Theatertreffen 2012 - Stückemarkt Broschüre

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Skåne,

Stückemarkt

Jonas Jagow, Ciała obce – Fremde Körper, Śmierć Kalibana – Kalibans Tod, Polis3000: respondemus

Theatertreffen 2012

Stückemarkt 2012 Und dann,


Theatertreffen 2012 Spielplan Mi

Do

09 10

20:15

Förderpreis für neue Dramatik des TT Stückemarkts 2011 der penner ist jetzt schon wieder woanders von Juri Sternburg / Regie: Ekat Cordes › Maxim Gorki Theater, Berlin / Gorki Studio

18:00

Eröffnung des Stückemarkts 2012 Impulsreferat von Dennis Kelly › Kassenhalle

19:30

Szenische Lesung I Und dann von Wolfram Höll › Kubus

21:00

Szenische Lesung II Skåne von Pamela Carter › Kassenhalle

22:15

Autorentisch I Pamela Carter und Wolfram Höll im Gespräch mit Yvonne Büdenhölzer › Kassenhalle

Fr

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19:30

Szenische Lesung III Jonas Jagow von Michel Decar › Kassenhalle

21:00

Szenische Lesung IV Ciała obce – Fremde Körper von Julia Holewińska › Kassenhalle

22:15

Autorentisch II Michel Decar und Julia Holewińska im Gespräch mit Christina Zintl › Kassenhalle

23:00

Hörtheater Alles Gold was glänzt

von Mario Salazar Hörspielproduktion Deutschlandradio Kultur › Unteres Foyer


Stückemarkt

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So

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13:00

Expertentisch Neue alte Theaterbanden

mit dem Performer Bastian Trost (Gob Squad), der Theaterwissenschaftlerin und Performerin Mieke Matzke (She She Pop), dem Autor Ewald Palmetshofer und dem Schauspieler Peter Simonischek Moderation Birgit Lengers › Kassenhalle

20:15

Förderpreis für neue Dramatik des TT Stückemarkts 2010 Ernte von Claudia Grehn mit Texten von Lena Müller / Regie: Dominic Friedel › Maxim Gorki Theater, Berlin / Gorki Studio

Mo

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18:00

Szenische Lesung V Śmierć Kalibana – Kalibans Tod von Magdalena Fertacz › Kassenhalle

19:30

VI: Präsentation Projektlabor Polis3000: respondemus von Markus&Markus › Seitenbühne

21:00

Autorentisch III Magdalena Fertacz und Markus&Markus (Markus Schäfer und Markus Wenzel) im Gespräch mit Christina Zintl › Kassenhalle

22:30

Preisverleihung Förderpreis für neue Dramatik des TT Stückemarkts 2012 Werkauftrag des TT Stückemarkts 2012 Theatertext als Hörspiel › Kassenhalle

Im Anschluss Stückemarkt-Party

Do

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20:15

Förderpreis für neue Dramatik des TT Stückemarkts 2009 Das Prinzip Meese von Oliver Kluck / Regie: Antú Romero Nunes › Maxim Gorki Theater, Berlin / Gorki Studio

Karten Stückemarkt 9,- Euro / Hörtheater 5,- Euro Abendkasse jeweils eine Stunde vor Beginn


Theatertreffen 2012

Fünf Stücke und zwei Außerirdische

Christina Zintl. Foto: Frank Eidel

Nach 182 Autorinnen und Autoren in den letzten 34 Jahren Stückemarkt ist 2012 zum ersten Mal ein Performancekollektiv in der Auswahl. Der Stückemarkt reagiert mit seiner Öffnung auf einen erweiterten Autoren- und Textbegriff im Theater. Die zunehmend interaktive Nutzung neuer Medien hat auch das szenische Schreiben der letzten 10 Jahre beeinflusst, hin zu mehr Partizipation. Es entspricht nicht mehr dem Selbstverständnis vieler junger Künstler, den Prozess der Theaterproduktion als strenge Arbeitsteilung zu begreifen – Autor am Schreibtisch, Regisseur im Zuschauerraum, Schauspieler im Probenkostüm. Kollektive kreative Prozesse scheinen reizvoll zu sein. Der Autor und Regisseur René Pollesch begleitet als Mentor das erste Projektlabor des Stückemarkts, in dem die ausgewählten Stückentwickler Markus&Markus an ihrer Performance Polis3000: respondemus weiterarbeiten. Die heutigen Formen kollektiver Arbeitsweisen werden beim Expertentisch in einem historischen Rahmen betrachtet – hier diskutieren der Dramatiker Ewald Palmetshofer, der Performer Bastian Trost (Gob Squad), die Theaterwissenschaftlerin und Performerin Mieke Matzke (She She Pop) und der Schauspieler Peter Simonischek über »Neue alte Theaterbanden«. Autorenschaft muss heute anders gedacht werden, als vor dem web 2.0. Was soll / kann Theater über unsere Wirklichkeit erzählen, wie kann es über die Schnelligkeit und partizipatorischen Angebote von Facebook hinausgehen, welches in Echtzeit Revolutionen begleitet und ermöglicht? Zeitgenossenschaft und szenisches Schreiben, wie geht das überhaupt zusammen? Über solche Fragen sprechen wir jeweils mit zwei Stückemarkt-Autorinnen und -Autoren – Wolfram Höll und Pamela Carter, Michel Decar und Magdalena Fertacz, Julia Holewińska und Markus&Markus – nach den szenischen Lesungen / Präsentationen ihrer Stücke. Als Außenblick eines »klassischen« Dramatikers wird der erfolgreich politisch schreibende Autor Dennis Kelly in seiner Eröffnungsrede einen ersten Impuls setzen.


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Stückemarkt

Theater ist, bei aller Geschwindigkeit der Produktionsprozesse, ein Medium der Langsamkeit, der Wiederholung und Überprüfung. Mal wird Čechov wiederentdeckt, dann die politischen Autoren der 1980er Jahre auf ihre Gültigkeit überprüft – wir beschäftigen uns noch heute damit, zu hinterfragen, was die Antike über uns erzählt. Theater ist per se nicht auf Schnelligkeit, sondern auf Dauer ausgerichtet. Das ist seine Stärke. Das Moment der Fixierung ist bei aller Disparatheit, Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit die Gemeinsamkeit der »klassischen« Dramen und der im Entstehen begriffenen Projekttexte. Der Unterschied der Textformen liegt vor allem in ihrer Produktionsweise und darin, dass sie in unterschiedlichen Arbeitsstadien eingereicht werden. Deshalb wird es in den nächsten Jahren unsere Herausforderung sein, die Bedingungen und Kriterien der Einreichung und Beurteilung weiterzuentwickeln. Herzlich danken möchte ich den Förderern des Stückemarkts, der Heinz und Heide Dürr Stiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung, sowie unseren Partner-Theatern Maxim Gorki Theater, Berlin und Staatsschauspiel Dresden und nicht zuletzt Deutschlandradio Kultur, dafür, dass sie uns bei diesem Weg der Öffnung unterstützen. Dass es mittlerweile an vielen Orten Stückemärkte gibt, sehen wir nicht als Konkurrenz, sondern als Kompliment. Besuchen Sie das Original! Christina Zintl, Leiterin des Stückemarkts


Theatertreffen 2012

Fragen stellen auf die Antworten der Welt

Heinz und Heide Dürr. Foto: Peter Adamek

Zum vierten Mal ist die Heinz und Heide Dürr Stiftung beim Stückemarkt als Hauptförderer dabei und zum ersten Mal stiftet sie den Förderpreis für neue Dramatik des TT Stückemarkts, mit dem eine Uraufführung am Maxim Gorki Theater verbunden ist. Und noch eine Premiere wird dieses Jahr im Stückemarkt gefeiert: Erstmals hat ein Theaterkollektiv die Möglichkeit, seine Projektidee mit anderen sozusagen in einem »Zusammentheater« weiterzuentwickeln. Damit greifen wir aktuelle Entwicklungen in der Theaterwelt auf, in der nicht mehr allein einzelne Autoren ihre Sinnproduktionen auf die Bühne bringen, sondern Stücke aus interaktiven kollektiven Prozessen entwickelt werden. Aus 39 hierzu eingereichten Projekten wurden Markus&Markus ausgewählt, die als Außerirdische auf die Erde kommen wollen, um zu prüfen, ob hier wirklich alles so läuft, wie man es sich im Weltall vorstellt. Ganz gemäß unserem Motto werden hier Fragen auf die Antworten der Welt gestellt. Das Motto in diesem Jahr ist dem Google-Zeitalter entlehnt, wo uns Systeme bereits Antworten auf Fragen liefern, die wir noch gar nicht gestellt haben. In einer Cyberspace-Welt wissen andere, was uns interessiert. Es wurden Autoren gesucht, die wieder Fragen stellen, die die vermeintliche Wirklichkeit unter die Lupe nehmen und dabei vielleicht zu anderen Antworten kommen. Im klassischen Stückemarkt wurden 284 Stücke von 155 Männern und 131 Frauen eingesendet. Drei Autorinnen und zwei Autoren sind ausgewählt, ihre Stücke in szenischen Lesungen zu präsentieren. Sie erhalten dabei auch die Möglichkeit, in direkter Wechselwirkung mit dem Publikum ihre Werke anzuschauen und zu erfahren, was der Hollywood-Regisseur Steven Soderbergh vor kurzem so beschrieben hat: »Im Theater bekommt man seine ganze Arbeit in einem Durchgang zu sehen, bevor man sie jemandem anderen zeigen muss. Es ist, als sähe man den fertigen Film, bevor man ihn gedreht hat. Das ist toll.« Heinz und Heide Dürr, Förderer des Stückemarkts


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Stückemarkt

Die Ängste und Wünsche der Gesellschaft offenlegen

Thomas Krüger. Foto: bpb / Lars Welding

Die Bundeszentrale für politische Bildung ist einem offenen Verständnis von politischer Bildung verpflichtet und betrachtet Kunst und Kultur als Voraussetzung sozialer Teilhabe und politischen Interesses. Insbesondere das Theater kann seit jeher brisante zeitgeschichtliche Themen sinnlich erfahrbar machen und die Bedürfnisse, Wünsche und Ängste einer Gesellschaft offenlegen. Gerade ein junges Publikum lässt sich vom Theater dazu anregen, sich mit gesellschaftspolitisch relevanten Fragen auseinanderzusetzen. Der Stückemarkt des Berliner Theatertreffens wird unter dem Aspekt der Talentförderung veranstaltet. Sein offenes Auswahlverfahren motiviert noch unbekannte Autorinnen und Autoren aus ganz Europa, unveröffentlichte Stücke einzusenden. Die Bundeszentrale für politische Bildung ist seit vielen Jahren Partnerin des Stückemarktes und stiftet den Werkauftrag des Stückemarktes, den eine Jury an einen der Stückemarkt-Teilnehmer verleiht. Der Werkauftrag wird seit 2007 vergeben und ist mit 7.000 Euro dotiert. Das neu entstehende Stück wird in der kommenden Spielzeit am Staatsschauspiel Dresden uraufgeführt. Ich freue mich über den Erfolg der bisherigen Stückemarkt-Preisträger: Im Januar 2011 erlebten die beiden Preisträgerstücke des letzten Stückemarktes ihre Uraufführung: der penner ist jetzt schon wieder woanders von Juri Sternburg am Maxim Gorki Theater, Berlin sowie Seymour oder ich bin nur aus Versehen hier von Anne Lepper am Staatsschauspiel Hannover. Die in den Vorjahren beim Stückemarkt ausgezeichneten Autorinnen und Autoren Claudia Grehn, Wolfram Lotz, Philipp Löhle, Maria Kilpi, Anne Habermehl, Klaas Tiedemans, Nis-Momme Stockmann und Oliver Kluck feiern auch weiterhin bundesweit Erfolge und haben seit ihrer Entdeckung einen festen Platz auf den Spielplänen renommierter Theater gefunden. Ich wünsche den Preisträgerinnen und Preisträgern des Stückemarkts 2012 einen ebenso großen und anhaltenden Erfolg! Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung


Theatertreffen 2012

Stückemarkt Jury v. l.: Yvonne Büdenhölzer, Mieke Matzke, Ewald Palmetshofer, Dries Verhoeven, Stefan Bachmann. Foto: Piero Chiussi

Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Theatertreffens Mieke Matzke, Professorin für Theaterwissenschaft Universität Hildesheim, Performancekünstlerin (She She Pop) Ewald Palmetshofer, Dramatiker Dries Verhoeven, Regisseur/Szenograf Stefan Bachmann, Regisseur und designierter Intendant Schauspiel Köln


Stückemarkt

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Kein Tableau

Von Ewald Palmetshofer

Natürlich ist eine Auswahl immer auch eine Auswahl der Breite nach. Nicht nur die Spitzen enthält sie, bildet sie ab, nicht nur das Herausragende. Nicht immer ragen die Dinge von selbst hervor. Nicht alles ist eine Gebirgslandschaft mit Gipfeln, nicht alles eine Börsenindexkurve mit vertikalen Höhepunkten. Man kann den eigenen Blick auf die Spitzen nicht so einfach von diesen Spitzen selbst subtrahieren. Der nahe Berg scheint höher als der ferne. Er verstellt einem sogar den Blick. Das Vertikale ist ein Problem. Die Aneinanderreihung des Vertikalen macht eine Breite, bildet einen Block, spannt ein Feld auf, Bild, Tableau. Fünf Texte kommen her und stellen sich in einer Stirnreihe auf und repräsentieren. Das könnte man denken. Das Tableau vivant dieser Fünf, wie sie so dastehen, geschrieben stehen in dieser Stirnreihe und ihrer Repräsentanz. Und man denkt, dieses Tableau in seiner Breite würde die Gesamtheit der Texte abbilden. Man denkt, man könnte sagen: Ja, an diesen Texten sieht man erstens diese Texte und aber auch die Fülle der anderen Texte, die nicht diese Texte sind. Stellvertretend würden sie also hier stehen, diese Fünf. Für sich selbst und für die anderen. Das mag sein und ist zugleich doch falsch. Ich habe mich während des vielen Lesens der vielen Texte immer wieder bei der Frage ertappt, ob es Themen oder Überschriften, Fragen oder Tonlagen zu finden gäbe in diesen Stücken, ob man thematische Gruppen, inhaltliche Leitmotive extrahieren könnte. Vielleicht täuscht mein Eindruck, aber diese Frage, in der auch ein Begehren, eine Vorannahme, ein Findenwollen steckt, muss ich verneinen. Nicht könnte ich sagen »2012 – es rückt die Beziehungsthematik ins Zentrum« oder »es gibt einen Zug zum Politischen – 2012«. Nein, eindeutige Tendenzen gab es nicht. Es gab dort und da Ansammlungen um Begriffe, Namen, Konstellationen, Phänomene, aber keine Leitmotive. Ich war überrascht. Dann misstrauisch. Klammheimlich war ich von thematischen Konjunkturen ausgegangen, die ich nur finden müsste. Woher diese Annahme? Offenbar hatte ich gedacht, in der Welt gäbe es diese Konjunkturen, die sich natürlich und auf natürliche Weise in das Gesamttableau der Texte als lesbare Tendenz einschreiben


Theatertreffen 2012

würden – nein – müssten. Aber falsch! Wollte man die diesjährige Auswahl an Texten als Tableau betrachten, man müsste von einer Abwesenheit des Tableaus im Tableau sprechen. Es gibt hier kein Tableau und es gibt kein Tableau der Welt, weil die Zahl ihrer Fraglichkeiten zu groß ist. Nein, es gibt nicht die wenigen Themen der Welt. Es gibt ihrer viele, nebeneinander, aufeinander zu, voneinander weg, einander ausschließend, bedingend, vielleicht auch ergänzend, aber ohne dadurch je ihre Vielzahl zu schmälern. Der Vielheit ist ins Recht zu verhelfen. Das heißt, es ist hier von einer Vielheit zu reden, die »mehr« ist als Polyphonie oder Pluralismus. »Mehr« als Polyphonie, weil diese zu nahe – verdächtig zu nahe – am Ideal der Harmonie, des Wohlklangs der vielen Stimmen situiert ist: Klammheimlich steht das Viele hier unter dem Imperativ des Schönen, des schönen Klanges (der wiederum nur Einer ist). Es wird zu einer bloß ästhetischen Kategorie ausgedünnt. Versteckt im Hintergrund operiert das Verbot der – schon der Name ist tendenziös – Kakophonie. Das Viele sei nicht zu viel des Vielen, bitte!, es sei schön, wohlklingend, sinnfällig oder besser lieber nicht! Auch ist die Vielheit, von der hier die Rede sein soll, kein Pluralismus, weil diesem die Vielheit immer noch suspekt ist: Er bekennt sich zur Vielheit – natürlich!, aber in Ermangelung möglicher Alternativen. Im Verborgenen trauert er dem Einen nach. Klammheimlich wird das Viele als unvermeidbares, notwendiges Übel in Kauf genommen, in Wahrheit aber besteht Vielheit für ihn aus dem Eigenen und der Summe der Anderen. Das Viele ist das Eigene (das wiederum Eines ist), plus die vielen Anderen. Gäbe es die Anderen nicht, man könnte wieder Eins sein. Er trauert und wälzt das Viele auf die Anderen ab – es soll ihn selbst nicht betreffen; die Anderen sind viele, er selber aber nicht. Der dem Vielen angestammte Ort ist die Fremde – oder besser: das Exotische oder das andere Europa, also das Europa, in dem nicht Deutsch gesprochen wird. Aber vielleicht denkt dieser Pluralismus ohnehin gar nicht das Viele, sondern lediglich die Zwei: ich selber (eins) und das Andere (auch eins) – macht zusammen – wenn’s sein muss – zwei. Verkappter Dualismus.


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Stückemarkt

So oder so, zu reden ist hier also von einer Vielheit, die weder vereinigender Wohlklang noch Verschiebung des Vielen ins Fremde ist. Ohne faule Tricks soll sie ernstgenommen werden als das, was sie ist: Vielheit, die sich nicht vereinheitlichen lässt, von keinem Namen, keiner Überschrift, keinem Thema. Als diese Vielheit möchte ich diese fünf Texte denken. Ohne Klammer, ohne Rahmung. Es gibt nur dieses und jenes Stück und nochmal und nochmal und noch mehr. Jede einzelne Frage ist zu stellen. Das alles ist die Welt – das und noch mehr! Und so ist diese Auswahl, ist dieses »Tableau« nicht repräsentativ, kein Tableau. Weder wird hier das Gegenwartsdrama an und für sich repräsentiert, noch die Gesamtheit der eingereichten Texte. Auch stehen diese Texte nicht stellvertretend für eine Art Schnittmenge von Themen oder Fragestellungen oder für andere Texte ihrer Herkunftsländer oder gar für diese Länder selbst. Wenn das Motto des diesjährigen Stückemarktes lautet »Fragen stellen auf die Antworten der Welt«, dann repräsentieren die eingeladenen Texte nicht die jurytechnisch gewonnene Essenz gestellter oder – nach unserem Dafürhalten – relevanter Fragen. Nein. Die Texte und ihre Autorinnen und Autoren präsentieren ihre je eigenen Fragen selbst. Aus den Texten von Pamela Carter, Michael Decar, Magdalena Fertacz, Wolfram Höll und Julia Holewińska lässt sich keine Fragen-Summe bilden, keine wohlklingende Polyphonie ist zu vernehmen, kein Pluralismus-Panorama zu erkennen. Und es geht hier auch nicht um eine interessante Unterschiedlichkeit der Fragen. Es geht um ihre Vielheit ALS Vielheit. Die Welt ist endlich, nicht aber ihre Fraglichkeit. Es braucht viele Fragen, eine Vielheit, unabschließbar, immer wieder und immer mehr. Fünf Stücke ist nicht viel, aber eine Vielheit, wenn damit zum Ausdruck kommt, dass dieses Tableau nicht geschlossen ist. Es gibt keine Schließung der Fraglichkeit. Man darf die Fünfzahl oder – mit Markus&Markus – die Sechs nicht von ihrem Ende her, nicht als abgeschlossene Zählung denken. Man muss sie als Anfang einer noch ausstehenden Vielheit begreifen. Es braucht diese Stücke, diese Fragen, und es braucht andere, und noch andere und noch mehr.


Theatertreffen 2012

Versprechen auf eine theatrale Zukunft – ein Rückblick auf den Auswahlprozess der Projektkonzepte Von Mieke Matzke

Wer im Duden-Fremdwörterbuch den Begriff »Projekt« nachschlägt, findet dort die Bedeutungen »Plan, Entwurf, Vorhaben«. Es geht also um eine zukunftsorientierte Unternehmung, ein projektiertes Ziel, das zwar angedacht ist, aber dessen Verwirklichung noch aussteht. Im gegenwärtigen Theater finden sich zahlreiche Formen, die einem solchen Projektgedanken folgen. Am Anfang der Proben steht kein dramatischer Text, sondern ein Plan, ein Entwurf, eine Idee, die sich erst während des Prozesses konkretisieren lässt und zu szenischer Realität wird. Die Auswahl des diesjährigen Theatertreffens – wie auch schon in den letzten Jahren – spiegelt dieses Panorama verschiedener Theaterformen, neben den Drameninszenierungen stehen Theaterprojekte, die ausgehend von einem Thema oder einer szenischen Idee im Probenprozess entwickelt werden. In den Fokus treten damit auch andere Arbeitsformen des Theaters: Fragen nach kollektiver Kreativität, nach Techniken und Bedingungen des Produzierens. In diesem Jahr forderte der Stückemarkt zum ersten Mal zur Bewerbung von Projekten von Künstlerkollektiven auf. Eine Projektidee sollte ausgewählt, in einem Projektlabor von einem Tutor betreut weiterentwickelt und schließlich in einem öffentlichen Try Out ein erster Arbeitsstand präsentiert werden. Über 50 Projektskizzen waren eingegangen: von der szenisch-konzertanten Auseinandersetzung mit Arbeiterliedern über die Gründung einer eigenen Bank bis hin zum begehbaren Computerspiel. Neben dem Ideenreichtum der eingereichten Projekte zeigte sich aber auch schnell die andere, problematische Seite des Auswahlprozesses: Anders als bei den eingesandten Stücken wird hier nicht ein bereits abgeschlossener Arbeitsprozess präsentiert, sondern eine Idee vorgelegt, von der niemand weiß, wohin sie sich entwickeln wird. Eine Projektidee ist erst einmal nicht mehr und nicht weniger als ein Versprechen auf eine theatrale Zukunft.


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Stückemarkt

Aus der Diversität dieser eingesandten Konzepte ergab sich eine grundlegende Problematik für die Jury: Wie lassen sich die Projekte überhaupt miteinander vergleichen? Die Setzung des Stückemarkts, nur ein Projekt als Nachwuchsförderung auszuwählen, machte die Diskussion nicht einfacher. Wie es auch bei den Stücken kaum möglich wäre, das eine überzeugendste auszuwählen – was wir ja glücklicherweise nicht tun mussten –, ist dies bei der Vielfalt verschiedener Ansätze bei den Bewerbungen der Projekte ebenso problematisch. In den Konzepten zeigten sich die Schwierigkeiten der Künstlerinnen und Künstler, ihre Ideen zu vermitteln und eine Form zur Beschreibung der eigenen Konzepte zu finden. So sah sich die Jury mit ganz unterschiedlichen Projektbeschreibungen und Materialien konfrontiert. Da gab es starke Ausgangsmaterialien, allerdings fehlte eine schlüssige Beschreibung der geplanten szenischen Umsetzung. Da gab es Beschreibungen szenischer Ideen, ohne dass deutlich wurde, wie die dramaturgische Struktur aussehen sollte. Nicht wenige Anträge warfen mehr Fragen auf als sie beantworteten: Wo ist überhaupt das Publikum; gibt es überhaupt ein Publikum; wie sieht der Raum aus, welche Texte werden gesprochen, welche Funktion oder Aufgaben haben die Darsteller? Diese Probleme spiegeln aber die Schwierigkeiten, vor denen jedes Theaterprojekt steht: Wie finde ich eine überzeugende Form und eine angemessene Sprache für meine zu verwirklichenden Ideen, um Theaterleitern, Auswahljurys, Festivals, aber auch den am Projekt Beteiligten mein Konzept zu vermitteln? Ein Konzept zu schreiben, präzise und genau das eigene Vorhaben zu reflektieren, ist damit immer auch schon eine Etappe des künstlerischen Arbeitsprozesses. Für die folgenden Stückemärkte steht damit ein Erprobungs- und Lernprozess an. In der Auseinandersetzung mit den Besonderheiten der Projektarbeit im Theater werden neue Formate für die Ausschreibung zu diskutieren sein, wie auch die Künstlerinnen und Künstler aufgerufen sind, neue Formen der Beschreibung ihrer Ideen zu finden – dies wird die spannende Aufgabe der nächsten Jahre sein.


Theatertreffen 2012

Und dann Von Szenische Einrichtung Dramaturgie Es lesen

Termin Ort

Wolfram Höll Alexander Riemenschneider Daniel Richter Daniel Hövels / Hans Löw / Helmut Mooshammer Donnerstag, 10. Mai 2012, 19:30 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Kubus

�Die Spur des Verschwindens sie ist wie in unserer Erinnerung sie ist unsere Erinnerung« Jede Löschung hinterlässt eine Spur. Auf einer rein materiellen, phänomenalen Ebene ist dies vielleicht die wesentlichste Eigenart der mechanischen Schreibmaschine im Gegensatz zur elektronischen Textverarbeitung. Es gibt keine Löschtaste. Dass Wolfram Hölls Theatertext Und dann typographisch eine Schreibmaschine zitiert – und zwar mit all ihren Unregelmäßigkeiten, den verrutschten Buchstaben, der variierenden Anschlagstärke, unterschiedlichen Wortabständen und eben diesen Spuren der Löschung, den Mehrfachüberschreibungen –, ist auf der Ebene seines materiellen Erscheinens die zwingende Konsequenz dessen, dem sich der Text inhaltlich verpflichtet weiß: der Spur des Verschwindens. Ein Kind spricht. Es spricht von den Häusern, den Betonhäusern, den Steinen am Spielplatz − von Gletschern gebracht, vom Vater, von der Mutter, es spricht von Ausflügen in die Stadt, den Paraden, der Erinnerung an die Paraden, erinnert sich der Erinnerung. Das Kind spricht. Und die Spur einer Abwesenheit, eines Verlusts durchzieht das Sprechen – anfangs noch völlig namenlos, eine anonyme Ahnung. Diese Spur des Verlusts, der Unwiederbringlichkeit streift umher, irrt als immaterielles, fast spukhaftes Phänomen, tonloses Echo durch Hölls Text, ohne je zu einem Ding, einem Etwas, zu einem Objekt der Anschauung zu werden. Fehlen, Vermissen, Verlust und Tod sind nur indirekt als Störung, Fehler oder Irritation anwesend


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abwesend. Sie beugen den Text, das Sprechen, ohne sich in ihm je zu spiegeln, ohne je als Gegenwart anzukommen. Als stumme Spur liegen sie vielleicht am ehesten in den Zeilenumbrüchen, den Wortschöpfungen, vielleicht im Tippfehler, vielleicht in der Wiederholung, vielleicht im Spiel der Zahlen. Das Kind spricht, es erzählt und zählt die Plattenbauten, die großen Steine am Spielplatz, die Stockwerke und Klingelknöpfe, und ehe man sich’s versieht, ist man gefangen in einer Arithmetik des Verlustes, macht einen die Zahl traurig, verweist eine Drei immer auf die Vier, die leider nicht ist, und leidet die Zwei an der Drei, am Fehlen der Eins. Das Kind zählt, und kein Abzählreim ist zur Hand, der die Abwesenheit ungeschehen machen und das Verlorene zurückholen könnte, weil auch der Kinderreim an der Grenze des »...und raus bist du« endet. Selten hat mich ein Text so traurig berührt und in seiner klugen Zartheit so froh gemacht. Hölls Und dann ist ein Text über das Erinnern – »Erinnern« im Sinne einer schwachen Kategorie, nicht als Habhaftwerden des Vermissten, moralische Aktivität, Verschleierung des Verlusts oder melancholisches Verweilen, sondern »Erinnern« als Spur des Todes im Leben: Das Du ist vom Sein ins Erinnert-Sein übergegangen. Der geliebte Mensch ist nicht mehr, und dann, dann ist der geliebte Mensch nichts anderes mehr als Erinnerung. In dieser Kluft, in diesem Und-dann, operiert Hölls Text. Und er tut dies mit beeindruckender sprachlicher Feinheit, mit Diskretion und wunderbarem Willen zur Form. Ewald Palmetshofer

Stückemarkt I

A child counts: blocks of flats, stones in a playground, storeys, doorbells. Before you know it, you are caught in an arithmetic of loss. The child counts, and there is no counting rhyme that can bring back what is lost, because even the rhyme ends with ‘and you’re not it!’. A text about remembering – not as a way of disguising loss, but as the trace left by death in life. This is the chasm in which Höll operates. And he does so with linguistic finesse, discretion and an impressive sense of form. Wolfram Höll, geboren 1986 in Leipzig, studierte am Schweizerischen Literaturinstitut Biel und schließt momentan einen Master in Scenic Arts Practice an der Hochschule der Künste Bern ab. Neben dem Schreiben von Stücken entwickelt er als Regisseur Theaterprojekte, die er im Schlachthaus Theater Bern und bei verschiedenen Theaterfestivals in Deutschland und der Schweiz zeigte. Die Arbeit an Und dann wurde durch das Stipendium Textesen-Scènes unterstützt, einem Programm der Schweizerischen Autorengesellschaft, Pro Helvetia Schweizer Kulturstiftung, dem Migros Kulturprozent und dem Verband Autorinnen und Autoren der Schweiz. Das Stück ist ebenfalls zum diesjährigen Heidelberger Stückemarkt eingeladen.

Wolfram Höll. Foto: Béatrice Devènes


Theatertreffen 2012

Skåne Von Aus dem Englischen von Szenische Einrichtung/ Dramaturgie Es lesen

Termin Ort

Die britische Autorin Pamela Carter siedelt ihr Stück in der Region Skåne, auf Deutsch Schonen, in Schweden an: »The country’s Hannes Becker southernmost region and one of Northern Karin Neuhäuser Europe’s richest farming districts, Skåne is Thomas Bading / Jule Böwe / generally associated with endless open fields and wide, flat horizons.« (Visitsweden.com) Johannes Däscher / Wanda In Skåne erzählt Carter im RückwärtsFritzsche / Lenz Lengers / gang von einer gescheiterten Affäre, die Karin Neuhäuser / Jenny in einer Familienwiedervereinigung endet Schily / Samuel Weiss beziehungsweise in der Chronologie des Stückes damit beginnt. Die FamilienaufstelDonnerstag, 10. Mai 2012, lungen: Malin und Kurt Jonasson, beide 21:00 Uhr Anfang 40, haben zwei Söhne Olle (11) und Haus der Berliner Per (15) und leben auf einem Bauernhof Festspiele, Kassenhalle auf dem platten Land. Christian und Siri Larsson, beide Ende 30, leben mit ihrer Tochter Ingrid (13) in Malmö. Die Handlung erstreckt sich über 7 Tage in irgendeinem September. Das Stück erzählt rückwärts, Tag für Tag, die Entwicklung bis zur Ausgangssituation. Bei einer Art Familienkonferenz versuchen die Erwachsenen, die entschieden haben, bei ihren Familien zu bleiben, den Kindern die Situation begreiflich zu machen. Kurt (to the kids): »it’s been a difficult week for you all. But we’re here to tell you ... it’s over.« Und Siri: »we want to talk openly and honestly and include you all. So we can put this week behind us and get back to being family again. two families. get back to what we know.« Liebesbeteuerungen, Entschuldigungen, Bitten um Verzeihung und Fehlerbekenntnisse Partnern und Kindern gegenüber folgen. Die letzte Szene spielt am Montag davor, dem Tag, an dem die beiden Liebenden Malin und Christian weggelaufen sind und 1200 km von zu Hause in einem Hotelzimmer Pamela Carter


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beschließen, ein neues Leben anzufangen. An den Tagen dazwischen versuchen die Zurückgelassenen, mit der Situation klarzukommen − in der Hoffnung, dass alles wieder gut wird. Die Verlassenen Siri und Kurt treffen sich in einem Hotel und verfolgen kurzzeitig trotzig die Idee, auch Sex miteinander zu haben. Die pubertierenden Kinder Ingrid und Per interessieren sich mehr füreinander als für ihre Eltern und der Jüngste, Olle, wird zum Protagonisten seines Bruders, der Kunst-Filme mit seinem Mobiltelefon dreht. Olle wispert, ein Frauenkleid tragend, in die Kamera: »i don’t love anyone. and no-one loves me. there’s no love in this world. i want to die.« Carter hat ein sensibles, atmosphärisch dichtes Kammerspiel geschrieben und durch ihren Kunstgriff, die Handlung rückwärts zu erzählen, eine starke Form gefunden. Ihre äußerst kluge Dramaturgie lässt viele Leerstellen und gibt dem auf den ersten Blick schon oft gehörten Thema eine spannungsvolle Stringenz. Obwohl schon zu Beginn klar ist, wie es endet, überzeugt das Stück durch Überraschungen, Perspektivwechsel und durch eine Prise Humor. Die Figuren sind bemerkenswert präzise und liebevoll gezeichnet. Besonders die Kinder, die viel schlauer sind als ihre Eltern annehmen, bestechen durch ihre Eigenheiten zwischen pubertärer Widerspenstigkeit, kindlicher Naivität und besserwisserischer Schlauheit. Carters Stück ist eine brillante Erkundung eines Zusammenpralls von argloser, unvorhersehbarer Liebe und den Auswirkung auf Beziehungen, die wir vermuten, so gut zu kennen. Yvonne Büdenhölzer

Stückemarkt II

Two liberal families in modern Sweden are first brought together by an affair and then pulled apart again. Skåne shows the stages of a failed love affair backwards, and at the same time explores the emotional collateral damage surrounding the lovers. Carter’s play is a stark exploration of human relationships – how people try to get along together, what happens between the lines when they speak to each other – and presents a panorama of the crises of modern relationships and life choices. Pamela Carter, geboren 1970 in Kendal (Großbritannien), ist Autorin, Regisseurin und Dramaturgin. Sie verfasste u.a. die Stücke Wildlife, What We Know, Slope und An Argument About Sex. Seit 2010 entwickelt sie zusammen mit den schwedischen Künstlern Goldin+Senneby Performances und Installationen in internationalen Galerien und Museen. The Nordenskiöld Model ist ein Projekt über virtuellen Handel, Finanzmärkte und Wertpapiere. Zurzeit schreibt sie über »außerbörsliches Eigenkapital«, Pornographie, Numismatik, Altersheime, Sozialismus und Swing. Als Dramaturgin betreute sie u.a. die Arbeiten Saturday Night und Interiors für Vanishing Point und The Salon Project für Stewart Laings Untitled Projects.

Pamela Carter. Foto: Simon Moore


Theatertreffen 2012

Jonas Jagow Von Szenische Einrichtung Dramaturgie Es lesen

Termin Ort

Michel Decar Friederike Heller Marion Hirte Julischka Eichel, Fabian Hinrichs, Patrick Wengenroth u.a. Freitag, 11. Mai 2012, 19:30 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle

Jonas Jagow zerstört Berlin, ist die großspurige Ankündigung zu Beginn des Stücks. Es ist eine Kriegserklärung an die Stadt: »Ceterum censeo Berolinam esse delendam!«. Der Protagonist Jonas Jagow durchquert voller Wut die Stadt und nimmt sie auf allen Ebenen auseinander. Peking-Ente in Lichtenberg und Bier am Gesundbrunnencenter, die Schlacht um Berlin, Kneipenbesuche im Wedding, Chöre von Ober- und Unterbürgermeistern und Beziehungsgespräche im Bett zwischen Jagow und Nina, der Königin von Tempelhof, wechseln einander in wilder Folge ab. Der Rosenthaler Platz streitet sich mit der Bülowstraße um den schönsten Berg. Touristen treffen auf Galeristen in unterirdischen Bunkern, die eigentlich Clubs sind. Jagow spricht mit Andreas Baader, Moritz Bleibtreu und Tobias Moretti, Andritz Baadtreu... Am Ende schlägt ein Asteroid in Berlin ein, aber die endgültige Zerstörung bleibt aus: niemand wird getötet. Auch wenn in der Mitte des Stücks eine Gliederung der Sinnabschnitte – einschließlich gestrichener Szenen – präsentiert wird, arbeitet der Text an der permanenten Auflösung jeder Ordnung. Verwirrung stellt sich beim Leser ein, der in immer neue Situationen geworfen, mit neuen Figuren konfrontiert und anderen Formaten attackiert wird. Schon die Szenenfolge verweigert scheinbar jede Chronologie. Nach Szene 7 folgt Szene 82, irgendwann kommt Episode V, dann ein alternatives Ende, Zustandsbeschreibungen folgen Kommentaren. Die aufgerufenen Orte und auftretenden Figuren sind kaum zu zählen. Die


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Szenenüberschriften kommentieren immer wieder neu das Geschehen, ohne irgendwas zu erklären. Jonas Jagow ist eine wütende Komödie, die den Leser auf einen wilden Trip mitnimmt, bei dem einem das Lachen im Halse stecken bleibt, weil man einfach nur versucht, nicht den Anschluss zu verlieren. In zeitlichen und räumlichen Sprüngen, schnellen Schnitten und vielfachen Zitaten entspinnt sich in diesem Stationen-Drama eine atmosphärische Zustandsbeschreibung der Stadt, die über Berlin hinausweist und nach unserem Blick auf eine Wirklichkeit fragt, die sich uns permanent zu entziehen scheint. Wie zu dem Chaos, das uns umgibt, eine Haltung bekommen? Wohin mit der Wut auf diese Gesellschaft? Das sind die Fragen, die hier gestellt werden. Zwischen Vergangenheit und Zukunft, mit Komik und Radikalität wird jede klare Form aufgelöst. Dabei entfaltet der Text einen Sog, der schwindelig werden lässt, manchmal nervt, ratlos zurücklässt, den Atem nimmt, aber vor allem viel Spaß macht. Mieke Matzke

Jonas Jagow declares war on Berlin: the protagonist criss-crosses the city seething with anger, eats sweet-and-sour duck in Lichtenberg, drinks beer in the Gesundbrunnencenter shopping mall. Finally an asteroid hits Berlin. Using chronological and spatial jumps, quick cuts and quotes, an atmospheric depiction of the here and now between the past and the future is unravelled in this episodic drama. The text develops a momentum that is dizzying, nerve-wracking and confusing but above all a lot of fun.

Stückemarkt III

Michel Decar wurde 1987 in Augsburg geboren. Er studierte Germanistik und Geschichte an der LMU München und seit 2010 Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. Seine beiden ersten Stücke Kinski in Love und Die Inkonsequenz meiner fehlgesteuerten Fremde inszenierte er selbst an der Studiobühne München. Waldemarwolf wurde am BAT Berlin und am Maxim Gorki Theater, Berlin szenisch eingerichtet. 2011 wurden Ausschnitte des Stückes Jonas Jagow in der Literaturzeitschrift Bella Triste veröffentlicht.

Michel Decar. Foto: Hans Goedecke


Theatertreffen 2012

Ciała obce – Fremde Körper Von Aus dem Polnischen von Szenische Einrichtung Dramaturgie Musik Kostüm Es lesen

Julia Holewińska Bernhard Hartmann Anna Bergmann Marcel Luxinger Heiko Schnurpel Claudia Gonzáles Espíndola Joachim Bißmeyer / Johann Jürgens / Sina Kießling / Felix Kramer / Kathleen Morgeneyer / Jana Schulz Mit freundlicher Unterstützung der Botschaft der Republik Polen in Berlin

Termin Ort

Freitag, 11. Mai 2012,  21:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle

Julia Holewińskas Stück Ciała obce – Fremde Körper schraubt sich mit einer sozusagen doppelhelixartigen Dramaturgie in die Geschichte ihres Landes und zeigt, dass etwas nicht unbedingt besser wird, nur weil es anders wird. Der eine Handlungsstrang führt uns in die Vergangenheit Polens: In den 1980er Jahren setzen sich Adam und seine demokratischen Freunde für ein freies Polen ein, was immer wieder zu schmerzhaften Repressionen seitens der kommunistischen Regierung führt. Aber Adam lebt nicht nur im falschen System, sondern auch im falschen Körper. Obwohl er mit Maria verheiratet ist und mit ihr ein Kind erwartet, empfindet er wie eine Frau. Die Polizei, von der er bespitzelt wird, kommt dahinter und versucht, sein bisher gut gehütetes Geheimnis als Druckmittel gegen ihn einzusetzen. Adam lässt sich jedoch nicht zum Verrat an seinen Freunden erpressen und provoziert damit, dass seine weibliche Identität ans Licht gezerrt wird. Zum Dank für seine politische Integrität wird er von seinen machohaften Mitstreitern fallengelassen und seine Frau wendet sich angeekelt von ihm ab. Als der Tag der politischen Wende endlich kommt, feiert Adam ihn mutterseelenallein. Doch die neue Freiheit scheint immerhin eines möglich zu machen: Adam kann einen neuen Körper bekommen. Der andere, parallel erzählte Strang spielt in unserer Gegenwart. Eva, eine gescheiterte Lehrerin für schwierige Jugendliche, lebt auf der Schattenseite des neuen Polens. Einsam, verarmt und krebskrank, versucht sie dennoch, ihren Optimismus nicht


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zu verlieren. Als ihr Sohn Lech nach Jahren zum ersten Mal wieder zu Besuch kommt, um ihr seine schwangere Verlobte vorzustellen, schöpft sie neue Hoffnung. Ihr Traum, Oma zu werden, wird in Erfüllung gehen. Lechs Verlobte aber zieht aus dem Besuch ihre ganz eigenen Konsequenzen und lässt das Kind abtreiben. Sie befürchtet, dass Evas Krankheit vererbbar ist – doch ihre Angst gilt nicht dem Krebs, sondern der Tatsache, dass Eva sich zur Frau hat umoperieren lassen. Die Ahnung, dass aus Adam Eva geworden ist, wird erst langsam zur Gewissheit. Aus dem kommunistischen Polen ist das neue kapitalistische Polen hervorgegangen, die »Körper« haben gewechselt, aber das erwünschte Glück ist ausgeblieben. Julia Holewińska hat ein episches, großes Stück geschrieben, das fesselt und berührt. Ein Stück über die Geschichte ihres Landes, eine Allegorie des Wandels und eine sehr individuelle Geschichte über einen transsexuellen Menschen, der immer ein Fremder bleibt. Stefan Bachmann

During the Solidarność movement of the 1980s, Adam and his friends fight for freedom of expression and against personal oppression. Years later, in the Poland of today, Eva is excluded and discriminated against because of her transsexuality. Told episodically, the two stories present two sides of one life. Holewińska’s powerful dramaturgy reveals the painful chasm between individual self-development and political circumstances.

Stückemarkt IV

Julia Holewińska, 1983 in Warschau geboren, ist Dramatikerin, Essayistin und Dramaturgin. Sie studierte an der Theaterakademie in Warschau Theaterwissenschaften, wo sie derzeit promoviert. Zu ihren Stücken gehören u.a. 12/70, Bubble Revolution, Vaudeville und Zina. Ihr Text Ciała obce – Fremde Körper wurde 2010 mit dem Gdingener Dramatikerpreis ausgezeichnet und im Februar 2012 im Teatr Wybrzeże in Danzig uraufgeführt. Ihre Texte wurden u.a. ins Englische, Russische und Spanische übersetzt. Holewińska lebt und arbeitet in Warschau.

Julia Holewińska. Foto: Tomasz Szerszeń


Theatertreffen 2012

Śmierć Kalibana – Kalibans Tod Von Aus dem Polnischen von Szenische Einrichtung Dramaturgie Es lesen

Magdalena Fertacz Andreas Volk Dominic Friedel Andrea Koschwitz Ronald Kukulies / Para Kiala / Sven Lehmann / Katharina Schmalenberg / Abak Safaei-Rad / Max Simonischek / Gunnar Teuber Mit freundlicher Unterstützung der Botschaft der Republik Polen in Berlin

Termin Ort

Montag, 14. Mai 2012, 18:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle

Die Jagd nach Talenten nimmt in unserer heutigen Spektakelkultur einen zentralen Platz ein. In dem Stück Kalibans Tod wird dieses Format mit Inhalten verknüpft, was, gelinde gesagt, zu Diskussionen einlädt. Eine Hilfsorganisation schreibt unter Slumbewohnern einen Wettbewerb aus. Gleichzeitig macht sich ein Künstler auf die Suche nach einem todkranken Patienten, der auf ein Spenderherz wartet. Die wahren Absichten des Künstlerkonzepts liegen noch im Dunkeln, auch wenn schnell deutlich wird, dass auch der Gewinner des Slum-Wettbewerbs eine Rolle in seinem Projekt erhält. Die beiden Gewinner, ›Der Schwarze‹ und ›Der gewöhnliche Mensch‹ werden als lebendes Kunstwerk in einer Galerie ausgestellt. Eine Kamera bietet Zuschauern zu Hause einen Blick auf den ›schwarzen Mann‹, den sie nach Herzenslust Aufgaben erfüllen lassen dürfen. Sind diese Aufgaben zu Beginn noch harmlos (der ›Schwarze‹ wird mit Schokolade eingeschmiert und seine Haare abrasiert), werden die Zuschauer mit fortschreitendem Experiment blutrünstiger. Gliedmaßen werden abgehackt, bis nur noch der Rumpf übrig bleibt. Das Experiment wird zu einem Medienspektakel, die Kunstelite ist hingerissen. Der ›gewöhnliche Mann‹ wird auf die Probe gestellt. Akzeptiert er letztendlich das Herz des ›schwarzen Mannes‹ oder stirbt er lieber? Die Performance kommt an ihr jähes Ende, als ein albanischer Immigrant die Galerie betritt und den Körper des ›Schwarzen‹ in Stücke hackt. Triefend von schwarzem Humor thematisiert die Autorin unsere Haltung gegenüber Immigranten. Sie entscheidet sich dagegen, Mitleid mit dem Leiden des


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›schwarzen Mannes‹ zu wecken, sondern lässt den Zuschauer zunächst über den Zynismus der Hilfsorganisation lachen, über die groteske Verstümmelung und die Sprache des Kunstbetriebs, die dabei verwendet wird. Das Stück stellt Fragen nach unserer Wahrnehmung von Immigranten, nach den Grenzen der Integration und nach unserer Auffassung von menschlicher Würde. Die Motivation der Autorin scheint jedoch woanders zu liegen: Dadurch, dass sie diese Fragen in eine westliche Kunstpraxis einbettet, konfrontiert sie uns mit unserem Blick als Kunstrezepienten. In den letzten Jahren gab es an europäischen Theatern eine Vielzahl von Projekten mit schwarzen Performern. Ist der westliche Künstler wirklich an Immigranten interessiert oder bringt er sie auch auf die Bühne, um seine moralische Integrität oder seine Relevanz als Künstler zu beweisen? Inwieweit applaudiert der Zuschauer vielleicht auch wegen der exotischen Komponente oder mit einem Gefühl der Wohltätigkeit? In dieser postkolonialen Zeit ist die Frage nach dem Wie und Warum unserer guten Absichten mehr als relevant. Anders gefragt: Akzeptieren wir es womöglich, einen Franzosen auf der Bühne in Stücke gehackt zu sehen und darüber laut zu lachen, nicht aber einen Schwarzen? Kalibans Tod konfrontiert uns mit unserem eigenen voreingenommenen Blick. Das Stück eckt an, geht regelmäßig zu weit, irritiert und hat Mumm. Es lässt den Zuschauer verstört zurück. Seine Vorstellungen von politischer Korrektheit und gutem Geschmack muss er anschließend einzeln wieder aufsammeln. Dries Verhoeven

Stückemarkt V

In her satire ‘Śmierć Kalibana’, Magdalena Fertacz imagines the privatisation of immigration and unmasks the cynical views of Eurocentric benefactors. The audience is witness to a perfidious artistic experiment: in an aid agency competition a prize is given to the best slum dwelling, and the winner is allowed to emigrate – a modern version of the slave market. In an interactive performance broadcast online, the immigrant competes in the final round with a Polish heart-disease sufferer. In the process, the two competitors not only lose their most important body parts but also their human dignity. Magdalena Fertacz wurde 1975 in Warschau geboren, wo sie an der Journalistischen Fakultät der Universität sowie an der Hochschule für Kommunikation und Soziale Medien studierte. 2005 schrieb sie ihr erstes Stück Kurz; ihr zweites Drama Absynt wurde in verschiedenen Ländern gespielt. Fertaczs Texte sind bisher in 12 Sprachen übersetzt worden. Sie erhielt u.a. den Preis des Kulturministeriums und für Trash Story den Gdingener Dramatikerpreis. Sie schreibt auch Prosa, Lieder, Erzählungen und Drehbücher und arbeitet als Innenarchitektin.

Magdalena Fertacz. Foto: privat


Theatertreffen 2012 Projektpräsentation Polis3000: respondemus Von und mit Mentor Video Dramaturgische Mitarbeit Choreographie Ausstattung

Markus&Markus René Pollesch Katarina Eckold Suse Wessel Michael Hess Manuela Pirozzi In diesem Jahr findet im Zuge der Erweiterung des Stückemarkts und der erstmaligen Zulassung von Projektkonzepten anstelle des Dramatikerworkshops ein Projektlabor statt. Das ausgewählte Performer-Duo Markus&Markus arbeitet zwei Wochen während des Theatertreffens zusammen mit ihrem Wunschtutor, dem Dramatiker und Regisseur René Pollesch, an ihrem eingereichten Projekt Polis3000: respondemus. Das Ergebnis ihrer Stückentwicklung werden sie zum Abschluss präsentieren.

Termin Ort

Montag, 14. Mai 2012, 19:30 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne

»Wir sind Markus&Markus. Wir sind Aliens. Wir sind jetzt da. Wir verwirklichen ein intergalaktisches Feuerwerk – eine kosmische Katastrophe. Liebe Erdlinge: Wir haben in den letzten 7000 Jahren unzählige Signale und Materialien von Euch erhalten. Einiges davon hat uns sehr irritiert. Ihr wolltet uns offensichtlich ein Image Eures Planeten vermitteln. Da hat sich was aufgestaut. Und jetzt: Muss es raus. Wir zeigen den anwesenden Erdlingen, was sie uns bisher zugeschickt haben: Ihr wisst es doch eigentlich selber: Das war Mist! Die Einseitigkeit Eurer Nachrichten spottet jeder Beschreibung. Jetzt werden wir Euch UNSERE Sicht auf Euren Planeten, auf die Menschheit, präsentieren. Unsere Mission lautet kurz umrissen: Eure Katharsis ist unser Auftrag!« Markus&Markus Markus&Markus bewegen sich zwischen Neo-Agit-Prop, Dokumentartheater, Lecture-Performance und Punkoper. Sie bewiesen bereits in ihren vorherigen Arbeit doppelplatin, die sich mit Korruption beschäftigte, Mut zu Opposition − und dass sie ihren Standpunkt kompromisslos vertreten können. In ihrem Projekt Polis3000: respondemus begegnen sie uns mit einer bizarren Setzung: Markus&Markus kommen als Außerirdische auf die Erde und konfrontieren die Menschheit mit ihrer höchst einseitigen Selbstdarstellung im Weltall. Diesen abstrafenden Blick auf das »Projekt Menschheit« finden wir relevant und politisch zwingend. Die Kluft zwischen Selbst- und möglichem Fremdbild des Menschen – zumindest der Sprecher dieser


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Menschheit – sichtbar zu machen und performativ aufzuspreizen, ist in der Klarheit der Stoßrichtung und der Schärfe der Idee beeindruckend. Der Ort, von dem aus Markus&Markus operieren – es ist ein extraterrestrischer Ort −, ist ironisch gebrochen und weiß damit um die eigene Unmöglichkeit. Stefan Bachmann, Yvonne Büdenhölzer, Mieke Matzke, Ewald Palmetshofer, Dries Verhoeven

Markus&Markus move between neo-agitprop, documentary theatre, lecture performance and punk opera. In their project Polis3000: respondemus they come to earth as aliens to see if humans live up to the one-sided view that they have propagated about themselves in the universe. Polis3000: respondemus is the first project by a theatrical collective to be invited to Stückemarkt.

Stückemarkt VI

Markus Schäfer wurde 1983 in Reutlingen geboren. Er gehörte zum Ensemble von »TheaterTotal« in Bochum. Neben seinem Studium der Szenischen Künste in Hildesheim verwirklicht er Theaterarbeiten, insbesondere mit den Gruppen »Schießbühne« und »Markus&Markus«. Mit »Schießbühne« entwickelt er Inszenierungen an der Schnittstelle zwischen Tanz und Theater. Markus Schäfer ist über die Marbacher Linie mit Friedrich Schiller verwandt. Markus Wenzel wurde 1988 in Leipzig geboren. Er arbeitete als Theaterpädagoge am Landestheater Altenburg und als Regieassistent am Schauspielhaus Leipzig. Seit 2009 studiert er Szenische Künste an der Universität Hildesheim. Er ist in den Theaterkollektiven »Markus&Markus« und »cobratheater.cobra« tätig. Er leitet die interkulturelle Theatergruppe »Türkisch-Deutsches Theater Hildesheim«. Markus Wenzel pilgerte auf der Via Francigena nach Rom.

Markus Wenzel, Markus Schäfer. Foto: Jannes Frubel


Theatertreffen 2012

Stückemarkt-Eröffnung 2012

Autorengespräche

Impulsreferat von Dennis Kelly

Gespräch I mit Wolfram Höll und Pamela Carter Moderation: Yvonne Büdenhölzer

Termin Ort

Donnerstag, 10. Mai 2012, 18:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle

Ort

Expertentisch Neue alte Theaterbanden mit dem Performer Bastian Trost (Gob Squad), der Theaterwissenschaftlerin und Performerin Mieke Matzke (She She Pop), dem Autor Ewald Palmetshofer und dem Schauspieler Peter Simonischek. Moderation: Birgit Lengers Termin Ort

Termin

Sonntag, 13. Mai 2012, 13:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle

Donnerstag, 10. Mai 2012, 22:15 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle

Gespräch II mit Michel Decar und Julia Holewińska Moderation: Christina Zintl Termin Ort

Freitag, 11. Mai 2012, 22:15 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle

Gespräch III mit Magdalena Fertacz und Markus&Markus Moderation: Christina Zintl Termin Ort

Montag, 14. Mai 2012, 21:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle


Stückemarkt

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Preise 2012

Hörtheater

Förderpreis für neue Dramatik des TT Stückemarkts 2012 Gestiftet von der Heinz und Heide Dürr Stiftung Überreicht von Heinz Dürr, Stifter Dotiert mit 5000 Euro, verbunden mit einer Uraufführung am Maxim Gorki Theater, Berlin

Alles Gold was glänzt

Werkauftrag des TT Stückemarkts 2012 Gestiftet von der Bundeszentrale für politische Bildung Überreicht von Milena Mushak, Bundeszentrale für politische Bildung Dotiert mit 7000 Euro, verbunden mit einer Uraufführung am Staatsschauspiel Dresden Preisjury: Jens Groß (Chefdramaturg Maxim Gorki Theater, Berlin), Yvonne Büdenhölzer (Leiterin Theatertreffen), Wilfried Schulz (Intendant Staatsschauspiel Dresden), Milena Mushak (Bundeszentrale für politische Bildung) Theatertext als Hörspiel In Kooperation mit Deutschlandradio Kultur Überreicht durch Stefanie Hoster, Leiterin Hörspiel Deutschlandradio Kultur Verbunden mit einer Hörspielproduktion Deutschlandradio Kultur Termin Ort

Montag, 14. Mai 2012, 22:30 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle Im Anschluss Stückemarkt-Party

Von Mario Salazar

Arbeitslos seit einem Jahr? Anarchisten auf der Straße proben Revolution? Post vom Gerichtsvollzieher? Mutter Iris kontert mit einem Masterplan zum Geldverdienen, der banaler und brutaler nicht sein könnte – und doch ist die Atmosphäre dabei eher heiter als dramatisch. Mario Salazar treibt ein wirbelndes Spiel mit Versatzstücken politischer Systeme: Sozialismus wird von den Alten verteidigt, Kapitalismus von der nächsten Generation bejaht und von den Jüngsten in den Extremen gelebt. Seit 2007 wählt Deutschlandradio Kultur beim Stückemarkt einen der Texte aus, um ihn als Hörspiel zu produzieren und zu senden. Dieser wird – noch vor seiner Ursendung im Radio – beim folgenden Theatertreffen als Hörtheater präsentiert. Regie Hörspielproduktion Ausstattung Mit

Ursendung Dauer Termin Ort

Robert Schoen Deutschlandradio Kultur Manuela Pirozzi Karim Cherif / Christian Grashof / Florian Lukas / Klaus Manchen / Thomas Neumann / Udo Schenk / Franziska Troegner u.a. 30. Mai 2012, 21:33 Uhr 55 Min. Freitag, 11. Mai 2012, 23:00 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Unteres Foyer


Theatertreffen 2012

Förderpreis für neue Dramatik des TT Stückemarkts 2011 der penner ist jetzt schon wieder woanders Von Juri Sternburg

Andrej und Igor steigen in eine Berliner UBahn auf der Suche nach ihrem Dealer. Die Fahrt, die nun beginnt, wird zum Höllentrip, den keiner der anderen Fahrgäste überleben wird. Wahllos und scheinbar ohne Motiv morden die beiden. Nach dem sechsten Mord sitzt unvermittelt Gott zwischen Andrej und Igor. Doch statt sie zu stoppen und seine Allmacht walten zu lassen, beantwortet er bereitwillig die Fragen der beiden, erzählt von der Zukunft Europas und Afrikas und diktiert die Lottozahlen. Regie Mit

Uraufführung Dauer Termin Ort

Publikumsgespräch

Ekat Cordes Anne Müller / Matti Krause / Aenne Schwarz / Gunnar Teuber / Wolfgang Hosfeld 15. Januar 2012 1.15 h Mittwoch, 9. Mai 2012, 20:15 Uhr Maxim Gorki Theater, Studio Im Anschluss an die Vorstellung


Stückemarkt

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Förderpreis für neue Dramatik des TT Stückemarkts 2010

Förderpreis für neue Dramatik des TT Stückemarkts 2009

Ernte

Das Prinzip Meese

Im verbissenen Kampf um das alltägliche Fortkommen begegnen sich fremdländische und einheimische Erntehelfer. Nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Besitzer des Hofs müssen sich von ihren gewohnten Lebensverhältnissen verabschieden. Unsicherheit und Verwirrung wirft sie auf ihre eigenen Nöte zurück. Es gelingt ihnen nicht, ihrem Schmerz eine Sprache zu geben und die Fremdheit ihrer Welten zu überwinden. Claudia Grehn beschreibt die Folgen einer politischen Zeitenwende, in der bewährte Werte, Verhaltensweisen und Orientierungsmöglichkeiten obsolet werden.

Oliver Kluck gelingt in seinem Text eine exemplarische Zustandsbeschreibung der fast dreißigjährigen Großstadtjugend. Das Prinzip Meese ist das Finden der eigenen Verwirrung dieser Generation, die zwischen Hiwi-Jobs und einer Perspektive, die von Arbeitslosigkeit und Hartz IV bestimmt wird, nach dem Sinn der eigenen Existenz fragt. Diese verzweifelte Suchbewegung schildert der Autor auch als seine eigene, als arrogant, eitel, verbissen, aber auch als erbärmlich. Die radikale Unversöhntheit mit der eigenen Unfähigkeit zu handeln kennzeichnet den Text in seiner bösen Komik und wütenden Verzweiflung.

Von Claudia Grehn mit Texten von Lena Müller

Regie Mit

Uraufführung Dauer Termin Ort

Publikumsgespräch

Dominic Friedel Johann Jürgens / Horst Kotterba / Matti Krause /  Robert Kuchenbuch / Anne Müller / Aenne Schwarz / Sabine Waibel 19. Dezember 2010 1.40 h Sonntag, 13. Mai 2012, 20:15 Uhr Maxim Gorki Theater, Studio Im Anschluss an die Vorstellung

Von Oliver Kluck

Regie Mit

Uraufführung Dauer Termin Ort

Publikumsgespräch

Antú Romero Nunes Anika Baumann / Michael Klammer 8. Februar 2010 1.20 h Donnerstag, 17. Mai 2012, 20:15 Uhr Maxim Gorki Theater, Studio Im Anschluss an die Vorstellung


Theatertreffen 2012 TT Künstler-Gipfel 2012 Don’t Kill Your Darlings! »Die besten Szenen werden Sie nicht sehen, denn die würden wir alle nicht ertragen«, verspricht Fabian Hinrichs in der zum Theatertreffen eingeladenen René Pollesch-Inszenierung. Deswegen heißt der Abend Kill your darlings. Soll heißen: Schneide die Spitzen ab – oben die Leidenschaft, unten den Horror; verabschiede dich von dem, was dir am Herzen liegt und mache vernünftiges Theater… Wollen wir das: moderate Kunst, die nicht an ihre Grenzen geht? Welcher Theatermacher inszeniert gern halbherzig, welcher Schauspieler ist gut, ohne sich zu verausgaben? Ein Theatertreffen, bei dem sich sogar ein René Pollesch zurück zur wahren Liebe sehnt und wo Vegard Vinges und Ida Müllers John Gabriel Borkman in einen halbtägigen Selbstverausgabungsexzess münden kann, stellt uns vor die Frage: Wer sind sie, unsere Darlings? Wollen wir sie wirklich töten? Töten sie sonst womöglich uns? Beim Künstlergipfel am 17. Mai kommen junge und erfahrene Theaterprofis aus der ganzen Welt zusammen. Wo ist Maßlosigkeit eine Grundvoraussetzung für Kunst? Wann wird Leidenschaft eine vom Betrieb diktierte Formel zur Selbstausbeutung? Wo bekennt sich das Theater neu zum Gefühl? Signa Köstler, Gründerin des dänischen Künstlerkollektivs SIGNA, eröffnet den Künstlergipfel mit einem Impulsvortrag. Über 100 Künstlerinnen und Künstler verhandeln anschließend die offenen Fragen in zahlreichen

Tischgesprächen, die von Alumi des Internationalen Forums, des Stückemarktes sowie des Theatertreffen-Blogs geleitet werden. Die Theaterkritiker und Kulturjournalisten Vasco Boenisch, Andreas Jüttner und Anna Pataczek begleiten die Gespräche und resümieren im Anschluss. Impulsreferat Signa Köstler (SIGNA) Tischgespräche mit Anna Bergmann (Regisseurin / Berlin), Paul Brodowsky (Dramatiker / Freiburg), Grete Götze (Journalistin / Frankfurt a.M.), Susanne Kennedy (Regisseurin / Amsterdam), Jens Christian Lauenstein Led (Dramaturg / Aalborg), Alan McKendrick (Autor/Regisseur / Glasgow), Philipp Löhle (Dramatiker / Berlin), Sybille Meier (Dramaturgin / Köln), Nicole Oder (Regisseurin / Berlin), Kai Tuchmann (Dramaturg/Theaterwissenschaftler / Berlin), Jonas Zipf (Dramaturg / Jena) Termin

Ort

Informationen Anmeldung

Donnerstag, 17. Mai 2012, 14.30 bis 18:30 Uhr Akkreditierung ab 13.30 Uhr Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle & Foyers berlinerfestspiele.de/ kuenstler-gipfel anmeldung@berlinerfestspiele.de


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Information

Stückemarkt-Edition Die ausgewählten Stücke sind während des Theatertreffens erhältlich oder zu bestellen unter: berlinerfestspiele.de Gesamtedition 6,– Euro Einzelhefte 2,– Euro Theaterbibliothek des Goethe-Instituts Das Goethe-Institut fördert seit vielen Jahren die Verbreitung zeitgenössischer deutscher Dramatik im Ausland. Um die Verfügbarkeit der dabei entstandenen Übersetzungen in vielen Sprachen weiter zu verbessern, bieten wir die Möglichkeit an, Übersetzungen per E-Mail abzurufen oder bei Verlagen zu bestellen. Zurzeit verfügt die Theaterbibliothek über 550 Titel in 35 Sprachen – einfach bestellen per E-Mail, weltweit und kostenlos. Die Theaterbibliothek des Goethe-Instituts ist die größte digitale Sammlung von Übersetzungen zeitgenössischer deutschsprachiger Stücke. goethe.de/theaterbibliothek

Interested in reading the plays selected? Upon request, we are happy to make all five plays of Stückemarkt 2012 available also in English to theatres and other interested parties: Jonas Jagow by Michel Decar, translated from German by Kristina Wydra and Jennifer Whigham Śmierć Kalibana – The death of Kaliban by Magdalena Fertacz, translated from Polish by Garry Malloy Ciała obce – Foreign bodies by Julia Holewińska, translated from Polish by Artur Zapałowksi Und dann - And then by Wolfram Höll, translated from German by Elena Krüskemper and Anne Thomas Skåne by Pamela Carter Also available in English: All plays from the Stückemarkt-Selection 2011 and Einige Nachrichten an das All – A few messages to space by Wolfram Lotz, translated from German by Henning Bochert (commissioned by Stückemarkt 2010) Please contact us at stueckemarkt@berlinerfestspiele.de. All plays also available via goethe.de/theaterbibliothek


Theatertreffen 2012

Preisträgerinnen und Preisträger seit 2003 Förderpreis für neue Dramatik des TT Stückemarkts 2011 Juri Sternburg für der penner ist jetzt schon wieder woanders

UA am 15.01.2012, Maxim Gorki Theater, Berlin

2010 Claudia Grehn für Ernte

UA am 19.12.2010, Maxim Gorki Theater, Berlin

2009 Oliver Kluck für Das Prinzip Meese

UA am 06.02.2010, Maxim Gorki Theater, Berlin

2008 Klaas Tindemans für Bulger

UA am 17.12.2008, Maxim Gorki Theater, Berlin

2007 Maria Kilpi für Harmin Paikka – plus null komma fünf windstill

UA am 20.12.2007, Maxim Gorki Theater, Berlin

2006 Thomas Freyer für Amoklauf mein Kinderspiel

UA am 28.5.2006, Deutsches Nationaltheater Weimar

2005 Oliver Schmaering für Seefahrerstück

UA am 17.9.2005, Neues Theater Halle

2004 Laura Sintija Cerniauskaite für Lucy auf Eis 2003 Anja Hilling für Sterne

UA am 28.1.2006, Stadttheater Bielefeld

und David Lindemann für Koala Lumpur (gestiftet von der Dresdner Bank)

UA am 20.6.2009, Bayerisches Staatsschauspiel München


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Stückemarkt

Werkauftrag des TT Stückemarkts

Theatertext als Hörspiel

2011 Anne Lepper Seymour oder Ich bin nur aus Versehen hier

2011 Mario Salazar für Alles Gold was glänzt

2010 Wolfram Lotz Einige Nachrichten an das All

2010 Julian van Daal für Alles Ausschalten

2009 Nis-Momme Stockmann Kein Schiff wird kommen

2009 Davide Carnevali für Variazioni sul modello di Kraepelin – Variationen über das Kraepelin-Modell

2008 Anne Habermehl Daddy

2008 Sergej Medwedew für Parikmacherscha – Die Friseuse

UA am 08.01.2012, Schauspiel Hannover

UA am 24.02.2011, Deutsches Nationaltheater Weimar

UA am 10.02.2010, Schauspiel Stuttgart

UA am 20.06.2009, Bayerisches Staatsschauspiel München

2007 Philipp Löhle Die Kaperer oder Reiß nieder das Haus und erbaue ein Schiff

UA am 20.03.2008, Schauspielhaus Wien DE am 18.09.2008, Staatstheater Mainz

wurde realisiert von Deutschlandradio Kultur

wurde realisiert von Deutschlandradio Kultur

wurde realisiert von Deutschlandradio Kultur

wurde realisiert von Deutschlandradio Kultur

2007 Maria Kilpi für Harmin Paikka – plus null komma fünf windstill

wurde realisiert von Deutschlandradio Kultur


Theatertreffen 2012

Theatertreffen 04. bis 21. Mai 2012 Leiterin Theatertreffen Leiterin Stückemarkt Assistentin Praktikant Ausstatterinnen

Stückemarkt-Jury 2012

Spielort

Informationen

Karten

Yvonne Büdenhölzer Christina Zintl Sabrina Hofer Philipp Urrutia Heike Schuppelius und Manuela Pirozzi Stefan Bachmann, Regisseur und designierter Intendant Schauspiel Köln / Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Theatertreffens / Mieke Matzke, Professorin für Theaterwissenschaft Universität Hildesheim, Performancekünstlerin (She She Pop) / Ewald Palmetshofer, Dramatiker / Dries Verhoeven, Regisseur und Szenograf Haus der Berliner Festspiele Kassenhalle, Oberes und Unteres Foyer, Kubus, Seitenbühne Schaperstraße 24, 10719 Berlin U3, U9 Spichernstraße, Bus 204, 249 Tel +49 (0)30 254 89 100 berlinerfestspiele.de Online: berlinerfestspiele.de Kasse: im Haus der Berliner Festspiele Täglich 14:00 bis 18:00 Uhr Abendkasse jeweils eine Stunde vor Beginn

Stückemarkt-Broschüre Herausgeber Redaktion Englische Übersetzung Visuelle Konzeption; Gestaltung Herstellung

Berliner Festspiele Christina Tilmann Jenny Piening Studio CRR, Zürich enka-druck GmbH, Berlin © 2012 Berliner Festspiele und Autoren

Veranstalter Berliner Festspiele Ein Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH Intendant Kaufmännische Geschäftsführung Kontakt

Dr. Thomas Oberender Charlotte Sieben Berliner Festspiele Schaperstraße 24 10719 Berlin Telefon +49 (0)30 254 89 0 berlinerfestspiele.de Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH Schöneberger Straße 15 10963 Berlin


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Das Theatertreffen wird gefördert durch die

Der Stückemarkt wird gefördert durch die

In Kooperation mit der

Impressum


100 Prozent Stückemarkt Beim Stückemarkt 2012 sind: 325 Einsendungen eingegangen, darunter 39 Projektkonzepte von Theaterkollektiven. 175 Theatertexte kommen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und 111 aus 28 nicht-deutschsprachigen europäischen Ländern; am stärksten sind Großbritannien und Polen vertreten. 131 Stücke sind von Autorinnen und 155 von Autoren geschrieben worden. Die jüngste Autorin ist 19 Jahre alt und der älteste Autor 73 Jahre. Beide wohnen in Berlin. Die 18 Stücke der engeren Auswahl sind von 9 internationalen, 9 deutschsprachigen, 9 weiblichen und 9 männlichen Autoren eingereicht worden. Alle der 5 ausgewählten Stücke beinhalten das Thema Liebe, 0 haben ein Happy End. Ihre Titel bestehen mit 1 Ausnahme aus 2 Worten. Alle Texte sind eindeutig verortet, 2 in Polen, 1 in Berlin, 1 in Ostdeutschland, 1 in Schweden. 5 von den 7 Stückemarkt-Teilnehmerinnen und Teilnehmern inszenieren ihre Texte selbst. Die Jury hat alle Stücke anonymisiert gelesen.


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