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REIFES BIER VINTAGE

REIFES BIER

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_BILDER Brauerei Schloss Eggenberg Rodauner Biermanufaktur Martin Mühl, Budweiser, Birgit Machtinger

Wie gute Weine lagern Vintage-Biere teils viele Jahre, um nach der Abfüllung noch weiter zu reifen. Zwar wird nicht jedes Bier, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum aus dem letzten Jahrtausend stammt, zur Spezialität – bei einigen lohnt sich das lange Warten aber.

prozentiges Sour Ale, gewinnt sogar nach bis zu 15 Jahren noch.«

Doch nicht jedes Bier wird durch das Überschreiten des Mindesthaltbarkeitsdatums zum Sammlerstück. Biere mit raffiniertem Hopfencharakter aufzuheben sei sinnlos, so Kainradl. »Ein bitteres IPA mit sechs oder sieben Volumsprozent Alkohol kann vielleicht noch interessante Aromen entwickeln. Bei einem Pale Ale oder Session IPA mit vier oder fünf Volumsprozent liegt die Wahrscheinlichkeit, dass es besser wird, aber bei null.«

Westmalle Dubbel aus 2004, Chimay Bleue aus 1996 und Lindemans Gueuze aus 1994: Die Auswahl im kleinen Antwerpener Bierlokal Kulminator ist groß – und alt. Hat man sich für eines der Einzelstücke, die in einem dicken Ordner aufgelistet sind, entschieden, wird die Flasche aus dem Keller geholt und samt jahrzehntealtem Staub serviert. Kräftig, aromatisch und überraschend frisch schmeckt das dunkle Trappistenbier, das sein Mindesthaltbarkeitsdatum um 20 Jahre überschritten hat.

»Die starken Biere aus Belgien eignen sich besonders gut für eine lange Lagerung. Und auch Bockbiere und Barley Wines können zu spannenden Vintage-Bieren werden«, sagt Clemens Kainradl, Inhaber des Biergroßhändlers Bierfracht in Eisenstadt. Als »Bier, das eine lange Lagerung nicht nur übersteht, sondern auch davon profitiert«, definiert der Biersommelier den Begriff Vintage-Bier. Besonders bei Bieren mit hohem Alkoholgehalt sei das der Fall, sagt Kainradl und schwärmt von Dörrobst-Aromen und Sherry-Noten. Auch edle fassgereifte Sauerbiere vertragen Reifung oft sehr gut und profitieren davon: »Ein Oude Geuze ist immer eine längere Betrachtung wert. Und das L’Abbaye de Saint Bon-Chien der Schweizer Brauerei BFM, ein elf-

»Zur Überlagerung geeignet«

Mit 14 Volumsprozent ist das Samichlaus der Brauerei Schloss Eggenberg in Oberösterreich ein idealer Kandidat für das perfekte Vintage-Bier. Jedes Jahr am Nikolaustag wird es gebraut und reift dann noch für zehn Monate nach, bevor es in Flaschen gefüllt wird. Nach der Abfüllung ist es noch mindestens fünf Jahre haltbar – zumindest laut Etikett. »Starkbierfans wissen, dass man Bockbiere lagern kann und soll. Und gerade beim Samichlaus sind wir der Meinung, dass es sich nach einigen Jahren noch einmal weiterentwickelt«, sagt Brauereichef Hubert Stöhr. Nach fünf Jahren sei das Bier auf dem Höhepunkt: »Cremig und

»Starke Biere aus Belgien, Bockbiere und Barley Wines können zu spannenden VintageBieren werden.«

↑ CLEMENS KAINRADL

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rund, aber trotzdem noch sehr nahe am Ursprungsgeschmack.«

Die Privatbrauerei Zwettl in Niederösterreich druckt den Hinweis »Zur Überlagerung geeignet« gleich auf die Etiketten fast aller Biere, die einen Alkoholgehalt von über sieben Volumsprozent haben. »Diese Biere gewinnen nach längerer Lagerung unheimlich an angenehmen, runden, ausgeglichenen Aromakomponenten«, beschreibt Heinz Wasner, Braumeister bei Zwettler Bier, die »ausgewogene Harmonie«. Ein Hinweis auf dem Etikett, dass sich ein Bier gut für längere Lagerung eignet, sei »eine Ansage, die Kunden auch bemerken«, sagt Clemens Kainradl. Zwar bedeute der Begriff Mindesthaltbarkeitsdatum ohnehin, dass man ein Bier auch länger aufheben könne, nur: »Das Bewusstsein dafür fehlt oft.«

Überraschung aus dem Keller

Dass der Wiener Brauer Kurt Tojner mittlerweile an die hundert Flaschen seiner Rodauner-Biere lagert, um sie Monate und Jahre später zu verkosten, ist nicht nur dem erhofften Ge-

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schmackserlebnis geschuldet – es hat auch einen ganz praktischen Grund: »Ich bin immer auf der Suche nach dem idealen Mindesthaltbarkeitsdatum«, erklärt Tojner. »Bier verändert sich ja, und das eine oder andere schmeckt nach einem Jahr vielleicht nicht mehr so fein wie gleich nach der Abfüllung oder in den ersten Monaten danach.«

Zu Beginn der 2016 gegründeten Rodauner Biermanufaktur habe er bei allen Bieren ein Mindesthaltbarkeitsdatum von sechs Monaten angegeben. Beim Strizzi, einem Wiener Lager, verlängerte Tojner dieses aber bald auf neun Monate, denn: »Ich habe gemerkt, dass es – kühl gelagert – auch nach zwölf Monaten noch fast unverändert schmeckt.« Es komme immer auf den Bierstil an: Viele belgische Biere, Bock und Doppelbock seien sehr gut im Alter. Und einem Wiener Lager oder einem kräftigen, malzigen Bier schme-

— Der Wiener Brauer Kurt Tojner lagert mittlerweile an die hundert Flaschen seiner Rodauner-Biere. —

cke man eine längere Lagerung nicht so schnell an wie einem schlanken, trockenen Pils. Überraschungen seien aber immer möglich: »Ein Nachbar hat einmal alte Bierflaschen in einem Keller gefunden, darunter ein 15 Jahre altes Jubiläumsbier von Fohrenburger. Er wollte es schon wegwerfen, hat mich davor aber zum Glück angerufen. Das Bier war sehr spannend, es hatte fast schon Sherry-Noten.«

»Man muss experimentierfreudig sein«

Entscheidend sei die richtige Lagerung, sagt Tojner: »Dunkel und bei einer gleichmäßigen, nicht zu hohen Temperatur, bei 15 Grad im Keller zum Beispiel.« So lagert der Brauer auch seine eigene Sammlung alter Biere. In einem dicken Karton finden sich da etwa der Nussknacker von Brew Age, ein Kastanienbier aus Spanien und etliche Bock-, Doppelbock- und belgische Biere – jede Flasche in Papier eingewickelt. Mit Vintage-Bieren sei es wie mit Wein: »Manchmal gibt es eine Einzelflasche, die sich sehr gut entwickelt und manchmal eine, mit der man nicht so zufrieden ist. Und auch einzelne Jahrgänge entwickeln sich besser als andere.«

Sicher wissen, wie ein Bier nach Jah-

ren schmecken werde, könne man nie, meint auch Kainradl: »Es ist ein Naturprodukt.« Man müsse experimentierfreudig sein und dürfe keinen berechenbaren Geschmack erwarten. Und überhaupt sei die Lagertemperatur viel aussagekräftiger als die Lagerzeit: »Ein Bier, das durchgehend bei 30 Grad gelagert wurde, schmeckt schon einen Monat nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum schlechter als eines, das ein halbes Jahr länger im Keller gelegen ist. Und ein Bier, das nur zwei Monate über dem aufgedruckten Mindesthaltbarkeitsdatum ist, aber jeden Tag Sonne erwischt und in der Nacht wieder abkühlt, kann richtig alt schmecken.« Denn stark wechselnde Temperaturen treiben die Reifung weiter voran. Brauereien simulieren auf diese Weise auch Alterung, um zu testen, wie lange ein Bier hält.

»Die Nerds haben Lager angelegt«

Wir nehmen also mit: Für ein zufriedenstellendes Vintage-Genusserlebnis sollte man sein Bier eher nicht in die Sonne legen. Aber auch: dass man dafür nicht unbedingt viele Jahre Geduld braucht. Ob es in Österreich irgendwann Bierlokale wie das Antwerpener Kulminator geben wird? Kurt Tojner kann sich das »eher nur in kleinem Rahmen« vorstellen. Ein Hindernis sei, dass man erst einmal fünf bis zehn Jahre warten müsste, um überhaupt eine Auswahl zu haben. Obwohl: »Die Nerds haben alle irgendwo schon ein kleines Lager angelegt – mehr oder weniger systematisch.«

Das Lager, das Michael Kolarik-Leingartner angelegt hat, fällt eindeutig in die Kategorie »systematisch«: über tausend Flaschen von 30 verschiedenen Bieren hat er in den letzten Jahren in einem Raum in Wien gesammelt. »Wenn wir denken, dass ein Bier Potenzial hat, stellen wir bewusst einen Teil weg«, so Kolarik-Leingartner, der beim Getränkegroßhändler Del Fabro Kolarik für Exklusivmarken und Bier-

»Entscheidend ist die richtige Lagerung: Dunkel und bei einer gleichmäßigen, nicht zu hohen Temperatur, bei 15 Grad im Keller zum Beispiel.«

↑ KURT TOJNER

— Michael Kolarik-Leingartner lagert in Wien Simmering Bier gezielt und mit System mehrere Jahre. —

sortimentsgestaltung verantwortlich ist. So hat er etwa 150 Flaschen der Vintage-Auflage von Thomas Hardy’s Ale, einem Barley Wine der englischen Meantime Brewery, aus dem Jahr 2014 auf dem österreichischen Markt »zusammengekauft«. Und vom Paulaner Salvator, dem Doppelbock der Paulaner Brauerei in München, sammelt der Brauer und Biersommelier seit 2017 von jedem Jahrgang hundert Flaschen. Dass Vintage-Biere bald auch in der österreichischen Gastronomie wie guter, alter Wein zelebriert werden, kann sich Bierhändler und Sommelier Clemens Kainradl zwar vorstellen, doch: »Ich bin nicht mehr ganz so zuversichtlich wie noch vor fünf oder zehn Jahren. Das Interesse ist nicht so da, wie ich erwartet hätte.« Dass das an den Gästen liegt, glaubt er aber nicht: »Die würden sich darauf einlassen. Man kennt das ja vom Urlaub. Wenn am Nachbartisch eine staubige Flasche serviert wird, dann ist man neugierig, was da gerade passiert, und schaut in der Karte nach, was das für ein Bier sein könnte.« Kainradl sieht nach wie vor sehr großes Potenzial für Vintage-Biere: »Die Lokale könnten damit ihren Gästen ein neues Thema nahebringen – und schöne Erinnerungen mitgeben.«

WAS LUFT UND RAUMTEMPERATUR MIT EINEM BIER ANSTELLEN KÖNNEN.

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2011, im von der UN erklärten Internationalen Jahr des Waldes, stellten Axel Kiesbye und die Österreichischen Bundesforste ein kleines Projekt vor: das Waldbier. Jahr für Jahr ein Kreativbier, eingebraut in Obertrum und immer mit einer ganz bestimmten Zutat aus den Wäldern des Landes.

Hier soll aber nicht auf das Projekt an sich eingegangen werden – darüber wurde bereits ausführlich berichtet. Was uns viel mehr interessiert hat, ist die Frage, ob die dabei entstandenen Biere wirklich so lagerfähig sind, wie stets behauptet wird. Denn bei jeder Präsentation wird mantraartig betont: »Aufgrund der besonderen Brauweise verfügt das Waldbier über eine ausgezeichnete Lagerfähigkeit und kann mehrere Jahre bis zum Genuss aufbewahrt werden.«

Wir wollten es genau wissen und haben Axel Kiesbye gefragt, ob er noch genug Flaschen für eine Vertikalverkostung zurück zu den Ursprüngen des Waldbier-Projekts habe. Er hat daraufhin sein Archiv und seinen Bierkeller geplündert und fast alle Jahrgänge aufgetrieben. Im Oktober 2021 haben wir dann (fast) alle Waldbiere verkostet.

Komplexität in Richtung Waldzutat

Zu Beginn ist Axel Kiesbye sichtlich gespannt. Fast ein wenig angespannt. Die Verkostung seiner Waldbiere zurück bis zum Jahrgang 2013 ist auch für ihn eine Premiere: »Die Komplexität verschiebt sich in Richtung der Waldzutat. Die alkoholischen Noten, die Bitterstoffe und vor allem auch die Hopfenöle bauen ab. Und dann kommt das Harzige aus dem Hintergrund durch. Es fehlt dann allerdings die Matrix, die Struktur. Was dazu führt, dass die Biere oft leer und irgendwie langweilig wirken.« So weit, so vorgebaut. Bloß die Erwartungen nicht zu hoch anlegen, dann fällt die Enttäuschung nicht so groß aus. Die Biere stehen stramm in einer Reihe, das älteste aus dem Jahr 2013 ganz links. Am anderen Ende das mehr oder weniger frisch abgefüllte Tiroler-Bergwald-Bier aus 2021.

Nur die ersten beiden Waldbiere aus 2011 und 2012 (Tanne und Zirbe) fehlen in der Reihe. Von diesen Jahrgängen war kein Exemplar mehr in der Brauerei aufzutreiben. Also starten wir mit 2013 – der Lärche. Beim Brauen wurden hier als Waldaroma-Zutat Lärchenwipfel verwendet. Das sind die jungen, hellgrünen Triebe, die im Frühjahr an den Zweigspitzen wachsen. Geerntet wurden sie in einem Revier der Bundesforste im Ausseerland am Fuß des Dachsteins.

Kiesbye erinnert sich, dass das Bier, ein Strong Ale mit einem Alkoholgehalt von über acht Volumenprozent, in dessen Jugend deutlich heller war. Jetzt strahlt es in satten, brillanten Orangetönen aus dem Glas. Es zeigt wenig Schaum und das kleine Schäumchen, das sich beim Einschenken bildet –mehr ist es nicht – zerfällt schnell. Das ist allerdings auch nicht verwunderlich – immerhin ist Alkohol (und davon hat

das Lärchenwaldbier eine ganze Menge) ein Schaumkiller. In der Nase zeigt das Bier eine erstaunliche Frische sowie eine Komplexität und Vielfalt, die verblüfft. Wir können Bienenwachs und Propolis, weihnachtliche Gewürze, getrocknete Früchte und sogar Himbeernoten wahrnehmen, die sich mit der Zeit und der Luft im Glas entwickeln. Dazu, vor allem am Gaumen dann, Sherry-Töne, feinperlige Finesse und dezente Bitternoten. Dann wieder eine zarte, filigrane Honignote. Und dabei frisch ohne Ende. Zweifelsfrei eine Überraschung und ein ziemlicher Paukenschlag als Auftakt. Jetzt ist auch Axel Kiesbye deutlich entspannter als noch vor einer Viertelstunde.

Anfängliche Spannung verflogen

Als Nächstes kommt der Jahrgang 2014 ins Glas – Schwarzkiefer. Die Schwarzkiefer ist eng mit dem Brauwesen verbunden. Der Baum hortet in seinem Stamm stattliche Mengen an Harz. So viel, dass Brauereien damit ihre Holzfässer abdichteten. Kiesbye sammelte für dieses Bier junge Zapfen im Wienerwald und gab sie in den Sud. Gemeinsam mit Aurora-Hopfen und Karamellmalz. Bei seiner Präsentation strahlte das Waldbier in voller Frucht. Exotische Noten von Maracuja und Papaya waren ebenso wahrnehmbar wie eine kantig-nussige Note. Fast wie SchokoNuss-Crème. Dazu elegant würzige Noten. Am Gaumen dann leicht süßlicher, rotfruchtiger Antrunk, der an Traubenkirsche und Schokolade erinnert. Mon Chéri, so in der Art.

Warum ich hier in meinen Aufzeichnungen aus 2014 krame und sie so umfangreich wiedergebe? Weil nichts davon übrig ist. Nichts. Nada. Dabei ist das Schwarzkiefer das stärkste al-

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In der Nase zeigt das Bier eine erstaunliche Frische sowie eine Komplexität und Vielfalt, die verblüfft.

ler Waldbiere. Nach ihm ging es mit den Prozenten wieder bergab. Farblich ist es dem Lärchenbier nicht unähnlich. Sattes, strahlendes Orange, wenig Schaum. Nach dem ersten Hineinriechen drucksen wir ein bisserl herum, suchen wertschätzende Worte, wo man eigentlich … Kiesbye sagt es dann: »Im Vergleich ziemlich langweilig.« Das erleichtert. Nicht dass es schlecht wäre, aber es fehlen Spannung, Aroma, Säure und Struktur. Überhaupt nach etwa einer halben Stunde im Glas – da ist das Schwarzkiefer-Waldbier nur noch ein Schatten seiner selbst. Schade. Aber die good vibes, die die Lärche ausgelöst hat, halten an, und die Neugier auf die nächsten Jahrgänge ist groß.

Mit neuen Noten

Waldbiermäßig markiert der Jahrgang 2015 das Ende der Nadelbaumära. Ob es die unglaubliche Patzerei mit dem Fichtenharz gewesen ist oder der Wunsch auch andere Bäume zu ehren, lässt sich aus heutiger Sicht nicht mehr genau sagen. Fakt ist, dass die Noten und Aromen, die das Waldbier Fichte damals ausgemacht haben, auch heute noch präsent sind. Etwas angegraut vielleicht, aber immer noch da.

Am Beginn seiner Karriere zeigte es zitrusfrische Orangennoten, etwas Kirstein Blockmalz und leicht laktische Joghurttöne. Aus den Orangen wurden Äpfel und aus dem Blockmalz feine Wälder Schokolade (dieser einzigartige

und karamellbombige Molkekäse aus dem Bregenzerwald). Dazu kommt eine hochfeine Fichtennote mit etwas Honig. Honig war auch vor sechs Jahren schon ein Thema. Jedenfalls ist die Fichte immer noch ein komplexes Bier mit langem Abgang. Eines, das den Durchhänger, den uns die Schwarzkiefer beschert hat, schnell vergessen macht.

Für die 2016er-Edition, mit der Wacholder-Basis, ging Kiesbye den Berg hinab. Quasi eine Etage tiefer im Wald. Der Wacholder, mehr Strauch als Baum, ist – biologisch gesehen – ein Zypressengewächs. Für das Waldbier mussten gleich zwei Zypressenkörperteile herhalten. Zur Würze kamen 15 Kilo Wacholderzweigerl aus den Wäldern Salzburgs. Später in den Lagertank (also ins fast fertige Bier) noch einmal ein paar Kilo Wacholderbeeren. Zapfen eigentlich, denn botanisch betrachtet sind die kleinen Wacholderbeeren Zapfen. Allgemeinsprachlich ist der Unterschied irrelevant. Oder anders ausgedrückt: Zigtausend Gewürzverpackungen können nicht irren.

Wer sich damals bei der Präsentation Bier mit Gin-Geschmack erwartete, wurde leicht enttäuscht. Das Strong Ale (7,2 Vol.-%) roch und schmeckte eher nach Orangenzeste und Hefeteig – irgendwie weihnachtlich. Auch am Gaumen viel süßer als alle Waldbiere davor. Kompakt und dicht. Fast wie ein Dresdner Stollen. Dann, wenn man durch den Stollen durch war, kam erst der Wacholder. Leise, im Hintergrund. Wie das helle Läuten des kleinen Glöckchens im Wohnzimmer, wenn das Christkind da ist.

Geändert hat sich nicht nur die Herkunft der Waldzutat, mit dem Wacholder hat Kiesbye erstmals auch die Welt der dunklen, harzigen Noten verlassen. »Mit dem Wacholder spielt erstmals eine Beere als Waldzutat die Hauptrolle. Das bedeutet, dass das Bier erstmals klar weg vom Harz ist. Das heißt aber auch, dass wir unsere Komfortzone verlassen haben. Beim Harz wussten wir, woran wir sind und wie es funktioniert. Die Wacholderbeeren waren dagegen Neuland«, erinnert sich der Brauer.

Inzwischen dominiert jedenfalls die Honignote. Fast wie Zuckerrübensirup. Oder Malzsirup aus gemälztem Getreide. Spannend eigentlich, aber auch ein wenig eindimensional.

Ein zweiter Blick zurück

In der Zwischenzeit kosten wir zurück. Die Fichte entwickelt im Glas kräftige, fruchtige, fast dropsige Noten, die Lärche, das älteste Bier und am längsten im Glas, steht stramm und aufrecht, während sich die Schwarzkiefer zwischenzeitlich still und klammheimlich von der Welt verabschiedet hat. Sagen-

»Mit dem Wacholder spielt erstmals eine Beere als Waldzutat die Hauptrolle. Das bedeutet, dass das Bier erstmals klar weg vom Harz ist. Das heißt aber auch, dass wir unsere Komfortzone verlassen haben.«

↑ AXEL KIESBYE

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haft, wie groß die Unterschiede sind.

Der nächste Kandidat ist die Wilde Kirsche aus dem Jahr 2017. Es ist mittlerweile das siebte Waldbier von Axel Kiesbye und den Bundesforsten. An diesem Nachmittag ist es die Nummer fünf. Zur Aromatisierung wurden Kirschblüten verwendet. Genauer gesagt, die weißen Blütenblätter der Traubenkirsche aus dem Revier in Hermagor. Sie wurden zuerst in einer Zuckerlösung erwärmt und haltbar gemacht, milchsauer angegoren und dann zur Stammwürze gegeben.

Das Verwenden von Kirschblütenblättern ist keine neue Erfindung. Jahr für Jahr hyperventilieren die Japanerinnen und Japaner während der Kirschblüte (Stichwort »Sakura«) und aromatisieren so gut wie alles mit Kirschblütensirup. Wein, Wasser, Kekse, Limonaden, Sake und auch Bier. Meist ist das allerdings eine süße, blumige Pampe, die nach Zucker schmeckt, nach Kirschblüten riecht, sonst aber nicht viel zu bieten hat. Das Waldbier ist da zum Glück anders. Ja, klar sind da florale Noten. Auch ein Hauch Marzipan. Damals wie heute. Aber eher subkutan. Unterschwellig. Dafür sorgt der Monroe-Hopfen mit seinen intensiven Steinobst- und Grapefruitnoten. Heute ist die Wilde Kirsche ein in sich rundes und ruhendes, recht cremiges Ale mit dezenter Süße. Macht Spaß.

Von den Früchten getragen

Die nächsten beiden machen wir in einem Schwung. 2018 übernahm die Holzbirne den Part der Waldzutat, 2019 die Elsbeere. Während die Holz-

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birne ein (birnen-)holzfassgereiftes und mit Blättern, Blüten und Kletzen aromatisiertes Ale ist, ist die Elsbeere ein fruchtiges Rotbier. Beide Biere werden immer noch von ihrer Frucht getragen. Die Elsbeere mehr als die Holzbirne. Beide sind deutlich frischer und jugendlicher, aber auch nicht so komplex und tiefgründig wie die älteren Semester in der Reihe.

An dieser Stelle kosten wir wieder zurück und schauen, wie sich die Biere im Glas innerhalb der letzten knappen Stunde verändert haben. Und siehe da: Die Schwarzkiefer ist von den Toten auferstanden. Plötzlich ist da wieder – ganz leise – dieser verführerische Schokoton und eine reife Kirschnote. Etwas morbid vielleicht, aber immer noch – beziehungsweise wieder – da. Unglaublich, was Luft und Raumtemperatur mit einem Bier anstellen können.

Würdiger Abschluss aus dem Wald

Wir wechseln zum letzten Bier des ersten Waldbierjahrzehnts. Ein würdiger Abschluss, immerhin kommt die »Waldzutat« für den Jahrgang vom Baum der Bäume: von der Eiche. Konkret von einer 2015 gefällten und 200 Jahre alten Traubeneiche, aus deren Holz das Fass für die Reifung des Waldbiers gemacht wurde. Das Waldbier 2020 ist eines der jüngsten Biere in der Serie. Trotzdem braucht es für den Genuss viel Luft. Dann gibt es preis, was ein Barriquefass kann: zarte Röstaromen und Noten von Vanilleschoten. Marillenröster, Rumtopf, rustikaler, dunkler Waldhonig. Man spürt, dass das Barrique dem Bier Struktur und Halt gibt, ohne zu viel ins aromatische Geschehen einzugreifen. Der Hopfen setzt knackig-frische Akzente und wirkt, vor allem im Zusammenspiel mit dem üppigen Körper, fast wie Limoncello. Groß ist der Unterschied zwischen der Verkostung vor einem Jahr und heute nicht.

Mit dem Jahrgang 2021 wurde die Ausrichtung der Waldbiere noch einmal gewechselt. Das Thema heißt jetzt Herkunft und das Bier Tiroler Bergwald. Mit Schwarzbeeren (Moosbeeren, wie die Tirolerinnen und Tiroler sagen) und Zirbenzapfen. Mit den Zirben kommt das Harzige zurück ins Waldbier, mit den Beeren die Frucht. Gekostet haben wir es auch. Eh sehr gut. Aber eben ein Jungspund und damit für unsere Fragestellung unbrauchbar. In ein paar Jahren, bei der nächsten Vertikale schauen wir, was aus dem Tiroler Bergwald geworden ist.

WENN DAS ZAPFEN ZUM RITUAL WIRD

Zapfsäulen und Biergläser im Markendesign einer Brauerei sind wahrlich keine Besonderheit. In der jetzt neu am Markt erscheinenden Zapfsäule aus der tschechischen Staatsbrauerei Budweiser Budvar, steckt jedoch eine hierzulande beinahe schon verschwundene Eigenheit: »Das Besondere dabei ist der Einsatz eines Schwenkhahnes mit Kugelventil« erklärt der Biersommelier-Doppelstaatsmeister Michael KolarikLeingartner. »Dieser ist stufenlos bedienbar. Wenig geö net, sorgt er für cremigen und nassen Schaum. Ö net man ihn ganz, ießt ein dicker Strahl aus leuchtend klarem Lagerbier in das Glas und ein Zapfvorgang nach der zweistu gen tschechischen Methode ist somit einwandfrei umsetzbar.« Die Optik zeigt den Unterschied, der Antrunk weckt Sympathie.

Besonders au ällig dabei ist, dass aus den fertig gezap en Gläsern die Schaumkronen nur wenige Millimeter aus dem Glas ragen. Ansta einer trockenen und hohen Schaumkrone, legt man in der Bierrepublik Tschechien Wert auf nassen und cremigen Schaum. Dieser schützt das Bier besonders lange vor Sauersto kontakt und verleitet beim Antrunk zum Schlürfen, so wie man es sonst nur vom Milchschaum bei Ka eegetränken kennt. Au ällig ist auch der geringe Kohlensäuregehalt des Bieres, was einerseits durch die Bauart des Zapfhahnes gefördert wird und andererseits der Zapfmeister beim zweiten Au üllvorgang des Bierglases noch zusätzlich steuern kann. So wird die bei tschechischen Lagerbieren wichtige Balance zwischen Malzkörper und Hopfenaromatik nochmals zusätzlich unterstrichen. Na zdraví!

Hier schmeckt das Bier wie im Lagerkeller der Brauerei.

Die Brauerei Budweis und die Gastronomen des Wiener Lokales „Dogenhof“ sorgen kün ig für noch frischeren Biergenuss. Am 05. Juni erö net mit dem »Praterwirt« das erste Lokal in Österreich, in dem das in Wien ohnehin schon beliebte Budweiser Budvar Original Lager aus hauseigenen Lagertanks, nach tschechischem Vorbild, gezap wird und erstmals auch unpasteurisiert auf den Tisch kommt.

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