Was Mitt Romney den Europäern erklären muss

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26.07.2012, 14:17

US-Wahlkampf: Was Mitt Romney den Europäern erklären muss

© Bild: 2012 DPA/Shawn Thew Kommentar Die Europapolitik des US-Präsidentschaftskandidaten ist nebulös und veraltet. Bei seiner Reise nach Großbritannien und Polen muss er seinen EU-Partnern erklären, wofür er steht. von Annette Heuser und Tyson Barker Annette Heuser ist Executive Director, Tyson Barker Director Transatlantic Relations der Bertelsmann Stiftung in Washington. Mitt Romneys erste Auslandsreise als Bannerträger der US-Republikaner wird ihn am Ende in zwei europäische Staaten führen. Wohl als Botschaft an potenzielle Wähler zu Hause gedacht (insbesondere an die Reagan-Demokraten unter den Arbeitern im Mittleren Westen), geht es bei dem Besuch vor allem um die politische Optik. Wenn er Station in London macht, soll das auf seine erfolgreiche frühere Organisationsarbeit für die Olympischen Winterspiele 2002 in Salt Lake City anspielen; seine Erfahrung als Wirtschaftsfachmann mit nüchternem Geschäftssinn soll Nachhall im Wahlkampf finden. Seine Danzig- und Warschau-Besuche werden das "Eiserne Dreieck" in den Mittelpunkt rücken, das


der kommunistischen Herrschaft dort das Rückgrat brach: den Mut der Polen, den Katholizismus und die Entschlossenheit des Westens. Kein Zufall, dass man in wichtigen umkämpften USBundesstaaten wie Ohio und Pennsylvania immer wieder auf Einwanderer polnischer Herkunft trifft. Eine unvollkommene "Vision" Romneys Besuch wird zwangsläufig mit jenem des damaligen Kandidaten und heutigen USPräsidenten Barack Obama in Deutschland im Juli 2008 verglichen, der sich auf den Stufen der Berliner Siegessäule resolut zum "Weltbürger" erklärte. Der republikanische Kandidat wird Gelegenheit haben, seine Vorstellungen von den amerikanisch-europäischen Beziehungen darzulegen - eine "Vision", die bislang noch unvollkommen ist und auf veralteten Gemeinplätzen beruht. In ihrer derzeitigen Form erinnert Romneys Europa-Politik an ein Weltbild, das eher wie 1982 anmutet. So bezeichnete er im März 2012 Russland als "geopolitischen Feind Nummer eins". Vor Kurzem warnte er in einem seiner beliebtesten verteidigungspolitischen Surrogate vor der "schleichenden sowjetischen Bedrohung in der Arktis", an anderer Stelle erklärte er, mit der Entscheidung der Regierung Obama für einen anpassbaren Stufenplan in der Raketenabwehr werde die "Tschechoslowakei" im Stich gelassen. So bedeutungslos diese unglücklichen Äußerungen auch sind, fügen sie sich doch insgesamt zu einer Weltsicht, die eher in die Zeit des Kalten Krieges passt. Im Romney-Lager scheint man zu übersehen, dass die Kooperation der russischen Seite wesentlich für die Fortführung der Isaf-Mission in Afghanistan ist, dass die Abrüstung im Rahmen des Start-Prozesses zur Effizienz des US-Militärs und zur Sicherheit in der Welt beiträgt und dass der Beitritt Russlands zur WTO Moskau dazu zwingt, höhere Standards für die Rechtsstaatlichkeit zu akzeptieren. Was nicht heißt, die amerikanisch-russischen Beziehungen seien unproblematisch. Russlands Halsstarrigkeit angesichts des syrischen Bürgerkriegs widerspricht der humanitären Verantwortung, die den ständigen Mitgliedern im Uno-Sicherheitsrat obliegt. Die restriktiven neuen Gesetze des Kreml, die Nichtregierungsorganisationen und Internetnutzer unter Druck setzen, stellen selbst ein elementares zivilgesellschaftliches Engagement infrage. Und die endemische Korruption im Lande ist besorgniserregend. Vielmehr also sind die Beziehungen Russlands zu den USA und Europa kompliziert und schwierig - sie lassen sich nicht mit simplen, unzeitgemäßen Schlagworten fassen. In Polen rechnet man damit, dass Romney die "Reset"-Politik Obamas gegenüber Russland kritisiert, wobei Washington und Warschau deutliche Parallelen in der Russland-Politik aufweisen. So erklärte Radek Sikorski, der polnische Außenminister, sein Land habe 2007 auf einen Neubeginn in den Russland-Beziehungen gesetzt und den USA damit den Weg geebnet. Selbst im konservativen Polen liegt die Zustimmungsrate für Obama Pew-Umfrageergebnissen zufolge bei 50 Prozent (gegenüber 41 Prozent für George W. Bush im letzten Amtsjahr).


Außer Kritik an Obamas Russland-Politik zeichnet sich Romneys Vision vor allem durch Konzeptionslosigkeit aus. Sein 48-seitiges Strategiepapier zur Außenpolitik erwähnt Nato und Europäische Union kein einziges Mal. Das wird für seine europäischen Gastgeber - zwei der größten Mitglieder beider Zusammenschlüsse und zudem Länder mit zwei der größten Truppenkontingente der Nato-Mission in Afghanistan - gewiss Anlass zur Sorge sein. Der einzige Lichtblick bei Romneys außenpolitischer Vision besteht in seiner öffentlichen Forderung nach einem transatlantischen Freihandelsabkommen: ein wichtiger positiver Tagesordnungspunkt, der bei den bedeutendsten Staatschefs Europas, darunter Angela Merkel, sicherlich Anklang finden wird. Der Kandidat Romney muss allerdings noch erklären, welche Rolle seine Regierung bei der Bekämpfung der Euro-Krise spielen soll, der inzwischen schwersten außenpolitischen Herausforderung für die USA. "Europa funktioniert hier nicht" In seiner Wahlkampfrhetorik dient ihm Europa hingegen nur als Folie in den innenpolitischen Debatten über Schulden und öffentliche Ausgaben: "Wir werden immer mehr wie Europa. Europa funktioniert nicht in Europa. Und hier wird es niemals funktionieren." Er werde nicht zulassen, dass die Euro-Krise auf die amerikanische Leistungsbilanz durchschlägt; dabei sind die USA längst durch Handels- und Bankenbeziehungen und mit Renditen aus ausländischen Direktinvestitionen indirekt mit betroffen. Romney wird zwangsläufig eine Politik formulieren müssen, die die anhaltende Bedeutung Amerikas als europäische Macht anerkennt. Einst gehörten zum republikanischen außenpolitischen Braintrust einige der besten Kenner der transatlantischen Beziehungen. Was Triebfeder der erfolgreichen amerikanischen Außenpolitik in der zweiten Hälfte des Kalten Krieges war und dem Westen schließlich einen klaren geopolitischen Triumph bescherte, war die kreative Spannung im Mitte-rechts-Lager des außenpolitischen Establishments - von Realisten wie Henry Kissinger und Brent Scowcroft über strikt antikommunistische Kalte Krieger wie Jeane Kirkpatrick bis zu unverfrorenen Pragmatikern wie James Baker. Heute jedoch finden sich die Europa-Beziehungen des republikanischen Kandidaten nur noch in nebelhaften Erklärungen. Die Europa-Reise gibt Romney Gelegenheit, seine außenpolitischen Vorstellungen zu klären. 

Aus der FTD vom 27.07.2012 © 2012 Financial Times Deutschland


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