Reisen in
Burma Bettina Flitner | Fotos Alice Schwarzer | Text
Inhalt Burma im Wandel 20 Bagan und die Kobra 42 Der Inle-See und die Pa-Os 68 Mandalay und die Chinesen 88 Drei Flussfahrten: Ayerwaddy, Kaladan und Delta 112 Ngapali, der Traumstrand und das Fischerdorf 132 Foto端bersicht 150 Die Autorinnen 157
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Burma im Wandel
D
er melancholische Prinz auf der Titelseite ist
für 2015 anstehenden Wahlen mit vielen Stimmen, wenn
Also passierte auf unserer letzten Reise Ende 2011/
es kaum sichtbares Elend in Burma, keine Bettelnden oder
ein Pa-O. Die chinesisch-stämmigen Pa-Os im
nicht gar der Mehrheit rechnen. Ihre Gründerin, die „Lady“,
Anfang 2012 innerhalb von zwei Wochen mehr als in den
gar Verhungernden auf den Straßen, wie im Nachbarland
Nordosten des Landes sind nur eine von über
wie die Tochter des revolutionären Staatsgründers General
20 Jahren zuvor. Als erste kam Hillary Clinton und schüt-
Indien. Sicher, das Land rangiert ganz oben unter den
hundert Ethnien in Burma. Ihre Rebellion gegen
Aung San und Witwe eines Engländers vom Volk genannt
telte zunächst der Lady und sodann Präsident Thein Sein
ärmsten Ländern der Welt. Aber es war einfach ein ganz
den einst von den britischen Kolonialherren geschmie-
wird, war über zwei Jahrzehnte das Symbol der Hoffnung
vor klickenden Kameras lange die Hand. Ihr folgten auf
anderes Leben: mit Kerosinlampen statt Elektrizität, in Bam-
deten Vielvölkerstaat ist beigelegt – und nun managen
in dem von einer postsozialistischen Militärdiktatur bevor-
dem Fuße der britische und sodann der französische
bushütten statt Hochhäusern, mit Longyis (den traditionel-
die Ex-Rebellen ein Pfahl-Hotel mitten auf dem Inle-See.
mundeten Land. Auch wenn das, was Aung San Suu Kyi tat,
Außenminister. Beide wollen ihre Deutungshoheit in der
len Wickelröcken) statt Labels und Tanaka statt Kosmetik,
Abends führen sie im Golden Island Cottage in bizarr-
nicht immer realistisch und schon gar nicht zum Besten des
Region nicht verlieren. Der Franzose als einstiger Herr
mit Buddhismus statt Konsumrausch.
anmutigen Kostümen Heimisches für die Gäste auf, mit
Volkes war. So befürwortete sie als erste über 20 Jahre und
von „l’Indochine“ (heute Vietnam, Laos und Kambodscha).
Dennoch, so kann es nicht weitergehen. Das einst
Musik und Tanz. Und der tragische Min Dha, der Prinz, ist
bis zuletzt den von amerikanischen Menschenrechtlern ge-
Die Briten als die Ex-Kolonialherren von Burma, die nach
reichste Land Asiens hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts
der Höhepunkt.
forderten und westlichen Regierungen verordneten Boykott
56 Jahren harter Herrschaft außer Landes gejagt wurden,
kein Gesundheitssystem, kein Bildungssystem, kein Rechts-
Burmas. Der trieb das Land in den Ruin und vollends in die
aber bis heute ihren Boden- und Immobilien-„Besitz“ in
system und keine funktionierende Wirtschaft, nur Naivität
Arme seines mächtigen Nachbarn China.
der Region zurückfordern. Wie das so war in der Kolonial-
oder Raffgier. Aber es hat seine Menschen, seine Kultur,
Wenig hat mich so berührt wie dieser Tänzer in der traditionellen Rolle des Prinzen. Verkörpert er doch diese versinkende Welt; die Trauer, aber auch die Hoffnung, zwi-
Es war dann zu aller Überraschung der jüngste unter
zeit, erzählt niemand so eindrücklich wie George Orwell,
sein Land: überwältigende Landschaften, einen allgegen-
schen der die Burmesen heute schwanken. Ich schreibe
den alten Generälen, der den Schritt zur Öffnung des ver-
einst britischer Polizeioffizier in Burma. Er stieg 1927 aus
wärtigen Buddhismus und liebenswürdige Menschen.
diesen Text im Mai 2012, nach unserer sechsten Reise
schlossenen Landes wagte: Thein Sein, den heute alle,
und schrieb seinen ersten Roman über das triste Herren/
Noch nie bin ich in einem Land so unbefangen im Dun-
nach Burma in den letzten zwölf Jahren. Die Fotos in die-
auch die Lady, für integer und guten Willens halten. Eine
Sklaven-Verhältnis zwischen Engländern und Burmesen:
keln durch Stadtzentren wie durch Townships und über
sem Buch entstanden in den Jahren 2000 bis 2012. Jetzt
Öffnung, die Chance und Gefahr zugleich ist für das bisher
„Tage in Burma“. Das Buch wurde bis vor kurzem im eng-
einsame Strände geschlendert, nirgendwo so offen auch
befindet sich das so lange isolierte Land in einem rasan-
relativ unberührte Land und seine entsprechend ahnungs-
lischen Original an zahlreichen offiziellen Stellen für einen
in den ärmsten Hütten empfangen worden wie in diesem
ten Wandel. Es ist schwer zu sagen, wie es in dem so
lose Bevölkerung: Freie Wahlen, eine realistische Währung,
Dollar angeboten. Allmählich verschwindet es, so wie die
Land. Tipp: Unbedingt eine Taschenlampe mitnehmen.
verwunschenen Land zwischen China und Indien in ein
Internet und Fernsehen – und das Ende der Boykotte.
Erinnerung an die Kolonialzeit. Die letzten Zeitzeugen
Der Strom fällt oft aus.
paar Jahren aussehen wird.
Der Westen hat ein Interesse an Burma, nicht nur
sterben.
Wir sind durch Thein Gyi, die mittelalterlichen Markt-
Anfang April haben Nachwahlen für 45 von 485 Parla-
wirtschaftlich, sondern auch und wohl vor allem geopo-
1948 wurde Burma unabhängig und nach einer
hallen von Yangon gestreift und haben mit den Burmesen
mentssitzen stattgefunden. 43 gingen an die „Nationale Liga
litisch: Burma teilt eine 2.000-Kilometer-Grenze mit China,
wechselvollen halbdemokratischen Phase putschten 1962
barfuß bei Sonnenuntergang die unvergleichliche Swe-
für Demokratie“ (NLD), die Partei von Aung San Suu Kyi. Das
der kommenden Weltmacht. Da ist der Westen gern so
die Generäle und führten ein sozialistisches Regime ein.
dagon umrundet. Wir haben die Tausend-Pagoden-Fel-
ist viel. Zu viel für die Generäle, denn die NLD kann bei den
dicht wie möglich auf Posten.
Die Folge: Isolation, Stagnation und Korruption. Doch gab
der von Bagan durchwandert und unter dem mächtigen
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Eulen-Baum am Ayerwaddy lauwarmes Myanmar-Bier
zu gewinnen. Die größte Gefahr beschwörte Präsident
jetzt nur noch für innerburmesische Flüge genutzt wird,
blieb mit ramponierten Straßen und verfallenden Häusern
getrunken. Wir haben auf den staubigen Straßen von
Thein Sein erneut am 4. Januar 2012, dem Tag der nationa-
ist ein überdimensionierter Beton/Glaskasten entstanden,
aus der Kolonialzeit zurück. Es heißt, die Generäle hätten
Mandalay in Fahrrad-Rikschas unser Leben riskiert und
len Unabhängigkeit: das Zerbrechen der „nationalen Ein-
dessen vier Gates bis auf eines brachliegen, noch. An den
den Umzug nicht ohne Befragung diverser Orakel vollzo-
den Goldbeatern beim Schlagen der Goldplättchen zuge-
heit“. Sollte das passieren, droht Burma ein jugoslawisches
Marktständen verdrängt die Plastikware aus China zuneh-
gen. Auch damit wären sie volksnah. Denn neben dem
sehen, die im ganzen Land als Zeichen der Ehrerbietung
Schicksal. Nicht minder heikel ist der Übergang von der
mend das burmesische Handwerk. Neben den Männern
Buddhismus existiert ein lebendiger Glaube an die Nats,
meterdick die Buddhas bedecken. Wir sind vom nörd-
alten Militärdiktatur zur neuen Demokratie. Daran stricken
in Wickelröcken schlendern neuerdings Jungs in Jeans
an Tiergötter und Naturphänomene. Und der Umzug einer
lichen Bhamo aus mit dem öffentlichen Verkehrsboot
natürlich nicht nur die Freunde Burmas. Die Goldgräber
und provozieren die ersten Punks. Zwischen den überfüll-
Regierung bei Beginn einer neuen Ära hatte bereits bei
unter Hunderten von Burmesen und Reissäcken den
und Sextouristen stehen schon ante portas. Noch drohen
ten, uralten Bussen gleiten Autos, ja Vans, und sogar erste
den burmesischen Königen Tradition. Doch gibt es auch
Ayerwaddy hinuntergeglitten und haben gestaunt, wie
Letzteren schwere Gefängnisstrafen (2010 wurde ein Deut-
tiefverschleierte Musliminnen im Tschador sind zu sehen.
rationale Gründe für die Verlegung des Regierungssitzes. In
gut ein Curry mit frischem Fisch aus dem Fluss und so
scher wegen Missbrauchs eines Jungen zu acht Jahren Ge-
Die waren bisher eine unauffällige, integrierte Minderheit
der Tat liegt Naypyidaw in der Mitte des Landes, zwischen
einer verdreckten Bordküche schmecken kann. Wir sind
fängnis verurteilt). Aber wie lange noch? Erste Anzeichen
mit Kopftuch.
den beiden Metropolen Yangon und Mandalay. Vor allem
auf dem Inle-See von einem einstigen Rebellenführer in
für offene Prostitution sind schon jetzt in Yangon zu sehen.
Doch noch, noch ist fast alles beim Alten. Neben
wäre es auch nicht so gefährdet bei einer Invasion vom
den verbotenen Süden des Sees gefahren worden, ha-
Doch die stärkste Veränderung scheint vom Fern-
der buddhistischen Pagode ruft der Muezzin zum Gebet
Meer her. Und damit, mit einem „Einmarsch zur Befreiung“,
ben auf archaischen Märkten die spröden Pa-O-Frauen
sehen auszugehen. Als wir im Jahr 2000 zum ersten Mal
und öffnet die letzte Synagoge ihre Pforten. In der Sule
musste das Regime bis 2005 durchaus noch rechnen.
angelächelt und in einer kleinen Weberei am See einen
durch das Stranddorf Ngapali schlenderten, da gab es
Pagode tafeln die Händler, in der Swe Bontha Street trin-
Jetzt öffnet Burma sich aus eigenen Stücken – wohl
Schal aus Lotusseide erstanden. Wir sind unter Vollmond
ein einziges Fernsehgerät im ganzen Dorf, davor saß die
ken die Wahrsager und Diamantenhändlerinnen Tee, und
auch unter dem Eindruck des „arabischen Frühlings“ (der
auf einem verschmierten Öltanker, allein mit Kapitän und
halbe Nachbarschaft – und auch wir wurden freundlich
auf der goldenen Swedagon, dem höchsten – und wohl
längst zum Winter zu werden droht). Denn der hat allen
Schiffsjungen, den Kaladan hinaufgeschippert bis Mrauk
eingeladen. Heute, im Jahr 2012, hat dort fast jedes Haus,
auch schönsten – Heiligtum des Buddhismus packen die
autoritären Regimen der Welt noch einmal gezeigt, wel-
U, haben nachts die Hyänen heulen hören und am Tag
jede Hütte ein Fernsehgerät, und davor sitzen Menschen,
Burmesen ihre Reistöpfe aus. Der Buddhismus gehört in
che Rolle Internet und Westen beim Sturz unliebsamer
biblische Szenen unter Palmen bestaunt. Und wir haben
die so ganz anders aussehen und ganz anders leben als
Burma zum Alltag. Und die Generäle haben gut daran ge-
Herrscher spielen können. Sollte in einem der letzten
an dem auch unter Burmesen legendären Strand von
die, die sie da in koreanischen und amerikanischen Soaps
tan, den Glauben nicht – wie im maoistischen China – zu
postsozialistischen Länder der Welt die sanfte Öffnung ge-
Ngapali genossen, dass ein Palmenstrand wirklich so un-
mit runden Augen bestaunen. Welche Schlüsse werden
unterdrücken. Vermutlich haben sie es nie auch nur erwo-
lingen und ein behutsamer Übergang vom Militärregime
wirklich schön sein kann – und haben uns auch von den
die Burmesen daraus ziehen? In Yangon, einst das geis-
gen, schließlich sind sie selber tief gläubig.
zur Demokratie westlichen Stils oder vielleicht sogar ein
Bürokraten unseres Staatshotels nicht entzaubern lassen.
tige und kulturelle Zentrum Asiens und bis 2005 Regie-
Im Jahr 2005 zog die Junta quasi über Nacht um und
dritter Weg gangbar sein – dann wäre das nicht nur gut für
Ja, der Vielvölkerstaat Burma, der zurzeit offiziell
rungssitz, ist der Wandel schon jetzt unübersehbar. Neben
machte die aus dem Boden gestampfte Stadt Naypyidaw
Burma, sondern gut für alle, die dieses Land lieben gelernt
Myanmar heißt, hat viel zu verlieren. Aber er hat auch viel
dem kleinen, vertrödelten Provinzflughafen von früher, der
zum Regierungssitz. Yangon, die versandete Hafenstadt,
haben. So wie wir.
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