Die Krümel
Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Kraneiß
Š 2011 Birgit KraneiĂ&#x;, Auerbach/Vogtland Alle Rechte vorbehalten. www.atelierbirgitkraneiss.de E-Mail: support@atelierbirgitkraneiss.de
Satz und Layout: Natalie Alhawari
Birgit Kraneiß
Die Krümel © Birgit Kraneiß, 2011.
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a, ihr wisst ja wie das so ist, wer alles Mögliche sammelt, muss die Dinge auch gut sortiert lagern, um einzelnes bei Bedarf wieder finden zu können. Sonst entsteht das Chaos, was einem über den Kopf wachsen kann. Als ich das erste Mal mit den Krümeln Bekanntschaft machte, war eigentlich schon alles zu spät, oder wie man sagt, über die Ufer getreten. Seit Monaten hatte ich mir vorgenommen, das kleine Zimmer mit der Dachschräge aufzuräumen. Dort hinein stellte ich kurzerhand alles, was ich nicht sofort benötigte. Alles Dinge, denen ich den unsichtbaren Schleier von
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„irgendwann mal brauchbar“ übergeworfen hatte . Wolle, Stoffreste, Holzreste, Scherben, Hüte, Puppenteile, Drahtgestelle usw., Pflanzkübel auch. Dinge, aus denen ich was machen kann, irgendwann. Manches liegt wartend schon länger als ein Jahr, ich geb’s zu, unverändert an seinem Platz. Heute wollte ich endlich Ordnung schaffen und sortieren, zumindest beginnen, und ein System erarbeiten, ein Ordnungssystem. Die Sonne drückt warm und leuchtend ihr Märzlicht auf das eingestaubte Drunter und Drüber. „Erst einmal auf dem Fußboden ein bisschen Platz schaffen“, denke ich. Und schon sitze ich auf dem Bo-
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den, und halte Matroschkateile in den Händen. Quietschend schraube ich sie zusammen, auseinander und wieder zusammen. Bunt bemalt, blau mit roten Blumen. Wunderschön. Wo hatte ich sie her…? Und schon träume ich mich weg. Es wird ganz still um mich herum, und in mir drin. Die Sonne schließt meine Augen. Ich schlafe ein. Ich träume, ich sitze in einem dieser Matroschkabäuche zufrieden schaukelnd, an einem Sonnenstrahl gehängt, lustig über hellgrüne Wiesen kreiselnd.
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n der warmen Luft hängen Stimmen, kleine leise dünne Stimmen. Ich schlag die Augen auf. Und da seh‘ ich sie. Eine ganze Mannschaft. „Wer seid ihr denn?“ Einer tritt vor: „Wir sind Krümel, die Krümel der Familie Holz und Wolle. Und wer bist du?“ Ich staune mit großen Augen und offenem Mund. Kleine bemalte Holzscheiben mit roten Wollhaaren sprechen da zu mir. Ich antworte etwas zäh: „Äh, ich wohne hier.“ —„Und was willst du bei uns?“ — „Tja, also, wenn es erlaubt ist, will ich hier aufräumen, Dinge entsorgen, damit ich das Zimmer wieder sinn-
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voll nutzen kann, damit ich hier atmen kann. Aufräumen, Entstauben, Entrümpeln, Wegwerfen, versteht ihr?“ Plötzlich verteilen sie sich im ganzen Raum. Grinsend stehen sie da, und schauen mich an. „Das geht nicht.“ Ich schaue in das Gesicht des Hervorgetretenen, der wahrscheinlich der Anführer von diesen grünroten Dingern ist. „Moment mal, die rote Wolle habe ich letzten Winter vergeblich gesucht, die wohl nun eure Haare ist.“ „Was länger als ein Jahr hier herum liegt, wird ein Teil von uns, und kann nicht mehr von uns getrennt
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werden. Wir entstammen einem Berg grün bemalter Holzscheiben, auf ihm lagen rote Wollreste. Wir entstehen aus Dingen, die lange Zeit ungeachtet und unbeweglich beieinander liegen. Wir wachsen zusammen, das ist ein Prozess, den man nicht so ohne weiteres unterbrechen darf. Es ist sehr schmerzhaft, wenn begonnene Verwachsungen wieder auseinander gerissen werden. Du kommst zu spät mit deinem Räumungsvorhaben. Überall in diesem Raum haben Verwachsungsprozesse begonnen. Es sind wunderbare Krümel im Entstehen.“ — „Bitte?“ Ich atme langsam tief ein und aus. Unbeweglich stehen die Krümel da. Nun mittlerweise demonstrativ im ganzen Zim-
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mer verteilt, und gucken mich an. Wie eine kleine Invasion. Angst habe ich nicht. Ich bin nur ein bisschen überfordert mit dieser unverhofften Begegnung. Ich atme noch einmal tief durch. Irgendein Gefühl sagt mir, dass das hier die Realität ist, und kein Traumbild. „Okay, ihr wollt mir also zu verstehen geben, über diesen Raum meiner Wohnung, habe ich keine Verfügung mehr? Ich habe nicht mehr zu bestimmen, ob der Lumpensack dort in der Ecke in den Keller kommt, und das Drahtgeflecht dort auf den Boden, oder die Scherben hier in den Müll? Ihr wollt mir sagen, dass darunter eventuell Brutstätten sein könn-
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ten, und dass die Bestimmer über dieses ganze Zeug ein Trupp rotwollhaariger Holzreste sind?“ — „Wir sind Krümel, und jawohl, so ist es.“
Fortsetzung folgt. © Birgit Kraneiß, 2011.
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