Circus - Die Originale

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Berliner Festspiele

7.4.–

8.4.18



INHALT

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CONTENT

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Grußwort /  Words of welcome Thomas Oberender

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Programm /  Programme

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Zeitplan /  Timetable

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Begleitprogramm /  Accompanying programme

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Offener Brief / Open Letter

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Impressum /  Imprint

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Statement Johannes Hilliger  &  Josa Kölbel

Bauke Lievens

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GRUSSWORT

WORDS OF WELCOME

GRUSSWORT WORDS OF WELCOME

DE EN

Die internationale Szene des zeitgenössischen ­Circus hat sich in den letzten Jahren stark in eine Richtung entwickelt, die Impulse aus anderen künstlerischen Bereichen wie Tanz, Performance, Theater und Musik aufnimmt und daraus eigene, neue Werkformen hervorbringt. Die Berliner Festspiele wollen diese Entwicklung unterstützen und als Teil ihres künstlerischen Repertoires weiter ausbauen. Damit knüpfen wir auch an unsere eigene Geschichte an: Ende der Siebzigerjahre veranstalteten die Berliner Festspiele ein großes Zirkusfestival mit rund In recent years, the international 30 Gastspielen, einer Ausstellung und landscape of contemporary ­circus einem umfangreichen Filmprogramm in has progressively developed in a der Neuen Nationalgalerie. direction that integrates impulses from other art forms, such as Die Szene forderte immer wieder subdance, performance, theatre and ventionierte Räume zur Kreation und music and creates its own new entwickelte neue Formen der Vernetform of work from them. ­Berliner zung. Daher habe ich die CircuskuratoFestspiele would like to support ­ ren Johannes Hilliger und Josa K ­ ölbel this development and expand it as vor einem Jahr gebeten, neben einer part of their own artistic repertoire. Reihe von Gastspielen ein neues ForIt also links back to our own history: In the late 1970s, mat zu entwickeln. Entstanden ist ein Berliner Festspiele hosted a large-scale circus fesResearch- und Präsentationsprogramm, tival featuring around 30 guest performances, an das Künstler*innen unterschiedlicher exhibition and an extensive film programme at Neue Genres mit dem zeitgenössischen ­Circus Nationalgalerie. zusammenbringt, eine Woche Probenzeit in unterschiedlichen Workshops The scene has repeatedly demanded subsidised bietet und die Ergebnisse an zwei Tagen spaces for creation and developed new forms of netauf der großen Bühne präsentiert. Keiworking over the past years. This is why one year ago, ne*r dieser Künstler*innen hat zuvor in I asked circus curators Johannes Hilliger and Josa dieser Konstellation zusammengearbeiKölbel to develop a series of guest performances tet. „Die Originale“ ist eine Kreationsas well as a new format. The resulting research and plattform, die mehr den Prozess als das presentation programme will bring artists from a Ergebnis betont, mehr die Begegnung wide range of genres in touch with contemporary als die Aufführung, mehr die Nahbarkeit circus, provide a week-long rehearsal period conder Akteur*innen als die Feier der Show. sisting of various workshops, and present the results 4


Während das Theater oft vom Scheitern handelt und die dramatischen Konflikte als Motor seiner Entwicklung braucht, ergibt sich die Faszination, die vom traditionellen Zirkus wie auch dem zeitgenössischen Circus ausgeht, aus dem Gelingen des scheinbar Unmöglichen. on the main stage on two consecutive days. None of the artMöge dies auch für unser ists involved have ever worked together in this constellation. neues Format zutreffen. Ich “Die Originale” is a platform for creation, placing greater wünsche uns allen bei „Die ­­ emphasis on process than on result, on encounters than on Originale“ eine gute Zeit. performances, on the approachability of the artists than on the celebration of the show. While the theatre is often concerned with failure and needs dramatic conflicts as the engine of its development, the fascination of both traditional and contemporary circus stems from the successful achievement of what seems to be impossible. I hope this will also apply to our new format. I wish all of us a good time at “Die Originale”.

Thomas Oberender Intendant der Berliner Festspiele / Artistic Director of the Berliner Festspiele


Johannes Hilliger

[JH] und Josa Kölbel [JK]

(Kuratoren der Programmreihe Circus) über „Die Originale“  / Johannes Hilliger and Josa Kölbel (curators of the programme series Circus) on “Die Originale”

DE

STATEMENT

Interdisziplinäre Spielarten des zeitgenössischen Circus / Interdisciplinary varieties of contemporary Circus

STATEMENT

STATEMENT STATEMENT

WAS VERSTEHT IHR UNTER ZEIT GENÖSSISCHEM CIRCUS?  [JK] Zeitgenössischer Circus ist der logische Schritt von der Geschichte des Circus hin zu dem, was Circus jetzt ist. Mit dem Ziel, neu zu interpretieren, Innovation und Tradition ineinandergreifen zu lassen und sich von Klischees zu befreien. [JH] Grenzüberschreitung, also die WHAT IS YOUR UNDERSTANDING OF Integration auch anderer Kunstformen. CONTEMPORARY CIRCUS? [JK] Contemporary circus is the logical step from WIE ORDNET SICH „DIE the history of circus towards what circus is today. ORIGINALE“ IN DAS PROWith the goals of creating new interpretations, inter GRAMM DER BERLINER twining innovation and tradition and liberating our FESTSPIELE EIN? selves from clichés. [JK] Wir wollen einen Begegnungspunkt [JH] Crossing boundaries, by which I mean the intefür die Kunstformen schaffen, die das gration of other art forms. Haus der Berliner Festspiele in sich vereint, der wirklich genreüberschreitend HOW DOES “DIE ORIGINALE” ALIGN WITH ist. Außerdem wollen wir den künst BERLINER FEST SPIELE’S PROGRAMME? lerischen Freiraum für ein Umdenken [JK] We want to create a truly genre-transcendzur Verfügung stellen: Im Vordergrund ing meeting point for the art forms that are united des Projekts steht kein abgeschlosseunder the Haus der Berliner Festspiele’s roof. And nes Ergebnis, das vor einem Publikum we want to provide the artistic latitude necessary for zu bestehen hat, sondern die prozessa change of thinking: Our priority within the project is

EN

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hafte Arbeits- und Herangehensweise, die schon im vorangehenden Researchprogramm angelegt ist. [JH] Ich glaube, maximale Freiheit ist das Konzept von „Die Originale“, also der Researchphase mit den anschließenden Präsentationen. In den Labs kommen Künstler*innen zusammen, die zuvor noch nie miteinander gearbeitet haben. Die Researcher*innen haben verschiedenste künstlerische Hintergründe und es ist komplett offen, was aus diesen Begegnungen entsteht. Die Zuschauer*innen werden ganz unerwartete, spontane oder auch schon ausgereifte Präsentationen erleben. Sie sind beim Festival dazu eingeladen, den ganzen Tag über zu verweilen, ihren Impulsen zu folgen und Neues zu entdecken - auch in den begleitenden Circuspräsentationen, den Konnot a finished result that has to pass with an audience, zerten, den Talks und der Ausstellung. but rather the processual approach already inherent Wir wollen der Aufenthaltskultur einen in the preceding research programme. Ort geben. [JH] I think that the concept of “Die Originale” envisions a maximum of freedom, both in the research WARUM HABT IHR EUCH phase and the following presentations. Artists who BEI „DIE ORIGINALE“ have never worked together before will meet in the FÜR DAS THEMA „DER labs. The researchers come from a wide range of dif KREIS“ ENTSCHIEDEN? ferent backgrounds and the results of these encoun[JK] Es ist ein grundlegendes Thema ters are totally open. The audience will experience des Circus: In seiner Historie wurde quite unexpected, spontaneous and maybe even Circus immer im Kreis oder in der fully developed presentations. At the festival, they Manege präsentiert. Und diese speare invited to spend the whole day with us, to follow zifische Präsentationsform, die im their impulses and make new discoveries - also within Circus bis heute Relevanz hat, ist ein the accompanying circus productions, concerts, wesentlicher Unterschied zum Tanz talks and the exhibition. We would like to give a venue oder zum Theater. Außerdem ist der to the culture of lingering. Kreis ein allgemeines Symbol für den Treffpunkt. WHY DID YOU CHOOSE THE TOPIC OF [JH] In diesem Sinne steht er auch für “THE CIRCLE” FOR “DIE ORIGINALE”? eine gewisse Offenheit, was sich darin [JK] It is a fundamental topic of the circus: Throughout widerspiegelt, wie die Zuschauer*inits history, the circus has always been presented in a nen das Festival hier erleben können. circle or a ring. And this specific form of presentation, Es gibt keine klare Grenze zwischen which is still relevant in contemporary circus, marks Darsteller*innen und Zuschauer*ina significant difference to dance or theatre. Besides, nen. Das Publikum wird nicht fronthe circle is a universal symbol for meeting points. tal vor der Bühne sitzen, sondern um [JH] And in this sense, it also stands for a certain die Bühne herum. So entstehen eine openness which reflects the way the audience can Vielzahl von Betrachtungswinkeln und experience this festival. There is no clear distinction ein Ort der Begegnung im und um between performers and spectators. The audience den Kreis. will not be seated head-on in front of the stage, but all the way around it. This creates a multitude of viewing angles and a meeting point inside and around the circle.

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PROGRAMM PROGRAMME

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PROGRAMM

PROGRAMME

Research presentations ResearchPräsentationen

DE EN Im Researchprogramm „Die Originale“ treffen sich 10 Researcher*innen und 40 Künstler*innen zu einem interdisziplinären Zusammenspiel der Künste. Die Zwischenstände und Ergebnisse der Researchphase, die vom 28. März bis zum 6. April stattfindet, werden an beiden Festivaltagen in je acht Präsentationen auf die Bühne gebracht. Dem voran geht eine intensive Auseinandersetzung mit verschiedenen Assoziationen zum Within the research programme “Die Originale”, Thema Kreis. Was beim Festi- 10 researchers and 40 artists will gather for an val zu erwarten ist, bleibt offen. interdisciplinary interaction of the arts. Intermediate and final results of this research phase, that takes place from 28 March to 6 April, will be shared on stage on both days of the festival. This will be preceded by an in-depth examination of different associations on the subject of the circle. There is no saying what is to be expected at the festival.

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PROGRAMM PROGRAMME

Research 1: Eine Untersuchung des Problems der Räumlichkeit / An investigation into the trouble of spaciousness Suzan Boogaerdt & Bianca van der Schoot

7. & 8. April 15:00 Uhr Hauptbühne/ Main stage

Wir werden die selbstverständliche Art und Weise, in der wir „unseren“ Raum einnehmen oder beanspruchen, hinterfragen. Gibt es einen Raum, den wir den „unseren“ nennen können? Gibt es Bereiche, die permanent und/oder unveränderlich sind? Gemeinsam kreieren wir eine Choreografie oder Mimografie für Hüttenbauer. Wir werden unser fortwährendes BedürfWe will question the self-evident way in which nis, Räume zu schaffen und we take or claim “our” space. Is there any space neu zu ordnen, sowie die Illuthat we can call “ours”? Are there areas that sion von Ordnung erforschen are permanent and/or immutable? Together und das Konzept von Grenzen we will create a choreography or mimography hinterfragen. for hut builders. We will research our continual need to build and rearrange space, we will explore the illusion of order and interrogate the concept of boundaries.

Teilnehmer*innen: SEBASTIAN BELMAR – Choreografie (Italien) OSCAR CASSAMAJOR – Tanz, Performance, Video (Belgien) FILIPPO ALBERICO MALERBA – Circus (Italien) ANGELIKI MELI – Circus (Griechenland) CLARA STORTI – Circus (Italien) CLAIRE TERRIEN – Architektur, Set- und Lichtdesign, Performance (Deutschland) Participants: SEBASTIAN BELMAR – choreography (Italy) OSCAR CASSAMAJOR – dance, performance, video (Belgium) FILIPPO ALBERICO MALERBA – circus (Italy) ANGELIKI MELI – circus (Greece) CLARA STORTI – circus (Italy) CLAIRE TERRIEN – architecture, set and light design, performance (Germany) 10


Research 2: Treffen / Meeting

Jean-Michel Guy

7. & 8. April 15:30 Uhr Hauptbühne/ Main stage

Forschungsschwerpunkt: Dramaturgie als die Kunst, sich der Auswirkungen auf das Publikum bewusst zu sein. Hauptthema: Bedeutungen und Auswirkungen des Wortes „treffen“. Die Teilneh­mer*innen sollen neue Sichtweisen auf die Herangehens­weisen der jeweils Main research field: dramaturgy as the anderen ausprobieren, um neue art of being aware of public effects. Main „Begegnungspunkte“ (oder bestopic: the meanings and effects of the ser „Treffpunkte“) zu finden. German word “treffen”. The participants shall experiment with new ways of looking at each other’s propositions, in order to find new “meeting/touching points” (or better “Treffpunkte”).

Teilnehmer*innen: FLORINDA FÜRST – Theater, Circus (Österreich) JULIETA MARTIN – Circus (Argentinien/Spanien) RALPH ÖLLINGER – Circus (Holland) STINA OTTERSTRÖM – Circus (Schweden) RAFFAELE RIGGIO – Circus (Spanien) ELENA ZANZU – Circus (Spanien) Participants: FLORINDA FÜRST – theatre, circus (Austria) JULIETA MARTIN – circus (Argentinia/Spain) RALPH ÖLLINGER – circus (Netherlands) STINA OTTERSTRÖM – circus (Sweden) RAFFAELE RIGGIO – circus (Spain) ELENA ZANZU – circus (Spain) 11


PROGRAMM PROGRAMME

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Research 3: Künstlerische Kollaboration als Form (politischen/sozialen) Widerstands / Artistic collaboration as form of (political/social) resistance 7. & 8. April 16:00 Uhr

Julia Wissert

Hauptbühne/ Main stage

Ich möchte das Potenzial von innovativer und transgressiver Kunst erforschen, die den vorherrschenden hegemonialen Strukturen und Blicken trotzt – als ein Mittel des Widerstands. Immer auf ein Ziel ausgerichtet, wird in den Arbeitsprozessen das Potenzial des Moments unterschätzt, in dem eine Gruppe verschiedener Menschen sozial wie künstlerisch als Team zusammenfinI would like to research the potential of credet. Innerhalb dieser Prozesse ating new, innovative and transgressive art können utopische Räume entwhich defies hegemonic structures and gazes stehen, deren Potenzial sich as a means for resistance. As theatre artüber den Probenraum hinaus in ists, we usually work towards a “final product” andere Begegnungen erstreand seem to underestimate the power and the cken kann. potential of the moment where a group of different people from different backgrounds, socially as well as artistically, come together as a team. Depending on the constellations of these processes, we can create utopian spaces. Spaces which empower, nourish and free the people partaking in them from predisposed notions of the world. This potential can ripple into other encounters outside of the rehearsal space.

Teilnehmer*innen: UDITA BHAGARVA – Film, Regie (Indien/Deutschland) BÁRBARA GALEGO – performative Künste, Schauspiel (Brasilien/Deutschland) JENNY MANSIKKASALO – Circus (Finnland) LINE ROSA LEE PALLISGAARD – Circus (Schweden) Participants: UDITA BHAGARVA – film, direction (India/Germany) BÁRBARA GALEGO – performing arts, acting (Brasil/Germany) JENNY MANSIKKASALO – circus (Finland) LINE ROSA LEE PALLISGAARD – circus (Sweden) 13


PROGRAMM PROGRAMME

Research 4: Verwandlung /  Metamorphosis

Rostislav Novák

7. & 8. April 16:30 Uhr Hauptbühne/ Main stage

Franz Kafka war ein deutschsprachiger, jüdischer Schriftsteller aus Böhmen. Das ist einer der Gründe, warum ich seine Erzählung „Die Verwandlung“ für den Workshop ausgewählt habe. Wie immer ist für mich vor allem das Thema das Wichtigste. In diesem Zusammenhang bin ich allerdings besonders an Grenzüberschreitungen interessiert: an den Grenzen zwischen verschiedenen Genres. So würde ich gerne Franz Kafka was a German-speaking Jewish mit Verwandlung arbeiten, im novelist and short story writer who lived in Sinne einer Transformation Bohemia. This is one reason for me to choose von Tanz zu Marionettenthehis story “Metamorphosis” for this project. As ater, von Circus zu gesproalways, the topic is the most important thing chenem Wort, von Klang zu for me. However, here I am particularly interMaterial usw. ested in crossing borders. I would like to work with metamorphosis; the transformation of dance to puppetry, from circus to spoken word, from sound to material, etc.

Teilnehmer*innen: EDURNE HERRÁN – bildende Kunst (Spanien/Deutschland) RICARDO LEITÃO PEDRO – Musik (Portugal/Schweiz) ASUKA J. RIEDL – Tanz (Deutschland) MOLLY SAUDEK – Circus (Frankreich) HILDEGARD SCHROEDTER – Schauspiel (Deutschland) Participants: EDURNE HERRÁN – visual arts (Spain/Germany) RICARDO LEITÃO PEDRO – music (Portugal/Switzerland) ASUKA J. RIEDL – dance (Germany) MOLLY SAUDEK – circus (France) HILDEGARD SCHROEDTER – acting (Germany) 14


Research 5: Fragen zum Trick /  Trick Questions

Squarehead Productions (Elena Kreusch & Darragh McLoughlin)

7. & 8. April 19:15 Uhr Hauptbühne/ Main stage

In unserem Research-Lab soll der „Circus-Trick“ Ausgangspunkt unserer Überlegung sein. Da der Trick ein zentrales Element der CircusPerformance ist, werden wir die dramaturgische Umsetzung In this research lab we will be taking the des Circus-Tricks in verschie“circus trick” as a starting point of reflection. denen Künsten erforschen und The trick, being a central element of the circus experimentell erproben. performance, we will explore and experiment with the implementation of the dramaturgy of a circus trick across different art forms.

Teilnehmer*innen: LOIS BARTEL – Performance (Deutschland) SEDEF GÖKÇE – zeitgenössischer Tanz (Türkei) TOON VAN GRAMBEREN – Circus (Belgien) ALEX ZAMPINI – Musik, Performance, bildende Kunst (Deutschland) Participants: LOIS BARTEL – performance (Germany) SEDEF GÖKÇE – contemporary dance (Turkey) TOON VAN GRAMBEREN – circus (Belgium) ALEX ZAMPINI – music, performance, visual arts (Germany)

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PROGRAMM PROGRAMME

Research 6: Der Kreis / The circle

Maksim Komaro

7. & 8. April 19:45 Uhr Hauptbühne/ Main stage

Wir werden handlungs- und bewegungsorientiert über den „Kreis“ nachdenken und darauf bauen, dass sich eine Leitidee herausbildet. Wenn nicht, werden wir Verschiedenes ausprobieren, um mehr über das Thema zu lernen. Wir können auch bestehende Bewegungsabläufe übernehmen und We will meet and action-meditate together on aus ihnen verschiedene Kernthe subject of “the circle”, hoping an idea will punkte herausschälen, um so manifest itself and guide us. If it does not, we Zugänge und Raum für neue Ideen zu finden. will then just do stuff and try to learn and discover more about this subject. We can take existing, pre-rehearsed movement sequences and start carving out different cores, looking for points where new thoughts, ideas and combinations can enter and take their place.

Teilnehmer*innen: MERRI HEIKKILÄ – Circus (Finnland) ANDREA SALUSTRI – Circus (Italien/Deutschland) LAURA STOKES – Circus, Tanz (Deutschland) Participants: MERRI HEIKKILÄ – circus (Finland) ANDREA SALUSTRI – circus (Italy/Germany) LAURA STOKES – circus, dance (Germany) 16


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ZEITPLAN TIMETABLE

Hauptbühne/ Main stage

Der Zugang zum Festival ist jederzeit zwischen 14 und 24 Uhr möglich. Für die laufenden Veranstaltungen findet kein Zwischeneinlass statt. Das Programm ist an beiden Tagen identisch, mit Ausnahme der Artist Talks.

14:00

Begrüßung / Welcome

14:10

Somnium

15:00

Research 1: Eine Untersuchung des Problems der Räumlichkeit / An investigation into the trouble of spaciousness

15:30

Research 2: Treffen / Meeting

Compagnie MPTA

Suzan Boogaerdt & Bianca van der Schoot

The festival is open continuously from from 2 pm to midnight. After a performance has begun, no latecomers will be admitted.The programme will be the same on both days, except for the artist talks.

Jean-Michel Guy

Research 4: Verwandlung / Metamorphosis

17:00

Pause / Break

18:30

Einführung / Introduction

18:40

mobile

19:15

Research 5: Fragen zum Trick /  Trick Questions

Rostislav Novák

Jörg Müller

Squarehead Productions

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7. & 8. APRIL

16:30

7. & 8. APRIL

16:00 Research 3: Künstlerische Kollaboration als Form (politischen/sozialen) Wider stands / Artistic collaboration as form of (political / social) resistance Julia Wissert


ZEITPLAN

TIMETABLE

19:45

Research 6: Der Kreis  /  The circle

20:15

Research 7: Le cirque pas cher

20:45

Research 8: What a wicked workflow you play

Maksim Komaro

Meret Becker

Olle Strandberg

Oberes Foyer/ Upper foyer

17:00

Konzert  / Concert:

17:15

Artist Talks

Geordie Little

Moderation: Jeroen Versteele

Sa/ Sat 17:15

Suzan Boogaerdt & Bianca van der Schoot & Maksim Komaro

17:45

Meret Becker & Jean-Michel Guy

So/ Sun 17:15

Squarehead Productions & Julia Wissert

17:45

Rostislav Novák & Olle Strandberg

21:15

Konzert  / Concert: L.I.A

Unteres Foyer / Lower foyer

Ganz- Austellung / Exhibition: tags / Im Kreis der Manege / In the Circle All-day of the Arena Lukas Berger 19


PROGRAMM PROGRAMME

Research 7: Le cirque pas cher

Meret Becker

7. & 8. April 20:15 Uhr Hauptbühne/ Main stage

Ich würde gerne den Raum des Kreises auf eine vor allem suchende und sinnliche Weise erforschen und gemeinsam mit den Teilnehmer*innen herausfinden, wie wir damit spielen können und welche Geschichten sich darin finden lassen. Da der Kreis ja keine Grenzen zu haben scheint, sollte es spannend für uns werden, während unserer gemeinsamen Tage mehr darüber herOn the one hand-side I would like to work on auszufinden. Die offensichtthe space of the circle in a very searching and lichste Geschichte, die mir sensing way. To find out, together with the einfiel, war die, einen Circus participants of the workshop, how we can play aus dem Nichts aufzubauen. around with it and what stories we’ll find within. Since the circle seems to have no borders it should be interesting to find out more about it during our days together. The most obvious story I could think of is: building up a circus from scratch.

Teilnehmer*innen: KIRSTEN BURGER – Pantomime, Schauspiel, Performance, Tanz, Regie (Deutschland) ONNI HÄMÄLÄINEN – Circus, Tanz, Theater (Finnland) GÁBOR HARTYÁNI – Musik, Komposition, Performance (Ungarn/Deutschland) JULIA KATHRINER – Tanz (Schweiz) FABIAN KRESTEL – Circus, Tanz (Belgien) Participants: KIRSTEN BURGER – mime, acting, performance, dance, direction (Germany) ONNI HÄMÄLÄINEN – circus, dance, theatre (Finland) GÁBOR HARTYÁNI – music, composition, performance (Hungary/Germany) JULIA KATHRINER – dance (Switzerland) FABIAN KRESTEL – circus, dance (Belgium) 20


Research 8: What a wicked workflow you play

Olle Strandberg

7. & 8. April 20:45 Uhr Hauptbühne/ Main stage

Der Workshop wird sich auf alternative Wege der Kommunikation und Zusammenarbeit konzentrieren. Einer der Ansatzpunkte wird sein, die Grundlagen einiger Produktionsmethoden und -werkzeuge kennenzulernen, die normalerweise für die SoftwareentwickThe lab will focus on alternative ways of lung verwendet werden. Als communication and collaboration to find and künstlerischer Ausgangspunkt realise artistic ideas and concepts. One of the dient die Technomusik. starting points will be the learning of some production methods and tools normally used for managing software development. As an artistic starting point we will work with techno music.

Teilnehmer*innen: HANNAH DOUGHERTY – bildende Kunst (Deutschland) CARLOS LANDAETA – Circus (Belgien) CHARLOTTE LE MAY – Circus (Frankreich) EMILE PINEAULT – Circus, Performance (Frankreich) SANTIAGO QUINTERO – Video (Kolumbien/Deutschland) Participants: HANNAH DOUGHERTY – visual arts (Germany) CARLOS LANDAETA – circus (Belgium) CHARLOTTE LE MAY – circus (France) EMILE PINEAULT – circus, performance (France) SANTIAGO QUINTERO – video (Colombia/Germany) 21


BEGLEITPROGRAMM

Circus-Produktionen / Circus productions Somnium

mobile

7. & 8. April 14:10 Uhr

7. & 8. April 18:40 Uhr

Hauptbühne / Main stage

Hauptbühne / Main stage

Juan Ignacio Tula und Stefan Kinsman bringen in der 2015 entstandenen Show „Somnium“ die relativ junge künstlerische Disziplin des Roue Cyr auf die Bühne. Das Roue Cyr ist zugleich das artistische Requisit, ein Ring aus Stahl oder Aluminium, in dem sich die Künstler*innen virtuos tänzerisch und scheinbar federleicht drehen. In „Somnium“ machen Tula und Kinsman das Roue Cyr und dessen charakteristische Drehbewegung zum Mittelpunkt ihrer Choreografie. Im Spiel der sich wiederholenden Pirouetten-Wirbel betonen die Artisten die Differenz zwischen ihren Körpern und zeigen zugleich ihre geteilte akrobatische Virtuosität. / In their show ‘Somnium’, created in 2015, Juan Ignacio Tula and Stefan Kinsman bring the comparatively new discipline of the cyr wheel to the stage. The cyr wheel is their artistic apparatus: a ring of steel or aluminium inside which artists revolve, apparently light as a feather, in virtuoso dances. In “Somnium” Tula and Kinsman make the cyr wheel and its characteristic rotational movements the focus of their choreography. In a performance of repeating pirouette spins, the artists highlight the difference between their bodies while simultaneously displaying the acrobatic virtuosity they both share.

Seit über 20 Jahren recherchiert und experimentiert Jörg Müller rund um das Konzept der Jonglage und entwickelt dabei seine ganz eigene Form. In „mobile“ besteht sein Requisit aus fünf langen Aluminiumröhren, die an nahezu unsichtbaren Fäden aufgehängt sind. Diese Röhren pendeln scheinbar schwebend im Raum, mal trunken kreisend, mal stürmisch wirbelnd, mal lautlos und mal wie durch ein geheimes Zeichen zum Klingen gebracht. Während sich Müllers Körper in ständiger Bewegung durch den Raum befindet, zeichnen die Stäbe Figuren in die Luft, die nur von kurzer Dauer sind. Was dabei entsteht, ist ein kontinuierlicher Dialog zwischen dem Jongleur und seinen Objekten. / Jörg Müller has spent over 20 years researching and experimenting around the concept of juggling in the course of which he has developed a form entirely his own. In “mobile” he works with five long aluminium poles suspended on a virtually invisible thread. These poles appear to hover floating in the space, circling drunkenly at some times, spinning frenetically at others, sometimes silently and sometimes emitting sound as if activated by a secret signal. While Müller’s body moves constantly through the space, the rods draw figures in the air that only last briefly. The result is a continuous dialogue between the juggler and his objects.

Compagnie  MPTA

Konzept und Performance / Conception and performance: Juan Ignacio Tula, Stefan Kinsman Künstlerische Leitung /  Artistic direction: Mathurin Bolze, Séverine Chavrier Klangregie / Sound design: Jérôme Fèvre Licht / Lighting design: Jérémie Cusenier Technisches Management /  Technical management: Gildas Céleste

Von und mit / By and with: Jörg Müller Konzept, Regie, Musik, Objektdesign / Conception, direction, music, object design: Jörg Müller Licht / Lighting design: Jérémie Cusenier Mit Unterstützung von François Crevantes und Emmanuel Cury St Sauveur / With the support of François Crevantes and Emmanuel Cury St Sauveur

Mit Unterstützung der Region ChampagneArdenne, dem Centre national des arts du cirque (Cnac) und dem Unterstützungsfonds der Handwerkerinnung 2015 (DGCA, DRAC Rhône-Alpes) / With the support of the region Champagne-Ardenne, the Centre national des arts du cirque (Cnac) and the device (plan) of assistants to the trade guilds 2015 (DGCA, DRAC Rhône-Alpes)

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ACCOMPANYING PROGRAMME

BEGLEITPROGRAMM ACCOMPANYING PROGRAMME


Ausstellung / Exhibition

Konzerte / Concerts

Lukas Berger: Im Kreis der Manege / In the Circle of the Arena

Geordie Little

7. & 8. April Ganztags / All-day Unteres Foyer/Lower foyer

Ob im zeitgenössischen Cirk La Putyka in Prag oder in der „Stadt der Akrobaten“ im chinesischen Wuqiao – der Fotograf Lukas Berger begibt sich mit seiner Kamera überall auf die Spuren des Zirkus. Er blickt dabei hinter die Kulissen des Circus Roncalli – dem Inbegriff jeder kindlichen Zirkuserfahrung – und schweift mit dem äthiopischen Circus Debere Berhan und dem pakistanischen Lucky Irani Circus in die Ferne. Seine Ausstellung „Im Kreis der Manege“ dokumentiert neben dem Geschehen in der Manege auch die Szenerien abseits des Publikums und offenbart damit einen persönlichen Einblick in diese ganz unterschiedlichen Zirkuswelten. / Whether at the contemporary Cirk La Putyka in Prague or in the “city of acrobats” in the Chinese region of Wuqiao – with his camera, photographer Lukas Berger traces the circus all over the world. He goes behind the scenes of Circus Roncalli – the epitome of every child’s circus experience – and journeys far away with the Ethiopian Circus Debere Berhan and the Pakistani Lucky Irani Circus. As a complement to the events presented in the ring, his exhibition „In the Circle of the Arena“ will also document scenes usually remote from the spectators, granting a personal insight into these very different circus worlds.

Artist Talks 7. & 8. April 17:15 Uhr

7. & 8. April 17:00 Uhr Oberes Foyer / Upper foyer

Mit seinem melodischen Mix aus Fingerstyle und perkussivem Spiel hat sich der Gitarrist Geordie Little längst in Berlin und darüber hinaus einen Namen gemacht. Der Wahlberliner mit australischen Wurzeln ist mit seiner Akustikgitarre sowohl solo als auch im Duo Little Spencer unterwegs. Außerdem gestaltete er die Live-Musik für die mehrfach ausgezeichnete Circusshow „Fauna“ der gleichnamigen Kompanie. / His melodic mix of finger-style and percussive playing has long made a name for guitarist Geordie Little, in Berlin and beyond. The Australian-born Berliner-by-choice plays his acoustic guitar both solo and as part of the duo Little Spencer. He also created the live music for the award-winning circus show “Fauna” by the company of the same name.

L.I.A 7. & 8. April 21:15 Uhr Oberes Foyer / Upper foyer

Beatboxerin, Produzentin und Vocal-Loop-Künstlerin L.I.A ist mit ihrem genreüberschreitenden Showprogramm „The Human Disco Show“ schon seit mehreren Jahren unterwegs. Als Live-Act agiert sie als DJ, MC und Human Beatbox und bewegt sich frei zwischen Reggae, Electro, Dubstep, Pop und Hip-Hop. /  Beatboxer, producer and vocal loop-artist L.I.A. has been touring her show programme “The Human Disco Show” for several years. She performs live as a DJ, MC and Human Beatbox, moving freely between Reggae, Electro, Dubstep, Pop and Hip-Hop.

Oberes Foyer / Upper foyer

Jeroen Versteele, Dramaturg der Berliner Festspiele, spricht mit den Researcher*innen über ihre Herangehensweisen an das Thema Kreis, ihre Erfahrungen in den Reseach-Labs, den Austausch mit den Künstler*innen und die Entstehung der abschließenden Präsentationen. / Jeroen Versteele, dramaturg of Berliner Festspiele, and the researchers will talk about their approaches to the theme of “the circle”, their experiences of the research labs, the exchange between the artists and the creation of the final presentations.

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OFFENER BRIEF

OPEN LETTER

OFFENER BRIEF OPEN LETTER

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Die Notwendigkeit einer Neudefinition – Erster Offener Brief an den Circus The need to redefine – First Open Letter to the Circus Bauke Lievens

DE EN Liebe Circusartist*innen, dies ist ein Brief. Oder vielmehr der erste in einer Reihe von Briefen, die im Laufe der nächsten zwei Jahre veröffentlicht werden. Mit diesen Briefen möchte ich ansprechen, was mir in der zeitgenössischen Circuslandschaft, in der wir arbeiten, als notwendig erscheint: Wir müssen das, was wir tun, neu definieren. Wir müssen darüber sprechen, wie wir es tun. Und wir müssen uns auf die Suche nach Antworten begeben, warum wir es Dear circus artists, tun. Und, nicht zuletzt, müssen wir komThis is a letter. Or rather, the first in a series plexe und vielfältige Methoden entwickeln, of letters to be published through the next die uns bei der Ausführung unserer Arbeit two years. Together they will attempt to helfen. […] address what I see as an urgent need of the contemporary circus landscape in which we work: that is, the need to redefine what we do. To talk about how we do it. To search for answers to the question of why we do it. And, last but not least, to develop complex and diverse tools that help us to do it. […] 25


OFFENER BRIEF OPEN LETTER

For most of its history the circus was occupied almost entirely with skill and technique, and thus with form. This does not mean that it had no content: in traditional circus, the mastering of physically demanding, dangerous techniques and the taming of wild animals can be seen as expressions of a belief in the supremacy of humankind over nature and Während eines Großteils seiner Geschichte beschäfover natural forces such as gravity. tigte sich der Zirkus überwiegend mit Kunststücken This heavy focus on skill expressed, und körperlichen Fertigkeiten, mit anderen Worten: and even helped to propagate, a conIm Mittelpunkt stand die Form. Dies soll jedoch nicht temporary image of man that was bedeuten, es hätte keine inhaltliche Ebene gegeben: inspired by a belief in the “big stoIm traditionellen Zirkus kann man die Bewältigung ries” of the time – cultural narravon körperlich fordernden, gefährlichen Kunststütives like the Idea of Progress, which cken und das Zähmen von wilden Tieren als Metaemerged from the Enlightenment and pher für den Glauben an die Überlegenheit des Menbecame influential in the modern era schen über die Natur und die Naturgewalten, wie etwa that spaned the 19th and beginnings die Schwerkraft, verstehen. Der starke Fokus auf körof the 20th century. Traditional circus perliche Fertigkeit spiegelte das damalige Menschenwas also born during the Industrial bild wider und trug sogar zu dessen Verbreitung bei. Revolution, at a time of rapid urbanJenes Menschenbild war geprägt vom Glauben an isation and in the midst of a suddie „großen Geschichten“ den boom in entertainment that seiner Zeit – von kulturellen sought to please the quickly Vorstellungen wie etwa der growing working class audience. Fortschrittsidee, die in der […] Shaped in this way by comAufklärung entstand und die merce and culture, the forms of Moderne, die sich über das the traditional circus were nei19. Jahrhundert und den Beginn des 20. Jahrhunther innocent nor meaningless. They derts erstreckt, stark beeinflusste. Der traditionelle functioned as a frame, reinforcing a Zirkus entstand während der Industriellen Revoluparticular way of seeing and experition, in einer Periode der schnellen Urbanisierung und encing the world. inmitten eines plötzlichen Unterhaltungsbooms, welcher dem schnell wachsenden Publikum der ArbeiFast forward to the 1970s, France. ter*innenklasse gerecht werden musste. […] Die auf A group of young theatre directors is diese Weise durch Kultur und Kommerz geformten looking for more accessible and popSpielarten des traditionellen Zirkus waren also weder ular forms of making theatre, faithful unschuldig noch bedeutungslos. Sie fungierten vielas they are to their May 1968 beliefs mehr als Rahmungen, die eine bestimmte Sicht- und that art should be brought to the peoWahrnehmungsweise der Welt verstärkten. ple. In their quest, they happen upon the circus with its immediate accesSpringen wir ins Frankreich der 1970er-Jahre: Eine sibility, physical language, and use of Gruppe junger Theatermacher*innen sucht nach public and popular spaces – the street leichter zugänglichen und populären Formen des and the tent. Initially, they insert techTheaters. Geprägt durch die 68er-Bewegung, sind niques from the circus into their theasie der Überzeugung, dass die Kunst zu den Mentre performances, but their work soon schen zu bringen sei. Der Zirkus schien diesem Kriinfluences the circus itself. […] terium gerecht zu werden: Er verfügte über eine unmittelbare Zugänglichkeit, eine non-verbale Ausdrucksform und bespielte vor allem öffentliche und

„Im Mittelpunkt stand die Form.“

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beliebte Räume – die Straße und das Zelt. Zunächst integrierten sie also Zirkus-Elemente in ihre Theatervorführungen, bald jedoch beeinflusste ihre Arbeit den ­Zirkus selbst. […] Der Nouveau Cirque ist geboren, und an die Stelle des Menschenbildes, welches der traditionelle Zirkus ausdrückt, treten nun die dramatis personae und eine lineare Erzählstruktur. Die zentrale Neuerung des Nouveau ­Cirque ist somit die Idee, dass Form und Inhalt voneinander trennbar sind, ohne einen Verlust auf beiden Seiten. Dabei werden die traditionellen Zirkusfertigkeiten (Form) isoliert, um diese mit den Narrativen des Theaters der 1980er-Jahre (Inhalt) zu kombinieren. Was jedoch allen Kunstformen gemein ist, ist die Verschränkung von Form (Wie?), Inhalt (Was?) und Kontext (Warum?). Sie sind untrennbar miteinander verbunden. In anderen Worten: Die Wahl der Form und/oder des Mediums verweist zwangsläufig auf eine bestimmte Vision oder auf einen bestimmten Inhalt, die wiederum stets in einem Zusammenhang zum Kontext stehen, in dem die*der Künstler*in arbeitet und zu der Frage, warum sie*er arbeitet. […]

Nouveau Cirque is born, and the vision of man expressed by traditional circus is seemingly exchanged for something else: the dramatic personae and the linear story. At the root of Nouveau Cirque, then, lies the idea that form and content are two separate entities, which can somehow be divided without loss on either side: traditional circus skills (form) are isolated in order to combine them with the narratives of the theatre of the 1980s (content). Common to all art forms, however, is the interweaving of form (how?), content (what?), and context (why?). The three are intimately linked and inseparable. In other words: the choice of the form and/or medium always expresses a certain vision or content, which, in turn, is always linked to the context in which an artist makes work and the question of why they make work. […]

“  The choice of the form and/or medium always expresses a certain vision or content”.

Der traditionelle Zirkus mit seiner Liebe zu körperlichen Fertigkeiten und der Anordnung der Zuschauer*innen im Kreis versucht nicht, eine Illusion zu erzeugen. Stattdessen geht es um die reale Begegnung von Körpern. Hier gibt es keine vierte Wand. […] Statt einer Geschichte gibt es eine Abfolge von Darbietungen und mit Ausnahme der Figur des Clowns existieren keine dramatis personae. Das Scheitern des Nouveau Cirque lag am Versuch, diese reale Präsenz mit einer Illusion zu verknüpfen, zu einer Zeit, als die inhärenten Eigenschaften des Zirkus mit dem aufstrebenden postdramatischen Theater resonierten. Genau darum unterbricht das Zirkuskunststück immer den Erzählstrang im Nouveau Cirque. Es ist schlichtweg unmöglich, diese beiden Elemente zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden. Im Angesicht physischer Gefahr (Präsenz) hält die Geschichte (Repräsentation) einfach an. […]

Circus, with its love of physical skill and its history of placing the audience in the round, does not attempt to create an illusion. Instead, it focuses on a real meeting of bodies. There is no fourth wall. […] There is no story, but a succession of acts. Except for the clown, there are no dramatic personae. The failure of Nouveau Cirque was in trying to combine real presence with make-believe at exactly the moment when the innate qualities of circus resonated with the emergence of post-dramatic theatre. This is why, in the Nouveau Cirque, circus acts always interrupt the narrative. It is simply not possible to combine the two in one smooth whole. At the moment of physical danger (of presence), the story (the re-presentation) simply stops. […] 27


OFFENER BRIEF OPEN LETTER

[W]hat is often missing is the understanding that the mastering of technical skill (the form) expresses that old, traditional vision of Man, and of the world in general. What we present on stage are heroes and heroines, often without any critique or irony, in a way that is anachronistic and implausible in the context of our postmodern, metamodern or even posthuman experiences of the world surrounding us. Our contemporary Western world can no longer be bound together by one big story, nor by the belief that one coherent narrative can give meaning to our experience of that same world; attempts to do this generally come across as trite or naive, or as escapist fantasies. Something else, though, is taking the place of these big stories: with the obvious disruption of the ecological, financial and geopolitical systems that surround us, it feels as though we are gradually moving away from the dead end of the postmodern aversion towards binding narratives. […] To be able to relate to these wider movements in culture, I think it is important that we become more aware of the fact that the skillful forms of circus are expressions of a very particular way of seeing and experiencing the world. As long as we continue to replicate the model of the past, we will fail to connect our craft to the underlying questions – of what we’re doing, why we’re doing it and how we do it – and we will keep on communicating exactly that: craft. […]

Oft fehlt jedoch das Verständnis dafür, dass das Meistern von technischen Fertigkeiten (die Form) traditionelle Menschenbilder und Weltverständnisse transportiert. Auf der Bühne zeigen wir Held*innen, oft ohne jede Form der Kritik und Ironie. Dies erscheint widersprüchlich, vor allem im Kontext unserer postmodernen, metamodernen oder gar posthumanen Erfahrungen mit der Welt, die uns umgibt. Unsere gegenwärtige westliche Welt kann nicht länger von einer „großen Geschichte“ zusammengehalten werden oder von dem Glauben, dass eine kohärente Erzählung unserer Welterfahrung Sinn verleihen könne. Versuche in dieser Richtung erweisen sich meist als banal oder naiv, oder fungieren als eskapistische Fantasien. Etwas anderes tritt jedoch an die Stelle dieser großen Geschichten: Mit dem offensichtlichen Zusammenbruch unserer ökonomischen, ökologischen und geopolitischen Systeme scheinen wir uns schrittweise von der Sackgasse der postmodernen Abneigung gegenüber stringenten Narrativen zu entfernen. […] Um diese umfassenden kulturellen Entwicklungen nachvollziehen zu können, halte ich es für wichtig, dass wir uns der Tatsache bewusster werden, dass die kunstfertigen Formen im Zirkus der Ausdruck einer besonderen Sichtweise und Erfahrung der Welt sind. Solange wir das Modell der Vergangenheit reproduzieren, werden wir es nicht schaffen, unser Handwerk mit den grundlegenden Fragen zu verbinden – was wir tun, warum wir es tun und wie wir es tun – und werden auch weiterhin nur eines kommunizieren: Handwerkskunst. […]

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„Solange wir das Modell der Vergangenheit reproduzie­ren, werden wir es nicht schaffen, unser Handwerk mit den grundlegenden Fragen zu verbinden“ 29


OFFENER BRIEF OPEN LETTER

“We need to find out what specifics define circus as circus”

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Wenn wir möchten, dass der Circus innovativer, überraschender, exzentrischer und verstörender wird, so müssen wir die enge Bindung zwischen der Form des Circus und dem Inhalt verstehen, den wir mit dieser ausdrücken können. Wir müssen herausfinden, welche Eigenschaften den Circus zum Circus machen, über die technischen Fertigkeiten hinaus. Jeder Versuch einer Definition dessen, was wir tun, muss um den Versuch ergänzt werden, einen Bereich für künstlerische Forschung innerhalb des Circus abzustecken. Diese beiden Ebenen überschneiden sich. Es handelt sich um zwei Pole desselben Kontinuums. Ohne Forschung kann keine Neudefinition des Mediums gefunden werden und ohne die Neudefinition des Mediums bleibt innovative künstlerische Forschung, die über die technischen Fertigkeiten hinausgeht, unmöglich. Da der Zirkus historisch eine randständige Position innerhalb der darstellenden Künste (und in der Gesellschaft allgemein) eingenommen hat, müssen wir die Dynamik unserer sich verändernden Position verstehen. Vielleicht ist es an der Zeit, über Zirkus hinauszugehen. Lasst uns die vielen verschiedenen Antworten auf die Frage suchen, warum wir zeitgenössischen Circus machen wollen, wie wir Circus machen wollen und was wir mit Circus ausdrücken wollen (und können). Lasst uns das gemeinsam machen. Lasst uns miteinander diskutieren und einander widersprechen. […] Bauke Lievens arbeitet als Dramaturgin für zeitgenössischen Circus und Tanz. Dies ist ein Auszug aus dem ersten Brief des Zyklus „Offene Briefe an den Circus“, der im Rahmen des vierjährigen Forschungsprojekts „Zwischen Sein und Vorstellung: Auf der Suche nach einer Methodologie für zeitgenössischen Zirkus“ entstanden ist; gefördert vom Forschungsfonds der KASK - School of Arts (Gent). Übersetzung und deutsche Erstveröffentlichung: IG Kultur, „Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda“, 2.16, Wien 2016, S. 66-70

If we want circus to become more innovative, surprising, weird and disturbing, we need to understand the intimate bond between the forms of the circus and the content that we can express within those forms. We need to find out what specifics define circus as circus, and this beyond technical skill. Any attempt at defining what we do must be matched by an attempt to mark out the field for artistic research within circus. The two overlap. They are two poles on the same continuum. Without research no “new” definition of the medium can be reached, and without a “new” definition of the medium there can be no possible pathways for artistic research beyond technical skill.

Since circus has historically occupied a somewhat marginal position within the performing arts (as it did in society in general) we need to understand the dynamics of our changing position. Maybe it is time to go beyond circus. Let us search for countless different answers to the questions of why we want to do circus, how we want to do circus, and what we (can possibly) express by doing circus. Let us do that together. Let us discuss and contradict each other. […]

Bauke Lievens works as a dramaturge for contemporary circus and dance. This is an excerpt of the first letter of a cycle of “Open Letters to the Circus” written in the framework of the four-year research project “Between Being and Imagining: towards a methodology for artistic research in contemporary circus”; funded by the research fund of KASK School of Arts (Ghent). Initial release: www.e-tcetera.be, 8.12.2015

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NOTIZEN

NOTES

NOTIZEN NOTES

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Kuratoren /Curators: Johannes Hilliger, Josa Kölbel Organisation: Hélène Philippot (Ltg./Head), Christopher Hupe, Farina Berndt (Praktikantin/Trainee)

A Division of Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH Supported by the Federal Government Commissioner for Culture and the Media Intendant /Artistic Direction: Dr. Thomas Oberender

Künstler*innenbetreuung /Artist Service: Farina Berndt

Kaufmännische Geschäftsführerin / Managing Director: Charlotte Sieben

Technische Planung /Technical Planning: Birte Dördelmann

Dramaturg der Intendanz / Dramaturge of the Artistic Direction: Jeroen Versteele

Licht /Lighting: Thomas Schmidt

Leitung Kommunikation /  Head of Communications: Claudia Nola

Ton /Sound: Arne Vierck Spielstättenleitung /Venue Management: Karsten Neßler Inspizient, Dramaturgie /Stage Manager, Dramaturgy: Tobias Stübing Ausstattung /Interior Design: Thilo Ullrich

Magazin / Magazine

Presse / Press: Nora Gores, Patricia Hofmann, Svenja Kauer, Ida Steffen, Jennifer Wilkens Redaktion / Editorial Office: Dr. Barbara Barthelmes, Andrea Berger, Paul Rabe, Lisa Schmidt, Jochen Werner Internetredaktion / Internet Editors: Frank Giesker, Jan Köhler

Herausgeber /Editor: Berliner Festspiele

Marketing / Marketing: Gerlind Fichte, Jan Heberlein, Michaela Mainberger

Redaktion /Editorial Department: Andrea Berger, Paul Rabe, Lisa Schmidt

Grafik / Graphic Design: Christine Berkenhoff, Felix Ewers, Nafi Mirzaii

Übersetzung /Translation: Elena Krüskemper, David Tushingham

Vertrieb / Distribution: Uwe Krey, Josip Jolic

Visuelles Konzept, Grafik / Visual Concept, Graphic Design: Eps51

Ticket Office: Ingo Franke (Ltg./  Head), Simone Erlein, Frano Ivic, Gabriele Mielke, Torsten Sommer, Sibylle Steffen, Alexa Stümpke, Marc Völz

Druck /Production: Medialis Offsetdruck Papier /Paper: Circle Offset (Umschlag) Plano Plus (Innenteil) Schrift /Font: Sneak, GT America Mono Bildnachweis /Picture Credits: S.  5:  „Zirkus Circus Cirque“, 28. Berliner Festwochen 1978, hrsg. v. Jörn Merkert, Nationalgalerie Berlin, 1978, Cover. S.  12 & 29:  Cirk La Putyka, 2016; S.  17:  Lucky Irani Circus, 2012; S.  30:  Debere Berhan, 2014 © Lukas Berger

IMPRESSUM

Circus „Die Originale“

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Medienpartner / Media partners

Hotelbüro /Hotel Department: Heinz Bernd Kleinpaß (Ltg./Head), Florian Hauer, Frauke Nissen Protokoll /Protocol: Gerhild Heyder Berliner Festspiele Schaperstraße 24 10719 Berlin Tel. 030 254 890 www.berlinerfestspiele.de

Veranstalter /  Organiser

Gefördert durch /Funded by

Berliner Festspiele Ein Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien /

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Mit freundlicher Unterstützung von /  With kind support of


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