Faszination Stechlin (Leseprobe)

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Faszination

Stechlin MICHAEL FEIERABEND RAINER KOSCHEL


Alle Zitate stammen von Theodor Fontane (siehe Literaturverzeichnis)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen. © edition q im be.bra verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2011 KulturBrauerei Haus 2 Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin post@bebraverlag.de Lektorat: Ingrid Kirschey-Feix, Berlin Gesamtgestaltung: typegerecht berlin Schrift: Dax 9/14 pt Druck und Bindung: Dami Editorial & Printing Services ISBN 978-3-86124-654-1

www.bebraverlag.de


INHALT 7

DER STECHLIN, FONTANE UND DER ROTE HAHN – Eine Einleitung

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EINE LANDSCHAFT VERÄNDERT SICH – Der Stechlin von der Eiszeit bis ins 21. Jahrhundert

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DAS NATURSCHUTZGEBIET STECHLIN – Ein europäisches Naturerbe

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EIN MÄRKISCHES UNTERWASSERPARADIES – Tauchen im Stechlin

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VON FISCHADLERN, SCHELLENTEN UND FÖRSTERMORD – Ein Ausflug zum Nehmitzsee

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FISCHE UND FISCHEREI IM STECHLIN

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DAS ATOMZEITALTER AM STECHLIN

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NEUGLOBSOW AM STECHLIN – Ein Ort wandelt sich

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DAS LEBEN IM SEE – Der Stechlin, ein Seismograph für Forscher und Umweltschützer

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LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS DANKSAGUNG / BILDQUELLEN AUTOREN


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DER STECHLIN, FONTANE UND DER ROTE HAHN Eine Einleitung

»

Einer der Seen, die diese Seenkette bilden, heißt ›der Stechlin‹. … Und

doch, von Zeit zu Zeit wird es an eben dieser Stelle lebendig. Das ist, wenn es weit draußen in der Welt sei’s auf Island, sei’s auf Java, zu rollen und zu grollen beginnt oder gar der Ascheregen der hawaiischen Vulkane bis weit auf die Südsee hinausgetrieben wird. Dann regt sich’s auch hier, und ein Wasserstrahl springt auf und sinkt wieder in die Tiefe. Das wissen alle, die den Stechlin umwohnen, und wenn sie davon sprechen, so setzen sie wohl auch hinzu: ›Das mit dem Wasserstrahl, das ist nur das Kleine, das beinah Alltägliche; wenn’s aber draußen was Großes gibt, wie vor hundert Jahren in Lissabon, dann brodelt’s hier nicht bloß und sprudelt und strudelt, dann steigt statt des Wasserstrahls ein roter Hahn auf und kräht laut in die Lande hinein.‹ Das ist der Stechlin, der See Stechlin.

«

SAGENUMWOBEN UND FASZINIEREND SCHÖN; so lockt der tiefste See von Brandenburg,

der Große Stechlinsee, viele naturbegeisterte Besucher aus aller Welt an. Die gewaltigen

Der Stechlinsee – das blaue Auge der Mark Brandenburg

Kräfte der letzten Weichseleiszeit vor mehr als 10 000 Jahren haben ihn geformt. Heute umgeben ihn dichte Rotbuchen-Traubeneichen- und Blaubeer-Kiefernwälder mit angrenzenden teilweise hochmoorartigen Kleinseen und Feuchtgebieten. Alte und teilweise umgestürzte Buchen, Eichen und Kiefern prägen urwaldartige Bereiche eines sich selbst überlassenen Naturwaldes in besonderen Schutzzonen. Der Stechlin ist das Kernstück eines der größten Naturschutzgebiete in Brandenburg. In seinem durchsichtigen und kalkreichen Wasser gedeihen großflächig unterseeische Wiesen. Mächtige Baumkronen liegen im See, nur die Stämme ragen noch über die Wasseroberfläche hinaus und spiegeln sich im türkisblauen Wasser. Der See ist sehr nährstoffarm und verfügt ganzjährig bis in große Tiefen über Sauerstoff. Allein das räumt ihm eine Sonderstellung im Brandenburger und Mecklenburger Seenland ein. Hauptfischart ist die Kleine Maräne, ein schmackhafter heringsartiger und weitläufig mit den Lachsen verwandter Fisch, der sauberes, kaltes und sauerstoffreiches Wasser für seine Vermehrung benötigt. Und ganz unten im eisigen Wasser lebt noch eine ganz besondere Art – die Fontane-Maräne. Sie kommt weltweit nur im Stechlinsee vor. Der See und das ihn umgebende Naturparadies haben sich bislang allen natürlichen und menschlichen Beeinflussungen viel stärker widersetzt als die meisten Seenlandschaften in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein. Dank der Abgeschiedenheit, der waldreichen Umgebung, des eng begrenzten ober- und unterirdischen Wassereinzugsgebietes sowie weitgehend fehlender Industrie und Landwirtschaft verheilten zugefügte Wunden immer wieder, meist innerhalb eines Jahrhunderts. Die Seen, allen voran der Große Stechlinsee und der benachbarte Nehmitzsee, blieben blaue Augen in einer traumhaften märkischen Landschaft. Die Gewässer haben ihre Ursprünglichkeit bewahrt. Sie sind klar, sauber und reich an seltenen Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren. Sie

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spiegeln den natürlichen Zustand von Seen in der gemäßigten Klimazone des nordostdeutschen Flachlandes wieder. Sie sind Leitbilder für diese Landschaft und den Naturschutz. Kaum ein Erholungssuchender, Künstler, Naturfreund oder Wanderer kann sich ihrem Bann entziehen. So ist es sicher auch Theodor Fontane gegangen, als er in den 1870er Jahren als Wanderer zum ersten Mal den Stechlin besuchte. In seinen Wanderungen teilt er die für ihn unvergesslich schönen Eindrücke von dem stillen, aber geheimnisumwitterten See, dessen Umgebung nur von Wald, wenigen Glashütten, Gütern, Förstereien, Fischereigehöften und Wirtshäusern geprägt war, seinen Lesern mit. Die Sage vom Roten Hahn greift Fontane bereits in seinen »Wanderungen« auf. Zugrunde gelegen hat dabei die märkische MinackSage, die Fontane wahrscheinlich schon seit seiner Kindheit kannte. Der Sage nach war der Fischer Minack am Ufer des Stechlin ansässig und hatte einmal bei sehr stürmischem Wetter einen besonders reichen Maränenfang getan. Er wollte ohne die prallen und schwe-

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ren Netze den See nicht verlassen. Da sei der rote Hahn aufgestiegen und habe den Verwegenen in die Tiefe gerissen. Die Sage hat wie viele Sagen einen realen Kern. Den Fischer

Faszination – Blick von der Südbucht über den See

Minack hat es nachweislich am Stechlin gegeben. Auch ist ein Fischer damals tödlich auf dem Stechlin verunglückt, allerdings nicht der Fischer Minack. Und der See ist durch seine Angriffsfläche für stürmische Winde aus westlichen und südlichen Richtungen sehr gefährlich, da sich in seinem Zentrum hohe und sich überschlagende Wellen bilden können. Vielleicht hat es in der Vergangenheit auch kleinere Wind- und Wasserhosen am Stechlin gegeben. Tornados können ja überall entstehen. Eine derartige Beobachtung bleibt meist unvergessen und ist Nährboden für Geschichten und Sagen. Auch für den Roten Hahn lassen sich natürliche Erklärungen finden – eine Wasserhose bei untergehender Sonne oder aufsteigendes Methan aus verrottendem Laub und Wasserpflanzen, das sich unter Umständen selbst entzünden kann, ähnlich wie die bekannten Irrlichter in Sümpfen und Mooren. In jüngster Zeit gibt es eine weitere Deutung: das massenhafte Auftreten der Burgunder-

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Der Rote Hahn

blutalge. Diese Cyanobakterie (Blaualge) kann das Wasser blutrot färben. Sie kommt im Stechlin vor und hatte beispielsweise erst vor wenigen Jahren zu einer solchen in den Buchten durchaus wahrzunehmenden Rotfärbung des Wassers geführt. Über derartige Rotfärbungen des Wassers berichtete auch schon die Bibel im zweiten Buch Moses über die erste der zehn Plagen: »… und alles Wasser im Strom wart in Blut verwandelt«. War der Rote Hahn in Fontanes »Wanderungen« noch ein Mythos im Zusammenhang mit Vulkanausbrüchen, waghalsigen, nimmersatten Fischern und einer faszinierenden märkischen Landschaft, so änderte sich das im Laufe der Jahre. Fontane kam nie wieder ganz vom Stechlin los. Ihn hatte der sagenumwobene See so stark inspiriert, dass er ihn zur Kulisse seines Lebenswerkes »Der Stechlin« machte. Ein Roman, den viele Literaturkritiker als das Beste bezeichnen, was Fontane je geschrieben hat – eine Art Vermächtnis, eine Art Testament für kommende Generationen. Auch einen Thomas Mann hatte Fontanes Stechlin gefesselt. Bis ins hohe Alter hat er ihn wieder und wieder mit Genuss gelesen …

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Der See ist für Fontane eine Art dichterisches Symbol für den Wandel. Er widerspiegelt

Theodor Fontane in seinem Arbeitszimmer

die großen Zusammenhänge der Dinge, die Dialektik von Vergehen und Werden. Und der Rote Hahn wird dabei zu einem Revolutionär stilisiert. Er rumort, erzeugt Strudel und Wellen und kräht weit ins Land hinein, wenn Wichtiges passiert oder ihm etwas missfällt. Diese weit über den Stechlin hinausgehende Botschaft soll auch dieser Bild-Text-Band vermitteln. Er soll einerseits von der einmaligen, faszinierenden und inspirierenden Wirkung der Naturlandschaft Stechlin berichten. Andererseits soll er nachdenklich stimmen. Schließlich wird jede Region unserer Welt inzwischen durch globale (Fehl)Entwicklungen beeinflusst. Wir befinden uns in einer Zeitepoche des globalen Wandels. Daran kommt keine noch so traumhaft schöne Landschaft mehr vorbei. Noch sind unsere Gewässer, Wälder und Fluren mit ihrer Artenvielfalt hochgradig regenerationsfähig. Aber dazu bedarf es größter Anstrengungen. Wir müssen unsere wertvollen Naturressourcen schützen, um sie für folgende Generationen zu erhalten und um sie dann auch noch nutzen zu können.

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EINE L ANDSCHAFT VER ÄNDERT SICH


EINE LANDSCHAFT VERÄNDERT SICH Der Stechlin von der Eiszeit bis ins 21. Jahrhundert EINE L ANDSCHAFT VER ÄNDERT SICH

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EINE L ANDSCHAFT VER ÄNDERT SICH


»

Zwischen flachen, nur an einer einzigen Stelle steil und quaiartig

ansteigenden Ufern liegt er da, rundum von alten Buchen eingefaßt, deren Zweige, von ihrer eigenen Schwere nach unten gezogen, den See mit ihrer Spitze berühren. Hie und da wächst ein weniges von Schilf und Binsen auf, aber kein Kahn zieht seine Furchen, kein Vogel singt, und nur selten, daß ein Habicht drüber hinfliegt und seine Schatten auf die Spiegelfläche wirft. Alles still hier.

«

DAS GESAMTE NORDOSTDEUTSCHE TIEFLAND wurde in der letzten großen Eiszeit, wäh-

rend der Weichseleiszeit, geprägt. Sie begann vor mehr als 100 000 Jahren und endete vor

Klares und sauberes Wasser – ein Markenzeichen des Stechlin

etwa 10 000 Jahren. Mächtige Gletscher drangen von Skandinavien über die Ostsee bis in unser Tiefland vor. Der äußerste südliche Vorstoß dieser Inlandgletscher aus dem Norden ging weit über die Region des Stechlingebietes hinaus und erreichte etwa die Gegend südlich von Potsdam und Brandenburg. Der riesige Gletscher war hier bis zu 1000 Meter dick, im Inlandeiszentrum sogar über 3 300 Meter. Er schürfte den Untergrund ab und führte große Mengen Gesteinsschutt mit sich, die sich teilweise 200 Meter über den älteren Untergrund schoben und die tertiäre Braunkohle mit Geschiebemergel, Ton und Sand überdeckten. Besonders prägend für das spätere Aussehen der Landschaft wurde der langsame, etappenweise Rückzug der Eismassen. Der Wechsel zwischen längeren Pausen und immer wieder kleineren Vorstößen der Gletscher am Südrand der mecklenburgischen Seenplatte führte zu einer von Grundmoränen, Endmoränengürteln, großen Sandergebieten, Becken sowie kleineren Schmelzwasserrinnen und großen Schmelzwassertälern geprägten Landschaft. So ist beispielsweise das nordöstlich vom Stechlinsee gelegene Fürstenberger Becken entstanden oder das wesentlich größere Rheinsberger Becken, nur wenige Kilometer westlich vom Stechlinseegebiet entfernt. In den Becken blieb beim Abtauen des Gletschereises sehr viel Rinnen- und Plattentoteis zurück, das dann durch die nächste Gletscherstillstandslage wieder von Sand und Schotter überschüttet wurde und wie in einem Eiskeller über Jahrhunderte, teilweise Jahrtausende im Permafrostboden vor dem Auftauen geschützt war. Erst bei der Wende der letzten Eiszeit zur jetzigen Warmzeit tauten die Toteiskörper, d. h. die vom eigentlichen Gletscher getrennten Eisplatten, mit dem Schwinden des Dauerfrostbodens zunehmend auf und die drüber liegenden Sanderablagerungen sackten nach. Auf diese Weise entstanden die vielfältigen Hohlformen, die sich teilweise mit Grundwasser füllten und vielgestaltige Seen, wie den Stechlinsee, bildeten, oder trocken blieben. War das Grundwasser nahe der Oberfläche, wurden daraus Feuchtgebiete. Dabei formierten sich auch die oberirdischen Abflussverhältnisse und die einzelnen Wasser- und Hauptwasserscheiden, wie sie zum großen Teil noch heute bestehen. Viele Seen und Seengebiete blieben weitgehend oberirdisch zu- und abflusslos. Sie bildeten so genannte Binnenentwässerungsgebiete, wo der Wasseraustausch fast ausschließlich über Niederschlag und Verdunstung sowie das Grundwasser verläuft. Dazu gehören die meisten

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Am Ende der letzten Eiszeit – Entstehung des Stechlinsees

Seen des Stechlinseegebietes und weitere Seen im Rheinsberger und im Fürstenberger Becken, soweit sie nicht in den Lauf der Havel oder des Rhins eingebunden sind. Man darf sich allerdings diese Binnenentwässerungsbiete nicht als statische Landschaftselemente vorstellen. Sie unterlagen und unterliegen immer noch großen Schwankungen, die durch wechselnde klimatische Einflüsse, Veränderungen der Vegetation in den Einzugsgebieten und wasserbauliche Maßnahmen ausgelöst werden. Bohrungen in den Sedimenten der Seen und in den Uferbereichen der nordostdeutschen Seenlandschaft zeigen, dass sich die Wasserstände von der frühen Warmzeit bis heute um mehrere Meter verändert haben. Die geringsten Wasserstände traten etwa 5 000 bis 3 000 Jahre nach der Entstehung der Seen auf. Man vermutet, dass diese vom Menschen noch nicht beeinflussten Schwankungen im Wesentlichen durch Klimaänderungen ausgelöst wurden. In der Neuzeit, also in den letzten 500 Jahren, fielen die Wasserstände der Seespiegel und des Grundwassers um teilweise mehr als drei Meter. Dieses Mal war es aber der

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Mensch, der für die Absenkung verantwortlich war. Er brachte durch Kanalbauten, die Anlage von Entwässerungsgräben, Mühlenwehren oder eine einseitig ausgerichtete Land- und

Stechlinsee (Luftbild) – zwei Schmelzwasserrinnen prägten den buchtenreichen See

Forstwirtschaft, bis hin zur großflächigen Entwaldung oder Trockenlegung von Mooren das natürlich vorhandene hydrologische Gleichgewicht durcheinander. Das war und ist aber längst nicht das Ende der zivilisatorischen Einflussnahme. In einer bisher nie dagewesenen Intensität hat der Mensch in den letzten Jahrzehnten durch Industrie, Landwirtschaft und die damit im Zusammenhang stehende Ausbeutung natürlicher Ressourcen in den globalen Wasser- und Stoffhaushalt so gravierend eingegriffen, dass ein globales Desaster voraussehbar ist. Meeresströmungen und Klima ändern sich. Unwetter mit sintflutartigen Regengüssen im Wechsel mit lang anhaltenden Trockenperioden betreffen inzwischen fast alle Regionen auch in Mitteleuropa. Für den Brandenburger Raum, einschließlich seiner Schutzgebiete wie dem Naturschutzgebiet Stechlin, bedeutet das langfristig zunehmende Luftund Wassertemperaturen, abnehmende Niederschlagsmengen, eine höhere Verdunstung

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Herbst am Nehmitzsee

und häufige Unwetter. Messergebnisse der letzten 50 Jahre zeigen deutlich diesen Trend an, der die Seespiegel- und Grundwasserstände fallen lässt. Wird diesem Prozess nicht überregional Einhalt geboten, wird sich das Landschaftsbild auch am Stechlinsee erneut ändern. So, wie sich die Wasserstände im Laufe der verschiedenen Zeitepochen durch Klima und menschliche Einflussnahme veränderte haben, hat sich auch die Vegetation gewandelt. Pollenanalysen aus bis zu zehn Meter langen Bohrkernen, entnommen aus Seen, Mooren und Feuchtgebieten, geben Auskunft über diese Entwicklung. Eine erste Besiedlung mit Zwergsträuchern und Pioniergehölzen – Wacholder, Weide, Sanddorn und Birken – ist bereits vor mehr als 13 000 Jahren aus der Pollenverteilung in den Bohrkernen zu erkennen. Die Landschaft im Rheinsberg-Fürstenberger Gebiet hatte einst einen tundren-ähnlichen Charakter. Teilweise waren die größeren Toteisseen, wie der Stechlinsee, noch gar nicht entstanden. Mit dem letzten Abschmelzen des Toteises und

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zunehmender Temperaturerhöhung nahmen dann Birken- und Kiefernbewuchs rapide zu.

Polzowkanal

Doch bereits in der Jüngeren Dryaszeit, dem erneut von einem Temperaturrückgang geprägten Zeitabschnitt vor etwa 12 500 bis 11 500 Jahren, kam es wieder zu einer Waldtundra mit einer stärkeren Ausbreitung von Wacholder und Birke bei gleichzeitigem Rückgang der Kiefer, ehe sich dann über alle weiteren Perioden die Kiefer als dominierende Baumart durchsetzte. Je nach Klima und Wasserstand ist sie mal stärker und weniger stark mit Birke, Erle und Hasel sowie ab dem Atlantikum vor etwa 8 000 Jahren mit Eiche, Ulme, Linde und Esche vergesellschaftet. Seit etwa 3 000 Jahren nimmt die Rot- und Hainbuche zu. Eiche und Rotbuche erreichten vor etwa 1000 Jahren, im späten Subatlantikum, ihr bisheriges Maximum. Die Kiefer wurde auf nährstoffärmere Standorte verdrängt. Außerdem nahm der Mensch starken Einfluss auf die Vegetation. Bereits ab dem 12. Jahrhundert kam es zu größeren Rodungen, besonders von Rot- und Hainbuchen sowie Eichen. Die Kiefer breitete sich wieder aus. Um den Stechlin- und Nehmitzsee entstanden

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Fenchelberg – Blick über den Stechlinsee

kleinere Ortschaften und in deren Umgebung Wiesen und kleinere Felder. Bereits im späten Mittelalter, etwa von 1500 bis 1750, wurden viele dieser Siedlungen wieder aufgegeben. Insgesamt gehörte im späten Mittelalter das Rheinsberg-Fürstenberger Seengebiet zu den Landschaften in Mitteleuropa mit dem höchsten Wüstungsanteil, wie Gebiete mit aufgegebenen Siedlungen bezeichnet werden. Allein um den Stechlin- und Nehmitzsee waren fünf Ansiedlungen betroffen, wie das Dorf Stamm-Stechlin am Westufer des Stechlinsees oder die Ansiedlung Stechlin zwischen Stechlin- und Nehmitzsee. Auf den aufgegebenen Flächen breiteten sich vor allem die vergleichsweise schnell wachsenden Kiefern aus. Ende des 18. Jahrhundert wurden fast flächendeckend die Altholzbestände – vor allem Kiefern – eingeschlagen und über den Polzowkanal aus dem Menzer Forst nach Berlin transportiert. Aber auch an die in der Umgebung angesiedelten Glashütten und Teeröfen wurde eine nicht unerhebliche Menge an Holz geliefert. Allein die Globsower Glashütte benötigte 600 bis 700 Klafter (das entspricht etwa 1 800 bis 2 100 Festmeter) Holz pro Jahr. Die Teeröfen

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und Glashütten stellten allerdings im 19. Jahrhundert ihren Betrieb ein. Der Wald erholte

Uferweg am Stechlin

sich langsam wieder. Vor allem Kiefern wurden selbst auf Buchenstandorten aufgeforstet, teilweise untersetzt mit Fichten und später auch mit Lärchen und Douglasien. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es wieder zu einer Übernutzung der Wälder. Kriegreparationsleistungen, Einschläge für Brenn- und Bauholz führten bis Anfang der 1950er Jahre wieder zu großen Kahlflächen, die aus wirtschaftlichen Gründen erneut mit Kiefernmonokulturen bestockt wurden. Nur mit großer Mühe gelang es Forstleuten und Naturschützern zumindest die im Naturschutzgebiet Stechlin noch vorhandenen alten Laubholzbestände zu erhalten und teilweise den für diese Standorte typischen Naturwald zu retten. In den beiden letzten Jahrzehnten hat sich ein grundlegender Wandel in der Forstwirtschaft um den Stechlin vollzogen. Zunehmend werden Grundsätze eines ökologischen Waldbaus umgesetzt. Insgesamt versucht man durch Naturverjüngung und gezielte Umwandlung standorttypische natürliche Wälder groß werden zu lassen. Das Ziel sind Misch-

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wälder mit einem hohen Anteil an Rotbuche und Traubeneiche, aber auch Hainbuche,

Blaubeer-Kiefernwald

Winterlinde und anderen Laubgehölzen, die dem Wald eine hohe ökologische Stabilität und Elastizität verleihen sollen. Eine Reihe von Wildnisgebieten gewährleistet darüber hinaus

LINKE SEITE Leddernbrücke –

die Entwicklung eines Naturwaldes ohne forstwirtschaftliche Bewirtschaftung. Für den Er-

das Tor zum Nehmitzsee

halt einer möglichst großen Artenvielfalt werden zusätzlich Altbäume, Waldränder und Wiesen geschützt. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Die Chancen stehen aber gut, die Auswirkungen einer weiteren Klimaveränderung für die Tier- und Pflanzenwelt in der Stechlinregion durch konsequente Umsetzung eines ökologischen Waldbaus zu puffern, vor allem unter der Prämisse Wasser in der Landschaft zurückzuhalten. Die Spuren vergangener Zeitepochen begegnen dem aufmerksamen Naturfreund beim Spaziergang rund um den Stechlin auf Schritt und Tritt. Beginnen wir bei den Zeugen der Eiszeit. Der See liegt nicht weit entfernt vom Endmoränengürtel der Fürstenberger Staffel

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Teufelssee – ein hochmoorartiger Kesselsee

aus der Weichseleiszeit, dessen äußere Begrenzung unweit des nordöstlichen Ufers des Stechlinsees gewesen sein dürfte. Dort bietet der 84,5 Meter über den Meeresspiegel aufragende Fenchelberg einen prächtigen Blick in westlicher Richtung über den Stechlinsee. Zum 25 Meter tiefer liegenden Seeufer fallen die Hänge sehr stark ab, was sich unter Wasser bis zur tiefsten Stelle des Sees, knapp 70 Meter unter der Wasseroberfläche, fortsetzt. Damit ist der Stechlinsee, neben dem Schaalsee in Mecklenburg, der tiefste See in der nordostdeutschen Tiefebene. Aber auch die eiszeitlichen Schmelzwasserrinnen kann man vom Fenchelberg aus, bzw. wenn man weiter um den ganzen Stechlinsee läuft, erahnen. Sie erstreckten sich von Ost nach West, von den Tradenwiesen oder der Tradenrinne über den Dagowsee und die Neuglobsower Badebucht, und von Nord nach Süd, vom Glietzensee über die Sonnebucht in den Stechlinsee. Diese Schmelzwasserrinnen prägten die für den Betrachter von oben ursprünglich noch viel stärker vorhandene Form eines Kreuzes. Diese verlieh dem See Symbolkraft, denn schon seit Menschengedenken ist das

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Kreuz Kult- und Symbolgegenstand. Man vermutet, dass sich bereits weit vor dem Christentum hinter dem Kreuz eine Art religiöse Weltformel verbirgt – eine Verbindung zwischen Himmel und Erde. Diese Symbolkraft griff übrigens auch Theodor Fontane in der Sagengestalt des Roten Hahnes in seinem Roman »Der Stechlin« auf.

Pflanzen im Hochmoor. Blühender Sumpfporst (links), Wollgras (rechts oben), Sonnentau (rechts unten)

Doch wandern wir weiter vom Fenchelberg in Richtung Leddernbrücke, dann fallen uns zwischen der Neuglobsower Badebucht, der Alten Fischerhütte und der Leddernbrücke, stellenweise zweigeteilte Terrassen auf. Diese befinden sich direkt am Seeufer und ca. 50 Meter weiter oberhalb, wo früher eine unbefestigte Straße und jetzt ein breiter Fahrradund Wanderweg durch den Buchen- und Kiefernwald verlaufen. Die etwa fünf Meter über dem heutigen Seespiegel liegende Terrasse war offensichtlich der Flachwasserbereich aus einer weit zurückliegenden Periode mit sehr hohen Wasserständen. Man vermutet, dass sich etwa zur Zeit der Waldtundra, ca. 2 000 bis 3 000 Jahre nach der Entstehung des Sees, der Seespiegel durch die bereits erwähnten Klimaveränderungen stark absenkte, dann bei

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relativ niedrigen Pegelständen 1000 bis 2 000 Jahre verharrte, um später erneut wieder

Spiegelbilder im türkisblauen Stechlin

anzusteigen. Im späten Mittelalter, vor 500 bis 600 Jahren, gab es offensichtlich sehr hohe Wasserstände. Der Stechlinsee hat in Zeiten hoher Wasserstände, wie sie durch die obere Terrasse angedeutet werden, eine viel größere Fläche eingenommen. Die zweite Terrasse in unmittelbarer Ufernähe, die man um den ganzen See herum sehr gut verfolgen kann, geht auf eine vom Menschen ausgelöste künstliche Seespiegelabsenkung zurück. Von 1745 bis 1750 wurde der teilweise bis zu acht Meter breite Polzowkanal gebaut, eine künstliche Verbindung zwischen Stechlinsee, wobei der Dagowsee ebenfalls eingebunden war, über den Gerlin- und Nehmitzsee und weiter über den Roofensee bei Menz bis hin zum Wentowsee und der Havel, die zum Holzflößen diente. Der Kanalbau führte zu einer Absenkung des Wasserspiegels im Stechlinsee um mehr als einen Meter. Auch der Nehmitzsee und besonders der Roofensee waren von dieser Absenkung betroffen. Mit dem Polzowkanal veränderte sich das Landschaftsbild. Die Verlandungsprozesse in angrenzenden Seen und Feuchtgebieten wurden beschleunigt. Etliche Moore verschwanden. Auch die Ufervegetation der größeren Seen änderte sich. Am Stechlinseeufer prägten jetzt, je nach Feuchtigkeit und Bodenverhältnissen, Wiesen, Sträucher, Kiefernjungwuchs und Erlen den neuen flachen Ufersaum, so wie man sie noch heute teilweise in der Umgebung der Alten Fischerhütte vorfindet. Um diese Flächen kam es zu lang anhaltenden Rechtsstreitigkeiten zwischen dem damaligen Besitzer des Stechlinsees, dem Rittergut Groß-Zerlang, und dem Menzer Forst, der die Waldgebiete um den Stechlinsee verwaltete, die sich im Preußischen Staatsbesitz befanden. Beide erhoben Anspruch auf die neu geschaffenen Uferbereiche. Der Rechtsstreit endete letztlich mit einem Kompromiss. Das Rittergut Groß-Zerlang erhielt rund sieben Hektar Altholzbestand vom Forst Menz, dieser konnte dafür die neuen Uferflächen am Stechlinsee in den Staatsbesitz aufnehmen. Bereits 30 Jahre nach Inbetriebnahme des Polzowkanals war der Menzer Forst dermaßen ausgeplündert, dass sich die Flößerei nicht mehr lohnte. Der Kanal wurde stillgelegt, nur die Schleuse am Ausfluss des Stechlinsees zum Nehmitzsee betrieb man weiter, um die Wasserstände am Stechlinsee nicht noch weiter fallen zu lassen. Ein Teil der Moorstandorte wurde entwässert, um Wiesen- und Weideland zu gewinnen. Im 19. Jahrhundert wurden dann auch die Ufersäume wieder nach und nach von Kiefern und Buchen bewachsen und bildeten jenen Anblick, den wir noch heute vorfinden. Inzwischen sind wir bei unserer Wanderung um den Stechlinsee an der Leddernbrücke angelangt. Sie führt über den Polzowkanal, der zwischenzeitlich teilweise verlandet war, aber in den 1950er und 1960er Jahren durch den Bau des Atomkraftwerkes Rheinsberg wieder ausgebaut wurde, um den für den Betrieb des Atomkraftwerkes notwendigen äußeren Kühlwasserkreislauf zu gewährleisten. Für diesen Zweck mussten die Wasserstände zwischen Stechlin- und Nehmitzsee ausgeglichen werden. Der Pegel des Stechlinsee verlor so erneut etwa 0,4 Meter. Der Nehmitzsee dagegen wurde um 0,4 Meter angestaut. Die Regulierung der Wasserstände erfolgte über ein Abflussbauwerk im östlichen Zipfel des

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Malerische Buchten laden zum Verweilen ein

Nehmitzsees, dort, wo der Polzowkanal in Richtung Roofensee abzweigte. Auf diesem Niveau hielten sich die Wasserstände über 30 Jahre. Nach Stilllegung und teilweisem Rückbau

RECHTE SEITE Bemooste Wurzeln am Ufer

des Atomkraftwerkes ist man nun bemüht das Wasser in der Landschaft besser zurückzuhalten, vor allem soll der Wasserstand im Stechlinsee wieder auf die Höhe wie vor dem Bau des Atomkraftwerkes angeglichen werden. Weiter geht es durch urwaldartige Wildnisgebiete mit alten Buchenbeständen, wie auf der kleinen Halbinsel, südlich des stillgelegten Kraftwerkes, mit der historischen Bezeichnung das Hölzchen oder den Mönchseichen, am nordwestlichen Ufer des Stechlin gelegen. Am Forstort Mönchseichen befand sich im Mittelalter der Ort Stamm-Stechlin. Kaum zu glauben, dass hier im 15. Jahrhundert eine Siedlung mit Äckern und Wiesen war. Mitte des 16. Jahrhunderts war Stamm-Stechlin bereits verlassen. Die Feldmark wurde von umliegenden Bauern noch über Jahre als Roggen- und Heuacker genutzt, ehe der Wald die Wüstung wieder völlig überzogen hatte.

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Der Sage nach gibt es ein versunkenes Dorf im Stechlin, möglicherweise gar nicht weit von Stamm-Stechlin entfernt. Fährt man an einem Sonntagvormittag über die Stelle, soll noch heute vom Wasser herauf das Läuten der Glocken zu hören sein. Doch wir hören nur den Wellenschlag am Ufer und die eindringlichen Rufe der Schwarzspechte, von denen es hier reichlich gibt. Immer wieder finden wir nicht nur in, sondern auch außerhalb der Kernzonen des Naturschutzgebietes alte, teilweise bereits sehr morsche und vertrocknete Bäume. Diese Methusalem-Bäume sind markiert. Es handelt sich um geschützte Bäume, die vielfältigen Lebensraum für Säugetiere, Insekten, Pilze, Vögel wie den Schwarzspecht bieten und damit eine herausragende ökologische Funktion haben. Im nordwestlichsten Zipfel des Stechlinsees, der Kreuzlanke, angekommen machen wir eine Pause. Der Sage nach locken hier schöne Jungfrauen den Wanderer ins nahe liegende Kreuzluch, wo er dann elendig ertrinken muss. Wir jedoch wandern weiter zum nördlich gelegenen Teufelssee. Dieser malerische hochmoorartige kleine Kesselsee bietet alles, was

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