Foreign Affairs 2013 - Die Wette

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DIE WETTE DIE

ET THE BET www.berlinerfestspiele.de www.kw-berlin.de


Inhalt

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DIE WETTE – Eine Untersuchung über Zweifel, Kontingenz und Sinn in Ökonomie und Gesellschaft. Performance-Wochenende

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VIER GEWINNT: DIE WETTE. Ausstellung

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YOU BET – THIS IS THE FUTURE. Filmprogramm

Beteiligte KÜNSTLERINNEN & KÜNSTLER:

16 BÖHLER & ORENDT: Mehrung #5 18 PIETER DE BUYSSER: In Praise of Speculation 20 ARMIN CHODZINSKI & NIS KÖTTING: Dr. C erklärt: Das Wetten 22 JOCHEN DEHN: Why Stand When You Can Fall 24 ELENA ESPOSITO: Wette und Schicksal: Beobachtung und Konstruktion

der Zukunft

26 Tim Etchells: A Lucky Lottery Future 28 CLAIRE FONTAINE: Get Lost 30 FORCED ENTERTAINMENT: ALL (TOMORROW’S PARTIES) 32 WILLIAM FORSYTHE: Suspense & The Defenders Part 3 34 NIKOLAUS GANSTERER: Theoriegehäuse 36 GEHEIMAGENTUR & JOSHUA SOFAER: Der Unwahrscheinlichkeitsdrive 38 HADLEY+MAXWELL: The House Rules (Betting is for Losers)


40 GOLDIN+SENNEBY: The Discreet Charm 42 HEATSICK: Extended Play 44 DANIEL KELLER: FUBU Career CAPTCHA's & Soft Staycation (Gaze Track Edit) 46 JOHANNES KREIDLER: Rich Harmonies 48 BARBARA MATIJEVIĆ & GIUSEPPE CHICO: Forecasting 50 MOTHER FUTURE: The Safe Bet 52 MICHAEL PORTNOY: Abstract Gambling 54 JOHANNES PAUL RAETHER feat. UTE WALDHAUSEN:

Protektorama Akhada Materialistischer Spiritologie

56 REACTOR: Dummy Button 58 SASKIA SASSEN & RICHARD SENNETT: Wetten mit dem Leben der Anderen 60 SANTIAGO SIERRA: 20 m3 Erde von der Iberischen Halbinsel 62 JANEK SIMON: A Short Survey of Lotto Winning Strategies 64 CALLY SPOONER: And You Were Wonderful, On Stage 66 DANIEL TYRANDELLIS & JOSEPH VOGL: Geld=Wunsch*(Vertrauen / Zeit) 68 DANIEL BOY, TANJA KRONE, EMMA RÖNNEBECK,

INGOLF MÜLLER-BECK: Wetten, was geht

70 ELLEN BLUMENSTEIN und MATTHIAS VON HARTZ: Ein Gespräch 77

Das Wette-ABC






Performance-Wochenende

DIE WETTE – Eine Untersuchung über Zweifel,

Kontingenz und Sinn in Ökonomie und Gesellschaft

Mit der Einsicht, dass die Ungewissheiten unserer Zukunft auch mit den scheinbar sicheren Kalkülen der Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht in den Griff zu bekommen sind, stürzen wir uns in zwei Tage voll spekulati­ ver künstlerischer und theoretischer Versuchsanordnungen zum Thema Wette. Mit dem Glauben, dass die rein mathematischen Erklärungsmo­ delle der Ökonomie längst nicht mehr ausreichen, um die komplexen Strukturen und Bedingungen unserer Gesellschaften auch nur annä­ hernd zu erfassen, geben wir uns an diesen beiden Tagen dem Versuch hin, die Wette als unterschätztes Phänomen unserer Gegenwart in den Blick zu nehmen. Als Startpunkt der Kooperation zwischen Berliner Festspiele/Foreign Affairs und den KW Institute for Contemporary Art freuen wir uns auf ein Wochenende mit Performances zwischen Thea­ ter, Kunst und Theorie, das begleitet wird von zwei Ausstellungsprojek­ ten in den KW: den beiden Arbeiten „Suspense“ und „The Defenders Part 3“ von William Forsythe und der Gruppenausstellung „Vier Ge­ winnt: Die Wette“. Wir laden Sie am frühen Freitag Abend zuerst ins Haus der Berliner Festspiele, zum Abschluss des unwahrscheinlichsten Unwahrscheinlich­ keitsdrives aller Zeiten, den wir gemeinsam mit geheimagentur & Joshua Sofaer auf der Großen Bühne der Berliner Festspiele feiern. Um 21:00 Uhr wird in den KW in der Auguststraße das Performance-Wochenende mit einem konzentrierten Wettprogramm eröffnet: Ein Casino von Mi­ chael Portnoy und ein Wettbüro für Zeit von Reactor laden die Besuche­ rinnen und Besucher zum Mitmachen ein, bis ein Filmprogramm im In­ nenhof der KW die Nacht beschließt. Am Samstag erwarten wir Sie um 15:00 Uhr in den KW zurück, für einen Doppelstart von Jochen Dehn und Hadley+Maxwell. Cally Spooner zeigt im Anschluss ein Musical, bevor Daniel Tyradellis im Gespräch mit Joseph Vogl dessen Gleichung „Geld=Wunsch*(Vertrauen/Zeit)“ erörtert.


Das Abendprogramm im Haus der Berliner Festspiele startet um 19:00 Uhr mit einer Einführung von Elena Esposito und Nikolaus Gansterer zu Wette & Schicksal. Die italienische Soziologin wird uns die tückischen Fallen in der Beobachtung und Konstruktion von Zukunft darlegen. Wenn Sie in den darauffolgenden Stunden die Prognosen von Forced Entertain­ ment im Großen Saal jemals wieder verlassen möchten, erwartet Sie ein Abend mit Wette und Spekulation, bildender und performativer Kunst, Theorie und Spiel auf dem gesamten Gelände der Berliner Festspiele: Auf der Seitenbühne sprechen Richard Sennett und Saskia Sassen über makroökonomische Konsequenzen der Spekulation in unseren globali­ sierten Gesellschaften, bevor Giuseppe Chico und Barbara Matijević dort ihre Performance „Forecasting“ zeigen. Lecture Performances von drei ganz unterschiedlichen Künstlern finden Sie in der Kassenhalle: Pieter De Buysser hält ein Lob auf die Spekulation, Janek Simon führt unterschiedliche Strategien fürs Lottospiel vor und Armin Chodzinski & Nis Kötting versuchen sich an einem musikali­ schen Lexikon zur Wette. Draußen im Garten erwartet Sie Johannes Paul Raether a.k.a. Protek­ torama, die Weltheilungshexe, unter einer Kastanie, vor dem Haus lädt Santiago Sierra seine 20 m3 Erde von der Iberischen Halbinsel ab, in der Bornemann-Bar spielt Johannes Kreidler sämtliche 3028 Ziehungen der „6 aus 49“-Lotterie in der BRD (erstmals am 9.10.1955) als Folge sechs­ stimmiger Akkorde, bevor Heatsick dort zu später Stunde übernimmt. An den Wettcountern im Foyer erwarten Sie unsere Wett-Master den ganzen Abend lang, Mother Future legt im Mobile House ihre Karten aus und Tim Etchells lädt Sie zu seiner „Happy Lottery Future” ein. Tippen Sie mit bei einem Abend der Superlative! Auf unsere gemeinsame Zukunft!

Ellen Blumenstein & Matthias von Hartz


Ausstellung

VIER GEWINNT: DIE WETTE Das Phänomen der Wette findet sich in unterschiedlichen gesellschaft­ lichen Bereichen wieder – von postfordistischer Finanzspekulation über Glücksspiele, Goethes Wette auf Gott bis hin zum Buch Hiob: Man setzt seinen Einsatz auf den Ausgang der Ereignisse. Mit „Vier gewinnt: Die Wette“ setzen die KW Institute for Contemporary Art die Untersuchung über Wette und Spekulation, die in Kooperation mit Foreign Affaires für das Performance-Wochenende „Die Wette eine Untersuchung über Zweifel, Kontingenz und Sinn in Ökonomie und Gesellschaft” angestoßen wurde, im Format der Ausstellung fort. Vier künstlerische Positionen verhandeln aus verschiedenen Perspekti­ ven, was das Wetten heute bedeuten kann: Das schwedische Künstlerduo Goldin+Senneby untersucht das Phäno­ men der Wette vor dem Hintergrund kapitalistischer Finanzspekulati­ on. In einer Gesellschaft, in der das Wetten sich größtenteils auf sinn­ entleertes Glücksspiel reduziert, stellt ihre Arbeit „The Discreet Charm“ (2011/2012) innerhalb der Ausstellung die ökonomischen Finanzstrate­ gien als die wichtigsten Wetten unserer Zeit dar, die zwar die Existenz ganzer Staaten und gesellschaftlicher Systeme aufs Spiel setzen, letzt­ endlich aber nur von einigen wenigen gespielt – und kontrolliert – werden. Der amerikanische Künstler Daniel Keller stellt mit seinen neuen Arbeiten Mutmaßungen über die Arbeitswelt der Zukunft an. Er verhandelt dabei utopische wie auch dystopische Ideen zu zukünftigen Arbeitsstrukturen – beispielsweise von dem Autor Martin Ford – und übersetzt diese Auseinan­ dersetzung in visuelle Objekte, etwa in dreidimensionale PVC-Schriftzüge, die sinnfreie Jobbezeichnungen aus einer High-Tech-Zukunft zeigen, in der Arbeit und Jobs für die Menschen künstlich produziert werden müssen.


KW 1+2 OG, bis 04. August 2013, Mi bis Mo 12:00 bis 19:00 Uhr, Do bis 21:00 Uhr.

Claire Fontaine zeigt in ihrer Arbeit „Get Lost“ (2007) die Komplexität von zwischenmenschlichen Beziehungen im Kapitalismus auf. Mit Bezug auf Hamlets Ausspruch „I did love you once“ stellt sich dem Betrachter auf zwei Monitoren ein Überangebot attraktiver Paarungsoptionen dar: Die Bilder schöner Menschen flackern dem Betrachter in einem Über­ angebot entgegen, das die Idee von Liebe in einen Referenzrahmen mit Vorstellungen und Konzepten von Konsum und Überflussgesellschaft stellt. So entsteht das Gefühl, dass Liebe nicht nur kurzweilig und ver­ gänglich ist, sondern dass im Neoliberalismus auch Liebe und Bezie­ hungen den Regeln des Marktes folgen müssen. Mit dem installativen Performancezyklus „Mehrung“ bringen die Künstler Böhler & Orendt zwei zentrale Aspekte der Wette zusammen: Glaube und Spekulation. Wie bei der Pascal'schen Wette, bei der der Descartes'sche Zweifel an die Existenz Gottes durch die Wette auf Gott überbrückt wurde, setzen die Besucher dieser neuproduzierten Arbeit voll auf die Zukunft der Spekulation, auch wenn sie wissen, dass es ge­ nauso gut anders laufen könnte. Das Setting von „Mehrung #5“ erinnert an einen Kult, dessen Regeln und Riten nicht zu dechiffrieren sind. Das Objekt der Begierde, dem sich die Anhänger der Geheimgesellschaft verschrieben haben und dem sie – gleich einer religiösen Sekte huldigen – ist eine Mehrungskurve. Die Visualisierung der Exponentialfunktion zeigt den steigenden Verlauf eines Wertes im Koordinatensystem als ein Abbild der Leistungsgesellschaft, in der die (Ver-)Mehrung von Kapital an oberster Stelle steht.


Filmprogramm

YOU BET – THIS IS THE FUTURE Jan Peter Hammer:

The Fable of the Bees (2012), HD, 8’ Annika Eriksson:

Arbeitswelt (2003), Videoexzerpte, 10’ Pilvi Takala:

Players (2010). Video, 7’50’’ Ayşe Erkmen:

Coffee (2007), Video, 25’ Cao Fei + RMB City:

The Birth of RMB City (2009), Video, 10’30’’ Eine Wette berührt immer Gegenwart und Zukunft gleichermaßen, weil sie ausgehend vom Ist-Zustand eine Hypothese für eine mögliche oder wahrscheinliche Zukunft entwirft. Wetten berühren Fragen der Spekula­ tion, der Sicherheit, des Risikos und des (Aber-)Glaubens, und zwar im­ mer mit Blick auf eine (best-)mögliche Zukunft. Das Filmprogramm „The Bet – This is the Future“ betrachtet das Ver­ hältnis von Wette, Versicherung und Spekulation zur Zukunft und un­ tersucht, wie wir uns Bilder von der Zukunft machen und gleichzeitig versuchen, diese zu beeinflussen. Jan Peter Hammers Film „The Fable of the Bees“ nimmt das gleichnamige Gedicht von Bernard Mandeville zum Ausgangspunkt eines Gedankenspiels über gesellschaftliche Konstruktionen in der Zukunft: Wenn wir alle besse­ re Menschen wären, wäre die Welt dann ein besserer Ort?


KW Hof, Fr 23:00 Uhr

Hammer dekonstruiert diese utopische Idee mit den Mitteln ökonomi­ scher Marktanalyse und schlussfolgert: „Better people make the world a worse place.“ In einer Gesellschaft, die auf das Risiko und die Kontingenz von Wetten mit verstärktem Sicherheitsbedürfnis reagiert, um die Zukunft so bere­ chenbar wie möglich zu halten, befragt Annika Erikssons Film „Arbeits­ welt“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Swiss RE Versicherung zu deren eigener Vorstellung von Sicherheit. An ihrem Arbeitsplatz sprechen die Mitarbeiter nicht nur über ihren eigenen Beruf, sondern geben auch Einblick in ihre Vorstellungen von Sicherheit und die Rolle, die sie für ihre Gegenwart und Zukunft spielt. Im Gegensatz dazu stehen die skandinavischen Pokerspieler in Pilvi Ta­ kalas Film „Players“. Takala zeichnet deren Leben in Thailand nach, wo sie ihre Zukunft durch professionellen Online-Poker jeden Tag neu er­ spielen. Sichtbar wird deren isolierte Lebensrealität, in der die Wette als Methode zwischenmenschlicher Beziehungen gesetzt wird. Welche Methoden gibt es, um mehr über die eigene Zukunft zu erfah­ ren? Ayşe Erkmen zeigt in „Coffee“ eine besondere Art, die Zukunft vor­ herzusagen: den Kaffeesatz lesen. Das Vertrauen in den Kaffeesatz wird hier zum Mediator, um mit den Unbekannten des eigenen Lebens, zukünftig und gegenwärtig, umzugehen. Cao Fei baut in ihrer Filmanimation „The Birth of RMB City“ eine ideale Inselstadt und zeigt, wie die Zukunft aussehen könnte. Mit den Mitteln der Computeranimation stellt sie die Elemente, die für das ideale Leben in der Zukunft wichtig sind, zusammen: Hochhäuser, Freizeit- und Sportanlagen, Tempel und künstliche Natur. Der Film entwirft ein Bild der Zukunft, das sich immer wieder selbst aktualisiert und keine feste Identität oder Berechenbarkeit braucht.


LER von


KÜNSTL A bis Z


Böhler & Orendt Mehrung #5

„Mehrung #5“ ist der fünfte Teil einer fortlaufenden Reihe von installati­ ven Performances, in denen sich die Erzählung um eine Geheimgesell­ schaft fortsetzt, deren Mitglieder sich völlig der Idee exponentiellen Wachstums verschrieben haben. Sie huldigen ihrer Leitvorstellung in regelmäßigen abendlichen Séancen, die vorrangig die Hervorbringung einer möglichst großen Zahl möglichst prachtvoller plastischer Abbilder des Graphen der Exponentialfunktion zum Inhalt haben. In diesem ­„Urbild des Glücks“ sehen die Anhänger dieses Kults den verlorenen Schlüssel zu einer gedeihlichen Entwicklung des Weltgeschehens, und ­ihnen liegt viel daran, all jene auf den rechten Weg zu führen, denen sich diese Erkenntnis bisher noch nicht offenbart hat. So erhalten im fünften Teil der Erzählung nun auch die Besucher der KW für fünf Wochen die Gelegenheit, eine angemessene, demütige Haltung gegenüber der „Ur-Idee“ einzunehmen, sich in der Herstellung erster bescheidener Andachtswerke zu üben und letztendlich ihre küm­ merliche kleine Seele für dieses höhere Ziel hinzugeben. Matthias Böhler (* 1981 in Aachen) und Christian Orendt (* 1980 in Sighisoara, Rumänien) arbeiten seit 2007 als Böhler & Orendt zusammen. Gemeinsam haben sie großformatige Installationen erar­ beitet, die imaginäre, immersive Umgebungen schaffen und mit der Wahrnehmung von Größenverhältnissen und Vorstellungskraft spiele­ risch umgehen. Häufig befassen sie sich mit dem Verhältnis von Mensch und Umgebung, ob natürlich oder künstlich, und lenken das Augenmerk auf die Ironie dieser Konstruktion. Ihre Arbeiten wurden unter anderem im Museum Schloss Moyland in Bedburg-Hau, im WilhelmHack-Museum Ludwigshafen und in der Halle 14 in Leipzig ausgestellt. www.boehler-orendt.com


KW Ausstellung, 1+2 OG

Installationsansicht Albrecht Dürer Gesellschaft, Nürnberg Foto: © Böhler & Orendt


Pieter de Buysser

IN PRAISE OF SPECULATION IN ZUSAMMENARBEIT MIT NIKOLAUS GANSTERER (S. 34) Bescheiden und beglückt werde ich mit einem Tribut an die edle Kunst des Spekulierens anreisen. Ein Lob auf die Geächteten, die Aufdränger, die Schweine unserer jüngsten Finanzkrise. Ich komme und küsse sie. Die Praxis der Spekulation muss dringend rehabilitiert werden. Wir re­ den nicht gerne darüber. Spekulation, ähnlich wie Gewalt, ist etwas, das zivilisierte Menschen lieber outsourcen, in die Hände von Leuten legen, die sich diese ohne Skrupel schmutzig machen. Dabei sind wir doch alle Geschöpfe, die von Spekulation und Vertrauen, von Kredit und Schulden leben. Wenn man Finanzmenschen das Spekulieren ver­ bietet, kann man ihnen genau so gut untersagen, wie du und ich eine Nase im Gesicht zu tragen. Ich komme mit einem Vorschlag, der mit einem herzlichen Willkommensgruß an das transkapitalistische ­Känguru beginnt. Pieter De Buysser schreibt Performancetexte, Essays, Geschichten und Romane und ist außerdem als Regisseur und Performer tätig. Am HAU war er bisher mit den Performances „Anthology of Optimism“ und „Mauervariationen für Anfänger“ zu sehen. Sein nächstes Solostück „Landscape with Skiproads“ wird vom HAU koproduziert. Einige Stücke wurden auch ins Deutsche übersetzt: „Die Narbe Lippe“, „Ismael Stamp“ und „Nachtsonne“. Die Münchner Kammerspiele zeigten 2006 „Robinson Crusoe, die Frau und der Neger“, De Buyssers Bühnenversion des Romans „Foe“ von J. M. Coetzee. Im selben Jahr war er mit seiner Inszenierung „Eekhoornbrood / Die Lösung“ Gast der Wiesbadener Theater­biennale ,Neue Stücke aus Europa'. www.pieterdebuysser.com


BFS Kassenhalle, Sa 20:00 Uhr, In englischer Sprache


Armin Chodzinski & Nis Kötting Dr. C erklärt: Das Wetten

Die Wette. Das war mal die spielerisch moralische Auflösung eines Kon­ fliktes: Die Vertagung eines Widerstreits zwischen Spekulationen, Wissen, Kompetenzen und Meinungen - meistens der „Anderen“. Die Sache der Salons, des Bürgertums und der Straße zwischen Hahnenkampf und Distinktion. Die große Wette auf den Menschen gibt es auch, aber das nennt sich vielleicht eher Politik, Wirtschaft oder Utopie. Ein Lecture-­ Konzert zwischen Moritat und Lexikonartikel als Versuch einer Begriffs­ klärung in Zeiten der sehnsüchtigen Liebe, die uns zu fatalistischen Konsumenten macht - falls wir nicht aufpassen. Armin Chodzinski (* 1970) hat Kunst studiert, im Management und in der Beratung gearbeitet und in Anthropogeographie promoviert. Er ar­ beitet am Verhältnis von Kunst und Ökonomie, das sich im Stadtraum destilliert. In Performance Lectures, Ausstellungen, Dozenturen, Konzer­ ten und Publikationen versucht er unzureichend, die Welt zu erklären. Seine Methode ist der Selbstversuch. Er lebt und arbeitet in Hamburg. Nis Kötting (* 1981) hat Musikwissenschaft studiert und ist als Pianist und Keyboarder in diversen Bandformationen tätig. Mit der nigeriani­ schen Soul-Sängerin Nneka ist er in den letzten Jahren durch die ganze Welt getourt und hat in unzähligen Clubs und Festivals in Europa, Ame­ rika und Afrika gespielt. Seine Leidenschaft gehört dem Jazz, Funk und Soul - am liebsten in ‚historischer Aufführungspraxis’ mit diversen Vinta­ ge-Keyboards und seiner Hammond Orgel von 1962. Er lebt und arbeitet in Hamburg.


BFS Kassenhalle, Sa 22:00 Uhr

Armin Chodzinski, Foto: Š Frank Egel Photography


Jochen Dehn

Why stand when you can fall (Titel von Charlie Jeffery)

Hätte ich die Zunge von Gene Simmons, die Nase von Ilja Gort, die Brusthaare von Tom Jones und das Lächeln von America Ferrara, bräuchte ich die Beine von David Beckham oder die linken Finger von Keith Richards nicht, um aus einem Unfall ein Vermögen zu machen. Versicherungen sind Schmuck. Sicherheit kann glücklich machen. Man kann Fahrrad fahren, wenn man gelernt hat, in die Richtung zu lenken, in die man fällt. Man kann mit dem Blick aus dem Fenster anfangen, man kann sich zu warm oder zu kalt anziehen. Wahrscheinlich sind meine Chancen nicht größer, von einem Meteoriten getroffen zu werden, wenn ich mich gegen so einen Zusammenstoß ver­ sichere, aber diese Versicherung bringt uns beide auf dem Papier näher. Wir bilden einen Satz. Der Meteorit und ich werden zusammen gedacht. „Why stand when you can fall“ ist ein Vortrag über den Wunsch, mit etwas in Verbindung gebracht zu werden. „Why stand when you can fall“ zeigt in Zeitlupe, wie Verlieben funktioniert. Jochen Dehn (* 1968 in Deutschland), lebt und arbeitet in Paris und be­ schäftigt sich mit unterschiedlichsten Performance-Projekten, erzählt Geschichten und macht häufig den Inhalt zum Hindernis oder Auslöser von Handlung. Seine Performances setzen Bruchstellen und schaffen Einstürze, die Erkennungsmomente für Orte, Gesten und Gedanken schaffen. Seine Recherchen und Theaterarbeiten sind an offiziellen Or­ ten wie auch in Privathäusern, Straßen und anderen eher untypischen Räumen entstanden und umgesetzt worden. Häufig befassen sich sei­ ne Arbeiten mit dem Körper und dem ihn umgebenden Raum, mit den physischen und emotionalen Abständen zwischen Menschen und ihrem möglichen Zusammenprallen. Unter anderem waren seine Performances auf der 11. Biennale de Lyon, am Centre Pompidou in Paris und in Gale­ rien in London, Berlin und Paris zu sehen.


KW Studiolo, Sa 15:00 Uhr

the grandmother´s paradox, in Zusammenarbeit mit J. Fouchard und KD Nguyen Thu Lam 2009 Foto: © V. Veopraseut


Elena Esposito

Wette und Schicksal: Beobachtung und Konstruktion der Zukunft IN ZUSAMMENARBEIT MIT NIKOLAUS GANSTERER (S. 34) Die Wette hat es immer gegeben, aber ihre Bedeutung und ihre Ratio­ nalität haben sich mit der Evolution der Gesellschaft radikal verändert. Denn sie ist eng mit der Interpretation der Zukunft und der Rolle der Menschen in der Gestaltung der Zukunft verbunden. Wer wettet, stellt sich gleichsam außerhalb der Zeit und beobachtet eine vermeintlich schon entschiedene Zukunft, die unabhängig von seinen Handlungen und seinem Verhalten ist. Wer wettet, versucht, den Lauf der Ereignisse zu raten, so wie man versucht, etwas zu raten, worüber wir nicht genug Informationen haben. Derjenige gewinnt, der am nächsten an die rich­ tige Bewertung kommt. Es handelt sich eigentlich um eine de-futurisierte Zukunft, die so behandelt wird, als ob sie Gegenwart wäre – eine Dimen­ sion der Ignoranz, aber nicht der echten Unsicherheit: Wir wissen nicht, was der Fall sein wird, aber es gibt eine korrekte Art, es zu antizipieren. Die Unsicherheit der Zukunft hat aber noch eine andere Qualität: Die Zukunft kann nicht bekannt werden, nicht weil uns die Informationen fehlen, sondern viel weitreichender, weil es sie noch nicht gibt, und die Art und Weise, wie sie sich verwirklichen wird, hängt u.a. auch davon ab, was wir heute tun oder nicht tun – unsere Wetten eingeschlossen. In allen sozialen Lagen verändert die Wette die Bedingungen der Zukunft, die sie zu antizipieren versucht. Diese faszinierende und gefährliche Zirkularität ist nicht immer offensichtlich – z. B. in den Standardfällen von Wetten wie Pferderennen oder Wetten über die Wetterlage. In die­ sen Fällen benutzen wir oft unbewusst die Zeitvorstellung anderer Ge­ sellschaften, für die die Zukunft von einer höheren Instanz schon be­ stimmt war – die Unsicherheit war nur der Beschränktheit der Menschen zuzuschreiben, die nicht fähig sind, in die Zukunft zu sehen und die Dinge im voraus zu kennen. Die Wette ist eine Möglichkeit, diese Ignoranz zu benutzen und gleichsam zu neutralisieren. Wir sind gezwungen, mit einer radikalen Unsicherheit umzugehen: in Fällen, in denen unsere Vorhersage die Bedingungen der Zukunft ver­ ändert, die sie zu vorhersagen versucht, z.B. den Zeiten, in denen in der


BFS GroSSe Bühne, Sa 19:00 Uhr

Urlaubsperiode weniger Verkehr auf der Autobahn herrscht – während alle anderen dasselbe tun. Alle suchen eine „intelligente“ Abfahrt, ­ mit dem Ergebnis, dass die hypothetisch günstigste Zeit die schlimmste wird. Die Wette ist keine einfache Antizipation der Zukunft, sondern wirkt auf sie ein. In der Reflexion über die Wette müssen wir auch über diese Zirkularitäten reflektieren, die manchmal die vernünftigste Wette scheitern und denje­ nigen verdienen lassen, der unvorsichtig gewettet hat. Wir alle wissen: ­ In den Wetten über Fußballergebnisse ist eine vernünftige Vorhersage nicht interessant, denn wenn sie richtig ist, liegen viele andere auch richtig, und man gewinnt fast nichts – ein gewisses Maß an Unvernunft ist für eine gelungen Wette nötig. Wie können wir aber diese Unvernunft steuern und vorhersehen? Was bedeutet, vorsichtig zu wetten? Die Welt der Finanzen bietet lehrreiche Beispiele verschiedener Haltungen zur Wette. Derivate existieren seit Jahrtausenden und sind immer als „sales of a promise“, also als Wette, beschrieben worden, aber die ent­ sprechende Form von Risiko und ihre Verwaltung haben sich stark verän­ dert – wie die Geschehnisse und Probleme der strukturierten Finanz zei­ gen. Die Erforschung der Derivate kann als die Erforschung der Evolution der sozialen Form der Wette und ihrer Blindheiten beschrieben werden. Elena Esposito (* 1960 in Mailand), studierte zunächst Soziologie und Philosophie an der Universität Bologna, u. a. bei Umberto Eco, Autor und Professor für Semiotik. 1986 ging sie nach Bielefeld, um bei Niklas Luhmann zu promovieren und schrieb 2001 an der Universität Bielefeld ihre Habilitation. Heute unterrichtet sie Kommunikationssoziologie an der Universität Modena e Reggio Emilia. Mit Arbeiten wie „Soziales Ver­ gessen. Formen und Medien des Gedächtnisses der Gesellschaft“ (2002) und „Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität“ (2007) hat Elena Esposito die Systemtheorie vorangetrieben. Seit einiger Zeit widmet sie sich der Untersuchung von Prozessen auf den Finanzmärkten.


TIM ETCHELLS

A LUCKY LOTTERY FUTURE

„A Lucky Lottery Future“ ist eine Verlosung, bei der alle Zuschauer des Performancewochenendes die Chance haben, den großen Preis zu ge­ winnen. Dies ist Ihr einzigartiges, kostenloses Los, jedes mit einer eige­ nen Kombination aus einer Jahreszahl und einem möglichen zukünfti­ gen Ereignis versehen. Füllen Sie die Rückseite aus, geben Sie es ab und sichern Sie sich Ihre Chance auf den Gewinn. Am Ende wird per Loszie­ hung der glückliche Gewinner ermittelt. Die gleichermaßen poetischen, verstörenden wie auch banalen Texte auf den Losen für Etchells „A Hap­ py Lottery Future“ sind spielerische und verschmitzte Zukunftsvorhersa­ gen, die Hunderte von Möglichkeiten vorschlagen, einige davon mög­ lich, andere extrem unwahrscheinlich. „A Lucky Lottery Future“ ist ein Projekt von Tim Etchells für das Performancewochenende „Die Wette“ im Rahmen des Festivals Foreign Affairs 2013.

Tim Etchells ist ein englischer Künstler und Autor, dessen Arbeiten sich zwischen Performance, bildender Kunst und Fiktion bewegen. Er ist in vielen unterschiedlichen Zusammenhängen tätig, unter anderem ist er der Leiter der international renommierten Performance-Gruppe Forced Entertainment aus Sheffield. Gegenwärtig ist er Professor of Perfor­ mance an der Universität Lancaster. Zu seinen neueren Veröffentli­ chungen gehören „Vacuum Days“ (Storythings, 2012) und „While You Are With Us Here Tonight“ (LADA, 2013). www.timetchells.com www.forcedentertainment.com


BFS FOYER & BORNEMANNBAR, Sa ab 19:00 Uhr

Abbildungen: © Tim Etchells


Claire Fontaine Get Lost

Die Arbeit „Get Lost“ (2007) untersucht die Zusammenhänge von Lust, Begierde und freier Liebe im Kontext unserer kapitalistischen Welt. Zentraler Bestandteil der Arbeit ist das Zitat aus Shakespeares Hamlet, „Ich liebte Euch einst“ („I did love you once“). Der Satz, den Hamlet zu Beginn des 3. Akts äußert, um ihn gegen Ende desselben zu negieren („I loved you not“(„Ich liebte Euch nicht“)), verweist auf ein komplexes Nachdenken über das Konzept ‚Liebe’, wie es auch in der Arbeit auf­ tritt: So steht dem Beweis vergangener Liebe der Titel „Get Lost“ (deutsch: verschwinde) gegenüber, der das Publikum direkt abweist. Claire Fontaine benutzt das Vermischen von Sound, Text, Bildern und den Bewegungen im Raum für ein komplexes Statement zu Beziehun­ gen in unserer kapitalistischen Gesellschaft. Claire Fontaine ist eine in Paris ansässige, 2004 gegründete Kollektiv­ künstlerin. Nachdem sie sich nach einer Notizbuchmarke benannt hat­ te, erklärte sie sich selbst zu einer „Readymade-Künstlerin“ und be­ gann, neo-konzeptionelle Kunst zu schaffen, die oft aussieht wie die Arbeiten von anderen. Ihr Werk, bestehend aus Neon, Video, Bildhaue­ rei, Malerei und Text, kann gesehen werden als ein ununterbrochenes Hinterfragen politischer Impotenz und der Krise der Singularität, die die zeitgenössische Kunstszene zu bestimmen scheint. Claire Fontaine steigt empor aus den Trümmern des Autorenkonzepts und experimen­ tiert mit kollektiven Produktionsabläufen und unterschiedlichen Mit­ teln, intellektuelles und privates Eigentum zu teilen. Ihre Arbeit wurde unter anderem an den Musées d’Art Contemporain Marseille, dem Insti­ tute for Contemporary Art in San Francisco und dem Schinkel Pavillon in Berlin gezeigt.


KW Ausstellung, 1+2 OG

Get lost, 2007 Two channel iPhoto/itunes slide show: two 4:3 plasma screens or monitors on plinths, two mac-mini, two amplifiers with speakers. Colour and sound. Duration : continuous shuffled loop. Photo: Courtesy of the artist and galerie Neu, Berlin


Forced Entertainment All (Tomorrow’s Parties)

In dieser fünfstündigen Version ihrer Performance „Tomorrow’s Parties“ richten Forced Entertainment den Blick immer wieder aufs Neue in die Zukunft. Vier Performer begeben sich auf eine Reise durch utopische und dystopische Visionen, Science Fiction-Szenarien, politische Alb­ träume und absurde Fantasien, durch alle denk- und benennbaren Zu­ künfte, in einem ständigen Strom aus Spekulationen, Möglichkeiten und Träumen. „All (Tomorrow’s Parties)” speist sich aus den optimisti­ schen und pessimistischen Geschichten, die wir uns selbst erzählen, und den Freuden der Fantasie, die sich in den Drehungen und Wendun­ gen der Performance ergeben. Ausgehend von Mutmaßungen, Erfin­ dungen und fesselnden, aber altbekannten Erzählungen nimmt das Stück seinen Lauf in unterschiedlichste Richtungen und hin zu allen Ar­ ten von Spekulationen – den realistischen, den persönlichen und den ganz offensichtlich irrwitzigen. „All (Tomorrow’s Parties)“ zeigt Forced Entertainment von ihrer vertrauten und komischen Seite – ein spieleri­ scher, eindringlicher und manchmal trunkener Blick in mögliche und unmögliche Zukünfte. Wie bei allen „durational performances” der Gruppe steht es dem Publikum frei, jederzeit zu kommen, zu gehen und zurückzukehren, während sich die Performer durch einen Katalog aus Spekulationen spielen. Konzipiert und entwickelt von der Company: Robin Arthur, Tim Etchells, Richard Lowdon, Claire Marshall, Cathy Naden und Terry O’Connor Performer: Cathy Naden, Claire Marshall, Richard Lowdon, Robin Arthur Regie: Tim Etchells / Design: Richard Lowdon / Lichtdesign: Jim Harrison / Produktion: Jim Harrison Forced Entertainment Management Team / General Manager: Eileen Evans / Marketing Manager: Sarah Cockburn /Production Manager: Jim Harrison / Administrative Assistant: Natalie Simpson „All (Tomorrow’s Parties)” ist eine Auftragsarbeit für die Berliner Festspiele. Es ist eine „durational version” von „Tomorrow’s Parties“, produziert von Belluard Bollwerk International, ermöglicht durch die Unterstüt­ zung des Kantons Fribourg für Kultur. Eine Koproduktion mit BIT Teatergarasjen (Bergen), Internationales Sommerfestival (Hamburg), Kaaitheater (Brüssel), Künstlerhaus Mousonturm (Frankfurt), Theaterhaus Gessnerallee (Zürich) und Sheffield City Council. Unterstützt durch die Stanley Thomas Johnson Foundation. Forced Entertainment werden regelmäßig durch den Arts Council England gefördert. Weitere Informationen: www.forcedentertainment.com und @ForcedEnts #alltomorrowsparties


BFS GroSSe Bühne, Sa ab 19:30 Uhr, In englischer Sprache

Schon über ein Vierteljahrhundert halten die sechs Gründungsmitglie­ der von Forced Entertainment ihre einzigartige künstlerische Partner­ schaft aufrecht und haben ihre Position als Wegbereiter der zeitgenös­ sischen Theaterszene ausgebaut. Das Interesse der Company gilt den Abläufen von Performance, der Rolle des Publikums und den Mechani­ ken zeitgenössischen urbanen Lebens. Durch ihre charakteristisch kol­ laborative Arbeitsweise – die Produktionen werden von der Gruppe durch Improvisation, Experimentieren und Diskussionen entwickelt – sind Forced Entertainment zu Pionieren des britischen Avantgarde-­ Theaters geworden und genießen große internationale Anerkennung.

The future will be confusing, Fotos: © Tim Etchells


William Forsythe

Suspense / The Defenders Part 3

„Das choreografische Objekt ist kein Ersatz für den Körper, sondern eher ein alternativer Schauplatz, an dem das Verständnis für den mög­ lichen Impuls und die Organisation von Handlungen angesiedelt ist.“ (William Forsythe)

Suspense Filme

The Defenders Part 3

Choreographic Object Videoediting: Philip Bußmann William Forsythe gilt als einer der führenden Choreografen weltweit. Seine Werke sind dafür bekannt, die Praxis des Balletts aus der Identifi­ kation mit dem klassischen Repertoire gelöst und zu einer dynamischen Kunstform des 21. Jahrhunderts transformiert zu haben. Forsythes tief­ greifendes Interesse an organisatorischen Grundprinzipien hat ihn dazu geführt, ein breites Spektrum von Projekten in den Bereichen Installa­ tion, Film und internetbasierte Wissensentwicklung zu realisieren. The Forsythe Company wird gefördert durch die Landeshauptstadt Dresden und den Freistaat Sachsen so­ wie die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen. Sie ist Company-in-Residence in HELLERAU – Euro­ päisches Zentrum der Künste (Dresden) und im Bockenheimer Depot (Frankfurt am Main). Mit besonderem Dank an die ALTANA Kulturstiftung für die Unterstützung der Forsythe Company.

www.theforsythecompany.com


KW BOOKS & ROOFTOP, Fr & Sa ab 12:00 Uhr

Suspense, Foto: © Julian Gabriel Richter


Nikolaus Gansterer Theoriegehäuse, 2013

Nikolaus Gansterer übersetzt Prognosen zu unserer Zukunft in einsturzge­ fährdete Theoriegehäuse. Als Erweiterung seiner Arbeit „Drawing a Hypo­ thesis“ entwickelt er vor Ort eine performative Diagrammatik der Wette. Er beschäftigt sich in seinen Performances mit der grundsätzlichen Frage nach der Visualisierbarkeit von Denkvorgängen. Anhand von ge­ zeichneten und gebauten Konstellationen entwickelt er parallel zu den Lectures von Elena Esposito und Pieter De Buysser assoziative Gedan­ kengebäude. Die fragilen Zeichnungen und Modelle stehen für Ganste­ rers konsequente Entwicklung einer spezifischen Sprache zur Materiali­ tät von Denkvorgängen und für eine spielerische Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Bedeutungsebenen des Spekulativen. Nikolaus Gansterer (* 1974), lebt und arbeitet in Wien und Berlin. Er studierte bei Brigitte Kowanz an der Universität für Angewandte Kunst Wien – wo er seit 2007 selbst lehrt – und an der Jan van Eyck Akademie in Maastricht. In seinen transmedialen Arbeiten beschäftigt sich Gans­ terer mit der Übersetzbarkeit wissenschaftlicher Zugänge in ein künst­ lerisches Umfeld und legt dadurch immanente Vernetzungsstrukturen offen. Durch ein konsequentes Kombinieren von Methoden und Set­ tings aus beiden Bereichen gelingt es ihm, überraschende Verbindun­ gen zu knüpfen, die die Grenzen zwischen Natur und Kultur hinterfra­ gen. 2009 wurde Nikolaus Gansterer mit dem Kulturpreis für Bildende Kunst des Landes Niederösterreich ausgezeichnet. 2011 veröffentlichte er das umfangreiche Buchprojekt „Drawing a Hypothesis“ (Springer Wien/New York) über die Ontologie von Visualisierungsformen und die Entwicklung des diagrammatischen Blicks in Kunst und Wissenschaft. www.gansterer.org


BFS GroSSe B체hne, Sa 19:00 Uhr & BFS KASSENHALLE, SA 20:00 UHR

Theoriegeh채use 5, 2013, Foto: courtesy of the artist


geheimagentur & Joshua Sofaer Der Unwahrscheinlichkeitsdrive

Ein Lincoln Town Car konvertiert in eine Stretchlimousine von der Firma Crystal Club in Kalifornien: Während der Finanzkrise wurde eine dieser Limousinen in der Wüste nahe des Flughafens Dubai abgestellt. Ihr Be­ sitzer war bankrott und floh außer Landes. Für Foreign Affairs bringen die geheimagentur und der Künstler Joshua Sofaer diese Limousine nach Berlin, um daraus einen Unwahrscheinlichkeitsdrive zu machen: Wenn mächtige Männer, Stars oder solche, die das gerne wären, in Stretchli­ mousinen zu finden sind – was wäre dann ein unwahrscheinlicher Gebrauch des Wagens? Soll die Limousine Leute abholen, die vom Gerichtsvollzieher aus ihren Wohnungen geworfen werden? Oder Leute, die vor Liebeskum­ mer nicht mehr wissen, wohin? Soll sie als staatenlose Staatslimousine der Sans-Papiers-Bewegung dienen? Oder ernennen wir sie zum Raum­ schiff und schenken sie dem Club der Autonomen Astronauten? Am 12. Juli um 19:00 Uhr wird das Unwahrscheinliche wirklich geschehen: Die Limousine wird auf die Große Bühne der Berliner Festpiele fahren. Und dort wird sie verschenkt. An wen – das entscheidet das Publikum.

Foto: © geheimagentur


BFS GroSSe Bühne, Fr 19:00 Uhr

Was, wenn die Krise der letzten fünf Jahre eine Krise der Wahrschein­ lichkeit ist? Keine dieser wahrscheinlichen Krisen also, die das untere Ende der Kurve markieren, sondern eine Krise der Kurve selbst? Was, wenn die Bewegungen der Finanzmärkte an die Oberfläche bringen, was am Wahrscheinlichen immer schon gänzlich unwahrscheinlich war? Was, wenn es weniger darum ginge, dieses Unwahrscheinliche unter Kontrolle zu bringen, als darum, die Grenzen des Wahrscheinli­ chen zu begrüßen. Das einzig Gute an der Krise ist, dass irgendwann auch das Wahrscheinlichkeitsregime von Angst und Sorge aussetzt. Zugleich ist es genau das, was das Krisenmanagement der Regierungen als erstes wieder herstellt. Die Bank of Burning Money, die Wunder-Annahmestelle, die Alibi-Agentur, das Casino of Tricks, die Schwarzbank – die geheimagentur produziert seit über zehn Jahren Situationen und Einrichtungen, die wie Fiktionen erscheinen und dann doch die Realitätsprüfung bestehen. Die geheim­ agentur ist ein freies Label, ein offenes Kollektiv und der Versuch einer praktischen „art of being many“. Joshua Sofaer (* 1972 in Cambridge, England), ist ein Künstler, der sich mit Formen von Kollaboration und Partizipation befasst. Humorvoll spielt er mit etablierten Produktionsformen, nimmt sich Talksendungen, Wettbewerbe, Vorlesungen oder Museumspräsentationen vor und unter­ zieht sie einer Neubetrachtung. Er ist Kurator, Produzent und Regisseur einer ganzen Bandbreite von Projekten, darunter große Events, intime Performances und Veröffentlichungen. www.geheimagentur.net www.joshuasofaer.com


Goldin+Senneby

THE DISCREET CHARM mit Pamela Carter (Dramatikerin), Ismail Ertürk (Kulturökonom), Anna Heymowska (Bühnenbildnerin), Hamadi Khemiri (Schauspieler)

Der Titel bezieht sich auf Luis Buñuels surrealistischen Film „Der diskrete Charme der Bourgeoisie” von 1972, eine Parodie auf die Selbstdarstellung und die Anspruchshaltung der Bourgeoisie. Das Stück jedoch befasst sich mit dem diskreten Charme des Bankensystems oder vielmehr der in Bezug auf Kapital und Finanzwesen entstehenden Infrastrukturen. Anhand eines maßstabsgetreuen Modells, wie es im Theater von Regisseuren und Schauspielern oder von Produktionsteams und Investoren zur Anschau­ lichkeit genutzt wird, erläutert ein Ökonom – der möglicherweise ein Schauspieler ist – verschiedene finanzielle Strategien und Instrumentarien. Die Beziehung zwischen Theaterstück, Modell, Bühne und Realität wird gemeinsam mit den Zuschauern immer wieder neu verhandelt. Diese Arbeit gehört zu einer Projektserie von Goldin+Senneby, in der durch die Mittel Performance und Theater die Geografie und Methoden der Fi­ nanzmärkte untersucht werden. (Kim Einarsson) Ursprünglich eine Auftragsarbeit für „The End of Money” („Das Ende des Geldes“), kuratiert von Juan A. Gaitán, Witte de With, Rotterdam 2011. Diese Version von „Counter-Production”, Generali Foundation, Wien, 2012

Goldin+Senneby (seit 2004) ist eine Kollaborationsstruktur der Künstler Simon Goldin und Jakob Senneby, die juristische, finanzielle und räumliche Konstrukte untersuchen. In ihrem Hauptwerk unter dem Titel „Headless” (seit 2007) befassen sie sich mit der Sphäre der Offshore-Finanzen und der Produktion virtuellen Raums durch Rechtsnormen. Indem sie einer Off­ shore-Firma auf den Bahamas namens Headless Ltd. folgen, untersuchen sie Strategien des Rückzugs und der Geheimhaltung, begleitend erzählt ein anonym verfasster Detektivroman kontinuierlich ihre Nachforschungen. www.goldinsenneby.com


KW Ausstellung, 1+2 OG, In englischer Sprache

Goldin+Senneby, Top 5 Hedge Fund Weapons, mit Ismail Ert端rk (Cultural Economist)


Hadley+Maxwell

The House Rules (Betting is for Losers)

Können wir das Haus nur besiegen, indem wir die Hausregeln verbiegen? Oder geht es darum, andere Wege ins Glück zu finden? Was bedeutet es, sich selbst ins Spiel zu bringen oder die eigene Sicherheit und Vernunft zu riskieren für das, was wir tun? Wenn wir unsere Welt beschreiben als Schauspiel, welches das Irdische verlassen hat, um in das allgegenwär­ tige fantastische Reich der Virtualität einzutauchen, was hält uns noch davon ab, die Erde ganz loszulassen? An welchen Fäden hängen wir? Diese Inszenierung zeigt eine spekulative Manifestologie künstlerischer Subjektivität und untersucht, wie diese verspielt oder durch Produktion und Repräsentation ins Spiel gebracht wird. Choreografie: Emma Waltraud Howes

Hadley+Maxwell ist eine Kollaboration der in Berlin ansässigen Künstler Hadley Howes (* 1973) und Maxwell Stephens (* 1966), die seit 1997 be­ steht und mit den Mitteln Video, Installation, Klang, Zeichnen und Bild­ hauerei arbeitet. Der Kooperation verpflichtet, untersuchen die beiden in ihrer Arbeit Mediation als Schwelle zum Verständnis zwischen dem Einzelnen und der Gruppe, dabei mitunter die individuelle, kreative Stimme hinterfragend. Häufig verwenden sie ikonische Bilder und tradi­ tionelle Formen aus der Popkultur, aus künstlerischen und politischen Be­ wegungen, und setzen komparative Strategien zwischen unterschiedlichen Medien ein, um die Beziehung zwischen privatem Leben und öffentlichem Auftritt zu untersuchen. International haben sie ihre Arbeiten in der Na­ tional Gallery Canada, im Witte de With Rotterdam und der 4. Marra­ kesch Biennale gezeigt. www.hadleyandmaxwell.net


KW Chora, Sa 15:00 Uhr, In englischer Sprache

House Rules Overview, Wasserfarbe auf Papier, 24x32 cm, 2013 Foto: Š Hadley+Maxwell


Heatsick

Extended Play

Heatsick präsentiert sein „Extended Play“-Projekt, in dem er die Borne­ mann Bar des Haus der Berliner Festspiele in einen kybernetischen Spielplatz verwandelt. Ausgehend von der Idee der Singularität werden die Teilnehmer in Freizeitbeschäftigungen involviert, die eigentlich Ar­ beit sind (Fitnessübungen als Selbstregulierung). Heatsicks geloopte Musik spiegelt diesen Prozess, begleitet von programmierten Lichtmus­ tern, indem sie selbstreplizierende Abstraktionszustände erschafft. Heatsick ist ein Projekt des in Großbritannien geborenen und in Berlin lebenden Musikers und Bildenden Künstlers Steven Warwick. Seine Mu­ sik entsteht in Echtzeit und setzt sich aus Loops zusammen, die durch Verformung, Streckung und Verkürzung miteinander verknüpft und vermischt werden. Dies entspricht dem Stil von Warwicks Bildender Kunst, bei der Objekte und Medien in einer Weise verschmelzen, die den Betrachter zur Teilnahme anregt. Das Konzept des „Extended Play“, ba­ siert auf der Idee des durch den Einsatz eines Lichtinstallationsrasters und Experimente mit unterschiedlichen Farbtemepraturen visuell er­ weiterten DJ Sets. Warwick lässt aus begrenzten Mitteln eindringliche maximalistische Klangräume entstehen, die an so unterschiedlichen Orten wie der Panorama Bar des Berghain, der Malmö Konsthall, der Städelschule Frankfurt und beim Melt Festival begeistert aufgenom­ men wurden.


BFS Bornemann Bar, Sa ab 23:00 Uhr

Abbildung: Š Heatsick


Daniel Keller

FUBU Career CAPTCHA'S & Soft Staycation (Gaze Track Edit)

STELLT EUCH EINE WELT VOR, in der ... Arbeit, Konsum, Marketing, Freizeit und Protest hybridisiert, automatisiert und bis zur Vergessenheit out­ gesourct wurden. Zwar wäre immer noch ein Massenmarkt erforder­ lich, der unsere Produkte konsumiert, doch für etwas anderes würden kaum noch Menschen benötigt. 70 Prozent der heutigen Jobs wird es in dreißig Jahren nicht mehr geben und die Menschheit wird, so absurd es klingen mag, für die Aufrechterhaltung und das Wachstum der Welt­ wirtschaft nicht mehr notwendig sein. Nennen wir die letzte noch er­ hältliche Arbeit „Prosumarkritique“. Produktiver (oder rebellischer) können wir heutzutage kaum noch zu werden hoffen. Ein paar Optionen bleiben... Das Projekt „FUBU Career CAPTCHA's“ ist eine Weiterführung des weg­ weisenden Essays mit dem Titel „Warum uns die Zukunft nicht braucht“ von Sun Microsystems-Gründer Bill Joy, veröffentlicht 2000 im Wired Ma­ gazine. Der pessimistische Artikel bezieht sich auf Ted Kaczynski, den technophoben Briefbomber und Kulturkritiker, wie auch auf den Techno­ logieutopisten und Futuristen Ray Kurzweil. Bei dem Thema „Die indust­ rielle Gesellschaft und ihre [wirklich schlechte] Zukunft“ stellt sich Joy letzten Endes auf Kaczynskis Seite und ruft dazu auf, die Macht der Computer und des daraus resultierenden Stroms an softwareverursach­ ten ökonomischen Störungen zu begrenzen. Die Arbeiten sind 3D-ausge­ druckte imaginäre futuristische Jobbeschreibungs-CAPTCHA's (Comple­ tely Automated Public Turing test to tell Computers and Humans Apart, etwa: rein automatischer öffentlicher Turingtest zur Unterscheidung von Computern und Menschen), entstehend aus einem auf mehreren Büh­ nen ablaufenden Mensch/Maschine-synergistischen Abstraktionspro­ zess, der den Text von Bill Joy in ein einzigartig gewinnklassiges Wandor­ nament umwandelt. In der Videoinstallation „Soft Staycation (Gaze Track Edit)“ wurden mittels einer Tobii-Gazetracking-Kamera die Au­ genbewegungen einer Gruppe arbeitsloser Hartz IV-Empfänger und zu­ gezogener Freiberufler gemessen. Diese hatte der Künstler, der


KW Ausstellung, 1. & 2. OG

in die Rolle eines „Joberschaffers“ schlüpfte, mittels Kleinanzeigen aus­ gesucht und damit beauftragt, sich einen dreißigminütigen Zusam­ menschnitt von Tourismuswerbespots anzusehen, entstanden im Auf­ trag verschiedener öffentlich finanzierter Tourismusagenturen. Daniel Keller (* 1986 in Detroit) ist ein in Berlin ansässiger US-amerika­ nischer Künstler. Zusammen mit Nik Kosmas gründete er das Künstler­ kollektiv AIDS-3D, das seit der gemeinsamen Studienzeit am Chicago Art Institute zusammenarbeitet und diverse Installationen, Performan­ ces, klang- und internetbasierte Projekte umgesetzt hat. Ohne sich auf ein Medium oder einen Stil festzulegen, befassen sie sich mit dem Blick der Internetzeitalters auf zeitgenössische Kunst, Kultur und Interaktio­ nen, wobei sie Ideen des Digital Kitsch und technologischer Utopien sowohl verfolgen als auch kommentieren. Ihre Arbeiten waren unter anderem am New Museum in New York, am ICA in London, beim Aachener Kunst-­ verein, bei ImportProjects in Berlin, T293 in Rom und auf der Biennial of the Americas in Denver zu sehen.

Amazon Cairn Customer Feedback: Screenshot. Foto: © Daniel Keller


Johannes Kreidler Rich Harmonies

Video- / Klanginstallation für vier Monitore, Kopfhörer und Texttafeln Performance Ein Vieroktavkeyboard hat 49 Tasten, auf denen sich die Lottoziehun­ gen „6 aus 49“ spielen lassen. Jeder sechsstimmige Akkord entspricht den sechs „Richtigen“ – mit dieser akustischen Glücksmetapher kann im Medium der Musik das Wesen des Zufalls und der Wette darauf durchdrungen werden, und womöglich lässt sich eine Zukunftsmusik der nächsten Ziehung zu Gehör bringen.

Johannes Kreidler (* 1980) studierte von 2000 bis 2006 an der Musik­ hochschule Freiburg und am Conservatorium Den Haag Komposition, Elektronische Musik und Musiktheorie, u.a. bei Mathias Spahlinger und Orm Finnendahl. Seit 2006 unterrichtet er als Lehrbeauftragter Komposi­ tion, Musiktheorie, Gehörbildung und Elektronische Musik an verschiede­ nen Musikhochschulen. 2008 erregte er größeres Aufsehen durch eine Kunstaktion, bei der er für die Anmeldung eines 33sekündigen elektro­ nischen Stückes mit 70.200 Fremdanteilen bei der GEMA mit 70.200 Formularen in einem Laster vorfuhr. 2012 erhielt er den Kranichsteiner Musikpreis. Aufführungen auf Festivals wie den Donaueschinger Musik­ tagen (2012), den Wittener Tagen für Neue Kammermusik (2013), den Darmstädter Ferienkursen (2010, 2012 und 2014), Ultraschall Berlin (2013), dem Ultima Festival Oslo (2010) und dem Huddersfield Con­ temporary Music Festival (2010 und 2011). www.kreidler-net.de


BFS Bornemann Bar, Sa 20:00 Uhr (LIVE PERFORMANCE) RANGFOYER (INSTALLATION)

6-aus-49, © Johannes Kreidler


Barbara Matijevic´ & Giuseppe Chico Forecasting

Barbara Matijevic´ konfrontiert ihre eigene, dreidimensionale Präsenz mit der zweidimensionalen Welt zahlloser YouTube-Videos. Aus diesem Setting entstehen eine Reihe räumlicher und zeitlicher Unverhältnis­ mäßigkeiten und der Bildschirm wird zum Fenster für eine Wahrneh­ mung von Zukunft, die als Ansammlung noch nicht realisierter Ereig­ nisse immer nur als Spekulation existiert. Barbara Matijević (geboren 1978 in Našice, Kroatien) studierte Tanz bei der Choreografin Kilina Cremona in Zagreb, wo sie als Tänzerin, Bewe­ gungsassitentin, Schauspielerin und Choreografin tätig war. Nach ei­ nem Abschluss in Literatur an der Fakultät für Kunst der Universität Zagreb ging sie auf Einladung von Boris Charmatz nach Paris, um an dem Projekt „Bocal“ mitzuwirken, das performative Annäherungen an Tanz-Pädagogik erforscht. Sie hat, u.a. mit dem Schauspieler Bruno Marino, dem Choreografen David Hernandez und dem slowenischen Regisseur Bojan Jablanovec („VIA NEGATIVA“) zusammengearbeitet. 2007 begann sie eine Zusammenarbeit mit Giuseppe Chico, mit dem sie bislang vier Projekte realisierte: „I AM 1984“, „Tracks“, „Forecasting“ und „Speech!“. Sie unterrichtet außerdem Tanz an der Kunstakademie in Osijek, Kroatien. Sie lebt in Zagreb und Paris. Giuseppe Chico studierte in Italien Schauspiel, bevor er eine Ausbildung bei den Choreografen Mark Tompkins und João Fiadeiro begann. Im Theater hat er als Schauspieler für Joris Lacoste auf der Bühne gestan­ den. Seit 2008 schreibt er gemeinsam mit Barbara Matijević Projekte für eine Serie von Lecture-Performances, die das Publikum in mentale, historische oder erfundene Architekturen führen: eine Trilogie mit dem Titel „D'une théorie de la performance à venir où le seul moyen d'éviter le massacre serait-il d'en devenir les auteurs?” www.premierstratageme.net


BFS Seitenbühne, Sa 22:00 Uhr

Forecasting, Foto: © Yelena Remetin


Mother Future: The Safe Bet Kennst du deine Zukunft oder kennt deine Zukunft dich? Mother Future empfängt im Mobile House von Kyohei Sakaguchi, fragt in Einzelge­ sprächen mit Mitteln der Wahrsagerei nach unseren Wetten auf die ei­ gene Zukunft und stillt unsere Sehnsucht nach Vorhersehbarkeit und Erkenntnis: Ich sehe Dich mit einem Fuß über dem Abgrund, aber Du wirst gerettet. Integriere Deine Persönlichkeit in die Zukunft, auf die Du selbst gesetzt haben wirst und Erfolg ist garantiert. Die Zukunft löst sich auf in der Unendlichkeit des Jetzt. Live up to your future. Ich sehe Dich mit einem Fuß über dem Abgrund und Du gehst weiter. Margret Nisch, a.k.a. Mother Future, studierte angewandte Kulturwis­ senschaften in Hildesheim mit Schwerpunkt Film sowie Bühnenbild an der TU Berlin. Sie arbeitet als Bühnen- und Kostümbildnerin für Film und Theater.


BFS Rangfoyer, Sa ab 20:00 Uhr

Kyohei Sakaguchi, Mobile House. Foto: Piero Chiussi


Michael Portnoy Abstract Gambling

Michael Portnoy holt für ein paar weitere Runden abstrakten Glückspiels mit hohem Einsatz um seinen „Talus“-Tisch herum erneut die eingravier­ ten Sprunggelenke aus dem Kühlraum. Eine begrenzte Anzahl handverle­ sener Spieler darf ihr Glück in diesem verwirrenden, undurchschaubaren Spiel unter der Leitung des relationalen Stalinisten Portnoy versuchen. „Talus“ war das Herzstück von Portnoys hochgelobtem „Casino Ilinx“ (2008), einem äußerst dysfunktionalen unterirdischen Kasino unter dem Einfluss einer Gruppe von Spielen, die der Soziologe Roger Callois als „Ilinx“ bezeichnete und die „die Stabilität der Wahrnehmung zerstören und eine Art üppiger Panik verursachen“. Michael Portnoy (* 1971 in Washington, D.C.), lebt in New York. Ursprüng­ lich aus dem Tanz und der Stand-up Comedy kommend, wechselte er 2006 zu den visuellen Künsten über. In seiner Arbeit, die auf PerformancePrinzipien aufbaut, verwendet er die unterschiedlichsten Medien: von Bildhauerei, partizipatorischen Installationen und Kuratieren bis hin zu Malerei, Schreiben, Theater und Video. Diese Fäden verknüpft er zu einzig­ artigen, extremen und äußerst ironischen Performances und Installatio­ nen, verbindet sie mit „experimenteller Comedy“, wie er selber es nennt, und beschreibt sich als „Verhaltensregisseur“. Portnoy hat seine Arbeiten unter anderem auf der dOCUMENTA(13), Kassel, bei de Appel, Amsterdam, im Centre Pompidou, Paris, im Sculpture Center, in New York und ­auf der Taipei Biennial aufgeführt und ausgestellt.


KW Studiolo, Fr 21:00 Uhr, In englischer Sprache

Street game –Jacmel, Haiti, May 25, 1980, Foto © Ludo Kuipers


Johannes Paul Raether feat. Ute Waldhausen Protektorama Akhada materialistischer Spiritologie

Mit der „Protektorama Akhada Materialistischer Spiritologie” schafft der Berliner Künstler Johannes Paul Raether ein neues Setting für seine Avatara, die Weltheilungshexe Protektorama. Im Weltheilungswald, der prothesenhafte Metallskulpturen und Plastiktüten zu einem zeitgenössi­ schen Kultplatz zusammensetzt, arbeitet die Hexe an neuen Werkzeugen, Globalität zu denken. Dort wird zunächst mit Hilfe der Gemeinde, deren Mobiltelefonen und den stützenden Armen des Waldes eine rituelle In­ doktrinierung mit Protektoramas Thesen von der Besessenheit der Welt mit den kapitalistischen Prinzipien abgehalten, bevor in der meditativ spekulativen Diskussion mithilfe von Talking Sticks, Überraschungseiern, Texten von Marx, Deren, Latour und Boltanski Anfänge einer materia­ listischen Spiritologie herausgearbeitet werden. Johannes Paul Raether arbeitet seit mehreren Jahren an einer Reihe von selbstorganisierten Projekten, war Teil der Freien Klasse an der Uni­ versität der Künste und des Künstlerraums „basso“ in Berlin-Kreuzberg. Seine Arbeiten wurden präsentiert in Ausstellungen in den KW Institute for Contemporary Art, Berlin; Kunsthaus Bregenz; Künstlerhaus Stuttgart sowie dem KUMU Art Museum, Tallinn. Seine Texte wurden bei „Jungle world“ und „chto delat?“ veröffentlicht. Er schreibt regelmäßig Beiträge für „Texte zur Kunst“. Raether hatte Lehrtätigkeiten an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, der Königlich-Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen und der Universität der Künste, Berlin. www.johannespaulraether.net


BFS Garten , Sa ab 20:30 Uhr

Foto: Š Humphrey Maleka


Reactor

Dummy Button

Willkommen bei „Dummy Button”. Dies ist die Zukunft. Die gewählte Währung ist Zeit, und ihr müsst in Fristen handeln. Tretet ein und steigert, STEIGERT, STEIGERT! „Ich kann mein Glück nicht fassen! Reactor bringen im Juli den neuen 'Dummy Button' nach Berlin. Bieten uns die Chance, auf das Verhalten anderer zu setzen. Sie sagen, das sei kein Spiel – sondern eine sich unauf­ hörlich entwickelnde Situation, in der wir unsere Wetten ändern und das Ergebnis beeinflussen können.“ Max Gold

Kopplungen und Kreisläufe sind in ständigem Fluss; ein jeder von uns ist durch Momente, Strukturen und Fiktionen in der Zeit verankert. Aber jetzt könnt ihr einen Raum betreten, in dem die Zeit horizontal, vertikal oder rückwärts ist; sie hält inne, geht weiter und löscht sich selbst aus. „Dummy Button“ ist eine Erfahrung des ständigen 'Jetzt', die Zukunft liegt nur drei Minuten entfernt. Hier wird die Zeit von übernatürlichen Wesen kontrolliert, die ihre unzähligen Zeitlichkeiten verkörpern. Das sind die Zeitgeber, und niemand kann vorbeigehen, ohne den Einsatz seines Lebens zu machen. Riskiere, wie lange du im „Dummy Button” bleiben willst. Die erste Ent­ scheidung bestimmt die Zukunft: ein, zwei oder drei Fristen? Erst, wenn du drinnen bist, weißt du, ob du genug Zeit gewählt hast oder zu viel. Willst du aufs Ganze gehen oder nur vorbeikommen und einen Blick riskieren? Wie also aktiviert der „Dummy Button” das Publikum? Drück auf den Knopf und sieh, was mit anderen im Raum geschieht – alles oder nichts ist möglich. Du spielst mit Zeit, aber der Einsatz macht sich nur bezahlt, wenn das Glück sich auf deiner Seite stapelt. Um wie viel kannst du es


KW CHORA, Fr 21:00 Uhr, In englischer Sprache

steigern? Bis zum Äußersten? Du beobachtest, du hörst zu, du spielst, du tauschst, du schummelst und du versuchst dein Glück. Haben wir Zeit für dich? Hier ist jeder willkommen, zumindest für eine be­ stimmte Frist! Reactor ist ein in Großbritannien ansässiges Künstlerkollektiv, das neue, kollektive Realitäten aufruft, an denen Zuschauer und Reactor-Mitglieder gemeinsam teilnehmen. Reactor-Projekte untersuchen, wie durch ge­ meinsame Glaubenssysteme und kollektives Handeln der Zusammenhalt sozialer Gruppen erhalten bleibt. Um die Begrenzungen der reinen Aus­ stellungsform zu überschreiten, setzt Reactor auf eine Verbreiterung der Möglichkeiten der Kunstpraxis und lässt sie aus ihrer ursprünglichen Struktur heraus überfließen in ein ausgedehntes Aktivitätsfeld. Zu den neueren Projekten gehören: „The Reactor Technique” – Latitude Festival (Suffolk, UK, 2013), „MoMAMonarch” – MoMA (New York, USA, 2013). „Dummy Button“ ist eine neue Produktion für „Die Wette – eine Untersuchung über Zweifel, Kontingenz und Sinn in Ökonomie und Gesellschaft“, ein Gemeinschaftsprojekt von KW Institute for Contemporary Art und Berliner Festspiele/Foreign Affairs. Reactor werden unterstützt durch den Arts Council England.

reactor.org.uk

Foto: © Reactor


Saskia Sassen & Richard Sennett Wetten mit dem Leben der Anderen

Die beiden amerikanischen Soziologen vermitteln einen Einblick in die Funktionsweisen des globalen Spekulationsgeschäfts und diskutieren die sich daraus ergebenden ökonomischen und sozialen Absurditäten. Wäh­ rend sich Saskia Sassen mit Hochfinanzmechanismen befasst, nimmt Ri­ chard Sennett Bezug auf Dostojewskis Roman „Der Spieler“, der das Ein­ gehen von hohen Risiken als eine Form von Todessehnsucht beschreibt. Die Bereitschaft, alles aufs Spiel zu setzen und zu verlieren, ist eine Art Spiel mit dem eigenen Leben, und die dunkle Seite der gegenwärtig vor­ herrschenden „The Winner takes all“-Mentalität auf den kapitalistischen Märkten. Anhand von Dostojewskis Beschreibung von Spielsucht wird Sennett erklären, warum die Finanzmärkte strategisch unklug sind.


BFS Seitenbühne, Sa 20:30 Uhr, In englischer Sprache

Saskia Sassen ist Robert S. Lynd Professor of Sociology und im Vorstand des Committee on Global Thought, Columbia University. Kürzlich von ihr erschienen sind „Territory, Authority, Rights: From Medieval to Global Assemblages“ (Princeton University Press 2008), „A Sociology of Globali­ zation“ (W.W.Norton 2007) und die vierte, vollständig erneuerte Ausgabe von „Cities in a World Economy“ (Sage 2012). Ihre Bücher sind in über zwanzig Sprachen übersetzt worden. In Kürze erscheint „Expulsions: When complexity produces elementary brutalities.“ (Harvard University Press 2014). Saskia Sassen ist mehrfach mit Ehrendoktortiteln ausge­ zeichnet worden, wurde von „Foreign Policy“ unter die Top 100 Global Thinkers gewählt und erhielt 2013 den Principe de Asturias-Preis in Sozialwissenschaften. Der Soziologe Richard Sennett (* 1943 in Chicago), schreibt über Städte, Arbeit und Kultur und lehrt an der New York University und an der London School of Economics. Wichtige Veröffentlichungen: „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität“ (Frankfurt 1986), „Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus“ (Berlin 1998), „Die Kultur des neuen Kapitalismus“ (Berlin 2005) „Handwerk“ (Berlin, 2008). Zuletzt erschien von ihm „Zusammenarbeit: Was unsere Gesellschaft zusammenhält“ (Berlin, 2012). Moderation: Ulrike Herrmann (taz)


Santiago Sierra

20 m3 Erde von der Iberischen Halbinsel

Der spanische Künstler Santiago Sierra läßt 20 m3 Erdreich, das bei Bau­ vorhaben in Bilbao ausgehoben wurden, nach Berlin bringen – in soge­ nannten BigBags, 1x1x1 Meter großen Plastiksäcken. Kuben mit solch „idealen“ Maßen waren für die Moderne und vor allem für den Minima­ lismus Inbegriff einer objektiven Ästhetik. Sierra korrigiert aber die Ideali­ sierung universeller, „interesseloser“ Formhüllen, indem er ein logistisches Format des Güterverkehrs nutzt und es mit ökonomisch und politisch be­ setztem Inhalt füllt: mit dem Abraum aus spanischen Immobilien-Projek­ ten. Dessen Transfer aus der baskischen Hauptstadt in die Kunstmetro­ pole Berlin, wo die gleiche Erde, zum Kunstwerk geworden, quasi über Nacht ein Vielfaches an Wert behauptet, schafft eine reale Wertschöp­ fungskette. Diese reflektiert sowohl das ökonomische Nord-Süd-Gefälle in Europa und die Migration billiger Güter und Arbeitskräfte in die Wirt­ schaftshochburg Deutschland, als auch die Spekulationsgewinne mittels Kunst, die sich jeder realwirtschaftlichen Anbindung entziehen. Santiago Sierra wurde 1966 in Madrid geboren, wo er heute auch lebt. Er studierte Bildende Kunst in Mexico-Stadt, Madrid und Hamburg, un­ ter anderem bei Franz Erhard Walther. Seit Mitte der Neunzigerjahre hat er zahlreiche Projekte umgesetzt, in denen er Unterdrückung und Ausbeutung anprangert, die ihm in unterschiedlichen Teilen der Welt begegnen. Sierras Arbeit basiert auf einer kritischen Neudeutung des Minimalismus, im Mittelpunkt steht seine performativ-bildhauerische Praxis, begleitet von Fotografie, Video und Film. Einige seiner Projekte sind in Zusammenarbeit mit Institutionen wie Magasin3 Stockholm Konsthall (2009), der Kestnergesellschaft Hannover (2005) und dem Kunsthaus Bregenz (2004) entstanden. 2013 wird sein Werk in Deutschland von den Deichtorhallen Hamburg/Sammlung Falckenberg umfassend präsentiert. Sierras Projekt für die Berliner Festspiele wird im September 2013 seine Fortsetzung in einer Einzelausstellung Sierras bei KOW in Berlin finden.


BFS Vorplatz, durchgehend geĂśffnet

Foto: Š Santiago Sierra

www.santiago-sierra.com


Janek Simon

A short survey of Lotto winning strategies

Die Lecture wird eine ganze Bandbreite erfolgversprechender Lottospielstrategien, deren Geschichte und die philosophischen Annahmen da­ hinter vorstellen. Außerdem wird über die Mathematik der Lotterie ge­ sprochen, über die Wahrscheinlichkeitstheorie, ihre Bedeutung für die frühe wissenschaftliche Methodik, und über verschiedene magische und esoterische Systeme, mittels derer die Zukunft vorhergesagt wird. Gleichzeitig werden wir diese Systeme live anhand der Lottoziehung in der Praxis testen. Janek Simon ist Kulturproduzent mit Wohnsitz in Warschau. Nach einem Studium in Erkenntnistheorie und Soziologie an der Jagiellonen-Universität und einem kurzen Intermezzo als VJ in der polnischen Untergrundclub­ szene in den Neunzigerjahren wurde er Bildender Künstler. Seine konzep­ tionellen Arbeiten werden von einer Vielzahl von Themen beeinflusst, vom Gebrauch des Bildes in der Wissenschaft über kulturelle Geografie bis hin zur Ethik des Eigenbaus und anarchistischer Theorie. Von 2008 bis 2012 leitete er in Krakau einen unabhängigen Projektraum namens Goldex Poldex. Janek Simons Arbeiten wurden präsentiert u.a. auf der Manifesta7 und der Liverpool Biennial sowie in Einzelausstellungen im Arnolfini in Bristol und im Casino Luxemburg. 2008 wurde er mit dem Views-Preis als interessantester polnischer Nachwuchskünstler ausgezeichnet.


BFS Kassenhalle, Sa 21:00, In englischer Sprache

Abbildung: Š Janek Simon


Cally Spooner

And You Were Wonderful, On Stage

„And You Were Wonderful, On Stage” ist ein Musical für einen Chor aus Frauenstimmen, der von den Randbereichen der Musical-Form in den Mittelpunkt einer Inszenierung ohne klare Narrative oder Handlung versetzt wird. Das Musical untersucht die Nutzbarkeit des Sprechens und die Enthüllung des Selbst auf einem semiokapitalistischen Arbeits­ markt, es schweift umher, entwickelt sich in Teilen und baut auf die Gefühle und Gegebenheiten von Verlust in einem Klima der Fortschritts­ gläubigkeit und der Hochleistungsversprechen auf. Da kognitive Aktivi­ täten immer mehr mit vernetzter Produktivität synchron gehen und Sprache an ökonomische Interessen gebunden ist, sind die Grenzen des persönlichen Ausdrucks des Selbst und das Wiedergeben von Marktord­ nungen immer weniger lesbar. „And You Were Wonderful On Stage” bringt diesen Zustand auf die Bühne und inszeniert Auftritte von Personen des öffentlichen Lebens nach, die eher eine automatisierte Performance waren, als dass sie durch die Unmittelbarkeit der Improvisation lebten. Was „live“ wirken soll, lässt alle „live“-Eigenschaften vermissen: spontane Änderungen, direkte Begegnung und Risiko. Beispiele sind: Beyoncés Playback-Ge­ sang bei der Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten, Lance Armstrongs Doping-Beichte live im Fernsehen bei Oprah Winfrey, der britische Bildungsminister Michael Gove, der das Auswendiglernen für Schulprüfungen neu einführen will, und Obamas Redenschreiber, der seinen Job aufgibt, um Actionfilme für Hollywood zu schreiben. Das ­Libretto des Musicals setzt sich aus den Protokollen von Werbeagentur­ besprechungen zusammen, in denen es darum geht, für den ökonomi­ schen und persönlichen Gewinn wahre Begebenheiten aus dem Leben der Angestellten und Konsumenten zu nutzen und zurechtzustutzen. Cally Spooner (* 1983; Ascot, UK) lebt in London. Ihre Arbeit untersucht und produziert Live-Events. Beim Schreiben helfen ihr Philosophen und die Gegenwart, bei den Performances unterschiedlichste Charaktere, und so schafft sie live aufgenommene, ungeschnittene Spielfilme, handlungs­


KW Chora, Sa 16:00 Uhr, In englischer Sprache

freie Echtzeitnovellen und nicht-narrative Live-Musicals, um die Bewe­ gung des Sprechens zu schreiben und inszenieren. Zu den neueren Soloausstellungen und Performances gehören „And you Were Wonderful, On Stage”, Stedelijk Museum, Amsterdam (2013); „Seven Thirty Till Eight”, Kunsthal Charlottenborg, Copenhagen (2013); „Collapsing In Parts”, International Project Space, Birmingham (2012); „Cally Spooner: Footnote 5”, (mit Dulcie Lewis und Peter Joslyn), ICA, London (2012); „It’s 1957, and the Press Release Still Isn’t Written”, Hermes und der Pfau, Germany (2011). www.callyspooner.com

And You Were Wonderful, On Stage, Foto: © Ernst van Deursen


Daniel Tyradellis & Joseph Vogl Geld=Wunsch*(Vertrauen/Zeit)

Geld ist ein Medium zum Akkumulieren und Aufschieben von Wünschen – individuell wie gesellschaftlich. Sein Wert basiert auf einer zwar schwankungsanfälligen, aber unzerstörbaren Logik. Der Literaturwissen­ schaftler Joseph Vogl, Autor unter anderem von „Das Gespenst des Ka­ pitals“, und der Philosoph Daniel Tyradellis, Kurator unter anderem der Ausstellung „Reichtum. Mehr als genug“, diskutieren über falsche Evi­ denzen rund um Geld und Kredit, unmögliche Gesellschaftsverträge und ihre Wetten auf das griechische Erbe. Daniel Tyradellis (* 1969) ist Philosoph und Kurator. Er promovierte bei Friedrich Kittler über die Entstehung der Phänomenologie Husserls im Kontext der mathematischen Grundlagenkrise. Neben seiner universi­ tären Lehre und Tätigkeit kuratiert Tyradellis seit 1997 international be­ achtete Ausstellungsprojekte zwischen Wissenschaft und Kunst. Sein besonderes Interesse gilt der Übertragung in den Wissenschaften sowie dem „Bild des Denkens“. Joseph Vogl ist Professor für Literatur- und Kulturwissenschaft / Medien an der Humboldt-Universität zu Berlin und Permanent Visiting Professor an der Princeton University. Zuletzt erschienen „Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen“ (2002), „Über das Zaudern“ (2007), „Soll und Haben. Fernsehgespräche“ (mit Alexander Kluge, 2009), „Das Gespenst des Kapitals“ (2010) und „Der Souveränitätseffekt“ (2013).


KW Chora, Sa 17:00 Uhr

Foto: Š Andreas und Axel Pinkow


Die WETT-MASTER Wetten, was geht

Tippen Sie mit bei einem Abend der Superlative, an diesem beinahe letzten Abend der Foreign Affairs! Setzen Sie alles auf eine Karte, hauen Sie Ihren letzten Schein auf den Kopf, treten Sie gegen sich selbst an, treten Sie gegen Ihre(n) Geliebte(n) an, setzen Sie auf das Neue, das Glück, fordern Sie das Alte heraus, probieren Sie sich in menschlichem Reichtum, versagen Sie. Wetten Sie gegeneinander und miteinander, lösen Sie die Grenzen auf, überschreiten Sie sich selbst. Verdoppeln Sie alles. Kreieren Sie Ihre eigene Wette, Ihre eigenen Werte, kreieren Sie Ihr eigenes Glück! Wetten, dass das Theoriegehäuse noch heute Nacht einstürzen wird, wetten, dass die Welt aus unserem Garten heraus endlich Heilung er­ fahren wird, wetten, dass die Lottozahl des heutigen Abends durch ein musikalisches Erlebnis schon im Vorfeld abzuleiten sein wird und wet­ ten, dass die Zukunft nicht auf der Bühne hängen geblieben sein wird. Wetten Sie! Um Ihr Leben und darauf, dass die Sonne morgen früh wie­ der aufgegangen sein wird. Ihre Wett-master: Emma Rönnebeck wurde in Magdeburg geboren und studierte von 19951999 Schauspiel an der Theaterwerkstatt Berlin-Charlottenburg (Leitung: Valentin Platereanu). 2001 Comedy-Schule Köln mit Lachdiplom. 20012007 freiberuflich Theater- und Comedyproduktionen. Von 2008 bis 2011 Ensemblemitglied am Schauspiel Leipzig. Sie arbeitete u. a. unter der Regie von Claudia Bauer, Mirko Borscht, Herbert Fritsch, Rainald Grebe, Sebastian Hartmann, Sascha Hawemann, Albrecht Hirche, Martin Labe­ renz, Mareike Mikat und Kay Wuschek. Einige Funk-, Film- und Fernseh­ arbeiten. Musikerin in der Berliner Band Metrodiv. Tanja Krone, geboren 1976, studierte Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität Hildesheim und ist seit 2006 als Regisseurin, Perfor­ merin und Musikerin in verschiedenen künstlerischen Kontexten tätig.


BFS Foyer, Sa ab 19:00 Uhr

Sie ist Mitbegründerin des Band-Kollektivs MAIDEN MONSTERS, deren ortsspezifische Theater/Musik-Projekte im Rahmen diverser Festivals (Politik im Freien Theater, AUAWIRLEBEN, X-Wohnungen) und in Koope­ ration mit Theaterinstitutionen realisiert wurden (DT Berlin, schauspiel­ hannover). Gemeinsam mit dem Berliner Musiker Hans Narva („Hans im Glück“) und weiteren 40 Musikern und Performern vor Ort rief Tanja Krone in Johannesburg, Südafrika die „United African Utopias“ ins Leben. Sie können wetten, daß die Hymnen noch heute auf dem Gandhi-Square zu hören sind... Ingolf Müller-Beck, geboren 1965 in Freiberg. 1990-1993 Ausbildung an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst „Mozarteum“ in Salz­ burg. 1993-1995 Engagement am Burgtheater Wien; 1995-1997 Ensemble­ mitglied am Staatstheater Hannover; 1997-1999 am Theaterhaus Jena; 2005-2007 am Maxim Gorki Theater Berlin. 2000-2009 freiberufliche Arbeiten am Staatstheater Kassel, an der Volksbühne Am Rosa-Luxem­ burg-Platz Berlin, am Maxim Gorki Theater Berlin, Schauspiel Frankfurt am Main und Theater Basel. Arbeiten für Film und Fernsehen. Seit 09/2009 Ensemblemitglied am Schauspiel Leipzig. Daniel Boy (INVISIBLE PLAYGROUND) Invisible Playground entwickelt Spiele für Städte. Als Kollektiv von ­Designern, Künstlern und Wissenschaftlern erforschen und installie­ ren wir Erlebnissysteme, die an der Schnittstelle von ortsspezifischem Theater und transmedialem Gameplay entwickelt werden.


ität ist „Die Realit scheinlich. unwahrs ist Und das blem.“ das Prob (Elena Esposito)


Gespräch ELLEN BLUMENSTEIN, Chefkuratorin KW und MATTHIAS VON HARTZ, Künstlerischer Leiter Foreign Affairs EB: Matthias, wie fing eigentlich alles an? Ursprünglich haben wir doch über die Geister des Kapitals gesprochen... MvH: Der Titel unserer ersten Projektidee war „Kapitale Geister“, da ging es um alternative ökonomische Strategien. Leider oder Gott sei Dank ist daraus nichts geworden. EB: Wir haben in der folgenden Diskussion versucht, einen Dreh zu finden, der das Ökonomische zwar mitdenkt, aber darüber hinausgeht, ver­ schiedene Felder verzahnt und verschiedene Möglichkeiten, über die Zukunft nachzudenken, aufgreift. Eine wichtige Referenz blieb Joseph Vogls Buch „Das Gespenst des Kapitals“. Dort kommt die Wette als In­ strument der Spekulation auf die Zukunft vor, das Berechenbarkeit suggeriert. In anderen Bereichen dagegen behält die Wette dieses Ele­ ment des Sich-Anheimgebens an das Ungewisse, an eine Nicht-Vorher­ sehbarkeit der Zukunft viel deutlicher. MvH: Ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist auch der des Vertrauens. Das Bewusstsein darüber, dass unsere Wahrnehmung der Realität auf Glauben basiert, führte uns dazu, über andere Weisen des Weltbezugs nachzudenken, und wir landeten bei der Wette als Spiel mit Glauben und Vertrauen. Entstanden ist schließlich ein Versuch, im Rah­ men dieses Projektes möglichst viel von dem Spektrum möglicher Wet­ ten vorkommen zu lassen. EB: Mich interessiert das positive Moment der Verunsicherung. Die Stärke der Thematik ist, dass sie sehr vielfältig ist. Sich in ein Verhältnis zu anderen zu setzen hat notwendigerweise auch etwas Spielerisches,


das aber jederzeit in Ernsthaftes kippen kann. Auch für Künsterlinnen und Künstler ist es anregend, die Wette als Figur zu benutzen, die beides kann, die den Spaß und das Wirtschaftliche in sich trägt, aber auch eine soziale Komponente beinhaltet, die auch auf unser christliches Erbe ver­ weist. Schon Hiob hat mit Gott gewettet, dann gibt es Pascals Wette, aber auch bei Goethe wetten Faust und Mephisto miteinander, und Gott wettet auch noch mit. Es geht immer um die Frage des Vertrauens, aber auch um den Sprung ins Unbekannte. Der enge Fokus auf die Ökono­ mie verdeckt, dass Spekulation mit einer völlig unvorhersehbaren Zu­ kunft operiert, auch wenn uns suggeriert wird, dass sie kontrollierbar sei. Seit der Finanzkrise von 2008 schwingen Verlust, Risiko und das Un­ kontrollierbare immerhin mit, wenn wir über Ökonomie sprechen. MvH: Elena Esposito beschreibt in einem ihrer Bücher die gleichzeitige Entstehung des Romans und der Wahrscheinlichkeitsrechnung als un­ terschiedliche Formen von Fiktion. Wenn man Wahrscheinlichkeitsrech­ nung auf einer kulturwissenschaftlichen Ebene als Fiktion denkt, dann bricht das ganze ökonomische System, das sich in den vergangenen drei Jahrhunderten darauf entwickelt hat, in sich zusammen. Es geht nicht um Beweisbarkeit und wissenschaftliche Validität, sondern um eine emotionale Auseinandersetzung mit sozialen und philosophischen Themen, um eine andere Form der Wissensproduktion. EB: Gesellschaftliche Wahrheit wird heute nur über ökonomisch-na­ turwissenschaftlich-mathematische Modelle verhandelt. Deshalb übt Kunst im weitesten Sinne eine so große Faszination aus: weil sie einer der letzten gesellschaftlichen Orte ist, an dem man anders denken kann. Seitdem sich mit dem Bologna-Prozess alles auf die Naturwissenschaft konzentriert und die Geisteswissenschaften hin­ ten runterfallen, wird die Kunst zunehmend das einzige Feld, das an­ dere Formen des Wissens und Denkens zulässt. Auch sie wird aller­ dings zunehmend prekär.


MvH: In Gesprächen, die ich mit Theoretikern geführt habe, hatten wir große Schwierigkeiten, die Wette von Spekulation abzugrenzen. Die Un­ terscheidung von Urs Stäheli besagt, dass Wette ein abgeschlossenes System ist, das ich von außen betrachte. Es gibt keinen Feedback-Me­ chanismus zwischen mir und dem System, während ich bei Spekulation immer ein Teil des Systems bin. Das wird perfiderweise als Beweis für die soziale Verträglichkeit der Spekulation benutzt, weil man sagt, man ist ja Teil des Systems. Aber die Fantasie, man könne über sein Verhalten im System die Spekulation beeinflussen und eventuell auch Missbrauch verhindern, ist falsch. 'Drinnen' ist ja eine sehr relative Sache: Wenn ich auf Nahrungspreise spekuliere, bin ich schon irgendwie drin, irgendwann wird der Reis auch bei mir teurer, aber das trifft mich erst einmal nicht. Aber es ist uns beiden wichtig, dass unsere Veranstaltung nicht primär kapitalismuskritisch ist, sondern eben auch eine Auseinandersetzung mit einem Kulturphänomen, sicher vor einem kapitalismuskritischen Hintergrund… Dass Spekulation in der Form, wie sie heute betrieben wird, „böse“ ist, ist inzwischen bekannt, würde ich sagen. EB: Unsere beiden Bereiche – Kunst und Theater – verzahnen sich hier logisch; Performance ist der Grenzbereich, der uns zueinander bringt. Was im Theater immer ein wichtiges Thema ist, aber in der Kunst erst langsam ins Bewusstsein dringt, ist das Publikum. Uns ging es darum, die Besucherinnen und Besucher auf ganz unterschiedlichen Ebenen einzubeziehen. Es gibt zum Beispiel von Michael Portnoy ein echtes Spielcasino, es gibt eine Dauer-Performance von Jochen Dehn, die sich mit der Frage des Wettens beschäftigt und partizipativ ausgelegt ist. Beide Projekte fragen nach dem Verhältnis zwischen demjenigen, der diese Situation schafft und demjenigen, der daran teilnimmt. MvH: Man muss aber auch sagen: Wir kennen uns ja sehr lange, aber wir haben erst jetzt in der Zusammenarbeit gemerkt, wie weit der Weg ist, wenn man zu einem gemeinsamen Projekt beider Bereiche kommen will.


EB: Man merkt immer erst, wenn man miteinander arbeitet, dass Prä­ missen, Wahrheiten, Konventionen extrem kontextspezifisch und nicht identisch sind. Das ist für mich das zentrale Interesse für diese Koopera­ tion, weil man ja erst an den Grenzbereichen versteht, wie man selbst tickt, und das wiederum öffnet den Blick und gibt einem die Freiheit, die Dinge auch mal anders zu betrachten. Man geht selbst immer davon aus, dass die Regeln des eigenen Systems naturgegeben sind. MvH: Es geht in unserer Zusammenarbeit sowohl um Regeln, nach de­ nen eine Institution funktioniert, aber auch darum, wie die Arbeit mit Künstlerinnen und Künstler funktioniert. Im Gespräch bemerkt man selbst erst, wie festgefahren man in den eigenen Vorstellungen ist. EB: Im Theater und in der Kunst herrschen einfach komplett andere Rahmenbedingungen. Von der Struktur und den Kapazitäten her sind wir zwei extrem ungleiche Partner, die aus dieser Reibung heraus ver­ suchen, Formen zu finden. Das ist extrem anstrengend. Aber ich glau­ be, dass es auch sehr bereichernd ist. MvH: Wir haben gemerkt, dass wir das jeweils andere System doch nicht wirklich kennen. Erst im Prozess wird man sich der anderen Rezeptions­ bedingungen bewusst. Verantwortung im Theater für den Besucherin­ nen und Besucher geht weiter geht als in der bildenden Kunst. Im Thea­ ter hört die Verantwortung für das Publikum erst auf, wenn sie den Raum verlassen haben. Bei ganz vielen bildenden Künstlern habe ich das Gefühl, die Verantwortung hört auf, wenn das Werk da steht. Es geht um das Werk, nicht um die Wirkung. EB: Im Grunde sind alle Parameter anders. Die Wahrnehmung und der Umgang mit Raum und Zeit ist anders, das Publikum ist anders, und zwar extremer, als man sich das vorstellen kann. Ich würde sagen, der Künstler der bildenden Kunst interessiert sich einfach nicht


fürs Publikum, der interessiert sich dafür, sein Werk zu machen, das gesehen werden soll. Zeit ist ausgedehnt, es gibt selten Anfang und Ende, und beim Raum gibt es keine Trennung zwischen Bühne und Publi­ kum. Natürlich gibt es vom Theater aus inzwischen Formen, in denen Bühne und Publikumsraum gemischt werden, und im Bereich der bil­ denden Kunst gibt es Künstler wie die Gruppe Reactor, die anfangen, den Ausstellungsraum aufzuteilen, aber die Trennungen sind als Grund­ kategorien nach wie vor gültig. Was im Theater schon durch das Setting vorgegeben ist, dafür braucht die bildende Kunst implizite Regeln: wie man in Ausstellungen geht, wie lange man stehen bleibt, wie man sich bewegt, wie man zu verstehen meint, worum es da geht, all das ist ext­ rem reglementiert. Und es interessiert mich sehr, daran zu kratzen. MvH: Ich würde auch sagen, das Theater ist das unfreiere System. ­Formal ist es so: reingehen, Licht aus, sitzenbleiben, rausgehen. Aber gleichzeitig setzt da die Verantwortung ein. Wenn du mir deine Zeit gibst, wenn ich dafür verantwortlich bin, dass du hier eine Stunde sitzt, dann muss ich auch dafür sorgen, dass du hier unterhalten wirst. Ich glaube, die wenigsten bildenden Künstlerinnen und Künstler würden sich als Unterhalter sehen. Es mag Ausnahmen dafür geben, aber im Großen und Ganzen ist man im Theater Teil der Unterhaltungsindustrie. EB: Es findet auch ein ein theoretisches, nicht performatives Gespräch von Saskia Sassen und Richard Sennett statt. In der Kunst würde man das normalerweise ins Rahmenprogramm packen… Ist das etwas, was nur du machst, Matthias, oder ist das im Theater gängig? MvH: Das ist im Theater genauso. Man würde ein Format schaffen, das heißt „Sonntag Vormittag um elf“, und da finden die Debatten statt. Dass man das so zentral im Hauptprogramm präsentiert, ist eigentlich nicht üblich. Wir haben hier versucht, ein Spektrum bereitzustellen, auf dem man sich selbst frei bewegen kann, zwischen emotional-assoziativen


Projekten, in denen man eher etwas erfühlt, bis zum Vortrag, in dem real Wissen vermittelt wird. Mir macht es als Zuschauer immer großen Spaß, entscheiden zu können: Jetzt möchte ich es aber genauer wissen und jetzt möchte ich mich eher spielerisch mit dem Thema beschäftigen. Wenn am Samstag Abend Elena Esposito darüber spricht, wie unmöglich es ist, Zukunft zu konstruieren und sich mittels Wetten gegen diese Un­ sicherheit abzusichern, und dann der Vorhang hochgeht und Forced Entertainment fünf Stunden lang den Satz sagt: „In the future…“, dann hoffe ich, dass man erkennt, wie wir versuchen, uns mit unterschiedlichen Methoden dem Thema zu nähern. Die Mischung entsteht bei jedem einzelnen Besucher, der die Freiheit hat, zu entscheiden, was er jetzt davon haben möchte – es passiert ja meist etwas parallel. EB: Was allerdings bedeutet, dass die Besucherin oder der Besucher bei euch ja schon anders agiert, als er das normalerweise tut. MvH: Ja, so eine Veranstaltung kündigt innerhalb des Systems Theater mindestens eine Verabredung auf: Es ist strukturell eine Annäherung an eine Rezeption, wie sie im Bereich der bildenden Kunst üblich ist. Im Grunde funktioniert das eher wie eine performative Ausstellung, auch wenn man sich vielleicht nicht zwischen dreißig, sondern nur zwischen drei Werken entscheiden kann. Wobei es dann wiederum Aufführungen gibt, bei denen man – wie im Theater üblich – gezwungen ist, eine gewisse Zeit zu bleiben. Die Verweildauer vor dem einzelnen Werk ist dann größer als in einer Ausstellung. Aber es ist ein Wandern zwischen unterschied­ lichen Werken, unterschiedlichen Projekten und damit auch unter­ schiedlichen Formaten.


ettE- Das Wett

ABC


aberglauben-Fund: verwaltet durch einen Roboter, der nach Kriterien wie Freitag den 13. oder 'Vollmond' handelt. Bank Run: In einem Schalter­

sturm versuchen viele Anleger gleichzeitig, ihre Einlagen abzu­ heben. Führte während der Welt­ wirtschaftskrise oder der Argenti­ nienkrise zum Zusammenbruch der Banken.

Casino Royal: von Bond bis Berlin. Dostojewski: porträtiert in „Der Spieler“ 1866 einen Spielsüchti­ gen. Autobiografisch. Dostojewski litt selbst an Spielsucht. Ellsberg-Paradoxon: ist ein aus der Entscheidungstheorie bekanntes Phänomen der Entscheidung un­ ter Unsicherheit. Wenn Menschen sich zwischen Optionen entschei­ den müssen und nur bei einer ­Option die Wahrscheinlichkeits-

verteilung bekannt ist, entscheiden sie sich mehrheitlich für diese.

Faust: Gegenstand einer Wette zwischen Gott und Mephisto. Wettet selbst mit Mephisto darü­ ber, ob er je Zufriedenheit er­ langt: „Kannst du mich mit Ge­ nuss betrügen / Das sei für mich der letzte Tag…“ – „Die Wette biet ich“ – „Topp“ – „Und Schlag auf Schlag“. Gameshows: Beliebtes Fernseh­ format, in dem Kandidaten Auf­ gaben lösen müssen. Bekanntes­ tes deutsches Beispiel: „Wetten dass…“. Hiob: Bei einer Engelsversamm­ lung wetten Satan und Gott um den Glauben Hiobs. Satan mein­ te, dass Hiob nur so gottesfürch­ tig sei, weil es ihm so gut ginge. Da erlaubt Gott dem Teufel, Hiob alles zu nehmen, nur ihn selbst dürfe er nicht antasten.


Integrationsmechanismus: Theorie, die besagt, dass Spiele als sozialer Kitt im Rahmen mo­ dern-kapitalistischer AnomieDrohungen wirken, indem sie Menschen regelmäßig und häufig zusammenbringen. Juice: amerikanischer Begriff für

die Buchmachermarge, die in den Quoten einkalkuliert ist. „No Juice“-Wetten bedeuten, dass in den Quoten kein Buchmacherge­ winn einberechnet wird. solche Wetten werden von Wettanbie­ tern zu Promotion-Zwecken angeboten.

Kukuruzwette: eine Wette um Maiserträge, zu der es 1960 zwi­ schen dem österreichischen Natio­ nalratspräsidenten Leopold Figl und dem sowjetischen Regie­ rungschef Nikita Chruschtschow kam. Der Einsatz war ein Schwein. Langzeit-Wette: beispielsweise zwischen Mitchell Kapor und Ray Kurzweil, läuft von 2002 bis 2029.

Es geht darum, ob innerhalb die­ ses Zeitraums ein Computer den Turing Test bestehen wird, der menschliche Kommunikation abfragt.

Mississippischwindel: durch die

von John Law gegründete Han­ delsgesellschaft Compagnie de la Louisiane ou d'Occident (auch kurz: Compagnie d'Occident oder Mississippi-Kompanie) ausgelöste Finanzkrise im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Zwischenzeitlich wurden 160 Kioske im Park von Vendôme und Hôtel des Soissons aufgestellt, um die Nachfrage nach Aktien zu befriedigen. Wa­ chen mussten verhindern, dass auch in der Nacht gehandelt wur­ de. Die Blase platze 1719.

Nahrungsmittel-Spekulation:

Handel mit Agrarrohstoffen wie Weizen oder Mais an der Börse. Soll derzeit über eine Finanz­ markt-Richtlinie eingeschränkt werden.


Over: Form der Fußballwette, bei der darauf gewettet wird, ob in einem Spiel mehr (over) oder we­ niger (under) als 2,5 Tore fallen. Pascals Wette: Blaise Pascals be­ rühmtes Argument für den Glau­ ben an Gott. Pascal argumentiert, es sei stets eine bessere 'Wette', an Gott zu glauben, weil der Er­ wartungswert des Gewinns, der durch Glauben an einen Gott er­ reicht werden könnte, stets grö­ ßer sei als der Erwartungswert im Falle des Unglaubens. Quote: Faktor, mit dem der Ein­ satz des Wett-Teilnehmers im Ge­ winnfall multipliziert wird. Resozialisierungs-Wette: Von der US-Bank Goldman Sachs erfun­ den, wettet auf die Resozialisie­ rung von Häftlingen aus US-Gefängnissen.

Südseeblase: Handel mit von der South Sea Company ausgegebenen Südsee-Aktien, die sich 1720 inner­ halb weniger Monate von 120 auf 950 Pfund steigerten. Versprachen Handel mit exotischen Waren, Rohstoffen und Sklaven. Es wurde keine einzige Dividende gezahlt. Tulpenzwiebelspekulation: Han­ del mit den neu aus Indien einge­ führten Tulpenzwiebeln auf nie­ derländischen Finanzmärkten des 17. Jahrhunderts. Die Preise stie­ gen innerhalb von drei Jahren auf das Fünfzigfache, in Amsterdam wurde ein ganzes Haus für drei Tulpenzwiebeln verkauft. Führte 1637 zum Crash. Ungleichheitsstrukturen Versicherungs-Spekulation Wetterderivate (weather futures): Wetten auf warme Winter oder verregnete Sommer, zumeist von Energieversorgern abgeschlossen.


X oder 0: Unentschieden Yakama-Indianer: Indianerstamm im Südosten des US-Staates Wa­ shington. Betreiben seit 1998 ein Kasino bei Toppenish unweit von Yakima, das Legends Casino. Es beschäftigte 2008 rund 600 Mit­ arbeiter, davon über 450 Yakama. Zwei-Weg-Wette: Wette mit zwei möglichen Ausgängen (z.B. im Tennis: Es gibt kein Unentschieden)


Impressum Ein gemeinsames Projekt von Berliner Festspiele/ Foreign Affairs und KW Institute for Contemporary Art, gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes Berliner Festspiele Ein Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen des Bundes GmbH Gefördert durch den Beauftragten der Bundes­ regierung für Kultur und Medien Intendant: Dr. Thomas Oberender Kaufmännische Geschäftsführerin: Charlotte Sieben Foreign Affairs Künstlerische Leitung: Matthias von Hartz Künstlerische Mitarbeit: Cornelius Puschke Dramaturgie: Carolin Hochleichter Musikkurator: Martin Hossbach Produktionsleitung: Caroline Farke Technische Leitung Festival: Matthias Schäfer Produktion: Ann-Christin Görtz Mitarbeit technische Leitung: Lotte Grenz Student Affairs: Katja Herlemann Architektur: realities:united Ausstattung Festival: Frieda Schneider Mitarbeit Ausstattung: Agnes Fabich, Jasmin Wiesli Praktikum: Milena Kowalski, Alexandra Keiner, Johanna Colmsee Künstlerbetreuung: Loredana Cimino, Nuria Gimeno Redaktion: Anne Phillips-Krug, Christina Tilmann Übersetzung: Jenny Piening, Karen Witthuhn / Transfiction Graphik: Ta-Trung, Berlin Druck: enka-druck GmbH, Berlin Umschlagabbildung: Nikolaus Gansterer, „Diagrammatik der Wette - ein Alphabet”, 2013 Gestaltung Programmübersicht: Jasmin Wiesli

Förderer

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Medienpartner

Technische Leitung: Andreas Weidmann Leiter Beleuchtung: Carsten Meyer Leiter Tontechnik: Manfred Tiesler, Axel Kriegel Bühneninspektor: Thomas Pix Bühnenmeister: Benjamin Brandt, Claudia Stauß Beleuchtungmeister: Jürgen Koß, Hans Fründt Tonmeister: Martin Trümper Bühne: Birte Dördelmann, Stephan Fischer, Sybille Casper, Pierre Joel Becker, Manuel Solms, Mirco Neugart, Karin Hornemann, Maria Deiana, Thomas Pix, Fred Langkau Licht: Lydia Schönfeld, Robert Wolf, Arndt Rhiemeier, Bastian Heide, Ruprecht, Lademann, Mathilda Kr­ uschel, Frank Szardenings Ton: Axel Kriegel, Stefan Höhne, Tilo Lips, Klaus Tabert, Falco Ewald, Sebastian Pieper, Simon Franzkowiak, Felix Podzwadkowski, Hardy Hartenberger Azubis: Malte Gottschalk, Otis Weihrauch KW Institute for Contemporary Art Direktorin: Gabriele Horn Chefkuratorin: Ellen Blumenstein Co-Kuratorin „Vier gewinnt: Die Wette” Anja Lückenkemper Projektleiter: Jasper Kettner Assistentin künstlerisches Büro: Adela Yawitz Praktikantinnen: Nina Kuttler & Jenny Verclas Aufbauleitung: Matten Vogel Aufbauteam: Kartenrecht Alle Künstlertexte und –material, soweit nicht an­ ders angegeben: © die KünstlerInnen. Nicht in allen Fällen konnten die Bildrechte ermittelt werden. Wir bitten die Rechteinhaber, sich bei den Berliner Festspielen zu melden. Stand: Juni 2013


DIE WETTE DIE

ET THE BET T www.berlinerfestspiele.de www.kw-berlin.de


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