt, 1653.

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das Weihnachtsfest feierte – ist als erster Schritt in Richtung der häuslichen, der privaten Weihnachtsfeier zu sehen. Das öffentliche Leben konzentrierte sich seit etwa 1700 mehr und mehr auf den Weihnachtsmarkt, der bald Volksfestcharakter hatte und somit zum zeitgemäßen Nachfolger der Weihnachtsumzüge wurde.

Auf dem Berliner Weihnachtsmarkt Unter Friedrich Wilhelm, dem Großen Kurfürsten, hatte der Ausbau Berlins zur Residenzstadt begonnen. Sein Sohn, Kurfürst Friedrich III., krönte sich 1701 in Königsberg selbst zum König in Preußen, und Berlin stieg zur königlichen Hofstadt auf. Durch die französischen Réfugiés, die bereits der Große Kurfürst zur Einwanderung aufgefordert hatte und die sich vor allem in Berlin niederließen,

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Der Berlinische Christmarkt, Lithographie nach einer Zeichnung von J. D. Schubert, 1796.

sowie durch die Zusammenfassung einzelner Stadtteile – Berlin, Cölln, Friedrichswerder, Dorotheen- und Friedrichsstadt – unter dem Namen Berlin vergrößerte sich die Stadt rasch und hatte 1710 bereits rund 56 000 Einwohner. Der Charakter Berlins wandelte sich und damit auch der Charakter des Weihnachtsfestes nach all den Jahren tollen Treibens. Die Bevölkerung bestand zu dieser Zeit zu einem großen Teil aus Ackerbürgern, das heißt aus Bürgern, die außerhalb der Stadtmauern ein Stück Land für den eigenen Bedarf bestellten oder als »Stadtbauern« den Verkauf landwirtschaftlicher Produkte besorgten. Dazu kamen Kaufleute, Handwerker und mehr und mehr Gewerbetreibende. Ge­­rade die französischen Einwanderer belebten den Handel und brachten neue Gewerbe mit: Seifenfabrikation, Spitzenherstel-

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lung, Strumpfwirkerei, dazu neue Berufsstände wie Posamentierer, Goldschmiede und Perückenmacher, deren Produkte Auswirkungen auf das Leben in der Stadt haben sollten. Ein Weihnachtsmarkt noch zu Zeiten des Großen Kurfürsten ist nicht durch Quellen belegt, obwohl Friedrich Wilhelm oft als dessen Urheber genannt wird. Auch der genaue Zeitpunkt, an dem der Berliner Weihnachtsmarkt mit behördlicher Genehmigung eingerichtet wurde, ist nicht verbürgt. Ein Bericht »Vom Berliner Hofe zur Zeit Friedrich Wilhelms I.« vermeldete: »Berlin, den 31. Decembris 1729: Sonnabends sahen Se. Majt. Vormittags die gewöhnliche Wach-Parade marschiren, nach aufgehobener Tafel aber beliebte es Deroselben: die auf gewöhnlichen Weynachts-Marckte feil gestelleten Sachen in denen aufgeschlagenen Boutiquen en Promenade in Augenschein zu nehmen, wovon sie hernach verschiedne Kostbarkeiten von Silber und allerhand Spiel-Sachen nach dem Schlosse bringen ließen, da auch höchst Dieselbe Abends an die Königinn, Printzen und Printzeßinnen, die gewöhnliche Geschencke mit allerseits hohen Vergnügen ausgetheilet.« 1731 soll der Soldatenkönig auf dem Weihnachtsmarkt angeblich Ruten gekauft und den Prinzen Wilhelm damit traktiert haben. Für 1735 wurde in den »Historischen Beiträgen« von Ernst Fi­dicin von einem Markt am Petriplatz und in der Breiten Straße berichtet. Im selben Jahr machte der Soldatenkönig seiner Familie Geschenke im Wert von 4 000 Talern in Form von goldenen und silbernen Schüsseln. Ob er sie wirklich auf dem Weihnachtsmarkt gekauft hat? In jedem Fall ist die Mitteilung aus »Königs historischer Schilderung Berlins« ein Beleg dafür, dass man sich zu Weihnachten – zumindest im Königshaus – etwas schenkte. Die Bescherung am Weihnachtstage, entsprechend Luthers Forderung nach der »Kindleinbescherung«, hat wohl der Große Kurfürst selbst eingeführt. Im Erziehungsjournal des Prinzenerziehers Otto von Schwerin findet sich am 24. Dezember 1663 folgender Eintrag: »Weil der heilige Abend gewesen, hat der Prinz Urlaub gehabt. Um 4 Uhr haben wir zusammen nebst Prinz Friedrich Weihnachtsgesänge gesungen; um 5 Uhr sind kurfürstliche Eltern mit beiden Prinzen in mein Gemach gekommen, da die Weihnachtsgeschenke hingelegt gewesen, und hat sich ein jeder sehr verwundert, daß der Kurprinz alle anderen schönen Sachen nicht angesehen, sondern zu dem Küraß mit Freuden

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