Leseprobe "Himmlers Germanenwahn"

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Inhalt

Einleitung 7 Weichenstellung 1935

Der Kampf um die Deutungshoheit über die deutsche Geschichte 11 Der Irrweg zu einer »deutschen« Wissenschaft

Ideologische Verblendung statt kritischer Diskussionen 49 »Es ist überhaupt alles Eis«

Die Faszination der NS-Spitze für die obskure Welteislehre 69 Himmlers absurde Gedankenwelt

»Germanien« als Wiege aller Kultur 83 Heinrich I. – Rädchen in Himmlers Machtspiel

Vorbild als Baumeister »eines wirklich deutschen Reiches«

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Öl, Gold und Indianerpflanzen

Die hektische Suche nach zusätzlichen Ressourcen 129 Kunstraub in besetzten Gebieten

Vom einfachen Diebstahl bis zum zerstörten Museum 143 August Hirt und die Straßburger Skelettsammlung

Ein dunkles Kapitel: Die Perversion medizinischer Forschung 155

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Sigmund Rascher – Henker im Arztkittel

»Humanversuche« an KZ-Häftlingen 175 »… bis sie erstarrten …«

Unterkühlungsversuche mit unvorstellbarer Brutalität 185 »L-Versuche« in Natzweiler

Schwerste Verbrennungen durch Experimente mit Senfgas 207 Biologische Kriegsführung gegen Häftlinge

Versuche mit Fleckfieber-, Malaria- und weiteren Erregern 217 Nachwort 229 Anhang

Dokumente 233 Namensverzeichnis 237 Archive 243 Bildnachweis 244 Literatur 245 Abkürzungen 246 Zitierhinweis 247 Anmerkungen 248

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Einleitung

Heinrich Luitpold Himmler ist den meisten Menschen – wenn heute überhaupt noch – als »Reichsführer-SS« ein Begriff, als ein Mann, der Herr über die Konzentrationslager der Nationalsozialisten war, der Millionen Menschen, zumeist Juden, brutal ermorden ließ und der mit Hilfe der SS seinen Hass insbesondere auf Polen auslebte. Am 7. April 1900 in München in eine bürgerlich-katholische Familie hineingeboren, war Himmler keinesfalls in die Wiege gelegt, dass er zum gefürchteten Massenmörder werden würde. Sein Vorname Heinrich verwies auf seinen Taufpaten, Prinz Heinrich von Bayern, an dessen Erziehung sein Vater Gebhard beteiligt gewesen war. »Heinrich« – dieser Name sollte für ihn noch von erheblicher Bedeutung werden, denn er sah sich später in der Nachfolge des ersten Ottonen-Königs Heinrich I. und wollte dessen Grabstätte in Quedlinburg zur nationalen Weihestätte ausbauen. Vor allem wollte er das vermeintliche germanische Erbe Deutschlands wiederbeleben und griff hemmungslos zum Mittel der Geschichtsfälschung, um Germanien – was immer er darunter verstand − als Wiege aller Kultur darzustellen. Himmler, der in München Landwirtschaft studiert hatte, konnte auf eine beachtliche Parteikarriere verweisen. Mit 25 Jahren war er bereits Reichsredner der NSDAP und stieg in wenigen Jahren bis in die Spitze der SS auf, die er zu einem nordisch-germanischen Orden entwickeln wollte und aus der er ein brutales Einschüchterungs- und Mordinstrument schuf. Am 20. April 1934 wurde er von Göring zusätzlich zum Leiter des Gestapo Berlin ernannt. Als Dank für seine Loyalität belohnte ihn Hitler im August desselben Jahres mit dem Titel eines »Reichsleiters der NSDAP«. Damit gehörte er zur obersten Führungsriege der Nationalsozialisten. 7

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Himmler war allerdings noch längst nicht am Ende der Karriereleiter angelangt. Nach einem Hitler-Erlass vom 17. Juni 1936 war er nun auch Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern. Dass er 1943 Reichsinnenminister wurde, war nahezu zwangsläufig. 1936 hatte er die Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung als Sonderabteilung der Polizei gegründet. Zudem war er Vorsitzender des Lebensborn e.V., der die Mutterschaft jeder deutschen Frau beschwor und sich – natürlich nur für den »Führer« – auch für die uneheliche Mutterschaft und möglichst viele Kinder einsetzte, sofern Frauen und Erzeuger »reinen Blutes« waren. Damit nicht genug: Am 7. Oktober 1939 wurde Himmler als »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« für die Vertreibung der Polen und die »Eindeutschung« der besetzten Gebiete in Polen zuständig, einer Aufgabe, der er mit Inbrunst nachging. Es können hier bei weitem nicht alle Ämter aufgeführt werden, die Himmler im Laufe seines 45-jährigen Lebens ausübte. In diesem Buch geht es vor allem um die »Studiengesellschaft ›Deutsches Ahnenerbe‹ e.V.«, die Himmler 1935 initiierte und der er als Präsident bzw. Kurator vorstand. Dieser Verein, der bald einen halbamtlichen Charakter annahm, gab ihm nicht zuletzt die Möglichkeit, seinen germanischen Fantastereien nachzugehen. Als das Ahnenerbe später als »Amt A« in den Persönlichen Stab des Reichsführers-SS eingegliedert wurde, ergaben sich für Himmler trotz des Krieges und der damit verbundenen Bewirtschaftung der meisten Ressourcen ungeahnte Möglichkeiten. Er nutzte sie zur Verbreitung und Förderung so abwegiger Theorien wie der Welteislehre des Österreichers Hanns Hörbiger, zum Nachbau germanischer Rennwagen oder zum Nachguss germanischer Luren, mit denen die Musikkorps der SS »bereichert« werden sollten. Auf den ersten Blick mag das Ahnenerbe als harmlose Einrichtung erscheinen, die zwar Kräfte band, aber wenig Schaden anrichtete. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs änderten sich jedoch Charakter und Aufgaben dieser Institution schlagartig. Denn Himmler rief ein sogenanntes »Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung« ins Leben, das für Menschenversuche verantwortlich war − vorwiegend in 8

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den Himmler unterstehenden Konzentrationslagern −, die an Grausamkeit kaum zu überbieten waren. Während sich das Ahnenerbe also auf der einen Seite um Aufgaben wie die Dokumentation färöischer Reigentänze sorgte, suchten gleichzeitig Ahnenerbe-»Ärzte« nach Möglichkeiten, die abgetrennten Köpfe eigens für diesen Zweck ermordeter Juden aus dem KZ Auschwitz an die Reichsuniversität Straßburg zu schaffen, um dort die Anatomische Sammlung von Professor Walter Hirt zu ergänzen. Menschen wurden von »Ärzten« wie Sigmund Rascher »Höhenflugversuchen« ausgesetzt, bis es ihre Lungen zerriss, sie wurden mit Fleckfieber und Malaria infiziert, bis zum Tod unterkühlt und Opfer von Kampfmittelversuchen. Verbrecherische Mediziner wie Hirt, Rascher oder Kurt Plötner, die unter Himmlers »Schirmherrschaft« mordeten, standen mit ihren grausamen »Humanversuchen« dem ungleich bekannteren Josef Mengele in nichts nach. Es gab keinen Versuch, der zu grausam gewesen wäre, als dass Wissenschaftler des Ahnenerbes in Himmlers Auftrag ihn nicht durchgeführt hätten. Nicht weniger erschreckend ist die Feststellung, dass eine Reihe der »Ärzte«, die diese Verbrechen begangen hatten, auch nach dem Krieg noch tätig sein durften. Rascher wurde kurz vor der deutschen Kapitulation von der SS getötet, Hirt beging Selbstmord – aber die meisten ihrer skrupellosen Kollegen praktizieren nach dem Krieg weiter, als wäre nichts gewesen. Kein Wunder, denn das Ahnenerbe war von den alliierten Richtern in Nürnberg nicht als verbrecherische Organisation eingestuft worden. Lediglich Reichsgeschäftsführer Wolfram Sievers wurde im Rahmen der sogenannten »Ärzteprozesse« zum Tod verurteilt. Ein solches Urteil hätte viele andere der an den Menschenversuchen Beteiligten auch treffen müssen. Wie an diesem Beispiel deutlich wird, gibt es in der Aufarbeitung des Nationalsozialismus weiterhin erhebliche Lücken. Sieht man von einem einzigen Werk ab, dem von Michael H. Kater aus dem Jahr 1974, hat die SS-Organisation Ahnenerbe bisher nicht die angemessene Beachtung erfahren. Ihre Aktivitäten wurden nicht zur Kenntnis genommen, belächelt oder – wie die grausamen »Humanversuche« in den Konzentrationslagern – anderen zugeschrieben. Ähnliches gilt auch 9

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für das gleichermaßen absurde wie erschreckende Bemühen Himmlers und seiner Helfer, die deutschen Universitäten zu infiltrieren und eine »deutsche Wissenschaft« zu begründen, die aus ideologischen Gründen den Stand der Forschung ignorierte und auf allen Fachgebieten buchstäblich »das Rad neu erfinden« sollte. Das Ahnenerbe war ein Teil der Klaviatur, auf der Himmler spielte. Und als solches ist es bislang noch nicht ernst genug genommen worden. Den unheilvollen Charakter der vermeintlich harmlosen Organisation Ahnenerbe zu beschreiben, ist Anliegen dieses Buches. Himmlers »Studiengesellschaft« war auch, aber nicht nur die Ansammlung von Fantasten, die davon überzeugt waren, die ostasiatische Kultur habe ihre Wurzeln im Ostseeraum gehabt, und die glaubten, Theoderichs Grabmal in Ravenna sei ein »germanisches« Bauwerk. Auch sie machten das Ahnenerbe aus. Wesentlicher aber ist, dass das Ahnenerbe Menschen für die »wehrwissenschaftliche Zweckforschung« tötete – roh und gefühllos, wie es nur Menschen tun können. Volker Koop

Berlin, im Herbst 2012

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Man dürfe nicht davor zurückschrecken, „die Grundthesen der Naturwissenschaft und Mathematik (…) anzugreifen“ – so die Herausgeber dieser Broschüre.

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»Es ist überhaupt alles Eis« Die Faszination der NS-Spitze für die obskure Welteislehre

Am 17. Mai 1936 kam es im chinesischen Lungsi-Gebiet südlich von Lanchow zu einem ungewöhnlichen Hagelfall. Nach Zeitungsmeldungen wog der größte Eisblock etwa 60 kg, andere Stücke erreichten ein Gewicht von bis zu 15 Kilogramm. Eine chinesische Zeitung veröffentlichte ein Foto des 60-kg-Eisblocks mit einer Anzahl vom Hagel erschlagener Tauben und Krähen im Vordergrund. SS-Untersturmführer Paul Burkert meldete Himmlers Persönlichen Stab diesen Vorfall am 5. Februar 1937.1 In dem Bericht der Beobachter habe es ausdrücklich geheißen, »dass zwar Wolken am Himmel waren, aber ein großes fast viereckiges Stück blauer Himmel an der Stelle des Eisfalles«. Himmler zeigte sich tief beeindruckt, denn der Vorgang schien ihm ein weiterer Beweis für die Richtigkeit der Welteislehre zu sein. Der Hagelfall in China beschäftigte Himmlers engste Mitarbeiter wochenlang. So hatte SS-Obersturmbannführer Rudolf Brandt dem chinesischen Botschafter in Berlin, Tien-Fong Chen, Himmlers Bitte übermittelt, dem außergewöhnlichen Unwetter in Lungsi nachzugehen, und dies so begründet:2 »Da sich der Reichsführer-SS in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Bundes Deutscher Diplomlandwirte für derartige Naturereignisse außerordentlich interessiert, lässt er durch mich bei Ihnen anfragen, ob der zuständige Bürgermeister in Lungsi (Kansu) durch Ihre Regierung zur Abgabe einer amtlichen Darstellung über die Naturereignisse aufgefordert werden kann.« Tatsächlich interessierte sich Himmler weniger als »Diplomlandwirt« für das ungewöhnliche Naturereignis als vielmehr als Anhänger der absurden Welteislehre – kurz: WEL – des Österreichers Hanns Hörbiger. Der 1860 geborene Hörbiger war Ingenieur und hatte zum ausgehenden 19. Jahrhundert Erfahrungen aus der Wärmetechnik ge69

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nutzt, um daraus zusammen mit dem Amateurastronomen Philipp Fauth die WEL zu entwickeln. Hörbiger war der Vater der Schauspieler Attila und Paul; die Stadt Wien benannte ihm zu Ehren die Johann-Hörbiger-Gasse. Die Hörbiger-Holding, die auf ihn zurückgeht, ist Weltmarktführer bei Komponenten für Kompressoren. Der Mann hatte also durchaus Verdienste, wenngleich er sich in die Idee der Welteislehre verrannte und vor allem in Himmler einen begeisterten Anhänger fand. Der Reichsführer-SS hatte die Mittel, mit Hilfe des Ahnenerbes die Plausibilität der Welteislehre zu ergründen. Dies konnte allerdings kaum gelingen und mit Ende des Zweiten Weltkriegs waren ohnehin alle derartigen Bemühungen hinfällig. Kein seriöser Wissenschaftler hat die WEL jemals ernsthaft diskutiert. Wenn man betrachtet, dass auf der einen Seite deutsche Wissenschaftler beispielsweise in der Kernphysik führend waren, mag man kaum glauben, dass auf der anderen Seite solch abstruse Lehren wie die WEL überhaupt ernst genommen wurden. Hörbigers Hauptwerk war die »Glacialkosmogonie«, 1913 von Philipp Fauth herausgegeben. Darin schrieb der Autor:3 »Die Glacialkosmogonie ist keine Konstruktion, sie ist eine hehre Gabe. In bittersten Nöten der Seele wurde vor zwei Dezennien ein Gesicht empfangen, dessen kosmische, abgrundferne Tiefe den Körper in krankhaften Schauern erzittern machte. Die heiße Sehnsucht nach Verständnis in der gelehrten Welt blieb ungestillt; einem Liebhaber der Wissenschaft blieb es vorbehalten, den zähen Kampf zur Überwindung eines ungeheuren Wissensstoffes von exakten Ergebnissen der Astronomie, Meteorologie, Geologie und Paläontologie mitzukämpfen bis heute.« Hörbiger war überzeugt: »Es ist überhaupt alles Eis, was wir außer der Sonne und den leicht selbstleuchtend identifizierbaren Fixsternen mit beliebig großen Reflektoren, Refraktoren und Photographenapparaten am Himmel oben ausfindig machen können. Aber dem verantwortungslosen und beneidenswert gedankenfreien Astronomen fehlt hierzu der Glaube, obwohl er die Botschaft im Flüstertone schon mehrmals vernommen hat. Mag er den sonnennahen Merkur oder einen photosphärenstreifenden Ko70

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Der »Schöpfer« der Welteis­ lehre, Hanns Hörbiger (1860 –1931), hier mit seinem Sohn Hans Robert Hörbiger.

meten, mag er Venusflecke, Mondvulkane, Marskanäle, Jupiterstreifen, Saturnringe oder Neptunmonde oder das pseudoplanetarische Gewölke aphelbeharrender4 Kometen (…) unter das Fadenkreuz nehmen (…): Es ist alles Eis, was er sehen mag, fahl im reflektierten Fixsternlicht leuchtendes Eis.« Hörbiger meinte dann weiter: »Also Wasser und immer wieder Wasser um die heliotischen Kerne der inneren Planeten, sodass sie davon mehr als ersäuft werden – und nur die Erde ist heute noch allein trocken, wenigstens so gut wie trocken. Hier liegt kein Problem im physikalischen Sinne vor, sondern ein wunderbarer Zustand, ein dermaßen einzig dastehender Ausnahmefall, dass sich die Philosophie dieses Teiles unserer Feststellung annehmen muss, um ihn in ihrem Sinne und zu ihren Zielen zu erarbeiten. Uns liegt nur die Pflicht ob, den Tatbestand und den Hergang aufzuklären.« Der Ursprung der Welteislehre bestand also nicht in ernsthaften wissenschaftlichen Forschungen, sondern Hörbiger hatte ein »Gesicht« gehabt. Der deutsche Astronom Robert Henseling hatte Recht, wenn er meinte, es sei keine Naturwissenschaft entstanden, sondern 71

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»Leicht und ohne der Natur Gewalt anzutun, lüften sich die Schleier vor den Geheimnissen großer Erdgeschehen.« – Illustration aus »Die Grundzüge der Welteislehre«.

ein Naturmythos. Damit war die WEL wie geschaffen für Nationalsozialisten, die beispielsweise Hitler auch als von der Vorhersehung gesandt betrachteten. Die Welteislehre kann man kaum verstehen, sie muss aber ein wenig ausführlicher beschrieben werden, um nachzuvollziehen, womit sich auch das Ahnenerbe befasste. Ihre Grundzüge wurden 1939 folgendermaßen beschrieben:5 Eis sei ebenso ein Weltenbaustoff wie die Fixsternmasse, aus der die Erde besteht. Es gebe Heißgestirne aus glühend heißer Fixsternmasse wie die Sonne und Eisgestirne wie die Planeten Jupiter, Uranus und Neptun, die vorwiegend aus Wasser und Eis bestünden. Merkur, Venus, Erde und Mars würden dagegen von Fixsternschlacke gebildet. Sie seien mit einer dicken Eisschicht bedeckt, nur die Erde stelle eine Ausnahme dar. Der Mond besitze – so Hörbigers »Lehre« – einen großen Kern schwerer Fixsternmasse, um ihn habe sich ein etwa 200 km tiefer uferloser, bis auf den Grund aus72

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gefrorener Eisozean gelegt. »Alles, was wir auf dem Mond sehen, sieht nicht nur aus wie Eis, sondern ist aus Eis.« Hörbiger und sein Anhänger Otto Ebelt waren ferner überzeugt, der Weltraum sei mit »Weltäther« gefüllt: »Alle Weltkörper, die das Weltall durchstürmen, werden durch den Widerstand des Äthers abgebremst. Nach der Welteislehre sind dadurch schon viele Monde auf die Erde niedergeschlagen, auch der jetzige wird die Quartärzeit beenden. In der Tertiärzeit hatte der Mond die Erde in 3,5 Stunden umlaufen. Seine Eiskruste konnte den auf das 15.000fache angewachsenen Zerreißkräften der Erde nicht mehr standhalten. Die Kruste brach und löste sich in zwei gewaltige Ringe aus Eisblöcken auf, die schnell an die Erde heranschrumpften. Eisblock auf Eisblock sauste in spiraliger Bahn heran und wurde durch den Widerstand der Erdlufthülle in Milliarden Teile zersplittert und fiel als unendlicher Hagel auf die unglückliche Erde herab. Darauf folgte die erdige Schale des Mondes als Schlammregen, dessen Überreste wir heute als Löss sehen, und schließlich der Kern des Mondes als Gesteins- und Eisenschlackenhagel. Trotz aller erlittenen Schrecken war der Leidenskelch für die Bewohner der Erde noch nicht geleert, denn eine furchtbare Heimsuchung stand dem größten Teile von ihnen noch bevor. Der nahe an die Erde herangeschrumpfte Mond hatte durch seine Kraftanwirkung die Ozeanfluten der Erde in den Äquatorgebieten zu einer schmalen hohen Gürtelflut aufgetürmt. Jetzt gab es keinen Mond mehr. Die Wassermassen gehorchten jetzt allein dem Gesetz der Erdschwere und rollten ihren alten Betten in den höheren Breiten zu. In zwei gewaltigen Ringfluten wälzten sich die Ozeane vom Äquator den Polen zu und zerstörten als die bekannte Sintflut nahezu alles Leben, das sie auf ihrem Wege fanden.« Nach der WEL bestand die »Milchstraße aus lockerem Schnee- und Eisgewölke. (…) Infolge des Widerstandes des Weltraumwasserstoffs lösen sich dauernd Schnee- und Eisblöcke. Sie geraten in den Schwerebereich der Sonne und werden zu ihr emporgezogen«. Es müsse also, folgerte Ebelt, »der Form des vorderen Milchstraßenringes entsprechend, dauernd eine Art Eisschleier aus Eisballen bestehen, der wie ein hochgehobenes Zeltdach aussieht und dessen Spitze die Sonne 73

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bildet. Diese uns nahe Eismilchstraße ist zu unterscheiden von der sogenannten Glutmilchstraße, die bereits tief in den Fixsternraum vorgedrungen ist. Sternschnuppen sind Eiskörper, die zur Sonne ziehen. Große Blöcke stürzen in die Sonne, bekommen eine Schlackenschale, aus deren Poren ein ungeheurer Dampfstrahl solange entweicht, bis der Block zersetzt ist. Da dieser Dampfstrahl kälter ist als die glühende Sonnengase, wird er von der Erde als Sonnenfleck wahrgenommen. Die Ingenieurwissenschaft, insbesondere die deutsche, aber sollte stolz darauf sein, dass es einer der ihrigen war, der zuerst mit kühner Hand die Technik in das Weltall hineinstellte, der zeigte, dass ohne technisches Wissen und ohne technisches Können die großen Rätsel des Weltgeschehens nicht zu lösen sind.« Dass eine solche »Lehre« auf mehr Widerstand als Zustimmung stoßen musste, liegt auf der Hand. Auf der anderen Seite war Himmler ihr Anhänger, sodass es wenig opportun schien, sich offen gegen sie auszusprechen und damit Himmlers – und möglicherweise auch Hitlers – Sachverstand in Zweifel zu ziehen. Ein Text aus dem Amt von Alfred Rosenberg aus dem Jahr 1937 macht deutlich, in welchem Dilemma sich die Zweifler an der Richtigkeit der WEL befanden:6 »Die Welteislehre von Hanns Hörbiger wurde in letzter Zeit durch verschiedene Veröffentlichungen wieder in den Vordergrund gerückt. Vom nationalsozialistischen Standpunkt aus stellt die Welteislehre ein naturwissenschaftliches Problem dar, dessen ernste Prüfung und wissenschaftliche Untersuchung jedem Forscher frei steht.« Ein Vierteljahr später ging Rosenberg im Kontext der WEL erneut auf die Freiheit der Forschung ein, die im Übrigen von den Nationalsozialisten keineswegs ge- oder auch nur beachtet wurde. Am 7. Dezember 1937 erklärte Rosenberg:7 »Die NSDAP kann eine weltanschauliche dogmatische Haltung zu diesen Fragen nicht einnehmen; daher darf kein Parteigenosse gezwungen werden, eine Stellungnahme zu diesen Problemen der experimentellen und theoretischen Naturwissenschaft als parteiamtlich anerkennen zu müssen. In der Schulung der gesamten Bewegung, soweit diese Themen überhaupt behandelt werden, ist diese Haltung mit allem Nachdruck zu be74

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»Unmaßstäbliches Gesamt-Ideal-Bild des heutigen Sonnenreiches (nach Hörbiger)« – Illustration aus »Die Grundzüge der Welteislehre«.

rücksichtigen.« Ergänzend hieß es, dieser Anordnung des Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung und Schulung komme eine außerordentliche Bedeutung zu. »Die nationalsozialistische Bewegung ist von einigen wenigen, aber dafür alles entscheidenden Bekenntnissen und Erkenntnissen ausgegangen. (…) Aber wie sie nicht eine Konfessionsreform anstrebt, so kann sie sich auch nicht unmittelbar in den Kampf um naturwissenschaftliche Probleme hineinbegeben. Hypothesen und Theorien der wissenschaftlichen Forschung lösen sich ab, und mag vieles uns auch heute als gesicherter Besitz aus jahrhundertelanger Arbeit gelten, so hält diese Forschung doch nicht inne und neue technische Methoden ermöglichen es dem Menschen, immer weitere Blicke in das Universum zu tun. Manche Theorien können sich dabei im wesentlichen Gehalt als falsch erweisen. Sie haben aber trotzdem oft viele wissenschaftliche Entdeckungen ermöglicht, und somit ist der Weg zu manchen Erkenntnissen über den Irrtum gegangen. Die wissenschaftlichen Aus75

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einandersetzungen, die sich hier abspielen, berühren aber die nationalsozialistische Weltanschauung in ihrem Kern nicht, und mag der eine oder andere Nationalsozialist sich auch mit Recht für alle diese Forschungen interessieren, und auch als Wissenschaftler ihnen eingehend nachgehen, so ist die Partei nicht der Platz dafür, um hier dogmatisch festgelegte Stellungnahme zu fordern. Es hat naturgemäß nicht an Versuchen gefehlt, die eine oder andere Gliederung der NSDAP oder gar die Partei selbst für eine bestimmte kosmopolitische Theorie oder für eine Hypothese der vorzeitlichen Erdkunde zu binden. Deshalb scheint es an der Zeit, dass hier der Beauftragte des Führers, Reichsleiter Rosenberg, die notwendige Abgrenzung vornimmt und einerseits für die Freiheit der Forschung, andererseits für die Selbstständigkeit der nationalsozialistischen Weltanschauung eintritt. Die Schulung der gesamten Bewegung wird nicht verfehlen, diese Haltung in den Auseinandersetzungen einzunehmen.« »Das Eis ist der Naturzustand«

Himmler dagegen hatte keinerlei Probleme damit, für die Erforschung der Welteislehre die Ahnenerbe-Forschungsstätte für Geophysik in Anspruch zu nehmen. Aus ihrem Tätigkeitsbericht 1937/38 geht unzweifelhaft hervor, welch hoher Stellenwert der Welteislehre als Basis für weitergehende Forschungen beigemessen wurde. Hörbiger wurde hier übrigens schon der Status eines »Schöpfers« zugestanden! So hieß es unter anderem:8 »Grundlage für eine zuverlässige langfristige Wettervorhersage sei eine bis ins Einzelne gehende Vorhersage der Sonnentätigkeit. Hier, wie überhaupt für alle Arbeiten der Forschungsstätte, ist vom Schöpfer der Welteislehre lediglich die allgemeine Richtung angegeben worden. Der Umstand, dass das Beobachtungsmaterial bisher in ganz anderer Weise aufbereitet worden ist, als es die Welteislehre braucht, ist ein weiterer Hauptgrund für das langsame Fortschreiten der Arbeiten. Für die Erde konnte bereits der Normalwert ihres Störungsanteils in den Schwankungen der Sonnentätigkeit festgelegt werden. Damit ist der erste Schritt zu einem schwerwiegenden Beweis für die Richtigkeit der Welteislehre getan worden. (…) Eine Reihe von 76

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ausführlichen Stellungnahmen und Gutachten musste ausgearbeitet werden, die größtenteils der Widerlegung von Einwendungen gegen die Welteislehre dienten. (…) Der gebotenen Zurückhaltung wegen erfolgten noch keine Veröffentlichungen, obwohl verschiedene Sonderuntersuchungen bereits weit gediehen sind. Die Verhandlungen mit Freunden und Gegnern der Welteislehre zur Erreichung einer vernünftigen Einstellung zu Hörbigers Gedankengut nehmen viel Zeit in Anspruch. Es hat sich ergeben, dass die streng wissenschaftliche Arbeitsrichtung der Forschungsstätte gerade vielfach von den Freunden der Welteislehre nicht verstanden wird.« An der volkstümlichen Verbreitung der Welteislehre sei nur mitgewirkt worden, um die Veröffentlichung falscher Darstellungen zu verhindern. Der Verfasser der neuen Elmayerschen9 Einführung in die WEL sei Verbesserungsvorschlägen kaum zugänglich gewesen. Daher habe die Schrift nicht an die SS-Führer ausgegeben werden können. Für die Neuauflage des Fauthschen WEL-Mondbuches wurden Verbesserungsvorschläge gemacht. Vorarbeiten für eine wirklich neuartige Einführung in die WEL liefen. Eine Zeitschrift für Welteislehre werde in erster Linie für Laien geschrieben, sei aber auch selber »laienhaft im unangenehmsten Sinne«. Sie schädige das Ansehen der WEL und bereite ihrer Anerkennung unnötige Schwierigkeiten. Derzeit komme es weniger auf die volkstümliche Verbreitung der WEL als auf die exakte Forschung an. Deshalb werde das Institut auch keine eigene Zeitschrift herausgeben. Hitler bekannte sich zwar nicht öffentlich zur Welteislehre, neigte ihr aber durchaus zu. In den »Monologen im Führerhauptquartier« wird er unter dem Datum 25./26. Januar 1942 wie folgt zitiert: 10 »Wer weiß, zu welchen Entdeckungen man käme, wenn man den vom Wasser bedeckten Boden erforschen könnte: Ich neige der Welteislehre von Hörbiger zu. Vielleicht hat um das Jahr Zehntausend vor unserer Zeitrechnung ein Einbruch des Mondes stattgefunden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Erde den Mond damals in seine jetzige Bahn gezwungen hat, möglich auch, dass das, was der Mond als Atmosphäre um sich hatte, unsere Erde an sich gerissen hat, womit sich Lebens­ 77

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bedingungen der Menschheit auf der Erde von Grund auf mögen geändert haben.« Im Zusammenhang mit den Fortschritten der Wissenschaft generell meinte Hitler am 20./21. Februar 1942, Kopernikus sei überholt, aber Hörbiger schon wieder einen Schritt weiter:11 »Die heutige Wissenschaft behauptet, der Mond sei ein von der Erde weggeschleuderter oder die Erde ein aus der Sonne herausgeschleuderter Körper. Das ist so eine Frage, die nach einer einheitlichen Beantwortung verlangt. Geht die Erde von der Sonne aus, oder geht sie auf die Sonne zu. Für mich gibt es gar keinen Zweifel, dass alle Monde an die Planeten und diese an die Fixsterne herangeholt worden sind. Dadurch, dass es keinen leeren Raum gibt, bremst sich die Schnelligkeit der Umdrehung des einen um den anderen allmählich; unser nächster Mond wird vielleicht der Mars sein. Einmal geht vielleicht die Erde in der Sonne auf! Hörbiger beschäftigt sich mit einem Teilabschnitt! Nicht das Wasser, sondern das Eis ist der Naturzustand! Im ganzen Universum findet sich Wasser als Eis, beim heutigen Nullgrad schmilzt das Eis, Eis ist nicht gefrorenes Wasser, sondern Wasser ist geschmolzenes Eis. Weil diese Lehre eine Revolutionierung war, hat sich alles gegen Hörbiger gewandt.« Im Gespräch mit seinem Baumeister Albert Speer meinte Hitler am 26. April 1942, er plane in Linz ein Gebäude, »das insbesondere der katholischen Pseudowissenschaft zum Trotz die drei Weltbilder des Ptolemäus, des Kopernikus und der Welteislehre (Hörbigers) enthalten solle; in der Kuppel dieses Gebäudes solle sich ein Planetarium befinden, das nicht nur den Wissensdurst seiner Besucher stillen solle, sondern auch für Forscherarbeiten geeignet sei«12. Angeführt werden soll schließlich ein Vermerk des Leiters von Himmlers Persönlichem Stab, Rudolf Brandt. Er hielt am 4. August 1942 fest:13 »Der Führer äußerte im Frühjahr dieses Jahres im Gespräch dem Reichsführer gegenüber, der harte Winter dieses Jahres und auch die klimatische Entwicklung habe ihn immer mehr zu der Überzeugung gebracht, dass die Welteislehre von Hörbiger richtig sei.« Nach einem großen Erdbeben in der Türkei verlangte Himmler innerhalb 78

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des Ahnenerbes eine enge Zusammenarbeit von Geologen, Ornithologen, Eiszeitlern, Höhlenforschern und sonstigen in Frage kommenden Wissenschaftlern, »um festzustellen, wie das Weltbild früher war«.14 Wichtig sei unter anderem die Frage, »wo sich ein Gen-Zentrum befindet, wo die gefährdetsten Stellen sind«. Selbst 1944, als es mit dem »Großdeutschen Reich« unübersehbar und unaufhaltsam zu Ende ging, mochte Himmler von der Welteislehre nicht lassen. Von der Forschungsstätte für Innerasien und Expeditionen erhielt Ahnenerbe-Geschäftsführer Sievers die Nachricht, SSHauptsturmführer Bruno Beger sei kürzlich von SS-Obersturmführer Best, dem Adjutanten der Standarte »Kurt Eggers«, gefragt worden, ob er nicht wisse, »dass der Reichsführer-SS dem Ahnenerbe den Forschungsauftrag erteilt hat, die Grenze des Eises in der kommenden Eiszeit festzustellen, um die Siedlungsräume der künftigen SS-Siedler südlich dieser Grenze zu bestimmen«.15 Sievers Antwort fiel dürftig aus.16 Der Reichsführer-SS habe vor längerer Zeit das Ahnenerbe beauftragt, nach dem Krieg eine Zusammenfassung aller Wissenschaften in Bezug auf die Erde durchzuführen und schon jetzt mit den Vorbereitungen dafür zu beginnen. In diesen Zusammenhang gehöre natürlich auch die Frage der Eiszeiten. Widerstand aus Forscherkreisen

Angesichts der Haltung Hitlers und Himmlers gehörte innerhalb der nationalsozialistischen Meinungsdiktatur schon eine Portion Mut dazu, sich öffentlich gegen die Welteislehre auszusprechen, wie dies in einem Schreiben der Universitäts-Sternwarte Berlin-Babelsberg an Wissenschaftsminister Bernhard Rust zum Ausdruck kam. Darin hieß es unverblümt:17 »Die Welteislehre ist ein für das Ansehen Deutschlands tief bedauerlicher Rückfall in eine längst überwundene primitive Vorstufe der wissenschaftlichen Forschung, die noch im frühen Mittelalter, im Zeitalter der Scholastik, mit einigen seltenen Ausnahmen vorherrschend war. Charakteristisch für die Welteislehre ist die Ablehnung der Ergebnisse des Experiments und der Beobachtung und die rein gedankliche Kon79

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struktion eines Weltbildes auf Grund gänzlich unbewiesener, ja vielfach widerlegter Voraussetzungen, die wie Axiome behandelt werden. Parallele: Scholastische Schlussweise. Der Kreis ist die vollkommenste Figur, folglich müssen die Himmelskörper sich im Kreis bewegen, da Gott natürlich eine vollkommene Welt erschaffen hat. Schlussweise der Welteislehre. Da das in Hagelschlägen niedergehende Eis nach Ansicht der Begründer der Welteislehre nicht aus der Erdatmosphäre stammen kann, so muss es aus dem Weltraum stammen. (…) Die weitgehenden und eindeutigen Ergebnisse der spektroskopischen Erforschung des Nordlichts, die mannigfachen Zusammenhänge der Nordlichter mit anderen (solaren und terrestrischen) Erscheinungen, die Ergebnisse der theoretischen Arbeiten Störmers usw. werden einfach beiseite geschoben und die Erklärung der Phänomene wird in die Zwangsjacke der Welteislehre gesteckt. Es ist ein starkes Stück, diese Art von ›Wissenschaft‹ typisch deutsch zu nennen, viel eher würde auf sie die Bezeichnung bolschewistisch oder Produkt eines wissenschaftlichen Untermenschentums passen. Es wäre interessant, einmal die treibenden finanziellen Hintermänner der Welteislehre genauer aufs Korn zu nehmen. Es muss dringend gefordert werden, die Person des Führers aus dieser üblen Angelegenheit herauszulassen.« Gerade in der Fachwelt gab es eine Reihe von WEL-Kritikern.18 Auch der Chef der Münchener Sternwarte äußerte sich ablehnend und suchte bei Reichsminister Rust Rückhalt. Der Meteorologe und SSHauptsturmführer Hans Robert Scultetus regte deshalb im April 1937 bei Himmler eine Initiative an, nach der die Prüfung und der Ausbau der Welteislehre in jeder Form gefördert werden müssten. Allerdings gab es auch in den eigenen Reihen, also innerhalb der NSDAP, der SS und des Reichsforschungsrats, Gegner. Voller Empörung schrieb Himmler Heydrich am 14. August 1938, er habe den Sachbearbeiter Polte mit dem heutigen Tag »unter Verbot des Tragens der Uniform und des Zivilabzeichens« beurlaubt.19 Er habe durch Zufall entdeckt, dass Polte der Mann sei, »der aus dem Reichsforschungsrat dauernd gegen die Welteislehre schießt und eine absolut unsachliche Stellung zu diesem Problem einnimmt«. Es sei geradezu unerhört, dass Polte 80

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vom Reichserziehungsministerium Gutachten anfordert »und sie dann auch noch mir, seinem Chef, zuleiten lässt«. Die Angriffe gegen die Welteislehre häuften sich und erforderten eine grundsätzliche Entgegnung, bestätigte Ahnenerbe-Kurator Walther Wüst Hörbiger 1938.20 Allerdings solle sich das Ahnenerbe laut Anweisung Himmlers aus der öffentlichen Erörterung heraushalten. Das solle das Hörbiger-Institut machen. Wichtig sei der Hinweis, dass das Institut selbst den ersten Schritt zur Weiterentwicklung der Welteislehre getan habe. Das Ahnenerbe werde einen wesentlichen Teil der Druckkosten für eine entsprechende Veröffentlichung übernehmen, die eine möglichst große Zahl von Wissenschaftlern erhalten solle. Ohnehin hatten die Verfechter der Welteislehre einen schweren Stand. Himmler wurde beispielsweise gemeldet, in der »Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft« der Reichsstudentenführung, Reichsfachgruppe Naturwissenschaft, habe »ein Herr Wiesender« gegen die WEL Stellung bezogen.21 »Was unverstanden blieb, wird als falsch dargestellt.« Immer wieder wandte sich Himmler mit »Sonderwünschen« an den WEL-Experten Scultetus, der auf der Wetterwarte des Flugstützpunktes Hamburg-Fuhlsbüttel stationiert war. So hatte Himmler von ihm wissen wollen, »ob durch die Vernebelung der Sonne an einigen Stellen eine Mutation der Erbmasse möglich sei«. Scultetus teilte Sievers am 15. September 1941 seine Auffassung mit.22 Nach den Vorstellungen der Welteislehre komme das nicht in Frage. Zwar hätten Sonnenflecken einen starken biologischen Einfluss, der sich u. a. in der Leistungsfähigkeit bemerkbar mache. Mutationen der Erbmasse würden dagegen »während der Zeiten der Mondannäherung durch die vollkommen veränderte Lebensweise auf der Erde erzwungen«. Auffällig sei, dass die Zeiten des Gebirgsbaues, der Vulkantätigkeit und des Auftretens neuer Formen zeitlich immer wieder zusammenfielen. Mit solchen Ereignissen komme es parallel zu Eiszeiten. Eiszeiten seien u. a. durch einen »Riesenausbruch von Sonnenmaterie [entstanden], der nicht eine Vernebelung der Sonne hervorrufen soll, sondern durch die stark gesteigerte Wärmestrahlung der Sonne eine außergewöhnlich starke 81

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Wolkenbildung in der Erdatmosphäre zur Folge hatte«. Diese habe die Sonnenstrahlung abgehalten. Kurz vor dem Zusammenbruch des »Dritten Reichs« hatte sich Himmler übrigens noch mit dem Problem befasst, wie stark das Wetter die Menschen beeinflusse.23 Er wolle wissen, ob ein Zusammenhang zwischen kosmischen Vorgängen wie Sonnenflecken bestehe und ob es eine astrologische Wetterberechnung gebe. Darüber wolle er nach dem Krieg mit den Herren Wulff und Scultetus sprechen. Auf die Zeit nach dem Krieg hatte Himmler auch die Errichtung einer Sternwarte auf der Insel Lussinpiccolo verschoben. Der Höhere SS- und Polizeiführer in der Operationszone Adriatisches Küstenland, SS-Obergruppenführer Odilo Globocnik, teilte am 3. Mai 1944 SS-Obersturmbannführer Rudolf Brandt mit, auf den zu seiner Operationszone gehörenden Inseln Lussin und Lussinpiccolo könnten jederzeit Einrichtungen aufgebaut werden, die der Reichsführer-SS wünsche.24 Allerdings lägen die Inseln derart exponiert, dass sie bei »ev. feindlichen Landungen wohl als erste der Vernichtung ausgesetzt sind und daher Neugründungen dieser Art derzeit nicht zu empfehlen sind«. Nach Kriegsende werde es sich sicherlich machen lassen, dort die Sternwarte zu errichten.

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