frequenz 2/2024: Arbeiten im Gesundheitswesen - wie weiter?

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Arbeiten

im Gesundheitswesen –wie weiter?

Arbeitswelt Gesundheitswesen

4 Wie Gesundheitsorganisationen den Wandel meistern

6 Gesundheitssektor in Zahlen und Fakten

8 Nachhaltige Arbeitsbedingungen: Welche Massnahmen helfen?

10 Schultersprechstunde: Neue Wege mit Advanced Practice

12 Moralischer Distress im Gesundheitswesen: Mythos oder Realität?

14 «Wir beobachten eine Professionalisierung der Ernährungsberatung»

16 Stimmen aus der Praxis

18 Faire Dienstpläne mit künstlicher Intelligenz?

20 Hohe Anforderungen an Führungskräfte

22 Hebammengeleitete Geburt: Ein Modell für die Zukunft?

24 Welche Rolle spielen Vergütungssysteme bei der Arbeitslast?

26 Praxisausbildung – ein wichtiges Puzzleteil im Studium

28 News

Impressum

Herausgeberin: Berner Fachhochschule BFH, Departement Gesundheit, ISSN 2297-1084

Erscheinungsweise: zweimal jährlich

Auflage: 7000 Ex.

Redaktion: Nicole Schaffner, Sandro Nydegger

Lektorat: Katja Wey

Bilder: BFH, sofern nicht anders vermerkt

Layout: Etage Est GmbH, Bern

Druck: Merkur Druck AG, Langenthal

Abonnement: bfh.ch/gesundheit/frequenz

Liebe Leser*innen

Arbeiten im Gesundheitswesen bedeutet Arbeiten im ständigen Wandel. In den letzten 30 Jahren hat sich das Gesundheitswesen zu einem der grössten Arbeitgeber der Schweiz entwickelt, mit über 490 000 Beschäftigten. Mit diesem Wachstum gehen auch erhebliche Herausforderungen einher: Fachpersonen sehen sich mit Personalmangel, hoher Arbeitsbelastung und steigendem Kostendruck konfrontiert.

In dieser «frequenz»-Ausgabe beleuchten wir Stimmen und Beispiele aus der Praxis und stellen aktuelle Forschungsprojekte der Berner Fachhochschule vor, die gezielt Lösungen für diese Herausforderungen entwickeln und den Wandel positiv mitgestalten.

Wir legen einen Fokus auf den Stress, dem Gesundheitsfachpersonen ausgesetzt sind, und stellen Strategien zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen vor. Ausserdem zeigen wir, wie Führungspersonen den vielfältigen Anforderungen durch Offenheit und lebenslanges Lernen begegnen können.

Weitere Beiträge beschäftigen sich unter anderem mit der Resilienz von Gesundheitsorganisationen, der Advanced Practice Physiotherapie in der Schultersprechstunde, dem Modell der hebammengeleiteten Geburt und der Frage, ob moralischer Distress tatsächlich ein grosses Problem im Gesundheitswesen darstellt. Mit diesen innovativen Ansätzen zeigen wir, wie die Effizienz und Qualität der Gesundheitsversorgung nachhaltig gesteigert werden können, um den aktuellen Herausforderungen wirkungsvoll zu begegnen.

Ich wünsche Ihnen eine interessante und anregende Lektüre.

Die Texte dieses Werkes sind lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 International Lizenz. Bilder und Grafiken stehen gemäss Schweizer Urheberrechtsgesetz für nicht kommerzielle Zwecke frei zur Verfügung.

Prof. Dr. Klazine van der Horst

Wie Gesundheitsorganisationen den Wandel meistern

Gesundheitsorganisationen müssen sich aufgrund gesellschaftlichpolitischer Rahmenbedingungen wie Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Fachkräftemangel und Klimakrise neu ausrichten. Solche Transformationsprozesse erfordern gezielte Change-Prozesse. Hier sind Ansätze, wie Organisationen ihre Resilienz stärken können.

Zu Beginn der 2020er Jahre wurde der Begriff VUCA (Volatality, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) zur Beschreibung der unbeständigen, unsicheren, mehrdeutigen und komplexen Welt aus dem militärischen auf den organisationalen Kontext übertragen. Nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie prägte der Zukunftsforscher Jamais Cascio den Begriff BANI, um die neue Realität zu beschreiben: Brittle (brüchig), Anxious (ängstlich), Non-linear (nichtlinear) und Incomprehensible (unbegreiflich). Diese BANI-Welt und damit die Bedingungen der modernen Arbeitswelt stellen für viele Menschen eine enorme Belastung dar, verursachen Stress, Angst und Unzufriedenheit. Eine Neuausrichtung ist erforderlich, die nur durch erhöhte Resilienz, Belastbarkeit, Adaptivität, Transparenz und Empathie zu meistern ist (Haas, Huemer & Preissegger, 2022). Gesundheitsorganisationen müssen sich daher verstärkt auf Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft ausrichten und Resilienz entwickeln. Dies nicht nur auf organisationaler, sondern auch auf individueller Ebene und im Team.

Individuelle Resilienz: Die Basis für Stärke Individuelle Resilienz beschreibt die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und alltägliche Herausforderungen effektiv zu meistern (Huber, 2019). Angesichts des Fachkräftemangels und der steigenden Arbeitsdichte ist Resilienz am Arbeitsplatz besonders wichtig (Huber, 2019). Häufig genannte Grundlagen der Resilienz sind Akzeptanz, Eigenverantwortung, Netzwerkorientierung, Lösungsorientierung, Zukunftsorientierung, positives Selbstwertgefühl, Selbstständigkeit und proaktives Handeln (Koster, 2021).

Team-Resilienz: Gemeinsam stark bleiben Team-Resilienz bezeichnet die Fähigkeit eines Teams, Herausforderungen zu bewältigen, ohne den Zusammenhalt und die Leistung zu verlieren (Alliger et al., 2015). Sie reduziert Stress, erhöht das Wohlbefinden, stärkt das Anpassungsvermögen, verbessert die Arbeitsleistung und unterstützt Teams bei der Bewältigung von Herausforderungen. Resiliente Teams bilden die Basis für erfolgreiche Teamarbeit in der modernen BANI-Arbeitswelt (Huber, 2019) und tragen dazu bei, dass die Mitarbeitenden gesund und leistungsfähig bleiben.

Organisationale Resilienz: Anpassungsfähigkeit auf allen Ebenen

Team-Resilienz ist ein wesentlicher Bestandteil der organisationalen Resilienz. Laut ISO-Norm 22316:2017 ist organisationale Resilienz die Fähigkeit einer Organisation, auf eine sich verändernde Umwelt zu reagieren, sich anzupassen, zu überleben und daran zu wachsen. Resiliente Organisationen können Gefahren und Chancen antizipieren, darauf reagieren beziehungsweise sich anpassen und ihre Leistung schnell wiederherstellen.

Strategien zur Stärkung der Resilienz

Gesundheitsorganisationen können ihre Resilienz stärken. Ermutigende Führung, gemeinsame Ziele, aber auch ausreichende Ressourcen sind dafür nötig.

Die Resilienz der Mitarbeitenden kann auf den Ebenen Personalentwicklung, Teamentwicklung und Organisationsentwicklung mit unterschiedlichen Massnahmen gefördert werden. Dies erfordert von den Führungskräften wiederum entsprechende Kompetenzen (siehe Grafik rechts). Resiliente Führungskräfte und Mitarbeitende in resilienten Organisationen sind auf

Resilienz stärken: Ansätze und Strategien

Individuelle Resilienz

Personalentwicklung

– Kompetenzentwicklung für die moderne Arbeitswelt (lebenslanges Lernen)

– Führungskräfteentwicklung

– Betriebliche Gesundheitsförderung (z. B. Achtsamkeitsübungen, Atem- und Entspannungstechniken, Stressmanagement)

– Coaching

– Mentoring

– Agile Führung: setzt auf Flexibilität und enge Zusammenarbeit, um rasch auf aktuelle Herausforderungen reagieren zu können

– Gesundheitsförderliche Führung: berücksichtigt die psychische und physische Gesundheit der Mitarbeitenden als integralen Bestandteil erfolgreicher Unternehmen

Team-Resilienz

Teamentwicklung

– Teambildungsaktivitäten (z. B. Escape Rooms, Outdoor-Aktivitäten, Workshops)

– Teamcoaching

– Feedback-Kultur aufbauen

– Rollenklärung

– Konfliktmanagement

– Selbstorganisation fördern

Was bedeutet das für die Führung?

– Kollaborative Führung: teilt Verantwortung mit dem Team, setzt auf Dialog und Mitbestimmung statt auf Autorität und Hierarchie

Veränderungssituationen vorbereitet und können entsprechend besser handeln und entscheiden (Brenner & Lobnig, 2022). Es ist davon auszugehen, dass diejenigen Gesundheitsorganisationen am zukunftsfähigsten sind, die eine hohe organisationale Veränderungsbereitschaft und Resilienz besitzen. Dabei ist die Resilienz ein stetiger Entwicklungs- und Lernprozess. Es gibt auf allen Ebenen Ansätze, die Resilienz und die organisationale Veränderungsbereitschaft zu stärken.

Projekt «Fit für BANI»: Ein Schritt in die Zukunft Das an der BFH im Themenfeld Caring Society gestartete Projekt «Fit für BANI: Stärkung organisationaler Resilienz und Veränderungsbereitschaft in Rehabilitationskliniken» nimmt sich der Herausforderung im Gesundheitssektor Rehabilitation an. Ziel ist es, Handlungsstrategien und Instrumente zu entwickeln, die Rehabilitationskliniken dabei helfen, erfolgreich mit Veränderungen umzugehen und ihre Resilienz zu stärken. Die entwickelten Strategien werden nach ihrer Erprobung auf einer Website zur Verfügung gestellt. Das Projekt soll die Zukunftsfähigkeit von Rehabilitationseinrichtungen als einen wichtigen Sektor des Gesundheitswesens fördern und eine hochwertige Versorgung sicherstellen.

Organisationale Resilienz

Organisationsentwicklung

– Qualitätsentwicklung

– Grossgruppeninterventionen

– Workshops

– Change-Management

– Nachhaltigkeitsmanagement

– Kulturentwicklung

– Technologische Anpassungen/digitale Tools

– Ressourcenmanagement

– Ambidextre Führung: hält stabile, routinierte Prozesse aufrecht und schafft gleichzeitig Raum für kreative, innovative Initiativen

Referenzen

– Alliger, G. M., Cerasoli, C. P., Tannenbaum, S. I. & Vessey, W. B. (2015). Team resilience: How teams flourish under pressure. In: Organizational Dynamics, 44(3), S. 176–184. doi: 10.1016/ j.orgdyn.2015.05.003

– Brenner, G. & Lobnig, H. (2022). Das Krankenhaus als lernende Organisation während der Pandemie: Herausforderungen und Learnings. In: Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie, 53, S. 379–387. doi: 10.1007/s11612-022-00640-x.

– Haas, O., Huemer, B. & Preissegger, I. (2022). Resilienz in Organisationen: Erfolgskriterien erkennen und Transformationsprozesse gestalten.

– Huber, M. (2019). Resilienz im Team. Ideen und Anwendungskonzepte für Teamentwicklung.

– Körner, M. (2024). Interprofessionelle Zusammenarbeit als Zukunftsperspektive. In: PSMR – Psychosoziale und Medizinische Rehabilitation, 37(2), S. 113–121.

Koster, L. C. (2021). Konzeption eines Workshops zur Förderung von Resilienz in Unternehmen (Unveröffentlichte Masterarbeit).

Autorin:

Prof. Dr. Mirjam Körner

Leiterin Interprofessionalität

Gesundheitssektor in Zahlen und Fakten

Wo wird gearbeitet?

Pflegeheime Arztpraxen

Weiblich geprägt

Die Hälfte der Gesundheitsfachpersonen arbeitet in Spitälern, andere in Heimen, Praxen und ambulant.

Quelle: BFS – SGB, KS, MAS, MS, SOMED, SPITEX; STATENT, 2022

Rund 28 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen sind Männer, in Pflege und Ernährungsberatung unter 20 Prozent.

Quelle: BFS – Beschäftigungsstatistik (BESTA), 2024

Enormes Wachstum

Beschäftigte in Vollzeitäquivalenten (in Tausend)

In den letzten 30 Jahren ist das Gesundheitswesen zu einem der beschäftigungsintensivsten Wirtschaftszweige der Schweiz herangewachsen.

Quelle: BFS – Beschäftigungsstatistik (BESTA), 2024

Viele Stellenwechsel

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Die durchschnittliche Fluktuationsrate in der Schweiz beträgt 16 Prozent. Im Gesundheitswesen, etwa beim Pflege- und Betreuungspersonal, liegt sie bei 24 Prozent, regional unterschiedlich.

Quelle: BFS – KS, SOMED, 2022

Arbeitszufriedenheit

Sehr unzufrieden

Unzufrieden

Weder noch

Zufrieden

Sehr zufrieden

Laut der Studie STRAIN sind rund 70 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen zufrieden mit ihrer Arbeit.

Quelle: BFH STRAIN, STRAIN 2.0, 2024

Quelle: BFS Beschäftigungsstatistik (BESTA), 2024 > 8 % aller Beschäftigten in der Schweiz sind im Gesundheitsbereich tätig. Das sind rund 490 000 Menschen.

Nachhaltige Arbeitsbedingungen:

Welche Massnahmen helfen?

Die Pflegeinitiative und die Covid-19-Pandemie haben die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen verstärkt ins öffentliche Interesse gerückt. Verbesserte Bedingungen sind entscheidend, um das Personal langfristig zu binden. Die BFH hat gemeinsam mit Partnern Massnahmen entwickelt.

Im Schweizer Gesundheitssystem steht neben dem Kostendruck besonders der Personalmangel im Fokus. Gesundheitsdienstleister haben Mühe, qualifiziertes Personal langfristig zu binden. Das zeigen die hohen Fluktuationsraten, Ausfallraten und frühzeitigen Berufsaustritte in der Branche. Gründe dafür sind arbeitsbedingter Stress, schlechte Arbeitsbedingungen und Unzufriedenheit mit der Entlöhnung.

Die Erfassung dieser Stressquellen, der Stressreaktionen und der daraus entstehenden Langzeitfolgen im Arbeitsalltag von Gesundheitsfachpersonen war der Fokus der Studie «Work-related Stress Among Health Professionals in Switzerland», kurz STRAIN. Die Inter-

ventionsstudie arbeitete mit 19 000 Gesundheitsfachpersonen aus 160 Organisationen in der Schweiz. Sie erfasste die Langzeitkonsequenzen von Stress am Arbeitsplatz und zeigte, dass Arbeitsstress zu mehr Gedanken an Stellen- und Berufsausstieg sowie zu Burnout-Symptomen führt. «Diese Erkenntnis allein ist nicht überraschend», sagt Dr. Christoph Golz, Leiter des Innovationsfelds Gesundheitsversorgung – Personalentwicklung an der BFH, «aber durch die Erhebung können wir langfristige Veränderungen erforschen und mögliche Massnahmen identifizieren.»

Ein Katalog von Massnahmen

Die Forschenden führten mit über 200 Führungspersonen standardisierte Schulungen durch, um diese Massnahmen umzusetzen. Aus den Ergebnissen konnten sie einen Katalog von besonders wirksamen Massnahmen erstellen. Das Handlungsfeld «Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben» scheint die grösste Hebelwirkung zu haben. Zwei Empfehlungen sind darum die frühzeitige Personalplanung und die Einführung von flexiblen Arbeits- und Dienstmodellen. Umfassende Umstrukturierungen sind aber nicht immer notwendig: Viele Organisationen würden bereits mit dem Einhalten der gesetzlich festgelegten Pausen- und Ruhezeiten viel gewinnen.

Der Massnahmenkatalog ist in vier Handlungsbereiche unterteilt und kann unter bfh.ch/strain runtergeladen werden. (Grafik: BFH)

«Die Empfehlungen haben uns inspiriert, weitere Massnahmen umzusetzen», erzählt Nadine Morgenthaler Beuttenmüller, Co-Direktorin Pflege/MTT des Spitalzentrums Biel/Bienne, das an der STRAIN-Studie teilgenommen hatte. So gab das Spitalzentrum dem Führungspersonal in der Pflege trotz Personalmangel Zeit, sich in den Bereichen Leadership und Vereinbarkeit von Privat- und Arbeitsleben weiterzubilden. Laut Golz steht das Führungspersonal beim Umsetzen von stressreduzierenden Massnahmen im Fokus: «Wir

Ein Beispiel aus dem Massnahmenkatalog: Das Einhalten von gesetzlichen Pausenzeiten. (Bild: Adobe Stock)

müssen primär Führungspersonen entlasten, damit sie Zeit haben, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen.»

Die Evidenz der STRAIN-Studie zeigt, dass solche Massnahmen auch tatsächlich Wirkung haben können.

Massnahmen wissenschaftlich evaluieren

Um die Wirksamkeit von umgesetzten Massnahmen noch vertiefter zu evaluieren, haben die Forschenden der BFH die STRAIN-Studie zusammen mit der Fachhochschule Westschweiz (HES-SO) und der Fachhochschule Südschweiz (SUPSI) weiterentwickelt: Zusätzliche Aspekte wie Teamdynamik und Arbeitskultur vergrössern den bestehenden Datensatz. STRAIN 2.0 ermöglicht den Forschenden, organisationsspezifische Analysen durchzuführen, sich mit anderen Organisationen anonym zu vergleichen und Empfehlungen zu formulieren. «So können wir Gesundheitsinstitutionen nachhaltig bei der Optimierung der Arbeitsbedingungen begleiten», sagt Christoph Golz. Dabei sieht er einen partizipativen Ansatz als erfolgsversprechend: «Es gibt viele engagierte und motivierte Menschen im Gesundheitswesen – dieses Potenzial gilt es auszuschöpfen.» Klar ist: Diese Massnahmen können Probleme wie Kostenknappheit oder Personalmangel nicht lösen. Sie helfen jedoch, mit knappen Ressourcen Arbeitsbedingungen zu schaffen, welche die Herausforderungen nicht noch vergrössern.

Stress in den Gesundheitsberufen

Erfahren Sie im Video, warum die Direktorinnen Pflege des Spitalzentrums Biel / Bienne Nadine Morgenthaler Beuttenmüller und Claudia Lüthi an der Studie STRAIN 2.0 teilgenommen haben und wie sie und ihre Mitarbeitenden von den Erkenntnissen profitieren können.

Ist auch Ihre Organisation an einer Teilnahme an STRAIN 2.0 interessiert?

Das Projektteam freut sich auf Ihre Kontaktaufnahme: strain.health@bfh.ch

Referenzen

– Peter, K. A., Voirol, C., Kunz, S. et al. (2024). Reducing workrelated stress among health professionals by using a trainingbased intervention programme for leaders in a cluster randomised controlled trial. In: Sci Rep 14, 23502. doi: 10.1038/ s41598-024-73939-y

Autor:

Sandro Nydegger, Kommunikation Departement Gesundheit

Schultersprechstunde:

Neue Wege mit Advanced Practice

Die Schultersprechstunde am Inselspital Bern setzt auf Advanced Practice Physiotherapie (APP). Spezialisierte Physiotherapeut*innen übernehmen Aufgaben, die traditionell Ärzt*innen vorbehalten sind, und verbessern so die Effizienz und Qualität der Patientenversorgung. Eine Evaluation der BFH zeigt die Stärken und Herausforderungen des Modells auf.

Es ist Dienstagvormittag, 9.30 Uhr. In der Ortho Poliklinik im Inselspital Bern empfängt Bettina HauptBertschy, MSc Therapieexpertin und Teamleiterin «Schulter, Ellbogen und Sport», einen jungen Patienten zur Schultersprechstunde. Drei Wochen zuvor wurde er aufgrund einer Bankart-Fraktur an der Schulter operiert. Den sportlichen Mann plagen Schmerzen und Unsicherheiten bezüglich Wundheilung und wie er sich im Alltag bewegen darf. Sorgfältig untersucht sie

Aufgaben der Physiotherapeut*innen

Gegenüber den Patient*innen

– Wundpflege (inkl. Fäden ziehen)

– Edukation der Patient*innen

– Ausstellen von Arbeitszeugnissen und Rezepten für Medikamente oder Hilfsmittel

– Anmeldung weiterer Röntgenuntersuchungen

Gegenüber dem Fachpersonal

– Zweitmeinung zur differenzierten Beurteilung

– Gemeinsame Befunderhebungen

– Beurteilung von Patient*innen mit Schulterproblemen

– Austausch mit externen nachbehandelnden Physiotherapeut*innen

die verletzte Schulter und klärt ihn auf. Danach zieht sie die Fäden und bespricht mit ihm das weitere Vorgehen. Obwohl die geplante halbe Stunde längst verstrichen ist, bleibt sie gelassen – eine Haltung, die den Patienten sichtlich beruhigt.

Das Inselspital Bern bietet mit seiner spezialisierten Schultersprechstunde ein beispielhaftes Modell für die Anwendung des Konzepts Advanced Practice (AP) in der Physiotherapie. Spezialisierte Physiotherapeut*innen übernehmen als Advanced-Practice-Physiotherapeut*innen (APP) erweiterte Aufgaben in der Nachsorge von Patient*innen nach Operationen an der oberen Extremität. Diese Aufgaben umfassen nicht nur die physiotherapeutische Betreuung, sondern auch Tätigkeiten, die traditionell dem medizinischen Fachpersonal vorbehalten sind, wie die Wundpflege und die standardisierte Überwachung der Schulterbeweglichkeit. Die BFH hat das Angebot im Rahmen der AkademiePraxis-Partnerschaft evaluiert, Tätigkeiten erfasst und den Bedarf bei Patient*innen sowie die Einschätzung des Fachpersonals eingeholt.

Strukturierte Nachsorge: Der Ablauf der Schultersprechstunde

Die Schultersprechstunde folgt einem klar strukturierten Nachsorgezyklus, der sich auf zwei entscheidende Zeitpunkte konzentriert. Drei Wochen nach der Operation findet die erste Nachsorge statt, die von den APP durchgeführt wird. Dann wird die Schulterbeweglichkeit überprüft, die Wundheilung kontrolliert und es werden Fäden gezogen. Fragen zu Alltag, Medikamenten und Arbeitsfähigkeit werden geklärt. Sechs Wochen nach der Operation erfolgt die interdisziplinäre Nachsorge, bei der Physiotherapeut*innen und Ärzt*innen die weitere Behandlung gemeinsam planen. Dieses Vorgehen sichert eine kontinuierliche Betreuung und die frühzeitige Erkennung von Komplikationen.

Erfolgreiche Evaluation: Hohe Patientenzufriedenheit und Effizienz

Die Evaluation der BFH hat die Wirksamkeit und Effizienz der Schultersprechstunde bestätigt. Die spezifischen Fachkenntnisse und die umfassenden personalen Kompetenzen der APP führten zu einer hohen Zufriedenheit bei den Patient*innen. Besonders geschätzt wurde die klare und verständliche Kommunikation der Physiotherapeut*innen, die den Patient*innen half, den Heilungsprozess besser zu verstehen und aktiv mitzugestalten.

Darüber hinaus zeigte die Evaluation, dass die erweiterte Rolle der APP nicht nur die Qualität der Nachsorge verbessert, sondern auch die Effizienz des gesamten Versorgungssystems erhöht. Durch die Entlastung des medizinischen Fachpersonals konnten Ressourcen gezielter eingesetzt werden.

Voraussetzungen für Erfolg: Kompetenz, Teamgeist und Loyalität

Für AP-Rollen setzt das Inselspital einen MasterAbschluss sowie mindestens fünf Jahre praktische Erfahrung in ihrem Fachbereich voraus. Die befragten Gesundheitsfachpersonen betonen, dass neben Fachwissen und klinischem Handling auch Selbsteinschätzung wichtig ist. Man müsse die eigenen Grenzen kennen und im Bedarfsfall andere Fachpersonen einbeziehen. Dies erfordere eine starke interdisziplinäre Zusammenarbeit, die am Inselspital von Teamgeist und Loyalität geprägt sei.

Herausforderungen: Kompetenzverteilung und interdisziplinäre Zusammenarbeit Trotz der positiven Ergebnisse weist die Evaluation auch auf Herausforderungen hin. Ein zentrales Thema ist die Kompetenzverteilung zwischen Ärzt*innen und Physiotherapeut*innen. Am Inselspital zeigte sich dies an einem Beispiel, bei der es um die Beurteilung von Röntgenbildern ging. Diese Aufgabe erachten die befragten Ärzt*innen als Aufgabe, die medizinische Kenntnisse erfordert und sehen sie eher bei sich angesiedelt. Diese Unsicherheiten verdeutlichen die Notwendigkeit, die Aufgabenverteilung präzise zu regeln. Eine kontinuierliche Schulung und ein enger Austausch zwischen den Berufsgruppen sind weitere entscheidende Faktoren, um diese Herausforderungen zu meistern.

Bettina Haupt-Bertschy arbeitet seit 18 Jahren im Inselspital, seit 3 Jahren hat sie offiziell die Rolle der APP inne. Für sie ist klar: Die Vorteile der erweiterten Verantwortung überwiegen deutlich. «In den Kontrollen entspricht unsere Rolle im Prinzip der eines Assistenzarztes», erklärt sie, während sie den Spitalflur entlang zum nächsten Termin eilt. «Mich motiviert besonders, dass wir in dieser Teamstruktur viel voneinander lernen. Die Interprofessionalität wird wirklich gelebt und ich erfahre Wertschätzung, sowohl von den Patient*innen als auch von der Ärzteschaft», sagt sie. Als sie diesen Satz beendet, wird sie beim Vorbeigehen von einem Arzt um ihre Meinung bei einer Therapieentscheidung gebeten. Ein anderer Kollege hält an, um sie um eine schnelle Einschätzung zu bitten. Sie nickt beiden zu, entschuldigt sich und sagt beim Abschied strahlend: «Ich liebe diese Hektik im Spitalalltag.»

Weitere Projekte zur Professionsentwicklung

Neben der Schultersprechstunde untersucht die BFH in weiteren Projekten die Professionsentwicklung in der Physiotherapie. Erfahren Sie mehr darüber auf unserer Webseite.

Autorinnen: Dr. Anja Raab, Leiterin Forschung

Nicole Schaffner, Kommunikation Departement Gesundheit

Bettina Haupt-Bertschy in einer Schultersprechstunde mit einem Patienten.

Moralischer Distress im Gesundheitswesen:

Mythos oder Realität?

Eine Vielzahl von Studien legt den Schluss nahe, dass moralischer Distress die Ursache für häufigen Jobwechsel, Burnout und verminderte Betreuungsqualität im Gesundheitswesen ist. Mit einer neuen Studie untersucht die BFH, ob dieser Schluss wirklich zutrifft.

Ziel der BFH-Studie ist es, zukünftige Interventionen auf die realen Belastungen auszurichten. (Bild: Adobe Stock)

Eine aggressive und unnötige Behandlung am Lebensende. Eine tiefe Personalbesetzung, die die Sicherheit der Patient*innen gefährdet. Der fehlende Einbezug von Pflegefachpersonen bei wichtigen Entscheidungen. Mit solchen Beispielen beschrieb Jameton im Jahr 1984 moralischen Distress bei Pflegefachpersonen und prägte damit den Begriff nachhaltig. Nach Jameton wird dieser Distress in Situationen ausgelöst, in denen die Fachperson zwar weiss, was zu tun wäre, aber aufgrund institutioneller Zwänge nicht gemäss dieser Überzeugung handeln kann. Seither sind Tausende Studien zum Thema veröffentlicht worden. Sie legen dar, dass moralischer Distress in allen Gesundheitsberufen beobachtet werden kann, auch wenn er sich unterschiedlich zeigen mag. Die zunehmende Beachtung des Konzepts in der akademischen Literatur ist vor allem auf die Vielzahl von Studien zurückzuführen, die die langfristigen Folgen von moralischem Distress untersuchten. Zusammengefasst legen diese Studien nahe, dass bestimmte moralische Ereignisse psychischen Distress verursachen können, der wiederum langfristig zu negativen Folgen wie Burnout, häufigem Jobwechsel und einer verminderten Qualität in der Patientenbetreuung führt. Damit ist moralischer Distress nicht nur ein Problem für die Fachpersonen selbst, sondern auch für die Institutionen.

Konzeptuelle Fragen …

Der Vielzahl an empirischen Belegen für die negativen Folgen von moralischem Distress steht eine Reihe grundlegender konzeptioneller und methodischer Fragen gegenüber, die auch nach 40 Jahren Forschung und Debatten weiterhin ungeklärt sind. Während viele empirische Forscher*innen die enge Definition von moralischem Distress im Sinne Jametons bevorzugen, plädieren andere für eine erweiterte Definition, die auch Situationen umfasst, in denen Fachpersonen unsicher sind, welche Handlung die richtige ist.

Die Debatte über die korrekte Definition von moralischem Distress mag auf den ersten Blick akademisch wirken. Deshalb wird argumentiert, dass der Fokus stärker auf klinische Interventionen gelegt werden sollte, die die Situation der Fachpersonen konkret verbessern können. Zwar hat das Bewusstsein für ethisch-moralische Fragen in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen, und Fachpersonen erhalten in vielen Institutionen Unterstützung durch klinische Ethik-Komitees. Dennoch bleibt die Frage offen, ob die Belastung durch moralische Konflikte tatsächlich abgenommen hat –oder ob moralischer Distress am Ende vielleicht gar keine klinische Relevanz hat.

... und methodische Probleme

In einem kürzlich veröffentlichten Grundlagenpapier (Oelhafen et al., 2024) haben wir weitere Probleme der Definition und Messung von moralischem Distress aufgezeigt und verdeutlicht, dass die bisherigen Forschungsergebnisse auch andere Schlussfolgerungen zulassen. Erstens wird moralischer Distress häufig als isoliertes Konzept betrachtet, wodurch andere Ursachen für diese Belastung von vornhinein ausgeschlos-

Ethik im Klinikalltag: Zwischen Autonomie und moralischer Belastung

Im therapeutischen Alltag stehen Fachpersonen oft vor ethischen Dilemmas, die sich aus komplexen Behandlungssituationen ergeben. Prof. Dr. Settimio Monteverde, Co-Leiter der Klinischen Ethik am Universitätsspital Zürich und Dozent an der BFH, beleuchtet im Interview auf unserer Webseite die Herausforderungen, denen sich Fachkräfte stellen müssen, und erklärt, wie eine offene Kommunikationskultur und gezielte Interventionen helfen können, moralischen Stress zu bewältigen.

Mehr zum Thema «Ethik im Klinikalltag» im Interview

sen werden. Zweitens enthalten gängige Skalen Fragen, die moralischen Distress nicht in Reinform messen: Eine Pflegefachperson, die über einen «unsicheren» Personalbestand berichtet, leidet nicht nur unter moralischem Distress, sondern auch unter der hohen Arbeitsbelastung. Eine Hebamme, die sich unter Druck gesetzt fühlt, aus ihrer Sicht unnötige Behandlungen durchzuführen, leidet möglicherweise nicht nur wegen der Patientin, sondern auch, weil ihre Meinung nicht respektiert wird.

Solche Fragen erfassen demnach auch andere Stressoren. Dies kann dazu führen, dass die Folgen von moralischem Distress überschätzt werden. Moralischer Distress könnte somit auch Ausdruck eines allgemeinen Gefühls mangelnder Anerkennung im Team oder durch Vorgesetzte sein, oder Folge der hohen Arbeitsbelastung oder der eingeschränkten Autonomie. Diese Faktoren werden in zahlreichen Studien der Arbeitsund Organisationspsychologie sowie der Ökonomie als belastend identifiziert und können unabhängig vom Arbeitssektor zu häufigem Jobwechsel, Burnout und verminderter Arbeitsqualität führen.

Eine aktuelle Studie der BFH untersucht daher, ob moralische Ereignisse tatsächlich die negativen Folgen haben, die ihnen zugeschrieben werden, oder ob dieser Effekt überschätzt wird. Das Ziel ist es, zukünftige Interventionen gezielter auf die tatsächlichen Belastungen auszurichten.

Referenzen – Oelhafen, St., Monteverde, S. & Trachsel, M. (2024). Overestimating prevalence? Rethinking boundaries and confounders of moral distress. In: Journal of Health Psychology. doi: 10.1177/13591053241253233

Autor:

Prof. Dr. Stephan Oelhafen

Stv. Leiter Angewandte Forschung und Entwicklung Geburtshilfe

«Wir beobachten eine Professionalisierung

der Ernährungsberatung»

Vor fünf Jahren hat die BFH den Master-Studiengang in Ernährung und Diätetik erstmals angeboten. Wir haben bei der Fachbereichsleiterin Andrea Mahlstein nachgefragt, welchen Einfluss diese Entwicklung auf die Ernährungsberatung hat und wie es um die Arbeit im Berufsfeld steht.

Andrea Mahlstein, wie viele Ernährungsberater*innen gibt es in der Schweiz?

Im Oktober 2024 waren 2587 Personen im Nationalen Register der Gesundheitsberufe (NAREG) als Ernährungsberater*innen eingetragen. Das sind etwa 35 Prozent mehr als vor sechs Jahren. Dieser Berufsnachwuchs wurde zum grössten Teil an den drei einheimischen Hochschulen BFH, FFHS und HES-SO ausgebildet. Dazu erhielten in den vergangenen sechs Jahren etwa 125 Personen mit Abschluss im Ausland die Anerkennung als Ernährungsberater*in in der Schweiz.

Ernährungsberater*innen sind also gesucht?

Das ist so. 114 von 122 unserer Absolvent*innen von 2020 bis 2022 arbeiteten sechs Monate nach Abschluss im Beruf. Nur eine Person, die nicht als Ernährungsberater*in arbeitete, war aktiv auf Stellensuche. Gemäss Berichten aus der Praxis ist es schwierig, Stellen in der Ernährungsberatung zu besetzen. Der Bedarf an Ernährungsberater*innen ist also da.

Wo sind denn die Ernährungsberater*innen tätig?

Das grösste Berufsfeld von Ernährungsberater*innen stellt weiterhin die Tätigkeit in Akutspitälern, Rehabilitationskliniken und psychiatrischen Kliniken dar.

Zur Person

Prof. Andrea Mahlstein leitet den Fachbereich und den Bachelor-Studiengang Ernährung und Diätetik am Departement Gesundheit der BFH. Sie forscht zur Berufsentwicklung und leitet in dieser Funktion auch das Projekt Berufsstatistik Ernährungsberatung 2024.

Dieses Berufsfeld macht 45 Prozent aller Stellen aus. 33 Prozent der Stellen sind in Ernährungsberatungspraxen und in medizinischen Versorgungszentren vorzufinden. Weitere relevante Arbeitgeber sind Bildungsinstitutionen, die öffentliche Verwaltung, Non-ProfitOrganisationen, Industriebetriebe, Homecare-Services und sonstige privatwirtschaftliche Unternehmen.

Wie hat sich der Beruf in den letzten Jahren entwickelt?

Wir beobachten eine Professionalisierung der Ernährungsberatung und eine Spezialisierung der Fachpersonen. Aktuell verfügen 10,5 Prozent aller Ernährungsberater*innen über einen Master-Abschluss (Master of Science). Auch die Anzahl der Fachpersonen mit Doktorat hat zugenommen. Diese Entwicklung ermöglicht es uns, neue und anspruchsvolle Rollen im Berufsfeld einzunehmen. Beispielsweise konnten in den letzten Jahren im klinischen Setting erste Stellen für Advanced Practice Dietitians und Therapieexpert*innen geschaffen werden.

Ernährungsberater*innen mit höherem Bildungsabschluss führen zudem selbst Forschung durch – eine Tätigkeit, die früher vorwiegend Mediziner*innen und Ernährungswissenschaftler*innen vorbehalten war. Das hat sicher auch damit zu tun, dass wir als Fachhochschulen selbst aktiv forschen und diese wissenschaftliche Arbeitsweise im Studium verankert haben.

In den letzten sieben Jahren hat auch die Anzahl absolvierter Weiterbildungen bei Berufsangehörigen zugenommen, was zeigt, dass sich Ernährungsberater*innen vermehrt spezialisieren und ihre berufliche Tätigkeit darauf ausrichten.

Wie steht es um die Arbeitsbedingungen? Wenn man den Lohn als Indikator nimmt, dann zeigt sich ein wenig zufriedenstellendes Bild: In der aktuel-

den Fachbereich Ernährung und Diätetik an der BFH.

len Erhebung der Berufsstatistik sagen 38 Prozent der teilnehmenden Personen, dass die Angemessenheit des Lohns nicht oder wenig gegeben ist. Vor sieben Jahren war diese Zahl mit 37 Prozent auf dem gleichen Niveau. Es hat sich also gemäss den Einschätzungen der Berufsgruppe nichts geändert.

Im vergangenen Jahr konnte der Schweizerische Verband der Ernährungsberater/innen SVDE jedoch eine 10-prozentige Erhöhung des Taxpunktwertes für freiberufliche Fachpersonen erreichen. Das ist ein wichtiger Meilenstein zur Verbesserung der Einkommenssituation. Trotzdem stellt dies nur ein erster Schritt hin zu einem fairen Einkommen im freiberuflichen Setting dar. Ich freue mich darum, dass der SVDE weitere Schritte hinsichtlich Tarifverhandlungen plant.

Was ist Ihre Einschätzung für die nächsten Jahre? Wohin entwickelt sich die Ernährungsberatung? Es gibt viele potenzielle Arbeitsbereiche ausserhalb der Klinik und der Praxis, beispielsweise in der Gesundheitsförderung und Prävention oder in der Gemeinschaftsgastronomie. Aber auch innerhalb des therapeutischen Bereichs gibt es Entwicklungsmöglichkeiten, besonders in Alters- und Pflegeheimen oder bei ambulanten Diensten. Ich rate unseren Absolvent*innen, bei der Stellensuche auch mal «outside the box» zu denken und sich spontan in Organisationen zu bewerben. Denn Ernährung spielt in vielen Bereichen unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle.

Obwohl es uns gelungen ist, die Ausbildungsabschlüsse zu steigern, beobachten wir in den letzten Jahren zurückgehende Anmeldezahlen für das Bachelor-

Studium. Ich weiss, dass die Ernährungsberatung ein abwechslungsreicher, stimulierender und sinnvoller Beruf ist. Wir müssen dies noch besser kommunizieren und die Attraktivität weiter steigern.

Interview:

Sandro Nydegger, Kommunikation Departement Gesundheit

Berufsstatistik Ernährungsberatung

2017 wurden zuletzt berufsstatistische Daten von Ernährungsberater*innen erhoben und publiziert. Im Auftrag des Schweizerischen Verbandes der Ernährungsberater/innen (SVDE) führt die BFH die Berufsstatistik im Jahr 2024 erneut durch. Dabei werden die Aus- und Weiterbildungssituation sowie die aktuelle Erwerbssituation inklusive der fachlichen Schwerpunkte im Berufsalltag erhoben. Eine allgemeine Einschätzung der Attraktivität des Berufes rundet das Projekt ab. Die Daten der Berufsstatistik werden im Frühjahr 2025 verfügbar sein.

Mehr zum Forschungsprojekt Berufsstatistik Ernährungsberatung 2024

Andrea Mahlstein leitet

Stimmen aus der Praxis: So beurteilen Gesundheitsfachpersonen ihre Arbeitswelt

Simone Walde-Föhn Ernährungsberaterin

Was motiviert dich in deinem Beruf?

Als Herausgeberin und Schreiberin des Newsletters «Ernährungsexpertise» vereine ich meine Passion für ernährungsmedizinische Studien und das Schreiben. Es bereitet mir Freude, wissenschaftliche Erkenntnisse mit der ernährungstherapeutischen Praxis zu verbinden und sie dadurch zugänglich(er) zu machen.

Was muss sich ändern?

Wir Ernährungsberater*innen sind und können so viel mehr, als nur die Ernährungspyramide runterbeten. Unsere Expertise sollte in der Bevölkerung und im Gesundheitswesen ernst genommen werden.

Was kann so bleiben?

Die vierjährige Ausbildung in Ernährung und Diätetik ist gerechtfertigt, denn das Thema Ernährung ist komplex, vielseitig und herausfordernd.

Wovon braucht es weniger?

Da unser Titel nicht geschützt ist, können sich viele als Ernährungsberater*innen bezeichnen. Dies stiftet Verwirrung und kann unserem professionellen Ansehen schaden.

Wovon braucht es mehr?

Im hektischen Alltag bleibt oft keine Zeit für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit neuen Erkenntnissen. Damit die Ernährungsberater*innen am Puls der Zeit bleiben, ist dies aber unerlässlich.

«Es macht mir Spass, wissenschaftliche Erkenntnisse mit der Praxis zu verbinden und sie dadurch zugänglich(er) zu machen.»

«Aus eins mach zwei – wenn alles normal läuft. Kein anderer Gesundheitsberuf hat ein solch positives Outcome.»

Was motiviert dich in deinem Beruf?

Aus eins mach zwei – wenn alles normal läuft. Kein anderer Gesundheitsberuf hat ein solch positives Outcome. Ich finde es toll, dass ich Familien in dieser wichtigen Zeit begleiten kann. Ich bin selbstständig unterwegs, arbeite unter meiner eigenen Verantwortung, betreue meine Klientinnen persönlich und hab Abwechslung. Das gefällt mir auch noch nach 20 Jahren.

Was muss sich ändern?

Viele Frauen in der Schweiz lernen ihre Hebamme erst bei der Geburt kennen. Hebammen sollten die ersten Ansprechpartnerinnen in der Schwangerschaft sein. Dies würde u. a. zu weniger medizinischen Eingriffen führen. Wir können zudem eine bessere Grundbetreuung anbieten, die kostengünstiger ist als bei Ärzt*innen.

Was kann so bleiben?

Die Autonomie der Hebammen, die im Vergleich zu anderen Gesundheitsberufen besteht, muss erhalten bleiben.

Wovon braucht es weniger?

Weniger administrativen Aufwand! Trotz Digitalisierung verbringen wir heute mehr Zeit mit Papierkram als je zuvor.

Wovon braucht es mehr?

Hebammengeleitete Geburten sind in der Schweiz nach wie vor eine Seltenheit. Ich würde mir darum mehr Geburtshäuser wünschen, in denen Hebammen in der Verantwortung sind.

Was motiviert dich in deinem Beruf?

In der geriatrischen Rehabilitation gewinnen hochbetagte Menschen mit multimorbiden Krankheitsbildern einen grossen Teil ihrer Selbstständigkeit zurück. Dies gelingt nur dank multiprofessioneller Zusammenarbeit und mit Einbezug der Angehörigen. Die partnerschaftliche Zielerreichung ist sinnstiftend für alle und ein wertvoller Beitrag für eine gesunde Gesellschaft.

Was muss sich ändern?

Die Umsetzung der Pflegeinitiative geht zu langsam. Wegen finanzieller Schwierigkeiten der Spitäler müssen mehr Patient*innen mit weniger Personal behandelt werden. Dies verschärft den Fachkräftemangel und führt zu schlechterer Qualität, längeren Wartezeiten und – im Extremfall – zu Versorgungsengpässen.

Was kann so bleiben?

Die (noch) hohe Qualität in der Rehabilitation zeigt sich in positiven Outcomes und Rückmeldungen von Patient*innen und Angehörigen.

Wovon braucht es weniger?

Weniger Gesundheitsökonom*innen, die Sparpotenziale propagieren und gleichzeitig die Bürokratie im System aufblähen. Die Abrechnung und Finanzierung im Gesundheitswesen ist zu komplex und muss vereinfacht werden.

Wovon braucht es mehr?

Es braucht mehr politisches Engagement des Gesundheitspersonals und der Sozialpartner, damit unser Gesundheitswesen gesunden kann. Wahrscheinlich ist eine Ärzt*innen- oder eine Gesundheitspersonal-Initiative nötig, um die Arbeitsbedingungen für alle Beteiligten zu verbessern und die Berufsflucht zu verringern.

«Es braucht mehr politisches Engagement des Gesundheitspersonals und der Sozialpartner, damit unser Gesundheitswesen gesunden kann.»

«Ich habe jeden Tag das Gefühl, einer sinnstiftenden Arbeit nachzugehen.»

Was motiviert dich in deinem Beruf?

Ich habe jeden Tag das Gefühl, einer sinnstiftenden Aufgabe nachzugehen. Mit meinem medizinischen Wissen und einer einfühlsamen, klaren Kommunikation kann ich für meine Patient*innen einen Unterschied machen.

Was muss sich ändern?

Das Arbeiten in der Grundversorgung sollte attraktiver gemacht werden. Dazu gehören eine tragbare Arbeitslast, angemessene Tarife und die Weiterentwicklung der Berufsrolle. Damit würden sich viele Leistungserbringende zutrauen, bis zur Pensionierung im Beruf zu bleiben oder überhaupt einzusteigen. Nur so hat die Bevölkerung auch in Zukunft niederschwellige Ansprechpartner*innen im Gesundheitswesen.

Was kann so bleiben?

Die obligatorische Krankenversicherung sollte erhalten bleiben, um den Zugang zu Grundversorgungsleistungen wie Physiotherapie für alle zu sichern und eine hohe Chancengleichheit zu gewährleisten.

Wovon braucht es weniger?

Es braucht weniger von der Idee, mit der Gesundheit ein gewinnbringendes Geschäft machen zu müssen. Gesundheitseinrichtungen sollten nicht nach rein betriebswirtschaftlichen Kriterien arbeiten. Das führt zu einer Diskrepanz zwischen der nachhaltigsten und effektivsten Lösung für Patient*innen und der besten Lösung für die Leistungserbringenden.

Wovon braucht es mehr?

Es braucht mehr gelebte interprofessionelle Zusammenarbeit. Gemeinsames Wissen potenziert sich, wenn man es teilt. Eine Behandlungsstrategie sollte interprofessionell erarbeitet werden, sodass das Team mit und für die Patient*innen am gleichen Strick zieht.

Faire Dienstpläne mit künstlicher Intelligenz?

Dienstpläne für alle Beteiligten gerecht zu gestalten, ist eine Herausforderung. Für die Arbeitszufriedenheit sind aber ausgeglichene und an individuelle Bedürfnisse angepasste Dienstzeiten wichtig. Künstliche Intelligenz (KI) könnte helfen, die Dienstpläne fairer, effizienter und partizipativer zu erstellen.

Gemeinsame und transparente Dienstplanung fördert die Akzeptanz bei den Betroffenen. (Bild: Adobe Stock)

Können wir in die Berge Skifahren oder habe ich Wochenenddienst? Wer holt mein Kind aus der Kita ab, wenn ich Spätdienst habe? Die Dienstplanung beeinflusst das Arbeits- und Privatleben von vielen Menschen im Gesundheitswesen. Sie ist auch ein zentraler Faktor für den frühzeitigen Berufsausstieg, besonders im Pflegebereich. Verschiedene Studien zeigen, dass sich das Gesundheitspersonal mehr Gerechtigkeit und die Berücksichtigung individueller Präferenzen wünscht, um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben

zu erreichen und Stress zu reduzieren. Ist diese Flexibilität nicht vorhanden, wird oft ein Berufsaustritt ins Auge gefasst.

Gerechtigkeit erleichtert die Kooperation Gerechtigkeit ist für die Arbeitszufriedenheit sowie für alle zwischenmenschlichen Kontakte innerhalb einer Organisation von zentraler Bedeutung. Menschen sind eher bereit, in sozialen Interaktionen zu kooperieren, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Wünsche und Be -

dürfnisse berücksichtigt werden. Darum ist es wichtig, dass Dienstpläne gerecht und fair erstellt werden. Gerechte und faire Dienstpläne sind das Ziel der meisten Verantwortlichen. Sie müssen unterschiedliche Wünsche koordinieren und oft unpopuläre Entscheide treffen. Ein Prozess, der viel Zeit und Nerven kostet. Eine Studie der BFH zeigt, dass diese Bemühungen trotzdem häufig von Subjektivität geprägt sind und damit nicht als fair wahrgenommen werden.

Künstliche Intelligenz wird als fair wahrgenommen

Eine Möglichkeit zur Förderung der Fairness in der Dienstplanung besteht darin, einen unterstützenden KI-Algorithmus einzusetzen. KI könnte Dienste gerecht verteilen und auch individuelle Präferenzen berücksichtigen. «Eine KI kann von aussen als neutral und objektiv angesehen werden», erklärt Fabienne Renggli. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin forscht im Innovationsfeld «Gesundheitsversorgung und Personalentwicklung» an der BFH. Wichtig sei, dass man mitgestalten und nachvollziehen könne, wie der Algorithmus arbeitet. Um herauszufinden, was die Betroffenen von einer KI-gestützten Dienstplanung halten, hat Fabienne Renggli mit ihren Kolleg*innen Fokusgruppeninterviews mit Pflegenden und Führungspersonen durchgeführt.

Die Effizienzsteigerung durch Zeitersparnis und der Einsatz von KI als neutrale Instanz werden von den Befragten als Vorteil anerkannt. «Die meisten erhoffen sich mehr Fairness und Gerechtigkeit von der KI», sagt Fabienne Renggli. Es gibt aber auch negative Stimmen: «Die Dienstplanung dient oft auch als Führungsinstrument», erklärt die Pflegeforscherin. «Dieses Instrument aus der Hand zu geben, fällt vielen nicht leicht.» Eine weitere Herausforderung ist das Ausfallmanagement: Kurzfristige Absenzen machen oft menschliches Eingreifen nötig. Es gibt auch sehr spezifische Ansprüche und Prioritäten an einen intelligenten Dienstplan: «Die Spitex könnte von einer geographischen Optimierung bei der Planung der Routen ihrer Mitarbeitenden profitieren», nennt Fabienne Renggli ein Beispiel.

Einige Lösungen mit KI-Ansatz gibt es bereits auf dem Markt und haben ihren Weg in den Arbeitsalltag gefunden. Die Rückmeldungen zu den bisherigen Erfahrungen sind jedoch sehr unterschiedlich. Gründe dafür sind die teilweise mässige Nutzungsfreundlichkeit oder auch die unausgereifte KI in der Anwendung.

Intelligentes Planungstool in Entwicklung Basierend auf diesen Erkenntnissen entwickelt das interdisziplinäre Forschungsteam ein KI-gestütztes Verfahren für die Dienstplanung. Dieses soll nicht nur Dienste gerecht verteilen, sondern in Zukunft auch auf individuelle Wünsche eingehen. Der Algorithmus kann durch Rückmeldungen der Betroffenen zukünftige Resultate optimieren («Reinforced Learning»). Langfristig soll das Tool die Planung der Arbeitsdienste für Teams im Gesundheitswesen vereinfachen.

Das Forschungsteam der BFH sieht sowohl das Potenzial als auch die Grenzen der KI bei der Dienstpla-

Die vier Dimensionen der Gerechtigkeit

Distributive Gerechtigkeit bedeutet, dass alle Pflegenden bei der Dienstplanung gleichbehandelt werden.

Prozedurale Gerechtigkeit beschreibt, ob der Planungsprozess fair ist, ob er ohne Vorurteile abläuft und ob die Pflegenden ihre Meinung dazu äussern können.

Informationale Gerechtigkeit bedeutet, dass die Kommunikation klar und offen ist.

Interpersonale Gerechtigkeit bezieht sich auf den respektvollen Umgang und die Zusammenarbeit zwischen den Pflegenden und den Verantwortlichen für die Dienstplanung.

nung. «Die KI kann vielleicht die Dienstplanung fairer und effizienter gestalten, sie wird den Menschen aber nicht ersetzen», fasst Fabienne Renggli die Erkenntnisse zusammen. Wichtig sei, dass auch partizipative Ansätze bei der Dienstplanung umgesetzt werden. Dabei spielt die Teamdynamik eine wichtige Rolle: «Wenn die Dienstplanung gemeinsam und transparent erfolgt, hilft das sehr bei der Akzeptanz durch die Betroffenen», so Fabienne Renggli. Eine KI könnte diesen Prozess in Zukunft unterstützen.

Referenzen

– Hofer, C., Schmid, E., Renggli, F.J. & Golz, Ch. (2024). Gerechtigkeit in der Dienstplanung: die Auswirkung auf die Arbeitszufriedenheit in der Pflege und die Sicht der Planungsverantwortlichen. In: HBScience, 15, S. 18–27. doi: 10.1007/s16024-024-00403-2 – Peter, K. A., Voirol, C., Kunz, S., Gurtner, A., Renggli, F., Juvet, T. & Golz, Ch. (2024). Factors associated with health professionals’ stress reactions, job satisfaction, intention to leave and healthrelated outcomes in acute care, rehabilitation and psychiatric hospitals, nursing homes and home care organisations. In: BMC Health Services Research, 24. doi: 10.1186/s12913-024-10718-5

Autor: Sandro Nydegger, Kommunikation Departement Gesundheit

Hohe Anforderungen an Führungskräfte

Dr. Rainer Gaupp diskutiert die Herausforderungen, denen Führungskräfte im Gesundheitswesen gegenüberstehen. Von Fachkräftemangel und Digitalisierung bis hin zu Regulationen und Innovationen – er beleuchtet, wie Führungskräfte diese Hürden erfolgreich meistern können.

Rainer Gaupp, vor welchen Herausforderungen stehen Führungskräfte im Gesundheitswesen?

In fast jeder Branche herrscht die Denke, dass sie einzigartige Herausforderungen hat. Ich finde nicht, dass dies der Fall ist. Was aber im Gesundheitswesen relevant ist, ist die Expertenorganisation. Hier engagieren sich Fachpersonen intensiv für ihr Gebiet. Besonders in akademischen Gesundheitseinrichtungen, wo Forschung und Versorgung ineinander übergehen, ist das Interesse am Fach oft grösser als am unternehmerischen Erfolg der Organisation.

Zur Person

Dr. Rainer Gaupp ist Leiter Unternehmensentwicklung der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel und hat verschiedene Lehraufträge an der BFH, unter anderem im MSc Pflege, im CAS Qualitätsmanagement und im neuen MSc Healthcare Leadership. In letzterem verantwortet er das Modul Strategisches Denken und Handeln.

Warum ist das so?

Viele, die in Gesundheitsberufen tätig sind, interessieren sich vor allem für den Menschen. Unternehmerisches Denken ist ihnen oft fremd. Als Führungskraft muss man sich dessen bewusst sein und damit umgehen können.

Welche weiteren Herausforderungen gibt es im Gesundheitswesen?

Ein weiterer Punkt ist die starke Regulierung und die Bindung an Tarifsysteme. Führungskräfte müssen eine Balance zwischen Effizienz und Versorgungsqualität sowie Patientensicherheit finden. Der Druck durch Tarife und Qualitätsvorgaben erfordert stark optimierte digitale Prozesse. Dazu kommt der Fachkräftemangel, der besonders kleinere Spitäler und weniger attraktive Standorte betrifft.

Können solche Herausforderungen noch bewältigt werden?

Ja, durch ein klar fokussiertes Mindset, bei dem die Patient*innen im Mittelpunkt stehen. Patientenfremde Aufgaben sollten möglichst automatisiert werden. Die Offenheit für die digitale Transformation ist ebenfalls wichtig, auch wenn sie oft als Herausforderung und zu wenig als Chance gesehen wird. Dieses Mindset müssen Führungskräfte speziell fördern. Zudem ist politisches Verständnis und Engagement wichtig. Führungskräfte sollten sich in Verbänden engagieren, um beispielsweise das Tarifsystem mitzugestalten.

Welche Anforderungen stellen Sie an Führungskräfte in der Branche?

Führungskräfte sind Change Agents. Sie tragen Transformationen mit und begleiten die Mitarbeitenden dabei. Change Management ist nicht exotisch, sondern allgegenwärtig. Auch nehme ich wahr, dass Mitarbei-

tende im Gesundheitswesen persönliche und individuelle Beziehungen zu ihren Vorgesetzten erwarten, so wie sie es ihren Patient*innen bieten. Führungskräfte müssen also auf individueller Ebene führen und viel Beziehungsarbeit leisten.

Muss man aus dem Gesundheitswesen kommen, um im Gesundheitswesen zu führen?

Nicht unbedingt. Externe Expertise kann wertvolle neue Perspektiven bringen und den Fachkräftemangel lindern.

Wie hat sich die Arbeit im Gesundheitswesen in den vergangenen Jahren verändert?

Die Bedürfnisse der Patient*innen haben sich verändert, sie stellen höhere Ansprüche an die Gesundheitsversorgung. Der regulatorische Druck hat stark zugenommen. Externe Anforderungen, zum Beispiel aus dem Qualitätsmanagement sowie die Notwendigkeit der Datenerhebung, haben die Arbeit sowohl in kleinen Geburtshäusern als auch in grossen Kliniken stark verändert. Führungskräfte müssen ihre Mitarbeiter*innen heute anders einsetzen und administrativen Aufgaben mehr Gewicht geben. Regulationen und Berichterstattungspflichten werden in Zukunft weiter zunehmen. Diese sind sinnvoll, machen das System aber auch komplizierter. Sie bieten vor allem auch Chancen für neue Karrieremöglichkeiten von Gesundheitsfachpersonen, die sich hierauf spezialisieren.

Wie kann eine Führungsperson Innovationen im eigenen Gesundheitsunternehmen fördern?

Im Gesundheitswesen gibt es viele administrative Hürden und Hierarchien, die Innovationen behindern – anders als in Start-ups, die für ihre Idee brennen und agiler sind. Grosse Unternehmen begegnen diesem Problem mit Innovationsprogrammen oder dem Aufkauf von Start-ups. Das Gesundheitswesen könnte besser mit der Start-up-Welt interagieren und eine Innovationskultur fördern, die agiles Arbeiten und den Mut zur Lücke unterstützt. Führungskräfte sollten Entscheidungshoheiten abgeben und die Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden nutzen.

Das Tarifsystem ist kein Hindernis bei Innovationen?

Das Tarifsystem bildet die aktuelle Realität oft nicht ab. Es kann ein Hindernis sein, aber die Organisationen müssen lernen, damit umzugehen und sich selbst zu verändern. Das Tarifsystem ist wichtig für Health Equity in der Schweiz. Wenn wir effizienter arbeiten, wirkt sich dies auch positiv auf das Tarifsystem aus. Hier gilt es anzusetzen.

Welche Trends und Herausforderungen sehen Sie als besonders relevant für die Führungspersonen im Gesundheitswesen – lokal und global?

Auf lokaler Ebene ist der Fachkräftemangel die grösste Herausforderung, gefolgt von der digitalen Transformation, die aber auch zur Lösung des Fachkräftemangels beitragen kann. Auf globaler Ebene stehen Themen wie Health Equity und Krisenmanagement wie während der Pandemie im Vordergrund. Die digitale Transformation wird Therapie und Arbeitsaufgaben weiter verändern. Auch der demografische Wandel, geopolitische Krisen und das immer wichtiger werdende Thema Nachhaltigkeitsmanagement werden das Gesundheitswesen stark beeinflussen.

Wie können sich Führungskräfte im Gesundheitswesen auf diese Entwicklungen vorbereiten?

Durch Offenheit für Veränderungen, lebenslanges Lernen und interprofessionelles Arbeiten – sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Branche.

Interview:

Nicole Schaffner, Kommunikation

Unsere Weiterbildungen für Führungspersonen

Erfahren Sie mehr zum neuen MSc Healthcare Leadership und unseren Weiterbildungsmöglichkeiten für Führungspersonen auf unserer Webseite.

Hebammengeleitete Geburt:

Ein Modell für die Zukunft?

In der Schweiz übernehmen Hebammen selten eigenverantwortlich die Betreuung während Schwangerschaft und Geburt, obwohl Studien belegen, dass hebammengeleitete Geburten sicher sind und Vorteile bringen. Das Lindenhofspital in Bern gehört zu den wenigen Schweizer Kliniken, die dieses Modell anbieten.

«Es ist bemerkenswert», sagt Fanny Mewes, «viele Schwangere sehen eine Hebamme erstmals, wenn sie mit Wehen ins Spital kommen!» Die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berner Fachhochschule ist selbst Hebamme im Geburtshaus «Le Petit Prince» in Villarssur-Glâne. Hier setzt man auf eine langfristige, persönliche Beziehung zwischen Hebamme, der Schwangeren und ihrer Familie. Diese Beziehung beginnt während der Schwangerschaft mit einem Erstgespräch und endet oft erst zum Ende der Stillzeit.

Die Entbindung in einem Geburtshaus bildet in der Schweiz die Ausnahme. 95 Prozent der Geburten finden hier in einem Spital statt. Dabei ist in der Regel die Gynäkologin oder der Gynäkologe die wichtigste medi-

Andere Länder, andere Geburten

Kaiserschnittrate

Quelle: OECD

zinische Bezugsperson während der Schwangerschaft. Hebammen kommen meist erst spezifisch bei der Geburt und im Wochenbett zu Einsatz. Das steht im Gegensatz zum Betreuungsmodell, wie es Fanny Mewes gewohnt ist. Hier ist die Hebamme die wichtigste Ansprechperson der Schwangeren. Sie führt die Schwangerschaftskontrollen durch und sie entscheidet, ob eine Ärztin oder ein Arzt zugezogen werden muss.

Im Ausland verbreitet

Dieses hebammengeleitete Geburtsmodell ist in skandinavischen Ländern, im Vereinigten Königreich oder in den Niederlanden Normalität. Die Entbindung findet zwar auch dort meist im Kreisssaal statt, doch es sind die Hebammen, die die Frauen während der Schwangerschaft betreuen und auch während der Geburt die Hauptverantwortung tragen. In Schweden führen Hebammen beispielsweise die Ultraschall-Untersuchungen durch – eine Kompetenz, die sie in der Schweiz nicht haben.

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass hebammengeleitete Geburten sicher sind, weniger medizinische Eingriffe zur Folge haben und zu einer höheren Zufriedenheit bei den beteiligten Personen führen. Tatsächlich sind die Kaiserschnittraten in den skandinavischen Ländern und in den Niederlanden auffallend tief: Kommt in der Schweiz rund jedes dritte Kind per Kaiserschnitt auf die Welt, so ist es in Skandinavien nur jedes sechste.

Im Rahmen eines zweijährigen Pilotprojekts bietet das Lindenhofspital in Bern ein hebammengeleitetes Betreuungsmodell an. Schwangere Frauen können wählen, ob die Schwangerschaftskontrollen durch eine Hebamme oder durch die Ärzteschaft erfolgen soll. Die Geburt findet im Lindenhofspital statt. Bei einem normalen Geburtsverlauf werden die Frauen durch die diensthabende Hebamme betreut. Bei Bedarf steht je -

derzeit eine Ärztin oder ein Arzt zur Verfügung. Nach der Geburt werden Mutter und Kind auf der Wochenbettabteilung weiter von den Hebammen betreut.

Ausser der kinderärztlichen Visite finden in der Regel keine weiteren Arztvisiten statt.

Die Lindenhofgruppe will damit eine aktive Rolle bei der Gewährleistung einer zeitgemässen geburtshilflichen Versorgung übernehmen und ihre Attraktivität für Frauen und Familien steigern. Daneben will sie auch eine attraktive Arbeitgeberin für Hebammen und Ärzt*innen sein, indem ihnen die Möglichkeit geboten wird, in einem innovativen Versorgungsmodell mitzuarbeiten.

Auch für die Hebammen erfüllender

Im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit an der BFH begleitet Fanny Mewes das Betreuungsmodell im Lindenhof. Sie sieht viel Potenzial in der Integration von hebammengeleiteten Modellen auch in den Schweizer Spitälern: «Für mich ist das ein Schritt in die richtige Richtung.» Das hebammengeleitete Betreuungsmodell wäre für gesunde Frauen mit physiologisch verlaufenden Schwangerschaften eine gute Alternative, das zeigt die wissenschaftliche Evidenz. Zusätzlich würde aber auch das Gesundheitswesen profitieren, da Studien zeigen, dass hebammengeleitete Modelle kostengünstiger sind als das herkömmliche Versorgungsmodell unter

ärztlicher Leitung. Und zu guter Letzt bereichern hebammengeleitete Modelle auch die Arbeit der Hebammen: «Als Hebamme ist es für mich erfüllender, die Frauen über eine längere Zeit zu betreuen», meint Fanny Mewes. Ihre Vision ist, dass die schwangere Frau ihre Hebamme nicht erst beim Blasensprung kennenlernt, sondern dass sie bereits zu Beginn der Schwangerschaft die erste Ansprechpartnerin ist.

Referenzen

– Sandall, J., Soltani, H., Gates, S., Shennan, A. & Devane, D. (2016). Midwife-led continuity models versus other models of care for childbearing women. In: The Cochrane Database of Systematic Reviews, 4(4). doi: 10.1002/14651858.CD004667.pub5

– Scarf, V. L., Rossiter, C., Vedam, S., Dahlen, H. G., Ellwood, D., Forster, D., Foureur, M. J., McLachlan, H., Oats, J., Sibbritt, D., Thornton, C. & Homer, C. S. E. (2018). Maternal and perinatal outcomes by planned place of birth among women with low-risk pregnancies in high-income countries: A systematic review and meta-analysis. In: Midwifery, 62, S. 240–255. doi: 10.1016/ j.midw.2018.03.024

Autor:

Sandro Nydegger, Kommunikation Departement Gesundheit

Fanny Mewes in einem Zimmer des Geburtshauses «Le Petit Prince» in Villars-sur-Glâne. (Bild: Sandro Nydegger)

Welche Rolle spielen Vergütungssysteme bei der Arbeitslast?

Das Schweizer Fallpauschalensystem setzt Spitäler unter Druck, wirtschaftlich zu arbeiten. Ärzt*innen und Pflegepersonal müssen dabei zunehmend finanzielle Aspekte berücksichtigen, was ihre Arbeitsbelastung erhöht. Unklar bleibt, wie stark das System die Versorgungsqualität beeinflusst.

Schweizer Spitäler verwenden für die Leistungsabrechnung das Fallpauschalensystem Swiss-DRG. Dieses System legt fest, wie viel Geld ein Spital für eine bestimmte Behandlung erhält. Patient*innen werden anhand ihrer Diagnosen und der durchgeführten Prozeduren in Fallgruppen eingeordnet, für die ein Kostengewicht festgelegt ist. Dadurch trägt das Spital die Kosten und wird dazu angehalten, wirtschaftlich zu arbeiten. Auch in anderen Bereichen der Gesundheitsversorgung wie der Physiotherapie gibt es zeitliche und leistungsbezogene Einschränkungen. So ist eine Therapieeinheit auf eine bestimmte Anzahl von Minuten begrenzt – unabhängig vom tatsächlichen Bedarf.

Zusätzlich zu den Vergütungssystemen erhöhen Qualitätsmanagement und Dokumentationsanforderungen die Arbeitsbelastung des Personals. Laut dem Spitalpflegereport stieg die Arbeitsbelastung durch die Einführung neuer Informationssysteme wie Patientendatenmanagementsysteme bei rund 39 Prozent der befragten Pflegefachpersonen (Arnold et al., 2024). Ausserdem sind bei der Abrechnung häufig Rücksprachen mit Versicherungen notwendig.

Vergütungssysteme und ihre Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung Es gibt bisher keine umfassenden Studien, die den direkten Zusammenhang zwischen Vergütungs- und Abrechnungssystemen sowie der Arbeitsbelastung und dem Stress von Gesundheitspersonal untersuchen. Allerdings berichten insbesondere Ärzt*innen zunehmend von finanziellem Druck und der Notwendigkeit, wirtschaftliche Aspekte in ihre Entscheidungen einzubeziehen (Lückmann et al., 2023). In der Schweiz wird das Fallpauschalensystem von Ärzt*innen als ineffizient wahrgenommen, da finanzielle Überlegungen in den Vordergrund rücken (Fässler et al., 2015).

Trotzdem liefern die vorhandenen Studien einige Hinweise darauf, wie sich Vergütungssysteme auf die Patientenversorgung und den Arbeitsalltag auswirken. Das Gesundheitspersonal möchte stets das Wohl der Patient*innen im Blick behalten, während es gleichzeitig die finanzielle Stabilität des Spitals sichern muss. Es liegt nahe, dass finanzielle Anreize wie höhere Vergütungen oder zusätzlich erbrachte Leistungen in den Entscheidungsprozess einfliessen.

Beispiel: Upcoding in der Geburtshilfe Ein Beispiel für die Auswirkungen von Vergütungssystemen ist das sogenannte Upcoding in der Geburtshilfe. Dabei werden medizinische Leistungen höher abgerechnet als sie tatsächlich waren, um mehr Einnahmen zu erzielen. In der Neonatologie spielt das Geburtsgewicht eines Neugeborenen eine Rolle bei der Vergütung: Liegt es unter 2500 Gramm, fällt die Vergütung deutlich höher aus, da der Versorgungsbedarf grösser ist. Studien aus der Schweiz, Deutschland und den USA zeigen, dass in einigen Fällen das Geburtsgewicht manipuliert wird, um höhere Zahlungen zu erhalten. Für die Schweiz wird geschätzt, dass zwischen 14 und 27 Prozent der relevanten Fälle davon betroffen sein könnten (Hochuli, 2020). Solche Manipulationen führen jedoch nicht zwangsläufig zu einer intensiveren Behandlung. Es bleibt schwierig, medizinische und finanzielle Entscheidungen klar voneinander zu trennen (Reif et al., 2018).

Steigende Fallzahlen und sinkende Verweildauer in der Chirurgie

Ein weiteres Phänomen ist die steigende Anzahl von Behandlungen bei gleichzeitig sinkender Verweildauer der Patient*innen im Spital. Während dies für Patient*innen vorteilhaft sein kann, erhöht es den Druck

auf das Personal, da mehr Fälle in kürzerer Zeit bewältigt werden müssen. So ist die Verweildauer bei Bandscheibenoperationen zwischen 2015 und 2022 um etwa einen Tag gesunken, während die Fallzahl um 797 gestiegen ist (siehe Punkt 6 in der Grafik).

Es bleibt jedoch unklar, in welchem Ausmass verschiedene Vergütungssysteme diese Entwicklung beeinflussen und welche Auswirkungen dies auf die Versorgungsqualität hat. Studien liefern hierzu widersprüchliche Ergebnisse (Pott et al., 2023). In der Anfangsphase der DRG-Einführung in der Schweiz wurden zwar weniger Hospitalisierungen, dafür aber mehr Rehospitalisierungen verzeichnet (Busato & von Below, 2010). Bisher fehlen jedoch belastbare Studien, die die genauen Auswirkungen der DRG-Einführung auf die Versorgungsqualität, die Fallzahlen oder sogar die Arbeitsbelastung in der Schweiz untersuchen.

Lösungsansätze

Welches Vergütungssystem belastet den Arbeitsalltag am wenigsten? Ein System, das den Versorgungsprozess nicht beeinflusst, gibt es wahrscheinlich nicht. Bei Einzelleistungsvergütungssystemen, wie sie im ambulanten Bereich üblich sind, wird jede erbrachte Leistung einzeln abgerechnet. Das kann zu einer Vielzahl von abgerechneten Leistungen führen, ohne die Arbeitsbelastung zu verringern.

Ein möglicher Lösungsansatz wäre zu prüfen, wie sich das Vergütungssystem auf die Zeitressourcen des Personals auswirkt. Wie viel Zeit bleibt für die direkte

Betreuung von Patient*innen? Welche vergütungsrelevanten Aufgaben erhöhen den Arbeitsaufwand und die organisatorische Belastung? Auch sollte untersucht werden, ob genügend Zeit für die Dokumentation vorhanden ist und ob diese gut in die Versorgung integriert werden kann. Fehlt diese Zeit, können zusätzliche Arbeitsschritte notwendig werden.

Ein weiterer Ansatz liegt in der Nutzung digitaler Technologien. Künstliche Intelligenz (KI) könnte das Personal entlasten, indem sie die Dokumentation vereinfacht und auf wichtige, versorgungs- und vergütungsrelevante Punkte hinweist. Ausserdem könnte KI in Echtzeit bei Entscheidungen über die Vergütung und Ressourcenverteilung helfen und so die Effizienz und Qualität der Versorgung verbessern.

Referenzen

Die Literatur zu diesem Text können Sie online einsehen.

Autorin:

Prof. Dr. Katharina Blankart, Leiterin Gesundheitsökonomie und -politik

Entwicklung Anzahl chirurgischer Fälle und Aufenthaltsdauer in Tagen im Spital (2015–2022)

1 Blinddarm-Entfernung

2 Kaiserschnitt

3 Entfernung Gallenblase

4 Darmkrebs

5 Bypass-OP

6 Bandscheibenvorfall

7 Endarteriektomie von Gefässen an Kopf und Hals

8 Teil- und Totalendoprothese des Hüftgelenks

9 Entfernung Uterus

10 Ersatz und Revision einer Knieendoprothese

11 Entfernung Brustdrüse

12 Offene Prostatektomie

13 Erweiterung verengte Herzkranzarterien

14 Peripherer Gefäss-Shunt oder -Bypass

15 Leistenhernien-OP

16 Entfernung Schilddrüse

17 Teilsektion der Prostata

18 Entfernung Meniskus

19 Grauer-Star-OP

20 Krampfader-OP

21 Gaumenmandel-OP

Praxisausbildung –ein wichtiges Puzzleteil im Studium

Viele Studierende sammeln in den Praxismodulen ihre ersten Berufserfahrungen. Im Interview erklärt Dajana Hubacher, wie sich Praxisausbildner*innen ideal auf ihre Rolle vorbereiten können und weshalb sie dafür einen neuen CAS entwickelt.

Dajana Hubacher, welche Rolle nehmen die Praxisausbildner*innen (PA) in der Berufsbildung von Gesundheitsfachpersonen ein?

Das Lernen in der Praxisausbildung ist für die Studierenden sehr vielfältig und komplex. Die PA begleiten die Studierenden in ihrem Lernprozess, gestalten gemeinsam mit ihnen eine lernfördernde Umgebung, unterstützen sie bei der individuellen Zielsetzung, um die geforderten Kompetenzen erreichen zu können, und übernehmen Verantwortung bei der Kompetenzbeurteilung. Sie nehmen in diesem Kontext unterschiedli-

Zur Person

Dajana Hubacher ist Physiotherapeutin MSc und hat sich neben berufsspezifischen Weiterbildungen zusätzlich auf die Hochschuldidaktik spezialisiert. Nach vielen Jahren als Studienleiterin Weiterbildung verantwortet sie seit diesem Jahr die Interprofessionelle Weiterbildung am Departement Gesundheit der Berner Fachhochschule.

che Rollen wahr. So sind sie beispielsweise Coach, Expert*in, Beurteiler*in, Teamkolleg*in und auch Vorbild. Die Vereinbarkeit all dieser Rollen kann sehr herausfordernd sein.

Welchen Einfluss hat die Praxisausbildung auf die berufliche Entwicklung der Studierenden?

In ihren Praxismodulen sammeln die Studierenden wertvolle Erfahrungen: Sie erleben zum ersten Mal ihre Berufsrolle und werden sozusagen in der Profession und im interprofessionellen Setting «sozialisiert». Die Entwicklung der Professionsidentität passiert also vorwiegend in der Praxis. Und eine starke Berufsidentität braucht es, um längerfristig im dynamischen Gesundheitswesen tätig zu sein. Sie lernen, sich selbst und ihre Praxis weiterzuentwickeln, zur Stärkung der Profession beizutragen und der Komplexität des Gesundheitswesens erfolgreich zu begegnen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Praxisausbildung wegweisend für die Professionalisierung der Gesundheitsfachpersonen ist.

Welche Kompetenzen erwerben Studierende in den Praxismodulen?

Es geht selbstverständlich um den Transfer des Gelernten in die Praxis. Aber eben nicht nur, sondern um viel mehr: In den Praxismodulen entwickeln die Studierenden eigene Einstellungen und Werte, ein Verständnis für die eigene Profession, die eigene Rolle und die Rollen der verschiedenen Gesundheitsprofessionen in der interprofessionellen Versorgung der Patient*innen. Sehr zentral in der Praxisausbildung sind die sogenannten überfachlichen Kompetenzen (Soft Skills). Dazu gehören beispielsweise zwischenmenschliche Fähigkeiten, die die Studierenden im Kontakt mit Patient*innen und ihren Angehörigen und Kolleg*innen weiterentwickeln.

Auch die Kompetenz, sich selbst und die Profession kritisch zu evaluieren respektive zu reflektieren gehört dazu. Reflexionsfähigkeit in Kombination mit der Fähigkeit zu kritischem Denken ist relevant, wenn wir beispielsweise von «Lifelong Learning» verbunden mit kontinuierlicher beruflicher Weiterentwicklung sprechen.

Welchen Stellenwert nimmt das Coaching ein?

In der Medical Education gewinnt das Coaching der Studierenden in ihrem Lernprozess zunehmend an Bedeutung. Insgesamt geht es um einen studierendenzentrierten Lernprozess, in dem die Studierenden die Steuerung und Verantwortung für ihr individuelles und persönliches Lernen und damit für ihre kontinuierliche Weiterentwicklung übernehmen.

Wir wissen, dass es den PA mit einem CoachingAnsatz gelingt, die oben genannten Kompetenzen zu fördern und den Lernprozess der Studierenden optimal zu begleiten. Wie das funktioniert? Als Coach beantworte ich die Fragen der Studierenden in einem Lernprozess nicht direkt, sondern stelle die «richtigen» Fragen. Zudem erfasse ich, wie viel und welche Unterstützung die Studierenden brauchen, um im Lernprozess einen nächsten Schritt zu gehen. Ich weiss, mit welchen Methoden ich den Lernprozess ganz im Sinne der studierendenzentrierten Lehre fördere. Um nachhaltiges Lernen zu ermöglichen, ist aus meiner Sicht die Rolle als Coach zentral. Gleichzeitig ist es das Zusammenspiel der verschiedenen Rollen, die situationsgerecht eingesetzt werden müssen.

Was erwartet die interessierten Praxisausbildenden im neuen CAS?

Wie bereits erwähnt, sind die Rollen der PA sehr komplex und vielfältig. Unser Ziel ist es, den PA eine attraktive Weiterbildung anzubieten, damit sie dieser Verantwortung gerecht werden können. Viele PA begleiten die Studierenden bereits sehr gut in ihrem Lernprozess und greifen dabei auf ihre eigenen Erfahrungen und ihre Intuition zurück. Aus ihren Rückmeldungen wissen wir, dass dies gerade in komplexen Situationen und schwierigen Lernprozessen nicht ausreicht. Mit dem CAS kommen wir der Nachfrage der PA nach, sich für diese Herausforderungen zu wappnen. Der CAS baut auf dem bereits bestehenden Fachkurs Praxisausbildung Gesundheit auf. Die Absolvierenden des CAS werden über eine vertiefte Expertise im Bereich Praxisausbildung verfügen, um Lernprozesse optimal begleiten und Ausbildungskonzepte für die Praxis erarbeiten zu können.

CAS Coaching und Praxisausbildung

– Im CAS sensibilisieren wir Praxisausbildende für die komplexen Anforderungen ihrer Rolle und vermitteln notwendige Fertigkeiten sowie ein klares Rollenverständnis.

– Unser didaktisches Konzept richtet sich an alle Gesundheitsfachpersonen in der Praxisausbildung – unabhängig von Erfahrung oder einem absolvierten SVEB. Rückmeldungen zeigen, dass alle davon profitieren.

– Das Angebot ist hochschulunabhängig, sodass keine BFH-spezifischen Vorgaben vermittelt werden. Dies ist besonders wertvoll für Praxisausbildende, die Fachpersonen oder Studierende aus verschiedenen Institutionen begleiten.

– Der CAS ist ein multiprofessionelles Angebot und spricht alle an, die Professionalisierungsprozesse von Gesundheitsfachpersonen in der Praxis begleiten.

– Der CAS eignet sich auch für Personen mit (geplanter) Ausbildungsverantwortung.

– Neben Kompetenzen zur Praxisausbildung erwerben die Teilnehmenden wertvolle Selbstkenntnisse sowie Methoden, die auch bei ersten Führungserfahrungen hilfreich sind.

Interview: Isabelle

Der CAS ist in Entwicklung. Kontaktieren Sie Dajana Hubacher für weitere Informationen.

Praxismodule verbinden Theorie und Praxis – und gehen weit über den reinen Wissenstransfer hinaus.

Studienstart: 488 neue GesundheitsTalente an der BFH

Das Departement Gesundheit der Berner Fachhochschule begrüsste im Herbst 2024 insgesamt 488 neue Studierende. Besonders hervorzuheben ist der neue Master-Studiengang Healthcare Leadership, der zukünftige Führungskräfte im Gesundheitswesen ausbildet. Dieser startete mit 13 Studentinnen. 372 Studierende haben ein Bachelor-Studium begonnen, davon 139 in der Pflege, dem grössten Bachelor-Studiengang. Der Männeranteil liegt weiterhin bei 13 Prozent. Trotz stabiler Anmeldezahlen wird angesichts des Fachkräftemangels weiteres Wachstum angestrebt.

bfh.ch/studienstart-g

Pflegeinitiative: BFH gestaltet Zukunft der Pflegeausbildung mit

Die Berner Fachhochschule setzt seit Sommer 2024 die Pflegeinitiative um. Im Fokus stehen zwei Programme: EduKom, eine Werbekampagne zur Förderung des Bachelor-Studiengangs Pflege, und EduFlex, das Extended Reality in den Unterricht integriert. Die BFH möchte die Pflegeausbildung attraktiver gestalten und verstärkt die praktische Lernerfahrung durch VR-Simulationen und neue Fallsituationen. Zusätzlich werden Schnuppertage für Interessierte angeboten. Neben der Pflegeinitiative optimiert die BFH ihre Studiengänge und engagiert sich in der Forschung zu Digitalisierung und Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen.

bfh.ch/zukunft-pflege

BFH-Team gewinnt Jury-Award am CYBATHLON 2024

Das interdisziplinäre Team BFH-FAIR aus Forschenden und Studierenden der Departemente Technik und Informatik sowie Gesundheit der BFH haben einen Roboterarm entwickelt, der Tetraplegiker*innen bei alltäglichen Aufgaben helfen soll. Am Wettbewerb für Assistenztechnologien der ETH Zürich wurde das Team für sein innovatives und praxisnahes Design mit dem Jury Award ausgezeichnet. Für das Team geht es nach dem Cybathlon weiter: Jetzt soll zuhause bei Betroffenen untersucht werden, wie der Roboterarm in der Praxis eingeführt werden kann. Zudem untersucht das Team gesundheitsökonomische Aspekte der Implementierung.

bfh.ch/cybathlon

Bild: BFH
Bild: BFH

School Nurses könnten Gesundheitslücke an Berner Schulen schliessen

Immer mehr Schüler*innen im Kanton Bern benötigen gesundheitliche Betreuung, doch der Fachkräftemangel im schulärztlichen Dienst erschwert die Versorgung. Forschungsergebnisse der BFH zeigen, dass der Einsatz von School Nurses eine Lösung sein könnte. Sie könnten als niederschwellige Ansprechpersonen fungieren, Lehrpersonen entlasten und die Betreuung von chronisch kranken oder psychisch belasteten Kindern übernehmen. Die BFH bietet seit Herbst 2024 passende Wahlmodule im MasterStudiengang Pflege an und plant Pilotprojekte, um das Gesundheitsmodell der School Nurses in Berner Schulen zu testen.

bfh.ch/school-nurse-bern

Forschungsprojekt:

Neuer Blick auf reproduktive Rechte und Gesundheit

Das Forschungsprojekt REFPER untersucht die reproduktive Gesundheit geflüchteter Frauen. Es zeigt Versorgungslücken im Schweizer Asylwesen auf, insbesondere im Bereich Familienplanung und Verhütung. Auf einer Tagung zur reproduktiven Gerechtigkeit präsentierten die Forschenden ihre Erkenntnisse und brachten die Betroffenenperspektive in Dialog mit Fachleuten. Projektleiterin Milena Wegelin betont die Bedeutung eines partizipativen Forschungsansatzes, um die Erfahrungen der Frauen direkt in die Forschung einzubeziehen. Die Studie verdeutlicht den Einfluss struktureller Bedingungen auf die reproduktiven Rechte und fordert einen breiteren Diskurs zur Verbesserung.

bfh.ch/refper-news

Nahrungsergänzungsmittel für Kinder: Kritische Punkte aufgedeckt

Ein BFH-Forschungsteam hat in Zusammenarbeit mit der Stiftung für Konsumentenschutz eine Marktstudie zu Nahrungsergänzungsmitteln für Kinder durchgeführt. Von 20 getesteten Produkten, die als kindgerecht beworben werden, überschreiten drei Viertel die schweizerischen Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Alle Produkte sind gesüsst und erinnern in ihrer Aufmachung häufig an Süssigkeiten. Zudem sind die Angaben zur Dosierung oft ungenau, und Health Claims können bei Eltern falsche Erwartungen wecken. Laut einer deutschen Studie ist die Einnahme solcher Mittel bei einer ausgewogenen Ernährung meist nicht notwendig. Vergleichbare Daten für die Schweiz folgen im Sommer 2025 mit der Ernährungserhebung «menuCH Kids».

bfh.ch/nahrungsergaenzungsmittel-kinder

Bild: Adobe Stock
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Nutri-Score: Argumente für und gegen die Nährwertkennzeichnung

Der Nutri-Score, ein freiwilliges Kennzeichnungssystem, zeigt den Nährwert von Lebensmitteln auf einer Skala von A bis E und soll Verbraucher*innen beim Einkauf unterstützen. Während er in Ländern wie Deutschland und Frankreich etabliert ist, bleibt er in der Schweiz umstritten. Befürworter*innen loben seine einfache Anwendung und die Förderung gesünderer Produkte. Kritiker*innen bemängeln, dass unverarbeitete Lebensmittel benachteiligt und Schlupflöcher für ungesunde Produkte geschaffen werden. Ernährungsexpert*innen der BFH betonen, dass Sensibilisierungskampagnen nötig sind, um die korrekte Anwendung und Wirkung des Nutri-Scores zu maximieren.

bfh.ch/nutriscore-news

Benachteiligung von Frauen im Schweizer Gesundheitswesen

Der Einfluss des Geschlechts auf die Gesundheit ist unbestritten, doch in der Schweiz bestehen weiterhin Wissens- und Versorgungslücken. Ein Postulat forderte den Bundesrat auf, diese zu schliessen. Der Bericht des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung (IZFG) und der BFH, Grundlage der Antwort des Bundesrats, identifiziert sechs Problembereiche: von Forschung und Diagnostik über Prävention bis zur Ausbildung im Gesundheitswesen. Der Bundesrat priorisiert Massnahmen, um geschlechtsspezifische Aspekte systematisch in der Gesundheitsversorgung zu berücksichtigen.

bfh.ch/frauen-gesundheit

Studium an der BFH: Infoveranstaltungen

Master of Science in Ernährung und Diätetik 12. Dezember 2024, 16. Januar 2025

18 bis 19 Uhr

Online

bfh.ch/msc-ernaehrung

Master of Science Hebamme 19. Dezember 2024

17 bis 18 Uhr

Online

bfh.ch/msc-hebamme

Master of Science in Pflege 21. Januar 2025

17.15 bis 18.15 Uhr

Online

bfh.ch/msc-pflege

Master of Science in Physiotherapie

30. Januar 2025

19 bis 20 Uhr

Online

bfh.ch/msc-physiotherapie

Master of Science in Healthcare Leadership 21. Januar 2025, 19. Februar 2025

18 bis 19 Uhr

Online

bfh.ch/msc-healthcare-leadership

Bild: Adobe Stock

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bfh_gesundheit

Berner Fachhochschule

Departement Gesundheit

Murtenstrasse 10

3008 Bern

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