japan edition herausgegeben von Eduard Klopfenstein, Zürich Dieses Werk erscheint im Rahmen des Projekts zur Veröffentlichung japanischer Literatur (JLPP), im Auftrag des japanischen Amts für kulturelle Angelegenheiten. Verantwortlich für den deutschen Sprachraum: Eduard Klopfenstein.
Die Schreibweise der japanischen Namen wurde in ihrer ursprünglichen japanischen Gestalt belassen, also erst der Familienname, dann der persönliche Name.
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Dazai Osamu
Die Teufel des Tsurugi-Bergs Erz채hlungen
Aus dem Japanischen 체bersetzt und mit einem Nachwort versehen von Verena Werner
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Mehr Informationen im Internet.
Trotz sorgfältiger Recherche ist es dem Verlag leider nicht gelungen, alle Rechteinhaber der im Anhang abgedruckten Märchen zu ermitteln. Wir bitten die Rechteinhaber, sich direkt mit dem Verlag in Verbindung zu setzen. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen. Japanischer Originaltitel Otogi zōshi Erstveröffentlichung in Japan bei Shinchōsha, Tōkyō Deutsche Übersetzung © Verena Werner 2012 Verantwortlicher Herausgeber für den deutschen Sprachraum: Eduard Klopfenstein © 2012, japan edition im be.bra verlag GmbH, KulturBrauerei Haus 2, Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin post@bebraverlag.de Lektorat: Marijke Topp, Berlin Umschlaggestaltung: Hauke Sturm, Berlin Umschlagmotiv: »Löwentanz« von Sugimura Jihei (Holzschnitt) Satzbild: Friedrich, Berlin Schrift: Minion 11/14 pt Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN 978-3-86124-915-3
www.bebraverlag.de
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Die Teufel des Tsurugi-Bergs Vorwort 7 Der Mann mit der Beule 9 Urashima Tarō 29 Der Kachikachi-Berg 75 Der Sperling mit der abgeschnittenen Zunge 105
Anhang Nachwort der Übersetzerin 133 Die Märchen in der mündlichen Überlieferung 149 Glossar 167
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Vorwort »Ah, es hat gekracht«, sagte der Vater, legte seine Füllfeder beiseite und stand auf. Wenn nur die Sirenen heulten, blieb er sitzen, doch wenn die Flak zu belfern anfing, hörte er auf zu arbeiten, setzte seiner fünfjährigen Tochter die wattierte Kapuze auf, nahm sie auf den Arm und ging mit ihr in den Luftschutzgraben. Dort kauerte bereits die Mutter mit dem zweijährigen Sohn auf dem Rücken. »Es scheint ganz in der Nähe zu sein.« »Ja! Hör mal, dieser Graben ist wirklich zu eng.« »Findest du?«, sagte der Vater missvergnügt, »aber so ist er gerade richtig. Wenn er zu tief ist, riskiert man, lebendig begraben zu werden.« »Ja schon, aber er könnte trotzdem etwas breiter sein.« »Hm, da hast du schon Recht, aber jetzt ist die Erde hart gefroren, unmöglich zu graben. Später vielleicht …«, antwortete er beschwichtigend, um die Frau zum Schweigen zu bringen, und hörte aufmerksam den Luftschutzmeldungen im Radio zu. Kaum hatten die Klagen der Frau ein Ende, beharrte die fünfjährige Tochter darauf, aus dem Unterstand zu klettern. Es gab nur ein einziges Mittel, sie zu besänftigen, und das war ein Bilderbuch. So las der Vater dem Kind Geschichten vor wie die von »Momotarō«, vom »Kachikachi-Berg«, vom »Sperling mit der abgeschnittenen Zunge«, vom »Mann mit der Beule« und von »Urashima Tarō«. Die Kleider dieses Vaters waren armselig, sein Aussehen hatte etwas Törichtes und doch war er im Grunde kein gewöhnlicher
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Mensch. Er war ein Mann, der sich die wahrhaft kuriose Kunstfertigkeit, Geschichten zu verfassen, angeeignet hatte. »Es war einmal vor langer, langer Zeit …« Während er mit komischer, etwas dümmlicher Stimme aus dem Bilderbuch vorlas, gärte in seinem Innern unwillkürlich eine andere, neue Erzählung.
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Der Mann mit der Beule Es war einmal vor langer, langer Zeit ein alter Mann mit einer lästigen Beule auf der rechten Wange. Dieser alte Mann lebte im Lande Awa zu Füßen des TsurugiBergs. So scheint es jedenfalls, denn es gibt keine Unterlagen. Ursprünglich soll die Geschichte des Mannes mit der Beule aus dem Uji shūi monogatari stammen, aber im Luftschutzgraben ist es unmöglich, Originaltexte zu überprüfen. Nicht nur diese Erzählung, sondern auch die Gegebenheit der Geschichte von Urashima Tarō, die ich als nächstes zu schreiben versuche, wurde zuerst im Nihon shoki klar und deutlich aufgezeichnet, dann gibt es auch im Manyōshū ein Langgedicht, das Urashima besingt, überdies sollen im Tango fudoki und im Honchō shinsenden ähnliche Geschichten überliefert worden sein, schließlich gibt es aus neuerer Zeit ein Schauspiel von Mori Ōgai, und hat nicht auch Tsubouchi Shōyō, wenn ich mich recht erinnere, dieses Thema für ein Theaterstück verwendet? Wie dem auch sei, vom Nō-Theater bis zum Kabuki und den Tänzen der Geisha – es ist erstaunlich, wie oft in allen diesen Urashima Tarō immer wieder erscheint. Ich habe die Gewohnheit, gelesene Bücher gleich zu verschenken oder zu verkaufen und habe noch nie eine Bibliothek besessen. Und so gerate ich nun in die missliche Lage, mich auf meine vagen Erinnerungen verlassend, umherirren zu müssen, um die vielleicht einst gelesenen Bücher wieder zu finden. Im Moment ist das wohl aussichtslos. Im Mo
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ment sitze ich nämlich in einem Luftschutzgraben. Und auf meinen Knien ist nur ein Bilderbuch aufgeschlagen. Ich werde darauf verzichten, Quellenforschung zu betreiben, und mich wohl damit begnügen müssen, nur meine Hirngespinste auszubreiten. Doch nein! Gerade auf diese Art mag es mir im Gegenteil gelingen, lebhafte und spannende Erzählungen zu schreiben. So und ähnlich überlegte dieses seltsame Vaterwesen hin und her, und, gleichsam wie ein schlechter Verlierer seine Niederlage schönredet, begann er also, in seinem Kopf eine ganz andere und neue Geschichte zu schreiben, während er in einer Ecke des Unterstandes das Bilderbuch vorlas: Es war einmal vor langer, langer Zeit ein alter Mann … Dieser Alte mochte Sake über alles. Ein Trinker ist in seinem eigenen Haus in der Regel einsam. Trinkt er, weil er einsam ist, oder wird er von der Familie verachtet, weil er trinkt, und vereinsamt so von selbst – dies zu entscheiden gleicht am Ende nur der müßigen Haarspalterei, entscheiden zu wollen, welche der beiden Hände das Geräusch erzeugt, wenn man klatscht. Wie dem auch sei, dieser Alte machte stets, wenn er zu Hause war, ein betrübtes Gesicht. Das will nicht heißen, dass die Familie eine besonders böse Familie war. Seine Frau war noch rüstig. Sie war schon an die siebzig, doch ihr Rücken war gerade und ihre Augen blickten klar. Auch soll sie in ihrer Jugend eine beachtliche Schönheit gewesen sein. Sie war seit jeher schweigsam und widmete sich ausschließlich und hingebungsvoll ihrem Haushalt. 10
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»Es ist schon Frühling! Die Kirschbäume blühen!«, rief der Alte freudig, doch die Frau meinte nur »so, so« und vergällte ihm die Freude, indem sie sagte: »Geh mir bitte aus dem Weg, ich will hier putzen.« Da schaute der Alte betrübt drein. Dazu hatte er einen Sohn, der schon an die vierzig Jahre alt war, von einem in dieser Welt selten tugendhaften Lebenswandel, nicht nur trank und rauchte er nicht, nein, er lachte auch nicht, zankte und freute sich nicht, er arbeitete nur schweigend auf dem Feld; der Ruhm des Heiligen von Awa war groß und es gab niemanden nah und fern, der ihn nicht verehrte; weder heiratete er noch rasierte er sich, ja, man zweifelte, ob er überhaupt ein Mensch aus Fleisch und Blut sei – kurz, die Familie dieses Alten war von der Art, die musterhaft zu nennen man nicht umhin kann. Der Alte indessen war, er wusste nicht warum, betrübt. Und selbst wenn er versuchte, Rücksicht auf seine Angehörigen zu nehmen, fühlte er eine unwiderstehliche Lust, Sake zu trinken. Doch wenn er zu Hause trank, wurde er nur umso trauriger. Die Alte wie auch sein Sohn, der Heilige von Awa, schalten ihn nicht sonderlich. Sie aßen schweigend ihr Nachtmahl an seiner Seite, während der Alte Schlückchen für Schlückchen an seinem Abendtrunk nippte. »Nun ja, also …«, wenn er etwas angeheitert war, sehnte er sich nach einem Gesprächspartner, »endlich ist es Frühling geworden. Und die Schwalben sind auch schon da«, begann er lauter banale Dinge zu sagen. Er hätte es sich sparen können. Die Alte wie auch der Sohn schwiegen. 11
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»Frühlingsabendstund’ hat Gold im Mund«, murmelte er. Auch das hätte er sich sparen können. Der Heilige von Awa hatte fertig gegessen, bedankte sich, verbeugte sich ehrerbietig vor seinem Esstischchen und erhob sich. »Na, dann will ich auch essen«, sagte der Alte traurig und drehte sein Sakeschälchen um. So und ähnlich trug es sich zu, wenn er zu Hause Sake trank. An einem sonnigen Morgen ging der Alte in den Wald, Reisig zu sammeln. Es war sein größtes Vergnügen, an schönen Tagen mit einer Kalebasse am Gürtel auf den Tsurugi-Berg zu steigen, um Reisig zu sammeln. Wenn er hinreichend müde war, setzte er sich im Schneidersitz auf einen Felsen, räusperte sich wichtigtuerisch, rief »Ah, diese Aussicht!« und trank gemächlich seine Sake-Flasche leer. Er strahlte übers ganze Gesicht. Er war wie verwandelt. Das Einzige, was unverändert blieb, war die große Beule auf seiner rechten Wange. Ja, diese Beule – vor zwanzig Jahren, als er schon über fünfzig Jahre alt war, hatte seine rechte Wange begonnen, sich eigenartig warm anzufühlen, kribbelte und juckte und schwoll an, und wurde, während er sie befingerte, zusehends größer; da lachte er traurig und sagte: »Da hab ich ein hübsches Enkelkind bekommen.« »Es kann nicht sein, dass Kinder aus einer Wange geboren werden«, sagte sein Sohn, der Heilige, ernsthaft wie eh und je und verdarb ihm seinen Spaß; auch die Alte fragte, ohne auch nur zu lächeln, »lebensgefährlich ist es wohl nicht, oder?« und zeigte danach keinerlei Anteilnahme mehr. Die Nachbarn hin12
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gegen hatten Mitleid, erkundigten sich nach seiner Gesundheit, ob es nicht schmerze und woher er diese Beule bekommen habe, sie sei doch bestimmt lästig. Aber der Alte schüttelte lachend den Kopf, lästig? Weit gefehlt! Er betrachtete nun seine Beule wirklich als sein herziges Enkelkind, sie wurde ihm zu seiner einzigen Vertrauten, zum einzigen Trost in seiner Einsamkeit, und wenn er am Morgen aufstand, netzte er sie besonders liebevoll mit klarem Wasser und reinigte sie. Immer wenn er wie heute allein auf dem Berg Sake trank und guter Dinge war, diente ihm diese Beule erst recht als unentbehrlicher Gesprächspartner. Er saß auf einem großen Felsen im Schneidersitz, trank den Sake aus seiner Kalebasse, strich über seine Beule und sagte: »Hier hab ich nichts zu fürchten. Muss auch keine Rücksicht nehmen. Menschen sollen sich betrinken. Auch das Pflichtbewusstsein hat seine Grenzen. Der Heilige von Awa – ha, mit Verlaub, den hab ich völlig verkannt, ich hab gar nicht gemerkt, dass der so ein großer Mann ist.« So und ähnlich murmelte er seiner Beule Schmähreden über diesen und jenen zu, um sich dann vernehmlich zu räuspern. Plötzlich wurde es düster, der Wind brauste, und es regnete in Strömen. Platzregen im Frühling sind selten. Doch muss man annehmen, dass auf einem hohen Berg wie dem Tsurugi solche Wetterumschwünge wohl öfters vorkamen. Der Berg war in weiße Wolken gehüllt, Fasanen und andere Bergvögel flatterten da und dort auf und flohen vor dem Regen in den Wald. Der Alte lächelte 13
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gleichmütig. »Dieser Beule schadet das bisschen Regen und eine Abkühlung nicht.« Er blieb noch eine Weile auf dem Felsen sitzen und betrachtete die Regenlandschaft, doch es regnete immer heftiger und schien überhaupt nicht aufhören zu wollen. »Ah, jetzt wird es mir zu kühl, ich friere«, sagte er, nieste gewaltig, lud sich das gesammelte Reisig auf den Rücken und lief geduckt in den Wald. Hier wimmelte es von Vögeln und Vierbeinern, die vor dem Regen Schutz suchten. »Verzeihung, bitte um Verzeihung«, grüßte er alle die Affen, Hasen und Waldtauben gutgelaunt, drang weiter in den Wald ein und verkroch sich in einer Höhle zwischen den Wurzeln einer großen Bergkirsche. »Nicht schlecht, diese gute Stube. Wie wär’s, ihr alle«, rief er den Hasen zu, »hier gibt’s weder eine gewissenhafte Alte noch einen Heiligen, nur keine Umstände, hereinspaziert!« Er war in Hochstimmung, schlief jedoch bald ein und ließ ein leises Schnarchen hören. Trinker tendieren dazu, im Rausch Unsinn zu erzählen, doch in der Regel ist es harmloses Geplapper. Der Alte war wohl müde geworden, während er darauf wartete, dass der Regen aufhörte, und schlief tief und fest. Es klarte auf, keine Wolke am Himmel, es war eine helle Mondnacht. Dieser Mond war der abnehmende Frühlingsmond. Er schwebte am grünlichen, fast wässrig zu nennenden Himmel und ließ sein Licht wie fallende Kiefernadeln in den Wald hinunter rie14
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seln. Doch der Alte schlief noch immer friedlich. Die Fledermäuse kamen flatternd aus den Baumhöhlen geflogen. Plötzlich schlug der Alte die Augen auf und sah erschrocken, dass es schon Nacht war. »Verflixt!«, rief er und vor seinen Augen schwebte das Gesicht der gewissenhaften Alten und auch das Gesicht des würdevollen Heiligen, ah, da sitz ich in der Patsche, zwar haben sie mich noch nie gescholten, aber, wer weiß, wenn ich so spät nach Hause komme, kann das peinlich werden, na, gibt’s denn keinen Sake mehr – er schüttelte die Flasche, in der es leise gluckste. »Oh, da ist noch was«, blitzartig wurde er munter, trank die Flasche leer bis zum letzten Tropfen und kroch, angenehm besäuselt aus der Höhle, allerlei unsinniges Zeug murmelnd, »aha, der Mond ist aufgegangen. Frühlingsabendstund’ …« Nanu, was war das für ein Radau! Seltsam, war es ein Traum? So der Text. Werfen wir einen Blick. Auf dieser Lichtung tief im Wald entfaltete sich ein mysteriöser Anblick, der nicht von dieser Welt schien. Was Teufel für Wesen sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich habe nämlich noch nie einen gesehen. Seit meiner Kindheit habe ich deren Abbildungen in Kinderbüchern bis zum Überdruss angetroffen, doch die Ehre, einem in Fleisch und Blut zu begegnen, war mir bisher nie beschieden. Auch unter den Teufeln scheint es allerlei Arten zu geben. Wenn ich bedenke, dass hassenswerte Geschöpfe wie Vampire und Serienmörder 15
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Teufel genannt werden, nehme ich an, dass es sich um Geschöpfe mit abscheulichem Charakter handeln muss, doch wenn andererseits in den Anzeigen neuer Bücher im Feuilleton der Zeitungen vom Meisterwerk eines literarischen Teufelskerls, eines gewissen Herrn Soundso, die Rede ist, fühle ich mich verunsichert. Es kann doch wohl nicht sein, dass solch zweifelhafte Begriffe wie »literarischer Teufelskerl« in den Feuilletons stehen, um die Tatsache zu enthüllen, dieser gewisse Herr Soundso verfüge über ein diabolisches Talent, und damit die Absicht verfolgen, die Leser zu warnen? Sollte es zum Äußersten kommen und mutete man dem gewissen Herrn Soundso den taktlosen und abscheulichen Beinamen »Teufelsliterat« zu, so würde er, glaube ich, darüber ganz schön in Wut geraten oder aber, was unwahrscheinlich ist, wenn man diesem gewissen Herrn Soundso diesen über alle Maßen unverschämten und abscheulichen Titel verliehe, und es ruchbar würde, dass er selbst – was noch unwahrscheinlicher ist – diesen unerhörten Titel heimlich billigt, dann, ja dann wäre ich, weltfremd wie ich bin, umso perplexer. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass jene Teufel mit ihren roten Fratzen und Tigerfelllendentüchern, überdies mit plumpen Eisenstangen in den Händen, in allen möglichen Künsten göttergleich sein sollen? Ich war schon immer der bescheidenen Meinung, zweideutige Ausdrücke wie »Teufelstalent« oder »Teufelsliterat« sollten tunlichst vermieden werden, doch gibt es möglicherweise – und das entzieht sich meinen beschränkten Kenntnissen – auch unter den Teufeln mehrere Arten. Hier müsste ich mich sogleich in einen Meister der Gelehrsamkeit, Objekt des Respekts von Frauen und Kin16
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dern, verwandeln (wie es Besserwisser dieser Welt nun einmal sind), vielleicht einen Blick in die Große Japanische Enzyklopädie werfen, ein wichtigtuerisches Gesicht aufsetzen, um dann weitschweifig und detailliert meine Eloquenz ausbreiten zu können, aber zu meinem Leidwesen kauere ich in einem Luftschutzgraben, mit nicht mehr als einem aufgeschlagenen Bilderbuch auf den Knien. Und bin gezwungen, aus den Illustrationen dieses Buches meine Schlüsse zu ziehen. Werfen wir also einen Blick. In der Tiefe des Waldes, auf einer ziemlich großen Lichtung saßen, einen Kreis bildend, etwa zehn dieser ungeschlachten Wesen – oder sollte man Tiere sagen? – wie dem auch sei, riesige rote Lebewesen, die unverkennbar Tigerfelllendentücher trugen und sich mitten in einem Gelage im Mondenschein befanden. Zuerst stutzte der Alte – Säufer sind nüchtern ausgemachte Feiglinge und zu nichts zu gebrauchen, doch wenn sie betrunken sind, zeigen sie sich von ihrer besten Seite und sind mutiger als manch ein anderer. Der Alte war jetzt angenehm besäuselt. Er war zum leidlich tapferen Helden geworden, der weder jene gestrenge Alte noch den tugendhaften Heiligen zu fürchten brauchte. Er war nicht starr vor Entsetzen vor dem eigenartigen Anblick, der sich seinen Augen bot, er gab sich keine Blöße. Auf allen Vieren, wie er aus der Höhle gekrochen war, betrachtete er unverwandt das befremdliche Gelage. »Angenehm betrunken sind sie«, murmelte er, und dann stieg in seinem Innern ein eigenartiges Glücksgefühl auf. Es scheint, dass Leute, die gern trinken, eine seltsame Art von Glücksgefühl empfinden, wenn sie andere betrunken sehen. Es fehlt ihnen an Egoismus. Mit anderen Worten, es mag sein, dass ihnen eine Art von Menschenliebe innewohnt, die sie veranlasst, ihr Sakeschäl17
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chen zum Wohl des Nachbarn zu erheben. Sie selbst möchten sich betrinken, und wenn auch der Nachbar sich mit ihnen zusammen fröhlich betrinkt, so ist ihre Freude doppelt. Der Alte seinerseits war sich im Klaren. Er wusste instinktiv, dass diese riesigen roten Lebewesen vor seinen Augen, ob Mensch oder Tier, zur furchterregenden Gattung der Teufel gehörten. Nur schon nach dem Tigerfelllendentuch zu urteilen, war es unmissverständlich. Doch die Teufel waren jetzt wohlig betrunken. Auch der Alte war betrunken. Das ist eine Situation, in der unweigerlich freundschaftliche Gefühle aufkommen. Noch immer betrachtete der Alte auf allen Vieren dieses eigenartige Gelage im Mondenschein. Der Alte hielt diese Wesen vor seinen Augen, selbst wenn sie Teufel waren, nicht für arglistige Kreaturen wie Vampire oder Massenmörder, sondern, ungeachtet ihrer roten und fürchterlichen Fratzen, für überaus muntere und arglose Geschöpfe. Diese Feststellung des Alten war wohl zutreffend. Die Teufel – man könnte sie Einsiedler des Tsurugi-Bergs nennen – waren nämlich ausgesprochen sanftmütig. Sie waren von einer ganz und gar anderen Sorte als die Teufel der Hölle. In erster Linie hatten sie keineswegs so gefährliche Dinge wie Eisenstangen in den Händen. Dies kann man als Beweis ansehen, dass sie auch keine boshaften Absichten hegten. Doch glichen diese sogenannten Einsiedler niemals den »Weisen des Bambushains«, die, ihres reichen Wissens überdrüssig, in die Wälder flüchteten, nein, diese Einsiedler des Tsurugi-Bergs waren außerordentlich einfältig. Mir ist eine Theorie zu Ohren gekommen, die kurz und bündig erklärt, weil das chinesische Zeichen für »weise« mit den Piktogrammen für Mensch und Berg geschrieben werde, sei es nichts als recht und billig, tief in den 18
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Bergen lebende Menschen »Weise« zu nennen, wer immer sie seien. Wollte man versuchsweise dieser Theorie folgen, dann ziemt es sich vielleicht, den Einsiedlern des Tsurugi-Bergs, trotz ihrer Einfalt, diesen Ehrentitel zu gewähren. Wie dem auch sei, es scheint angemessen, dass dieser Haufen riesiger roter Lebewesen, die sich im Mondlicht an ihrem Gelage ergötzten, Kerle waren, die mit Fug und Recht eher Einsiedler oder Weise als Teufel genannt werden sollten. Wie einfältig sie waren, habe ich schon erwähnt, doch ihrem Treiben zuzuschauen – sie erhoben ein unverständliches Gekreische, schlugen sich auf die Knie und lachten dröhnend, standen bald auf und tollten wild umher, machten sich bald klein und rollten von einem Rand des Kreises zum anderen – kurz, das war offenbar, was sie unter Tanzen verstanden, und genügt durchaus, das Ausmaß ihrer Intelligenz zu erahnen – das Fehlen jeder Kunstfertigkeit war unübersehbar. Mich dünkt, ich kann allein schon in Anbetracht dieses Sachverhalts beweisen, dass Ausdrücke wie »literarischer Teufelskerl« oder »Teufelstalent« absolut sinnlos sind. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass diese dummen, jeder Kunstfertigkeit unfähigen Geschöpfe in allen möglichen Künsten göttergleich sein sollen. Auch der Alte war verblüfft von dieser unbeholfenen Tanzerei. Er feixte vor sich hin und murmelte: »Was für ein stümperhafter Tanz! Denen werd ich mal zeigen, wie man das macht.« Der Alte, der gerne tanzte, sprang vor und tanzte, und es war lustig anzusehen, wie seine Beule hüpfte und wackelte. 19
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Der Alte war angeheitert und das gab ihm Mut. Und weil er überdies freundschaftliche Gefühle für die Teufel hegte, sprang er ohne zu zögern in die Mitte des Kreises und tanzte den AwaTanz, dessen er sich rühmte, und sang dazu das Volkslied mit klingender Stimme: Musume shimada de toshiyori ya katsura ja Akai tasuki ni mayou mo muri ya nai Yome mo kasa kite ikanu ka koi koi* Die Teufel freuten sich über alle Maßen, kreischten und kugelten sich vor Lachen, vergossen bald Tränen, bald floss ihnen Spucke aus dem Maul. Der Alte geriet erst recht in Schwung, erhob seine Stimme, sang lauthals und tanzte schließlich munter bis zum Morgen. Ōtani tōreba ishi bakari Sasayama tōreba sasa bakari** Die Teufel freuten sich sehr, er soll wiederkommen in einer Mondnacht und seinen Tanz für uns tanzen, er soll es versprechen, als Pfand behalten wir, was ihm teuer ist.
* Die jungen Frauen in [aufgesteckten] Shimada-Frisuren / die Alten in Perücken / kein Wunder, dass die roten Schärpen locken / Willst du nicht mitgehen, in deinem Strohhut? Komm, komm ** Durchs Tal nichts als Steine / Über den Berg nichts als Bambus
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So begannen die Teufel sich flüsternd zu beraten – wirklich, die Beule auf der Wange leuchtete so hell, sie musste ein ganz besonderer Schatz sein, wenn sie diese zurückbehielten, würde der Alte bestimmt wiederkommen – so mutmaßten sie in ihrer Einfalt und rissen sie dem Alten blitzschnell aus. Unwissend waren sie zwar, doch mochten sie, da sie lange in den Tiefen der Berge gelebt hatten, von den magischen Künsten der weisen Einsiedler sich etwas angeeignet haben. Sie rissen die Beule mühelos und sauber aus. Der Alte erschrak: »He, das geht doch nicht«, rief er, »das ist mein Enkelkind!«, worauf die Teufel in Triumphgeschrei ausbrachen. Der Morgen kam. Der Tau glitzerte auf dem Weg und der Alte ging ohne seine Beule den Berg hinab, sich enttäuscht über die Wange streichend. Da diese Beule für den einsamen Alten der einzige Gefährte war, fühlte er sich ohne sie etwas verlassen. Doch andererseits war es ihm keineswegs unangenehm zu spüren, wie ihm der Morgenwind über seine leichtgewordene Wange strich. Verlust und Gewinn gleichen sich aus, alles hat Vor- und Nachteile – und der Vorteil ist, dass ich wieder einmal nach Herzenslust habe singen und tanzen können, was will ich mehr? So dachte er unbekümmert bei sich, wie er den Berg hinabstieg, und traf unversehens auf seinen Sohn, den Heiligen, unterwegs zur Feldarbeit. »Einen guten Morgen wünsche ich«, sagte der Sohn würdevoll und nahm sein umgebundenes Kopftuch ab. 21
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»Äh«, stotterte der Alte nur verwirrt. Das war alles, dann gingen sie ihrer Wege, der eine nach links, der andere nach rechts. Dass die Beule des Vaters über Nacht verschwunden war, hatte der Sohn sehr wohl gleich bemerkt, und sogar er, Heiliger, der er war, war im Stillen etwas erschrocken, doch dachte er sich, es widerspreche dem Weg des Heiligen dies oder das nach Kritik riechende über das Aussehen der Eltern zu äußern, tat, als habe er nichts gesehen, und ging schweigend weiter. Als der Alte nach Hause kam, begrüßte ihn die Frau ungerührt, fragte weder, was ihm in der Nacht zugestoßen sei, noch sonst etwas, murmelte nur »die Misosuppe ist kalt geworden« und machte sich daran, ihm das Frühstück zu richten. »Macht nichts, du brauchst die Suppe nicht aufzuwärmen«, sagte dieser, übertrieben Rücksicht nehmend, machte sich klein und begann zu essen. Während die Frau ihn bediente, hätte er ihr natürlich nur zu gern von seinem mysteriösen Erlebnis der letzten Nacht erzählt, doch überwältigt von ihrer gestrengen Miene blieben ihm die Worte im Hals stecken und er schwieg. Vornübergebeugt aß er traurig sein Frühstück. »Deine Beule scheint geschrumpft zu sein«, sagte die Alte abrupt. »Hm«, die Lust zu reden war dem Alten vergangen. »Ist anscheinend aufgebrochen und das Wasser ist ausgetreten«, meinte sie gleichgültig. »Hm.« »Wird sich wohl wieder mit Wasser füllen und anschwellen.« »So wird’s wohl sein.« Wie dem auch sei, die Familie dieses Alten machte kein Aufhebens der Beule wegen. Doch in der Nachbarschaft lebte ein 22
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anderer Mann, der hatte auf der linken Wange eine lästige Beule. Dieser Alte aber hielt seine Beule auf der linken Backe wirklich für lästig und hasste sie, ja, er stellte sich täglich immer wieder vor den Spiegel, betastete sie und seufzte, diese Beule verhindert mein Vorwärtskommen in der Welt, ach, was verachten und verlachen die Leute mich doch ihretwegen, und er versuchte, seinen Backenbart wachsen zu lassen, um die Beule darin zu vergraben und zu verstecken. Aber ach!, die Beule tauchte strahlend aus den weißen Haaren auf wie die Sonne am Neujahrsmorgen aus dem Meer und bot im Gegenteil einen einzigartigen Anblick. Im Grunde genommen war seine Erscheinung keineswegs lächerlich. Sein Wuchs war stattlich, seine Nase gerade und seine Augen blickten durchdringend. Seine Rede und sein Auftreten waren würdevoll und er schien durchaus über ausreichend Verstand zu verfügen. Seine Kleider waren überaus prächtig, zudem hieß es, er sei ziemlich gelehrt, und sein Vermögen, so erzählte man sich, sei unvergleichlich größer als das jenes alten Säufers, ja, die Leute der Umgebung zollten ihm Respekt und gewährten ihm den Ehrentitel »Herr« oder »Meister«, er war in jeder Hinsicht ein Achtung gebietender und ehrenwerter Mann und doch – wegen dieser lästigen Beule auf seiner linken Wange grämte er sich Tag und Nacht und konnte sich an nichts freuen. Die Frau dieses »Herrn« war sehr jung. Sie war sechsunddreißig. Sie war nicht unbedingt eine Schönheit, doch war sie mollig und hellhäutig, mochte etwas leichtsinnig sein und war den ganzen Tag vergnügt und guter Dinge. Sie hatten eine zwölf-, dreizehnjährige Tochter, und die war ein bemerkenswert hübsches Mädchen, nur war sie etwas naseweis. Aber Mutter und Tochter verstanden sich gut, lachten und scherzten 23
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stets ausgelassen über dies und das und gaben so den Leuten, obwohl der Vater mit einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter umherging, den Eindruck einer glücklichen Familie. »Mama, warum ist Vaters Beule so rot? Sie sieht aus wie der Kopf eines Polypen«, rief die vorwitzige Tochter und sagte hemmungslos, was ihr gerade durch den Kopf ging. Die Mutter schalt sie nicht, sie kicherte nur und sagte: »Tatsächlich! Aber es sieht auch aus, als hinge eine Holzblocktrommel von seiner Backe.« »Lasst mich in Ruhe!«, erboste sich der Vater, fixierte sie griesgrämig, stand abrupt auf und verzog sich in ein dunkles Hinterzimmer, wo er verstohlen in den Spiegel guckte und betrübt murmelte: »Was mach ich nur?« In seiner Not dachte er sogar daran, die Beule mit dem Taschenmesser abzuschneiden, selbst wenn er dabei sterben sollte, doch da kam ihm das Gerücht zu Ohren, die Beule seines Nachbarn, des Sake trinkenden Alten, sei dieser Tage plötzlich verschwunden. In dunkler Nacht besuchte er heimlich das strohgedeckte Haus des alten Säufers, erfuhr von dem seltsamen Gelage in der Mondnacht und fasste neuen Mut. Er freute sich sehr, als er es hörte. »Auch ich will mir unverzüglich meine Beule ausreißen lassen.« Zum Glück schien auch in dieser Nacht der Mond. Der Herr machte sich auf den Weg wie ein Samurai, der in die Schlacht zieht, mit blitzenden Augen, die Lippen entschlossen zusammengepresst – heute Abend wollte er, koste es was es wolle, diesen Teufeln etwas Großartiges vortanzen und sie beeindrucken, 24
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und sonst, sollte dies nicht gelingen, sie allesamt mit seinem eisernen Fächer totschlagen, ja, mit diesen Teufeln, die ja nichts anderes taten als Sake trinken, würde er leicht fertig werden, denen wollte er es zeigen – man wusste nicht recht, ging er nun aus, die Teufel zu besiegen oder ihnen seinen Tanz vorzutanzen, wie dem auch sei, aufs Äußerste gespannt, mit geschwellter Brust und dem eisernen Fächer in der Rechten betrat er die Tiefen des Tsurugi-Bergs. Wenn jemand so, im Bewusstsein, ein »Meisterwerk« zu vollbringen, sein Können zeigen will, misslingt es meist kläglich. Auch der Tanz dieses Alten, der nun wirklich zu angespannt war, endete in einem kompletten Fiasko. Der Alte betrat den Kreis des Sakegelages feierlich und würdevoll, begrüßte die Teufel mit »Ihr untertänigster Diener!«, öffnete mit einem Schlag seinen Fächer, sah starr zum Mond auf, stand wie angewurzelt und bewegte sich nicht. Er blieb eine Weile stehen, stampfte leicht mit den Füßen auf den Boden und begann dann langsam mit gepresster Stimme zu rezitieren. »Kore wa Awa no Naruto ni ichige o okuru no sō nite sōrō. Sate mo kono ura wa Heike no ichimon hate tamaitaru tokoro nareba itamashiku zonji, maiyo kono isobe ni idete okyō o yomitatematsuri sōrō. Isoyama ni shibashi iwane no matsu hodo ni, shibashi iwane no matsu hodo ni, taga yobune to wa shiranami ni, kajioto bakari Naruto no, ura shizukanaru koyoi ka na, ura shizukanaru koyoi ka na. Kinō sugi, kyō to kure, asu mata kakukoso aru bekere.«∗ * »Ich bin ein Mönch, der einen Sommer in der Bucht von Naruto im Lande Awa [die Meerenge Naruto zwischen Shikoku und der Insel Awaji] verbringt. Ich trauere über den Untergang des Taira-Klans in dieser Bucht. Jeden Abend gehe ich zum Strand und rezi-
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Bald bewegte er sich bedächtig ein wenig, bald stand er wieder stockstill, starr zum Mond aufsehend. Die Teufel waren sprachlos, einer nach dem anderen erhob sich und entfloh, in die Tiefen des Waldes. »Wartet bitte!«, rief der Alte bekümmert und lief hinter den Teufeln her, »ihr könnt doch jetzt nicht weglaufen!« »Nur fort! Das ist vielleicht der Gott, der die Seuchedämonen vertreibt!« »Nein, ich bin kein Teufelsaustreiber«, rief der Herr und blieb ihnen hartnäckig auf den Fersen, »ich bitt’ euch, nehmt mir doch diese Beule ab!« »Was, Beule?« Weil die Teufel völlig aus der Fassung waren, verstanden sie ihn nicht, »was soll das, ach so! Der Schatz, den wir neulich von dem Alten zurückbehalten haben, doch, wenn Sie ihn unbedingt haben wollen, können Sie ihn mitnehmen. Aber verschonen Sie uns mit Ihrem Tanz. Eben noch so schön betrunken, und jetzt sind wir wieder nüchtern. Wir bitten Sie. Lassen Sie uns gehen. Jetzt müssen wir woanders hin und wieder von vorn anfangen. Wir bitten Sie, lassen Sie uns in Ruhe. He, jemand soll diesem seltsamen Kerl die Beule von neulich zurückgeben. Er will sie anscheinend.« tiere eine Sutra für deren Seelenheil. Während ich am Fuße der Felsen am Strand warte, herrscht tiefe Stille, nichts ist zu hören als die Ruderschläge eines Kahns in der Nacht. So war es gestern, so war es heute, und auch morgen wird es so sein.« (Der Anfang des NōStücks »Michimori«, ein Stück, das den Tod von Taira no Michimori thematisiert, der 1184 in der Schlacht von Ichinotani im Krieg der Taira gegen die Minamoto sein Leben verlor und dessen Frau ihm in den Tod folgte.)
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Die Teufel hefteten die Beule, die sie behalten hatten dem Alten auf die rechte Backe. O weh, mit zwei Beulen, schwer und baumelnd, kehrte der Alte beschämt ins Dorf zurück. Wirklich, das hatte ein bedauerliches Ende genommen. Märchen enden gewöhnlich damit, dass die Missetäter bestraft werden, doch dieser Alte hatte wirklich nichts Schlechtes getan. War nicht einfach sein Tanz vor lauter Anspannung etwas eigenartig herausgekommen? Auch in der Familie dieses Alten gab es nicht wirklich einen schlechten Menschen. Und weder der alte Säufer noch seine Familie, und nicht einmal die Teufel des Tsurugi-Bergs – keiner von ihnen hatte etwas auch nur annähernd Böses getan. Mit anderen Worten, in dieser Erzählung gibt es am Ende, obwohl kein einziges Ereignis als »Ungerechtigkeit« bezeichnet werden könnte, einen unglücklichen Menschen. Deshalb wird es schier unmöglich sein, aus dieser Geschichte des »Mannes mit der Beule« eine Moral für den Hausgebrauch zu ziehen. Ja, und wenn ein reizbarer Leser mich bedrängen sollte mit der Frage, warum in aller Welt ich denn diese Geschichte geschrieben habe, so würde mir nichts anderes übrig bleiben als ihm zu antworten: Es ist eine Tragikomödie der Charaktere. Denn solcherart sind die Probleme, die der menschlichen Existenz zugrunde liegen.
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Urashima Tarō Ein Mann namens Urashima Tarō scheint tatsächlich in einem Mizunoe genannten Ort in Tango gelebt zu haben. Tango ist der nördliche Teil der heutigen Präfektur Kyōto. Dort an der Nordküste, in irgendeinem gottverlassenen Nest, gibt es noch heute, wie ich gehört habe, einen Schrein, in dem Tarō verehrt wird. Ich selbst war nie in jener Gegend, aber, wie die Leute erzählen, soll es eine furchtbar trostlose Küste sein. Dort also lebte unser Urashima Tarō. Natürlich lebte er nicht allein – er hatte sowohl einen Vater als auch eine Mutter. Und einen Bruder und eine Schwester. Und überdies gab es scharenweise Knechte und Mägde. Er war nämlich der älteste Sohn einer an dieser Küste berühmten alteingesessenen Familie. Nun scheint es, dass die ältesten Söhne angesehener Familien seit jeher durchwegs eine gewisse Eigenart aufweisen: Es ist die Liebhaberei. Positiv gesagt, der elegante Zeitvertreib, negativ gesagt, die Vergnügungen. Aber wenn ich hier von Vergnügungen rede, meine ich etwas ganz anderes als das, was man gemeinhin Ausschweifungen nennt, wie den Frauen oder dem Trunk verfallen zu sein. Jene, die sich hemmungslos Wein hinter die Binde gießen und sich mit Frauen zweifelhafter Herkunft herumtreiben, den Namen ihrer Eltern und Geschwister besudeln, solche unrettbare Lotterbuben findet man häufig unter den jüngeren Söhnen – der Erstgeborene ist frei von Liederlichkeit. Da dieser nämlich von seinen Vorfahren gleichsam ein festes Vermögen geerbt hat, erwächst ihm von selbst eine feste Gesinnung und er ist durch und durch wohlanständig. Mit anderen Worten, die Vergnügungen 29
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des ältesten Sohnes nehmen eine andere Richtung als die Sauferei der jüngeren, sie sind höchstens eine Spielerei sozusagen linker Hand. Und wenn denn dem ältesten Sohn einer alteingesessenen Familie dank dieser Spielerei von den Leuten gebührend Anerkennung gezollt wird und es ihm selbst gelingt, von der Eleganz dieses Lebens beglückt zu sein, fehlt es ihm an nichts. »Zu schade, dass dir die Abenteuerlust fehlt«, sagte seine Schwester, ein Wildfang, der in diesem Jahr sechzehn wurde, »Spielverderber.« »Aber nein«, widersprach der achtzehnjährige Raufbold von Bruder, »du bildest dir was ein auf deine männliche Erscheinung. Spielst dich auf als Schönling.« Dieser Bruder war hässlich und von dunkler Gesichtsfarbe. Urashima Tarō zürnte nicht sonderlich, wenn er von seinen Geschwistern so rücksichtslos kritisiert wurde, er lächelte nur gequält und sagte in abgeklärtem Tonfall lauter ungereimtes Zeug wie »vor Neugierde zu platzen ist ein Abenteuer, die Neugierde zu zügeln eben auch, beides ist gefährlich. Die Menschen haben schließlich ihre Bestimmung«, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und verließ allein das Haus, um am Strand zu flanieren. »Karigomo no midare izu miyu ama no tsuribune«∗ intonierte er, der Mann von verfeinertem Geschmack, Fragmente des bekannten Gedichtes von Kakinomoto Hitomaro. * Im schwankenden Röhricht auf stürmischer See – ein Fischerboot …
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