Otto Braun (Leseprobe)

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Otto Braun M a n f r e d G ör t e m a k e r (Hr S g.)

Ein preußischer Demokrat

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Die Drucklegung des Bandes wurde ermöglicht mit freundlicher Unterstützung durch:

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Inhalt

Vorwort

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m a n f r ed g ö r t e m a k e r

Zwischen Demokratie und Diktatur Otto Braun in der Weimarer Republik

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markus apostolow / florian de tjens

»Das wichtigste Postulat wahrer Demokratie« Otto Braun und die Freiheit der Presse

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michael c. bienert

Reformpolitik und Dienst an der Gemeinde Zum Wirken Otto Brauns und Ernst Reuters in den Jahren der Weimarer Republik

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b u r gh a r d c i e s l a

»Bei meiner Liebe zum Walde und zur Jagd …« Anmerkungen zur privaten Gegenwelt des Otto Braun

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joachim lill a

Der »Preußenschlag« Verfassungsrechtliche Auswirkungen der Amtsenthebung der preußischen Regierung

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hartmut mangold

Das deutsche literarische Feuilleton Die feuilletonistische Auseinandersetzung mit dem »Preußenschlag« am Beispiel der Zeitschrift Die Weltbühne

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kristina hübener

Nach dem Staatsstreich Otto Braun im Exil

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erardo c. rautenberg

Epilog Otto Braun in der demokratischen Erinnerungskultur

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Anhang Anmerkungen Zeittafel Auswahlbibliografie Abbildungsnachweis Die Autoren

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Vorwort gunter fritsch

Am 19. März 2013 haben wir einen in der Nähe der Baustelle des neuen Landtagsgebäudes in Potsdam gelegenen Platz nach dem letzten demokratisch gewählten preußischen Ministerpräsidenten benannt und damit einen Beitrag zur demokratischen Erinnerungskultur geleistet. Inzwischen ist das Landtagsschloss fertiggestellt und die Gestaltung des Otto-Braun-Platzes soll im nächsten Jahr abgeschlossen sein. Ihn soll eine Replik der Otto-Braun-Büste schmücken, die im Otto-Braun-Saal des Gebäudes der Staatsbibliothek in der Potsdamer Straße in Berlin steht. Gern habe ich als Präsident des Landtages Brandenburg die Schirmherrschaft über das Projekt der Aufstellung einer Büste auf dem Potsdamer OttoBraun-Platz und über diese Begleitpublikation übernommen. Nicht nur das neue Landtagsgebäude sollte nicht als Potsdamer Stadtschloss bezeichnet werden, weil hinter seiner wiedererstandenen Fassade keine Könige mehr residieren, sondern der Landtag für das ganze Land Brandenburg arbeitet. Ebenso darf der Begriff Preußen nicht nur mit einem untergegangenen Obrigkeitsstaat, sondern muss auch mit dem 1919 entstandenen Freistaat in Verbindung gebracht werden, den sein langjähriger Ministerpräsident Otto Braun zu einem »Bollwerk der Demokratie« in der Weimarer Republik gemacht hat. Ich danke den Autoren dieses Buches, die uns den Menschen Otto Braun und seine politischen Verdienste gelungen vermitteln, der Brandenburgischen Historischen Kommission e. V. sowie Prof. Dr. Manfred Görtemaker und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lehrstuhls am Historischen Institut der Universität Potsdam für die Betreuung dieser Publikation. Sowohl dieses Buch als auch die Bronzebüste – die bis zu ihrer Aufstellung auf dem Platz im Land-

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tagsgebäude eine würdige Unterkunft finden wird – hätten ohne die finanzielle Unterstützung der F. C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz, der brandenburgischen Lotto-GmbH, der Landesregierung sowie der EMB Energie Mark Brandenburg GmbH nicht realisiert werden können. Einen herzlichen Dank richte ich auf diesem Wege auch an die Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, Frau Barbara Schneider-Kempf, die die Abformung der Büste ermöglicht hat, und an die Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin für die Umsetzung durch den Bronzeguss. Mein Dank gilt aber auch den Stadtverordneten von Potsdam und dem Oberbürgermeister Jann Jakobs. Sie haben das Projekt erst ermöglicht und für eine – wie sich bereits abzeichnet – seinem Namensträger angemessene Gestaltung des Platzes gesorgt. Gunter Fritsch Potsdam, im Juli 2014

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Otto Braun als Herrscher des PreuĂ&#x;ischen Olymps. Karikatur aus der Zeitschrift Der Wahre Jakob, 1921. 9 vorwort

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Otto Braun, Carl Severing und Heinrich Brßning halten den § 48 als Schutzschild. Die Zeitung, Leipzig, vom 21. Februar 1931. 10 gunter fritsch

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Zwischen Demokratie und Diktatur Otto Braun in der Weimarer Republik M a n f r ed G ö r t e m a k e r

Sebastian Haffner hat in seinem Buch Preußen ohne Legende die Frage aufgeworfen, ob nach 1871 eine »Verreichung Preußens« oder eine »Verpreußung des Reiches« stattgefunden habe.1 Die Frage ist nicht ohne weiteres zu beantworten, da Preußen und das Reich noch lange nebeneinander bestanden und sogar inein­ ander verschränkt existierten. Erst die Revolution von 1918 und die Weimarer Verfassung von 1919 sowie die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nach dem Ersten Weltkrieg führten zu Strukturen, die dem alten Preußen gänzlich fremd waren. Für Preußen schien es danach in der deutschen Geschichte keinen Platz mehr zu geben. Und doch lebte es weiter – nicht als selbständiger Staat, wohl aber als größtes Land im Deutschen Reich, das sich überdies in einer Republik, die nach der bitteren Niederlage im Krieg, dem folgenden wirtschaftlichen Absturz und der fortwährenden, bis 1933 nie wirklich entschiedenen Auseinandersetzung um den richtigen Weg in der Innen- und Außenpolitik immer wieder im Chaos zu versinken drohte, als »Hort der Stabilität und Ordnung« erwies.2

Respekt statt Verehrung Ministerpräsident des »Freistaates Preußen«, der an die Stelle der preuß­ischen Monarchie trat, war von März 1920 bis März 1933, mit zwei kurzen Unter­ brechungen 1921 und 1925, Otto Braun – ein ostpreußischer Sozialdemokrat aus Königsberg, geboren 1872 als Sohn eines verarmten Schuhmachermeisters, ein Hüne von Mann, fast 1,90 Meter groß, dazu willensstark, sachlich, nüchtern

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und organisatorisch begabt, aber ohne die rhetorischen Fähigkeiten, die viele seiner Konkurrenten in der Weimarer Republik auszeichneten. In der agrarisch geprägten, vom ostelbischen Landjunkertum beherrschten Welt Ostpreußens zählte Braun zunächst zum linken Flügel der SPD. In der unter dem Sozialistengesetz verbotenen Partei war der gelernte Steindrucker Funktionär im örtlichen Arbeiter-Wahlverein, arbeitete als Redakteur sozialdemokratischer Zeitschriften und gründete schließlich sogar ein eigenes Blatt − ­ die Königsberger Volkszeitung. Er gehörte dem Stadtrat von Königsberg an, wurde 1898 Vorsitzender der SPD in Ostpreußen und übernahm seit 1905 zusätzlich Funktionen auf Reichsebene: zunächst als Mitglied der Parteikontrollkommission und seit 1911 als Hauptkassierer der Partei. Damit rückte er zugleich in den Reichsvorstand der SPD auf, dem er bis 1919 angehörte. Inzwischen hatte der nunmehr 45-Jährige allerdings längst eine innere Wandlung durchlaufen. Die vom Anarchosyndikalismus geprägte linkssozialistische Haltung des jungen Otto Braun war einem pragmatischen Politikverständnis gewichen, mit dem er sich am Ende des Ersten Weltkrieges nahtlos in die nach Regierungsverantwortung strebende Mehrheits-SPD einfügte. Braun war zu einer Figur geworden, die, wie sein Biograf Hagen Schulze 1977 schrieb, »die konservativen Parteien gerne im eigenen Lager gesehen hätten«.3 Die Politik und Parolen der USPD oder gar die noch radikaleren Vorstellungen der Spartakisten und Kommunisten waren dem Vernunft- und Verstandesmenschen Braun fremd. Indessen war er auch wenig geeignet, Menschen emotional an sich zu binden. So bemerkte sein Parteifreund Heinz-Georg Ritzel über ihn: »Otto Braun war eine herbe, verschlossen wirkende Natur, eine in sich selbst ruhende Persönlichkeit, ein Mann, von dem man im Gespräch sofort spürte, dass er wusste, was er wollte, dass er sein Ziel genau kannte.«4 Respekt, nicht Verehrung, wurde ihm entgegengebracht und kennzeichnete seinen Lebensweg in der Politik.

Revolution und Neubeginn »Über Nacht sind wir zur radikalsten Demokratie Europas geworden und müssen das noch als die relativ gemäßigte Lösung unseres politischen Lebenspro-

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Otto Brauns Wirkungsstätte für über zwei Jahrzehnte: Das Preußische Staatsministerium, 1930.

blems betrachten.«5 Mit diesen Worten beschrieb der evangelische Theologe, Soziologe und Philosoph Ernst Troeltsch, der seit 1914 an der Berliner Universität lehrte, am 29. Dezember 1918 die Situation in Deutschland. Der Erste Weltkrieg war zu Ende, das Deutsche Reich hatte um einen sofortigen Waffenstillstand und um Frieden gebeten, der Kaiser war geflohen. In Berlin tagte inzwischen ein »Rat der Volksbeauftragten« aus SPD und USPD, der nur einen Tag nach Ausrufung der »deutschen Republik« durch den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann vor dem Reichstag und der beinahe zeitgleichen Proklamation einer »freien sozialistischen Republik« durch Karl Liebknecht im Lustgarten vor dem Schloss am 9. November 1918 gebildet worden war, um Wahlen zu einer Nationalversammlung vorzubereiten, die eine Verfassung ausarbeiten und damit den neuen Staat begründen sollte. Von einem geordneten Übergang in die Republik konnte indessen keine Rede sein. Für Troeltsch, den besonnenen Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und späteren Unterstaatssekretär im preußischen Kultusministerium, bedeutete er vielmehr »das vollkommene Chaos«. Die Bismarcksche Reichsgründung, bemerkte er

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mitleidig, sei »bis auf die Fundamente abgetragen«, die politische Ordnung »in der Auflösung oder doch mindestens totalen Umbildung begriffen«.6 Für Otto Braun kam es in dieser Situation darauf an, den Neubeginn mit Augenmaß in die richtige Richtung zu lenken. Zwar gehörte er für die MSPD dem Arbeiter- und Soldatenrat Berlins an. Aber er scheute sich nicht, gegen den Widerstand mancher Parteifreunde für den Erhalt preußischer Traditionen einzutreten. Während August Bebel noch erklärt hatte, »preußischer Geist und preußische Regierungsgrundsätze« seien der »Todfeind der Demokratie«7, setzte Braun sich für den staatlichen Erhalt Preußens ein, das immerhin drei Fünftel der Gesamtbevölkerung des Reiches umfasste. Natürlich sollte Preußen, dessen Abgeordnetenhaus er seit dem 3. Juni 1913 angehörte, zu einem modernen Freistaat mit demokratischer Struktur entwickelt werden. Bereits 1917 hatte Braun deshalb für die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts plädiert. Jetzt, in der Revolution, übernahm er am 11. November 1918 unter Ministerpräsident Paul Hirsch gemeinsam mit Adolf Hofer die Verantwortung für das preußische Landwirtschaftsministerium – eine Position, für die er besonders gut qualifiziert schien, weil er sich seit jeher für die Landarbeiter Ostpreußens eingesetzt hatte und sich über viele Jahre hinweg in der SPD zu einem Experten für Agrarpolitik und zu einem Kämpfer gegen eine großagrarisch geprägte Landwirtschaft entwickelt hatte. Als Minister verfügte er nun außerdem über eine Plattform, um noch wirksamer als bisher gegen Forderungen nach einer Zerschlagung Preußens aufzutreten, wie sie beispielsweise in der »Denkschrift zum Entwurf des allgemeinen Teils der Reichsverfassung« enthalten waren, die der Staatssekretär im Reichsamt des Inneren, Hugo Preuß, am 3. Januar 1919 vorlegte.8 Durch eine Agrarreform, die unter anderem die Entmachtung der ostelbischen Gutsbesitzer und die Ansiedlung ehemaliger Soldaten auf brachliegenden Ländereien vorsah, wollte Braun nicht nur möglichen Argumenten für eine Auflösung Preußens begegnen, sondern gleichzeitig die Ernährungssituation des Reiches verbessern. Doch er drang mit seinen Vorstellungen nicht durch, weil sich sowohl bei den betroffenen Großagrariern als auch beim zögernden Ministerpräsidenten Hirsch und auch in der Bürokratie, in der man fürchtete, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht mit der bestehenden Gesetzeslage in Einklang zu bringen seien, Widerstand regte. So blieb auch Brauns Denkschrift vom 19.

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Ernennungsurkunde Otto Brauns zum preußischen Landwirtschaftsminister vom 14. November 1918.

März 1919 »über die schleunige Inangriffnahme der Besiedelung und Ödlandkultur in Preußen«, die er am 25. März ohne vorherige Rücksprache mit der Staatsregierung der preußischen Landesversammlung überreichte, praktisch folgenlos.9 Dennoch hielt Braun an seiner Linie fest, dass statt einer Zerschlagung Preußens weitere territoriale Angliederungen sinnvoll seien, um den Freistaat innerhalb eines föderalistisch strukturierten Reiches zu stärken. Vor dem Hintergrund der Aufstandsbewegung, die sich seit dem 3. November über ganz Deutschland ausbreitete, bedurfte es nach Meinung Brauns der preußischen Ordnungsmacht, um im Reich mäßigend zu wirken. Vor allem die »Blutweihnacht« am 24./25. Dezember 1918, als sich rebellierende Teile der Volksmarine-Division am Berliner Stadtschloss und am Marstall schwere Kämpfe mit Regierungstruppen lieferten, und der anschließende Spartakusaufstand, der in Berlin zur Ausrufung des Belagerungszustandes führte, waren für Braun Anlass zum Nachdenken und zur Sorge. So plädierte er in den folgenden Monaten immer wieder für eine Stärkung der Staatsgewalt und für den Erhalt Preußens,

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zugleich allerdings auch für eine allmähliche Übertragung der Gesetzgebung auf das Reich, wie er beispielsweise am 23. Januar 1919 im Zentralrat der Arbeiter- und Soldatenräte erklärte. Vorrangiges Ziel war für Braun dabei die Errichtung einer parlamentarischen Demokratie mit einer starken Staatsgewalt als Ordnungsmacht. So forderte er bereits am 28. Dezember 1918 eine staatliche Aufsicht über die Arbeiter- und Soldatenräte, und das Staatsmodell, das er anstrebte, war eine föderative Republik, die, wie er am 25. Februar 1919 bemerkte, der Einheitsrepublik »so nahe wie möglich« kommen sollte.10 Er glaubte sich dabei in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Bevölkerung und auch mit den Eliten des Reiches. Sogar die 3. Oberste Heeresleitung (OHL) unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff hatte ja schon am 29. September 1918 einen sofortigen Waffenstillstand verlangt und − in der Erwartung, dass der amerikanische Präsident Woodrow Wilson die deutsche Position unterstützen werde, wenn eine parlamentarisch gebildete Regierung um die Aufnahme von Friedensverhandlungen nachsuche − Kaiser Wilhelm II. gedrängt, per Dekret die Einführung der Demokratie in Deutschland und den Übergang zu einem parlamentarischen Regierungssystem anzuordnen. In dem vom Kaiser autorisierten Erlass vom 30. September hatte es dementsprechend geheißen, er »wünsche, dass das deutsche Volk wirksamer als bisher an der Bestimmung der Geschicke des Vaterlandes mitarbeitet«. Es sei daher sein Wille, »dass Männer, die vom Vertrauen des Volkes getragen sind, in weitem Umfang teilnehmen an den Rechten und Pflichten der Regierung«.11 Dazu zählte nicht zuletzt Braun selbst, der innerhalb der SPD und besonders in Preußen eine weithin geachtete, starke Persönlichkeit darstellte, der man zutraute, angesichts der verbreiteten Unruhen die Ordnung wiederherzustellen. So war es nur eine Frage der Zeit, wann der preußische Landwirtschaftsminister zu höheren Ämtern berufen werden würde. Seine Stunde kam, als der KappPutsch im Frühjahr 1920 das Reich in neue Turbulenzen stürzte. Anlass für den Putsch, bei dem der Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp, ein höherer Beamter der ostpreußischen Provinzialverwaltung, sich selbst zum Reichskanzler erklärte, war das Bekanntwerden von Regierungsplänen zur Auflösung der Freikorps-Verbände und zur Heeresverminderung mit der beabsichtigten Entlassung von 20 000 Offizieren und 40 000 Soldaten. Truppenteile unter General

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Bewaffnete Posten der Lüttwitz-Truppen, März 1920.

Walther von Lüttwitz und Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt marschierten daraufhin am Morgen des 13. März 1920 mit schwarz-weiß-roten Fahnen von Döberitz nach Berlin, besetzten das Regierungsviertel und proklamierten eine neue Regierung mit Kapp als neuem Reichskanzler.12 Entgegen dem Drängen Brauns, sofort Widerstand zu leisten, wich die eigentliche Reichsregierung auf Anraten der Mehrheit der Reichswehrbefehlshaber schon vor der Ankunft der Putschisten nach Dresden und von dort weiter nach Stuttgart aus, und auch Braun sah sich schließlich zur Flucht aus Berlin gezwungen. Die »Regierung Kapp« wurde allerdings durch einen Generalstreik und das abwartende Verhalten der Beamten während der Wochenendruhe am 13./14. März lahmgelegt und lief ins Leere. Am 17. März brach der Putsch, der bis dahin unblutig verlaufen war, zusammen. Kapp setzte sich mit Lüttwitz nach Schweden ab, und die Brigade Ehrhardt zog aus Berlin ab. Am Brandenburger Tor kam es dabei noch vereinzelt zu Gewaltausbrüchen – ebenso wie im Ruhrgebiet sowie in Sachsen und Thüringen, wo sich die beim Generalstreik bewaffneten Arbeiter angesichts der Ereignisse in Berlin weigerten, die Waffen abzugeben, und an

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mehreren Orten, so in Essen, Elberfeld und Düsseldorf, kommunistische Aufstände probten. Unterdessen kehrte die Reichsregierung am 20. März aus Stuttgart in die Hauptstadt zurück und stellte die Ruhe unter Einsatz von Reichswehreinheiten bald auch in den anderen Teilen des Reiches wieder her. Schon einen Tag vorher, am 19. März, wurde Otto Braun mit offiziellem Auftrag von Reichspräsident Friedrich Ebert von Stuttgart nach Berlin entsandt, um »mit den Arbeitern sämtlicher sozialistischer Richtungen« zu verhandeln; die Arbeiter selbst und die Reichsregierung hatten darum gebeten. Braun gewann dadurch weiter an Profil, sodass ihm, nachdem Reichswehrminister Gustav Noske am 19. März zurückgetreten war, sogar dessen Nachfolge angeboten wurde. Doch Braun zog es vor, in Preußen zu bleiben, und übernahm im Zuge der Neubildung der Reichsregierung und der preußischen Regierung, die mit einer Säuberung der Verwaltung und der Reichswehr von Kapp-Sympathisanten einherging, nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Hirsch am 26. März und kurzen Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, DDP und Zentrum am 29. März das Amt des preußischen Regierungschefs. Zwölf Jahre lang, bis März 1933, sollte er dieses Amt nun mit nur zwei kurzen Unterbrechungen bekleiden.

Beginn einer neuen Ordnung Die Koalitionsregierung, der Braun in Preußen vorstand, wurde von den gleichen Parteien gebildet, die ein Jahr zuvor, am 19. Januar 1919, bei der Wahl zur Nationalversammlung eine klare Mehrheit erreicht hatten. Die Nationalversammlung in Weimar hatte inzwischen am 31. Juli 1919 mit 262 gegen 75 Stimmen die neue Reichsverfassung verabschiedet, die ein parlamentarisches Regierungssystem mit einem starken, vom Volk direkt gewählten Reichspräsidenten vorsah, der mit Hilfe des Artikels 48 sogar in die Lage versetzt wurde, Grundrechte vorübergehend außer Kraft zu setzen und Maßnahmen »zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« zu treffen, wenn er dies für notwendig hielt. Der Reichskanzler und die Reichsminister bedurften zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstages und mussten zurücktreten, wenn ihnen der Reichstag das Vertrauen entzog. Die Verfassung, die stark plebiszitäre

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Züge trug und auch die Möglichkeit eines Volksentscheides enthielt, war also sehr liberal. Manche sprachen sogar von der »freiesten Verfassung der Welt«.13 Die Tatsache, dass die Macht bei denjenigen Verfassungsorganen konzentriert war, die vom Volk direkt gewählt wurden – beim Reichstag und (vor allem in Krisenzeiten) beim Reichspräsidenten –, sollte sich allerdings später als schwere Bürde erweisen, da die plebiszitären Elemente auch missbraucht werden konnten, um die politische Ordnung zu untergraben und Demokratie und Freiheit zu zerstören. Problematisch für die Weimarer Republik waren ebenfalls die Bestimmungen der alliierten Friedenskonferenz, die seit dem 18. Januar 1919 – dem Gedenktag der deutschen Kaiserproklamation von 1871 – in Paris getagt hatte. Die ausgehandelten Bedingungen wurden am 7. Mai 1919 einer deutschen Delegation unter der Leitung von Außenminister Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau im Palasthotel Trianon in Versailles übergeben. Der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau, beseelt vom Gedanken der Revanche, erklärte dabei voller Hass und Verachtung: »Meine Herren Delegierten des Deutschen Reiches! [...] Die Stunde der schweren Abrechnung ist gekommen. Sie haben uns um Frieden gebeten. Wir sind geneigt, ihn Ihnen zu gewähren. Wir überreichen Ihnen hiermit das Buch, das unsere Friedensbedingungen enthält.«14 Die deutsche Delegation konnte in den folgenden Wochen schriftlich Einwände und Gegenvorschläge einbringen. Verhandeln konnte sie nicht. Zwar wurden einzelne Vertragsbestimmungen noch leicht geändert. Doch die Milderungen blieben gering. Am 16. Juni standen die endgültigen Bestimmungen fest, die Deutschland innerhalb von sieben Tagen anzunehmen hatte. Kernpunkt war der Artikel 231, in dem es hieß, dass Deutschland und seine Verbündeten »als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich« seien, »welche die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungen wurde, erlitten« hätten. Zusätzlich sollten die Deutschen zahlreiche Gebiete abtreten und weitreichende Rüstungsbeschränkungen hinnehmen, darunter die Reduzierung der deutschen Armee auf 100 000 Mann und die militärische Besetzung des linken Rheinufers sowie einiger rechtsrheinischer Brückenköpfe für die Dauer von 15 Jahren. Der Vertrag, der auch unter den Alliierten nicht unumstritten war, wurde in Deutschland keineswegs nur in

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Otto Braun (Mitte) auf dem Weg zur Nationalversammlung, Weimar 1919.

rechtsgerichteten und nationalen Kreisen mit Empörung zur Kenntnis genommen. Vor allem der »Kriegsschuldartikel« 231, der zugleich die Begründung für die Reparationsforderungen enthielt, erregte die Gemüter. »Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns in solche Fesseln legt?« fragte deshalb Reichskanzler Scheidemann, der sich während des Krieges für einen Frieden des Ausgleichs ohne Annexionen eingesetzt hatte und nun diesen Vertrag unterzeichnen sollte, am 12. Mai vor der Nationalversammlung. »Dieser Vertrag ist nach Auffassung der Reichsregierung unannehmbar.«15 Danach trat er als Regierungschef zurück, um nicht unterschreiben zu müssen. Auch Otto Braun erklärte, der Vertrag sei ein »schamloser Betrug an einem Volke«16, votierte aber am Ende doch für eine Vertragsunterzeichnung, weil die Alliierten im Falle einer Nichtunterzeichnung mit einer Wiederaufnahme der Kampfhandlungen drohten. Die Folgen ließen allerdings nicht lange auf sich warten. Bis Mai 1921 sollte Deutschland einen ersten Teilbetrag von 20 Milliarden Goldmark an Reparationen zahlen. Im Januar 1921 wurde von der Reparationskommission zum ersten Mal auch eine Endsumme genannt: 226 Milliarden

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Otto Braun als Unterhändler. Bescheinigung des Reichspräsidenten vom 19. März 1920.

Goldmark, zahlbar in 42 Jahresraten, die schrittweise von zwei auf sechs Milliarden Goldmark ansteigen sollten. Drei Monate später wurde die Höhe der Reparationen zwar auf 132 Milliarden nach unten korrigiert. Man blieb jedoch bei einer Gesamtschadenssumme von 223,5 Milliarden, sodass weitere Forderungen nicht auszuschließen waren. Die Tatsache, dass die Reichsregierung unter Joseph Wirth (Zentrum) sich bemühte, den Forderungen so weit wie möglich zu entsprechen, um militärische Maßnahmen gegen Deutschland – etwa die alliierte Besetzung des Ruhrgebiets – zu vermeiden, trug ihr den Hass der antidemokratischen Rechten und den Vorwurf der »Erfüllungspolitik« ein, dem als erster der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger zum Opfer fiel, der 1918 den Waffenstillstand unterzeichnet hatte. Am 26. August 1921 wurde er von zwei ehemaligen Offizieren, Angehörigen des von Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt geleiteten Geheimbundes »Organisation Consul«, in Bad Griesbach im Schwarzwald ermordet. Aus Sicht von Otto Braun nahm damit die Bedeutung Preußens noch weiter zu. Angesichts der großen wirtschaftlichen Probleme, einer fortschreitenden,

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zuletzt sogar galoppierenden Inflation und andauernden politischen Spann­ ungen, deren Protagonisten selbst vor Mord nicht zurückschreckten, suchte er daher seine Position zu nutzen, um Preußen, das nicht nur hinsichtlich der Bevölkerungszahl, sondern auch flächenmäßig das mit Abstand größte Land im Reich darstellte, zu einem »demokratischen Bollwerk« auszubauen, das eine Vorbildfunktion für ganz Deutschland ausüben sollte. Brauns Vorteil gegenüber der Reichspolitik war dabei, dass die »Weimarer Koalition«, die ihn ins Amt gebracht hatte, stets eine starke Kraft im Landtag blieb – auch wenn sie zwischen 1924 und 1928 die Mehrheit knapp verfehlte. Bis 1924 gehörte zu dieser Koalition auch noch die DVP, die von 1920 bis 1931 ebenfalls in nahezu allen Reichsregierungen vertreten war. Gemäß der preußischen Verfassung wurde der Ministerpräsident vom Landtag gewählt und konnte nicht von einer höheren Instanz, wie auf Reichsebene der Kanzler vom Reichspräsidenten, gegen den Willen der Landtagsmehrheit im Amt gehalten werden. Braun konnte sich also stets – auch als Repräsentant einer Minderheitsregierung – auf eine parlamentarische Basis stützen, die von den Vorsitzenden der Regierungsfraktionen, Ernst Heilmann (SPD) und Joseph Heß (Zentrum), umsichtig organisiert wurde. Wichtige Verbündete Brauns waren zudem die beiden sozialdemokratischen Innenminister Preußens, Carl Severing und – seit 1926 – Albert Grzesinki. Zwar wurde Braun aufgrund seines autoritären Regierungsstils vielfach kritisiert und halb respektvoll, halb diffamierend als »Zar von Preußen« oder – wegen seiner linkssozialistischen Vergangenheit – als »roter Zar« tituliert. Aber gemeinsam mit der politischen Koalition, die ihn im Amt hielt, verlieh er Preußen eine Stabilität, an der es in der Weimarer Republik aufgrund der häufigen Koalitionsund Regierungswechsel auf Reichsebene mangelte. Politisch widmete sich Braun vor allem der Bodenreform, die ihm seit jeher ein wichtiges Anliegen gewesen war, und einer demokratischen Reform des Schulwesens. Von großer Bedeutung war für ihn auch die Neubesetzung der staatlichen Verwaltung und des Polizeiapparates mit republiktreuen Beamten, sodass schließlich fast alle Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten, Landräte und Polizeipräsidenten ausgewechselt wurden. Anders als in anderen Ländern wurden in Preußen auch konsequent Disziplinarmaßnahmen gegen Beamte ergriffen, die sich beim Kapp-Putsch illoyal verhalten hatten. Natürlich gab es gegen diese Politik auch Widerstände. So favorisierte das

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Wahlplakat der SPD zum ersten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl am 29. März 1925.

Zentrum in der Schulpolitik kirchlich gebundene Konfessionsschulen, während SPD und DDP auf religiös unabhängige staatliche Schulen drängten. Die Agrarpolitik Brauns erschien vielen – auch innerhalb der Koalition – als ein Feld »voller sozialistischer Experimente«. Und die Neubesetzung der Beamtenschaft ließ sich nur zum Teil durchführen, weil die Stellen entweder schon dauerhaft mit kaisertreuen Beamten besetzt waren oder geeignete Kandidaten mit einer entsprechenden Ausbildung und der nötigen Erfahrung für höhere Positionen fehlten. Zu den Erfolgsgeschichten der Regierung Braun zählte hingegen die Reorganisation der preußischen Polizei unter Wilhelm Abegg. Mit einer Kopfstärke von 50 000 Mann, guter Ausbildung und überwiegend republikanischer Gesinnung war sie vor allem in den konfliktreichen letzten Jahren der Republik eine wichtige Stütze der Regierung, bis sich unter dem kommissarischen Innenminister Hermann Göring nach dem 30. Januar 1933 alles änderte. Angesichts der Erfolge, die Braun in Preußen erzielte, verwundert es daher nicht, dass die SPD ihn 1925 als Kandidaten für das Amt des Reichspräsidenten nominierte, nachdem Friedrich Ebert überraschend verstorben war. Obwohl

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Braun im ersten Wahlgang mit 29 Prozent der Stimmen ein bemerkenswert gutes Ergebnis erzielte, trat er im zweiten Wahlgang nicht mehr an, sondern unterstützte den Zentrums-Politiker Wilhelm Marx, der ihn zeitweilig als Ministerpräsident in Preußen verdrängt hatte. Im Gegenzug verpflichtete sich das Zentrum, Braun wieder zum Ministerpräsidenten zu wählen – was auch am 3. April 1925 geschah.17 Doch Marx gelang es nicht, das rechtskonservative Lager für sich zu gewinnen. So setzte sich am Ende Paul von Hindenburg als Reichspräsident durch, mit dem Braun nicht nur, wie er später in seinen Memoiren rückblickend bemerkte, »auf einen gewissen amtlichen Verkehrsfluß« kam,18 sondern zu dem er auch ein überraschend gutes Verhältnis entwickelte. Ob dies an der gemeinsamen Jagdleidenschaft und ihren benachbarten Revieren in der Schorfheide lag, wie Burghard Ciesla meint, sei dahingestellt.19 Wichtiger war wohl die pragmatische Art, mit der Braun auf andere Menschen – auch jene mit einer anderen politischen Grundhaltung – zugehen konnte, ohne eigene Überzeugungen preiszugeben. Jedenfalls meinte selbst Hindenburg nach dem ersten Zusammentreffen respektvoll: »Meine Freunde in Hannover hatten mir gesagt, der Otto Braun sei ein fanatischer Hetzer. Jetzt sehe ich, daß er ein ganz vernünftiger Mensch ist, mit dem man über alles sprechen kann.«20 Als Braun im Oktober 1929 den rheinischen »Stahlhelm« verbieten ließ – einen Bund der Frontsoldaten, dem Hindenburg als Ehrenmitglied angehörte –, erlitt das gute Verhältnis jedoch einen nachhaltigen Schaden, der sich nie ganz reparieren ließ.

Die Ära der »Präsidialkabinette« Seit 1929 und vor allem nach dem Scheitern der Großen Koalition aus SPD und DVP und dem Rücktritt des Kabinetts unter dem sozialdemokratischen Reichskanzler Hermann Müller am 27. März 1930 wurde die Position Brauns allerdings zunehmend schwieriger. Der neue Reichskanzler Heinrich Brüning ließ von vornherein keinen Zweifel daran, dass er bereit war, mit Hilfe von Not»Männer, von denen das Schicksal Deutschlands abhängt«: ­Titelseite des New York Times Magazine, November 1930.

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verordnungen nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung und der Reichstagsauflösung nach Artikel 25 notfalls auch gegen das Parlament zu regieren. Die Ära der »Präsidialkabinette« begann. Aber die Lage war für Brüning tatsächlich kompliziert, da nach dem Zusammenbruch der Aktienkurse an der New Yorker Börse am 24. Oktober 1929 eine Weltwirtschaftskrise begonnen hatte, die auch Deutschland mit rasch wachsender Arbeitslosigkeit erfasste. Obwohl die SPD und auch Braun die Strategie der Notverordnungen eigentlich ablehnten, unterstützten sie daher im Reichstag die Politik Brünings, während das Zentrum im Gegenzug Brauns Regierung in Preußen im Amt hielt, wobei es nicht zuletzt darum ging, den Vormarsch der Nationalsozialisten aufzuhalten. Schließlich hatte die NSDAP bei der Reichstagswahl am 14. September 1930 mit 18,3 Prozent gegenüber 1928, als sie mit nur 2,6 Prozent und zwölf Mandaten nicht mehr als eine Splitterpartei gewesen war, die Zahl ihrer Sitze fast ver­neunfacht und stellte nun mit 107 Abgeordneten die zweitstärkste Fraktion hinter der SPD im Reichstag. In einer Rundfunkrede vom 17. Dezember 1930 begründete Braun daher seine Zustimmung zur Notverordnungspolitik Hindenburgs und Brünings mit dem »Notstand« der nationalsozialistischen Bedrohung. Wörtlich erklärte er: »Das gesamte öffentliche Leben Deutschlands befindet sich in einer schweren Krise. […] Ich habe zur Amtszeit des ersten Reichspräsidenten, meines verstorbenen um Deutschland hochverdienten Freundes, Friedrich Ebert, wie in den letzten Jahren stets gegen jeden Mißbrauch der sehr dehnbaren und auslegungsfähigen Bestimmungen des Artikels 48 der Reichsverfassung gekämpft. Ich wollte und will den demokratischen Grundgedanken der Verfassung nicht dadurch in sein Gegenteil verkehren, daß auf diesem Wege unter Umständen der Willkür Tür und Tor geöffnet wird. Aber Voraussetzung ist und bleibt immer, daß der hauptsächlichste Machtfaktor, den die Verfassung kennt, das aus dem Volke hervorgegangene Parlament, willens und fähig ist, die ihm von der Verfassung gewiesenen Aufgaben und die für das Volk lebenswichtigen Arbeiten zu erledigen. Erweist sich das Parlament z.T. infolge seiner Durchsetzung mit antiparlamentarischen Gruppen dazu als unfähig, dann, aber auch nur dann, muß das politische SOS-Notzeichen gegeben werden, dann muß das

Braun als Hoffnungsträger der »Eisernen Front«. Illustrierte Republikanische Zeitung, nach 1931.

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Notventil der Verfassung für so lange Zeit geöffnet werden, bis der akute Notstand beseitigt ist, den das Parlament nicht meistern konnte, oder nicht meistern wollte.«21

»Eine Wahl treffen, die unserem Preußen zum Segen gereicht« Rückendeckung erhielt Braun bei seiner Politik in Preußen jetzt insbesondere wieder von Carl Severing, der bereits von 1920 bis 1926 preußischer Innenminister gewesen war, im zweiten Kabinett Müller von 1928 bis 1930 das Amt des Reichsinnenministers bekleidet hatte und in der Endphase der Republik von 1930 bis 1932 wieder als preußischer Innenminister fungierte.22 Alle Maßnahmen Brauns und Severings konnten jedoch nicht verhindern, dass die Gegner der Republik, die zugleich erbitterte Feinde Brauns waren, sich immer mehr formierten. So sehr sie sich ideologisch voneinander unterschieden, so sehr waren sie in ihrem Kampf gegen die Demokratie einig. Exemplarisch zeigte sich dies 1930, als DNVP und KPD im Reichstag einen gemeinsamen Misstrauensantrag gegen die Regierung Brüning einbrachten, und 1931, als der »Stahlhelm« mit Unterstützung von NSDAP, DNVP, DVP und KPD ein Volksbegehren zur Absetzung der Regierung Braun in Preußen durchzubringen suchte. Welche Macht die antidemokratischen, antiparlamentarischen Kräfte inzwischen auch in Preußen darstellten, bewiesen die Landtagswahlen am 24. April 1932, als die »Weimarer Koalition« erneut die Mehrheit verfehlte. Schlimmer noch: Die Nationalsozialisten steigerten ihren Anteil von 2,9 auf 36,3 Prozent der Wählerstimmen und ließen die SPD mit 21,2 Prozent weit hinter sich. Rechnete man die Stimmen der NSDAP und der DNVP sowie weiterer rechter Splittergruppen zusammen, fehlten ihnen nur neun Sitze zur absoluten Mehrheit. Am Vortag der Wahl, also am 23. April, hatte Braun in einer Rundfunkrede die Wähler noch einmal eindringlich vor den Folgen ihrer Entscheidung gewarnt: »Sie haben, meine Damen und Herren, morgen eine schwere und folgenreiche Entscheidung zu treffen. Sie können durch Ihre Wahl bestimmen, daß diejenigen Kräfte am Ruder bleiben, die, abhold allen Abenteuern und gefahrvollen Experimenten, nach dem Programm der Vernunft, dabei gewiß aber mit einem Herzen voll heißer Liebe zu unserem Volk und unserem Land,

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Otto Braun und Rudolf Breitscheid bei der Preußischen Landtagswahl vom 24. April 1932.

das Geschaffene erhalten und weiter ausbauen wollen. Sie können aber auch bestimmen, daß an die Stelle des in ruhiger und steter Arbeit Geschaffenen der Wille tritt, den Sprung ins Dunkle und Ungewisse zu tun und der Vernunft und dem Verantwortungsgefühl eine Absage zu erteilen. Ich hoffe und vertraue auf den staatspolitischen Sinn und auf den Gemeinschaftsgeist der preußischen Wähler und Wählerinnen, daß Sie – Ihrer schweren Verantwortung voll bewußt – eine Wahl treffen werden, die unserem Preußen zum Segen gereicht!«23 Doch der Appell nutzte nichts. Für das bisher so stabile Preußen bedeutete das Wahlergebnis eine Katastrophe. Zudem trat Reichskanzler Brüning am 30. Mai 1932 nach schweren Differenzen mit Reichspräsident Hindenburg zurück und wurde durch Franz von Papen ersetzt, der nun ein »Kabinett der Barone« bildete und allein vom Vertrauen Hindenburgs und der Tolerierung durch die NSDAP getragen war.24 In Preußen blieben Braun und sein Kabinett gemäß Artikel 59 der Landesverfassung zwar geschäftsführend im Amt, da es für eine neue Regierung keine parlamentarische Mehrheit gab. Aber Braun war jetzt nicht nur politisch, sondern auch persönlich angeschlagen. Sein 60. Geburts-

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Flugblatt der SPD zur ­Preußischen Landtagswahl am 24. April 1932.

tag am 28. Januar 1932 war in der Presse noch gefeiert worden. Er selbst war jedoch schon zu diesem Zeitpunkt pessimistisch und gesundheitlich so sehr geschwächt, dass er bereits seinen Abschied von der Politik plante.25 Inmitten des anstrengenden Wahlkampfes hatte er überdies in der Nacht vom 22. zum 23. April einen körperlichen Zusammenbruch erlitten. Nach der Wahl übergab er daher die laufenden Amtsgeschäfte an den Zentrumspolitiker Heinrich Hirtsiefer und zog sich in sein Haus in Berlin-Zehlendorf zurück, um sich zu erholen. Dort überbrachte ihm am Morgen des 20. Juli 1932 ein Ministerialbeamter aufgrund einer Notverordnung des Reichspräsidenten das Entlassungsschreiben von Reichskanzler Franz von Papen, der mit dem sogenannten »Preußenschlag«, von dem an anderer Stelle in diesem Band noch ausführlich die Rede ist, selbst die Macht in Preußen übernahm. Braun blieb zwar nominell Ministerpräsident. Doch seine Befugnisse wurden auf Reichskommissare übertragen, die unmittelbar Papen unterstanden. Papen selbst rechtfertigte sein Verhalten später in seinen Memoiren mit der Bemerkung, es hätte »wenig Sinn« gehabt, »im Reiche zu einer besseren Ordnung der Dinge zu schreiten, wenn sie nicht gleichzeitig auch in Preußen hergestellt werden konnte«.26

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