Dezember 2010 . 98. Jahrgang
ISSN 0342-0817
K1745
12
Die BKK Z eitschrif t der Betrieblichen Krankenvers ic h er u n g
Gesundheitspolitik
Gesundheitsförderung
wissenschaft & forschung
Morbi-RSA und Prävention: Passt das zusammen?
BKK Preis „Gesund im Alter“ – Viele Wege führen zum Ziel
Glücklich erfolgreich Renate Gervink
Wolfgang Bödeker
Michael Bellwinkel
Ein modernes Kassenmanagement setzt eine innovative IT voraus. Unsere Leistung – Ihr Erfolg!
www.bitmarck.de
Editorial
Ein ereignisreiches Jahr … Liebe Leserinnen, liebe Leser, das Jahr 2010 neigt sich dem Ende zu: Die Krankenkassen blicken auf schwierige Monate zurück, eine lange Zeit finanzieller Unsicherheit. Viel zu lange hatte die Politik die Krankenkassen im Unklaren gelassen. Der Zweifel über die Handlungsfähigkeit der schwarz-gelben Koalition wich erst Mitte des Jahres. Mit den Gesetzespaketen „AMNOG“ und „GKV-FinG“ wurde im Herbst klar, dass das drohende Rekorddefizit von bis zu 11 Mrd. € für das Jahr 2011 nun doch verhindert wird. Bereits zu Beginn des Jahres war erkennbar, dass einigen Krankenkassen eine Unterfinanzierung drohen würde. So sahen sich diese – darunter auch mehrere Betriebskrankenkassen – im Frühjahr in der Not, erstmals einen Zusatzbeitrag von ihren Versicherten zu erheben; ein schwieriger, aber verantwortungsvoller Schritt, den keiner der Beteiligten gerne gegangen ist – haftet dem Zusatzbeitrag doch völlig zu Unrecht der Makel an, Ausdruck von Unwirtschaftlichkeit einer Krankenkasse zu sein. Und als einige Betroffene den Schulterschluss suchten, drohte ihnen sogar das Kartellamt. Zusätzlich sah sich das gesamte BKK System in diesem Jahr mit der Gefahr drohender Kassenschließungen im eigenen Lager konfrontiert. Mit Solidarität und Verantwortungsbewusstsein hat sich das BKK System aus eigener Kraft befreit. Noch im November gelang die Rettung der gefährdeten Schwestern. Vorausgesagte Kaskadeneffekte wurden damit erfolgreich abgewendet. Trotz aller Vielfalt hat der BKK Systemverbund erneut seine Stärke und Geschlossenheit gezeigt: ein überzeugender Beweis für einen funktionierenden Wettbewerb und solidarische Verbundenheit. Schwierige Zeiten schweißen zusammen. Die vielen positiven Erfahrungen der konstruktiven Zusammenarbeit stimmen mich hoffnungsfroh, dass die Betriebskrankenkassen gemeinsam auch die Herausforderungen des kommenden Jahres erfolgreich meistern werden. Auch im Namen des gesamten Teams des BKK Bundesverbandes wünsche ich Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und ein erfolgreiches Jahr 2011! Ihr
Heinz Kaltenbach
12/2010 Die BKK | 627
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658 Setzt der Morbi-RSA voll und ganz die richtigen Anreize oder birgt er auch Gefahren – z. B. für die Prävention durch Krankenkassen?
„Gesund im Alter: Selbstbestimmt wohnen und aktiv bleiben.“ Unter diesem Motto zeichnete der BKK Bundesverband drei herausragende Projekte aus.
Inhalt Neues aus Berlin
630
Gesundheitspolitik auch im nächsten Jahr nicht langweilig
Gesundheitsförderung
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BKK Hoesch und Sozialdienst katholischer Frauen starten Pilotprojekt
Aktiv bleiben im häuslichen Umfeld
Philipp Neumann
Martina Hengstler Gesundheitspolitik
634
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Morbi-RSA und Prävention: Passt das zusammen?
Den demographischen Wandel zur Chefsache machen
Wolfgang Bödeker
Jörg Michel
Der Morbi-RSA: Erfahrungen – Entwicklungen – Herausforderungen
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Michael Bellwinkel 664
v e r t r a g s pa r t n e r & v e r s o r g u n g s s y s t e m e
„Ein Herz ist viel mehr als eine Pumpe“ Ein Interview mit Dietrich Grönemeyer
628 | Die BKK 12/2010
Deutscher Unternehmenspreis Gesundheit 2010 verliehen
Mit Gesundheitsförderung die Zukunft gestalten
Studie der Bosch BKK belegt: Bessere Versorgung rechnet sich
Dagmar Johannes und Barbara Orfeld
Sonja Feihle 648
BKK Preis „Gesund im Alter“
Viele Wege führen zum Ziel
Andrea Trosky
644
Mit Kompetenzen der Generation 50plus gegen Fachkräftemangel
668
Präventionsbericht 2010 belegt: GKVGesundheitsförderung weiter im Aufwind Barbara Orfeld
I n h a lt
674
684 Der Verein Paulinchen macht sich stark für brandverletzte Kinder, indem er über die Gefahren im Alltag aufklärt und bereits betroffene Familien unterstützt.
aus meiner sicht
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Pränataldiagnostik weckt Begehrlichkeiten
Erfolgreiche Menschen haben nicht nur die richtige Einstellung zu Glück und Erfolg, sondern vor allem Durchhaltevermögen.
s o z i a lv e r s i c h e r u n g & r e c h t
688
Hermann Hepp
nachgeschlagen
673
Was ist eigentlich Coping?
Von Rom nach Lissabon Miriam Meßling
Vermischtes
692
BKK Landesverband Mitte tagt zum demographischen Wandel in der Arbeitswelt
Noch lange kein altes Eisen selbsthilfe
674
Wolfgang Beyer
Paulinchen – Initiative für brandverletzte Kinder e. V.
Tag des brandverletzten Kindes
g e s u n d h e i t i n t e r n at i o n a l
Adelheid Gottwald 694
Australian Government Tackles Binge Drinking Among Young People
wissenschaft & forschung
680
Kinder und Jugendliche zu gesundem Umgang mit Computer, Internet & Co. motivieren Margot Wehmhöner
684
Service
701
Impressum, Anzeigeninfo
Glücklich erfolgreich Renate Gervink 12/2010 Die BKK | 629
Neues aus Berlin
Gesundheitspolitik auch im nächsten Jahr nicht langweilig Dieses Jahr wird Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler in lebhafter Erinnerung behalten. Die Gesundheitsreform war ein einziger großer politischer Kraftakt, das Arzneimittelneuordnungsgesetz auch. Und das nächste Jahr wird nicht besser. Hier hat sich der Minister noch etwas mehr vorgenommen. Gleich drei große Gesetzgebungsvorhaben hat er auf die Agenda für 2011 gesetzt: die Pflegereform, eine neuerliche Reform des Ärztehonorars und ein Gesetz, das Rösler Versorgungsgesetz getauft hat. Philipp Neumann Letzteres soll alle möglichen kleineren Wünsche beinhalten, die in der politischen Diskussion aufgekommen sind und mit denen der Minister punkten will. Vor allem den Ärztemangel auf dem Land soll das Gesetz beheben, wobei es durchaus unterschiedliche Ansichten darüber gibt, ob er überhaupt existiert, ganz zu schweigen davon, wer mögliche Mehrkosten bezahlen soll. Vor allem die Krankenkassen bezweifeln den Ärztemangel. Bei den Bürgern kann der Minister mit dem Thema aber sicher punkten. Das wichtigste Vorhaben dürfte die Pflegereform sein. Auch hier hofft Rösler, die öffentliche Meinung auf seiner Seite zu haben, hat doch fast jeder einen pflegebedürftigen Angehörigen, um dessen Betreuung er sich Sorgen macht. Ein neuer Pflegebegriff, eine bessere Ausbildung und mehr Personal – das alles wird Geld kosten. Die spannende Frage dürfte sein, woher es kommt, wenn die Beiträge nicht steigen sollen. Sein Potenzial für Beitragssteigerungen hat Rösler im Prinzip schon mit der Gesundheitsreform ausgeschöpft. Eigentlich ist es unvorstellbar, dass seine Partei, ja die Koalition insgesamt, neue Belastungen für Bürger und Unternehmen in Kauf nehmen will.
630 | Die BKK 12/2010
Doch auch ein möglicher Ausweg – die neuen Pflegeleistungen über eine Zusatzprämie mit Kapitaldeckung zu finanzieren – ist steinig. Rösler drohen exakt dieselben Diskussionen über Praktikabilität und Gerechtigkeit wie bei der Gesundheitsreform. Da muss er schon ein sehr dickes Fell haben, um dies noch einmal durchzustehen – oder er sucht nun erst recht die politische Herausforderung. Schließlich die Honorarreform. Ihre Notwendigkeit hat der Minister bisher noch nicht hinreichend dargelegt, ganz abgesehen von ihren möglichen Konturen. Der Großen Koalition und ihrer eigenen Standesorganisation haben die Mediziner schon eine Reform zu verdanken, die vielleicht nicht überall Begeisterung ausgelöst hat, die für sie unterm Strich aber finanziell erfolgreich war. Es bleibt rätselhaft, wie Rösler das Ärztehonorar noch einmal anders verteilen will, ohne erneut für Unmut zu sorgen. So viel ist sicher: 2011 wird gesundheitspolitisch alles andere als langweilig. Philipp Neumann, Die Welt/Welt am Sonntag
Auf die Schnelle
webTV im Dezember:
Wer sieht es nicht schon vor sich, die kommenden Feiertage mit all dem Gebäck, den schweren Festtagsmenüs und dann den reuevollen Blick auf die Waage? Doch das geht auch anders. Festtagsmenüs können nämlich lecker und gesund sein. Wie das geht, zeigt der BKK-webTV-Beitrag „Gesund und lecker durch den Winter“. Zum Beispiel mit fruchtigen Putenspießen mit Granatapfelsoße oder mit gebratenen Romanasalatherzen. Vorgestellt wird ein kompletter Menüvorschlag für ein Festtagsgericht, das auch von Hobbyköchen leicht zubereitet werden kann, unter: www.bkk-webtv.de.
Betriebskrankenkassen prämieren die zehn besten Kitas aus NRW Die zehn „besten“ Kindertageseinrichtungen aus NordrheinWestfalen wurden jetzt für ihre herausragende Konzeption „Gesunder Arbeitsplatz Kita“ vom BKK-Landesverband NORDWEST in Essen prämiert. Olympionikin und Schwimmerin Antje Buschschulte zeichnete als Schirmherrin des BKK Wettbewerbs „Fit von klein auf“ im Rahmen einer Abschlussveranstaltung die prämierten Kitas aus. Der im Mai 2010 vom BKK-Landesverband NORDWEST initiierte Wettbewerb soll erfolgreiche Maßnahmen und Aktivitäten in Kitas bekannt machen, prämieren und zur Nachahmung empfehlen, um damit gesunde Arbeitsbedingungen für Erzieherinnen zu fördern. Die innovativsten und erfolgreichsten Ansätze der Kitas wurden von einer Fachjury ausgewählt und mit Geld und Sachpreisen von insgesamt 5.500 € prämiert. Schirmherrin Antje Buschschulte: „Gerne habe ich die Schirmherrschaft für den Wettbewerb ‚Gesunder Arbeitsplatz Kita’ übernommen, denn gesunde Kinder erfordern gesunde Erzieherinnen!“
Erste Hilfe Rund 400 Menschen täglich werden in Deutschland außerhalb des Krankenhauses wiederbelebt. Nur jeder Zehnte bleibt am Leben. Um die Überlebenschancen der Patienten zu erhöhen und um medizinischen Laien Wiederbelebungsmaßnahmen zu erleichtern, hat die American Heart Asso ciation (AHA) Leitlinien zur Herz-Lungen-Wiederbelebung herausgegeben. Die Reihenfolge der Maßnahmen lautet: Herzdruckmassage, Atemwege freimachen, beatmen.
Hausärzte: Neue Notdienstnummer Unter der Telefonnummer 116 117 sind ab dem 1. Januar 2011 bundesweit die ärztlichen Bereitschaftsdienste kostenfrei erreichbar. Auch innerhalb der Europäischen Union ist diese Nummer für den Bereitschaftsdienst reserviert, die Umsetzung ist für die einzelnen Mitgliedsstaaten jedoch optional. Bundesweit wird der Bereitschaftsdienst jährlich abends und an den Wochenenden circa 8 Mio. Mal gerufen.
Wir wünschen allen unseren Lesern ein frohes Weihnachtsfest und ein gesundes, erfolgreiches neues Jahr. Ihr Redaktionsteam
12/2010 Die BKK | 631
Trauer geht ans Herz
Arzneimittelfestbeträge
Der Tod des Partners oder eines Kindes trifft Hinterbliebene ins Herz. Nach dem Todesfall beschleunigt sich der Herzschlag des Trauernden, erst nach einem halben Jahr normalisiert sich der Pulsschlag wieder. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der University of Sydney. Neben psychischen Beschwerden wie Depres sionen und erhöhter Ängstlichkeit verzeichneten die Forscher auch eine beschleunigte Herzfrequenz. Eine 24-Stunden-Messung ergab, dass die Trauernden doppelt so häufig einen beschleunigten Herzschlag von 100 Schlägen pro Minute hatten wie die Kontrollgruppe. Ihr durchschnittlicher Puls lag bei 75 Schlägen pro Minute, bei den Kontrollpersonen lag er bei 70. Die Wissenschaftler empfehlen, Menschen, die ein erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko haben, zu untersuchen, wenn sie einen nahen Angehörigen verloren haben, weil sich das Risiko für Herzinfarkt bei Trauernden erhöht.
Der GKV-Spitzenverband hat alle Festbeträge für verschreibungspflichtige Arzneimittel entsprechend den Handelszuschlägen der Arzneimittelpreisverordnung in der ab 1. Januar 2011 geltenden Fassung umgerechnet. Diese Umrechnung erfolgt auf der Basis des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (AMNOG).
Die Menschen werden älter Die Menschen auf der Welt werden immer reicher, gesünder und älter – allerdings mit dramatischen Unterschieden. Während in einigen Regionen der Wohlstand wächst, verharren andere in tiefer Armut. Die weltweite Lebenserwartung ist in den vergangenen Jahren um elf Jahre gestiegen. Dem Weltentwicklungsbericht der Vereinten Nationen zufolge liegt die Lebenserwartung derzeit bei rund 70 Jahren. Allerdings hat sie sich in den 135 untersuchten Ländern sehr unterschiedlich entwickelt: So schnellte sie seit 1970 in arabischen Ländern gleich um 18 Jahre empor. In neun Ländern ging sie jedoch gar nicht nach oben. Neben sechs afrikanischen Ländern inklusive Südafrika sind auch Russland, Weißrussland und die Ukraine dabei.
Statistische Angaben: United Nations Development Programme (UNDP); Grafik: K. Losacker; Redaktion: F. Goetz
632 | Die BKK 12/2010
Am 28. August 2010 hatte der GKV-Spitzenverband die Festbeträge für drei Festbetragsgruppen festgesetzt. Es handelt sich um eine Gruppe der Stufe 1 (Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen) und zwei Gruppen der Stufe 2 (Arzneimittel mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen). Die Gruppen umfassen Arzneimittel zur Anwendung bei Schmerzen und Fieber sowie zur Behandlung der renalen Anämie und von Lungenerkrankungen. Diese neuen Festbeträge treten zum 1. Januar 2011 in Kraft. nn Weitere Infos unter: www.gkv-spitzenverband.de
Auf die Schnelle
IQWiG schafft Expertenpool
Gute Nacht! Bei der Hälfte der Berufstätigen treten Schlafprobleme sowohl an Arbeitstagen als auch an arbeitsfreien Tagen auf. Dabei leidet mehr als jeder Zehnte fast jede Nacht an Schlafproblemen. Als häufigsten Grund gaben die Befragten einer aktuellen BKK Umfrage allgemeinen Stress an, knapp gefolgt von beruflichem Stress, dem Nichtabschaltenkönnen von der Arbeit sowie privaten Sorgen und familiären Probleme. Jedem Siebten macht die ständige Erreichbarkeit für berufliche Belange zu schaffen. Auch dies geht aus der BKK Umfrage hervor, die den Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastungen und Schlaf untersucht hat. 2.322 Berufstätige im Alter zwischen 18 und 65 Jahren befragte das Marktforschungsinstitut Kantar Health in einer EMNID Cati Bus Umfrage. „Dass die Hälfte der Berufstätigen Schlafprobleme hat und sich deshalb nicht ausgeruht fühlt, beobachten wir mit Sorge. Denn ständige Abgeschlagenheit kann ein Warnzeichen für seelische ‚Ausgebranntheit’ sein. Unser Gesundheitsreport zeigt, dass sich in den letzten fünf Jahren die Zahl der Krankentage, die nach ärztlichen Verordnungen auf das ‚BurnoutSyndrom’ zurückgehen, verzehnfacht hat“, kommentiert Heinz Kaltenbach, Geschäftsführer des BKK Bundesverbandes, dieses Umfrageergebnis.
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat einen Expertenpool aus medizinischen Beratern ins Leben gerufen. Mediziner mit Interesse an der Beteiligung von frühen Nutzenbewertungen können sich in einer Datenbank registrieren. Die Berater müssen einen Hochschulabschluss in Medizin, einschlägige Berufserfahrung, Facharztqualifikation, klinische Erfahrung in einem für den Auftrag relevanten Fachgebiet sowie in Fachzeitschriften veröffentlichte wissenschaftliche Artikel in dem relevanten Fachgebiet aufweisen können. Des Weiteren müssen sie Beratungen in deutscher Sprache führen können. Ab Januar 2011 will das IQWiG die Suche nach externen Sachverständigen als medizinisch-fachliche Berater beschleunigen, um bei der Frist für die Nutzenbewertung von Arzneimitteln keine unnötige Zeit zu verlieren. Hintergrund sind die dann geltenden Regelungen des AMNOG.
Experten für Studie gesucht Das Zentrum für empirische pädagogische Forschung der Universität Koblenz-Landau (zepf) und die BZgA führen eine Online-Befragung durch. Sie beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit die Konzepte „Selbstwirksamkeit“ und „Achtsamkeit“ in der Zielgruppe der sozial benachteiligten Menschen bereits Einzug gehalten haben. Auch soll geklärt werden, wie sie in Zukunft bei der Planung und Durchführung von gesundheitsfördernden Maßnahmen berücksichtigt werden können. Gesucht werden Experten aus Wissenschaft und Praxis, die durch ihre Teilnahme einen Beitrag zur Entwicklung von Angeboten zur Förderung der Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit und Gesundheit in der Zielgruppe von Menschen mit sozialer Benachteiligung leisten können. Die Teilnahme ist bis zum 15. Januar 2011 möglich, unter www.bzga.zepf.de.
Betriebskrankenkassen bilden aus Derzeit werden über 1.000 Auszubildende bei den Betriebskrankenkassen ausgebildet. Um dies sichtbar zu machen, hat der BKK Bundesverband einen Aufkleber entwickelt, der in den Geschäftsräumen und Service-Zentren der Betriebskrankenkassen bei Bedarf ausgehängt werden kann. 12/2010 Die BKK | 633
Morbi-RSA und Prävention: Passt das zusammen? Mit dem im Jahr 2009 eingeführten morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) erhalten Krankenkassen Zuweisungen, wenn Versicherte von ausgewählten Krankheiten betroffen sind. Neben einem zielgenaueren Risikoausgleich soll der Morbi-RSA dazu beitragen, dass Kranke nun nicht mehr grundsätzlich als „schlechte Risiken“ betrachtet werden. Wenn sich Krankheiten aber neuerdings „lohnen“, stellt sich die Frage, ob Krankenkassen nicht den Anreiz verlieren, sich für die Verhinderung von Krankheiten zu engagieren. Wolfgang Bödeker
634 | Die BKK 12/2010
gesundheitspolitik
Krankheitsrisiken der Versicherten sind in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht gleichmäßig über die Krankenkassen verteilt. Um nach Einführung des Kassenwahlrechts gleiche Wettbewerbschancen aller Krankenkassen herzustellen, wurde ein jährlicher Ausgleich eingeführt, mit dem die finanziellen Auswirkungen unterschiedlicher Versichertenstrukturen verringert werden sollten. Das Krankheitsrisiko der Versicherten wurde damit im Wesentlichen aus dem Alter und Geschlecht der Versicherten abgeleitet. Der Morbi-RSA stellt nun eine grundlegende Änderung des Ausgleichsverfahrens dar, indem Krankenkassen seitdem auch Zuweisungen bei ausgewählten Krankheiten ihrer Versicherten erhalten. Aber wird der Morbi-RSA wirklich seinem Anspruch gerecht, einen zielgenaueren Risikoausgleich her-
zustellen und zu verhindern, dass Kranke nicht mehr als „schlechtes Risiko“ betrachtet werden? Und wie verhält es sich mit Anreizen, Krankheiten zu verhindern und in Prävention zu investieren, wenn es sich geradezu lohnt, kranke Versicherte zu haben? Wie der Morbi-RSA berechnet wird. Zunächst erhält jede Krankenkasse für alle Versicherten eine Grundpauschale in Höhe der durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben in der GKV. Diese Grundpauschale wird durch Zu- und Abschläge verändert, die sich aus dem Alter, dem Geschlecht sowie dem Bezug von Krankengeld und Erwerbsminderungsrenten ergeben. Für kranke Versicherte erhalten die Krankenkassen weitere Zuschläge. Im Jahr 2010 werden 80 Krankheiten einbezogen, die anhand von ca. 3.800 ICD-Diagnosen in 112 „hierarchisierte Morbiditätsgruppen (HMG)“ zusammengefasst werden. Für Versicherte, die einer oder mehreren dieser Morbiditätsgruppen zugeordnet werden können, erhalten die Krankenkassen Zuschläge. Zur Festlegung dieser Zuschläge ist es erforderlich, dass die Krankenkassen dem Bundesversicherungsamt (BVA) regelmäßig Daten über ihre Versicherten und deren Leistungsinanspruchnahme zur Verfügung stellen. Die Zuordnung zu den Morbiditätsgruppen erfolgt durch die bei einer Behandlung gestellten Diagnosen. Bei einigen Krankheiten ist zusätzlich der Nachweis einer medikamentösen Therapie erforderlich. Art und Menge der verordneten Arzneimittel dienen in diesen Fällen als zusätzliches Kriterium, das sogenannte „Aufgreifkriterium“. Die Höhe der jeweiligen Zuschläge pro Krankheit wird dabei vorab auf Basis einer Stichprobe von GKV-Versicherten mit einem statistischen Modell ermittelt. Der Morbi-RSA ist prospektiv ausgestaltet, d. h., die Zuschläge sollen nicht die laufenden Behandlungskosten abdecken, sondern die mit diesen Krankheiten verbundenen Folgekosten. Beispiel: Für Versicherte, die in 2009 einen akuten Herzinfarkt (HMG 081) erlitten, bekommen Krankenkassen diejenigen Kosten erstattet, die rechnerisch durchschnittlich auf einen Herzinfarkt in 2008 zurückgehen. Harter Kampf um die Prävention. Der Gesetzgeber hat vorgesehen, dass in den Risikoausgleich zwischen den Krankenkassen nur 50 bis 80 eng abgrenzbare Krankheiten einbezogen werden. Dabei soll es sich um solche Krankheiten handeln, die einen schwerwiegenden Verlauf aufweisen, als kostenintensiv und chronisch gelten und bei denen die durchschnittlichen Leistungsausgaben die durchschnittlichen Leistungsausgaben aller Versicherten um mindestens 50 % übersteigen. Zudem wurde in § 268 SGB V und § 31 RSAV festgelegt, dass durch das Verfahren keine Anreize 12/2010 Die BKK | 635
rücksichtigung von Präventionspotenzialen und führte zum geschlossenen Rücktritt des Wissenschaftlichen Beirats.
Die Zuweisungen des Morbi-RSA decken nicht die Kosten eines Krankheitsfalles, sondern die mit dieser Krankheit durchschnittlich verbundenen Kosten im Folgejahr. für medizinisch nicht gerechtfertigte Leistungsausweitungen oder für eine Risikoselektion gesetzt werden sollen. Der Wissenschaftliche Beirat beim BVA wurde mit der Entwicklung eines Verfahrens für die operative Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgaben beauftragt. Zudem sollte er vorschlagen, welche Krankheiten für den Morbi-RSA ausgewählt werden sollen. Mit seinem Gutachten 2007 legte der Beirat eine solche Krankheitsliste vor, die eine Besonderheit aufwies: Sie enthielt keine Krankheiten, die als „prävenierbar“ gelten, also durch Präventionsmaßnahmen verhindert oder positiv beeinflusst werden können. Nach Auffassung des Rates sollte nämlich der Finanzausgleich nur dort wirken, wo eine medizinische Versorgung notwendig ist, aber nicht dort, wo durch gezielte Gesundheitsförderung und Prävention eine Reduktion der Krankheitslast erreicht werden könnte. 1 Dieser Sichtweise stimmte das BVA allerdings nicht zu, da Prävenierbarkeit kein vom Gesetzgeber vorgegebenes Kriterium der Krankheitsauswahl sei. Zudem gebe es keinen Hinweis darauf, dass Krankenkassen ihre Präventionsanstrengungen erhöhten, wenn Krankheiten nicht im Morbi-RSA berücksichtigt würden. 2 Die vom BVA schließlich vorgenommene Festlegung der Krankheitsauswahl erfolgte ohne Be636 | Die BKK 12/2010
Die Kontroverse um die Anreizwirkungen des Morbi-RSA auf die Prävention wurde nicht nur zwischen dem BVA und seinem Wissenschaftlichen Beirat ausgetragen, sondern fand zeitweilig ein breites mediales Interesse. Darüber hinaus gaben wissenschaftliche Fachgesellschaften zu bedenken, dass insbesondere mit Blick auf die gesellschaftlichen Kosten von Krankheiten ein Morbi-RSA kaum präventiv orientiert sein könne. Das BVA vertrat dagegen nachdrücklich die Auffassung, dass keine Fehlanreize vom Morbi-RSA ausgehen: „… denn, lässt sich eine Krankheit verhindern, so entgeht der Krankenkasse nicht nur der entsprechende Zuschlag, vielmehr vermeidet die Krankenkasse auch die entsprechenden Ausgaben. … Die Krankenkassen profitieren davon, wenn die laufenden Ausgaben unterhalb dieser Zuweisung bleiben. Dies ist natürlich dann der Fall, wenn der Versicherte jedes Jahr etwas gesünder als im Vorjahr ist.“ 3 In der Kontroverse ging es schließlich auch um das Instrument eines Risikostrukturausgleichs selbst. Mangels klarer Zielbestimmungen des Gesetzgebers blieb unklar, ob der Morbi-RSA lediglich zur Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen eingeführt wurde oder aber auch als ordnungspolitisches Instrument zur Steuerung der Prävention und Versorgung. 4 Morbi-RSA-relevante Effekte, die durch Prävention erreicht werden können. Prävention wird nicht nur als eigenständiges Ziel aufgefasst, sondern gilt insbesondere deshalb als bedeutend, weil hierdurch Krankheitskosten reduziert werden können. 20 bis 30 % der heutigen Gesundheitsausgaben sollen durch Prävention vermeidbar sein. Die positive Wahrnehmung der Prävention folgt allerdings oft nur Plausibilitätsüberlegungen und kann sich nicht immer auf belastbare Studienergebnisse stützen. Auch die skizzierte Kontroverse über die Effekte des Morbi-RSA auf die Prävention basierte weitgehend auf Plausibilitätsannahmen, ohne dass auf die empirische Evidenzlage zu den erreichbaren Präventionswirkungen verwiesen werden konnte. Dabei ist der wissenschaftliche Kenntnisstand über Wirksamkeit und Nutzen für die verschiedenen Präventionsansätze – Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention sowie Gesundheitsförderung – sehr verschieden. Mit den eingenommenen Positionen werden aber grundlegende Fragen angesprochen, nämlich: Welche Effekte lassen sich durch Prävention erzielen und mit welchen Methoden kann ein Nachweis darüber erbracht werden? 5 Um abschätzen zu können, ob der Morbi-RSA Fehlanreize für die Prävention setzt, ist die Differenzierung der Prävention nach ihren erreichbaren Effekten ebenso erforderlich
gesundheitspolitik
wie die genauere Betrachtung der verfahrenstechnischen Ausgestaltung des Morbi-RSA. Abbildung 1 zeigt Effekte, die idealtypisch durch Prävention erreicht werden könnten und welche grundsätzlichen Anreize für die Durchführung solcher Präventionsmaßnahmen vom Morbi-RSA ausgehen. Nachfolgend wird beleuchtet, ob diese Effekte nach dem Stand des Wissens tatsächlich auch für die im Morbi-RSA eingeschlossenen Krankheiten erreichbar sind und ob dies durch die Ausgestaltung des Morbi-RSA begünstigt oder erschwert wird.
sche und kostenträchtige Erkrankungen. 6 Hierunter finden sich allerdings auch Erkrankungen, die als schicksalhaft betrachtet werden, bei denen der Einfluss präventiver Maßnahmen also begrenzt bis nicht vorhanden sein dürfte. Andererseits umfasst die Liste auch Erkrankungen, die vielfach im Mittelpunkt von Präventionsstudien standen.
Morbi-RSA und Präventionsanreize. Zur Abschätzung der grundsätzlichen Anreizwirkungen des Morbi-RSA für die Prävention wurden a priori drei Typen von Präventionseffekten betrachtet. Wie in Abbildung 1 ausgeführt, verringert der Morbi-RSA für zwei von drei dieser Effekttypen einen Prä-
Effekttyp 1. Die Wirkung und der Nutzen von Primärprävention gemäß dem in Abbildung 1 aufgeführten Effekttyp 1 ist inzwischen wissenschaftlich gut untersucht und in einer großen Zahl systematischer Übersichtsarbeiten zusammen gestellt worden. Insbesondere für die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) und Prävention besteht in der wis senschaftlichen Literatur Konsens darüber, dass durch geeignete Maßnahmen Gesundheitsrisiken reduziert, Krankheitshäufigkeiten gesenkt sowie Krankheitskosten verringert werden. 7 Die Evidenzlage ist insbesondere bei Muskel-
ventionsanreiz. Ob diese Effekttypen im Morbi-RSA auch tatsächlich zum Tragen kommen, kann hieraus noch nicht beantwortet werden. Hierfür ist zu prüfen, ob die im MorbiRSA eingeschlossenen Krankheiten in der angenommenen Weise durch Prävention beeinflussbar sind. Bei den im Morbi-RSA berücksichtigten Krankheiten handelt es sich entsprechend der Auswahllogik um schwerwiegende, chroni-
Skelett-Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie psychischen Erkrankungen gut. Interventionsstudien zur Untersuchung von primärpräventiven Maßnahmen werden allerdings oft nicht auf einzelne Krankheiten, sondern auf Krankheitsgruppen ausgerichtet. Die Aussagen müssen daher nicht unbedingt für alle einzelnen in der Gruppe zusammengefassten Krankheiten gelten. Beispielsweise wird aber
Abb i l d u n g 1 :
Effekttypen von Prävention und grundsätzliche Anreizwirkungen im Morbi-RSA Effekttyp
Beispiel
Anreiz durch Morbi-RSA
Effekttyp 1: Prävention verhindert das Auftreten von Krankheiten
Wundgeschwüre (Dekubitus), die durch lange Bettlägerigkeit und unsachgemäße Lagerung entstehen, können durch sachgerechte Pflege in der Regel vollständig verhindert werden
Werden Präventionsmaßnahmen durchgeführt, so wird die Krankheit vermieden, es fallen aber Kosten der Prävention an. Dem stehen Krankheitskosten gegenüber, die ohne Prävention auftreten würden. Einsparungen durch Prävention ergeben sich also, falls die Behandlungskosten die Präventionsausgaben übersteigen. Durch den Morbi-RSA reduzieren sich die Behandlungskosten um die RSA-Zuschläge. Der Morbi-RSA verringert also den Präventionsanreiz, da das Einsparpotenzial geringer wird. Je höher der RSA-Zuschlag ist, desto geringer ist der Präventionsanreiz.
Effekttyp 2: Prävention wirkt wie Kuration
Bei Bluthochdruck wird angenommen, dass lebensstilbeeinflussende, nicht medikamentöse Präventionsmaßnahmen die Arzneimitteltherapie ersetzen oder den Medikamentenbedarf reduzieren können. Im Hinblick auf den MorbiRSA ist dieser Effekttyp relevant, da infolge von Präventionsmaßnahmen die RSA-Aufgreifkriterien, nämlich die Verordnung bestimmter Arten und Mengen von Arzneimitteln, verfehlt werden könnten. Die Krankenkassen erhalten dann keine Krankheitszuschläge.
Werden Präventionsmaßnahmen durchgeführt, fallen neben den nicht medikamentösen Behandlungskosten Präventionsausgaben an. Ohne Präventionsmaßnahmen würden an Stelle der Präventionsaufwendungen die Kosten der Arzneimittel treten. Unter Bedingungen des Morbi-RSA werden die Behandlungskosten um die RSA-Zuschläge vermindert. Prävention wäre also nur überlegen, falls die Präventionsaufwendungen geringer als die Arzneimittelkosten abzüglich der Zuschläge wären. Dies trifft aber nicht zu, so dass bei diesem Effekttyp ein Fehlanreiz für die Prävention gesetzt wird.
Effekttyp 3: Prävention beeinflusst den Krankheitsverlauf positiv
In Abgrenzung von den vorherigen Typen wird angenommen, dass die Entstehung einer Krankheit nicht verhindert werden kann und die Effekte der Prävention keinen Ersatz für sonstige Kurationsmaßnahmen darstellen. Beispiel: Diabetes II verläuft aufgrund von Präventionsmaßnahmen beschwerdeärmer.
Durch Präventionsmaßnahmen fallen zusätzliche Ausgaben an, die aber zu Einsparungen durch verringerte Morbidität führen. Für Krankheiten, bei denen der Krankheitsverlauf durch Prävention positiv beeinflusst wird, besteht also auch im Morbi-RSA ein Präventionsanreiz, sofern die Einsparungen durch Prävention die Präventionsaufwändungen übersteigen.
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Die Arithmetik des Morbi-RSA Für die Ermittlung der Zuschläge pro Krankheit werden in einer Regressionsanalyse die Morbiditätsdaten der GKV-Stichprobe mit deren Leistungsausgaben des Folgejahres verknüpft. Hierfür werden die Leistungsausgaben versichertenbezogen aufsummiert und für jedes Risikomerkmal ein Regressionskoeffizient ermittelt. Die Ermittlung erfolgt durch eine multiple, gewichtete, lineare Regression ohne Konstante, in der die Risikomerkmale, z. B. Krankheiten, die erklärenden Variablen für die Höhe der auf das Jahr hochgerechneten Leistungsausgaben bilden. Im Berichtsjahr Verstorbene werden hiervon abweichend behandelt. Welche Leistungsausgaben bei der Berechnung zugrunde gelegt werden, also welche die „berücksichtigungsfähigen Leistungsausgaben“ sind, ist in einem dezidierten Regelwerk festgelegt.
bei den im Morbi-RSA eingeschlossenen Krankheiten Alkohol- und Drogenabhängigkeit (HMG 051 – HMG 053), Herzinfarkt (HMG 081) oder Bluthochdruck (HMG 091) ein bedeutendes Präventionspotenzial gesehen. Zusammenfassung Effekttyp 1. Aufgrund der guten Evidenzlage hinsichtlich Wirksamkeit und Nutzen von Prävention muss für diesen Effekttyp davon ausgegangen werden, dass der Morbi-RSA bestehende Präventionsanreize für eine Reihe von Krankheiten verringert. Effekttyp 2. Dieser Typ gemäß Abbildung 1 beschreibt, dass durch Präventionsmaßnahmen dieselben therapeutischen Wirkungen erzielt werden können wie durch Arzneimittel. In diesem Fall können vom Morbi-RSA grundsätzlich negative Präventionsanreize ausgehen, da für manche Krankheiten nur dann Zuweisungen erfolgen, wenn neben den Diagnosen auch bestimmte Arzneimittel verordnet wurden. Für jede dieser Krankheiten müsste nun geprüft werden, ob durch Präventionsmaßnahmen eine medikamentöse Behandlung verzichtbar wird. Hierfür müssten entsprechende Präventionsstudien identifiziert und die Übertragbarkeit ihrer Ergebnisse gegebenenfalls qualitativ beurteilt werden. Da im Morbi-RSA eine große Zahl von Krankheiten mit Arzneimittelverordnungen als zusätzliches Aufgreifkriterium aufgenommen ist, kann diese Prüfung hier nur exemplarisch erfolgen. Eine Vielzahl von Studien und systematischen Übersichtsarbeiten befasst sich mit dem Einfluss von Lebensstilände638 | Die BKK 12/2010
rungen auf die Morbidität und Mortalität. Besonders gut untersucht sind die Effekte der Reduktion des Körpergewichts und der Erhöhung der körperlichen Aktivität im Hinblick auf den Bluthochdruck. Als Ergebnis einer systematischen Bewertung von randomisierten, kontrollierten Studien wurde festgestellt, dass fettarme Diäten u. a. zu einer Verbesserung des Blutdrucks und zu einem geringeren Arzneimittelbedarf führen. 8 Eine andere Übersichtsarbeit berichtet, dass bei Aufnahme einer gesunden Ernährung sowie moderater körperlicher Aktivität eine Verringerung des Blutdrucks zwischen 2 und 4 mm Hg zu erwarten ist. 9 Eine weitere Quantifizierung liefert eine Publikation jüngeren Datums, nach der ein Gewichtsverlust von 1 kg mit einer klinisch bedeutsamen Verringerung des systolischen Blutdrucks von 1 mm Hg einherginge. 10 Auch im Hinblick auf den Diabetes wird in der internationalen Literatur auf die Bedeutung der Änderung von Lebensstilfaktoren hingewiesen. In Übersichtsarbeiten werden eine Risikoreduktion von annähernd 50 % sowie eine deutliche Reduzierung der Blutzuckerwerte als erreichbar beschrieben. 11 Eine Gegenüberstellung mit medikamentösen Therapien findet sich allerdings in diesen Studien nicht. Zusammenfassung Effekttyp 2. Der Effekttyp 2 ist für die in den Morbi-RSA einbezogenen Krankheiten von Bedeutung, so kann für Bluthochdruckerkrankungen, z. B. HMG 091, und Diabetes, z. B. HMG 015, angenommen werden, dass durch Präventionsmaßnahmen ähnliche Effekte erreicht werden wie durch medikamentöse Behandlung. In diesem Falle würden aber die Aufgreifkriterien des MorbiRSA verfehlt und den Krankenkassen die entsprechenden Zuschläge entgehen. Präventionshandeln würde quasi mit finanziellen Einbußen bei den Krankenkassen „bestraft“. Effekttyp 3. Die Evidenzlage für diesen Effekttyp, also für die positive Beeinflussung des Krankheitsverlaufs durch Gesundheitsförderungs- und Präventionsmaßnahmen, ist auffällig weniger gut als bei den primärpräventiven Interventionen. Dennoch kommen, z. B. im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, systematische Übersichtsarbeiten zu dem Schluss, dass Sekundärprävention – sowohl als singuläre wie auch multifaktorielle Lebensstiländerungen – zu einer Verringerung von Morbidität und Mortalität führt. 12 Die meisten Erfahrungen über zu erwartende Präventionseffekte bei bestehenden Krankheiten ließen sich aus dem Bereich der medizinischen Rehabilitation, also dem Feld der Tertiärprävention, erwarten. Wissenschaftliche Gesamtbeurteilungen des Nutzens der Rehabilitation auf Basis systematischer Übersichtsarbeiten liegen allerdings bislang nicht vor.
gesundheitspolitik
Es sind aber sowohl Zusammenfassungen von Ergebnissen jüngerer Förderungsinitiativen wie auch einige systematische Reviews zu einzelnen Krankheitsbildern und Reha- Interventionen publiziert worden. Während für Muskel-Skelett-Erkrankungen die vorliegenden Studien eher keinen gesicherten Präventionseffekt ergeben, liegt im Hinblick auf koronare Herzkrankheiten dagegen deutliche Evidenz für die Wirksamkeit von Reha-Maßnahmen aus einem Cochrane Review vor. 13 Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Reha-Maßnahmen, die auf die Steigerung der körperlichen Aktivität zielen, im Vergleich zur Standardbehandlung die koronare Sterblichkeit von Patienten reduzieren können. Zusammenfassung Effekttyp 3. Es kann also davon ausgegangen werden, dass für einzelne in den Morbi-RSA einbezogene Krankheiten die positive Verlaufsbeeinflussung durch Präventionsmaßnahmen wissenschaftlich belegt ist. Der Morbi-RSA ist aber bei diesem Effekttyp anreizneutral, da annahmegemäß keine Krankheiten verhindert oder Aufgreifkriterien verfehlt werden. Verteilungs- und Zuordnungslogik des Morbi-RSA. Bisher wurde der Frage nachgegangen, ob grundsätzlich ein Zusammenhang zwischen verschiedenen Effekttypen der Prävention und dem Morbi-RSA besteht und ob die Anreize bei den im Morbi-RSA einbezogenen Krankheiten auch tatsächlich auftreten können. Aber auch unabhängig von den
Krankheiten kann durch die Ausgestaltung des Verfahrens ein Risikostrukturausgleich das Präventionshandeln der Kran kenkassen beeinflussen. Der Morbi-RSA setzt für die Krankenkassen zunächst denselben Grundanreiz wie andere Ausgleichssysteme, die auf standardisierten Leistungsausgaben basieren. „Lohnend“ ist es für eine Kasse, wenn sie ihre durchschnittlichen Ausgaben geringer halten kann als den Durchschnitt der Ausgaben der gesamten GKV. In diesem Fall würde eine Überdeckung eigener Ausgaben durch die Zuweisungen eintreten. Durch die prospektive Ausgestaltung soll der Morbi-RSA aber einen zusätzlichen Anreiz für die Versorgung der Kranken setzen. Durch direkte Einflussnahme auf die Leistungsausgaben, wie z. B. durch Rabatte oder Fallsteuerung, kann es einer Krankenkasse gelingen, die prospektiven Ausgaben eines Krankheitsfalles zu reduzieren und somit im Folgejahr unterdurchschnittliche Ausgaben zu erreichen. Für die Ermittlung der Zuweisungen im Morbi-RSA werden die berücksichtigungsfähigen Leistungsausgaben der Krankenkassen herangezogen. Dazu werden nach einem dezidierten Regelwerk einzelne Ausgabenpositionen in unterschiedliche Leistungsbereiche zusammengefasst, wie z. B. „Ärzte“ oder „Krankenhäuser“. Im gegenwärtigen Regelwerk werden auch die Ausgaben für Prävention zu den berücksichtigungsfähigen Leistungsausgaben gezählt.
Für in den Morbi-RSA einbezogene Krankheiten ist die positive Verlaufsbeeinflussung durch Präven tion wissenschaftlich belegt.
12/2010 Die BKK | 639
Abb i l d u n g 2 :
Im Morbi-RSA berücksichtigungsfähige Präventionsausgaben nach § 267 Abs. 7 Nr. 1 und 2 SGB V Kontenart
Ausgaben
Berücksichtigungsfähig im Bereich
511
Primäre Prävention nach § 20 Abs. 1 SGB V – Individualansatz
Satzungs- u. Ermessensleistungen
512
Unterstützung der Versicherten bei Behandlungsfehlern
Satzungs- u. Ermessensleistungen
513, 514
Förderung der Selbsthilfe
Sonstige Ausgaben
515
BGF/Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren
Sonstige Ausgaben
516
Verhütung von Zahnerkrankungen (Gruppenprophylaxe)
Zahnärzte
517
Primäre Prävention nach § 20 Abs. 1 SGB V – Nichtbetriebliche Lebenswelten
Satzungs- u. Ermessensleistungen
518
Impfungen
Ärzte
521
Maßnahmen zur Früherkennung von Krebserkrankungen
Ärzte
523
Maßnahmen zur Früherkennung von anderen Krankheiten
Ärzte
549
Prämien/Boni an Arbeitgeber nach § 65a Abs. 2 SGB V und § 84 Abs. 3 SGB IX
Satzungs- u. Ermessensleistungen
596
Versichertenbonus nach § 65 SGB V
Satzungs- u. Ermessensleistungen
Quelle: GKV-Spitzenverband, 2009
Abbildung 2 stellt verschiedene Ausgabenarten für Präventionsleistungen zusammen. Da die Ausgaben verschiedenen Leistungsbereichen zugeordnet werden, erfolgt im Morbi-RSA auch eine unterschiedliche Berücksichtigung. Während für Satzungs- und Ermessensleistungen der GKVDurchschnitt erstattet wird, gelten z. B. die Förderung der Selbsthilfe und die BGF als „nicht morbiditätsbezogene Ausgaben“, für die ein einheitlicher Erhöhungsbetrag über die Alters- und Geschlechtsgruppen verteilt wird. Die unterschiedlichen Erstattungsmodi ändern aber nichts daran, dass die Präventionsausgaben demselben Grundanreiz des Morbi-RSA unterworfen werden wie etwa die Ausgaben für Arzneimittel. Hiernach könnte es für eine Krankenkasse also „lohnend“ sein, die eigenen Präventionsausgaben zu reduzieren und unter dem GKV-Durchschnitt zu halten. Zusammenfassung und Fazit nn Der Morbi-RSA setzt aufgrund seiner Ausgestaltung für die Krankenkassen den Anreiz, unterdurchschnittliche Leistungsausgaben zu erzeugen. Dies kann durch aktives Kostenmanagement oder auch durch restriktive Bewilligung von Leistungen erfolgen. Werden – wie im Morbi-RSA – Präventionsausgaben gleichrangig mit sonstigen Leistungsausgaben behandelt, so folgt hieraus der Anreiz zu unterdurchschnittlichem Engagement in Gesundheitsförderung und Prävention. nn In den Morbi-RSA sind Krankheiten einbezogen, die durch Präventionsmaßnahmen verhindert oder günstig beeinflusst werden können. Die krankheitsbezogenen Zuweisungen durch den Morbi-RSA vermindern aus Sicht der Krankenkassen überwiegend die durch Prävention erzielbaren Einsparungen und stellen aus Sicht der Prävention einen Fehlanreiz dar. 640 | Die BKK 12/2010
nn Ob diese Fehlanreize die Krankenkassen tatsächlich veranlassen, ihre Präventionsaktivitäten zu reduzieren, hängt wesentlich von zwei Punkten ab: erstens dem Stellenwert, den man den Präventionsangeboten auch unabhängig vom Morbi-RSA für das Gewinnen und Halten von Mitgliedern beimisst und zweitens vom zu erwartenden Kosten-Nutzen-Verhältnis der Präventionsaktivitäten. nn Sofern Prävention mit einem positiven Kosten-NutzenVerhältnis einhergeht, so übersteigen die erreichbaren Einsparungen die Präventionsausgaben und der Nutzen dürfte durch die indirekten Effekte des Morbi-RSA kaum beeinträchtigt sein. In diesem Fall gäbe es aber auch kein „Risiko“ auszugleichen, eine Berücksichtigung von Präventionsausgaben im Morbi-RSA wäre daher nicht sinnvoll. Liegt anderenfalls kein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis für Prävention vor, so würden die o. g. Fehlanreize durch den Morbi-RSA wirken. Gesundheitspolitisch wäre dann eine Verfahrensänderung mit einer besonderen Berücksichtigung von Prävention innerhalb oder außerhalb des Morbi-RSA sinnvoll. nn Ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis ist insbesondere für Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Primärprävention belegt, nicht jedoch für die Mehrzahl der Früherkennungs-, Gesundheits- und Kinderuntersuchungen. nn Für die Erhöhung der Präventionsanreize im Morbi-RSA wurde diskutiert, zusätzliche Zuschläge für Präventionsaktivitäten einzuführen oder die Zuschläge für prävenierbare Krankheiten zu verringern. Dies würde den Anreiz zu unterdurchschnittlichem Engagement so lange grundsätzlich nicht berühren, wie keine vollständige Kostenerstattung vorgesehen wird. Dagegen ließe sich durch Re-
gesundheitspolitik
gelungen außerhalb des Morbi-RSA eine Förderung von Prävention erreichen, die nicht an den betriebswirtschaftlichen Nutzen für Krankenkassen gebunden ist. Sollvorgaben, wie sie für den Bereich der Prävention nach § 20 SGB V bereits existieren, bieten ein Instrument für eine direkte Steuerung des Präventionsgeschehens. nn Eine Abschätzung der Anreizwirkungen des Morbi-RSA auf die Prävention ist durch das Nebeneinander unterschiedlicher Steuerungs- und Förderinstrumente in der GKV erschwert. Präventionsausgaben werden im Morbi-RSA berücksichtigt. Gleichzeitig besteht für die Primärprävention und BGF eine normative Vorgabe für Sollausgaben durch § 20 SGB V. Bonusprogramme nach § 65 SGB V wiederum dürfen von Krankenkassen nur aufgelegt werden, wenn die Aufwendungen durch Einsparungen durch diese Programme erzielt werden können. Alle Steuerungsund Förderinstrumente betreffen im Bereich der Gesundheitsförderung und Primärprävention oft dieselben Maßnahmen, die damit Anreizen unterliegen, die sich komplex gegenseitig beeinflussen oder gar einander aufheben.
Dr. rer. nat. Wolfgang Bödeker, Abteilungsleiter Statistik & Analysen, BKK Bundesverband, Essen Kontakt: BoedekerW@bkk-bv.de
Anmerkungen
3 Bundesversicherungsamt, 2008. So funktioniert der neue Risikostrukturausgleich im Gesundheitsfonds. http://www.bundesversicherungsamt.de/cln_115/nn_1046668/ DE/Risikostrukturausgleich/Wie__funktioniert__Morbi__RSA,templateId=raw,proper ty=publicationFile.pdf/Wie_funktioniert_Morbi_RSA.pdf (letzter Zugriff 9.2.2010) 4 Cassel, D., K. Jacobs, Risikostrukturausgleich und Prävention: Zur Problematik der versorgungspolitischen Instrumentalisierung des Morbi-RSA, in: Göpffarth, D., S. Greß, K. Jacobs, J. Wasem, Risikostrukturausgleich 2009 – Morbi-RSA, Asgard Verlag, St. Augustin 2009, S. 185 – 212. 5 Die Wirkung und der Nutzen von Gesundheitsförderung und Prävention wie auch die methodischen Anforderungen an einen Evidenznachweis sind ein Arbeitsfeld der gemeinsamen Initiative Gesundheit und Arbeit (iga). Publikationen zum Thema unter www.iga-info.de 6 Krankheitsliste unter http://www.bundesversicherungsamt.de/cln_115/nn_1440668/ DE/Risikostrukturausgleich/Festlegungen/Festlegung__zu__beruecksichtigende__ Krankheiten.html 7 Sockoll, I., I. Kramer, W. Bödeker, Wirksamkeit und Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention, IGA Report 13, 2008 (Download im Internet unter www.iga-info.de). 8 Avenell, A., T. J. Brown, M. A. McGee, M. K. Campbell, A. M. Grant, J. Broom, R. T. Jung, W. C. S. Smith, What are the long-term benefits of weight reducing diets in adults?, A systematic review of randomized controlled trials, in: Journal of Human Nutrition and Dietetics (17) 2004, S. 317 – 335. 9 Margetts, B. M., P. Little, D. Warm, Interaction between physical activity and diet: implications for blood pressure management in primary care, in: Public Health Nutrition (2/3a) 1999, S. 377 – 382. 10 Aucott, L., H. Rothnie, L. McIntyre, M. Thapa, C. Waweru, D. Gray, Long-term weight loss from lifestyle intervention benefits blood pressure? A systematic review, in: Hypertension (54) 2009, S. 756 – 762. 11 Zimmer, P., J. Shaw, K. G., Albertit, Preventing Type 2 diabetes and the dysmetabolic syndrome in the real world: a realistic view, in: Diabetes Medicine (20) 2003, S. 693 – 702; Santaguida, P. L., C. Balion, D. Hunt, K. Morrison, H. Gerstein, P. Raina, L. Booker, H. Yazdi, Diagnosis, prognosis, and treatment of impaired glucose tolerance and impaired fasting glucose, Evidence Report Number 18, McMaster University Evidence-based Practice Center, Canada 2005. 2 Ketola, E., R. Sipilä, M. Mäkela, Effectiveness of individual lifestyle interventions in re1 ducing cardiovascular disease and risk factors, in: Ann Med (32) 2000, S. 239 – 251. 13 Karalainen, K., M. Malmivaara, M. Van Tulder, R. Roine, M. Jauhiainen, H. Hurri, B. Koes, Multidisciplinary biopsychosocial rehabilitation for neck and shoulder pain among working age adults, Cochrane Database of Systematic Reviews 2003, Issue 2., Art. No. CD002194. DOI: 10.1002/14651858. CD002194; Jolliffe, J. A., K. Rees, R. S. Taylor, D. Thompson, N. Oldbridge, S. Ebrahim, Exercise-based rehabilitation for coronary heart disease, Cochrane Database of Systematic Reviews 2001, Issue 1, Art. No. CD001800. DOI: 10.1002/14651858. CD001800.
1 Glaeske, G., Vom RSA zum Morbi-RSA – mehr Rationalität im GKV-Finanzausgleich?, in: Göpffarth, D., S. Greß, K. Jacobs, J. Wasem, Risikostrukturausgleich 2009 – Morbi-RSA, Asgard Verlag, St. Augustin 2009, S. 7 – 39. 2 Göpffarth, D., Auswahl und Anpassung eines Versichertenklassifikationsmodells für den Risikostrukturausgleich, in: Göpffarth, D., S. Greß, K. Jacobs, J. Wasem, Risikostrukturausgleich 2009 – Morbi-RSA, Asgard Verlag, St. Augustin 2009, S. 101 – 132.
Werden Präventionsausgaben gleich rangig mit sonstigen Leistungsausgaben behandelt, so folgt hieraus der Anreiz zu unterdurchschnittli chem Engagement in Gesundheitsförderung und Prävention.
12/2010 Die BKK | 641
Der Morbi-RSA: Erfahrungen – Entwicklungen – Herausforderungen (Ty) Am 22. November 2010 fand in Essen eine Fachtagung des BKK Bundesverbandes und der BKK Landesverbände statt, bei der unmittelbar nach Übermittlung der Ergebnisse des ersten vollständig abgeschlossenen Jahresausgleichs (Schlussausgleichs) 2009 durch das Bundesversicherungsamt Fragen des morbiditäts orientierten Risikostrukturausgleichs, kurz: Morbi-RSA, diskutiert wurden.
Dr. Wolfgang Bödeker
Prof. Dr. Jürgen Wasem
Rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer verfolgten am 22. November 2010 in Essen die Präsentationen von Mitarbeitern der BKK Landesverbände zu den unterschiedlichsten Aspekten des Morbi-RSA und diskutierten unter Leitung von Dr. Wolfgang Bödeker, Abteilungsleiter RSA und Statistik beim BKK Bundesverband. Am Nachmittag referierte Prof. Dr. Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats zur Weiterentwicklung des RSA beim Bundesversicherungsamt zu aktuellen Aufgaben und Problemen. In der Begrüßung stellte Dr. Wolfgang Bödeker heraus, dass die Finanzströme innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Einführung des Gesundheitsfonds und des Morbi-RSA im Jahr 2009 grundlegend neu geordnet worden seien. Ziel der Veranstaltung sei es, die Erfahrungen der letzten nunmehr fast zwei Jahre Revue passieren zu lassen sowie die vorgesehenen Weiterentwicklungen zu diskutieren. Nach der Errichtung des GKV-Spitzenverbandes und der Neuordnung der alten GKV-Spitzenverbände wurde im BKK System die Entscheidung getroffen, dass es zum Thema RSA weiterhin eine BKK Systemperspektive geben solle. Daher wurde eine sogenannte RSA-Steuerungsgruppe mit Mitarbeitern aus dem BKK Bundesverband und den 642 | Die BKK 12/2010
BKK Landesverbänden errichtet, die auch Ausrichter dieser Veranstaltung seien. Diese stehe wegen der Heterogenität des BKK Systems vor der Herausforderung, Systempositionen zu formulieren, die von allen Betriebskrankenkassen mitgetragen werden können. Der finanzielle Ausgleich erfolgt seit Einführung des MorbiRSA erstmals auch unter Berücksichtigung von 80 ausgewählten Krankheiten. Die Umstellung auf den Morbi-RSA war mit der Organisation neuer Datenflüsse, der Bereitstellung und Qualitätssicherung großer Datenmengen sowie der Entwicklung eines neuen monatlichen Abschlagsverfahrens verbunden. Aufgrund der prospektiven Ausgestaltung des Morbi-RSA sowie seiner hohen Komplexität sahen sich die Krankenkassen hohen Planungsunsicherheiten ausgesetzt. Im ersten Teil der Veranstaltung wurden Erfahrungen mit dem Morbi-RSA aus Sicht der Betrieblichen Krankenversicherung thematisiert. Jens Abrill, BKK Landesverband Mitte, warf einen Blick zurück und hob die Verfahrensänderungen in 2009 und 2010 beispielsweise bei Zahnarztausgaben und Krankengeld sowie die doppelte Prospektivität und die nachträgliche Einführung von Faktoren zur besseren Steuerung des Abschlagsverfahrens hervor.
gesundheitspolitik
Die Liquidität und die Zahlungsflüsse im Zeitalter des Gesundheitsfonds standen im Mittelpunkt des Vortrags von Wolfgang Gotta, BKK Landesverband Hessen. Die Frage, ob sich eine Kasse nun nie mehr Sorgen um die laufenden Kosten machen müsse, konnte der Referent nicht bejahen. Mehrere Grundlagenbescheide und Korrekturbescheide einschließlich eines Jahresausgleichsbescheides im Laufe eines Jahres verursachen vielmehr unterjährige Schwankungen in der Liquidität. Diese sind wiederum abhängig vom Verlauf der Versicherten- und der Mobiditätsentwicklung sowie von der Entwicklung der Kasse im Vergleich zur GKV insgesamt. Im zweiten Teil wurden Probleme des Morbi-RSA in Bezug auf Datengenerierung und -qualität in den Mittelpunkt gestellt. So ist es für den Morbi-RSA erforderlich, Diagnosen und Arzneimittelinformationen versichertenbezogen vorliegen zu haben. Jürgen Kowalke, BKK-Landesverband NORDWEST, stellte heraus, dass es eines umfassenden und sehr komplexen Meldeverfahrens bedarf, um diese Informationen fehlerfrei und vollständig zu generieren. Er beschrieb die einzelnen Datenwege bis zur Erstellung der Morbi-RSASatzarten sowie Schwierigkeiten bei den Datenmeldungen und benannte mögliche Ursachen für mangelnde Datenqualität. Um die Datenqualität zu verbessern, sei es hilfreich, geeignete Prüfroutinen einzusetzen. Zudem ist der MorbiRSA mittlerweile so komplex geworden, dass er interdisziplinäres Handeln in einer Krankenkasse erfordert. Markus Hock, BKK Landesverband Bayern, zeigte auf Basis der Datenlieferungen 2008 und 2009 die unterschiedlichen Datenqualitäten der Kassenarten im Vergleich auf. Er wies darauf hin, dass eine unzureichende Datenqualität folgenreich für eine Kasse sein kann, da sie zur Löschung von Datensätzen und zu Zuweisungsverlusten führen kann. Als Fehlerquellen führte er an: Unvollständigkeit, formale Fehler, Inkonsistenzen sowie medizinisch-inhaltliche Fehler. Im dritten Teil wurde der Blick nach vorne gerichtet. Jürgen Gehret, BKK Landesverband Rheinland-Pfalz und Saarland, präsentierte aufbauend auf der Vermögenssituation der GKV-Kassenarten am 1. Januar 2010 eine Prognose der voraussichtlichen Finanzentwicklung 2010 und 2011 auch im Hinblick auf die interessante Frage „Zusatzbeiträge oder Prämienausschüttungen?“. Der Referent wagte die generelle Prognose, dass es im Jahr 2011 nicht zur flächendeckenden Erhebung von Zusatzbeiträgen kommen werde und möglicherweise sogar einzelne Kassen Prämien ausschütten können. Dr. Thomas Schepp, BKK Landesverband Baden-Württemberg, behandelte schließlich die Bedeutung und die Folgen der Krankheitsauswahl 2010 und 2011 sowie die Effekte aus
der Anpassung des Klassifikationsmodells. Trotz geringer Anpassungen der Krankheitsauswahl wurde im Jahr 2010 eine deutliche Umstrukturierung der Hierarchisierten Morbiditätsgruppen (HMG) vorgenommen. Die Hierarchisierung wurde angepasst, um die Zielgenauigkeit zu erhöhen (z. B. Bluter, Dialyse), und es gab grundlegende Änderungen der Aufgreifkriterien. Für die Anpassung 2011 ergibt sich: Eine geänderte Krankheitsauswahl bedingt auch neue HMG. Die Zielgenauigkeit wird insbesondere dadurch erhöht, dass einzelne wenige Hochkostenfälle besonders differenziert werden. Zudem sollen Anpassungen an der Hierarchisierung stattfinden, um parallele Zuschläge und gegebenenfalls Kostenüberdeckungen möglichst zu vermeiden. Ansatzpunkte für größere Anpassungen im Jahr 2011 und in den Folgejahren sieht der Referent bei folgenden Bereichen: der Verstorbenenproblematik, der Bildung eines Risikopools und beim Krankengeld. Abschließend berichtete der Gastredner Prof. Dr. Jürgen Wasem, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats zur Weiterentwicklung des RSA beim Bundesversicherungsamt, über den Schlussausgleich 2009 und die aktuellen Aufgaben des Beirats. Die Präsentation ausgewählter Ergebnisse zum Jahresausgleich 2009 erfolgte in enger Abstimmung mit dem erkrankten Dr. Dirk Göpffarth, Bundesversicherungsamt. Neben mittelfristigen Aufgaben des Beirats, z. B. zu den Themenbereichen „Krankheitsauswahl“ und „Klassifikationsmodell“, erörterte Wasem den durch das Bundesministerium für Gesundheit erteilten „Sonderauftrag Krankengeld“. Dieser resultiert daraus, dass das Krankengeld im Morbi-RSA wie eine Sachleistung behandelt wird, d. h., es werden – mit Alter und Geschlecht sowie Erwerbsminderungsrente als Variablen – standardisierte Leistungsausgaben als Durchschnittsausgaben ermittelt. Dies ist „doppelt falsch“, so Wasem: Erstens werden aufgrund der Einkommensabhängigkeit der Leistung „Krankengeld“ Krankenkassen mit überdurchschnittlichen Grundlöhnen ceteris paribus systematisch benachteiligt und zweitens werden aufgrund der geringen Erklärungskraft von Alter und Geschlecht für die Krankengeld-Morbidität Krankenkassen mit hoher Krankengeld-Morbidität in den jeweiligen Altersgruppen ebenfalls ceteris paribus systematisch benachteiligt. Professor Wasem schloss seinen Vortrag mit folgenden Statements: Gesundheitsfonds und Morbi-RSA gehören nicht zwingend zusammen, aber ohne Morbi-RSA ist ein System von Zusatzbeiträgen problematisch. Der Start von Morbi-RSA und Gesundheitsfonds verlief nicht ohne Probleme, aber doch relativ reibungslos. Nachdem der Jahresausgleich 2009 vorliegt, gilt es nun, in eine gründliche Bestandsaufnahme der Stärken und Schwächen des Morbi-RSA einzusteigen.
12/2010 Die BKK | 643
Studie der Bosch BKK belegt: Bessere Versorgung rechnet sich Durch den Einsatz von „Patientenbegleitern“ verbessert die Bosch BKK bei der Betreuung schwerkranker Versicherter deren Versorgung und spart vermeidbare Leistungsausgaben ein. Das ist das Ergebnis einer dreijährigen Evaluationsstudie zur „Patientenbegleitung“ der Bosch BKK durch Wissenschaftler der Katholischen Fachhochschule Mainz und des Centrums für angewandte Wirkungsforschung. Sonja Feihle
Mit dem Ziel, Patienten besser zu betreuen, hat die Bosch BKK 2007 eine vertragliche, regionale und sektorenübergreifende Kooperation mit Haus- und Fachärzten sowie Kliniken vereinbart. Zentraler Baustein der Zusammenarbeit ist die Patientenbegleitung: Dabei hilft ein speziell geschulter Mitarbeiter der Bosch BKK, die medizinische, pflegerische und psychosoziale Versorgung Schwerkranker zu koordinieren. Die überwiegend im Außendienst arbeitenden Patientenbegleiter kümmern sich nach einem Klinikaufenthalt darum, dass der Patient zu Hause gut versorgt ist. Sie minimieren so das Risiko einer Wiedereinweisung in das Krankenhaus. In Absprache mit dem behandelnden Arzt kümmern sie sich um Reha- oder Pflegemaßnahmen, organisieren Hilfsmittel und vermitteln dem Patienten und dessen Angehörigen Kontakte, z. B. zu Pflege- oder Sozialdiensten vor Ort. Durch ihre Arbeit tragen die Patientenbegleiter dazu bei, Schnittstellen zwischen dem stationären und ambulanten Sektor zu überwinden und die behandelnden Ärzte von organisatorischen Aufgaben zu entlasten. Mit der organisatorischen Unterstützung von Patient, Familie und Arzt füllen die Patientenbegleiter eine „Lücke“, für die kein Leistungserbringer zuständig ist. Wissenschaftliche Evaluationsstudie. Die Patientenbegleitung wurde von Wissenschaftlern der Katholischen Fachhochschule Mainz – unter der Federführung von Prof. Dr. Peter Löcherbach – sowie von Mitarbeitern des Centrums für angewandte Wirkungsforschung (CAW) in der IKJ ProQualitas GmbH über einen Zeitraum von drei Jahren evaluiert. Grundlage der Evaluationsstudie waren 1.064 Betreuungsfälle. In der Interventionsgruppe wurden 532 Bosch BKK Versicherte mit Krebs, einer Herzerkrankung, mit Schlaganfall sowie Versicherte über 75 Jahre mit einem erhöhten Betreuungsbedarf von einem Patientenbegleiter betreut. Mit der gleichen Anzahl an Versicherten der Bosch BKK und der Daimler BKK, die das Vorhaben mit ihren Daten unterstützte, wurde eine Kontrollgruppe gebildet. Die Evaluation stützte sich zum einen auf erhobene Daten zu Häufigkeiten, Zeit644 | Die BKK 12/2010
V e r t r a g s pa r t n e r & V e r s o r g u n g s s y s t e m e
räumen und Kosten verordneter Leistungen. Zum anderen wurden Befragungen über die Wirkungen der Patientenbegleitung mit Versicherten, kooperierenden Ärzten und Krankenhaussozialdiensten sowie den Patientenbegleitern durchgeführt. Einsparungen nach einem Jahr. Eine zentrale Frage der Evaluation war, ob durch die Patientenbegleitung Kosten, Fallzahlen und Falldauern beeinflusst werden können. Erkenntnisse dazu sollen helfen, potenzielle Kosteneinsparpotenziale oder Bereiche mit vermeidbaren Kosten zu identifizieren. Die dafür notwendigen Leistungsdaten für die Experimental- und Kontrollgruppe wurden aus verschiedenen Datenbanken der beteiligten Kassen selektiert. Die Evaluation hat gezeigt, dass die Patientenbegleitung zwar kurzfristig zu höheren Leistungsausgaben führt, im späteren Verlauf sind jedoch deutliche Einsparungen sichtbar (siehe Abbildung 1). Die höheren Ausgaben entstehen beispielsweise bei Heil- und Hilfsmitteln. Bei den im Rahmen der Studie untersuchten Gesamtkosten – alle Leistungsausgaben außer den Aufwändungen für ambulante ärztliche Leistungen – wurden circa ein Jahr nach Beendigung der Patientenbegleitungen signifikante Einsparungen von durchschnittlich 21,5 % ermittelt. Abb i l d u n g 1 :
Vergleich der Gesamtkosten (alle Leistungsausgaben Krankenversicherung ohne Arztkosten) 14 .000
13.438
Experimentalgruppe Kontrollgruppe
12 .000
9.672
10 .000 8 .000 6. 000 4. 000
3.958 2.666
n = 258 (3–6 Monate) n = 740 (> 9 Monate)
2. 000
p < 0,05 0
3 – 6 Monate
> 9 Monate
Die Patientenbegleitung führt zunächst zu höheren Leistungskosten, z. B. bei Heil- und Hilfsmitteln. Nach über neun Monaten können aber Einsparungen verzeichnet werden, vor allem bei den Krankenhauskosten. Quelle: Bosch BKK
Bei der Patientenbegleitung hilft ein speziell geschulter Mitarbeiter der Bosch BKK, die medizinische, pflegerische und psychosoziale Versorgung Schwerkranker zu koordinieren. Größte Effekte im Krankenhausbereich. Am deutlichsten sind die finanziellen Effekte der Patientenbegleitung im Krankenhausbereich, wo die Betreuung auch zu weniger Klinikeinweisungen und kürzeren Aufenthaltsdauern führte. Besonders wichtig sind diese Effekte, weil die Krankenhauskosten rund die Hälfte der in der Studie berücksichtigten Gesamtkosten ausmachen. Mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit von 95 % liegen die Einsparungen im Krankenhausbereich pro Jahr und Fall zwischen 900 € und 3.700 €, d. h., die Einsparung beträgt im Mittel 2.300 €. Vergleicht man die betreuten Fälle nach Diagnosen, fallen die Kosteneffekte der Patientenbegleitung unterschiedlich hoch aus. Am größten waren die erzielten Einsparungen in der Gruppe der Schlaganfallpatienten. Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass das Steuerungspotenzial – und damit die Möglichkeit zur Beeinflussung der Kosten – bei kostenintensiven Erkrankungen und der Betreuung von multimorbiden Patienten stärker ist. Hohe Akzeptanz bei hohen Rücklaufquoten. Durch Befragungen von Ärzten, Mitarbeitern von Krankenhaussozialdiensten, den in die Studie einbezogenen Patienten und den Patientenbegleitern wurde untersucht, ob die Versorgungsqualität durch die Patientenbegleitung verbessert werden konnte. Die Rücklaufquoten der Fragebögen waren mit 40 % bei den Patienten und knapp 50 % bei Ärzten und Sozialdiensten sehr hoch. 92,5 % der Ärzte hielten die Patientenbegleitung in den betreuten Fällen für indiziert (siehe Abbildung 2). 12/2010 Die BKK | 645
Aus Sicht der Leistungserbringer: Versorgung verbessert. 83 % der Ärzte und 84 % der Sozialdienstmitarbeiter gaben an, dem Patienten sei sehr gut oder gut geholfen worden. Als größte Vorteile nannten beide Gruppen die Entlastung bei der psychosozialen Betreuung der Patienten, den Abbau von Bürokratie, eine effektivere Abstimmung zwischen den an der Betreuung Beteiligten sowie einen besseren Informationsstand der Patienten. Knapp die Hälfte aller befragten Ärzte und Sozialdienstmitarbeiter gab an, durch die Arbeit der Patientenbegleiter stark oder sogar sehr stark entlastet worden zu sein. Maßgeblichen Einfluss auf die empfundene Entlastung der Ärzte hatte ein persönlicher Kontakt zwischen Patientenbegleiter und Arzt. Hier zeigt sich noch Potenzial zur Prozessoptimierung: Bei der bisherigen Rate von knapp 60 % könnte die unmittelbare Kontaktaufnahme zum Arzt noch ausgebaut werden, was zu einer noch besseren Wirkung der Patientenbegleitung führen könnte.
die körperliche und psychische Verfassung der Versicherten wirkt sich die Patientenbegleitung nicht unmittelbar aus. Allerdings haben die betreuten Versicherten weniger Befürchtungen und Ängste in Bezug auf ihre Erkrankung und sie werden deutlich stärker aktiviert, selbst etwas zur Verbesserung ihrer Gesundheitssituation beizutragen: Während in der Experimentalgruppe über 83 % der Befragten viele beziehungsweise sehr viele Anregungen dazu bekamen, gab fast die Hälfte der Kontrollgruppe an, nur wenige oder gar keine Anregungen erhalten zu haben. Insofern stellt die Patientenbegleitung auch eine „Hilfe zur Selbsthilfe“ bereit.
Aus Versichertensicht: weniger Ängste und viel Unterstützung. Die befragten Versicherten waren insgesamt mit der Betreuung zufriedener als diejenigen ohne Patientenbegleitung (siehe Abbildung 3). Deutlich zufriedener zeigten sie sich in Bezug auf die Beratungskompetenz, das Vertrauensverhältnis und das Einfühlungsvermögen der Kassenmitarbeiter. Die größten Vorteile sahen sie in der individuellen Beratung in Form eines persönlichen Ansprechpartners, der Vermittlung wichtiger Informationen und der Unterstützung bei der Versorgung mit passgenauen Hilfsmitteln. Auf
Wirkfaktoren der Patientenbegleitung. Die Studie hat gezeigt, dass die Patientenbegleitung dann besonders wirksam ist, wenn sie möglichst frühzeitig eingeleitet wird und der Versorgungsprozess zwischen Patienten und Ärzten professionell vom Patientenbegleiter flankiert wird. Durch fachliche Expertise im Versorgungsmanagement und durch Zuwendung können Compliance und Empowerment beim Patienten unterstützt werden. Entscheidend ist auch, dass die Patientenbedürfnisse und der fachlich gebotene Versorgungsbedarf aneinander angepasst werden. Aufgabe des Patientenbegleiters muss es daher auch sein, die unterschiedlichen Interessenlagen von Patient, Arzt, Kranken haussozialdienst und Krankenkasse auszubalancieren. Er darf weder Wunscherfüller für den Patienten noch Erfüllungsgehilfe des Arztes sein. Für Versorgungsbedarfe nicht medizinischer Art, die den Gesundheitszustand mit beein-
Abb i l d u n g 2 :
Abb i l d u n g 3 :
Ergebnisse der Ärztebefragung: War die Patientenbegleitung indiziert?
Ergebnisse der Versichertenbefragung: Zufriedenheit der Versicherten mit der Patientenbegleitung
Nein
Skalenmittelwert
5 %
Überwiegend nein 2,5 %
90 Überwiegend ja Ja
22,5 %
70 %
80
90,3
Quelle: Bosch BKK
646 | Die BKK 12/2010
Kontrollgruppe
91,3
89,7 81,3
88,0 81,0
83,0 79,7
70 Beratungskompetenz
92,5 % der befragten Ärzte sahen Bedarf für die Betreuung durch die Patientenbegleiter.
Experimentalgruppe
100
Vertrauensverhältnis
Einfühlungsvermögen
Ablauf der Betreuung
Die Gesamtzufriedenheit – zusammengefasst zu einem übergeordneten Zufriedenheitsindex – fällt signifikant höher aus als in der Kontrollgruppe. Die Zufriedenheit der betreuten Versicherten war am höchsten in Bezug auf die Aspekte „Beratungskompetenz“, „Vertrauensverhältnis“ und „Einfühlungsvermögen“.
Quelle: Bosch BKK
V e r t r a g s pa r t n e r & V e r s o r g u n g s s y s t e m e
flussen, nutzen die Patientenbegleiter soziale und versicherungsrechtliche Leistungen, die zunächst eine Investition darstellen. Dadurch kann eine stabilere und verbesserte Situation in sozialer und gesundheitlicher Hinsicht erzielt werden, so dass sich die Investition insgesamt rechnet. Vertragliche Integration der Patientenbegleitung. Vertraglich eingebettet ist die Patientenbegleitung in regionale Verträge nach §§ 73b und 73c sowie § 140a SGB V. 2007 und 2008 schloss die Bosch BKK in Regionen mit vielen BKK Versicherten entsprechende Verträge mit Ärzteverbünden und Krankenhäusern, um den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Patientenbegleitern zu regeln. Erster Vertragspartner war MEDI, danach folgten inhaltsgleiche Verträge mit dem Hausarztverein Oberallgäu, dem Ärztenetz Reutlingen, dem Ärztebund Franken, dem Praxisnetz Nürnberg-Süd, der GEHOSA in Homburg/Saar, dem Ärztenetz in Zweibrücken, HilMed in Hildesheim sowie mit einzelnen Ärzten im Raum Brotterode in Südthüringen. Die Schwerpunktkliniken in diesen Regionen schlossen sich an. Insgesamt beteiligten sich bundesweit rund 2.400 niedergelassene Ärzte, 15 Krankenhäuser und 50.000 Versicherte. In Baden-Württemberg und Bayern wurden diese Verträge inzwischen durch die 2009 von den Betriebskrankenkassen geschlossenen Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung abgelöst. Diese Hausarztverträge bieten die Möglichkeit, die neuen Optionen der Versorgungssteuerung zu nutzen: Zu
nennen sind beispielsweise Regelungen zum Fallmanagement bei Arbeitsunfähigkeit, Hilfsmittelmanagement oder Versorgungsmanagement bei Patienten mit besonderem Steuerungsbedarf – wie z. B. bei Versicherten mit dem Risiko eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls. Im Rahmen der Versorgungssteuerung haben die Vertragspartner auch die Fortführung der Patientenbegleitung zugesichert, allerdings hat sie nicht mehr den gleichen Stellenwert. Deshalb arbeitet die Bosch BKK derzeit an zusätzlichen vertraglichen Regelungen mit dem Ziel, die Patientenbegleitung auch bei weiteren Patientengruppen mit hohem Steuerungspotenzial einsetzen zu können. Beleg für die Wirtschaftlichkeit von Selektivverträgen. Die Patientenbegleitung ist ein regional ausgerichtetes Modell: Die Patientenbegleiter kennen und berücksichtigen die Versorgungsstrukturen und Rahmenbedingungen vor Ort, sind in der Region gut vernetzt und arbeiten mit den Leistungserbringern und anderen Akteuren des jeweiligen regionalen Versorgungsnetzes eng zusammen. Die vertragliche Einbettung in Selektivverträge auf regionaler Basis ist insofern folgerichtig. Die Frage, ob sich höhere Arzthonorare durch Einsparungen in anderen Bereichen ohne Qualitätsverlust rechnen können, blieb bisher unbeantwortet. Mit der Evaluationsstudie zur Patientenbegleitung liegen jetzt erste Erkenntnisse dazu vor. Die Studie zeigt, dass sich eine enge Kooperation von Leistungserbringern und Kasse, z. B. im Rahmen der hausarztzentrierten Versorgung, rechnen kann. Sie belegt, dass Investitionen in Mehrangebote durch Einsparungen in anderen Leistungsbereichen ausgeglichen werden können. Insofern bietet die Studie auch Erkenntnisse zur Wirtschaftlichkeit von Selektivverträgen. Fazit. Die Patientenbegleitung ist ein Beispiel dafür, wie Maßnahmen einer Versorgungssteuerung die Betreuung von schwerkranken Patienten wirtschaftlicher machen können bei einer gleichzeitig verbesserten Versorgung. Ressourcen können effizienter genutzt und Investitionen in Mehrangebote durch Einsparungen in anderen Leistungsbereichen ausgeglichen werden. Die Zufriedenheit, der Informationsstand und die Eigenaktivität der Patienten können erhöht und Leistungserbringer entlastet werden. Aus den Ergebnissen der Evaluationsstudie ergeben sich Ansätze für eine unbürokratische Form der Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten, Kliniken und Kassenmitarbeitern auf regionaler Ebene. Sonja Feihle, Bosch BKK, Stuttgart Kontakt: Sonja.Feihle@de.bosch.com
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„Ein Herz ist viel mehr als eine Pumpe“ E i n I n t e r v i e w m i t P r o f. D r . D i e t r i c h G r ö n e m e y e r
Wieso schreiben Sie als Radiologe erst ein Buch zum Thema „Rücken“ und jetzt über das Herz? Das „Rückenbuch“ habe ich als Arzt geschrieben, das Buch „Mein Herz“ als Betroffener. Woher kommt Ihre Betroffenheit?
Wie kommt es, dass so wenige Patienten das einfordern? Im Wesentlichen hängt das mit Interesse und Wissen zusammen. Und beides ist in Fragen des eigenen Körpers und der Gesundheit marginal. Viele Menschen kümmern sich doch mehr um ihr Auto, kennen das Fahrgestell, den Motor, wissen, was dem Auto guttut. Über das eigene Fahrgestell, den eigenen Motor wissen sie wenig, und die Ärzte entsprechen dem häufig. Der Patient kommt und sagt: „Mach’ mich gesund“, und der Arzt antwortet: „Das mach’ ich damit und dadurch.“ Und beides stimmt nicht. Was muss passieren, damit sich da etwas ändert?
Vor etwa 15 Jahren war ich an einer Herzmuskelentzündung erkrankt, weil ich eine falsche Entscheidung getroffen hatte. Mit Fieber gehörte ich damals ins Bett und nicht in ein Flugzeug, um in den USA einen Vortrag zu halten. Mit der Zeit habe ich mir dann mehr und mehr die Frage gestellt: Was für ein Verhältnis habe ich überhaupt zu meinem Herzen? Und was war Ihr Ergebnis? Dass mein Herz viel mehr ist als eine Pumpe. Das hatte ich nicht im Medizinstudium gelernt. Inzwischen weiß ich, dass unser Herz in unmittelbarer Verbindung steht mit unserem denkenden und fühlenden Wesen. Ob wir uns freuen oder ärgern, ob wir Angst haben – alles berührt unser Herz. Wir müssen wegkommen von der rein mechanischen Sichtweise und mehr den psychosomatischen und den psychosozialen Kontext begreifen. Kann man dies als eine Art Botschaft Ihres Buches verstehen? Ich versuche, komplexe Zusammenhänge wie das Herz gut verständlich, aber mit ihren vielen Facetten darzustellen: medizinisch, historisch, philosophisch, künstlerisch oder psychologisch. Als ehemals Betroffener weiß ich, wie allein man sich mit Herzschmerzen fühlen kann. Da ist es wichtig, den Patienten nicht nur in seinen Funktionsbeschwerden zu sehen, sondern als Ganzes. Wenn Menschen unter Druck geraten oder Angst haben, wenn Frauen in den Wechseljahren sind, dann können eben Herzbeschwerden entstehen, die ich verstehen muss, ohne sofort den Herzkatheter zu schwingen. 648 | Die BKK 12/2010
Als Patient muss ich mich um mich selbst kümmern. Ich muss verstehen und wissen, was ein hoher Blutdruck anrichtet. Die Hälfte aller Herzinfarkte und Schlaganfälle sind auf erhöhten Blutdruck zurückzuführen. Was kann ich also tun, um meinen Blutdruck zu senken? Mich beispielsweise mehr bewegen, anders essen. Wenn ich Medikamente einnehme, muss ich sie richtig einnehmen, ich sollte verstehen, was sie bewirken. Die Ärzte erklären da häufig zu wenig. Bis zu 80 % aller Patienten nehmen z. B. die Blutdruck senkenden Medikamente nicht konsequent. Das ist doch kurios. Ja, aber es ist nachvollziehbar. Bis zu 50 % der Patienten verlassen die Arztpraxis und wissen nicht mehr genau: Was soll ich tun, was sind das für Medikamente, was haben die für Nebenwirkungen? Später sitzen sie zu Hause und studieren den Beipackzettel. Sie lesen: Es entsteht oft ein Libidoverlust. Dann nehmen viele Männer diese Medikamente nicht mehr. Frauen gehen zum Frauenarzt und lassen sich das erklären. Männer reden mit ihrem Arzt meist nicht darüber. So bleibt das Medikament schließlich in der Ecke liegen, und irgendwann ist der Herzinfarkt da. Deshalb versuche ich auch in meinem Buch, Beipackzettel zu erklären. Aber es ist doch auch gewollt, den Patienten eher in irgendeine Röhre zu schieben, als mit ihm lange Gespräche zu führen. Das stimmt nicht immer, aber viel zu oft. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Wir haben heute fantastische Geräte wie den Computertomografen (CT) oder den Kernspintomogra-
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fen, aber das darf nicht das Wesentliche sein. Mir will es wie eine Ironie der Geschichte vorkommen, dass im Grunde die großartigen Erfolge des Fortschritts dazu geführt haben, zu glauben, alles sei technisch machbar. Empathie und menschliche Zuwendung sind dabei leider oftmals auf der Strecke geblieben. Das fünfte CT in Bochum oder das siebte in Essen. Muss das sein? Schon vor längerem habe ich vorgeschlagen, wir sollten Zentren schaffen, die gemeinsam genutzt werden, auch 24 Stunden am Tag. Ich verstehe nicht, dass teure Geräte teilweise nur sechs Stunden zur Verfügung stehen und stattdessen an anderer Stelle investiert wird. Es geht viel Geld verloren, das z. B. bei anderen Versorgungskonzepten fehlt. Wir brauchen eine bessere Vernetzung von ambulanter und stationärer Behandlung.
Sicher. Da sind aber wieder alle gefragt, auch die Patienten. Sie müssen sich mehr um sich selbst kümmern. Es ist für einen Patienten wunderbar, wenn er den Arzt nicht unbedingt sehen muss, und wenn er ihn sieht, dass der ihm nur sagt, was er selbst tun kann. Das wird billiger für die Krankenkassen, es wird einfacher für die Politik und für die Weiterentwicklung der Gesellschaft. Das ist für mich der einzig richtige Weg. Der mündige Patient ist bei Schulmedizinern nicht gerade gefragt. Manche behaupten, die Mediziner der alten Schule wären arrogant. Ich sag mal so: Vielleicht nicht arrogant, aber manchmal einem überkommenen Rollenverhalten verhaftet. Mehr kritische Selbstreflexion würde uns Ärzten nicht schaden. Und warum ist diese Selbstreflexion so wenig ausgeprägt?
Warum wird das so wenig umgesetzt? Das sind Forderungen, die ja nicht erst seit vergangener Woche genannt werden? Das hat zuerst etwas mit den Abrechnungsmodalitäten zu tun. Die Fallpauschalen produzieren zwar auf der einen Seite eine klarere Abrechnung, auf der anderen Seite aber eine Leistungskonzentration. Verkürzt gesagt: Schwierige Fälle, die einen hohen Geräteeinsatz rechtfertigen, lohnen sich. Und das wiederum kann teuer werden für die Krankenkasse oder den Patienten. Das andere Problem: Ärzte sind in ihrem Selbstverständnis nach wie vor eher darauf ausgerichtet, sich als „Einzelkämpfer“ zu behaupten. Aber da findet inzwischen auch ein Umdenken statt. Sind die Kassen Ihrer Meinung nach das schwächste Glied in der Kette? Sollten sie sich Ihrer Meinung nach stärker zu Wort melden? Die Krankenkassen kriegen natürlich immer die Prügel, weil sie ausführendes Organ sind. Vieles ist auch wirklich nicht zu verstehen. Einmal wird die Vorsorgeuntersuchung bezahlt, dann wieder nicht, mal sind ambulante Leistungen gefragt, dann werden sie wieder nur stationär vergütet, oder es werden Kuren und Reha-Maßnahmen gekürzt oder gestrichen. So etwas versteht kein Versicherter. Hier sollten die Kassen in ihrem eigenen Interesse für mehr Transparenz sorgen.
Ich vermute, das ist in der Geschichte der Ärzteschaft über Jahrhunderte „verbaut“ worden und hat auch zu tun mit einem gewissen Standesbewusstsein. Schon im Studium werden sie auf die Rolle festgelegt: „Guten Morgen, werte Kollegen!“, heißt es vom ersten Semester an. Mehr Patientenbezug schon in der Ausbildung, das wäre für die Zukunft sehr wichtig. Es fehlt die Orientierung am praktischen Leben, der Blick auf das Ganze, nicht nur auf Venenklappen oder Laborwerte. Sind Sie eigentlich romantisch? Ja! Sogar in der Medizin. Wenn ich z. B. zurückdenke an das erste Ultraschallbild meines ältesten Sohnes. Das war vor etwa 35 Jahren. Da habe ich ganz andächtig so einen kleinen Zellhaufen angeschaut. Das ist eine Faszination, die einem Respekt vor der Natur einfach abverlangt. Dieses gewaltige Potenzial zu vermitteln – auch darum geht es mir. Und auch ein bisschen darum, herunterzukommen von dem Niveau „Wir Ärzte wissen sowieso alles“. Vielen Dank für das Gespräch. Das Interview führte Karin Hendrysiak, BKK-Landesverband NORDWEST, Essen.
Aber wäre es nicht für alle wirksamer und billiger, statt der Reparaturmedizin, wie wir sie haben, eine Präventivmedizin zu fördern? 12/2010 Die BKK | 649
B KK H o e s c h u n d S o z i a l d i e n s t k at h o l i s c h e r F r a u e n s ta r t e n P i l o t p r o j e k t
Aktiv bleiben im häuslichen Umfeld Die Betriebskrankenkassen bieten ihren Mitgliedern eine Vielzahl von Präventionsangeboten zur Erhaltung der Gesundheit. Doch nicht immer sind die Versicherten in der Lage, die Angebote wahrzunehmen. Für die, die nicht mehr mobil genug sind, um ihre Wohnung zu verlassen, hat die BKK Hoesch in Kooperation mit dem Sozialdienst katholischer Frauen Dortmund-Hörde e. V. (SkF) im April dieses Jahres das Angebot der aufsuchenden Gesundheitsberatung gestartet. Unterstützt und begleitet wird das Projekt vom BKK-Landesverband NORDWEST und dem BKK Bundesverband. Martina Hengstler
Viele Menschen werden im Alter kränker und gebrechlicher und verlieren dadurch an Selbstvertrauen. Häufig ziehen sie sich in die eigenen vier Wände zurück – das setzt einen Teufelskreis aus nachlassenden Aktivitäten, Verlust sozialer Kontakte und abnehmender körperlicher Fitness in Gang. Hier knüpft das Modell der aufsuchenden Gesundheitsberatung an: Drei geschulte Gesundheitsberaterinnen des SkF beraten die Versicherten in ihrem häuslichen Umfeld. Neben praktischen Tipps zum richtigen Trinkverhalten, einer ausreichenden und ausgewogenen Ernährung oder der Umgestaltung und Anpassung des Badezimmers an die veränderten Bedürfnisse im Alter steht vor allem die Vermittlung von Freizeit- und 650 | Die BKK 12/2010
Kontaktangeboten in der Nähe des Wohnortes im Fokus des Projekts. Die Belebung der sozialen Kontakte soll vor Einsamkeit und sozialer Isolation schützen. Darüber hinaus stehen weitere Angebote auf dem Hausbesuchs-Programm: Im Rahmen der Sturzprävention werden die Stolperfallen in der Wohnung aufgezeigt und es wird versucht, diese zu beseitigen. In Zusammenarbeit mit einem Apotheker kann das tägliche Tabletten-Quantum auf Wechselwirkungen analysiert werden. Die Gesundheitsberaterinnen informieren außerdem über die Bedeutung der Pflegeversicherung, einer Patientenverfügung oder der Vorsorgevollmacht und sprechen über die
gesundheitsförderung
Vorteile eines Schwerbehindertenausweises und eines Hausnotrufgerätes. Nicht selten ergeben sich daraus weitere Aufgaben, die dann Sozialarbeiter des SkF übernehmen, wenn etwa Wohngeldanträge gestellt werden müssen oder eine Betreuung organisiert werden muss. Ziel der Hausbesuche ist es, die Gesundheits- und Lebenssituation der älteren Menschen zu verbessern, ihre Selbstständigkeit zu stärken, ihr soziales Umfeld zu stabilisieren, sie zu aktivieren und letztlich Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. „Die Idee der präventiven Hausbesuche ist ganz einfach: Wenn die Menschen nicht zu uns kommen können, um beispielsweise durch Kursangebote ihre Fitness zu erhalten, dann kommen wir zu ihnen nach Hause“, beschreibt Dietrich Hilje von der BKK Hoesch den Leitgedanken des Projekts. „Das Besondere an unserem Konzept ist die Zusammenarbeit mit einem Wohlfahrtsverband, der seine Erfahrungen und Angebote aus der Wohlfahrtspflege in die Kooperation einbringt und so das Präventionsangebot um Themen wie die Sozialberatung ergänzt.“ Die Kombination aus Angeboten, Arbeitsfeldern und Erfahrungen von Krankenkasse und Wohlfahrtsverband soll langfristig zu einer Stabilisierung der Lebenssituation älterer Menschen führen und kann gleichzeitig das Gesundheitssystem entlasten, indem Kosten für Krankenhausaufenthalte und Heimunterbringung vermieden werden. Im ersten Schritt wurden im Mai dieses Jahres alle BKK Versicherten, die im erweiterten Stadtbezirk Dortmund-Hörde leben, zwischen 70 und 85 Jahren alt waren und bisher keine Pflegestufe hatten, von der Krankenkasse schriftlich zur Teilnahme eingeladen. In einem telefonischen Vorgespräch wird zunächst der Informationsbedarf der Versicherten ermittelt, um individuell auf die Bedürfnisse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingehen zu können. Zur Einschätzung der jeweiligen Lebenssituation dient im ersten persönlichen Gespräch ein standardisierter Fragebogen, der im Weiteren als Grundlage für die Erarbeitung eines individuellen Hilfeplans herangezogen wird. Bereits beim ersten Besuch leisten die Gesundheitsberaterinnen praktische Hilfe: Sturzprophylaxe, Medikamenten-Check und eine Beratung zum Ernährungsverhalten nehmen die größten Probleme in Angriff. Beim zweiten Treffen erhalten die Teilnehmer Hilfsund Informationsmaterialien wie Broschüren, Flyer oder Kontaktadressen. Für detaillierte Fragen steht eine Sozialarbeiterin zur Verfügung. Ein dritter Besuch überprüft die Nachhaltigkeit der Beratung und bietet, wenn nötig, weitere Unterstützung. Nach einem Abschlussbesuch erfolgt die Auswertung mittels Fragebogen. Die Beraterinnen stehen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern während der gesamten Dauer auch telefonisch zur Verfügung.
Nach den ersten sechs Monaten zieht Dietrich Hilje Bilanz: „Die Gesundheitsberaterinnen haben bisher über 260 von circa 2.000 angeschriebenen Versicherten besucht und beraten. Dabei hat sich gezeigt, dass ein hoher Bedarf an sozialarbeiterischer Unterstützung besteht. Besonders gut wurde auch die Medikamentenberatung angenommen.“ Das Pilotprojekt ist auf einen Zeitraum von zwei Jahren angelegt. Es sollen rund 800 Versicherte zwischen drei und vier Mal besucht und beraten werden. Die anschließende Auswertung wird zeigen, ob eine aufsuchende Gesundheitsberatung die Lebenssituation der älteren Versicherten positiv beeinflussen kann. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass die Teilnehmer die umfassenden Informationen in der häuslichen Umgebung dankbar annehmen.
Martina Hengstler, Teamleiterin Gesundheitsförderung und Selbsthilfe, BKK Hoesch, Dortmund Kontakt: Martina.Hengstler@bkkhoesch.de
Dagmar Johannes, BKK Bundesverband, Essen Kontakt: JohannesD@bkk-bv.de
Webtipp:
Mehr Informationen über BKK Projekte für die Zielgruppe „Ältere“ finden Sie unter www.bkk.de, Stichwortsuche „Älter werden und gesund bleiben“; Printmedien finden Sie dort im Menü unter Service > Infomaterial > Mehr Gesundheit für alle > Gesund in der 2. Lebenshälfte.
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M i t K o m p e t e n z e n d e r G e n e r at i o n 5 0 p l u s g e g e n F a c h k r ä f t e m a n g e l
Den demographischen Wandel zur Chefsache machen Zu den Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Unternehmen ist bereits fast alles von fast jedem gesagt. Dementsprechend existiert in diesem Feld weniger ein Erkenntnisproblem als vielmehr ein Umsetzungsdefizit, das sich in der nach wie vor zögerlichen Bearbeitung des Themas auf der betrieblichen Ebene zeigt. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) benötigen bei der Auseinandersetzung mit den Folgen des demographischen Wandels häufig Unterstützung. Jörg Michel
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gesundheitsförderung
beiten können, wollen und dürfen? Während der Faktor „Können“ von der physischen und psychischen Gesundheit sowie von der vorhandenen Qualifikation und den Kompetenzen abhängt, verweist der Begriff „Wollen“ auf die Einstellungen und die Motivation der Beschäftigten. Demgegenüber bezieht sich „Dürfen“ auf die in den Betrieben herrschende Einstellung gegenüber den Älteren. Werden sie hinausgedrängt und bei Neueinstellungen nicht berücksichtigt oder werden sie als wichtiger Teil des Unternehmens wahrgenommen und wertgeschätzt?
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat im Rahmen der Initiative „Neue Qualität der Arbeit“ zahlreiche praxistaugliche Instrumente und Angebote entwickelt, die von Unternehmen und Beratern zur Gestaltung demographiebezogener Maßnahmen genutzt werden können. Demographischer Wandel als Herausforderung für Unternehmen. Der demographische Wandel und seine Auswirkungen auf die Unternehmen sind längst mehr als ein Modethema. Zwar standen in jüngster Vergangenheit die Folgen der Wirtschaftskrise und ihre Bewältigung in vielen Betrieben im Vordergrund. Mit der Erholung der Wirtschaft wird aber deutlich, dass die zukünftigen Herausforderungen die „demographische Krise“ betreffen, wie die kontrovers geführten Diskussionen über den drohenden Fachkräftemangel und die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre deutlich belegen. Bereits im Jahr 2020 wird der Anteil der 50- bis 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung annähernd so groß sein wie der Anteil der 30- bis 50-Jährigen. Jeder dritte Erwerbstätige ist dann älter als 50 Jahre. Zwar werden sich die Konsequenzen dieser Veränderungen regional und branchenspezifisch sehr unterschiedlich darstellen, sicher ist aber, dass zukünftig Innovationen und Wettbewerbsfähigkeit mit im Durchschnitt älteren Belegschaften realisiert werden müssen. Besonderes Augenmerk muss in diesem Zusammenhang auf den langfristigen Erhalt der Arbeits- und Leistungsfähigkeit älterer Beschäftigter gelegt werden. Dies führt zu der Frage: Wie können Arbeitsbedingungen so gestaltet werden, dass Arbeitnehmer in Zukunft bis 67 ar-
Maßnahmen zur Gestaltung des demographischen Wandels auf betrieblicher Ebene müssen nahezu alle Unternehmens ebenen und betrieblichen Handlungsfelder in den Blick nehmen. Neben der altersgerechten Arbeitsplatzgestaltung werden auch weite Bereiche der Personalarbeit, der Arbeitsorganisation sowie der Führungs- und Unternehmenskultur von demographischen Fragen berührt. Beispielhaft können an dieser Stelle genannt werden: die Gewinnung und Bindung jüngerer Fachkräfte, die Zusammenarbeit in altersgemischten Teams, der Wissenstransfer von älteren zu jün geren Beschäftigten, die Veränderung und altersgerechte Gestaltung von Laufbahn- und Karrieremustern, die Einbindung Älterer in Qualifizierungsangebote sowie die Sensibilisierung der Führungskräfte für demographiebezogene Fragestellungen.
Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) INQA ist ein Zusammenschluss von Sozialpartnern, Sozialversicherungsträgern, Bund, Ländern, Stiftungen und Unternehmen unter Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Ihre Ziele sind wettbewerbsfähige und menschengerechte Arbeitsplätze, eine betriebliche Gesundheitspolitik, die zur Beschäftigungsfähigkeit beiträgt, sowie die Schaffung einer mitarbeiterorientierten und wertschätzenden Unternehmenskultur. INQA begreift sich als Netzwerk für den Wissenstransfer zwischen Forschung, Politik und Unternehmen. Die operative Umsetzung der INQA-Aktivitäten (Initiierung und Begleitung von Netzwerken, Projekte, Öffentlichkeitsarbeit) erfolgt durch eine Geschäftsstelle, die bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin angesiedelt ist.
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Abb i l d u n g 1 :
Das Kompensationsmodell des Alterns Faktoren menschlicher Leistungsfähigkeit, die … … im Alter eher abnehmen Muskelstärke/-kraft Bewegungsgeschwindigkeit Seh- und Hörvermögen Geschwindigkeit der Informationsaufnahme Reaktionsgeschwindigkeit Dauer- und Höchstleistungsfähigkeit
… im Alter eher konstant bleiben
… im Alter eher zunehmen
Konzentrationsfähigkeit Fähigkeit zur Informationsaufnahme und -verarbeitung Sprachkompetenz und -wissen Bearbeitung sprach- und wissensgebun dener Aufgaben
Lebens- und Berufserfahrung Berufliche Routine und Geübtheit Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein Genauigkeit und Zuverlässigkeit Fähigkeit zum Perspektivwechsel Fähigkeit zu einer realistischen Selbst einschätzung Beurteilungsvermögen
Quelle: BAuA 2010
In diesem Zusammenhang ist die Entlarvung einiger Mythen über ältere Beschäftigte von besonderer Wichtigkeit. Hierzu zählt insbesondere das lange Zeit vorherrschende „Defizitmodell“, in dem Alternsprozesse durch ein kontinuierliches „Weniger“ gekennzeichnet werden. Mit Altern werden hierbei ausschließlich biologische und geistige Abbauprozesse in Verbindung gebracht. Ältere sind dementsprechend auf allen Feldern weniger leistungsfähig als Jüngere. Demgegenüber hat sich in der Forschung seit mehreren Jahren das weitaus differenziertere „Kompetenzmodell des Alterns“ durchgesetzt. Es konnte nachgewiesen werden, dass neben abnehmenden Fähigkeiten – insbesondere im physischen Bereich – etliche arbeitsrelevante Fähigkeiten im Alter unverändert bleiben oder sogar in höherem Maße vorhanden sind (siehe Abbildung 1). 1 In den Betrieben gilt es deshalb, eine alter(n)ssensible Arbeits- und Organisationsgestaltung zu entwickeln und zu etablieren. Dies macht erstens eine altersgerechte Arbeitsgestaltung erforderlich, d. h. die Anpassung von Arbeitsanforderungen an das veränderte Leistungsvermögen Älterer mit dem Ziel, diesen einen möglichst langen Verbleib im Erwerbsleben zu ermöglichen. Zweitens ist es notwendig, den Blick auf das Altern als Prozess zu lenken und durch die präventiv orientierte Gestaltung von Arbeitsbedingungen – d. h. durch eine alternsgerechte Arbeitsgestaltung – die Leistungsentwicklung aller Altersklassen positiv zu beeinflussen. Fünf Handlungsfelder des Alternsmanagements. In der konkreten Umsetzung sind es fünf miteinander verflochtene Handlungsfelder, die im Rahmen eines betrieblichen Alternsmanagements gestaltet werden müssen (siehe Abbildung 2). 1. Gesundheit und Arbeitsschutz. Dem Erhalt und der Wiederherstellung der Gesundheit der Beschäftigten kommt 654 | Die BKK 12/2010
unter den Bedingungen des demographischen Wandels eine besondere Bedeutung zu. Ein funktionierender betrieblicher Arbeitsschutz ist dafür eine wesentliche, aber keinesfalls hinreichende Voraussetzung. Weitere Ansatzpunkte sind die ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen, die Optimierung von Arbeitsabläufen, die demographiegerechte Gestaltung der Erwerbsbiographie sowie die Förderung von Gesundheit und Fitness der Beschäftigten durch Angebote der BGF und den Aufbau eines betrieblichen Gesundheitsmanagements. 2. Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung. Die Faktoren „Arbeitsorganisation“ und „Arbeitsgestaltung“ stellen zentrale Einflussgrößen auf die objektiv vorhandenen wie auch die subjektiv empfundenen Arbeitsbelastungen dar. Fragen der Arbeitszeitgestaltung – besonders relevant bei Schichtarbeit – sowie die Autonomie der Beschäftigten hinsichtlich Arbeitspensum, -rhythmus und -ablauf sind Parameter, deren alterssensible Gestaltung entscheidend zu einer längeren Verweildauer im Arbeitsleben beitragen kann. 3. Qualifizierung und Kompetenzentwicklung. Ältere Beschäftigte, das zeigen zahlreiche Untersuchungen, nehmen weitaus seltener an Weiterbildungen teil als jüngere. 2 Hinzu tritt der nach dem Matthäus-Evangelium benannte „Matthäus-Effekt“. Entsprechend dem dort genannten Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben“ variiert die Weiterbildungsbeteiligung mit dem bereits erreichten Qualifikationsniveau. Je besser qualifiziert Beschäftigte sind, umso häufiger und länger nehmen sie an Weiterbildungsveranstaltungen teil. Nicht oder gering qualifizierte ältere Arbeitnehmer sind deshalb die Gruppe mit der niedrigsten Weiterbildungsbeteiligung. Häufig kommt es hierbei zu heimlichen Allianzen von Personalverantwortlichen und betroffenen Mitarbeitern. Scheuen die Erstgenannten Investitionen in ältere Beschäftigte, da sich diese aufgrund des nur noch kurzen Verbleibes im Betrieb vermeintlich nicht rechnen, versuchen Letzt-
gesundheitsförderung
genannte Weiterbildungen häufig zu umgehen. Ursächlich hierfür ist häufig die aus Lernentwöhnung resultierende Angst, den mit der Weiterbildung verbundenen Anforderungen nicht gewachsen zu sein.
sundheit und Arbeitszufriedenheit hat. Gefordert wird deshalb ein kooperativer Führungsstil, in dem die realistische und vorurteilsfreie Einschätzung der Leistungsfähigkeit Älterer sowie deren Wertschätzung zum Ausdruck kommen. Darüber hinaus können durch die Förderung des intergene-
Tatsächlich lernen Ältere auch anders als Jüngere, nämlich erfahrungs- und praxisorientierter. Dementsprechend sind spezielle, mit einer altersgerechten Didaktik unterlegte Qualifizierungsangebote und arbeitsplatznahe Lernformen, wie informelles Lernen oder Lernen am Arbeitsplatz, am besten geeignet, um ältere Beschäftigte in Weiterbildung einzubinden. Daneben bieten eine lernförderliche Arbeitsgestaltung durch Lernanreize schaffende Tätigkeiten und integratives Lernen in altersgemischten Teams, z. B. in Lerntandems oder durch Lernpatenschaften, vielversprechende Ansatzpunkte, um die Defizite bei der Weiterbildungsbeteiligung Älterer zu beseitigen. Ebenso hat sich bewährt, betriebliche Qualifizierungspläne für alle Altersgruppen aufzustellen und betriebsintern eine Weiterbildungsberatung anzubieten.
rativen Erfahrungsaustausches zwischen Alt und Jung gegenseitige Vorbehalte abgebaut und die spezifischen Kompetenzen der unterschiedlichen Altersgruppen gewinnbringend genutzt werden.
4. Führung und Unternehmenskultur. Wie insbesondere die Arbeiten des finnischen Arbeitswissenschaftlers Juhani Ilmarinen deutlich belegen, kommt der Unternehmenskultur und dem praktizierten Führungsverhalten für die Leistungsfähigkeit älterer Beschäftigter eine Schlüsselrolle zu. 3 So konnte Ilmarinen zeigen, dass bei Beschäftigten jenseits der 40 das Führungsverhalten den größten Einfluss auf Ge-
5. Personalrekrutierung und Personalentwicklung. Der demographische Wandel verstärkt den Wettbewerb um Fachkräfte und stellt Personalverantwortliche vor neue Herausforderungen. Neben besonderen Anstrengungen bei der Personalrekrutierung sind vor allem die Bindung und Weiterentwicklung der vorhandenen Beschäftigten notwendig, um dauerhaften Unternehmenserfolg zu sichern. Ziel hierbei sollte ein ausgewogener Altersmix der Belegschaft sein, so dass festgestellte Ungleichgewichte, wie z. B. eine stark alters- oder jugendlastige Altersstruktur, so früh wie möglich korrigiert werden. Realisiert werden kann dies durch unterschiedliche Ansätze. Hierzu zählt die Ausweitung des Rekrutierungsspektrums auf Frauen und Ältere, auf Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderte, auf Berufsrückkehrerinnen und Arbeitsuchende. Auch Maßnahmen zur Erhöhung der Be-
Abb i l d u n g 2 :
Handlungsfelder des Alternsmanagements
Gesundheit und Arbeitsschutz Gefährdungsbeurteilungen, BGF, Prävention, Eingliederungsmanagement Personalpolitik Laufbahnentwicklung, Rekrutierung, Ruhestandsregelungen
Alternsmanagement
Qualifizierung/ Kompetenzentwicklung altersgerechte Didaktik, arbeitsplatznahes Lernen, Lerntandems
Arbeitsorganisation Arbeitsgestaltung, Arbeitszeitmodelle, altersgerechte Arbeitsplätze
Führung und Unternehmenskultur Mitarbeiterorientierung, kooperativer Führungsstil, Wertschätzung
Quelle: BAuA 2010
12/2010 Die BKK | 655
triebsbindung Jüngerer, z. B. durch das Aufzeigen von Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten, kommt in diesem Zusammenhang eine große Bedeutung zu. Flankierend sollte ein aktives Wissensmanagement etabliert werden, um zu verhindern, dass wertvolles Erfahrungswissen Älterer mit deren Ausscheiden aus dem Betrieb verloren geht. Besondere Herausforderungen für KMU. Während viele große Unternehmen bereits zahlreiche der genannten Maßnahmen ergriffen und umgesetzt haben, nehmen insbesondere KMU häufig noch eine abwartende Haltung ein. Zwar ist auch dort das Bewusstsein für die mit dem demographischen Wandel verknüpften Herausforderungen mittlerweile vorhanden; eine aktive Bearbeitung des Themas steht aber oftmals noch aus. Die Gründe hierfür sind vielfältig, liegen aber sicherlich einerseits in der Komplexität der Materie begründet und andererseits in den fehlenden Strukturen und Ressourcen zur Umsetzung der notwendigen technischen, organisatorischen und kulturellen Veränderungen. In der Tat sind – wie oben dargestellt – Ansatzpunkte und Handlungsoptionen reichlich vorhanden. Welche Maßnahmen und welches Vorgehen aber sinnvoll sind, ist vielleicht gerade deshalb nicht immer erkennbar. Da die demographische Entwicklung große regionen- und branchenspezifische Unterschiede aufweist, führen pauschale und undifferenzierte Empfehlungen zwangsläufig in die Irre. So stellt sich die Situation für ein mittleres Unternehmen der Softwarebranche in einem attraktiven Ballungsraum vollkommen anders dar als für einen kleinen Handwerksbetrieb in einer ländlichen Region. Von entscheidender Bedeutung ist es deshalb, die unternehmensspezifischen Rahmenbedingungen und Handlungserfordernisse herauszuarbeiten. Wie sieht die demographische Entwicklung in der Region und in der Branche aus und wie die aktuelle und zu erwartende Altersstruktur im einzelnen Betrieb? Was muss getan werden, um die Auswirkungen der demographischen Veränderungen erfolgreich zu bewältigen und zu gestalten? Vorhandene Instrumente, Netzwerke und Beratungsangebote nutzen. Bei der Beantwortung dieser Fragen können Unternehmen auf praxisbewährte Instrumente und Angebote zurückgreifen, die speziell mit dem Blick auf KMU entwickelt wurden. Für eine erste Bestandsaufnahme und als Grundlage aller weiteren Aktivitäten empfiehlt sich zunächst die Durchführung einer Altersstrukturanalyse, für die mehrere, einfach zu handhabende EDV-Programme zur Verfügung stehen. Ergebnis einer solchen Analyse ist ein genaues Bild der aktuellen Altersstruktur und deren Fortschrei656 | Die BKK 12/2010
bung für die folgenden Jahre. Durch die differenzierte Betrachtung von Abteilungen und Funktionsbereichen und die Verknüpfung mit anderen Daten – wie Qualifikationsprofilen, Fluktuationsraten oder Fehlzeiten – können wichtige Erkenntnisse über die aktuelle und zukünftige „Demographiefestigkeit“ des Unternehmens gewonnen werden (siehe Abbildung 3). Durch den Einsatz weiterer Instrumente, wie der Qualifizierungsbedarfsermittlung und der altersspezifischen Gefährdungsbeurteilung, kann das „demographische Bild“ des Unternehmens weiter geschärft werden, so dass sich hieraus primäre Handlungsbedarfe identifizieren und geeignete Maßnahmen entwickeln lassen. Neben diesen unternehmensindividuellen Interventionen bieten auch der Austausch mit anderen Unternehmen in entsprechenden Netzwerken und die Orientierung an Beispielen gelungener Praxis eine gute Einstiegsmöglichkeit in das Thema. So finden sich in der Gute-Praxis-Datenbank der INQA Beispiele für erfolgreiche Veränderungsprozesse aus unterschiedlichsten Bereichen. Netzwerke, in denen Unternehmen ihre Erfahrungen mit demographieorientierten Maßnahmen austauschen, finden sich auf lokaler Ebene mittlerweile nahezu überall. Bundesweit aktiv und regional präsent ist „Das Demographie Netzwerk (ddn)“ mit über 220 Mitgliedsunternehmen. Auch Fachtagungen bieten einen guten Einstieg in das Thema und die Möglichkeit zu Erfahrungsaustausch und Vernetzung, wie der Tagungsbericht des BKK Landesverbandes Mitte „Kein altes Eisen – zum demographischen Wandel in der Arbeitswelt“ auf S. 692 dieser Ausgabe zeigt. Demographieberater bieten Unterstützung. Einen weiteren wichtigen Baustein zur Unterstützung von KMU stellen spezielle Beratungsleistungen dar, wie sie durch qualifizierte Demographieberater angeboten werden. Im Beratungsprozess werden auf der Basis von regionalen Bevölkerungsprognosen und einer Altersstrukturanalyse des Unternehmens die „demographischen Schwachstellen“ identifiziert und es wird ein Maßnahmenplan entwickelt. Auch bei der anschließenden Umsetzung der ausgewählten Maßnahmen können die Demographieberater die Unternehmen begleiten, entweder durch weitere eigene Beratungsaktivitäten oder indem sie weitere Unterstützungsmöglichkeiten durch andere Berater und Institutionen aufzeigen, wie etwa Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, Rentenversicherungsträger oder Kammern. Zusammengeschlossen sind die Demographieberater in dem durch die INQA unterstützten Verein „Demographie-
gesundheitsförderung
Experten“. Auf der Homepage des Vereins www.demografieexperten.de finden Unternehmen eine kostenfrei nutzbare Datenbank, in der nach regionalen oder fachlichen Kriterien Berater recherchiert werden können.
nen. Dabei sind es gerade die Besonderheiten von Kleinunternehmen – flache Hierarchien, unmittelbare soziale Beziehungen, Kenntnisse der persönlichen Situation der Arbeitnehmer –, die, insbesondere in dem bedeutsamen Handlungsfeld der Personalführung, Möglichkeiten zur schnellen und effektiven Umsetzung von Maßnahmen bieten. Unabhängig von Unternehmensgröße oder Branche stehen Betrieben mittlerweile eine Reihe von Instrumenten, Unterstützungs- und Beratungsangeboten zur Verfügung, mit denen der demographische Wandel erfolgreich gestaltet werden kann.
Ausblick: Ältere Beschäftigte als Chance und Potenzial. Der jüngst erschienene Bericht der Bundesregierung „Aufbruch in die altersgerechte Arbeitswelt“ macht deutlich: 4 nn Ältere Beschäftigte werden zukünftig gebraucht. Zwar kann von einem Wettbewerb um die „Ergrauten“ in der Wirtschaft noch nicht die Rede sein, immer mehr Unternehmen entdecken aber ihre „Alten“ als wichtige Ressource für den Unternehmenserfolg. Damit ist ein wichtiger Schritt zu einem Einstellungswandel getan, der wegführt vom lange vorherrschenden Jugendwahn. Ältere sind eben nicht in erster Linie ein personalwirtschaftliches Problem, sondern wichtige Leistungsträger, deren Erfahrungswissen sich Unternehmen langfristig sichern sollten.
Jörg Michel, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projekt- leiter bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeits- medizin (BAuA), Dortmund Kontakt: michel.joerg@baua.bund.de
Anmerkungen 1 Stamov-Roßnagel, Ch., Mythos „alter“ Mitarbeiter: Lernkompetenz jenseits der 40?!, Beltz-Verlag, Weinheim und Basel 2008. 2 Bannwitz, J., Ältere Beschäftigte und betriebliche Weiterbildung, Ergebnisse des CVTS3, Schriftenreihe des Bundesinstituts für Berufsbildung, Heft 104, Bonn 2008. 3 Ilmarinen, J., J. Tempel, M. Giesert, Arbeitsfähigkeit 2010 – Was können wir tun, damit Sie gesund bleiben?, VSA-Verlag, Hamburg 2002. 4 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Aufbruch in die altersgerechte Arbeitswelt, Bericht der Bundesregierung gemäß § 154 Abs. 4 des Sechsten Buches Sozial gesetzbuch zur Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre, Berlin 2010. 5 Köttendorf, N., K. Hasenau, S. Mütze-Niewöhner, H.-J. Dorr, Qualifizierung zum Demo graphie-Lotsen – Schulungsunterlagen, Institut für Arbeitswissenschaft der RWTH Aachen (Hrsg.), dialogo, Hagen 2009.
nn Die altersgerechte Gestaltung der Arbeitswelt hat begonnen. Bei der Einführung und Umsetzung demographiebezogener Maßnahmen haben momentan zwar große Unternehmen noch die Nase vorn. Zahlreiche Beispiele, etwa aus dem Handwerk, zeigen aber, dass auch in kleinen Unternehmen Bedingungen zur altersgerechten Arbeits- und Laufbahngestaltung geschaffen werden kön-
Abb i l d u n g 3 :
Beispiel für eine Altersstrukturanalyse
hohe Anteile Arbeitgeberwechsel bei jungen Fachkräften
Anzahl
300
Arbeitsfähigkeit
2005
200
Rekrutierung Azubis Studenten Diplomanden u. Ä.
Auslaufen Altersteilzeit Alt und Jung Wissenstransfer Tandems
100
0 Jahre < 20
2015
25
30
35
40
45
50
55
60
65
Quelle: Köttendorf, N., K. Hasenau, S. Mütze-Niewöhner, H.-J. Dorr, 2009. 5
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B KK P r e i s „ G e s u n d i m A lt e r “
Viele Wege führen zum Ziel Wir Menschen werden immer älter. Eine erfreuliche Entwicklung, aber in der öffentlichen Diskussion wird dieses Thema heute fast ausschließlich im Zusammenhang mit den daraus zu erwartenden Problemen aufgegriffen. Fast könnte man glauben, alte Menschen seien eine neue Erfindung und man müsse nun Strategien entwickeln, wie deren Leben zu organisieren sei. In Wirklichkeit aber führen nicht nur Millionen Alte in ganz unterschiedlichen Situationen ein zufriedenes Leben, es gibt längst auch zahllose Projekte, wie man das Leben mit und für eine wachsende Zahl alter Menschen lebenswerter gestalten kann. 94 dieser Projekte hatten sich um den diesjährigen BKK Preis „Gesund im Alter: Selbstbestimmt wohnen und aktiv bleiben“ beworben – und die drei Preisträger zeigen, wie vielfältig und letztlich auch einfach praxistaugliche Lösungen sein können. Michael Bellwinkel 658 | Die BKK 12/2010
gesundheitsförderung
Das übrigens trifft auch auf den BKK Sonderpreis für Selbsthilfe zu, der in einem eigenen Artikel vorgestellt wird (siehe S. 674): Paulinchen e. V., eine Initiative für brandverletzte Kinder, zeigt, wie mit Engagement, Fantasie und einfachen Kooperationen ein Kompetenznetzwerk aufgebaut werden kann, das zu Prävention und Hilfe in Notfällen keine Frage offenlässt – und dabei im Wesentlichen von ehrenamtlich arbeitenden Mitarbeitern getragen wird. Gemeinsam ist den drei ausgezeichneten Projekten zum Thema „Gesund altern“ das Ziel, auch älteren Menschen Möglichkeiten zu bieten, ihre Selbstständigkeit zu erhalten, sie bei einem gesunden Lebensstil zu unterstützen und sie buchstäblich in Bewegung zu bringen. „Auch“, weil es sich eben nicht um Lösungen handelt, bei denen es um die isolierte Ansprache oder gar Versorgung von Älteren geht. Vielmehr geht es um die Suche nach Wegen, auf denen in Stadtvierteln ein neues, auf Zusammenleben und gegenseitige Unterstützung gründendes Miteinander entwickelt wird. Für Heinz Kaltenbach, Geschäftsführer des BKK Bundesverbandes, ist dieses Vorgehen auch deshalb preiswürdig, weil es in vorbildlicher Weise den Grundgedanken der BKK Initiative „Mehr Gesundheit für alle“ aufgreift: „Es ist wichtig, dass die Akteure in den vorhandenen Strukturen eng und verzahnt zusammenarbeiten und Verantwortung übernehmen. Nur so können wir auch ältere Menschen erreichen, die sich durch Präventionsmaßnahmen nicht angesprochen fühlen. Ziel unserer Initiative ist und bleibt es, gerade auf die Menschen aktiv zuzugehen, die sonst kaum erreicht wer-
den, und dazu gehört an vorderer Stelle die wachsende Zahl alter Menschen, die ein Recht auf einen selbstbestimmten Lebensabend haben.“ Die Ansätze der Preisträger sind dabei ganz unterschiedlich: nn Das Projekt „Aktiv Altern im Kiez Friedrichsfelde Süd“, geplant und durchgeführt vom Miteinander Wohnen e. V. in Berlin, richtet sich, wie der Name sagt, an die Alten im Viertel. Aber es bezieht die anderen Bewohner ein, wenn es darum geht, den älteren Nachbarn einen geistig und körperlich aktiven Alltag zu ermöglichen und sie beim selbstständigen Leben im Alter zu unterstützen. Letztlich geht es auch darum, die Botschaft vorzuleben: „Du bist nicht allein!“ Denn durch das Projekt wird eine bedarfsgerechte Begleitung und Unterstützung älterer Menschen etabliert, um ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. nn Mit dem Mehrgenerationenhaus „Unter den Arkaden“, Träger ist der ETC e. V. in München, wurde in einem sozialen Brennpunkt der bayerischen Landeshauptstadt eine Anlaufstelle geschaffen, die der sehr heterogenen Bevölkerung nicht nur die Möglichkeiten neuer Kontakte und privater Vernetzungen bietet. Das Mehrgenerationenhaus ist auch ein Ort, an dem Kurse, Beratungen und Veranstaltungen durchgeführt werden, wobei die älteren Nachbarn ganz selbstverständlich als „Nutznießer“ wie als Akteure einbezogen werden. nn Mit dem „Denk-Sport-Spiel-Parcours“, getragen vom Förderwerk Bremerhaven, wurde erfolgreich versucht, in
Die Gewinner des BKK Preises „Gesund im Alter: Selbstbestimmt wohnen und aktiv bleiben“
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berechtigten sind, geht es im Kiez Friedrichsfelde Süd vor allem darum, „dass sich die älteren und hochbetagten Bewohner des Kiezes Friedrichsfelde Süd ihrer Ressourcen bewusst werden und diese nutzen, um die eigene Gesundheit und Lebensqualität zu erhalten, selbstbestimmt zu leben“, wie es die Gutachter formulieren. Dass dieses Ziel erreicht wird, zeigen auch die guten „Noten“ in den Kategorien „Partizipation“ und „Empowerment“: Nach Meinung der Jury wurden die Senioren nicht nur hervorragend in das Projekt eingebunden, es gelang auch, ihnen Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen und ihre Handlungsbereitschaft zu wecken. Ein Grund dafür ist zweifellos der fast 20-jährige „Vorlauf“: MITEINANDER WOHNEN e. V. wurde schon 1991 gegründet mit dem Ziel, die älteren Menschen im Stadtteil zu unterstützen. In den 90ern wurde zunächst eine Koordi nierungsstelle für ambulante Reha eingerichtet, ein Besuchsdienst für Ältere wurde ins Leben gerufen, die Trägerschaft für ein Wohn- und Pflegeheim übernommen. 2003 schließlich wurde das Konzept zum „Begleiteten Wohnen im Kiez“ entwickelt. einem problembeladenen Stadtteil neue „Begegnungsund Bewegungsräume“ zu schaffen. Gemeinsam arbeiteten die Bewohner und engagierte Akteure verschiedener Einrichtungen daran, das Wohnumfeld für alle Generationen lebenswerter zu machen, wobei schon Planung und Umsetzung des Projekts ein Beispiel für das neue Miteinander sind. Eine Erkenntnis der Jury des BKK Preises lautete, dass die drei Projekte auf unterschiedlichen Wegen zum Ziel führen, nämlich gemeinsam mit den Einwohnern eines Stadtviertels die Grundlagen für ein neues, besseres Zusammenleben zu schaffen – und dabei insbesondere ältere Menschen einzubeziehen; allzu häufig läuft das Leben „normaler Wohnquartiere“ an ihnen vorbei. Deutlich wurde auch, dass keines der Projekte einen „Königsweg“ aufzeigt. Zumindest theoretisch könnten sie auch miteinander kombiniert werden, zumal sie in den acht Bewertungskategorien zum Teil unterschiedlich stark waren. Vor diesem Hintergrund wurde auch bewusst nicht zwischen einem ersten, zweiten und dritten Preis unterschieden, alle drei landeten auf dem obersten Treppchen. Aktiv Altern im Kiez Friedrichsfelde Süd. Wie bei den beiden anderen Preisträgern überzeugte die Konzeption dieses Projekts ohne Abstriche. Stärker als die Co-Preisträger rückt es die Zielgruppe „Ältere Menschen“ in den Mittelpunkt: Während die Alten in München und Bremerhaven eine wichtige Zielgruppe, aber eben „nur“ eine von mehreren gleich660 | Die BKK 12/2010
Die Grundüberlegung dahinter: Wenn es gelingt, ältere Menschen durch bedarfs- und altersgerechte, körperliche und den Geist anregende Angebote buchstäblich wieder in Bewegung zu bringen, erhöhen sich die Chancen für ein erfülltes, selbstbestimmtes Leben im Alter – und werden die Risiken von lebensstilbedingten Erkrankungen verringert. Weil zu den Älteren aber die 60-jährigen Frührentner genauso gehören wie die über 80-Jährigen, die erfreulicherweise noch selbstständig genug sind, um in ihrer Wohnung zu bleiben, werden die Angebote des Projekts entsprechend differenziert – auch das ist wichtig für die Akzeptanz. Das führt zu einer enormen Angebotsmenge und -vielfalt. So gibt es in Friedrichsfelde Süd heute elf Seniorensportgruppen mit rund 160 Teilnehmern beiderlei Geschlechts, einen wöchentlichen Senioren-Tanzzirkel, Fachvorträge, z. B. über gesunde Ernährung oder Krankheitsbilder im Alter, Veranstaltungen zu Venen-, Beckenboden-, Finger- und Handgymnastik oder zur Sturzprophylaxe. Angeboten werden aber auch Spiele- und Singnachmittage, größere oder kleinere Exkursionen und gemeinsame Veranstaltungen mit Kita- und Schulkindern. Vor allem: Diese Vielfalt ist nicht am grünen Tisch entstanden, sondern die Reaktion auf die erklärten Wünsche der Menschen im Viertel. „Seit 1998“, erläutern die Projektkoordinatoren, „… wurden sieben soziologische Befragungen im Stadtteil durchgeführt, in die mehr als 1.000 Bürgerinnen und Bürger einbezogen waren. So konnten wir Vorstellungen, Erwartungen, finanzielle Mög-
gesundheitsförderung
lichkeiten und den Hilfebedarf der Kiezbewohner erfassen und unser Angebot darauf ausrichten.“ Das ist offenbar gelungen, denn nicht nur sind mehr als 350 meist über 70jährige Bewohner des Kiezes dem Verein beigetreten und zahlen monatlich 25 €, wofür sie einen „kostenlosen Grundservice“ (Beratungs- und Betreuungsdienst, ehrenamtlichen Besuchsdienst und Telefonbereitschaftsdienst) erhalten, die ergänzenden, kostenpflichtigen, aber durchweg kostengünstigen Zusatzangebote – von Bewegungskursen bis zum Mahlzeitendienst – werden auch von Nichtmitgliedern intensiv genutzt. Aus Sicht der Projektträger wie auch der Jury-Mitglieder erreicht MITEINANDER WOHNEN e. V. mit dem Projekt alle drei selbstgestellten Teilziele: Erhalt und Förderung der Selbstständigkeit und der Lebensqualität durch Stärkung der Eigenverantwortung und der Handlungskompetenz der Älteren und Hochbetagten, also Aktivierung; Erhalt der Mobilität, des individuellen Wohlbefindens und der sozialen Kontakte, was eine eher unterstützende Tätigkeit ist; schließlich För-
derung und Ausbau der Kooperation, Vernetzung und Ressourcenbündelung mit weiteren Trägern und Förderern von Gesundheit, Prävention und Selbsthilfe im Kiez. Hier ging es also um den Aufbau einer Infrastruktur, bei der ganz unterschiedliche Akteure an einem Strang ziehen, statt in Einzelprojekten nebeneinander her zu arbeiten. Wenn „Aktiv Altern“ eine Schwäche hat, dann ist es der Ansatz, dass die alten Männer und Frauen sich – wenn auch in überschaubarem Maße – finanziell beteiligen müssen. Damit existiert für arme, am Existenzminimum lebende Senioren eine womöglich schwer überwindbare Schwelle. Andererseits sind „inaktives Altern“ und soziale Isolation Phänomene, die in allen sozialen Schichten zu finden sind, und in den meisten Vierteln gibt es erfreulicherweise mehrheitlich ältere Menschen, die nicht unter materieller Not leiden. „Aktiv Altern“ ist also eine Lösung für alle alten Menschen, kein spezielles Programm für sozial benachteiligte Senioren. Vor allem aber: Das Konzept hat nicht nur die Juroren überzeugt, sondern scheint in der Praxis zu messbaren Erfolgen zu führen. Als im Bezirk Lichtenberg im Jahr 2009 ältere Menschen zu den Lebensbedingungen im Ort gefragt wurden, kam zutage, dass die zufriedensten Lichtenberger in Friedrichsfelde Süd leben. „Das“, so der Verein durchaus bescheiden, „ist sicher auch auf die fast 20-jährige offene Altenarbeit des Vereins zurückzuführen.“ Mehrgenerationenhaus „Unter den Arkaden“. Das Angebot des Mehrgenerationenhauses „Unter den Arkaden“ in München weist durchaus einige Parallelen auf zum Projekt in Friedrichsfelde Süd. Doch die Charakterisierung als „Armutsgebiet“ macht deutlich, dass die in Berlin geforderte finanzielle Selbstbeteiligung hier nicht praktikabel wäre. Deshalb gehören zu den Zielen eben nicht nur wohnungsnahe Angebote zur Gesundheitsförderung, Freizeitgestaltung oder Fortbildung sowie konkrete Hilfen bei Alltagsproblemen. Ein Schwerpunkt liegt auch in der „Einführung zu Selbsthilfe und Selbstorganisation“ und der „Aktivierung eines selbsttragenden Nachbarschaftsnetzes mit bürgerlichem Engagement“. Weil der Stadtteil seit Jahren zu den ärmsten im reichen München gehört, sind viele Bewohner allein aus materiellen Gründen von den üblichen Bildungs-, Kultur- und Qualifizierungsangeboten ausgeschlossen. Aber auch andere Gründe können die Nutzung vorhandener Angebote verhindern. Für viele Migranten, die gut ein Drittel der Bevölkerung des Viertels ausmachen, gehört dieser Teil der Infrastruktur nicht zur Lebenswirklichkeit. Andere Menschen sind zu krank, zu wenig mobil oder haben es einfach nicht gelernt, solche Möglichkeiten aktiv zu nutzen, und trauen sich nicht. 12/2010 Die BKK | 661
Das Konzept des Mehrgenerationenhauses (MGH) trägt dieser Situation in dreierlei Hinsicht Rechnung: Das Haus an sich ist eine zentrale „quartierseigene“ Anlaufstelle und integraler Teil des Viertels, man muss nicht anderswo hin. Die Angebote sind zweitens durchweg offen gehalten, jeder kann sie nutzen, auch ohne sich formal zu organisieren oder sich finanziell zu engagieren. Drittens ist die demographische Struktur ein Orientierungsrahmen für die Entwicklung der Angebote: Gemacht wird, was die Menschen im Viertel brauchen oder wünschen. Dabei werden vor allem Akteure aus dem Viertel – von der benachbarten Arztpraxis bis zu den örtlichen Kirchengemeinden – in die Arbeit einbezogen. Für die Jury war das Grund genug, für das Kriterium „Niedrigschwelligkeit“ den höchstmöglichen Punktwert zu vergeben. Ältere Menschen sind im MGH sowohl Zielgruppe wie Akteure. Sie können die Angebote, wie z. B. ein Waschcafé oder ein Seniorenfrühstück, nutzen und auf Einkaufshilfen zurückgreifen. Zugleich aber können sie auch ihre eigenen Erfahrungen und Fähigkeiten einbringen, z. B. durch Lernpatenschaften für Schülerinnen und Schüler oder durch Vorlesestunden für kleine Kinder. Diese Interaktion zwischen den verschiedenen „Betroffenengruppen“ ist nicht nur Ziel, sondern Prinzip der Arbeit des MGH: Das Hauptanliegen des Preisträgers sei es, so die Jury, „soziale Kontakte zu fördern und den Besuchern und Besucherinnen aller Altersstufen den Aufbau sozialer Netze zu ermöglichen“. Oder, wie es die Projektkoordinatoren selbst formulieren: „Vielfältige Begegnungsmöglichkeiten und die aktive Teilhabe an der Angebotsgestaltung wirken der Isolation in der Großstadt entgegen.“ Diese Förderung eines „Einfach miteinander leben und einander helfen“ sehen Jury und Projektentwickler dann auch als die besondere Qualität des Münchener MGH. Das funktioniert allerdings nur, wenn auch solche Unterstützungsangebote verfügbar sind, die die Menschen im Viertel nicht alleine und selbstständig leisten oder organisieren können. Deshalb hat das MGH einen kurzen Draht zu allen Beratungsstellen des Viertels, zu Freiwilligendiensten, zu medizinischen Dienstleistern oder zu Krankenkassen wie der Siemens-Betriebskrankenkasse, die sich auch finanziell engagiert und so z. B. das Waschcafé ermöglicht hat. Das aktuelle Angebot des MGH ist hinsichtlich Umfang und Vielseitigkeit beeindruckend und unterstreicht den Anspruch, jeden Anwohner in (fast) jeder Lebenslage zu erreichen: Elternbildung und Kinderbetreuung, Sprach- und PCKurse, Beratung zu Bewerbungen oder Sozialanträgen, Nähkurse, Kochkurse, Musikunterricht, aber auch ein Senio renfrühstück, ein Kinderkino, Tanzgruppen und Yoga sind 662 | Die BKK 12/2010
längst noch nicht alles. „Alles“ umfasst letztlich das, was nach Meinung der Anwohner zum Leben in der Stadt gehört, was aber den Bewohnern des Viertels und Besuchern des MGH aus ganz verschiedenen Gründen nicht zur Verfügung stand, bevor es das Mehrgenerationenhaus gab. „Denk-Sport-Spiel-Parcours“. Der „Denk-Sport-Spiel-Parcours“ hat das nicht gerade verwöhnte Stadtviertel Bremerhaven Wulsdorf-Ringstraße schöner und lebenswerter gemacht. Nicht nur, weil die Bewohner jeden Alters jetzt im wahrsten Sinne des Wortes die Gelegenheit haben, sich vor ihrer Haustür zu bewegen und mit ihren Nachbarn auf unterhaltsame Weise ihre Freizeit zu verbringen. Mehr als auf die anderen Preisträger trifft hier der Satz „Der Weg ist das Ziel“ zu. Zwar ähnelt die vom Förderwerk Bremerhaven formulierte Zielsetzung „Generationen zusammenbringen, unterschiedliche kulturelle Kompetenzen nutzen, Bürgerbeteiligung in Politik und Verwaltung verankern, Bewegungs- und Begegnungsräume im Stadtteil für und mit älter werdenden Bewohnern verbessern“ den Ansätzen in Berlin und München. Doch ist für die Norddeutschen der Weg zum „Denk-SportSpiel-Parcours“ mindestens genauso wichtig wie das fertige Angebot selbst. Es geht dem Verein nämlich um eine „generationenübergreifende Planung mit Bewohnern“, die, mehr noch, „mit einer generationenübergreifenden Stadtteilentwicklung verknüpft“ werde. Oder plastisch ausgedrückt: „Oma plant mit Enkel das unmittelbare Wohnumfeld.“ Und die Planung wird dann mit älteren Langzeitarbeitslosen umgesetzt. Realisiert wurde das Bremerhavener Projekt von März 2009 bis April 2010 im Rahmen des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“. Die Jury befand es für „außerordentlich nachahmenswert“, weil es gleich vier der für die Preisverleihung relevanten Kriterien – Niedrigschwelligkeit, Partizipation, Settingansatz und Kooperation/Vernetzung – vorbildlich erfüllt. Außerdem ist der fertige Parcours nicht der „Endpunkt“ des Projekts: Denn durch das gemeinsame Planen und Arbeiten wurde eine Beteiligungsstruktur und -kultur geschaffen, die weiterexistiert und dazu führt, dass sich zahlreiche Bewohner dauerhaft für die Entwicklung des Quartiers engagieren, und zwar im Interesse des Gemeinwesens, also aller Bewohner. Zu denen gehören in Bremerhaven Alte und kleine Kinder, Familien mit Einwanderungshintergrund und Alleinstehende, Langzeitarbeitslose und Erwerbsunfähige – also nicht zuletzt viele Mitglieder der in der Gesundheitsförderung als
gesundheitsförderung
„schwer erreichbar“ und oft als noch schwerer aktivierbar geltenden Zielgruppen. Deshalb wurde zum Start zunächst eine Steuerungsgruppe mit Multiplikatoren für die jeweilige Teilzielgruppe geschaffen, die Ansprache, Information und Motivation der Bevölkerung zur Aufgabe hatte. Ein Logo wurde entwickelt, um die Wiedererkennbarkeit zu sichern; durch Plakate, Handzettel und Pressearbeit wurde das Projekt im Viertel angekündigt. Zusätzlich wurden Netzwerke der Arbeiterwohlfahrt (AWO), von städtischen Behörden und weiteren Einrichtungen in freier Trägerschaft eingeschaltet, um das Projekt den Menchen näherzubringen. Die schriftliche Kommunikation war nur ein erster Schritt. Durch Gespräche und Aktivitäten mit allen interessierten Nachbarn gab es zu jedem Zeitpunkt Beteiligungsmöglichkeiten, die auch genutzt wurden. In Exkursionen erkundeten die Bewohner die Siedlung, die Konzepte wurden gemeinsam auf kleinen Festen erprobt, die einzelnen Stationen des Parcours von den Bürgern selbst eingeweiht. Dabei, das lassen die Ausführungen des Förderwerks erahnen, waren die Älteren auch als Akteure und „Antreiber“ wichtig. Denn
die „Nutzung der sozialen Kompetenzen und Lebenserfahrung“ wird herausgehoben, ihr „Mutmachen zum Mitplanen, Mitgestalten, Mitmachen“. Bemerkenswert am Bremerhavener Projekt ist auch, dass die notwendige Zusammenarbeit mit den Behörden und Unternehmen problemlos verlief. Auch in München und Berlin wird mit städtischen Stellen kooperiert, doch in Bremerhaven waren Stadtplanungsamt, Gartenamt und Wohnungsgesellschaft eingebunden. Das sind Einrichtungen, für die Gesundheitsförderung und die Arbeit auf gleicher Augenhöhe mit Menschen aus einem sozialen Brennpunkt nicht zum Tagesgeschäft gehören. In ihrer Abschlussbemerkung betonen die Projektkoordinatoren des Förderwerks übrigens nicht nur ihr Ziel, Denk-SportSpiel-Plätze an vielen Orten in der Stadt zu schaffen und durch attraktive Wege zu verknüpfen. Sie verraten auch einen Teil ihres Erfolgsrezepts, der in nüchternen Projektbeschreibungen oder Förderanträgen meist keinen Platz hat: Generationsübergreifende Projekte – auch auf Grundlage ihrer Erfahrungen an der Ringstraße in Wulsdorf – machen einfach Spaß.
Michael Bellwinkel, BKK Bundesverband, Essen Kontakt: BellwinkelM@bkk-bv.de
12/2010 Die BKK | 663
Deutscher Unternehmenspreis Gesundheit 2010 verliehen
Mit Gesundheitsförderung die Zukunft gestalten Am 30. November wurde zum vierten Mal seit Bestehen der Kampagne „Move Europe“ der „Deutsche Unternehmenspreis Gesundheit“ verliehen. Die Preisträger des Jahres 2010 erhielten ihre Auszeichnung im Rahmen eines Festakts im Kölner Maternushaus. Mit den von Hanka Knoche, Vorstand der BAHN-BKK, und von Dr. Carsten Stephan, Leiter der Geschäftsstelle Essen des BKK Bundesverbandes, überreichten Urkunden drücken der BKK Bundesverband und die Europäische Kommission gemeinsam ihre Anerkennung für Unternehmen aus, die in ein zeitgemäßes, in vielerlei Hinsicht herausragendes Gesundheitsmanagement investieren. Dagmar Johannes und Barbara Orfeld Der jährlich in Köln stattfindende BKK Kongress „Wettbewerbsvorteil Gesundheit“ hat sich seit Mitte der 90er-Jahre zu einem festen Bestandteil der GesundheitsförderungsSzene entwickelt. So ist dann auch die Verleihung eines Preises für ein vorbildliches betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) in diesem Rahmen gut aufgehoben. Die sieben Preisträger stellten am zweiten Kongresstag im Rahmen eines Forums einige ihrer nachahmenswerten Akti vitäten vor und standen den Teilnehmern – Gesundheits managern und Personalleitern von Unternehmen sowie Gesundheitsförderern der Krankenkassen – in der nachfolgenden Diskussion Rede und Antwort. Doch zuvor hatte die sechsköpfige, mit hochrangigen Experten des BGM besetzte Jury die Qual der Wahl angesichts der Qualität der vorliegenden Bewerbungen. Als Kandidaten für den Preis kamen schließlich nur Unternehmen infrage, die in allen Themenfeldern, also in den Bereichen „Psychische Gesundheit“, „Bewegung“ und „Ernährung“, Maßnahmen umgesetzt haben. Aus diesem Kreis der Besten wurden elf Bewerber nominiert, die alle Qualitätskriterien des Europäischen Netzwerks für Betriebliche Gesundheitsförderung (ENBGF) erfüllen und ein integriertes BGM mit innovativen Maßnahmen aufweisen können. Trotz der Vorauswahl waren sich die Mitglieder der Jury – Vertreter der Sozialpartner, der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sowie des Landesinstituts für Gesundheit und Arbeit NRW (LigA) – nur bei den Bewerbern aus den Kategorien „Öffentlicher Dienst“ und „Kleine und mittlere Unternehmen (KMU)“ sofort einig. Um die „Besten der Besten“ der anderen Kategorien wurde intensiv diskutiert; die Qualitätsansprüche sind nicht nur insgesamt gewachsen, es kommen auch neue Anforderungen 664 | Die BKK 12/2010
hinzu. Dr. Reinhold Sochert vom BKK Bundesverband zum Auswahlverfahren: „Die Jury hat zur Entscheidungsfindung die Integration des BGM im Unternehmen zur Messlatte gemacht. Kandidaten, bei denen der Schwerpunkt vorwiegend auf verhaltensorientierten Aktivitäten lag, wurden nicht mehr berücksichtigt – mochten sie auch von der Art oder vom Umfang her beeindruckend sein.“ Einzig die Tatsache, dass es keine Rangfolge bei den Preisen gibt, sondern jeweils einen Preis pro Unternehmenskategorie, konnte die Entscheidungen ein wenig erleichtern. In diesem Jahr waren von der Jury zusätzlich drei Sonderpreise zu vergeben, und zwar für Aktivitäten auf den Gebieten „Psychische Gesundheit“, „Familienorientiertes Unternehmen“ sowie der Preis „Fit in die Zukunft“ für vorbildliche Maßnahmen im Kontext mit dem demographischen Wandel. Erstmalig wird in diesem Jahr ein Unternehmen sowohl mit dem Deutschen Unternehmenspreis Gesundheit als auch mit einem Sonderpreis ausgezeichnet. Vier der sieben Preisträger arbeiten in der BGF eng mit einer BKK zusammen. Die Preisträger Preisträger Industrie: BASF SE. Zum Preisträger in der Kategorie „Industrie“ wählte die Jury das Chemieunternehmen BASF SE. Die BASF ist das weltweit größte Chemieunternehmen mit etwa 105.000 Beschäftigten in über 170 Ländern, davon rund 48.000 in Deutschland. Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz stellen in den Unternehmensleitlinien einen eigenständigen Grundwert dar. Die Gesundheit der Mitarbeiter spielt eine Schlüsselrolle für den Erfolg des Unternehmens. Mit ehrgeizigen Zielen will die BASF die bereits umfassenden Leistungen beim Gesundheitsschutz weiter verbessern. Neben den Maßnahmen zur Bewältigung des demographischen Wandels ist vor allem das in al-
gesundheitsförderung
Die Preisträger 2010 mit Dr. Carsten Stephan und Hanka Knoche (v. r.)
len Werken durchgeführte Stressmanagement stetig weiterentwickelt worden. Dieses beruht u. a. auf vier Säulen: nn eine globale Mitarbeiterbefragung, die auch Gesundheit, Stress und Work-Life-Balance thematisiert zur Identifizierung von Fokusgruppen und zielgruppenspezifischer Intervention; nn Seminare zur Verbesserung der persönlichen Stresskompetenz für alle Mitarbeiter sowie Seminare für einen „gesundheitsorientierten Führungsstil“ für Mitarbeiter in Führungspositionen; nn Angebote freiwilliger Gesundheits-Checks zur individuellen Erfassung von Gesundheitsrisiken (darunter auch Burnout und psychomentale Erkrankungen) sowie nn ganzheitlich ausgerichtete Interventionsprogramme mit Maßnahmen auf medizinischer, verhaltens- und verhältnisorientierter Ebene. Durch diese vielfältigen, größtenteils wissenschaftlich begleiteten Maßnahmen entsteht eine positive Verknüpfung des Themas „Gesundheit“ mit dem Unternehmensleitbild. Bei ihren Gesundheitsförderungs-Aktivitäten kooperiert die BASF SE mit der pronova BKK. Preisträger Handel/Transport/Verkehr und Sonderpreis „Psychische Gesundheit“: Deutsche Post DHL. Für beide Kategorien fiel die Entscheidung der Jury auf die Deutsche Post DHL. Das Unternehmen hat weltweit über 400.000 Mitarbeiter und allein 160.000 Beschäftigte in Deutschland. Um an allen Standorten trotz der stark dezentralen Strukturen eine kontinuierliche Verbesserung des BGM zu erreichen, hat die DHL ein wirkungsvolles System zur Kommunikation, zum Transfer und zur Verbreitung von evaluierten BGF-Maßnahmen entwickelt. So fördern z. B. die jährliche Verleihung des unternehmenseigenen Gesundheitspreises und
eine Toolbox mit themenspezifischen BGF-Maßnahmen den regelmäßigen Austausch von „best practices“ im Konzern. Für die Einbindung der Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse wird über Fokusgruppen und Arbeitskreise gesorgt. Der „Code of Conduct“ der DHL, ein selbst auferlegter Verhaltenskodex, enthält die Verpflichtung aller Mitarbeiter zum respektvollen Umgang miteinander sowie anspruchsvolle Leitlinien zur Gesundheitspolitik. Dabei hat die Deutsche Post ein besonderes Augenmerk auf die Ermittlung psychischer Belastungen und auf den Erhalt und die Stärkung gesundheitlicher Ressourcen gelegt. So kommt bei der Gefährdungsbeurteilung die Salutogenetische Subjektive Arbeitsanalyse (SALSA) zum Einsatz. Eine Besonderheit dieses Untersuchungsinstruments besteht darin, dass Arbeitsbedingungen ermittelt werden können, die dazu beitragen, dass Beschäftigte ihre Gesundheit trotz Belastungen aufrechterhalten und wiederherstellen. Ergänzt wird SALSA optional um den Work Ability Index (Arbeitsbewältigungsindex, WAI), ein aus Finnland stammendes renommiertes Verfahren. Beim WAI trägt die Selbsteinschätzung der Arbeitnehmer, wie sich ihre Fähigkeit zur Bewältigung der Arbeit entwickelt hat und vermutlich entwickeln wird, dazu bei, passgenaue Maßnahmen zur Verbesserung der individuellen Gesundheit, der Kompetenz des Beschäftigten, der Arbeitsumgebung und des Führungsverhaltens zu ergreifen. Die bei der DHL weltweit durchgeführte Mitarbeiterbefragung gibt zudem Aufschluss über den Grad der Intaktheit sozialer Netzwerke im Unternehmen, aktiver Führung und der Arbeitszufriedenheit. Die Ergebnisse werden genutzt, um strukturelle und arbeitsorganisatorische Verbesserungen herbeizuführen sowie die Beschäftigten gezielter zu fördern. 12/2010 Die BKK | 665
Preisträger Öffentlicher Dienst: Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover. Für die Gesundheitsförderung der Deutschen Rentenversicherung BraunschweigHannover mit 2.300 Mitarbeitern an beiden Standorten gab es auch im letzten Jahr einen Preis. Innerhalb des vergangenen Jahres wurde das BGM erheblich weiterentwickelt, so z. B. durch ein Team-Selbstbewertungskonzept zur Förderung einer positiven Teamentwicklung und einer vertrauensvollen Atmosphäre; es wird ergonomische Beratung am Arbeitsplatz angeboten und es gibt neue Sport- und Seminar angebote. Eine besondere Stärke der Aktivitäten bildet nach Ansicht der Jury die Art, wie für Work-Life-Balance Sorge getragen wird. Eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist fester Bestandteil des Unternehmensleitbildes und der Führungsgrundsätze; die Organisation nimmt regelmäßig am Audit „berufundfamilie“ teil. So ist es in Braunschweig und Hannover selbstverständlich, dass den Beschäftigten in Elternzeit Informationsveranstaltungen und Seminare angeboten werden, auch speziell zum Thema „Wiedereinstieg“ oder „Berufstätige Eltern“. Seit Jahren können Mitarbeiter bei Ausfall der Kinderbetreuung das Eltern-Kind-Arbeitszimmer mit Spielecke nutzen. Erstmals wurde im Sommer 2010 als Ergebnis einer Beschäftigtenbefragung eine selbst organisierte Ferienbetreuung für 6- bis 12-jährige Kinder angeboten. Preisträger Sonstige Dienstleistungen: MVV Energie AG. Die Jury entschied sich in dieser Kategorie für das Mannheimer Energieunternehmen. Mit rund 6.000 Mitarbeitern ist die MVV Energie AG eines der führenden Energieunternehmen in Deutschland. Ein erfolgreiches Unternehmen braucht Mitarbeiter, die gesund und engagiert sind. MVV Energie hat dies früh erkannt und räumt der Gesundheitsförderung einen hohen Stellenwert ein. Daher hat MVV Energie im Jahr 2006 sein „5-Sterne-Gesundheitsprogramm“ mit den Schwerpunkten „Bewegung“, „Medizin“, „Innere Balance“, „Ernährung“ sowie „Umgang mit Menschen“ eingeführt. Neben Aktionen wie „Täglich fit“ oder „Job & Fit“, die zu mehr Bewegung im Alltag oder bewusster Ernährung und körperlichem Wohlbefinden mit zahlreichen Angeboten animieren, bietet MVV Energie ihren Mitarbeitern auch Gewichtsreduktions-, Gesundheits- und Kochkurse oder die Teilnahme an den Angeboten der Betriebssportgruppen an. Das BGM wird kontinuierlich evaluiert. Mit einem an die Balanced Scorecard angelehnten Steuerungstool werden die bestehenden Aktivitäten der verschiedenen Akteure einheitlich ausgerichtet, weiterentwickelt und gesteuert. Ein weiteres zentrales strategisches Ziel des BGM ist die Erhöhung der Sensibilität der Führungskräfte für das Thema „Gesundheit“. Denn sie sind wichtige 666 | Die BKK 12/2010
Multiplikatoren, die großen Einfluss auf die gesundheitsfördernde Gestaltung von Arbeitsumfeld und -aufgabe sowie auf die Leistungsbereitschaft und Motivation der Mitarbeiter haben. „Der Gewinn des Deutschen Unternehmenspreises Gesundheit 2010 ist für MVV Energie und für unser BGM-Team eine besondere Anerkennung, denn Gesundheitsförderung hat bei MVV Energie einen hohen Stellenwert bei der Mitarbeitergewinnung und -bindung“, bedankte sich Thorsten Echterhof, Leiter Human Resources bei MVV Energie. Preisträger KMU: Laufer Mühle. Therapeutische Einrichtungen erhalten in der Regel Lob und Anerkennung für ihre innovativen therapeutischen Konzepte. Im Falle der Laufer Mühle honorierte die Jury das Engagement dersoziotherapeutischen Einrichtung für die eigenen 103 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Zufriedenheit und Gesundheit ein wichtiger Bestandteil des Gesamtkonzepts sind. Die Laufer Mühle setzt daher auf eine mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur und eine starke Einbindung der Mitarbeiter in die Ausgestaltung des Therapieangebotes und der Abläufe. Lebenslanges Lernen und eine dynamische, von Offenheit geprägte und partizipative Teamkultur werden ausdrücklich gefördert. Die Einrichtung baut ihr bereits ausgezeichnetes BGM kontinuierlich aus und entwickelt zusätzliche Aktivitäten. Eine jährliche Mitarbeiterbefragung, regelmäßige Mitarbeitergespräche, die Umsetzung vielfältiger Angebote – und neuerdings auch eine systematische Evaluation der für die Mitarbeiter durchgeführten Präventionskurse – tragen zu einem ganzheitlichen Gesundheitsmanagementprozess bei. Ein Arbeitskreis Gesundheit, welcher für alle Interessierten offen ist und mit Mitarbeitern aus fast allen Unternehmensbereichen sowie dem Gesamtleiter besetzt ist, gewährleistet eine hohe Mitarbeiterpartizipation.
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Sonderpreis „Familienorientiertes Unternehmen“: E.ON Energie AG. Erstmals in diesem Jahr vergab die Jury den Sonderpreis „Familienorientiertes Unternehmen“ für herausragendes Engagement in der Förderung der Vereinbarung von Familie und Beruf. Preisträger ist die E.ON Energie AG mit Sitz in München – einer der größten privaten Energiedienstleister in Europa mit rund 31.000 Mitarbeitern allein in Deutschland. Im Gesundheitsmanagement war und ist die energie-BKK ein wichtiger Kooperationspartner. E.ON Energie fördert in besonderem Maße ein familienfreundliches Arbeitsklima durch flexible Arbeitszeiten, Sabbaticals und Arbeitsmöglichkeiten von zuhause sowie Freistellungsmöglichkeiten in familiären Notsituationen. Beschäftigten in Elternzeit werden individuelle Lösungen für den Wiedereinstieg angeboten, die auch Kita-Öffnungszeiten berücksichtigen. Zur Unterstützung bei der Suche nach privater Kinderbetreuung, Haushaltshelfern oder Pflegepersonal bestehen Kooperationen mit Familienservice-Unternehmen. Mitarbeiter in Elternzeit werden regelmäßig über aktuelle Entwicklungen im Unternehmen informiert, zu Mitarbeiterveranstaltungen eingeladen und über fachliche Neuerungen auf dem Laufenden gehalten. Das wird garantiert durch ein „Patenprogramm“, bei dem sich Mitarbeiter um die Kollegen in Elternzeit kümmern. Auch Fortbildungsmaßnahmen können während der Elternzeit wahrgenommen werden. Bei Bedarf wird dafür Kinderbetreuung zur Ver fügung gestellt. E.ON Energie bietet den Mitarbeitern für ihre Kinder ein Austauschprogramm an: Bei „Making Friends“ können sich diese gegenseitig in ihren Familien, auch im Ausland, besuchen. Sonderpreis „Fit in die Zukunft“: BMW Group. Mit diesem Sonderpreis werden Unternehmen ausgezeichnet, die ein herausragendes Engagement im Hinblick auf den demographischen Wandel zeigen. Unter dem bezeichnenden Titel „Heu-
Move Europe Move Europe ist eine Initiative des ENBGF. Der BKK Bundesverband koordiniert die Kampagne sowohl in Deutschland als auch europaweit. Interessierte Unternehmen können ihre Gesundheitsförderungsmaßnahmen im Internet unter www.move-europe.de überprüfen und Move Europe-Partner werden. Dort gibt es natürlich auch weitere Infos zu der Kampagne.
te für morgen“ hat die BMW Group mit ihren über 30.000 Mitarbeitern in Deutschland und Werken in mehr als 150 Ländern der Welt ein überzeugendes Programm aufgelegt. „Heute für morgen“ besteht aus einem umfangreichen Arbeitspaket, das mit verschiedensten Maßnahmen und Angeboten die Bereiche „Gesundheitsmanagement/Gesundheitsförderung“, „Bedarfsgerechte Altersaustrittsmodelle“, „Qualifizierung“ und „Zukunftsfähiges Arbeitsumfeld“ abdeckt. Zur Bedarfsanalyse erhebt das Unternehmen immer wieder alle wichtigen altersrelevanten Kennzahlen. Es werden umfangreiche Maßnahmen zur alternsgerechten Gestaltung von technischen und organisatorischen Arbeitsbedingungen durchgeführt. Hierzu gehören die Erprobung alternsgerechter Arbeitssysteme sowie viele unterschiedliche Arbeitszeitmodelle, z. B. Sabbatical, Teilzeit, Vollzeit mit zusätzlichen Urlaubstagen und Altersteilzeit. Es werden regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen angeboten mit speziellen Angeboten für Mitarbeiter über 40 Jahre. Auch für Führungskräfte gibt es spezielle Check-ups. Angesetzt wird aber auch schon bei den Azubis mit zielgruppengerechten Schulungen zur Sensibilisierung für das Thema „Gesundheit und Prävention“.
Dagmar Johannes, BKK Bundesverband, Essen Kontakt: JohannesD@bkk-bv.de Barbara Orfeld, BKK Bundesverband, Essen
12/2010 Die BKK | 667
Präventionsbericht 2010 belegt: GKV-Gesundheitsförderung weiter im Aufwind Der Präventionsbericht 2010 der gesetzlichen Krankenkassen kann gleich mit mehreren Erfolgsmeldungen aufwarten. Anzahl, Qualität und Effizienz der von den Kassen oder mit ihrer Beteiligung durchgeführten Maßnahmen konnten deutlich gesteigert werden – bei gleichzeitig leichtem Rückgang der Ausgaben. Und das, obwohl gleichzeitig Fusionsprozesse teilweise erheblich Ressourcen bei den Kassen gebunden hatten. Barbara Orfeld
Die gesetzlichen Krankenkassen haben ihr Engagement für Primärprävention und Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) im Jahr 2009 weiter ausgebaut und mehr Menschen erreicht als 2008, nämlich fast 5 Mio. direkt und schätzungsweise etwa ebenso viele indirekt, d. h. über Ansätze, die sich an Multiplikatoren wenden. Insgesamt haben die Krankenkassen rund 311 Mio. € im Jahr 2009 für Primärprävention und BGF ausgegeben. Mit durchschnittlichen 4,44 € pro gesetzlich Versicherten investierten die Kassen damit fast 60 % mehr als vom Gesetzgeber vorgeschrieben (Richtwert 2,82 €). Gegenüber dem Vorjahr bedeuten die Ausgaben einen leichten Rückgang, denn im Jahr 2008 betrugen sie noch rund 340 Mio. € insgesamt und pro Versicherten 4,83 €. Der Rückgang ist vor allem auf gesunkene Ausgaben für Primärpräventionskurse zurückzuführen, wobei die Teilnehmerzahlen aber nicht etwa zurückgegangen, sondern gestiegen sind.
668 | Die BKK 12/2010
Betriebliche Gesundheitsförderung. Deutlich zugelegt haben die Krankenkassen bei ihren Aktivitäten und Ausgaben in der BGF. Im Berichtsjahr 2009 wurden 12 % mehr Betriebe erreicht und die Ausgaben nahmen um 10 % gegenüber dem Vorjahr zu. Die Zahl der Beschäftigten, die in den Genuss von BGF-Maßnahmen kamen, stieg von 2008 auf 2009 um 4 % und damit auf mehr als 850.000 Menschen. Bei der Verteilung der Projekte auf die verschiedenen Branchen bildete mit 32 % das verarbeitende Gewerbe immer noch den Schwerpunkt; dieser Vorsprung geht allerdings sukzessive zurück. Entsprechend sind die Anteile aller übrigen Branchen in den letzten drei Jahren gewachsen oder gleichgeblieben. Bei den Beschäftigtenzahlen der in BGF-Maßnahmen eingebundenen Betriebe hat es in den letzten drei Jahren kaum Veränderungen gegeben, jedoch ist der Anteil der Kleinst-
gesundheitsförderung
Abb i l d u n g 1 :
Inhaltliche Ausrichtung der BGF-Interventionen 832 – 72 % 814 – 70 % 783 – 67 %
Bewegung
553 – 48 % 580 – 50 % 607 – 52 %
Ernährung
398 – 35 % 383 – 33 % 448 – 38 %
Stressreduktion/ Entspannung
342 – 30 % 297 – 25 % 341 – 29 %
Gesundheitsgerechter Umgang miteinander
259 – 22 % 217 – 19 % 196 – 17 %
Suchtmittelkonsum
88 – 8 % 127 – 11 % 174 – 15 %
Gesunde Umwelt
Berichtsjahr 2009 (1.166 Doku-Bögen = 95 % des Gesamtdatensatzes)
37 – 3 % 31 – 3 % 27 – 2 %
Verkehrssicherheit
Berichtsjahr 2008 (1.165 – 97 %)
21 – 2 % 16 – 1 % 14 – 1 %
Sexualpädagogik (Aufklärung, Verhütung) 0
Berichtsjahr 2007 (1.153 – 99 %)
200
400
600
800
1.000
Quelle: GKV-Präventionsbericht 2010
unternehmen (mit unter zehn Arbeitnehmern) sukzessive um 5 % auf insgesamt 14 % angestiegen und hat damit inzwischen die Betriebe der Größenordnungen 50 bis 99 und mehr als 500 Beschäftigte abgehängt. Der Trend aus den Vorjahren zu einer Zunahme langfristig angelegter BGF-Maßnahmen hat sich auch in diesem Berichtszeitraum fortgesetzt. Die durchschnittliche Dauer der einzelnen Projekte und Maßnahmen beträgt inzwischen 28 Monate, was ein wichtiges Indiz für einen Zuwachs an Qualität der durchgeführten Aktivitäten ist. Eine weitere qualitative Verbesserung kann darin gesehen werden, dass immer mehr Maßnahmen multifaktoriell ausgerichtet sind (siehe Abbildung 1). Besonders Interventionen aus dem Handlungsfeld „Bewegung“ sind häufig mit anderen Themen kombiniert, nämlich in 52 % der Fälle mit dem Thema „Ernährung“ und in 38 % mit Angeboten zur Stressbewältigung. Bei der Zahl durchgeführter Gesundheitszirkel hält der Trend zu einer deutlichen, kontinuierlichen Zunahme weiter an (siehe Abbildung 2). Bemerkenswert ist, dass inzwischen im
Baugewerbe eine besonders große Zahl von Betrieben Gesundheitszirkel durchführt, nämlich 55 % aller erfassten Unternehmen der Baubranche. Auch bei der Erreichung des Ziels, mehr Maßnahmen zur gesundheitsgerechten Mitarbeiterführung durchzuführen, waren die Bauunternehmen an dem Erfolg – einer Steigerung um ein weiteres Drittel – stark beteiligt. Übrigens: Zwei der drei im Präventionsbericht dokumentierten Beispiele guter Praxis in der BGF sind solche mit BKK Engagement, nämlich JobFit und das iga-Projekt „Interkulturelles betriebliches Gesundheitsmanagement“. Gesundheitsförderung im Setting. Bei der Gesundheitsförderung in Lebenswelten ist zwar eine leichte Stagnation bei den Ausgaben eingetreten. Diese sind seit 2008 nur geringfügig, nämlich von 18,6 Mio. € auf 18,8 Mio. €, gestiegen. Bemerkenswert ist aber, dass die Settingaktivitäten mehr und mehr multifaktoriell ausgerichtet sind, d. h., sie zielen auf Verbesserungen im Hinblick auf mehrere Handlungsfelder – wie Ernährung, Bewegung und Entspannung – gleichzeitig ab. Außerdem ist eine Verschiebung in Richtung 12/2010 Die BKK | 669
gesundheitsförderung
Abb i l d u n g 2 :
Abb i l d u n g 3 :
Zunahme durchgeführter Gesundheitszirkel
Zunahme der Kursteilnehmer
Anzahl Gesundheitszirkel
Anzahl Kursteil nehmer (in Mio.)
2.000
2,5
1.767
1.600
2.105.409 1.858.535
2
1.418
2.061.644
1.238 1.200 800
1,5
1.167.618
893
755
1.440.131 1 542.643
400 0
803.416
0,5
2005
2006
2007
2008
0
2009
352.961 2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
Quelle: GKV-Präventionsbericht 2010
Quelle: GKV-Präventionsbericht 2010
Verhältnisprävention zu beobachten: 55 % der Aktivitäten richten sich sowohl auf die Verhältnisse als auch auf das Verhalten und im Jahr 2009 lag der Anteil der rein verhältnispräventiven Maßnahmen bereits bei 27 % gegenüber 18 % im Vorjahr.
Präventionsziele erreicht. Die GKV hat die anspruchsvol-
Unverändert bilden Kinder und Jugendliche mit 86 % die Hauptzielgruppe bei den Projekten nach dem Settingansatz. Mit diesen GKV-geförderten Maßnahmen werden mittlerweile circa 30 % der Kindertagesstätten und allgemein bildenden Schulen erreicht, was einer Zahl von schätzungsweise 6,9 Mio. erreichten Kindern und Jugendlichen entspricht. Auch hier ist ein Anstieg gegenüber den Vorjahren zu verzeichnen. Individuelle Primärprävention. Auch die individuellen Präventionsangebote sind bei den Versicherten nach wie vor sehr beliebt: Im Jahr 2009 haben 44.000 Personen mehr als im Vorjahr an Kursen teilgenommen, nämlich insgesamt 2,1 Mio. Menschen (siehe Abbildung 3). Dabei ging die Zunahme bei der Inanspruchnahme von Präventionskursen nicht etwa mit einer Ausgabensteigerung einher – im Gegenteil: Der Zuwachs wurde bei gleichzeitig um 33 Mio. € niedrigeren Ausgaben erreicht, was die Gesamtausgaben deutlich beeinflusst hat. Vergleicht man die Ausgabenverteilung zwischen den verschiedenen Ansätzen, so ergibt sich, dass die Maßnahmen zur individuellen Primärprävention mit 120 € die weitaus teuersten sind, was die Kosten pro erreichte Person angeht. Zum Vergleich: In der BGF betragen die durchschnittlichen Ausgaben pro erreichten Mitarbeiter rund 60 €, bei Aktivitäten in den übrigen Settings nur rund 10 €, wobei bei Settingmaßnahmen die Anzahl erreichter Personen immer nur geschätzt werden kann. 670 | Die BKK 12/2010
len Präventionsziele, die sie sich selbst im Jahr 2007 gesetzt hatte, nicht nur vollständig erreicht, sondern auch durchgängig übertroffen. Die Ziele waren bewusst „operationalisierbar“ formuliert, damit die Zielerreichung auch gemessen werden kann. Beispiel für ein solches Ziel: Steigerung der Anzahl an Betrieben, in denen betriebliche Gesundheitszirkel durchgeführt werden, um 10 % innerhalb von zwei Jahren. Tatsächlich konnte die Anzahl der Betriebe, in denen betriebliche Gesundheitszirkel durchgeführt werden, auf 54 % erhöht werden und die Betriebe, in denen spezielle Angebote zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf gemacht werden, nahmen sogar um 64 % zu. Diese Ergebnisse dürfen die GKV besonders freuen, denn solche aufwändigen und tief in betriebliche Abläufe eingreifenden Aktivitäten und Veränderungen mit angestoßen zu haben, ist eine echte Leistung.
Barbara Orfeld, BKK Bundesverband, Essen Kontakt: WoltersJ@bkk-bv.de
Webtipp:
Der GKV-Präventionsbericht 2010 wurde vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS) auf der Basis der von den Krankenkassen durchgeführten Maßnahmen-Dokumentationen erstellt und kann unter www.bkk.de heruntergeladen werden. Suchbegriff „Präventionsbericht“.
Neues aus Brüssel
EU-Mitgliedstaaten lehnen 20 Wochen Mutterschutz ab (vh) Die vom Europaparlament vorgeschlagene Verlängerung der Babypause von 14 auf 20 Wochen bei vollem Lohnausgleich stößt bei den EU-Mitgliedstaaten auf Widerstand. Die Mehrheit der Länder befürchtet durch einen längeren Mutterschutz Mehrkosten in Milliardenhöhe. Weiterverhandelt werden soll deshalb auf der Grundlage des Richtlinien-Vorschlags der EU-Kommission. Das haben die Mitglieder des EU-Ministerrates für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz bei einem Treffen Anfang Dezember in Brüssel entschieden. Die Kommission hatte ursprünglich nur eine Ausweitung des Mutterschutzes von 14 auf 18 Wochen vorgeschlagen. Bevor jedoch eine endgültige Entscheidung getroffen werden könne, müssten zuvor die Konsequenzen neuer Vorschriften für die einzelnen EU-Staaten untersucht werden, so die Minister. Sie forderten zudem, Regelungen zu einem Vaterschaftsurlaub nicht in dieser EURichtlinie zu behandeln. Das Europaparlament hatte bei seiner Abstimmung im Oktober dieses Jahres gefordert,
dass Väter künftig eine bezahlte Auszeit von zwei Wochen nehmen können sollten. Das wiesen zahlreiche EULänder – darunter Deutschland – entschieden zurück. Neben der Verlängerung des Mutterschutzes diskutierten die EU-Minister auch darüber, welche Lehren aus der H1N1-Pandemie bei der Beschaffung von Impfstoffen gezogen werden können und welche Maßnahmen getroffen werden müssten, um dem drohenden Fachkräftemangel im Gesundheitswesen entgegenzuwirken.
Werbeverbot für Medikamente in Europa soll bestehen bleiben (vh) Patienten sollen sich künftig unabhängig vom Arzt und Apotheker über rezeptpflichtige Arzneimittel informieren können. Das hat das Europaparlament Ende November in Straßburg beschlossen. Kernstück des abgestimmten Dossiers ist die Einführung von unabhängigen Gesundheitsportalen im Internet. Dort sollen Patienten Auskünfte über Arzneimittel, Krankheiten, Behandlungsmethoden und Präventionsmaßnahmen bekommen. Seit gut zwei Jahren waren die von der Kommission vorgeschlagene Richtlinie und Verordnung zur Patienteninformation in der EU kontrovers diskutiert worden, da diese der Pharma-
industrie Werbung „durch die Hintertür“ ermöglichten. Auch die Krankenkassen in Deutschland hatten immer wieder vor einer Lockerung des Werbeverbots gewarnt. Das sei der Einstieg in eine naturgemäß interessengeleitete Information durch die Industrie. Bürger brauchen Informationen über Arzneimittel. Doch müssten diese objektiv, evidenzbasiert, unabhängig und nicht kommerziell sein, so die Krankenkassen. Deshalb wollen die Europaabgeordneten durch konsequente Vorabkontrollen der Arzneimittelinformationen den Einfluss der Pharmaindustrie auf Patienten einschränken. Das strenge Werbeverbot für verschreibungspflichtige Medikamente soll zudem bestehen bleiben. Auch Beipackzettel sollen verbessert werden: In einer sogenannten Faktenbox sollen eine sichere Anwendung, Dosierung sowie die häufigsten Nebenwirkungen künftig auf einen Blick erkennbar sein. Bevor das Dossier zur Patienteninformation in Kraft treten kann, muss auch der EU-Gesundheitsministerrat diesem noch zustimmen.
12/2010 Die BKK | 671
aus meiner sicht
Pränataldiagnostik weckt Begehrlichkeiten Das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 6. Juli 2010 zur Präimplantationsdiagnostik hat das Thema in die öffentliche Diskussion zurückgeführt. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hat bereits im Jahr 2000 einen „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“ im Deutschen Ärzteblatt 1 vorgelegt und darin umfassend Position bezogen. Hermann Hepp Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist nur im Zusammenhang mit der seit mehr als 40 Jahren praktizierten Pränataldiagnostik (PND) zu diskutieren und zu bewerten. Die Pränataldiagnostik und -therapie bestimmen als pränatalmedizinische Verfahren die fetomaternale Medizin der Geburtshilfe. Jede Schwangeren-Vorsorgeuntersuchung ist im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien eine PND-Maßnahme. Ziele der PND sind die Objektivierung und der Abbau von Befürchtungen der Schwangeren hinsichtlich der Gesundheit des Kindes sowie Hilfestellung bei der Entscheidung über Fortsetzung oder Abbruch der Schwangerschaft. Im Zentrum der PND steht die Information; doch kann oft durch die Beratung Leben erhalten werden oder es kommt zu therapeutischen Eingriffen am Fetus, zunehmend auch intrauterin (in der Gebärmutter). Die großen Fortschritte der PND haben jedoch auch Begehrlichkeiten und Ansprüche geweckt. Vom „Januskopf“ der Pränatalmedizin ist die Rede. Immer öfter sind wir Frauenärzte und Humangenetiker mit dem – manchmal utopischen – „Anspruch“ auf ein ausschließlich gesundes Kind konfrontiert, zu dessen Verwirklichung gegebenenfalls ein Schwangerschaftsabbruch in Kauf genommen wird. Manchmal wird ein Abbruch sogar vom Arzt geradezu gefordert, als gäbe es einen Rechtsanspruch darauf. Viel Wissen erzeugt gesellschaftlichen Druck auf Patientin und Arzt. Spätestens dann beginnt das ethische Dilemma der PND. Unter Präimplantationsdiagnostik (PID) versteht man die Diagnostik an einem Embryo nach In-Vitro-Fertilisation (IVF) vor dem Embryotransfer (ET). Sie ist im Gegensatz zur invasiven und noninvasiven PND nur im weiteren Sinne ein pränatalmedizinisches Verfahren, da die Diagnostik vor der Implantation des Embryos ansetzt, also vor Beginn der Schwangerschaft. Die PID hat das Ziel, ein genetisch stark vorbelastetes Paar nach einer „Zeugung auf Probe“ (in vitro) und der Diagnostik an einer nicht mehr voll funktionsfähigen Zelle, im Falle eines pathologischen Befundes durch Selek 672 | Die BKK 12/2010
tion, vor einem genetisch kranken Kind zu bewahren. Selektion bedeutet hier, den – quasi in Warteposition befindlichen – Embryo sterben zu lassen. Die PID kann nicht, wie vielfach geäußert, schlichtweg als eine zeitlich vorverlegte PND angesehen werden. Das Korrelat zur „Zeugung auf Probe“ mit PID ist „nur“ die „Schwangerschaft auf Probe“ mit nachfolgender PND und eventuellem Abbruch der Schwangerschaft. Der Abbruch ist nach § 218a Abs. 2 StGB, bei Beachtung der gesetzlichen Vorgaben, bis zum Ende der errechneten Schwangerschaftszeit nicht rechtswidrig und straffrei durchführbar. In der politischen und gesellschaftlichen Diskussion geht es um den Wertungswiderspruch, dass der Gesetzgeber im Bereich der PND den Schutz der Menschenwürde und des Lebens relativiert und eine Güterabwägung bis zur Geburt zulässt und den Arzt in Beratung und Diagnostik einem hohen Haftungsdruck aussetzt, in der Präimplantationsphase den Lebens- und Würdeschutz des Embryos jedoch absolut setzt. Auf diesen Widerspruch hat am 6. Juli 2010 auch der Bundesgerichtshof hingewiesen und u. a. sein Urteil begründet. Mit der nach dem BGH-Urteil erneut entfachten Diskussion über die PID ist auch die mit der PND möglicherweise verbundene Selektion des Embryos oder der Föten auf dem Prüfstand. Die seit 20 Jahren klinisch etablierte PID sollte in engen Grenzen, wie im BGH-Urteil empfohlen, gesetzlich zugelassen beziehungsweise geregelt werden. Unter Respektierung der Patientenautonomie bedarf es in jedem Einzellfall einer intensiven und offenen Information, Aufklärung und Beratung, wie bereits im Diskussionsentwurf der Bundesärztekammer vor zehn Jahren gefordert wurde und in Verbindung mit der PND 2009 im reformierten § 218a Abs. 2 StGB verwirklicht werden konnte. Der Gesetzgeber ist gefordert, offene Fragen des Haftungs- und Sozialrechts zu klären. Berufsrechtlich ist eine Verfahrens- und Qualitätskontrolle zu etablieren.
Professor Dr. Hermann Hepp, vorm. Direktor des Klinikums Großhadern der LMU München, Mitglied des wissen- schaftlichen Beirats der Bundesärztekammer Kontakt: hermann_hepp@gmx.de
Anmerkung 1 Deutsches Ärzteblatt, Jg. 97, Heft 9, A-525.
Nachgeschlagen
Was ist eigentlich ... ... Coping? (Or) Coping ist ein Begriff aus der Psychologie und Medizin und bezeichnet Bewältigungsstrategien und -mechanismen beziehungsweise einen komplexen Bewältigungsprozess. Das Wort kommt aus dem Englischen von „to cope with“ – das bedeutet „zurechtkommen mit, fertig werden mit“. Beim Coping wird versucht, belastende und traumatische Lebensereignisse und Krisen, Stress, Konflikte, Krankheit, Behinderung, den Verlust von Angehörigen, Arbeitslosigkeit etc. zu meistern. Coping kann sowohl auf der Ebene des beobachtbaren Verhaltens stattfinden, also z. B. darin bestehen, sich Rat und Hilfe bei einem Freund oder Therapeuten zu holen. Man spricht dann von behaviouralem Coping. Auch Gedanken und Einstellungen sind eine Ebene, auf der Coping stattfinden kann. In Krisen auch Chancen für positive Veränderungen zu sehen, sich nicht als verantwortlich für etwas zu betrachten etc. sind Beispiele für das kognitive Coping. Entspannung, Ablenkung, Leugnen o. Ä. wird als emotionales Coping bezeichnet. In der Psychologie unterscheidet man zwei Formen von Coping. Beim problemorientierten Coping geht es darum, konkrete Lösungen zu finden und umzusetzen, um stressige, belastende, unbefriedigende Situationen und Ereignisse zu vermeiden oder zu beenden. Beispiele sind: neue berufliche Kompetenzen erwerben, sich mit dem Konfliktpartner aussprechen, Trennung oder Umzug. Beim emotionsorientierten Coping sind die Bewältigungsstrategien darauf ausgerichtet, nicht von unangenehmen Gefühlen wie Angst, Wut und Verzweiflung überflutet zu werden und dadurch z. B. wie gelähmt zu sein, unüberlegt zu handeln oder andere anzugreifen.
Copingstrategien zielen zwar immer darauf ab, aus Überforderungssituationen wieder herauszukommen, psychischen Druck, Leiden, Schmerzen etc. zu verringern – die vom Einzelnen genutzten Bewältigungsstrategien sind dabei aber nicht alle gleichermaßen „gesund“ oder „angemessen“. Strategien, die zur langfristigen und nachhaltigen Lösung eines Problems beitragen, bezeichnet man als adaptive oder funktionale Copingstrategien. Steht eher der Ablenkungscharakter im Vordergrund, geht es um die Verminderung von Anspannung, Angst und anderen unangenehmen Gefühlen, spricht man von maladaptiven oder dysfunktionalen Copingstrategien. Die wohl bekanntesten Strategien dieser Kategorie sind der Konsum von Alkohol und anderen Drogen. Das Stressmodell des amerikanischen Psychologen Professor Richard S. Lazarus erklärt, wie Menschen sich für eine bestimmte Bewältigungsstrategie entscheiden. Im ersten Schritt wird geprüft, ob überhaupt gehandelt werden muss. Wird eine Situation als irrelevant oder positiv bewertet, erfordert sie kein Coping. Wird sie aber als relevant eingeschätzt, als etwas, von dem eine Bedrohung oder Herausforderung ausgeht oder das einen Verlust darstellt, bewertet der Mensch im zweiten Schritt seine Möglichkeiten und Fähigkeiten zu handeln. Im dritten Schritt fällt dann – anhand der Ergebnisse aus dem zweiten Schritt – die Wahl entweder auf eine problemorientierte Strategie, auf ein emotionsregulierendes Coping oder auf Abwehr.
12/2010 Die BKK | 673
Pa u l i n c h e n – I n i t i at i v e f ü r b r a n d v e r l e t z t e K i n d e r e . V.
Tag des brandverletzten Kindes Jedes Jahr verbrennen und verbrühen sich allein in Deutschland mehr als 30.000 Kinder unter 15 Jahren so schwer, dass sie ärztlich versorgt werden müssen, circa 6.000 Kinder werden stationär behandelt. Um auf diese hohen Unfallzahlen, die Folgen von thermischen Verletzungen im Kindesalter, deren Behandlung und die Unfallgefahren aufmerksam zu machen, rief Paulinchen – Initiative für brandverletzte Kinder e. V. – am 7. Dezember 2010 erstmalig zum bundesweiten „Tag des brandverletzten Kindes“ auf. Adelheid Gottwald
Lara – kein Einzelfall Die Mutter der kleinen Lara hatte sich in der Küche nur kurz umgedreht, um einen Teller aus dem Schrank zu holen. Diese Sekunden reichten aus, um das Leben der kleinen Lara und ihrer ganzen Familie für immer zu verändern. Lara griff nach der heißen Teetasse der Mutter, die in Reichweite auf dem Küchentisch stand. Die heiße Flüssigkeit verbrühte ihr das Kinn, den Hals und den Brustbereich so tief, dass Haut transplantiert werden musste. Nach zwei Wochen Krankenhausaufenthalt in einer Spezialklinik mit mehreren Operationen folgten Monate mit Kompressions therapie. Deutlich sichtbare Narben werden Lara lebenslang an den Unfall erinnern. Viele Erwachsene sind sich nicht bewusst, dass schon eine einzige Tasse mit heißer Flüssigkeit bis zu 30 % der Körperoberfläche eines Säuglings oder Kleinkindes verbrühen kann. Und 30 % der Hautfläche stellen eine kritische Grenze dar, ab der Verbrennungen und Verbrühungen lebensgefährlich sein können – je nachdem, wie tief die Schädigung des Gewebes reicht. Schon ab 52 °C können heiße Flüssigkeiten die dünne Kinderhaut schwer und dauerhaft schädigen, ja sogar regelrecht zerstören. 674 | Die BKK 12/2010
selbsthilfe
Paulinchen e. V. berät und begleitet jedes Jahr viele Familien, deren Kinder durch heiße Flüssigkeiten und Kontakt mit heißen Flächen sowie durch Brandbeschleuniger, Feuer, Strom und Säuren thermische Verletzungen erlitten haben. Der Verein gibt Hilfestellung in jeder Phase nach dem Unfall bis hin zur Rehabilitation. Außerdem macht Paulinchen e. V. Lobbyarbeit und ist als Interessenvertretung für brandverletzte Kinder bundesweit aktiv. Schließlich ist der Verein auch in der Prävention thermischer Unfälle engagiert. Paulinchen wird dringend gebraucht. Die Gründerinnen der Selbsthilfe-Initiative, Dr. Gabriela Scheler und Adelheid Gottwald, mussten in der Behandlung ihrer eigenen brandverletzten Kinder erleben, dass diese eigentlich nur per Zufall in die fachgerechte Behandlung von auf thermische Verletzungen spezialisierten Ärzten kamen. Geprägt durch diese Erfahrung gründeten sie 1993 Paulinchen e. V. Aus der anfänglichen Selbsthilfeidee, eine Anlaufstelle zu schaffen, wo Familien mit brandverletzten Kindern um Rat fragen und miteinander in Kontakt treten können, ist zwischenzeitlich eine große Organisation geworden. Die Zusammenarbeit mit spezialisierten Ärzten und Kliniken ist ein Teil davon – schließlich ist es gerade bei schweren thermischen Verletzungen ungeheuer wichtig, dass diese von Spezialisten behandelt werden. Die umfangreiche Arbeit wird weitgehend ehrenamtlich geleistet und vom Paulinchen-Büro in Norderstedt aus koordiniert. Der Verein bearbeitet jährlich circa 5.000 Anfragen von betroffenen Familien, aber auch von Kliniken, Therapeuten, Feuerwehren und vielen anderen, die mit dem Thema „Thermische Verletzungen im Kindesalter“ zu tun haben. Paulinchen hat ein offenes Ohr. Die Hilfe für betroffene Familien ist vielfältig. Über die bundesweite, kostenlose Paulinchen-Hotline 0800 0 112 123 können Familien mit brandverletzten Kindern jederzeit kompetente Ansprechpartner erreichen und sich Rat zur Verletzung ihres Kindes holen. Die – kostenlose – Beratung ist sehr individuell und auf das aktuelle Anliegen der Anrufer abgestimmt. Durch die enge Zusammenarbeit mit den auf Brandverletzungen spezialisierten Kliniken und den vielen Fachleuten, die Paulinchen e. V. als Förderer unterstützen, steht ein großes Kompetenznetzwerk hinter den Paulinchen-Beratern, so dass keine Frage rund um die thermische Verletzung offenbleibt. Manche Familien melden sich gleich nach dem Unfall, sind verzweifelt und suchen Trost und erste Informationen oder sie brauchen die Bestätigung, in der richtigen Klinik zu sein. Andere melden sich nach der Entlassung aus dem Krankenhaus, wenn es gilt, alles vor Ort zu organisieren, was das verletzte Kind braucht. Die meisten Familien betreut Paulin-
Am 7. Dezember 2010 fand erstmalig der „Tag des brandverletzten Kindes“ statt. In ganz Deutschland haben viele Kliniken, wie die Spezialkliniken für Schwerbrandverletzte, Feuerwehren sowie Organisationen und Personen, die mit thermischen Verletzungen im Kindesalter zu tun haben, Aktionen durchgeführt, um auf Verbrennungs- und Verbrühungsunfälle, unfallriskante Situationen und die vielen schwer verletzten Kinder aufmerksam zu machen. „Der Tag des brandverletzten Kindes“ soll das Thema „Thermische Verletzungen im Kindesalter“ in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Durch Aufklärung über die Unfallgefahren sollen möglichst viele Kinder vor diesen folgenschweren Unfällen geschützt werden.
chen e. V. über viele Wochen und Monate. Manchmal, wenn das Kind im Kleinkindalter verletzt wurde, melden sich die Familien Jahre später bei Eintritt des Kindes in die Pubertät wieder, weil neue Fragen auftauchen, z. B., wenn bei Jungen der Bartwuchs einsetzt oder bei Mädchen das Brustwachstum und die Narben genau über diese Regionen verlaufen. Paulinchen baut Brücken. Neben der Beratung besteht auch das Angebot der klassischen Selbsthilfe. In mehreren Städten treffen sich regionale Gruppen zum Austausch. Außerdem ist eine individuelle Vernetzung nach Wohnort, Art der Verletzung oder Unfallhergang möglich. So können Familien, deren Kind z. B. eine Kontaktverbrennung an der Handinnenfläche durch eine heiße Ofentür davongetragen hat, mit anderen Eltern in Kontakt treten, die ein Kind mit einer ähnlichen Verletzung haben. Als Hilfestellung in der Rehabilitationszeit bietet Paulinchen e. V. einmal im Jahr ein Seminar an. Bis zu 25 Familien kommen mit ihren brandverletzten Kindern ein verlängertes Wochenende in einem Tagungszentrum in der Nähe von Nürnberg zusammen. Ein Team aus knapp 20 Spezialisten nimmt sich Zeit für die Familien und die schwer verletzten Kinder und steht für die Sorgen und die vielen Fragen der Eltern zur 12/2010 Die BKK | 675
Was tun bei Verbrennungen und Verbrühungen?
nn Sofort kühlen. Bei Verbrühungen das betroffene Gebiet von Kleidung befreien, da der Stoff die Hitze speichert. Eingebrannte Kleidung nicht entfernen. Danach die verletzten Stellen mit 15 – 20°C kaltem Wasser circa 15 Minuten lang kühlen. Kein Eiswasser nehmen, nicht das ganze Kind abduschen – Unterkühlungsgefahr! nn Brandblasen niemals öffnen. Sie sind ein wirkungsvoller Schutz gegen das Eindringen von Bakterien. Nichts auf die Wunde auftragen, nur mit einem sterilen Verband oder Spezialvlies (metallbedampft) abdecken. nn Ein Kind sollte in eine Spezialklinik, wenn mehr als 10 % der Körperoberfläche – bei Säuglingen und Kleinkindern mehr als 5 % – betroffen sind, wenn Gesicht oder Hände, Füße oder Genitalien verbrannt sind, wenn eine Stromverletzung oder eine Verätzung vorliegen und wenn Verdacht auf Rauchvergiftung besteht.
Verfügung. Die Kinder werden von erfahrenen Heilpädagogen in verschiedenen Gruppen je nach Alter betreut. Behutsam und spielerisch wird das erlebte Trauma aufgearbeitet und die Kinder und Jugendlichen finden Gelegenheit, sich mit den anderen über ihre Verletzung auszutauschen. Für die Eltern gibt es ein Informationsprogramm mit verschiedenen Expertenvorträgen und Sprechstunden zur plastischen Chirurgie und Kompression. 17 Paulinchen-Seminare gab es bisher und weit über 300 Kinder haben daran teilgenommen. Erfahrungen werden ausgetauscht und Freundschaften geschlossen. Es ist deutlich leichter, ein schweres Schicksal zu ertragen, wenn man merkt, dass man nicht alleine ist. 676 | Die BKK 12/2010
Paulinchen schließt Lücken. Im Buchhandel finden Betroffene allenfalls medizinische Fachbücher zum Thema „Brandverletzungen“, in der Ratgeber-Abteilung ist dazu nichts vorhanden. Diese Lücke schließt Paulinchen, indem der Verein den betroffenen Familien mit zahlreichen, sehr informativen Broschüren und Zeitschriften viele Informationen rund um das Thema „Thermische Verletzungen im Kindesalter“ zur Verfügung stellt. Die Paulinchen-Broschüre „Kleiner Ratgeber für Angehörige eines brandverletzten Kindes im Krankenhaus“ wurde in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin und dem Arbeitskreis „Das schwerbrandverletzte Kind“ erstellt und wird direkt nach dem Unfall in der Klinik bei der Aufnahme an die betroffenen Familien weitergegeben. Die Broschüre ist auch in türkischer Sprache erhältlich. Die Website www.paulinchen.de hält neben aktuellen Meldungen viele hilfreiche Tipps bereit. Eine Studie aus England belegt: Thermische Unfälle von Kindern lassen sich zu 60 % durch Prävention vermeiden. 1 Schon seit über 20 Jahren warnt Paulinchen e. V. daher mit eigenen Präventionskampagnen vor den Unfallgefahren, die den Akteuren der Initiative so erschreckend vertraut sind. Die Broschüre „Aktion Paulinchen – So schützen Sie Ihr Kind vor Verbrennungen und Verbrühungen“ sensibilisiert aber nicht nur für die Unfallgefahren. Sie enthält auch viele gute Tipps zur Vermeidung riskanter Situationen, die einem oft gar nicht als solche bewusst sind. Schließlich erfahren die Leser, wie die „Erste Hilfe“ bei thermischen Verletzungen aussehen muss. Die Broschüre wurde bisher in acht Auflagen mit einer Gesamtstückzahl von 4 Mio. Exemplaren bundesweit verteilt. Heute wird bereits die Hälfte aller Neugeborenen mit der Aktion Paulinchen erreicht. Viele Broschüren werden zusätzlich von Feuerwehren bei der Brandschutzerziehung weitergegeben. Zielgruppe sind alle Familien mit Kindern und langfristiges Ziel ist es, eine spürbare Senkung der Unfallzahlen zu erreichen. Die Broschüren können kostenlos auch in größerer Stückzahl bei Paulinchen e. V. bestellt werden. Paulinchen beeindruckt. 1999 startete Paulinchen e. V. die Kampagne „Brennende Neugier“, die Plakate und Anzeigen in verschiedenen Formaten mit unterschiedlichen Motiven umfasst. Die Idee war, neben der Informationsbroschüre „Aktion Paulinchen“ auch visuell Aufmerksamkeit zu erzeugen. Begleitet von Texten wie „Und zum Geburtstag der Prinzessin brannten tausende und abertausende von Kerzen“ warnen Bilder von angebranntem Spielzeug eindringlich vor den Verbrennungsgefahren. Zu dieser Kampagne gehört auch ein Präventions-Filmspot, der auf der Paulinchen-Website oder auf Youtube angesehen und verlinkt wer-
selbsthilfe
Mario – kein Einzelfall Die Familie von Mario saß im Garten, Freunde waren zum Grillen eingeladen. Alle hatten Hunger und das Grillfeuer wollte nicht so richtig in Gang kommen. Kurzerhand half Marios Vater mit Spiritus nach … Die Flammenwand erfasste Mario frontal und verbrannte mehr als 50 % seiner Körperoberfläche tief. Mehrere Wochen kämpfte er auf der Intensivstation einer Spezialeinheit für schwer brandverletzte Kinder um sein Leben. Damit er die Schmerzen und das Trauma überstehen konnte, mussten die Ärzte ihn in ein künstliches Koma legen. Fast 20 Operationen waren bis heute, zwei Jahre nach dem Unfall, notwendig, um die verletzten Areale mit Haut zu decken und Marios Beweglichkeit zu erhalten. Immer wieder bilden sich Narbenzüge, die operativ aufgelöst werden müssen. Noch heute geht Mario dreimal die Woche zu einer intensiven Physiotherapie mit Narbenmassage. Außerdem trägt er fast am ganzen Körper Kompressionsbekleidung, damit die Narben nicht wuchern. Mithilfe von Psychologen versucht die Familie, das Trauma aufzuarbeiten. Die Folgen werden sie ein Leben lang begleiten.
den kann. Diese Präventionskampagne wurde mehrfach national und international ausgezeichnet. Alle Plakate und Anzeigen können bei Paulinchen e. V. zu Präventionszwecken angefordert werden. Jedes Jahr ereignen sich in Deutschland circa 4.000 Grillunfälle durch die Verwendung von Brandbeschleunigern, 400 davon enden mit schwersten Brandverletzungen. Viele der Verletzten sind wiederum Kinder. Dabei wären Grillunfälle zu 100 % vermeidbar, denn schließlich ist das Einsetzen von Brandbeschleunigern kein Versehen, sondern ein bewusster Schritt – oft sogar wider besseres Wissen. Spätestens Anfang Mai melden sich jedes Jahr die ersten verzweifelten Familien bei Paulinchen e. V., die einen Grillunfall hatten und nun mit ihrem schwerstverbrannten Kind in einer Spezialklinik zur Behandlung sind. Die Paulinchen-Kampagne „Sicher grillen ohne Spiritus“ warnt deshalb sehr eindrucksvoll davor, was passieren kann, wenn man Spiritus auf glühende Holzkohle schüttet. Mit verschiedenen Anzeigenformaten und Plakaten wird die Kampagne umgesetzt. Das Plakat ist ins Türkische und Englische übersetzt worden. 2006 wurde die Paulinchen-Kampagne „Sicher grillen ohne Spiritus“ durch einen Kino-/TV-Spot ergänzt, der ebenfalls bei Youtube angesehen und verlinkt werden kann.
Weitere Kampagnen folgten und werden folgen, immer wieder muss aufs Neue gewarnt und gemahnt werden. Denn leider haben in den letzten Jahren die Verletzungen durch Verbrühungen bei Kleinkindern unter zwei Jahren wieder zugenommen. 2 Im letzten Jahr startete deshalb Paulinchen e. V. die Kampagne „Vorsicht mit heißen Flüssigkeiten“. Auch für diese Kampagne ist ein Aufklärungs- und Präventionsspot in Planung. Paulinchen vernetzt. Paulinchen e. V. arbeitet mit verschiedensten Kooperationspartnern und Organisationen zusammen und ist in viele Fach- und Arbeitskreise eingebunden. So ist der Verein in der Kommission zur Erstellung der neuen Leitlinie zur Behandlung brandverletzter Kinder vertreten, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Kinder chirurgie entwickelt wurde, und hat dort entscheidend mit gewirkt. 2008 wurde Paulinchen e. V. in den Fachbeirat zum „Test Grillgeräte“ der Stiftung Warentest berufen und konnte dort den Fokus der Teilnehmer auf das Thema „Sicherheit“ beim Grillen lenken. Eine enge Zusammenarbeit besteht z. B. mit verschiedenen medizinischen Berufsverbänden und Fachgesellschaften, der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e. V. (vfdb) und vielen Feuerwehren. Paulinchen e. V. ist außerdem Gründungsmitglied 12/2010 Die BKK | 677
selbsthilfe
der Bundesarbeitsgemeinschaft „Mehr Sicherheit für Kinder e. V.“ und alle präventiven Schriften des Vereins sind in der Internet-Datenbank der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zum Thema Kindersicherheit erfasst.
Paulinchen ist ausgezeichnet
„Jeder, der mit dem Thema „Verbrennungen und Verbrühungen“ zu tun hat oder sich präventiv engagiert, muss wissen, dass es mit der Paulinchen – Initiative für brandverletzte Kinder eine Institution in Deutschland gibt, wo man nachfragen kann“, so Marlene Rupprecht, MdB und Mitglied der Kinderkommission des Deutschen Bundestages, nachdem der Paulinchen-Vorstand ihr die Arbeit in Berlin vorgestellt hatte. Die umfangreichen Paulinchen-Projekte werden vorwiegend aus Spenden finanziert und die Arbeit wird weitgehend ehrenamtlich geleistet. Jede Spende hilft, denn der beste Unfall ist der, der verhindert werden kann. Adelheid Gottwald, Vorsitzende von Paulinchen – Initiative für brandverletzte Kinder e. V. Kontakt: info@paulinchen.de Anmerkungen 1 Towner, E., Th. Dowswell, C. Mackereth, St. Jarvis, What works in preventing unintentional injuries in children and young adolescents? An updated systematic review, Health Development Agency, London 2001. 2 Ellsäßer, G., Epidemiologische Analyse von Unfällen bei Kindern unter 15 Jahren in Deutschland – Ausgangspunkt für die Unfallprävention, Das Gesundheitswesen, 68/2006, S. 421 – 428.
Am 2. Dezember hat der BKK Bundesverband in Berlin seinen jährlichen „BKK Sonderpreis Selbsthilfe“ vergeben. Im Schöneberger Rathaus wurde in diesem Jahr Paulinchen e. V. ausgezeichnet (siehe S. 658). Adelheid Gottwald nahm den Preis als Vorsitzende für den Verein entgegen und war offensichtlich sowohl über die Würdigung der Arbeit als auch über das Preisgeld erfreut, das der Verein sicher in gute Arbeit verwandeln wird. Margot Wehmhöner vom BKK Bundesverband hob in ihrer Laudatio noch einmal die besonderen Leistungen von Paulinchen e. V. hervor und dankte dem Verein und allen seinen Mitstreitern für das umfassende und überzeugende Beratungs- und Hilfsangebot. „Ich weiß, dies ist nicht das erste Mal, dass Paulinchen e. V. einen Preis erhält – und ich bin überzeugt, dass dies nicht das letzte Mal sein wird!“, so die für Selbsthilfe beim BKK Bundesverband Zuständige anerkennend. Gottwald hatte im letzten Jahr für ihr ehrenamtliches Engagement für brandverletzte Kinder das Bundesverdienstkreuz erhalten. Weitere Infos zum Verein Broschüren-Anforderung und mehr Informationen über die Arbeit des Vereins „Paulinchen – Initiative für brandverletzte Kinder e. V.“: www.paulinchen.de und www.tag-des-brandverletzten-kindes.de Kostenlose Paulinchen-Hotline: 0800 0 112 123 Telefonnummer des Vereins: 040 52950666 Falls Sie die Arbeit des Vereins unterstützen möchten: Bank für Sozialwirtschaft AG, Konto 112 123, BLZ 251 205 10
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Wissenschaft & Forschung
Metaanalyse zu Pharma-Werbung: Ärzte verordnen mehr Medikamente (jm) Die gezielte Information von Ärzten über verschreibungspflichtige Arzneimittel ist sinnvoll – zumindest für die pharmazeutische Industrie. Im Rahmen einer Metaanalyse von 58 Studien zu diesem Thema fanden Wissenschaftler der Universität York heraus, dass die Mehrzahl der Studien dafür spricht, dass Informationen seitens der Arzneimittelhersteller zu größeren Verordnungsmengen, höheren Kosten und – nicht ganz so ausgeprägt– zu schlechterer Versorgungsqualität führen. Befragte Ärzte schließen solche Zusammenhänge aus – allerdings nur für sich selbst: Deutsche Fachärzte erklärten 2008, sie seien völlig oder fast immun gegen Beeinflussungen, glaubten aber, dass jeder fünfte ihrer Kollegen immer oder sehr oft durch die Industrie beeinflusst würde. Quelle: www.plosmedicine.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pmed.1000352
Hypertonie: Selbstmessungen können Arztpraxen entlasten
Kanada: „Nurses“ sollen Ärzte öfter ersetzen
(jm) Wenn Hypertonie-Patienten ihren Bluthochdruck selbst messen, liegt ihr systolischer Blutdruck sowohl nach sechs Monaten wie nach einem Jahr statistisch signifikant niedriger als der von Patienten, die für diese Messungen zum Arzt gehen. Abgesehen von einem – mit 32 % im Vergleich zu 22 % in der Kontrollgruppe – leicht häufigeren Vorkommen von Beinschwellungen bleibt diese niedrigere Zahl an Arztkontakten ohne Auswirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen. Für die Wissenschaftler erlaubt das den Schluss: Zumindest ein Teil der Patienten ist für das Selbstmanagement ihrer Krankheit geeignet, und Arztbesuche könnten vermieden werden, wenn den Ärzten die Messdaten ihrer Patienten mithilfe der Telemedizin zur Verfügung gestellt würden. Zur Größenordnung der Sparpotenziale: In Deutschland wurden im Jahr 2008 von Allgemeinärzten 23,5 % der Patienten als Hypertoniker diagnostiziert, die Diagnose ist seit Jahren die häufigste in Praxen von Allgemeinärzten und Internisten.
(jm) Angebote der Grundversorgung durch besonders qualifizierte Pflegekräfte, die „nurse practitioners“, werden von kanadischen Patienten oft besser bewertet als die von Ärzten. Neuere Untersuchungen bestätigten damit Erkenntnisse vom Anfang des letzten Jahrzehnts: Angehörige des – eigentlich zur Bekämpfung des Ärztemangels – neu eingeführten Berufsstandes sorgen für zufriedenere Patienten. Letztere bewerteten die Versorgung durch die Schwestern und Pfleger als sehr gut, hoben das bessere Kommunikationsverhalten hervor und waren eher mit deren medizinischen Empfehlungen zufrieden als mit denen von Ärzten. Gelobt wurde außerdem, dass sich die „nurse practitioners“ mehr Zeit nähmen, dass sie mehr nachfragten und auch mehr und besser erklärten. 2009 hatten bereits 20 % der Patienten Erfahrungen mit den „Ersatzärzten“, und die Mehrheit der Kanadier würde dieses System gerne ausgebaut sehen; mehr als drei von vier Versicherten empfänden es gar als „angenehm“, wenn sie statt ihres Hausarztes zunächst „nurse practitioners“ aufsuchen könnten.
Quelle: www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736%2810%2960964-6/fulltext
Quelle: http://www.chsrf.ca/mythbusters/pdf/mythbusters_APN_en_FINAL.pdf
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Kinder und Jugendliche zu gesundem Umgang mit Computer, Internet & Co. motivieren Moderne Kommunikationsmedien prägen unseren Alltag. Sie sind aus unserem beruflichen und privaten Leben nicht mehr wegzudenken. Sie erweitern unseren Horizont, ermöglichen es, schnell an aktuelle Informationen zu kommen, schaffen unendliche Kontaktmöglichkeiten. Sie bieten kurzweilige Beschäftigung, können Begeisterung und Leidenschaft wecken – und bergen das Risiko, sich ihnen ausgeliefert zu fühlen und die Nutzung nicht mehr steuern zu können. „Computersucht“, „Internetsucht“ und „Spielsucht“ nehmen zu, so die Warnungen von Fachorganisationen und in den Schlagzeilen der Medien. Krankenkassen werden aufgefordert, entsprechende Störungen als Krankheit anzuerkennen und Eltern werden gewarnt vor dem möglichen Abgleiten ihrer Kinder. – Sensationsheischende Horrorszenarien und Übertreibung oder realistische Darstellungen? Margot Wehmhöner 680 | Die BKK 12/2010
Wissenschaft & Forschung
So ganz einig sind sich die Forscher nicht. Insbesondere in Bezug auf Kinder und Jugendliche liegen nur wenige beziehungsweise stark differierende Angaben über die Häufigkeit von pathologischem Online-Nutzungs- beziehungsweise Computerspielverhalten vor. So variieren die Angaben in verschiedenen internationalen Studien zur Prävalenz von Internetabhängigkeit zwischen 3 % und 13 %. 1 Zahlen zur Internetsucht sind mit Vorbehalt zu bewerten. Viele Befragungen werden ohne Bezug zum wissenschaftlichen Diskurs umgesetzt und tendieren dazu, oberflächlich oder populistisch zu sein. Allerdings konnten sich die unterschiedlichen Disziplinen – von der Medienforschung bis zur experimentellen Verhaltensforschung – bisher auch noch nicht auf einen gemeinsam akzeptierten Katalog von Forschungsmethoden einigen. Die veröffentlichten Zahlen basieren daher auf unterschiedlichen Operationalisierungen, so dass nicht genügend differenziert wird, ob es sich um süchtiges Verhalten oder um ein temporäres, exzessives Verhalten handelt. Zudem greifen Medienvertreter lieber Informationen auf, die Aufmerksamkeit erregen, so dass differenzierende Forschungsergebnisse kaum eine Chance haben, in die Öffentlichkeit zu dringen. Nach einer Untersuchung aus dem Jahr 2003 des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München gaben Kinder bei der Frage nach der beliebtesten Freizeitbeschäftigung „Freunde treffen“ mit 40 % an, dicht gefolgt von „Fernsehen“ mit 35 %. Fernsehen ist das Leitmedium der Jugendlichen, berücksichtigt man, dass 53 % der Jugendlichen mehrmals pro Woche über Themen aus dem Fernsehen miteinander reden. Zwischen dem 12. und 19. Lebensjahr nimmt die Bedeutung des Fernsehens bei Jugendlichen allerdings zugunsten des Computers ab. Obwohl die Anschaffung des PCs in vielen Familien mit der Bildung der Kinder begründet wird, wird der PC vor allem zur Unterhaltung benutzt. Häufig steht Kindern daher nicht nur ein eigener Fernseher, sondern auch ein eigener PC im Kinderzimmer zur Verfügung. Kinder aus bildungsfernen Familien sitzen tendenziell öfter vor dem Bildschirm – und konsumieren dabei häufiger auch jugendgefährdende Medien. Das Nutzungsverhalten von Jungen und Mädchen ist unterschiedlich. Geht es darum, die Langeweile zu vertreiben, liegt der Computer für Jungen vor dem Fernsehen. Jungen spielen fast doppelt so lange am Computer wie Mädchen. Während Jungen Spiele bevorzugen, zieht es Mädchen eher in die Chats oder in soziale Netzwerke. Einigen Untersuchungen zufolge verbringt ein Viertel der 15Jährigen pro Tag mindestens 4,5 Stunden mit Computerund Videospielen. Allerdings ist nicht jeder, der exzessiv
spielt, auch abhängig. Die Befragungen der Humboldt Universität in Berlin von 5.200 Schülerinnen und Schülern in Hamburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt aus den Jahren 2005 bis 2009 weisen bei 1,4 % der 12- bis 19-Jährigen auf eine Computernutzung hin, die schon Suchtcharakter hat. Damit werden frühere Studien, in denen 17 % krankhaft auffällige Computernutzer identifiziert wurden, relativiert. Unabhängig von der Klassifizierung als Sucht hat das Kriminologische Forschungsinstitut in Hannover festgestellt, dass Jungen im Vergleich zu Mädchen oft schlechtere Schulleistungen und Schulabschlüsse haben und dies mit der Häufigkeit der Computer- und Mediennutzung korreliert. Computerspiele und Internet – was sie so attraktiv für Kinder und Jugendliche macht. Virtuelle Welten sind attraktiv. Sie sind rund um die Uhr verfügbar: Musik, (Online-) Spiele, Chatrooms und soziale Netzwerke. Als Teilnehmer kann man sich dort selbst darstellen, Widerspruch gibt es selten. Sich in Spielen mit virtuellen Mitstreitern zu messen und Abenteuer zu erleben, bietet gerade Jungen die Möglichkeit, sich stark zu fühlen und sich mit einer Männerrolle zu identifizieren. Es ermöglicht, neue Bereiche zu entdecken, den Streit mit Eltern oder Probleme in der Schule vorübergehend zu vergessen oder eine Leidenschaft für neue Hobbys entdecken zu können. Computer und Internet sind attraktiv, weil sie zur Abgrenzung von der Erwachsenenwelt und damit zur Ablösung aus dem Elternhaus verhelfen. Hier gelten eigene Rituale und Sprachcodes. Die rasanten Neuentwicklungen und Möglichkeiten der Computertechnik sowie die Möglichkeit des scheinbar grenzenlosen Kontaktes sind für Jugendliche eine Welt, in der Erwachsene kaum Zugang haben. Es entstehen eigene „Communities“, in denen sich Jugendliche der elterlichen Kontrolle ein Stück entziehen können. Jugendliche suchen nach Identität und Persönlichkeitsentwicklung. Die Funktion des Internets in dieser Phase des Übergangs vom Jugend- zum Erwachsenenalter besteht darin, sich in neuen Rollen gefahrlos erproben zu können und unbekannte Aspekte der eigenen Identität zu entdecken. Gerade die Anonymität und die häufig auf Texte eingeschränkte Kommunikation bietet Jugendlichen in dieser Orientierungsphase ein geschütztes Experimentierfeld. Im Chat können sie sich mit anderen austauschen. Im Chat erhalten manche Jugendliche mehr Anerkennung als in der Face-to-Face-Kommunikation. Selbst wenn diese Anerkennung nur virtuell ist, so ist sie doch bedeutsam – insbesondere, wenn die entsprechende Anerkennung im Alltag fehlt. 12/2010 Die BKK | 681
Allerdings wird das Internet für diejenigen Jugendlichen zum Problem, die aufgrund ungünstiger Sozialisationsbedingungen nicht über die Kompetenzen verfügen, die im Internet erprobten Rollen im Alltag adäquat bewerten und umsetzen zu können. Daher sind insbesondere diejenigen gefährdet, die sich innerhalb ihres sozialen Milieus als benachteiligt empfinden und die das Gefühl haben, am Rande zu stehen. Das gilt für Hauptschüler und Gymnasiasten gleichermaßen. Wechselwirkung von gesellschaftlichem Wandel und Mediennutzung. Spricht man über Auswirkungen der modernen Kommunikationsmedien auf Kinder und Jugendliche, dann hilft es, nicht nur die Medien selbst zu betrachten, sondern auch die Veränderungen in Gesellschaft und Familie. Es gibt eine Vielzahl von Veränderungen im Leben der Kinder und Jugendlichen in unserer Gesellschaft, die direkt und indirekt die Bedeutung der Medien beeinflussen. Dazu gehören die oft nicht mehr vorhandenen natürlichen Möglichkeiten zum spontanen Spiel und Treffen mit Freunden. Die städtischen Wohnbedingungen bieten meist wenig Raum für offene altersgerechte Treff- und Spielpunkte, sinkende Kinderzahlen bewirken wenige Gleichaltrige in der Nachbarschaft. Und die Durchstrukturiertheit von Schule und Alltag führt oft zu einem engen Zeitkorsett selbst für Kinder. Entstehende Zeitlücken können nicht mehr spontan mit Freunden ausgefüllt werden. Langeweile auszuhalten, anstatt sie kurzfristig zu übertönen, ist in einer Gesellschaft, in der nur die Aktivität zählt, schwer. Kinder und Jugendliche, die es gewohnt sind, rund um die Uhr „bespaßt“ oder mit neuen Impulsen aktiviert zu werden, neigen zudem eher dazu, ihre Zeit mit schnellen und einfachen Ablenkungen zu füllen. Die Bedeutung der Eltern als Leitfigur sinkt mit zunehmendem Alter der Jugendlichen zugunsten der der Peergroup. Es ist sicherlich nicht nur die Berufstätigkeit der Eltern, sondern es sind auch die vielfältigen Interessen, denen jedes Familienmitglied nachgeht, die dazu führen, dass das Ideal von regelmäßigen gemeinsamen Familienmahlzeiten, bei denen die Erfahrungen des Tages ausgetauscht werden, immer seltener zu finden ist. – Wen wundert es da, wenn Kinder und Jugendliche auch mit ihren Medienerfahrungen allein bleiben? Sucht. Den Begriff der Internetsucht brachte 1995 der New Yorker Psychologe Ivan Goldberg ins Spiel. Goldberg nutzte damals – obwohl heute Kritiker des Konzepts der Internetsucht – scherzhaft eine Scheindiagnose „Internetsucht“ zur Abfrage bei Kollegen. Anstelle der erwarteten belustigten Reaktionen wurde er überrascht von den vielen Rückmeldungen betroffener Internetnutzer. 682 | Die BKK 12/2010
Fachorganisationen der Suchthilfe definieren heute vier unterschiedliche Typen: den „Surfer“, der ohne Ziel ununterbrochen im Internet nach Informationen sucht, den Sexsüchtigen, der zwanghaft pornografische Seiten konsumiert, den „Chatter“, der Sozialkontakte und Kommunikation nur noch online erlebt, sowie den klassischen Computerspieler. Zur Bestätigung der Parallelität von Internet-/Computersucht zur stoffgebundenen Suchterkrankung werden von manchen Suchtexperten die gleichen Kriterien angelegt: die Toleranzbildung, die dazu führt, dass Abhängige immer mehr Zeit im Netz oder beim Spiel verbringen, der Kontrollverlust, also der Kontrollverlust über die Nutzungszeit, die Vernachlässigung anderer Aufgaben und Interessen (Schule, Arbeit, Familie, Freunde, Hobbys), Schuldgefühle und Rationalisierungen, Entzugserscheinungen wie schlechte Laune, Nervosität, Reizbarkeit und Schlafstörungen. Unabhängig davon, ob man die Internet- und Computerabhängigkeit als Suchterkrankung im engeren Sinne oder als gravierende Verhaltensstörung mit Suchtcharakter einordnet, in jedem Fall gilt, dass Betroffene Unterstützung benötigen, um sich wieder im realen Leben zu verankern. Hierzu fehlt es aber oft noch an erprobten und qualifizierten Konzepten und Beratungsangeboten. Entwarnung für besorgte Eltern. Eltern sollten nicht jedes exzessive Nutzen des Internets oder des Computers ihres Kindes dramatisieren; insbesondere bei älteren Jugendlichen kann ein durchspieltes Wochenende auch Ausdruck
Eltern sollten nicht jedes exzessive Nutzen des Internets oder des Computers ihres Kindes dramatisieren.
Wissenschaft & Forschung
der Faszination und Begeisterung sein, speziell wenn sie dabei im Kontakt mit Gleichinteressierten stehen und andere Interessen und Schulleistungen nicht darunter leiden. Viele Eltern kennen Spiele ihrer Kinder nicht und können die Faszination, die im Spiel auch mal die Zeit vergessen lässt, nicht nachvollziehen. Sie schauen Kindern bestenfalls mal über die Schulter. Damit sind sie in diesen Fragen jedoch keine ernst genommenen Gesprächspartner für ihre Kinder und Jugendlichen. Entdramatisieren – aber sich interessieren und Grenzen setzen, das ist der Balanceakt, um den Eltern in dieser Phase nicht herumkommen. Wie die Grenzen aussehen, ist abhängig vom Alter des Kindes. Der Kriminologe Christian Pfeiffer empfiehlt, dass im Grundschulalter grundsätzlich kein eigener Fernseher oder PC im Kinderzimmer stehen sollte. Die gemeinsam im Wohnzimmer genutzten Medien sind zwar manchmal auch Grund für anstrengende Diskussionen, bieten aber eine gute Möglichkeit, den Konsum zu limitieren. Online-Welten der Jugendlichen haben eigene Regeln, Rituale und Sprachcodes. Viele Eltern haben nur diffuse Vorstellungen davon, was dort passiert. Die zunehmende Zahl später Elternschaften und die beschleunigte Medienentwicklung bewirken zudem eine immer größere Lücke zwischen den Erfahrungswelten von Eltern und Jugendlichen. Umso wichtiger ist es, dass Eltern mit ihren Kindern ins Gespräch kommen – und auch die Spiele selbst nachvollziehen können. Denn erst wenn sie verstehen, was ihre Kinder und Jugendlichen am Computer treiben, können klare Regeln vereinbart werden, wie feste Zeiten oder Standort des Computers. Hilfreich sind auch sogenannte „Eltern-LAN-Angebote“, in denen Eltern Spiele selbst erproben. Das tägliche Zeitlimit für die Internet- und Computernutzung ist abhängig vom Alter des Kindes. Je jünger, umso enger sollte dieses Zeitfenster sein. Falls ein 6-Jähriger am Nachmittag eine Sendung im Fernsehen schaut, sollte der Computer an diesem Tag tabu sein. Die täglichen Nutzungszeiten von 20 bis 30 Minuten bei den unter 6-Jährigen steigern sich dann auf bis zu 90 bis 120 Minuten für Kinder ab 12 Jahren. In Deutschland werden die auf Datenträgern verkauften Spiele (also nicht Apps oder Spiele aus dem Online-Shop) von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) bewertet. Die Altersangaben auf Computerspielen sind jedoch nicht als Empfehlung zu verstehen. Vielmehr richten sich diese Bewertungen danach, ob die Spiele Gewaltdarstellungen enthalten, eine vulgäre Sprache verwenden, Diskriminierung verharmlosen oder zum Glücksspiel auffordern. Da-
Für Jüngere kann der Zugang zu unerwünschten Seiten durch Kinderschutzsoftware verhindert werden. her ist auch ein Spiel mit der Alterskennzeichnung „ab 6 Jahre“ längst nicht für jeden Erstklässler geeignet. Für Jüngere kann der Zugang zu unerwünschten Seiten durch Kinderschutzsoftware verhindert werden. Durch sogenannte Whitelists werden nur Webseiten durchgelassen, die in einer Positivliste stehen beziehungsweise dort hinzugefügt werden. Solche Listen sollten mit vielen zugelassenen Seiten gefüllt sein, damit Kinder sie nicht als Eingrenzung erleben. Lösungen in Sicht. Einfache Lösungen gibt es nicht. Erziehung ist immer anstrengend – das gilt auch dann, wenn Eltern die Nutzung der modernen Kommunikationsmedien ihrer Sprösslinge in gute Bahnen lenken möchten. Es ist wichtig und berechtigt, dass Eltern sich darüber Gedanken machen und kritisch die Mediennutzung ihrer Jugendlichen bewerten. Andererseits können Titel von Präventionsprogrammen wie „Update your Life“ oder „Echte Küsse sind besser“ auch als Leitidee für den Familienalltag genommen werden. Und dann gibt es keinen Grund mehr zur Panik. Margot Wehmhöner, Abteilung Gesundheitsförderung, BKK Bundesverband, Essen Kontakt: WehmhoenerM@bkk-bv.de Anmerkung 1 DHS Jahrbuch Sucht, NEULAND Verlagsgesellschaft mbH, Geesthacht 2009.
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Glücklich erfolgreich Es gibt Menschen, die den Erfolg gepachtet zu haben scheinen: Ihnen gelingt einfach alles. Was sie anfassen, wird zu Gold, und zwar ohne offensichtliche Mühen. Dann sind da diejenigen, die sich ihr ganzes Leben plagen. Sie können machen, was sie wollen, der Erfolg, den sie sich wünschen, stellt sich nicht ein. Täglich zermürbt sie die Frage: Warum ist das Leben so ungerecht zu mir? Und schließlich die dritte Variante: Diejenigen, die zwar Erfolg haben, aber dafür keine Familie und Freunde mehr. Oder die ernsthaft krank geworden sind. Ihr Erfolg hat ihnen kein Glück gebracht. Wie hängen die beiden Lebensziele „Erfolg“ und „Glück“ eigentlich zusammen und wie sind sie gemeinsam erreichbar? Renate Gervink
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wissenschaft & forschung
Man macht nur gut, was man gerne tut. Ein fester Wille, Fleiß, Zähigkeit oder Ehrgeiz allein können keine Garanten für den Erfolg sein, so Falko Rheinberg, Professor für Psychologie an der Universität Potsdam. Erfolg stellt sich erst ein, wenn wir Menschen unsere Antriebskräfte und Neigungen richtig erkennen, diese mit unseren Wertvorstellungen in Einklang bringen – und in die Tat umsetzen. Der österreichische Journalist Helmut A. Gansterer erklärt dies in seinem Buch „Endlich alle Erfolgsgeheimnisse“ so: „Erkunden Sie ohne Selbstlüge Ihre eigene Natur. Ermitteln Sie Ihre wahren Ziele und deren Richtung. Andernfalls stellen Sie schon im Bahnhof die Weichen falsch und fahren auf einen Prellbock.“ Gansterer war Chefredakteur der österreichischen Zeitschrift „trend“ und hatte für seine Reportagen die – wie er sie nannte – „Angekommenen“, wie Bill Gates, Microsoft, Ryuzaburo Kaku, Canon, und Raymond Levy, Renault, interviewt. Auch nach den Erkenntnissen Falko Rheinbergs, Professor für Psychologie i. R., erlebt nur derjenige Erfüllung und Glück, der zwischen seinen Neigungen, Werten und seinem Tun eine größtmögliche Übereinstimmung erzielt. Dies alles leuchtet ein. Denn wir sind am glücklichsten, wenn wir mit Leidenschaft bei der Sache sind. Dann scheint uns alles mühelos und schwungvoll zu gelingen, keine Hürde zu hoch, kein Weg zu weit zu sein. Jedoch sitzen viele Menschen jeden Tag an einem Arbeitsplatz, der ihnen überhaupt nicht gefällt, innerlich haben sie bereits gekündigt und sonntags schon denken sie mit Grausen an die nächste Woche. Sie stehen auf keinen Fall im Einklang mit ihren Wünschen, Neigungen und Werten. Und noch etwas macht das Glück und den Erfolg zu einer komplizierten Sache: Eigentlich müsste jeder erfüllte Traum glücklich machen. Warum aber gibt es so viele Lottogewinner, die ganz und gar nicht glücklich sind? Warum gibt es erfolgreiche Sportler, Unternehmer, Schauspieler mit Depressionen oder Suchtproblemen? Ihre innerste Neigung, ihre Werte und ihr Tun stehen nicht im Einklang, sagen die Wissenschaftler. Denn um Erfolg zu haben und Leistung zu erbringen, müssen wir uns immer unseres Selbst bewusst sein, unsere Stärken, Talente und Fähigkeiten genauso kennen wie unsere Schwächen. Und vor allem müssen wir Letztere akzeptieren. Erst wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir unser Potenzial richtig nutzen. Erfolgshindernisse. Was hindert uns am Erfolg? Warum sehen viele von uns in erfolgreichen Menschen eher eine Ausnahmeerscheinung und geben sich mit dem zufrieden,
Erfolg braucht Leidenschaft. Finden Sie Ihre! nn Überlegen Sie, welche Aufgaben Sie von sich aus immer wieder gerne erledigen. nn Welche Tätigkeiten führen Sie immer wieder zuerst aus, welche schieben Sie immer wieder auf die lange Bank? nn Bei welcher Arbeit vergessen Sie die Zeit? Wozu müssen Sie sich immer wieder selbst motivieren? nn Über welches Ergebnis haben Sie sich am meisten gefreut? Gibt es „Erfolge“, die Sie nicht mit Freude erfüllen, die Sie vielleicht gar nicht als Erfolg angesehen haben? nn Stellen Sie sich vor, Sie erfüllen sich einen großen Wunsch: Malen Sie sich im Detail aus, wie Sie sich dabei fühlen.
was sie haben? Es sind unsere Denkmuster, die unseren Weg vorschreiben. Psychologen sagen: Wir gestalten uns und unsere Welt durch unsere Gedanken. „Ich bin, was ich denke, das ich bin.“ Wenn wir immer nur in Problemen denken, so werden unsere Probleme immer größer; wenn wir uns ständig ärgern und etwas zu kritisieren haben, werden wir garantiert immer etwas finden, über das wir uns aufregen können. Und so heißt der Umkehrschluss: Wenn wir Freude am Leben haben, unsere Arbeit und unsere Umwelt positiv betrachten, wenn wir in anderen Menschen eher das Interessante und Liebenswürdige sehen, so wird unser Leben auch mehr Freude als Probleme erfahren, werden wir immer auch auf interessante und liebenswerte Menschen treffen. Das heißt: Negative Denk- und Verhaltensmuster und Glaubenssätze, die uns mehr blockieren als weiterbringen, halten uns davon ab, unsere Träume und Ziele umzusetzen und ein Leben nach unseren Vorstellungen zu führen. Oft geschieht dies unbewusst. Dr. Petra Bock, Organisationsberaterin und Coach, spricht in ihrem Buch „Nimm das Geld und freu dich dran“ über die Macht verborgener Denkmuster. Diese äußern sich in Gedanken, die uns immer wieder ausbremsen, bevor es eigentlich losgeht. Dies sind Gedanken wie: „Das klappt doch nie“, „Ich kann das nicht“ oder „Die Zeiten sind so schlecht,
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Der Weg zum Ziel beginnt mit dem ersten Schritt Die meisten Menschen haben viele Ziele, wichtige sowie unwichtige. Um seine Ziele zu erreichen, sollte man zunächst unterscheiden können, welches die wichtigen sind und welches die unwichtigen, welche sofort umgesetzt werden können und welche einen längeren Atem benötigen. Das Büro aufzuräumen, ist sicherlich ein Ziel, das schnell zu erreichen ist. Ein guter Redner zu werden oder sich beruflich selbstständig zu machen, braucht dagegen eine längere Vorbereitungszeit. Welches Ziel wichtiger ist, können dabei nur wir selbst entscheiden. nn Schreiben Sie zunächst all Ihre Ziele auf. Schränken Sie sich in dieser Liste nicht ein. nn Fügen Sie Ihre Ziele anschließend in ein Mindmap. Hier strukturieren Sie Ihre Ziele und kennzeichnen die unterschiedlichen Ebenen (wichtig/ unwichtig, kurzfristig/langfristig). nn Definieren Sie zu jedem Ziel auch Teilziele, die so konkret wie möglich – und erreichbar – sind. Wollen Sie z. B. fünf Kilogramm abnehmen, so könnte ein Teilziel heißen: „Ich verzichte in der nächsten Woche abends auf Schokolade.“ Auf diese Weise wird aus einer großen Hürde ein kurzfristiges Ziel, das relativ einfach erreicht werden kann. Der Erfolg stellt sich ein und spornt zu neuen Zielen an. nn Schreiben Sie zu jedem Teilziel die Aufgaben auf, die Sie dahin führen sollen. So rücken unmöglich scheinende Ziele plötzlich in erreichbare Nähe. nn Planen Sie dabei auch, wie Sie sich selbst belohnen wollen, wenn Sie ein Teilziel erreicht haben! nn Erstellen Sie zu jedem Teilziel/jeder Aufgabe einen Zeitplan, wann Sie dieses/diese erreicht haben wollen. nn Schreiben Sie auf, welche Voraussetzungen für Ihre Ziele notwendig sind und welche Fertigkeiten Sie zur Realisierung brauchen. nn Überlegen Sie sich einen Plan B, falls Sie eines der Teilziele nicht erreichen sollten. Überlegen Sie sich im Voraus, wie Sie handeln werden, wenn der „schlimmste Fall“ eintritt, damit Sie vorbereitet sind und überlegt handeln können, statt kopflos zu reagieren oder aufzugeben. nn „Feiern“ Sie jedes erreichte Teilziel.
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da kann das gar nichts werden“. Das Fatale an diesen Sätzen: Wir bemerken manchmal nicht einmal, dass wir in diesen Denkmustern denken, denn sie sind durch Gewohnheit so etwas wie ein Reflex geworden. Angst hemmt den Erfolg. Zu diesen negativen Denkmustern gesellt sich in der Regel auch die Angst vor Veränderung. Doch Angst ist ein schlechter Ratgeber, bringt sie uns doch dazu, uns getrieben und gejagt, von der Situation bestimmt zu fühlen. Anselm Grün, Benediktinermönch und gefragter Ratgeber zu Themen wie Unternehmens-, Lebens- und Glaubensberatung, schreibt in seinem Buch „Leben und Beruf – eine spirituelle Herausforderung: „Besser ist eine aktive Strategie: die Angst bewusst anzuschauen und darauf zu reagieren. Das bedeutet, einen Schritt zurückzutreten, sich von der Angst zu distanzieren, die schwierige Situation zu analysieren und nach Lösungen für die Zukunft zu suchen.“ Erfolg ist eine Frage der Leidenschaft. Allerdings reicht es auch nicht aus, wenn wir nach dem Motto „Ich denke ab jetzt positiv!“ vorgehen, wenn wir uns sagen „Ich bin erfolgreich!“ oder „Ich bin glücklich!“, denn die alten Muster und Prägungen, die wir seit unserer Kindheit mit uns herumtragen, kommen uns immer wieder in die Quere. Was hilft, ist eine tief greifende Veränderung unserer inneren Einstellung. Erfolgreiche Menschen machen es uns vor. Sie leben ihr Potenzial und verwirklichen sich in dem, was sie tun. Sie haben die richtige Einstellung zu Glück und Erfolg und haben Durchhaltevermögen. Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zum Erfolg: Fleiß und Ausdauer. Beide scheinen für die meisten Erfolge unerlässlich zu sein. Schauen wir uns z. B. erfolgreiche Spitzensportler an. Wer von ihnen würde gleich nach einem verlorenen Wettkampf seine Karriere aufgeben? Ganz im Gegenteil, für die meisten von ihnen ist eine Niederlage ein zusätzlicher Ansporn: „Jetzt erst recht!“, lautet ihre Devise. Dass Erfolg eine Sache von innerer Einstellung ist, fand auch die amerikanische Wissenschaftlerin Saras D. Sarasvathy in einer Studie mit erfolgreichen Unternehmensgründern heraus. Mit ihrem Team an der University of Washington interviewte sie erfolgreiche Unternehmer und stellte fest, dass diese nicht vorwiegend nach Businessplänen und betriebswirtschaftlichen Lehrbüchern handeln, sondern aus einem „Bauchgefühl“ heraus. Die Interviews ergaben, dass die meisten erfolgreichen Unternehmer beispielsweise mit Unsicherheiten und Misserfolgen ganz anders umgehen als angestellte Manager. Anstatt sich auf die Zukunft einzustellen, versuchten sie, diese zu beeinflussen und zu gestalten.
wissenschaft & forschung
Es ist übrigens auch der Umgang mit Misserfolgen und Problemen, der zeigt, ob ein Mensch zu den Erfolgreichen gehört. Viele Studien haben gezeigt, dass diejenigen, die gelernt haben, Misserfolge als Ansporn zu sehen, beruflich erfolgreicher sind als diejenigen, die jede auftauchende Hürde gleich entmutigt. Letztere sehen dann den Misserfolg als persönliches Versagen. Die richtige Einstellung zu Misserfolgen müsste sein: „Ich habe getan, was ich konnte und mein Bestes gegeben. Beim nächsten Mal wird es bestimmt besser klappen.“
Erfolgreiche Menschen haben die richtige Einstellung zu Glück und Erfolg. Sich den Erfolg erträumen. Über dieses nötige Selbstwertgefühl schreibt auch Karl Gamper in seinem Buch „Erfolg ist menschlich“. Darin porträtiert er Unternehmen, die alle auf individuelle Weise erfolgreich sind. Bei der Beschreibung des schweizerischen Unternehmens kdg skizziert er ein grundlegendes Denkmodell als Ausgangslage für Veränderung beziehungsweise Erfolg und empfiehlt: „Erstens: Lösen Sie sich von der Fixierung auf Probleme und auf zwingende Umstände. Zweitens: Verbinden Sie sich mit Möglichkeiten. Denken Sie in Möglichkeiten. Erträumen Sie sich in eine ideale Szene, jenseits der tatsächlichen Realität. Denn im Traum ist alles möglich und so bekommen Sie leichter ein Gespür und ein Gefühl dafür, wie und wo sich Wege öffnen könnten. Schon die alten Römer sagten: „Solve et coagula. Löse und verbinde dich neu.“ Wie schaffen wir es, dass unsere Wünsche zu einem erfolgreichen Projekt werden? Als Erstes brauchen wir ein Ziel. Was aber macht ein gutes Ziel aus? Die Wissenschaft sagt: Ein gutes Ziel darf weder zu einfach sein noch zu ehrgeizig. Und es sollte so konkret wie möglich sein. Wenn Sie beispielsweise in Ihrem Unternehmen Karriere machen möchten, so haben Sie größere Erfolgsaussichten, wenn Sie sich vornehmen: „Ich möchte im nächsten Jahr die Verantwortung für Projekt A übernehmen. Dafür benötige ich zunächst folgende Fortbildung …“ als: „Ich will im Beruf weiterkommen.“ Und im Endeffekt kommt es dann auf das eigene Durchhaltevermögen und Selbstvertrauen an, ob das Ziel erreicht wird. Also bringen wir zunächst unsere innere Stimme zum Schweigen, die da flüstert: „Das schaffst du sowieso nicht. Andere können das viel besser.“ Und dann machen wir unsere Träume wahr.
Buchtipps:
Helmut A. Gansterer: Endlich alle Erfolgsgeheimnisse, Ecowin Verlag, Salzburg 2010 Petra Bock: Nimm das Geld und freu dich dran, Kösel-Verlag, München 2008 Karl Gamper: Erfolg ist menschlich, J. Kamphausen Verlag, Bielefeld 2009 Anselm Grün: Leben und Beruf – eine spirituelle Herausforderung, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009
Renate Gervink 12/2010 Die BKK | 687
Von Rom nach Lissabon Unter diesem Motto fand in der Zeit vom 26. bis 28. Oktober 2010 in Kassel die 42. Richterwoche des Bundessozialgerichts statt – erstmals in den grundsanierten und modernisierten Räumen des Bundessozialgerichts. Die Richterwoche befasste sich mit der Fortentwicklung des EU-Rechts nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und dessen Einwirkungen auf das Recht der sozialen Sicherheit. Miriam Meßling Der Präsident des Bundessozialgerichts (BSG), Peter Masuch, begrüßte die über 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die aus der gesamten Sozialgerichtsbarkeit, von den Sozialleistungsträgern, von Ministerien, Behörden und Einrichtungen, von Gewerkschaften und Verbänden, von Verlagen und Unternehmen und aus der Anwaltschaft nach Kassel gekommen waren. Zur Einstimmung in das diesjährige Thema warf Masuch die Frage auf, ob unser im Grundgesetz verankerter Sozialstaat auch dann noch sein Gesicht behalte, wenn immer stärker konstitutionelle Herausforderungen im europäischen Rechtsraum hervorträten. Es müsse nicht nur die innergesellschaftliche Anspannung ausgehalten werden, sondern zunehmend auch die Rolle des deutschen Sozialstaatsmodells – gerade in der EU – in den Blick genommen werden. Dies sei Inhalt und Ziel der diesjährigen Richterwoche. Es folgten weitere Grußworte des Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ralf Brauksiepe, des Hessischen Ministers der Justiz, für Inte688 | Die BKK 12/2010
gration und Europa, Jörg-Uwe Hahn, und des Oberbürgermeisters der Stadt Kassel, Bertram Hilgen. Brauksiepe sprach die Bedeutung des Lissabon-Vertrags für die Stärkung der sozialen Dimension in Europa an und gab zudem einen ersten Überblick über das Ergebnis der Arbeiten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zur Reform des Existenzsicherungsrechts, die infolge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) erforderlich geworden war. Hahn, der schon bei der vergangenen Richterwoche des BSG für die Zusammenlegung der Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit plädiert hatte, wagte die These, dass dieses Thema noch nicht endgültig vom Tisch sei. In seiner Eigenschaft als Europaminister hob er die große Bedeutung des gewählten Tagungsthemas hervor und sprach an, dass Europa entgegen landläufiger Auffassung nicht mehr „weit weg“ vom Einzelnen sei. Hilgen führte mit Bezug auf das Tagungsthema aus, dass insbesondere die kommunalen Besonderheiten stärker durch Brüssel berücksichtigt werden müssten.
s o z i a lv e r s i c h e r u n g & r e c h t
Mit seinem Eröffnungsvortrag „Der Sozialstaat in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ lenkte der Präsident des BVerfG, Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, den Blick auf die deutsche Ausgangssituation und hier auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen des deutschen Sozialrechts. Er arbeitete zunächst die Offenheit und die Prozesshaftigkeit des Sozialstaatsprinzips als Verfassungsnorm heraus. Anschließend stellte er dar, welche Leitlinien das BVerfG mit Blick darauf für den verfassungsgerichtlichen Zugriff auf das Sozialstaatsprinzip entwickelt hat. Das Sozialstaatsprinzip sei zunächst Gesetzgebungsauftrag an den parlamentarischen Gesetzgeber, belasse dem Gesetzgeber insoweit aber einen weiten Gestaltungsspielraum in seiner Umsetzung. Darüber hinaus bilde es einen prägenden Interpretationsmaßstab für die Bestimmung grundrechtlicher Gewährleistungen und verleihe als solches einigen Positionen Grundrechtsrelevanz. Das BVerfG leite insoweit aus bestimmten Freiheitsgrundrechten in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip soziale Schutzpflichten ab beziehungsweise verdichte Grundrechte zu Teilhaberechten. Schließlich gebe es in der Rechtsprechung des BVerfG bestimmte Kerngebiete des Sozialstaatsprinzips, die den parlamentarischen Gestaltungsspielraum verfahrensrechtlich begrenzten. Zwar resultierten insoweit keine konkreten Mindestansprüche, wohl aber Standards hinsichtlich des Gesetzgebungsverfahrens aus der Verfassung. Letzteres sei der verfassungsrechtliche Zugriff auf das Sozialstaatsprinzip in der Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der sogenannten „Hartz-IV-Gesetzgebung“ gewesen.
Mit seinem Vortrag zum Thema „Unionsbürgerstatus – Auswirkungen auf das Sozialrecht“ leitete Prof. Dr. Hans Michael Heinig, Georg-August-Universität Göttingen, die Richterwoche dann in die europäische Rechtsdimension über. Er arbeitete die bereichsweise Überformung des deutschen Sozialrechts durch das EU-Recht heraus. Zwar schließe das Primärrecht Rechtsharmonisierung auf dem Feld des Sozialrechts weitgehend aus; andererseits jedoch sei die Union seit Maastricht sozialpolitisch profiliert worden. Die EU habe mit einer sozialpolitischen Dynamisierung von sozialrechtsfernen Politikfeldern, insbesondere der Unionsbürgerschaft, reagiert. Aus der Anwendung der allgemeinen Regeln des Europarechts auf Fragen mit sozialrechtlichem Bezug entstünden dabei nicht unerhebliche Spannungslagen. Diese würden durch die Rechtsprechung des EuGH zur Bedeutung der Unionsbürgerschaft in der mitgliedstaatlichen Sozialgesetzgebung noch akzentuiert. Nach der Rechtsprechung des EuGH eröffne nämlich bereits die Ausübung der Freizügigkeit selbst den Anwendungsbereich des Unionsrechts und damit das Verbot der Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Schließe ein Mitgliedstaat zugewanderte Unionsbürger von steuerfinanzierten Sozialleistungen aus, bedürfe dies einer besonderen Rechtfertigung. Heinig kam hier zu dem Fazit, aus rechtswissenschaftlicher Sicht hätte man sich in der dogmatischen Grundanlage eine kompetenzschonendere Feinjustierung durch den EuGH gewünscht. Die praktischen Auswirkungen dieses Rechtsbefundes verdeutlichte Heinig abschließend exemplarisch am Verhältnis von Unionsbürgerfreizügigkeit und Leistungsausschlüssen für zuwandernde, Arbeit suchende Unionsbürger nach dem SGB II. Hochaktuell war auch der folgende Vortrag mit dem Titel „Die europäische Grundrechtecharta – Handreichungen für den Rechtsanwender“, mit welchem Dr. Norbert Bernsdorff, Richter am BSG, aufzeigte, in welchem Kontext und Umfang die zum 1. Dezember 2009 in Kraft getretene Charta der Grundrechte der EU in der deutschen Sozialrechtspraxis relevant werden kann. Bislang hätten die deutschen Gerichte die Charta nicht hinreichend zur Kenntnis genommen. Die mangelnde Befassung mit der Grundrechtecharta berge jedoch Risiken. Wegen der unionsrechtlichen Vorlagepflicht bei letzt instanzlichen Entscheidungen bestehe eine unmittelbare Rückkoppelung. Zwar gebe es weder eine eigenständige Grundrechtsbeschwerde zum EuGH noch eine Nichtvorlagebeschwerde. „Schützenhilfe“ erhalte der EuGH jedoch durch das BVerfG, das die Kontrolle der Einhaltung der Vorlagepflicht am Maßstab des Art. 101 Abs. 1 GG in letzter Zeit zunehmend verschärft habe. Zum Verhältnis von europäischen und deutschen Grundrechten führte Bernsdorff aus, die Grundrechte der Charta und des GG stünden grundsätzlich 12/2010 Die BKK | 689
beziehungslos nebeneinander. Im Konfliktfall trete aber das nationale Grundrecht als Folge des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts zurück. Das entgegenstehende deutsche Grundrecht sei dann vom Richter nicht anzuwenden. Allerdings sei der Geltungsbereich der Grundrechtecharta auf die „Durchführung des Rechts der Union“ durch die Mitgliedstaaten eingeschränkt. Inhaltlich gehe die Grundrechtecharta über eine Ansammlung klassischer Grundrechte, wie sie das GG enthält, hinaus. Sie enthalte Freiheiten beziehungsweise Rechte, die „zu achten“ seien, und Grundsätze, die „eingehalten“ und „gefördert“ werden müssten. Eine der Anwendung der Grundrechtecharta stets vorgelagerte Frage sei diejenige nach ihrer Auslegung. Im Hinblick auf die völker(vertrags)-rechtliche Fundierung der Charta sei grundsätzlich nach den hierfür bestehenden Regeln auszulegen. Ob der EuGH seine textlich kaum fundierte teleologische Interpretation – „effet utile“ – auch hier durchsetzen könne, sei allerdings fraglich. Die abschließende Bewertung des Inkrafttretens der Grundrechtecharta durch Bernsdorff fiel uneingeschränkt positiv aus. Sie sei rechtlich dazu geschaffen worden, die Unionsgewalt „zu bändigen“, beinhalte aber auch einen politischen Gewinn, weil sie das Bestehen gewisser Werte als Konsens nach außen repräsentiere. Der zweite Veranstaltungstag wurde durch Ernst Merz, Präsident des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz, mit dem Vortrag zum Thema „Das Sozialrecht auf dem Weg zum Lissabon-Vertrag“ eingeleitet. In seinen Ausführungen konnte er insbesondere seine Erfahrungen als Verwaltungs690 | Die BKK 12/2010
direktor von Eurojust einfließen lassen. Merz stieg mit der Feststellung in sein Thema ein, dass die legislativen Kompetenzen der EU im Sozialrecht, insbesondere in zentralen Bereichen des materiellen Sozialrechts, auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gering ausgeprägt seien. Die praktische Bedeutung des EU-Rechts für die Sozialgerichtsbarkeit sei daher oft nur schwer zu erkennen. Die Begründung für die geringe legislative Kompetenz des EUGesetzgebers im Sozialrecht machte Merz anhand einer Schilderung der Entstehungsgeschichte der EU mit dem Ausgangspunkt einer Wirtschaftsgemeinschaft plausibel. Diese in den Gründungsverträgen angelegte Asymmetrie zwischen Markt- und sozialer Integration bestehe auch weiterhin fort. Grundprinzip des europäischen Primärrechts sei auch nach dem Lissabon-Vertrag ganz überwiegend die Koordinierung, nicht jedoch die Harmonisierung des nationalen Sozialrechts der Mitgliedstaaten. Auch Merz wies daher darauf hin, dass treibende Kräfte der Europäisierung des Sozialrechts die Rechtsprechung des EuGH und zudem die seit mehr als 20 Jahren eingesetzte Methode der offenen Koordinierung seien. Mit Letzterer konnte inzwischen in zahlreichen Bereichen, in denen keine Kompetenz der EU zur Harmonisierung des Sozialrechts bestehe, eine Annäherung oder Konvergenz der unterschiedlichen Sozialsysteme erreicht werden. Für die Zukunft prognostizierte Merz, dass sich alsbald keine wesentliche Änderung hinsichtlich der für die Integration des europäischen Sozialrechts maßgeblichen Faktoren ergeben werde, da eine erhebliche Kompetenzerweiterung für den Gesetzgeber im Bereich des Sozialrechts auf EU-Ebene nicht in Sicht sei. Allerdings seien unterschiedliche Systeme der sozialen Sicherheit durchaus sinnvoll, wenn sie mit einem leistungsfähigen System der Koordinierung und einem effektiven Austausch über die jeweiligen Stärken und Schwächen bei gleichzeitiger Festlegung von sozialpolitischen Zielvorgaben einhergingen. Beides sei in der EU der Fall. Im Anschluss behandelte Helmut Weber, Referatsleiter für die Koordinierung der Sozialrechtssysteme im BMAS, die Frage „Welche Veränderungen bringen die VO 883/2004 und VO 987/2009?“. Er wies auf den langen Entstehungsweg dieser die VO 1408/71 ablösenden, lange überfälligen Koordinierungsvorschriften hin. Inhaltlich begrüßte Weber die neuen Regelwerke. Durch sie sei eine Vereinfachung und Modernisierung des Koordinierungsrechts erreicht worden. Ins besondere seien die Rechte der Grenzgänger – z. B. bei Krankheit und Arbeitslosigkeit – gestärkt und den übrigen Versicherten verbesserte Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Ansprüche eingeräumt worden. Weber sprach einige wichtige Änderungen an: die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Koordinierung auf Nichterwerbstätige, den Weg
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fall der Sonderregelung für Transportunternehmen, die generelle Ausdehnung des erlaubten Entsendezeitraums auf 24 Monate, die Verbesserung der Regelungen bei Inanspruchnahme von medizinischer Sachleistungsaushilfe für ehemalige Grenzgänger und ihre Familienangehörigen und der Regelungen für arbeitslose Grenzgänger. Hierzu nannte er auch einprägsame Beispiele zu Fragestellungen des neuen Koordinierungsrechts in der Praxis. Der Nachmittag des zweiten Tages der Richterwoche gehörte traditionsgemäß wieder den Arbeitskreisen, welche zu allen Fachgebieten des Sozialversicherungsrechts stattfanden. In ihnen konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit den Mitgliedern der jeweils zuständigen BSG-Senate in einen Dialog über alle interessierenden Fragen aus der jüngeren Rechtsprechung eintreten und sich über Instanz- und Berufsgrenzen hinweg zu aktuell anstehenden Rechtsfragen austauschen. Am dritten Tag bestritt Frau Dr. Elisabeth Neifer-Porsch die neu eingerichtete „Aktuelle Stunde“ der Richterwoche mit ihrem Vortrag zu „Neue(n) Entwicklungen im Sozialrecht“. Neifer-Porsch ist Abteilungsleiterin im BMAS und aktuell zuständig für die Reformen einerseits der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende und andererseits der Neubemessung der Regelbedarfe. Sie berichtete aus erster Hand über den Stand der Organisations- und der Regelbedarfsreform. Die SGB-II-Organisationsreform ist bereits im Sommer 2010 beschlossen worden. Mit ihr werde eine Leistungserbringung aus einer Hand – nämlich durch gemeinsame Einrichtungen und Optionskommunen in einem RegelAusnahme-Verhältnis – verfassungsrechtlich abgesichert. Hiermit seien klare Aufsichtsstrukturen, die den jeweiligen Verantwortlichkeiten folgten, eingeführt worden. Neu sei auch ein bundesweites, modernes Steuerungssystem. Derzeit werde die Reform im Dialog mit den Ländern, der BA und den kommunalen Spitzenverbänden umgesetzt. Das BMAS habe außerdem einen Gesetzentwurf zur Neubemessung der Regelbedarfe und zur Änderung des SGB II und SGB XII ausgearbeitet, der am 20. Oktober 2010 vom Kabinett beschlossen wurde. Dieser Gesetzentwurf setze das Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010 um und sehe auch darüber hinausgehende weitreichende Reformen des Leistungsrechts im SGB II und SGB XII vor. Mit dem Gesetzentwurf sollen daher einerseits eine Neubestimmung der Regelbedarfe unter Einhaltung der Vorgaben des BVerfG und eine Stärkung der Chancen von Kindern durch Bildungs- und Teilhabeleistungen erfolgen; er regle andererseits aber auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung auf der Grundlage einer Satzungslösung neu, entwickle die Freibetragsregelung für Erwerbstätige im SGB II weiter und enthalte ei-
ne praxisgerechte und vereinfachte Gestaltung der Sanktionsregelung im SGB II. Der europarechtliche Diskurs der Richterwoche schloss mit dem Vortrag von Frau Prof. Dr. Eva Kocher, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder, zum „Diskriminierungsschutz durch das AGG vor den Arbeits- und Sozialgerichten“. Kocher führte zunächst in das Regelungsgeflecht um das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein, welches es erforderlich mache, bei Zweifelsfragen in der Auslegung den Blick zwischen den sozialrechtlichen Normen, dem AGG, dem europäischen Recht und dem GG hin- und herwandern zu lassen. Die Anforderungen des europäischen Rechts könnten häufig nur erfüllt werden, indem die Normen als sich gegenseitig ergänzend interpretiert würden. Anschließend diskutierte Kocher die Streitfragen des Diskriminierungsschutzes exemplarisch an der Zulässigkeit von Altersgrenzen. Die rechtliche Ordnung der Erwerbstätigkeit und sozialen Sicherung sei in Deutschland – wie in den meisten anderen Mitgliedstaaten – anhand typischer Erwerbslebensläufe strukturiert und knüpfe verschiedentlich auch explizit am Alter an. Die Zulässigkeit solcher Regelungen hänge letztlich von ihrer möglichen Rechtfertigung ab. Als Rechtfertigungsgrund reiche aber die pauschale Annahme abnehmender Leistungsfähigkeit aufgrund zunehmenden Alters nicht mehr aus.
Dr. Miriam Meßling, Richterin am SG Freiburg, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bundessozialgericht Kassel
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B KK L a n d e s v e r b a n d M i t t e ta g t z u m d e m o g r a p h i s c h e n W a n d e l i n d e r a r b e i t s w e lt
Noch lange kein altes Eisen Die höhere Lebenserwartung der Menschen und die sinkenden Geburtenraten verändern die Altersstruktur in Deutschland. Für Unternehmen ergeben sich daraus verschiedene Konsequenzen und Herausforderungen. Sie müssen sich in ihrer Personalpolitik auf ältere Mitarbeiter einstellen, um sie kompetent am Arbeitsprozess zu beteiligen. Gezielte Entwicklungsprogramme, die auf die Potenziale und Stärken der älteren Kollegen ausgerichtet sind, aber auch Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF), die zukünftig ältere Arbeitnehmer berücksichtigt, helfen den Unternehmen, den demographischen Wandel zu bewältigen. Die mit dem Alter verstärkt auftretenden chronischen Erkrankungen machen deutlich, wie wichtig langfristig ausgerichtete BGF ist. Wie können Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer im Unternehmen gefördert werden? Die Tagung „Kein altes Eisen – zum demographischen Wandel in der Arbeitswelt“ griff am 25. Oktober in Hannover diese Themen auf und lud als Plattform zu Austausch und Diskussion ein. Wolfgang Beyer
In seinem Grußwort ging Peter Götze, Verwaltungsratsvorsitzender des BKK Landesverbandes Mitte, darauf ein, dass in früheren Generationen der Rat älterer Menschen in der Gesellschaft gefragt war. Heute hingegen werden ältere Arbeitnehmer aus dem Produktionsprozess gedrängt. Derartiges Verhalten können sich Unternehmen angesichts des beginnenden Fachkräftemangels nicht mehr leisten. „Ältere Beschäftigte zeichnen sich durch Lebenserfahrung und ein ganzheitliches Verständnis von Arbeits- und Produktionsprozessen aus. Sie sind eben kein altes Eisen!“, betonte Peter Götze. Allerdings nehmen arbeitsbedingte Gesundheitsprobleme mit dem Alter zu. So zeige der BKK Gesundheitsreport seit Jahren eine steigende Arbeitsunfähigkeitsdauer mit zunehmendem Alter. Insbesondere Muskel- und Skeletterkrankungen sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehmen zu, je älter die Beschäftigten werden. 692 | Die BKK 12/2010
Auf ein anderes Phänomen wies Professor Peter Kern vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation hin: Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage habe sich in den vergangenen 30 Jahren in etwa halbiert. Belegschaften blieben also immer gesünder, auch in höherem Alter, jedenfalls im Vergleich zu früheren Generationen. Und: „Die Zeiten, in denen man auf ältere Arbeitnehmer verzichten konnte, sind vorbei“, sagte Kern. Trotzdem gäbe es immer noch viele Vorurteile gegenüber älteren Arbeitnehmern, etwa: Sie seien nicht belastbar, verursachen höhere Kosten, seien inkompetent. So haben heute sechs von zehn Unternehmen in Deutschland keine Beschäftigten mehr, die älter als 50 Jahre alt sind. Dem setzte der Wissenschaftler entgegen: „Der demographische Wandel ist da, jeder, der in Unternehmen Verantwortung trägt, muss etwas tun.“ Dem tragen auch immer mehr Arbeitgeber Rechnung: Die Beschäftigungsquote der über 55 Jahre alten Arbeitnehmer ist in den vergangenen fünf Jahren von 39 % im Jahre 2004 auf 57 % im Jahre 2009 gestiegen. Dazu beigetragen haben auch das betriebliche Gesundheitsmanagement und die alternsgerechte Arbeitsgestaltung. Bereits rund 45 % der Bevölkerung sind heute älter als 50 Jahre. Diese Menschen als eine Zielgruppe der „silver generation“ oder „golden oldies“ zusammenzufassen, führt nicht weit, sagte Dr. Silke Borgstedt, Direktorin der Sozialforschung am Sinus-Institut. Die Individualisierung der Gesellschaft in verschiedenen Lebenswelten finde auch bei den Älteren statt. Insofern gelte das vom Sinus-Institut entwickelte Modell der sozialen Milieus für alle Altersgruppen – „mit einem neuen Lebensjahrzehnt wechselt man nicht die Lebenswelt“. Im Alter nehme die Bedeutung des Themas „Gesundheit“ zu.
vermischtes
Ein weiteres Problem des demographischen Wandels benannte Jörg Michel von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Die Karrierechancen der mittleren Generation sinken deutlich, wenn ihre Vorgesetzten bis zum Alter von 67 Jahren arbeiten, ein Problem, dem bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Fünf Handlungsfelder des demographischen Wandels zeigte Michel auf: Gesundheit und Arbeitsschutz, Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung, Qualifizierung und Kompetenzentwicklung, Führung und Unternehmenskultur sowie Personalgewinnung und Personalentwicklung. In allen diesen Handlungsfeldern müssen Unternehmen aktiv werden, wenn sie die Herausforderungen einer älter werdenden Belegschaft meistern wollen. Dabei sei beispielsweise der Aufbau eines systematischen betrieblichen Gesundheitsmanagements nötig, genauso wie die Förderung des intergenerativen Austauschs zwischen Jung und Alt. Die Erfahrung – so Michel – zeigt, dass besonders kleine und mittlere Unternehmen eine Be-
zu. Dementsprechend bedeutender werde die BGF, sowohl auf der Ebene der Verhältnisprävention – hier ist der Arbeitgeber gefragt, Strukturen zu schaffen, die die Gesundheit fördern und Krankwerden vermeiden – als auch in der Verhaltensprävention – bei der jeder selbst gefordert ist, sich beispielsweise durch Bewegung und Ernährung fit zu halten.
ratung brauchen, um das Thema des demographischen Wandels in ihren Belegschaften anzugehen. Im Beitrag „Den demographischen Wandel im Betrieb gestalten“ auf S. 652 dieser Ausgabe konkretisiert Michel seine Ausführungen.
hat die Dr. Becker Unternehmensgruppe in Köln entwickelt. Silke Grieshammer stellte das Siegel in ihrem Beitrag vor. Es wird zum strategischen Element in Unternehmenskultur und -führung eingesetzt und trage dazu bei, die drei Dimensionen der beruflichen Lernfähigkeit der Mitarbeiter zu erhalten, nämlich Gesundheit, Motivation und Qualifikation.
Mit kristallinen Fähigkeiten – d. h. größerer sprachlicher Gewandtheit, dem Blick fürs Wesentliche und mit der Breite ihres Wissens – trumpfen ältere Arbeitnehmer, pointierte Kerstin Thies vom Team Gesundheit. Sie begleitet den demographischen Wandel in der Verwaltung des Landes Berlin. Durch den Einstellungsstopp vor mehr als 15 Jahren gäbe es in Berlin Jugendämter, deren Belegschaften ein Durchschnittsalter von 58 Jahren haben; insgesamt liege das Durchschnittsalter der Beschäftigten im öffentlichen Dienst Berlins bei mehr als 50 Jahren. In diesem Alter nehmen psychische Erkrankungen sowie Rückenschmerzen und Atemwegserkrankungen
Bei der Salzgitter AG steht beim betrieblichen Gesundheitsmanagement der Arbeitsplatz im Fokus, berichtete Bernd Marquard, der Senior Referent Personal- und Sozialpolitik der Stahlwerke. Zudem soll die Eigenverantwortung der Mitarbeiter gestärkt und geschult werden. Der arbeitsmedizinische Dienst lade zu einem Mitarbeitercheck ein, um vor allem diejenigen im Werk zu erreichen, die Vorsorgeuntersuchungen beim Hausarzt nicht wahrgenommen haben. Die Resonanz sei dabei sehr gut, so Marquard. Ein Qualitätssiegel für altersgerechte Personalentwicklung
Im letzten Vortrag der mit mehr als 60 Teilnehmern gut besuchten Fachtagung stellte Anne-Marie Glowienka von hochForm, Ergonomie-, Arbeitsplatz- und Demographieberatung, die bereits bestehenden Netzwerke zum Thema „Demographischer Wandel in der Arbeitswelt“ vor. Diesen und die meisten anderen Vorträge gibt es unter: www.bkkmitte.de. Wolfgang Beyer, BKK Landesverband Mitte, Hannover Kontakt: wolfgang.beyer@bkkmitte.de
Auflockerung zwischen den Fachvorträgen mit einer Bewegungspause
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Australian Government Tackles Binge Drinking Among Young People When the Australian Prime Minister Julia Gillard announced a National Binge Drinking Strategy two years ago, a budget of $ 53.5 million was provided to address excessive drinking among young people. Among other approaches the strategy comprises community level initiatives to confront the culture of binge drinking, particularly in sporting organisations. Australia’s overall per capita consumption of alcohol is high by world standards. Over 34 % of Australians aged 14 and over are drinking at levels that risk causing harm in the short term. 813,072 Australians aged 15 years and older were hospitalised for alcohol-attributable injury and disease over the 10-year period 1995 to 2005. The social cost of alcohol abuse in Australia was estimated at about $15.3 billion in 2004-05. The Gillard Government is taking action by implementing the $103.5 million National Binge Drinking Strategy, which includes the additional $50 million programme. A key plank of the strategy is the $25 million Community Sponsorship Fund to provide an alternative to alcohol industry sponsorship for local community sporting and cultural organisations. As part of this process, the Government is seeking input from the community on how to remove links between alcohol and community sporting and cultural activities that young people are involved in. A consultation paper is being distributed to community and sporting organisations and peak body stakeholders seeking their comment on an alternative to alcohol sponsorship. Subject to the consultation process, the Community Sponsorship Fund will aim to reduce the exposure of young people in particular to alcohol imagery and branding and to remove links that tend to normalise a connection between alcohol consumption and sporting and cultural activities. The fund will
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also aim to support community-based organisations to provide alcohol-free environments particularly for minors and to reduce the risky consumption of alcohol through appropriate responsible service of alcohol at sporting events. Feedback on the consultation paper will help the Government to gain a better understanding of the organisations that may be eligible for funding, the type and size of the sponsorships they currently receive and the number of organisations involved. Barbara Orfeld, BKK Bundesverband, Essen
Glossar*
$53.5 million $15.3 billion key plank peak body stakeholders alcohol imagery and branding to be eligible for
38,7 Mio. € 11 Mrd. € wichtiges Element, entscheiden- der Bestandteil die am Projekt beteiligten Verbände und Organisationen Produktdesign und Markenwelten alkoholischer Getränke infrage kommen für
* Bei den ins Glossar aufgenommenen Vokabeln handelt es sich um sinngemäße Übersetzungen ins Deutsche. Quelle: www.alcohol.gov.au
G e s u n d h e i t i n t e r n at i o n a l
Estland: Technik bremst E-Health
Estland setzt ganz auf E-Gesundheit. Seit 2008 wird an der elektronischen Gesundheitsakte, der zentralen Speicherung digitaler Aufnahmen, dem elektronischen Rezept und Online-Terminvereinbarungen und -Überweisungen gearbeitet. Im Frühjahr 2010 verfügten schon 98 % der Kliniken über elektronische Akten, 31 % nutzten sie für die externe Kommunikation, 71 % fütterten und nutzten die Bilddatenbank und 62 % verordneten Medikamente elektronisch – für Estlands Planer ein enttäuschendes Ergebnis. Denn die obligatorische Einführung des E-Rezepts wurde verschoben, elektronische Überweisungen gibt es noch gar nicht. Aber nicht aus politischen Gründen oder wegen Datenschutzhürden, sondern schlicht wegen technischer Probleme. Quelle: www.eng.e-tervis.ee/news/overview-2.html
NL: Kassenwechsel sind selten – besonders bei Alten und Kranken (jm) Trotz erleichterter Wechselmöglichkeiten haben die Niederländer nach der Gesundheitsreform 2006 deutlich seltener ihre Krankenkasse gewechselt, als Experten erhofft und Versicherte in Umfragen angekündigt hatten. Und das, obwohl bei einer Befragung von über 12.000 Personen schon nur 1,4 % gesagt hatten, sie würden die Kasse wechseln, und lediglich 13 % einen Wechsel für denkbar hielten. Tatsächlich wechselten dann nur 31 % der „Wechselwilligen“, 7 % der zuvor Unentschlossenen und 2 % derjenigen, die eigentlich gar nicht wechseln wollten. Außerdem lässt die Befragung vermuten, dass am ehesten jüngere, gesunde und gebildete Männer wechselten. Denn Kranke, Ältere, langjährig Versicherte, weniger Gebildete und Frauen wechselten der Untersuchung nach eher selten. Quelle: www.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1369-7625.2009.00583.x/abstract
Antibiotika: Die Mär vom Wunsch und Willen der Patienten (jm) Immer wieder zeigen Studien, dass Ärzte in vielen Ländern bei Erkältungskrankheiten Antibiotika verordnen, obwohl diese gegen die auslösenden Viren nichts ausrichten können, dafür aber Resistenzen fördern. Die Ärzte verweisen dann häufig darauf, die Patienten würden eine solche Verordnung erwarten oder sogar darauf drängen. Das ist allerdings eine Mär, wenn man einer Befragung deutscher Patienten glaubt. Von fast 1.800 zufällig ausgewählten Befragten gaben nur 7,7 % an, sie gingen mit dem Wunsch nach einem Antibiotikum zum Arzt. Von diesen wiederum würden es sogar über 70 % akzeptieren, wenn der Arzt anders entscheidet. Nur 2,7 % dieser Befragtengruppe, das sind gerade 0,21 % aller Befragten, würden den Arzt wechseln, wenn er entgegen ihren Erwartungen kein Antibiotikum verschreibt. Quelle: www.eurosurveillance.org/images/dynamic/EE/V15N35/art19655.pdf
12/2010 Die BKK | 695
Gesundheitstage 2011 Die BKK hat wieder eine Auswahl der wichtigsten Gesundheits- und Aktionstage des kommenden Jahres zusammengestellt. Der Schwerpunkt wurde auf nationale Aktionstage gelegt, für die es in Deutschland feste Ansprechpartner gibt. Die vollständige Liste findet sich unter www.infodienst.bzga.de (Suchbegriff „Gesundheitstage“).
4. Februar 2011
10. Februar 2011
Weltkrebstag Deutsche Krebsgesellschaft e.V. Straße des 17. Juni 106 – 108, 10623 Berlin Tel.: 030 32293290 E-Mail: presse@krebsgesellschaft.de Internet: www.krebsgesellschaft.de Tag der Kinderhospizarbeit Deutscher Kinderhospizverein e.V. Bruchstr. 10, 57462 Olpe Tel.: 02761 941290 E-Mail: info@deutscher kinderhospizverein.de Internet: www.deutscher kinderhospizverein.de
10. März 2011
Weltnierentag Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) Seume Str. 8, 10245 Berlin Tel.: 030 52137269 Internet: www.nierengesellschaft.de, www.weltnierentag.de
15. März 2011
Tag der Rückengesundheit Forum Schmerz im Deutschen Grünen Kreuz e.V. Kontakt: Dr. Dietmar Krause Schuhmarkt 4, 35037 Marburg Tel.: 06421 293124 E-Mail: schmerz@kilian.de Internet: www.forum-schmerz.de
21. März 2011
696 | Die BKK 12/2010
Welt-Down-Syndrom-Tag Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. Kontakt: Herr Wagner-Stoll Raiffeisenstr. 18, 35043 Marburg Tel.: 0641 491186 E-Mail: bundesvereinigung@ lebenshilfe.de Internet: www.lebenshilfe.de, www.ds-infocenter.de
7. April 2011
11. April 2011
Weltgesundheitstag Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG) Kontakt: Dr. Uwe Prümel-Philippsen Heilsbachstr. 30, 53123 Bonn Tel.: 0228 9872711 Internet: www.weltgesundheitstag.de Welt-Parkinson-Tag Deutsche Parkinson Vereinigung e.V. Bundesverband Moselstr. 31, 41464 Neuss Tel.: 02131 740270 E-Mail: parkinsonv@aol.com Internet: www.parkinson-vereinigung.de
5. Mai 2011
Tag des herzkranken Kindes Bundesverband Herzkranke Kinder e.V. 10898 Berlin Kasinostr. 66, 52066 Aachen E-Mail: BVHK-Aachen@t-online.de Internet: www.bvhk.de
10. Mai 2011
Tag gegen den Schlaganfall Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe Carl-Bertelsmann-Str. 256, 33311 Gütersloh Tel.: 05241 977052 E-Mail: info@schlaganfall-hilfe.de Internet: www.schlaganfall-hilfe.de
12. Mai 2011
Internationaler CFS-Tag (Chronisches Erschöpfungssyndrom) Fatigatio e.V. – Bundesverband Chronisches Erschöpfungssyndrom (DFS/SFIDS/ME) Albrechtstr. 15, 10117 Berlin Tel.: 030 31018890 E-Mail: info@fatigatio.de Internet: www.fatigatio.de
21. Mai 2011
Welt-Zöliakie-Tag Deutsche Zöliakie-Gesellschaft e.V. Kupferstr. 36, 70565 Stuttgart Tel.: 0711 4599810 Internet: www.dzg-online.de
Service
21. – 29. Mai 2011
28. Mai 2011
31. Mai 2011
Welt-Hepatitis-Tag Deutsche Leberhilfe e.V. Kontakt: Achim Kautz Krieler Str. 100, 50935 Köln Tel.: 0221 2829980 E-Mail: AKautz@leberhilfe.org Internet: www.welthepatitistag.info Weltnichtrauchertag Bundesvereinigung für Gesundheit e.V. Kontakt: Michaela Goecke Heilsbachstr. 30, 53123 Bonn Tel.: 0228 9872718 Internet: www.who-nichtrauchertag.de Nichtraucher-Initiative Deutschland e.V. Carl-von-Linde-Str. 11, 85716 Unterschleißheim E-Mail: nid@nichtraucherschutz.de Internet: www.nichtraucherschutz.de
4. Juni 2011
6. Juni 2011
10. Juni 2011
18. Juni 2011
Tag der Blutstammzellspender NKR – Initiative Leben spenden/ Norddeutsches Knochenmark- und Stammzellen-Register gGmbH Berckhusenstraße 150, 30625 Hannover Tel.: 0511 89888898 E-Mail: traut@nkr-mhh.de Internet: www.nkr-mhh.de
21. Juni 2011
Dt. Lebensmittel-Allergietag Deutscher Allergie- und Asthmabund e.V. – DAAB Fliethstr. 114, 41061 Mönchengladbach Tel.: 02161 814940 E-Mail: info@daab.de Internet: www.daab.de
28. Juli 2011
Deutscher Lebertag Deutsche Leberhilfe e.V. Kontakt: Achim Kautz Krieler Str. 100, 50935 Köln Tel.: 0221 2829980 E-Mail: AKautz@leberhilfe.org Internet: www.leberhilfe.org
Aktionswoche Alkohol Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen Kontakt: Dr. Raphael Gaßmann Tel.: 02381 901518 E-Mail: gassmann@dhs.de Internet: www.aktionswoche-alkohol.de
Tag der Organspende Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Ostmerheimer Str. 220, 51109 Köln Tel.: 0221 89920 Tel.: 0221 300 E-Mail: organspende@bzga.de Internet: www.organspende-info.de Sehbehindertentag Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV) Rungestr. 19, 10179 Berlin Tel.: 030 2853870 E-Mail: v.lenk@dbsv.org Internet: www.dbsv.org Kindersicherheitstag Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder e.V. Heilsbachstr. 13, 53123 Bonn Tel.: 0228 688340 E-Mail: info@kindersicherheit.de Internet: www.kindersicherheit.de
9. September 2011
Tag des alkoholgeschädigten Kindes FASworld Deutschland Kontakt: Gisela Michalowski Hügelweg 4, 49809 Lingen Tel.: 0591 7106700 E-Mail: fasd@fasworld.de Internet: www.fasworld.de
10. September 2011
Suizidpräventionstag Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention e.V. Kontakt: Michael Witte, c/o: neuhland e.V. Nikolsburger Platz 6, 10717 Berlin Tel.: 030 417283952 E-Mail: dgs.gf@suizidprophylaxe.de Internet: www.suizidprophylaxe.de
19. September 2011
Deutscher Lungentag Deutscher Lungentag e.V. Im Prinzenpalais: Burgstraße, 33175 Bad Lippspringe Tel.: 05252 9380670 E-Mail: lungentag@t-online.de Internet: www.lungentag.de
21. September 2011
Welt-Alzheimertag Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. Selbsthilfe Demenz Friedrichstr. 236, 10969 Berlin Tel.: 030 25937950 E-Mail: info@deutsche-alzheimer.de Internet: www.deutsche-alzheimer.de
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25. September 2011
Tag der Zahngesundheit Verein für Zahnhygiene e.V. Liebigstraße 25, 64293 Darmstadt Tel.: 06151 1373710 E-Mail: info@zahnhygiene.de Internet: www.tag-der-zahngesundheit.de
25. September 2011
Internationaler Tag der Gehörlosen Deutscher Gehörlosen-Bund e.V. Bundesgeschäftsstelle Am Zirkus 4, 10117 Berlin Tel.: 030 85612390 E-Mail: info@gehoerlosen-bund.de Internet: www.gehoerlosen-bund.de
25. September 2011
29. September 2011
3. – 9. Oktober 2011
5. Oktober 2011
8. – 15. Oktober 2011
Welt-Herz-Tag Deutsche Herzstiftung e.V. Vogtstr. 50, 60322 Frankfurt/Main Tel.: 069 9551280 E-Mail: info@herzstiftung.de Internet: www.herzstiftung.de Tag der Endometriose Endometriose-Vereinigung Deutschland e.V. Bernhard-Göring-Str. 152, 04277 Leipzig Tel.: 0341 3065304 E-Mail: info@endometriose-vereinigung.de Internet: www.endometriose-vereinigung.de Weltstillwoche WHO/UNICEF-Initiative „Babyfreundliches Krankenhaus“ (BFHI) e.V. Jan-Wellem-Straße 6, 51429 Bergisch Gladbach Tel.: 02204 404590 E-Mail: info@babyfreundlich.org Internet: www.babyfreundlich.org Arbeitsgemeinschaft freier Stillgruppen (AFS) Bornheimer Straße 100, 53119 Bonn Tel.: 0228 3503871 E-Mail: geschaeftsstelle@afs-stillen.de Internet: www.afs-stillen.de
Tag der Epilepsie Deutsche Epilepsievereinigung e.V. Bundesverband Zillestr. 102, 10585 Berlin Tel.: 030 3424414 E-Mail: info@epilepsie.sh Internet: www.epilepsie.sh Tag des weißen Stocks/ Woche des Sehens Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. Rungestr. 19, 10179 Berlin Tel.: 030 3424414 E-Mail: v.lenk@dbsv.org Internet: www.dbsv.de Christoffel-Blindenmission Deutschland e.V. Nibelungenstraße 124, 64625 Bensheim Tel.: 06251 131190 E-Mail: wolfgang.jochum@cbm.de Internet: www.cbm.de
12. Oktober 2011
Welt-Rheuma-Tag Deutsche Rheuma-Liga e.V. Bundesverband Maximilianstr. 14, 53111 Bonn Tel.: 0228 7660612 E-Mail: bv.neumann@rheuma-liga.de Internet: www.rheuma-liga.de
20. Oktober 2011
Welt-Osteoporose-Tag Kuratorium Knochengesundheit e.V. Leipziger Str. 6, 74889 Sinsheim Tel.: 07261 92170 E-Mail: info@osteoporose.org Internet: www.osteoporose.org Bundesselbsthilfeverband für Osteoporose e.V. Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf Tel.: 0211 3013140 E-Mail: info@osteoporose-deutschland.de Internet: www.bfo-aktuell.de
„NATÜRLICH MÜSSEN AN WEIHNACHTEN DIE LICHTLEIN BRENNEN“, SAGTE DER ENGEL. Lassen Sie Ihr Kind nie mit brennenden Kerzen allein! Was Sie noch tun können, damit es am Fest der Liebe kein unliebsames Ereignis gibt, erfahren Sie unter www.paulinchen.de
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Service
22. Oktober 2011
Welttag des Stotterns Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe e.V. Zülpicher Str. 58, 50674 Köln Tel.: 0221 1391106 E-Mail: info@bvss.de Internet: www.bvss.de
28. Oktober 2011
Welt-Polio-Tag Polio allianz e.V. Kontakt: Frau Edeltraud Hendrich Thaerstraße 27, 35392 Gießen Tel.: 0641 23433 E-Mail: hendrich-giessen@t-online.de Internet: www.polio-allianz.de
3. Dezember 2011
Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen Sozialverband Deutschland e.V. Stralauer Str. 63, 10179 Berlin Tel.: 030 7262220 E-Mail: contact@sozialverband.de
7. Dezember 2011
Tag des brandverletzten Kindes Paulinchen – Initiative für brandverletzte Kinder e.V. Kontakt: Adelheid Gottwald Segeberger Chaussee 35, 22850 Norderstedt Tel.: 02102 135739 E-Mail: info@paulinchen.de Internet: www.paulinchen.de
Bundesverband Polio e.V. Interessengemeinschaft von Personen mit Kinderlähmungsfolgen Rehaklinik Miriquidi, 09488 Thermalbad Wiesenbad Tel.: 03733 5041187 E-Mail: bundesverband@polio.sh Internet: www.polio.sh
1. – 30. November 2011
16. November 2011
1. Dezember 2011
Welt-Psoriasis-Tag Deutscher Psoriasis Bund e.V. Seewartenstr. 10, 20459 Hamburg Tel.: 040 2233990 E-Mail: Rose@psoriasis-bund.de Internet: www.psoriasis-bund.de Herzwochen Deutsche Herzstiftung e.V. Vogtstr. 50, 60322 Frankfurt/Main Tel.: 069 9551280 E-Mail: info@herzstiftung.de Internet: www.herzstiftung.de Welt-COPD-Tag Geschäftsstelle Kompetenznetz Asthma und COPD Kontakt: Inge Kokot Philipps-Universität Marburg Sonnenblickallee 13, 35039 Marburg Tel.: 06421 5864536 E-Mail: inge.kokot@staff.uni-marburg.de Internet: www.asconet.net Welt-Aids-Tag Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Referat 1 – 12 Ostmerheimer Str. 220, 51109 Köln Tel.: 0221 89920 E-Mail: info@weltaidstag.de Internet: www.weltaidstag.de
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29. Oktober 2011
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F a c h l i t e r at u r
Auslandseinsatz von Arbeitnehmern Horst Marburger, Band 231 der Schriftenreihe „Das Recht der Wirtschaft“ – Gruppe Arbeitsrecht, 2. erweiterte Auflage, 110 Seiten, Preis 12,00 €, Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-415-04371-8 Grundsätzlich sind alle Arbeitnehmer bei ihrer Beschäftigung sozialversicherungspflichtig – unabhängig von Alter, Beruf, Geschlecht, Konfession oder Staatsangehörigkeit. Wer die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreitet, unterliegt allerdings unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung, ist aber weiterhin in der gesetzlichen Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig. Der Geltungsbereich des Sozialversicherungsrechts erstreckt sich aber nur auf das Gebiet der Bundesrepublik. Das bedeutet nicht, dass die zeitlich begrenzte Beschäftigung von Arbeitnehmern eines deutschen Unternehmens im Ausland keine Versicherungspflicht hervorrufen würde. Wenn umgekehrt ausländische Arbeitnehmer von ihrem Betrieb zur Arbeit nach Deutschland entsandt werden, entsteht keine Versicherungspflicht in unserem Land. Gleichwohl gibt es in der Praxis eine Reihe von Besonderheiten im zwischenstaatlichen Recht, die der Autor umfassend beantwortet. Er geht dabei auf die versicherungsrechtlichen Begriffe der Ausstrahlung (§ 4 Sozialgesetzbuch IV) und der Einstrahlung (§ 5 Sozialgesetzbuch IV) sowie die dabei zu beachtenden zahlreichen Sozialversicherungsabkom-
700 | Die BKK 12/2010
men ein, ebenso auf Leistungsansprüche im Ausland bei Krankheit, Rente, Pflege und deren mögliches Ruhen. Auch arbeitsrechtliche Aspekte bei der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer wie Aufenthaltsgenehmigung oder Arbeitserlaubnis werden angesprochen, dazu Sanktionen bei der illegalen Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern. Ein weiteres Thema ist die Entgeltfortzahlung, wenn ein Arbeitnehmer im Ausland erkrankt. Ein Abriss der steuerrechtlichen Probleme unter Beachtung der Doppelbesteuerungsabkommen rundet das Büchlein ab. Marburger hat den Komplex, der durch die Globalisierung zunehmend an Bedeutung gewinnt und aus einem Ausnahme-Aufenthalt im Ausland Normalität werden ließ, für den Leser übersichtlich dargestellt und vor allem durch viele Beispiele und Fallgestaltungen verständlich gemacht. Besonders hervorzuheben sind die Ausführungen zur Vorbereitung der Entsendung von Arbeitnehmern in das Ausland, sowohl durch das Unternehmen wie auch den einzelnen Mitarbeiter. Nicht minder bedeutend sind die Betreuung während des Auslandseinsatzes und seine Beendigung. Von praktischer Bedeutung bei Auslandskontakten sind auch die Anschriften der zuständigen Sozialversicherungsträger in der Kranken-, Renten und Unfallversicherung und die Übersicht über die mit zahlreichen Staaten geschlossenen Sozialversicherungsabkommen. Die Broschüre ist nicht nur für Betriebe mit Auslandsberührung, sondern auch für Sozialversicherungsträger, Rechtsanwälte, Sozialgerichte und Sozialpartner, also jeden, der von der Problematik direkt betroffen ist, ein wichtiger Ratgeber und kann zur Anschaffung empfohlen werden. Dr. Dieter Leopold
Service
Impressum Herausgeber: Der BKK Bundesverband (GbR) Geschäftsführer: Heinz Kaltenbach Kronprinzenstraße 6, 45128 Essen Telefon: +49 201 179-01 Telefax: +49 201 179-1000 E-Mail: info@bkk.de Internet: www.bkk.de Der BKK Bundesverband (GbR) hat folgende Gesellschafter: BAHN-BKK Vorsitzender des Vorstandes: Hans-Jörg Gittler Vorstand: Hanka Knoche Franklinstraße 54, 60486 Frankfurt/Main Telefon: +49 69 770780 Telefax: +49 69 77078999 E-Mail: service@bahn-bkk.de Internet: www.bahn-bkk.de Landesverband der Betriebskrankenkassen Baden-Württemberg Vorsitzender des Vorstandes: Konrad Ehing Stellvertreterin: Jacqueline Kühne Stuttgarter Straße 105, 70806 Kornwestheim Telefon: +49 7154 13160 Telefax: +49 7154 13169600 E-Mail: info@bkk-bw.de Internet: www.bkk-bw.de BKK Landesverband Bayern Vorstand: Sigrid König Stellvertreter: Werner Rychel Züricher Straße 25, 81476 München Telefon: +49 89 745790 Telefax: +49 89 7457955399 E-Mail: info@bkk-lv-bayern.de Internet: www.bkk-bayern.de BKK Landesverband Hessen Vorstand: Jürgen Thiesen Stellvertreter: Reiner Buslei Stresemannallee 20, 60596 Frankfurt Telefon: +49 69 963790 Telefax: +49 69 96379100 E-Mail: landesverband@bkk-hessen.de Internet: www.bkk-hessen.de BKK Landesverband Mitte Vorsitzender des Vorstandes: Hans-Hermann Runge Stellvertreter des Vorstandes: Klemens Pawisa Vorstand: Roland Lotz Siebstraße 4, 30171 Hannover Telefon: +49 511 348440 Telefax: +49 511 34844149 E-Mail: info@bkkmitte.de Internet: www.bkkmitte.de BKK-Landesverband NORDWEST Vorstandsvorsitzender: Jörg Hoffmann Stellv. Vorstandsvorsitzender: Manfred Puppel Vorstand: Theo Giehler Hauptverwaltung Essen Kronprinzenstr. 6, 45128 Essen Telefon: +49 201 17902 Telefax: +49 201 1791666 Hauptverwaltung Hamburg Süderstr. 24, 20097 Hamburg Telefon: +49 40 2515050 Telefax: +49 40 251505836 E-Mail: info@bkk-nordwest.de Internet: www.bkk-nordwest.de
BKK Landesverband Rheinland-Pfalz und Saarland Vorstand: Raimund Nossek Essenheimer Straße 126, 55128 Mainz Telefon: +49 6131 33050 Telefax: +49 6131 330570 E-Mail: lv@bkk-rps.de Internet: www.bkk-rps.de Redaktion: Dr. Andrea Trosky (verantwortlich), Sabine Reufels, Barbara Orfeld Bildnachweise: Titel: Shutterstock Innenteil: S. 631 BKK-Landesverband NORDWEST, S. 642 Andrea Trosky, S. 644 – 647 Bosch BKK, S. 648 BKK-Landesverband NORDWEST, S. 650 – 651 BKK Hoesch, Foto: Anja Cord, S. 659/S. 678 (o.) JAN RöHL * FOTOGRAFIE, S. 665 – 667 Zacharias Pimenidis, S. 669 BKK Bundesverband, S. 672 Klinikum Großhadern der LMU München, S. 676 – 678 Paulinchen e. V., S. 692 – 693 Matthias Tietz, BKK Landesverband Mitte; Shutterstock: 5x S. 628 – 629, 2x S. 631, 3x S. 632 – 633, 2x S. 634 – 636, S. 639, S. 641, 2x S. 652 – 653, S. 655, S. 657, S.658, 2x S. 660 – 661, S. 663, S. 668, 2x S. 671, S. 673, S. 674, 2x S. 679, S. 680, 2x S. 682 – 683, S. 684 – 685, S. 687, 5x S. 688 – 691, 2x S. 695 Für mit Namen der Verfasser oder Namenszeichen gekennzeichnete Beiträge nur Übernahme der pressegesetzlichen Verantwortung. Aufnahme nur von Originalbeiträgen. Vervielfältigung dieser Zeitschrift oder einzelner Teile daraus nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Herausgebers. Abonnement- und Anzeigenverwaltung: BKK Bundesverband GbR, Karin Geißler Kronprinzenstraße 6, 45128 Essen Telefon: +49 201 179 - 3123 Telefax: +49 201 179 - 1003 E-Mail: diebkk@bkk-bv.de
Anzeigeninfo Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 21. Sie kann bei der Anzeigenverwaltung angefordert oder im Internet unter www.bkk.de heruntergeladen werden. Anzeigenverwaltung: Redaktion der Zeitschrift Die BKK bei der BKK Bundesverband GbR Kronprinzenstraße 6, 45128 Essen Telefon: + 49 201 179 - 3123 Telefax: + 49 201 179 - 1003 E-Mail: diebkk@bkk-bv.de Lieferanschrift für Anzeigen: Kaiserberg Kommunikation GmbH Mülheimer Straße 100, 47057 Duisburg Telefon: +49 203 306 5000 Telefax: +49 203 306 5050 E-Mail: diebkk@kaiserberg.com
Alles auf einmal, alles im Griff: 97. Jahrgang
2009
Einzelpreis: 6,00 E Jahresabo: 39,60 E Studentenabo: 20,00 E Bei Bezug mehrerer abonnierter Hefte in einer Lieferung werden Staffelpreise gewährt: 6 – 10 Hefte: 2,50 E je Heft, 30,00 E Jahresabo ab 11 Hefte: 2,40 E je Heft, 28,80 E Jahresabo Versandkosten und Mehrwertsteuer sind im Preis enthalten. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Jahresende. Für Gesellschafter des BKK Bundesverbandes und deren gesetzliche Mitglieder beträgt die Kündigungsfrist vier Wochen zum Quartalsende. Gesamtherstellung, Versand, Anzeigenabrechnung: Kaiserberg Kommunikation GmbH, Duisburg Gestaltung: Nadine Hippler Druck: D+L Reichenberg GmbH, Schlavenhorst 10, 46395 Bocholt Die BKK wird auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.
Alle 586 Seiten der elf Ausgaben Die BKK des Jahres 2009 sind auf CD-ROM erhältlich. Voraussetzung: Adobe® Reader® (Die Software zum Öffnen der PDF-Dateien können Sie kostenlos aus dem Internet herunterladen.)
Preise und Bestellungen: Eine CD-ROM Die BKK aus den Jahren 2001 bis 2009 erhalten Sie zum Preis von 12 € je Exemplar. Drei Jahrgänge auf CDROM kosten 30 € und können frei aus den o. g. Jahren ausgewählt werden. Eine schriftliche Bestellung ist bei der Redaktion erforderlich. E-Mail: diebkk@bkk-bv.de
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bestimmtes Leben haben. Möchten Sie mehr wissen? Dann wenden Sie sich an die Mitglieder des Kinderhilfswerkes: nn Dieter Poppe, Vorstandsvorsitzender BKK Kinderhilfswerk Navodaya e. V., dieter.poppe@energie-bkk.de nn Tatjana Stellmacher, Schriftführerin im Vorstand und zuständig für die Administration in Deutschland, tatjana.stellmacher@energie-bkk.de
Ihre Hilfe Kommt an Möchten Sie das BKK Kinderhilfswerk Navodaya e. V. unterstützen? Jeder Cent kommt garantiert an! Dafür sorgen die Mitglieder hier in Deutschland und die Partner vor Ort: SEB Bank Hannover, BLZ 250 101 11, Konto 130 151 87 00
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Er weiß, was er tut. Wir auch.
Keine Krankenversicherung kennt sich besser in den Unternehmen aus als die Betriebskrankenkassen. Ein Vorteil, von dem Sie als Personalverantwortlicher nur profitieren können. Denn nur wer sich im Unternehmen auskennt, kann auch gezielte Gesundheitsförderung betreiben. Mit überzeugenden Argumenten stellen wir uns gerne bei Ihnen vor unter: www.bkk.de Die Betriebskrankenkassen.
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