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TOM WOL F
Weinland BrandenBurg Ausfl端ge zu alten und neuen Weinorten Mit den besten Tipps und adressen
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Mehr Informationen im Internet
Stand der Informationen: Januar 2016 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen. © edition q im be.bra verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2016 KulturBrauerei Haus 2 Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin post@bebraverlag.de Lektorat: Ingrid Kirschey-Feix, Berlin Umschlag: hawemannundmosch, Berlin (Fotos: Vorderseite, großes Bild und Rückseite rechtes Bild: Dr. Eberhard Brüchner, übrige Fotos: Tom Wolf) Satz: typegerecht, Berlin Schrift: Milo 9 / 12,5 pt Druck und Bindung: Finidr, Český Těšín ISBN 978-3-86124-695-4 www.bebraverlag.de
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Inhalt
Die Mär vom sauren Brandenburger Wein
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Stadt Brandenburg an der Havel 1 Der BUGA-Weinberg
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Potsdam-Mittelmark 2 3 4 5
Der Alte Weinberg Werder (Havel), OT Töplitz Der Phöbener Wachtelberg (»Kagelwit«) Werder (Havel), OT Phöben Der Werderaner Wachtelberg Werder (Havel) Der Galgenberg Werder (Havel)
19 27 33 47
Stadt Potsdam 6 7 8 9
Die Villa Jacobs Der Klausberg Sanssouci-Terrassen und Winzerberg (Tafeltrauben) Viele Relikte und ein neues Kontor
53 57 63 71
Teltow-Fläming 10 11 12 13
Lebendiges Mittelalter Nuthe-Urstromtal, OT Dobbrikow Der Zescher Weinberg Zossen, OT Lindenbrück, GT Zesch am See Der Mühlenberg Baruth/Mark Die Glasmacher Baruth/Mark, OT Glashütte
75 83 89 95
dahme-Spreewald 14 Die Reben im Innenhof Mittenwalde 15 Weinbau mit Leib und Seele Luckau 16 Der Weinhang am Mühlenberg Bestensee
99 103 109
elbe-elster 17 Wein an der Tanke Bad Liebenwerda 18 Lausitzer Weinacker Bad Liebenwerda, OT Lausitz 19 Der Lange Berg Schlieben
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Oberspreewald-lausitz 20 Der Wein der Erinnerung Senftenberg 21 Brandenburgs einzige Steillage Großräschen
129 135
Spree-neiße 22 23 24 25
Weinberg aus der Retorte Tagebau Welzow-Süd Marbachs Wolfshügel Neiße-Malxetal, OT Jerischke Neuer Wein an altem Ort Drebkau, GT Klein Oßnig Weinberg am Langen Rücken Schenkendöbern, OT Grano
141 153 163 169
Oder-Spree 26 Klosterweinberg auf der »Scheibe« Neuzelle 27 Reisberg mit Ahnenklause Neuzelle
179 185
Märkisch-Oderland 28 Das ehemalige Erwin-Baur-Institut Müncheberg
191
uckermark 29 Der geteilte Weinberg Meseberg 30 Der nördlichste Weinberg Brandenburgs Templin, OT Densow, GT Annenwalde 31 Rebentreppe an der Stadtmauer Prenzlau Wie kamen die Weinreben in die Mark? Weingeschichtliche Anmerkungen Karte Glossar der wichtigsten Fachbegriffe Weiterführende Literatur Abbildungsnachweis Über den Autor
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Die Mär vom sauren Brandenburger Wein
Wussten Sie eigentlich, dass in Schweden Wein angebaut wird? – Natürlich. War ihnen auch bekannt, dass auf Sylt der nördlichste Weinberg Deutschlands betrieben wird? – Selbstverständlich! Doch ist Ihnen bewusst, dass Brandenburg seit der Wende zu einem innovativen jungen Weinland geworden ist? – Wie bitte? Was sagen Sie da? Brandenburg? Das ist doch das Land, wo’s nichts gibt als Sand … Neulich im Weinkontor Der Weinbau in der Mark lebt wieder auf. Der Klimawandel, jene schleichende Erwärmung, die Gletscher zum Schmelzen, Ozeane, Brixskalen und Oechslewagen zum Steigen bringt, hat es ermöglicht. Nachdem schon in der Spätphase der DDR um 1985 an Saale, Unstrut, Elbe und Havel zaghaft wieder Reben kultiviert wurden, brachte die Wende in den ehemaligen Bezirken Potsdam, Cottbus und Frankfurt einen ersten kleinen Durchbruch. Vereine entstanden, Nebenerwerbs- und Vollerwerbsbetriebe wurden gegründet, die sich trinkbare, qualitativ hochwertige, ja preisverdächtige Weine zum Ziel setzten. Mit der Wiedervereinigung musste auch in Brandenburg das europäische und nationale Weinrecht eingeführt werden. Der Start war somit ein rechter Hürdenlauf um Rebrechte. Angeblich, um die Preise stabil zu halten, wird der Flächenzuwachs im europäischen Weinbau stark überwacht. In Deutschland ist dies besonders heikel: Nur weil sich in der »nationalen Reserve« der Bundesrepublik ein paar Hektar fanden, die in anderen Bundesländern (etwa in Rheinland-Pfalz) nicht benötigt wurden, konnte in Brandenburg überhaupt losgelegt werden. Zuständige Behörde für den Weinbau ist das Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft des Landes Brandenburg. Eine »Verordnung zur Durchführung des Weinrechts im Land Brandenburg vom 29. Februar 2012« regelt alles, was dazugehört. Streng wacht man in Potsdam über vergebene Rebrechte, Rebsorten und im Land erzeugte Weine. Eine Rundfahrt durch das Land zeigt nun dem Weininteressierten: Auf einer vergleichsweise mikroskopisch-kleinen Anbaufläche von 30 Hektar (in ganz 7
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Deutschland sind es über 102.000) wird experimentiert, investiert und gestaltet. Vom Selbstversorger und Künstler über den Traditionspfleger bis hin zum ertragsorientierten Betriebswirt sind alle munter dabei. Der Boden in Brandenburg ist für den Weinbau keineswegs so ungeeignet, wie Laien immer wieder vermuten: Eine vielerorts auf Lehm aufliegende Sandschicht ist im Frühjahr günstig für die Entwicklung der Reben, da sie sich schneller erwärmt. Wenn die Reben ein paar Jahre alt sind, haben sie ihre Wurzeln im tieferliegenden Lehm etabliert, der auch in trockenen Sommern für eine ausreichende Versorgung mit Wasser und Mineralien sorgt. Vorausgesetzt natürlich, es gibt unter dem Sand Lehm … Was das alte Vorurteil vom sauren Brandenburger Wein betrifft, der angeblich durch die Kehle gehe wie eine Säge, so kann man nur sagen: das war einmal! Mostgewichte von 80 Grad Oechsle und mehr sind längst keine Ausnahme mehr, vor allem in der Lausitz. Bewusste Sortenwahl, angepasstes Timing bei der Lese, Vergärung und Ausbau mit Temperaturüberwachung nach den neusten Methoden setzen sich mehr und mehr durch. Auch das gewachsene Basiswissen über die Prozesse bei der Gärung und der Reifung hilft, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Heute werden in Brandenburg Weine hergestellt, die den Anforderungen des heutigen Marktes gerecht werden und ein ständig wachsendes Publikum durch ihre Ausdrucksstärke und Besonderheit begeistern. Immer wieder fanden Brandenburger Weine schon im vergangenen Halbjahrzehnt, etwa im »Berliner Weinführer« von Norbert Poppig, Erwähnung. Eine kleine erste Auswahl neuer Brandenburger Weine wurde dankenswerterweise vom Sommelier Mathias Brandweiner vom Hotel Waldorf Astoria in Berlin verkostet. Seine Notizen zu Geruch und Geschmack der Brandenburger Tröpfchen sind den Artikeln beigegeben. Es sind wohlgemerkt keine Weinkritiken, sondern subjektive Geschmackseindrücke. Damit soll in diesem Buch nichts weiter erreicht werden, als dass auch auswärtige Weinliebhaber und Weintouristen Mut fassen, die Weine aus der zu Unrecht als »Sandwüste« verteufelten Region, auch selbst einmal zu probieren und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Vieles, was der Autor in den Artikeln zum Besten gibt, haben ihm die besuchten Winzer berichtet; die historischen Erläuterungen folgen im Wesentlichen den zum Schluss aufgeführten Werken zur märkischen Weinbaugeschichte – ohne, dass dies in Fußnoten ausgewiesen wurde, denn es sollte ja schließlich keine Doktorarbeit werden. Wiederkehrende Fachbegriffe sind in einem angehängten kleinen Glossar versammelt. Am Ende finden sich zudem ein paar Literaturhinweise und eine kurze Zeitreise mit den ersten Weinreben von China bis in die Mark. Zu diesem kleinen weingeschichtlichen Exkurs hat der Rebsortenkundler Andreas Jung maßgeblich beigetragen, dem an dieser Stelle 8
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Blütenstand einer Rebe – »das Geschein«
herzlich gedankt sei – wie im Übrigen allen Brandenburger Weinenthusiasten! Ihre Gastfreundschaft und ihre Bereitschaft, mir Zutritt zu ihren Heiligtümern zu gewähren, war außerordentlich. Es hat mir viel Freude bereitet, rund 5.000 Kilometer auf zehn mehrtägigen »Ausflügen« zum Zwecke dieser kleinen Bestandsaufnahme durch das an sich kleine Land Brandenburg kutschiert zu sein und dabei auch das »terroir« im Glase gehörig studiert zu haben. In diesem Sinne, sehr zum Wohl! Ihr Tom Wolf
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Stadt Brandenburg an der Havel
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1 der Buga-Weinberg Brandenburg an der Havel
Die Doppelstadt an der Havel ist mit Fug und Recht der erste Ort auf der Rundreise durchs junge Weinland Brandenburg, und das nicht nur, weil sie den gleichen Namen trägt wie das Land. Eine Darstellung aus dem 16. Jahrhundert zeigt den Berg hinter der Marienkirche als einen einzigen Rebhang. Flämisch-niederrheinische Siedler und Prämonstratensermönche legten hier mit dem Weinbau in der Mark Brandenburg los. Dieser historisch verbürgte Weinbau brachte die Wasser- und Abwassergesellschaft Brandenburg an der Havel GmbH (BRAWAG) auf die glorreiche Idee, als Beitrag zur »Bundesgartenschau 2015 Havelregion« einen neuen, künstlichen Weinberg für die Stadt anzulegen – nördlich der Friedenswarte auf der Bismarckhöhe, auf dem höchsten Punkt des Marienberges. Schaut man auf alte Landkarten, sieht man, dass die Weinberge früher ein Stück weiter nordwestlich lagen, aber wer wird schon so penibel sein? Über einem zylindrischen Wasserhochbehälter mit Betonkuppel wurde 2011/12 eine knapp 50 Zentimeter dicke Humusschicht aufgebracht und mit schwerem Gerät terrassiert. Im Frühjahr 2012 pflanzte man nach eingehender Beratung durch das Weinbauinstitut in Freiburg im Breisgau 3.300 Rebstöcke. Zur Verarbeitung der künftigen Erträge wurde ein Vertrag mit dem Bischoffinger Winzer und Kellermeister Patrick Johner geschlossen, der auf seinem Weingut im Kaiserstuhl seit 1985 exquisite Weine produziert. Das Weinbauinstitut unterstützte die Brandenburger Winzerneulinge bei Aufzucht und Pflege der Reben und bei der Abwicklung der jährlichen Lese. Um diese künftig zügig vornehmen zu können, ging die BRAWAG GmbH eine Kooperation mit der lokalen Lebenshilfe ein. Deren Mitarbeiter unterstützen die Gärtner im Park bei der Pflege der Rebstöcke. 2015 standen die Reben im dritten Jahr und hatten sich recht gut entwickelt. Nur 20 von 3.300 Stöcken mussten bislang ausgetauscht werden. Einige, die etwas kümmerlich geblieben waren, wurden 2014 auf den Kopf zurückgeschnitten und entwickelten sich seither prächtig. Das Ökosystem »Weinberg«, das man auf dem Marienberg seit der BUGA nun dauerhaft studieren kann, besteht aus den weißen Rebsorten Johanniter und Solaris sowie zahlreichen Stickstoffsammlern wie Rotklee, Weißklee und Winterwicke. Der traditionell und konventionell wirtschaftende Winzer kann hier mit wenigen Blicken das Staunen und das ökologische Weinanbauen lernen. »Des isch doch total oogpflegt!«, empört sich ein Schwabe, der zufällig vorbeikommt. Blick vom BUGA-Weinberg Stadt Brandenburg an der Havel
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Naturtheater
Doch der Fach- und Landsmann aus Freiburg hält fundiert und moderat landsmännisch dagegen. Er demonstriert durch eine kleine Handbewegung, dass die Rebstöcke im unmittelbaren Umkreis vom üppigen Bewuchs völlig frei sind. Die lockere Begrünung lässt sich leicht zur Seite schieben: Was da zum Vorschein kommt (wie auch unter der Strohschicht der Terrassen), ist gut durchfeuchtete Erde. Die Leguminosen sorgen für erhöhte natürliche Stickstoffzufuhr, eine natürliche Lockerung des Bodens und eine Belebung der Bodenfauna. Obwohl die Weinstöcke auf dem Marienberg nur knapp einen halben Meter Gartenerde über einer gigantischen Betonschüssel zur Verfügung haben, leiden sie sie dank des biologisch-dynamischen Begrünungsmanagements keineswegs unter Nährstoffmangel. Weiterer Nebeneffekt: Durch die Blüten der Kräuter werden »Schadschmetterlinge« wie der »Einbindige Traubenwickler« und der »Bekreuzte Traubenwickler« von ihren eigentlichen Zielen abgelenkt. Mit dem Vergraben des Reblaubes wird die Regenwurm-Biozönose unterstützt, die einen wesentlichen Bestandteil des aus Biotop und Biozönose bestehenden Ökosystems Weinberg ausmacht. Eine gestärkte und reichhaltige Biozönose wirkt selbst den heute gefürchteten Rebkrankheiten Oidium (Falscher Mehltau) und Peronospora (Echter Mehltau) spürbar entgegen. Die tiefreichende Durchwurzelung bahnt nicht zuletzt dem Regenwasser und dem Wasser der Berieselung den Weg. Die BRAWAG hat freilich den unbestreitbaren Vorteil, dass sie mit Wasser nicht zu knausern braucht wie die meisten süddeutschen Winzer. 12
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Stadt Brandenburg an der Havel
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Rebenkappe, Eingang zur Betonkuppel, optischer Telegraf
Artenarmut ist auf dem Marienbergweinberg ein Fremdwort. Etliche seltene Schmetterlinge und Käfer sowie verschiedene andere Tierarten (wie etwa die Zauneidechse oder die Blindschleiche, die Kreuzotter oder die Ringelnatter) werden im neuen Biotop erwartet oder sind schon vorhanden. 15 bis 30 zusätzliche Tierarten sollten den Marienberg bald bevölkern, so schätzen die Zoologen. Die noch immer jungen, nicht sehr tragkräftigen Rebstöcke wollten zwar schon 2015 übermäßig viele Traubenkinder austragen, doch der beratende Fachmann aus Baden-Württemberg schnitt munter Traube um Traube weg. Die schweren und kompakten Johannitertrauben wurden halbiert. Sehr zum Schmerz der BRAWAG-Winzer fielen im Zuge der sogenannten »grünen Lese« bis zu 80 Prozent des Traubenbehanges als Gründüngung in den Blühstreifen. Auch die waagerecht aus der Kopfrute austreibende »Schnabelrute«, die man früher rigoros abschnitt, heute jedoch in die Laubwand mit einwachsen lässt, wurde »traubenfrei gestellt«, wie der Weinbauberater das Abschneiden der Trauben etwas technokratisch nennt. Freilich ist die Reb-»Erziehung« eine kleine Wissenschaft für sich. In früheren Jahrhunderten hat man die Reben entweder an Bäumen, einzelnen Pfählen, Kammertbauen oder einfachen Stockspalieren hochranken lassen. Ende des 19. Jahrhunderts kam man aus Gründen der Ertragssteigerung auf die Idee, sie an langen Drahtrahmen entlangzuführen. Nun sind Reben mit etwas Geduld in beinahe jede Richtung zu lenken. Stadt Brandenburg an der Havel
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Reben auf dem Hochbehälter
Bei der am BUGA-Weinberg gewählten Art der Rebenerziehung, der seit dem 20. Jahrhundert in Deutschland vorherrschenden »Drahtrahmenerziehung«, werden die Reben im ersten Jahr auf etwa 90 Zentimeter Höhe gerade hochgezogen und dann geköpft. In den folgenden Jahren wachsen dann aus dem Kopf – wie etwa bei einer Kopfweide – frische Triebe heraus. Alle bis auf zwei oder drei werden im Winter weggeschnitten. Die verbleibenden kürzt man auf eine Länge von sechs bis 15 Knospen (Augen) und bindet sie waagerecht entlang des untersten der Spanndrähte an. Aus diesen einjährigen Kopfruten, dem »einjährigen Holz«, schießen im Frühjahr die senkrechten Fruchtruten in die Höhe. Diese werden, sobald sie beginnen nach den Seiten auszubrechen, in den oberen Teil der Drahtanlage eingeflochten, später auch in etwa zwei bis zweieinhalb Metern Höhe abgeschnitten. Im unteren Teil der Fruchtruten erscheinen im Juni die Blüten (Gescheine), aus denen sich die späteren Trauben entwickeln. Die weiter nach oben wachsenden Triebe, mit allen sich noch entwickelnden Seitentrieben, bilden die sogenannte Laubwand. Sie ist ein weiterer Garant für die optimale Ernährung der Trauben. Um eine ausreichende Energieversorgung der Rebe sicherzustellen, sollte sie etwa einen Meter hoch über der »Traubenzone« aufragen. Auch werden bei der Fotosynthese wichtige Reservestoffe für die Überwinterung des Rebstockes gebildet, die sich in den Wurzeln und im Stamm einlagern. Die Qualität eines Weines hängt nun erstens vom schädlings- und pilzfreien Traubenmaterial ab, zweitens vom Zuckergehalt in den Trauben. Es gibt ver14
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Spatzenbande, Sommerarbeit, Durchblick zur Friedenswarte
schiedene Regeln, wie man erkennen kann, dass die Zeit – sprich: die Traube – reif ist für die Ernte (Lese): Die Haut der Traube beim Weißwein wird durchsichtig, und man kann die Kerne im Inneren erkennen. Die Geschmacksprobe ist natürlich am einfachsten, und der erfahrene Winzer kann allein mit seinen Geschmacksknospen die Genauigkeit einer professionellen Mostwaage erreichen. Das Mostgewicht ist nicht etwa das Gesamtgewicht des aus den Trauben gewonnenen frischen Traubensaftes (des Mostes), sondern der Zuckergehalt im Most. An ihm bemisst sich der spätere, nach der Gärung zu erzielende Alkoholgehalt des Weines. Die verlässlichste Methode ist eine Probe mit dem Taschenrefraktometer. An verschiedenen Stellen im Weingarten ausgeführt, erhält man verlässliche Mittelwerte der Zuckerkonzentration in den Trauben. Ab etwa 15 Grad Brix bzw. 60 Grad Oechsle nähern sich die Weißweintrauben der Erntereife für einen Qualitätswein. 80 Grad Oechsle bzw. 19 Grad Brix ergäben bereits einen Kabinettwein, alles was darüber hinausgeht, käme den Qualitätsstufen Spätlese, Auslese und Beerenauslese nahe. Zur ersten Lese 2014 war Winzer und Kellermeister Patrick Johner aus Bischoffingen im Kaiserstuhl angereist. Unglaubliche 104 Grad Oechsle wurden seinerzeit gemessen, das war mehr als der Wein in seinen heimischen Lagen für gewöhnlich an Süße erreicht. Damals waren es nur 200 Kilogramm Trauben. Im BUGA-Jahr 2015 dagegen wuchs die Menge erwartungsgemäß um mehr als das Zehnfache. Künftig wird mit 3.000 bis 5.000 Flaschen jährlich gerechnet. Die Stadt Brandenburg an der Havel
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Begrünung mit Leguminosen, grüne Lese
süßen Früchtchen des Brandenburger BUGA-Weinbergs werden nachts gelesen, damit der Verderb geringer ist, und unmittelbar nach der Lese mit Kühltransportern nach Bischoffingen in den Kaiserstuhl expediert. Dies ist ein kleiner Wermutstropfen, wo man sonst doch so auf Ökologie Wert legt. Die Querterrassen des Brandenburger Weinberges widersprechen bewusst der herkömmlichen Wingertform, wie man sie aus Süddeutschland kennt. In der Praxis bietet diese Anlage jedoch zahlreiche Vorteile für die Pflanzen und für die Winzer. Die Oberfläche des Weinbergs ist wesentlich größer, die Reben haben mehr Raum für ihre Wurzeln, sie können die von den Blühpflanzen gespendeten Nährstoffe besser aufnehmen, ebenso mehr Energie und mehr Wärme. Dadurch werden sie schneller reif und erreichen höhere Oechslegrade. Die Bewirtschaftung wird durch diese Terrassierung vereinfacht und die Erosionsgefahr verringert. Die Terrassen wurden allerdings nicht ganz um den Berg herum geführt, sodass sich nach Norden hin (ohnehin für den Weinbau die schlechteste Seite) ein weiter Blick auf die Stadtteile Hohenstücken und Görden auftut. Hier laden schön geschwungene steinerne Blöcke im Boden zum ausgiebigen Rasten und in die Ferne Schauen ein. Den schönsten Überblick über den künstlichen Weinberg auf dem Marienberg hat man von der 1974 gebauten Friedenswarte, die schon beim Rundgang auf dem Berg überall im Bild ist. Ebenfalls gut zu sehen ist die Replik einer Signalstation des optischen Telegrafen aus der Frühzeit der drahtlosen Nachrichtenübermittlung unter König Friedrich Wilhelm III. Eine Nachricht von 150 16
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Zeichen Länge lief zwischen Berlin und Koblenz etwa sechs bis acht Stunden. Solange brauchen noch heute die Trauben, mindestens, wenn kein Stau ist, um nach Bischoffingen zu kommen. Da kann man nur wünschen: Gute Fahrt!
BraWag gmbH Marienberg, Triglasweg 1–20, 14770 Brandenburg an der Havel Tel. 033981-580, geöffnet: Mo–So 9 –19 Uhr
Tipp Es gibt einen weiteren Weinberg in der Domstadt. Das Landwirtschaftsministerium genehmigte dem evangelischen Gymnasium am Dom einen weiteren Versuchsweinberg unter der Aufsicht des Freiburger Weinbauinstituts. Von der Nähtewindebrücke aus kann man ihn bestaunen. Seit 2014 bewirtschaften die Schüler der gymnasialen Weinbau-AG einen kleinen künstlich aufgeschütteten Südhang und lernen von der Pike auf wie die Traube in die Flasche kommt. 150 Reben der Sorten Phoenix, Solaris und Cabernet Cantor (rot) wurden gepflanzt. Cabernet Cantor gibt es landesweit nur dort. Für die Schüler entstand eine Winzerhütte auf dem Weinberg, wo sie wettergeschützt sitzen und Trauben essen bzw. Traubensaft trinken können. Im Biologieunterricht spielen Biodiversität und organischer Landbau eine große Rolle. Auch eine Kräuter-AG ist aktiv. Im Chemieunterricht macht man freilich auch vor der Weinbereitung nicht halt. Ein Ansporn für alle Schülerinnen und Schüler ist es, beim eigenen Abiball den gymnasialen Wein trinken zu dürfen. Wie heißt es schon in der Feuerzangenbowle? »Nor eunen wönzigen Schlock …« Die Einrichtung einer Wein-Marketing- und Wein-Handels-AG zur späteren Vermarktung des Weines wird nicht ausgeschlossen.
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2 der alte Weinberg Werder (Havel), OT Töplitz
Hat man erst einmal seinen Weg auf die »Insel« Töplitz gefunden, was nicht schwer ist, wenn man vom Berliner Ring die Abfahrt Leest nimmt, bei der man sich kurzzeitig fragt, wie man denn so rasch in den Niederlanden oder in Belgien hat landen können, ist der Weg zum Weingut Klosterhof Töplitz ganz einfach. Man fährt über den Dorfplatz und biegt nach dem Laden rechts ab, Richtung Neu-Töplitz. Dann geht’s immer geradeaus, und irgendwann, wenn einen schon die Furcht beschleicht, man sei falsch gefahren, schimmert links der Weinberg durch die Bäume und das Ortsschild rauscht vorbei. Das Weingut Klosterhof Töplitz gehört Lara Wolenski, einer erfolgreichen Pferdezüchterin und aufstrebenden Dressurreiterin. Schon ein kurzer Blick in den Eingangsbereich zum Pferdehof im Tal stimmt ein aufs Thema Wein. Die Namen der Dressurpferde, die dort leben, sprechen Bände: »Cabernet Blanc« heißt eines, ein Fuchswallach dagegen »Saint Laurent« – das sind die Namen von zwei modernen Rebsorten. Lara Wolenski hat jedoch mit ihren Pferden so viel zu tun, dass sie froh ist, wenn Vater Klaus die Führung über den Weinberg übernimmt. Schließlich hat er mit dem familiären Weinbau ja auch angefangen. Im wahnsinnig schnellen Weinbergscaddy geht es an der Kellerei und der Weinschenke vorbei. Dann kommt der halsbrecherische steile Teil der Fahrt. Eine tiefe Sandkuhle verspricht am Ende fast einen Looping. Dann geht alles doch noch gut. Nur die Verständigung fällt schwer, denn bei diesem Gefährt dient selbst der Rückstoß des Schalls der Fortbewegung. »Wenn ich damit herumgefahren bin, bin ich erst mal eine Stunde taub«, sagt Klaus Wolenski und grinst verschmitzt. Ebenso viel Freude wie die Motocrossfahrt zum Weinberg hinauf macht es ihm, oben am Luginsland auf einer der überdachten Holzbänke zu sitzen und den Blick hinüber nach Phöben und Schmergow schweifen zu lassen. Hier fühlt man sich sofort wie aus der Zeit gefallen. Spürbar gehen die Uhren langsamer und verlieren ganz ihre Bedeutung. Auch wenn der Platz schon Ort für rauschende Weinfeste war, ist es hier für gewöhnlich sehr ruhig. Eine Lerche singt vielleicht, Goldammern sind zu hören, Kraniche mitunter oder vorbeiziehende sibirische Wildgänse im Frühling oder Herbst. Der Winzer verbringt auf diesem Sonnenhügel sein halbes Leben. Im Winter, wenn der Rebschnitt vorgenommen werden muss, ist er hier, im Frühling, wenn es ans Binden der Fruchtruten geht, aber auch im Sommer, sobald die Blattarbeit oder das Mähen bzw. gelegentliche Umpflügen der Zeilenbegrünung anstehen. Der »Alte Weinberg« im Juni Potsdam-Mittelmark
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Klaus Wolenski, reifer Regent
Auf diesem zauberhaften Berg, der 2007 wieder aufgerebt wurde, herrschen ausgezeichnete Bedingungen für den Weinbau, denn selbst, wenn es überall im Umland regnet, so erklärt Klaus Wolenski, bleibt es auf der Insel Töplitz trocken und sonnig. Es hat dort sogar mehr Sonnenstunden übers Jahr als in manchen gesegneten Weinbauregionen Süddeutschlands. Ein beständiger Wind lässt überschüssige Feuchtigkeit schnell verschwinden. Hinzu kommt, dass die Reben hier viel Platz haben und weit weniger gedrängt stehen als etwa an den Steilhängen an der Mosel. Der Winzer kennt daher kaum Probleme mit den üblichen Rebkrankheiten. Aufgrund der ökologischen Bewirtschaftung fühlen sich seltene und geschützte Tiere wie etwa die Zauneidechse auf dem alten Weinberg wohl. Leider gilt dies auch für weniger seltene und äußerst gefräßige – die Wespen etwa und die putzig aussehenden Waschbären, die sich an den Weintrauben im September und Oktober narrisch fressen. »Die liegen dann besoffen unter den Weinstöcken«, behauptet Klaus Wolenski ohne mit der Wimper zu zucken. Der »Töplitzer Werder« war im Jahre 1318 von einer Famile von Gröben an das Kloster Lenin verkauft worden. Mitten auf ihrem Besitz errichteten die Lehniner Mönche schon kurz darauf einen Wirtschaftshof, den »Klosterhof«. Den Sand- und Kieshügel nebendran, einen mächtigen, sich 20 Meter hoch erhebenden Kames verwandelten sie in einen Weinberg. Später wurde er in den Flurbezeichnungen zum »Alten Weinberg«, weil es nach Auflösung des Klosters Lenin weiter nördlich am Eulenberg noch einen weiteren, den »Jungen« Weinberg gab. 20
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Vor der Lese
Als der Große Kurfürst Ende im 17. Jahrhundert Handwerker und Bauern aus aller Herren Länder ins Havelland lockte, damit sie sich dort sesshaft- und nützlich machten, gründeten sechs Schweizer Familien das Kolonistendorf NeuTöplitz. Ab 1691 wurde der ehemalige Zisterzienserklosterhof bewirtschaftet. Der Weinbau kam wieder in Flor und blieb es bis ins 18. Jahrhundert. Am Eulenberg wurde noch im 19. Jahrhundert weiter gewinzert, bevor der Weinbau auf dem Töplitzer Werder eine lange Pause einlegte und nur noch der Obstbau blühte. Der Boden ist sandig, etwas mergelig und lehmig, und trotzdem, sagt Wolenski, wachsen die Weinreben wie Unkraut. Zur Tröpfchenbewässerung in langen Trockenperioden oder für die Grundversorgung der immer mal wieder nötigen Nachpflanzungen mit jungen Reben kann man einen alten gemauerten Wasserspeicher auf dem Hügel nutzen, der schon in vergangenen Jahrhunderten zur Bewässerung des Weinberges diente. Normalerweise aber werden Weinreben, aus denen Wein hergestellt wird, nur von Petrus selbst bewässert. Die natürlichen Niederschläge und die Oberflächen- und Grundwasser-Vorräte des Bodens sollten ihnen zum Leben genügen. Daher entwickeln sie sehr ausgedehnte Wurzeln, die in steinigen und trockenen Lagen bis zu 30 Meter lang werden können. In Süddeutschlands steilen Weinbergslagen, an der Mosel oder am Rhein, wird nur im Extremfall, etwa bei längeren, über dreimonatigen Trockenperioden, Wasser in den Boden gespritzt. Tröpfchenbewässerung, wie man sie in Brandenburg findet, ist für gewöhnlich nur bei jungen Weinreben notwendig oder in der Tafeltraubenproduktion die Regel. Potsdam-Mittelmark
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Vor der Besenwirtschaft
In Töplitz sind aus anfangs anderthalb Hektar mittlerweile drei geworden. Nach zwischenzeitlicher Verpachtung bewirtschaftet Eigentümerin Lara Wolenski diese Fläche nun wieder selbst. Das Weingut Klosterhof Töplitz gehörte zu den ersten in Brandenburg, die ihre Trauben wieder selbst kelterten, den Most vergären ließen und die Weine vor Ort ausbauten. Bei dem erwähnten vorteilhaften Mikroklima des Alten Weinberges ist es kein Wunder, dass hier auch dem Rotwein besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Die bislang auf dem Töplitzer Weinberg gedeihenden roten Sorten sind der traditionelle Saint Laurent und der seit 1995 in Deutschland zugelassene Regent. Ein Teil des Regents wird im Barrique ausgebaut und reift nach langer Lagerung zu einem hochwertigen Rotwein. Zuerst aber werden die Trauben entrappt, die Beeren in der Traubenmühle grob zerkleinert und in großen Trögen eingemaischt. Damit die Gärung gleichmäßig und vollständig vonstattengeht, muss die Maische regelmäßig umgerührt werden. Während dieses Gärprozesses im Bottich werden die roten Farbstoffe aus den Beerenhüllen herausgelöst. Wenn dieser Prozess weit genug gediehen und die stürmische Gärung beendet ist, wird die Maische abgepresst. Der nach wie vor still weitergärende Traubenmost kommt ins Fass. Was sich in der Theorie so einfach anhört, ist in der Praxis immer eine spannende, unvorhersehbare und daher immer nervenaufreibende Angelegenheit. Nicht selten kommt es dabei auf Tage, ja gar auf Stunden an. 2015 etwa ging es, nach einem trockenen Jahr, nach einem immer noch sonnigen Herbst22
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Garten hinter der Wirtschaft, feine Brände, klare Beschilderung
anfang Ende September, plötzlich sehr schnell mit der Reife. Die Zuckerwerte im Traubensaft schnellten nach oben, während der Säuregehalt rapide sank. Innerhalb weniger Tage musste der Regent in den Keller – wie gut, dass der nur wenige hundert Meter entfernt liegt und es dorthin bergab geht. Nach knapp einer halben Woche konnte die Maische schon abgepresst werden. Während des Gärsturmes müssen die Behälter sogar gekühlt werden, damit es nicht zu schnell geht. Hier wird nichts verschenkt. Der Ertrag der schon erwähnten »grünen Lese« – die zur Ertragsregulierung, d. h. Qualitätssteigerung abgeschnittenen unreifen Trauben – fallen hier nicht einfach als Gründünger unter die Rebstöcke. Die Wolenskis haben (als einzige in Brandenburg bislang) erkannt, dass sich damit ein begehrter Artikel für die Edelgastronomie herstellen lässt: Verjus, ein Säuerungsmittel, das den Zitronensaft an Stärke noch übertrifft. Auch junge Weinblätter werden hier wohl bald geerntet und in Salzlake eingelegt für die Herstellung von Reis in Weinblättern. Die Weißweine Grau- und Weißburgunder, Riesling und Bacchus sowie der rote Saint Laurent werden in den 20 riesigen Edelstahltanks des Gärkellers ausgebaut. Dort steht auch eine teure Flaschenabfüllanlage. Die meiste Technik, etwa die robuste Schraubenpresse, kommt aus Rheinland-Pfalz. »Geht mal ein Teil kaputt, muss einer da runter fahren und es kaufen«, sagt Klaus Wolenski. Anfang Oktober, wenn die Lese bereits in vollem Gange ist, zeigt sich nebenbei, welche Traube optisch den Vogel abschießt (während ihn die blauen Netze Potsdam-Mittelmark
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daran hindern, die Trauben anzupicken): es ist der Grauburgunder, auch Ruländer oder Pinot gris genannt. Ein bisschen Kupfer, ein bisschen Bronze – mitunter wie mit Gold überpudert. Klaus Wolenski hat einen Blick für all die Schönheiten des Weinbergs. Nur an die großen weißen Pilze traut er sich nicht heran, obwohl ich ihm versichere, dass es Wiesenchampignons sind, höchstwahrscheinlich … Auf die Frage, wie das bei ihm anfing mit dem Weinbau, verweist er auf die agrarischen Traditionen in seiner Familie, die aus Dieblich an der Mosel unweit von Koblenz stammt, etwa 13 Kilometer von der Mündung in den Rhein entfernt. Erstaunlich ist die morphologische Ähnlichkeit der Weinhänge im letzten Moselbogen zum Töplitzer, wiewohl die Steigungen ganz andere sind. Interessant jedoch, dass es auch damals an der Mosel eine Rotweintradition gab, an die erst heute wieder behutsam angeknüpft wird. Um das Jahr 1800 hatte der Dieblicher Weinbau mit 274.000 Rotweinreben eine überregionale Bedeutung. Heute werden auf gerade mal fünf Hektar fast nur Weißweine, hauptsächlich Riesling, kultiviert. Die Kindheitserinnerungen an die Mosel und den Wein überwältigten Klaus Wolenski, als er nach langer Tätigkeit als Verwaltungsbeamter in Spandau und in der Berliner Senatsverwaltung mit 50 Jahren den Beamtenberuf an den Nagel hängte, sich selbstständig machte und einen Reiterhof in Töplitz eröffnete. Als er erfuhr, dass an dieser Stelle ein alter Weinberg lag, erinnerte er sich an den Großvater, der in Dieblich Winzer war und eine eigene Kellerei betrieb. So etwas bleibt im Blut. Nach seiner eigenen Einschätzung entfallen 30 Prozent seines Weinwissens auf diese Vererbung, 30 Prozent seien angelesen, der Rest angetrunken. Nun ja, der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel, und maßvoller Weingenuss gilt offiziell bislang noch nicht als Drogenmissbrauch. Oben auf dem alten Weinberg sitzt Klaus Wolenski am liebsten, so wie es auch die zahlreichen Besucher halten können. Mit einer Flasche Wein und einem Vesperpaket von der Weinwirtschaft am Fuße des Berges hier hinauf zu wandern, um sich am Holztisch niederzulassen und diese schöne Aussicht zu haben, ist ein unvergessliches Erlebnis. Natürlich ist die Bergwanderung nicht Pflicht. Drunten in der Wirtschaft oder im Garten hintendran ist am Wochenende und bei besonderen Anlässen gut Sitzen, Essen, Trinken und Feiern. Aber dieses spezielle Weinbergserlebnis lockt die meisten doch nach oben. »Die Gäste kommen immer wieder, und es zeigt mir, dass unsere Weine so schlecht nicht sein können«, sagt Klaus Wolenski. Hier zeigt sich der Winzer, der mit seinem Schnauzbart eigentlich wie ein waschechter Gallier aussieht, wieder als ein typischer Brandenburger, denn wenn man hierzulande übertreibt, dann nur in der Bescheidenheit. Er hat sich vor Jahren ganz bewusst dagegen entschieden, seine Weine mit »Qualitätswein Saale-Unstrut« auszuzeichnen und die heutige Betriebseignerin Lara Wolenski hält dies nach wie vor für rich24
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tig. Viel stimmiger und echter erscheint es beiden, »Brandenburger Landwein« anzubieten, was seit 2007 zulässig ist. Zum Jubiläum von zehn Jahren Rebrechten in Neutöplitz war im Weinmonat 2015 der Landwirtschaftsminister zu Gast. Selbst der kommt immer wieder, wiewohl es nicht immer derselbe ist.
Und was sagt Sommelier Mathias Brandweiner? regent 2011 In der Nase: frische Sauerkirsche, leicht würzig Am Gaumen: schwarzer Pfeffer, Steinfrucht, samtig, seidig, kaum Gerbstoffe Küchentipp: Pfeffersteak mit Folienkartoffeln und Sauerkirschkompott
Weingut Klosterhof Töplitz (inh. lara Wolenski) Am Alten Weinberg 1 u. 7, 14542 Werder (Havel) OT Töplitz Tel.: 033202-61 841, E-Mail: wolenski@t-online.de Öffnungszeiten der Weinschänke: Fr–So ab 15 Uhr Besonderes Angebot: Vesperpaket plus Wein im Korb für den Spaziergang auf den alten Töplitzer Weinberg; man kann die Weinschenke auch für eigene Veranstaltungen mieten; Bezugsquellen der Weine: Vorortverkauf im Weingut
Tipp Ist man nun schon einmal auf der »Insel« (genaugenommen eine natürliche Halbinsel, aber zu diesem Einwand schweigt der Töplitzer gern), so muss man sich zum alten Dorfplatz begeben, den Sammelpunkt aller Straßen und Menschen. Natürlich darf auch ein Blick in die Dorfkirche nicht fehlen, die seit dem 17. Jahrhundert das bunte Treiben überwacht. In den Jahren 1875, 1930 und 1969 wurde die Kirche restauriert, wobei leider Gottes die alte Ausstattung verloren ging. Ebenfalls Pflichtprogramm ist das nahe Kolonistendorf Nattwerder, dem Hauptsiedlungsort der ins Land gerufenen Schweizer – eine beeindruckende Fußgängerbrücke über die Wublitz führt von der »Insel« Töplitz hinüber.
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3 der Phöbener Wachtelberg (»Kagelwit«) Werder (Havel), OT Phöben
Jens-Uwe Poel ist Hotelier, Koch und Diätkoch. Am Interhotel Rostock hat er nach dem Meisterstudium sein Gewerbe von der Pike auf gelernt. Dabei stellte sich schnell heraus, dass ihn Bewirtung mehr begeisterte als Beherbergung, und so machte er erste eigene Gastronomieerfahrungen 2010 im Café-Restaurant des märkischen Golfclubs Potsdam in Werder. Heute betreibt er unter dem Label »EssenzZeit« drei renommierte Casinos in Potsdam, überdies ein Bistro, eine Cafeteria sowie einen mobilen Catering-Service. Aber auch das Kochen, Bewirten und Catern war Jens-Uwe Poel nicht genug … Nachdem er gemeinsam mit seiner Ehefrau Katja ausgedehnte Urlaubsreisen in süddeutsche Weingebiete genossen hatte, wünschte er sich nichts sehnlicher, als einen Weinberg – einen eigenen Weinberg, versteht sich. Er kannte natürlich den Werderaner Wachtelberg und die »Weintiene«, den Alten Weinberg und die Weinwirtschaft des »Klosterhofs Töplitz« und auch der zweite Werderaner Wachtelberg im beschaulichen kleinen Vorort Phöben war ihm nicht unbekannt geblieben. Phöbens Ursprünge übrigens, dies sei an dieser Stelle angemerkt, lagen in den Kiezwiesen Richtung Schmergow, hinter dem Kanal. Hier lag der erste dörfliche »Kiez«, von flämischen, flandrischen Siedlern gegründet, die im 12. Jahrhundert der Einladung Albrechts des Bären gefolgt waren. Wahrscheinlich steht der Ortsname Phöben sogar in direktem Bezug zum Ort Febvin-Palfart im Departement Pas de Calais an der Kanalküste. Der Name dieses heute französischen Ortes lautete 1197 noch Phevin. Und vermutlich sind einige Ur-Phöbener im tiefen genetischen Inneren noch immer Flamen. Den Phöbener Hügel nun, der auf alten Landkarten des frühen 19. Jahrhunderts als »Weinberg« verzeichnet und seit den Zeiten der russischen Besatzung im Volksmund »Pfirsichberg« genannt wurde, war 1996 vom Weinhändler Wolfgang Lehmann wieder zum Wingert gemacht worden. Der »Fachimporteur für exotische Weine und Wässer« (u. a. aus der Türkei, aus Tunesien, von Malta und aus dem Libanon) sowie auch Exporteur »koscherer deutscher (rheinhessischer) Rieslings« nach Israel, ließ den halben Hektar dieser wunderschönen, recht steilen Südsüdostlage auf einer Endmoräne hoch über der Havel mit 600 Dornfelder-, 100 Regent-, 200 Pinot-Blanc- und 100 Phoenix-Reben bepflanzen und taufte Berg und Wein auf den Namen des berühmten Lehniner Zisterziensermönches und späteren Erzbischofs von Magdeburg »Kagelwit«. Havelblick Potsdam-Mittelmark
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Der »Kagelwit«, Havelland, Merzling-Trauben
Einer von Lehmanns Kompagnons war – wie der Zufall eben manchmal wirklich so spielt – der Eigentümer der Golfanlage des Märkischen Golfclubs, in deren hauseigenem Restaurant Jens-Uwe Poel gerade tätig war. So erfuhr dieser frühzeitig von Lehmanns altersbedingten Rückzugsplänen aus dem Weinbau und ergriff 2011 die Gelegenheit, den »Kagelwit« zu pachten. Er machte sich im Internet und aus Büchern schlau, lernte jedoch das meiste über den Weinbau erst beim »Doing«. Im Werderaner Winzerkollegen Dr. Manfred Lindicke hatte er von Anfang an einen aufgeschlossenen und hilfreichen Berater. Winzerfreunde aus Süddeutschland sparten ebenfalls nicht mit Tipps, wenn sie zu Gast waren. Nun durften die Poels Höhen und Tiefen des Winzerlebens am eigenen Leib erfahren – etwa dass die Vögel der erbittertste Gegner der Ernte sein können oder auch ein an sich guter Boden seine Tücken haben kann. Durch den hohen Mergelanteil ist der Boden des Phöbener Wachtelbergs für junge Reben äußerst schwer zu erobern, sodass hier die Neupflanzung eine langwierige Angelegenheit wird und immer wieder Ausfälle zu beklagen sind. Nur intensive Bewässerung und Bodenverbesserung konnten das Anfangsproblem überwinden helfen. Nichtsdestotrotz wurde die amtlich genehmigte Rebfläche am »Kagelwit« auf 0,8 Hektar vergrößert und der bereits bestehende Rebbestand mit weiteren interessanten Sorten aufgestockt: Riesel, Trollinger und – zwei Besonderheiten für den bisherigen Brandenburger Weinbau: Merzling und Sauvignon gris. 2013 konnten nahezu vier Tonnen Trauben gelesen und verarbeitet werden – seit 2012 in der neuen hochmodernen Kelterei der Havelland-OWS GmbH in 28
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Winzerbesuch aus Württemberg, Jens-Uwe Poel
Werder, an der sich die Poels vorausschauend finanziell beteiligten. Somit kann sich auch der Wein vom »Kagelwit« stolz rühmen, echter Werderaner Wein zu sein, auch wenn auf das – für den normalen Weinkäufer irritierende – Siegel »Qualitätswein Saale-Unstrut« (dem die Werderaner Lagen weinbaurechtlich zugeordnet wurden) nicht verzichtet wird. Allerdings ist der »Kagelwit« wirklich recht steil und so hat die VorortDusche der Winzer bei ihrem talnahen Basislager ihre absolute Berechtigung. Mit einem Gläschen fruchtig-frischen Sauvignon gris in der Hand geht es am Tag des Werderaner Winzerfestes auf dem Phöbener Wachtelberg hinauf zum schönsten Weinbergs-Ausblick. Ausgebreitet liegen die Havelbuchten in der sonnigen, allseits begrünten und blühenden Ebene. Weither blinken die weißen Segel der Boote, und wenn die modernen Bauten des Pferdehofes im Tal nicht wären, könnte man sich hier um ein paar Jahrhunderte zurückversetzt fühlen. Gern würde Jens-Uwe Poel auf dem Plateau eine Weinwirtschaft eröffnen – etwa in Form des pittoresken Turmes, der das Etikett der Weinflaschen ziert (es ist der Phöbener A-Turm/Typenbau-Fernmeldeturm aus DDR-Zeiten). Er hatte auch schon eine Baulichkeit vor Ort im Blick, die dafür in Frage gekommen wäre. Leider kam es nicht zur Verwirklichung. Hier oben allerdings ließe sich ohne Zweifel ein herrlicher Sitzplatz einrichten, zu welchem ein paar hundert Meter Bergtour den Zugangscode bilden würden … Wein und »Brot« würde man sich dann am unten bereits stehenden Versorgungszelt mitnehmen. Hier wird Potsdam-Mittelmark
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sich sicher demnächst etwas tun, und sei es nur, dass man einen hübsch angestrichenen Bauwagen aufstellt. Für Jens-Uwe Poel war der eigene Weinberg die vergangenen Jahre vor allem Experimentierfeld und fröhliche Selbstverwirklichung. Wenn er draußen ist, bei seinen Reben, findet er die Entspannung, die er als Gegenpol zum hektischen Potsdamer Tagesgeschäft dringend braucht. Angesichts der anfangs geringen Erträge hatte er sich über den Absatz seiner Weine zunächst gar nicht viele Gedanken gemacht. Die zehn Euro teuren Flaschen konnte man anfangs nur im Internet oder nach Terminabsprache vor Ort am Weinberg kaufen. Inzwischen jedoch ist die Vermarktung der größeren Menge eine ernstzunehmende Aufgabe, der sich die Poels mit gewohnter gastronomischer Professionalität stellen: Präsenz bei Winzerfesten, Kontakte zur lokalen Gastronomie und zu eingeführten Weinläden in der Region lassen den »Kagelwit« und seine Weine langsam bekannter werden. Der Name des Berges ist sperrig und man denkt eher an »Hagel« und Gewitter. Aber er ist auch geheimnisvoll, und für eine Marke ist das nicht schlecht. Wer war nun dieser »Mönch« mit Vornamen Dietrich, nach dem Berg und Wein benannt wurden? Sein Name wird wechselweise als Kagelwit, von Kugelweit oder von Portitz überliefert, denn er wurde um das Jahr 1300 in Stendal als Sohn eines Gewandmachers aus der (später geadelten) altmärkischen Familie Portitz geboren. Dietrich besuchte die Domschule in Stendal, wurde Zisterzienser und Mönch im Kloster Lehnin, wo er mit knapp 30 Jahren so erfolgreich als Wirtschafter arbeitete, dass er das zuvor marode Kloster sanierte. Bischof Ludwig von Brandenburg erkannte seine Fähigkeiten und stellte ihn 1329 als Protonotar an. Später beförderte er ihn zum Offizial und Hofmeister. Eine lange Liste von erfolgreichen beruflichen Aufstiegen folgte – bis hin zum Erzbischof von Magdeburg. Nur als Kriegsherr im Kampf gegen räuberische Übergriffe des Bischofs von Hildesheim verließ Dietrich Kagelwit sein Glück. Nach seinem Tod am 17. Dezember 1367 wurde er hinter dem Hochaltar im Chor der Domkirche zu Magdeburg zur letzten Ruhe gebettet.
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