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BUNT, BUNTER, BUNDESTAGSWAHL: EIN RÜCKBLICK


Let`s get ready to rumble! Punch-Out!! feiert jetzt sein Comeback auf Wii. Für dich heißt das: Geh in den Clinch mit alten Feinden wie King Hippo – und lass dich bloß nicht auszählen. Erst Recht nicht von deiner Familie oder von deinen Freunden. Also schlüpf in die Wii-Remote-Schlaufe, greif dir den Nunchuk und lass deine Deckung oben. Für alle, die es schnell „mit den Armen“ haben, gibt’s natürlich auch die RetroSteuerung. Mach dich fit für das ultimative Wii-Boxing-Erlebnis!

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EDITORIAL von Johannes Finke

Die Zeiten sind hart. Hart wie Stein. Härter noch, hört man hinter vorgehaltener Hand. Und manch einen trifft es mit voller Wucht, mit der ganzen Härte: mal abgesehen von den mittlerweile zur Unsichtbarkeit degradierten ewig Schwachen, Armen und Hungernden, zumeist weit entfernt oder zumindest in einem anderen Bezirk der Stadt, sind das natürlich die Kleinanleger. Oder wir, die Print-Magazine. Und natürlich die deutsche Autoindustrie. Und die US-amerikanische Autoindustrie. Und sicherlich auch Teile der asiatischen und der französischen Autoindustrie. Die Zulieferer nicht zu vergessen. Und die russische Waffenindustrie. Und die Banken. Oder waren das die Banken, die eigentlich keinen Schaden genommen haben? Das ist manchmal nicht ganz so klar feststellbar. Aber vielen geht es schlecht. Da werden sicher auch ein paar Banker drunter sein. Aber auch dem Tourismus geht’s nicht gut. Urlaub fällt immer öfters flach. Weniger Schirmchencocktails. Weniger Champagner? Nein, das wäre übertrieben. Champagner läuft immer. Die Verlierer ziehen aus. Die Gewinner ziehen ein. Aber wo sind die Gewinner? Die Baubranche kränkelt. Die Bauern sind unzufrieden. Meine Eltern. Deine Eltern. Der Taxifahrer. Der Nachbar. Die Arbeiter in den Schiffswerften in Norddeutschland und die Praktikantenflut in der Medienbranche sind unzufrieden. Und auch die Musikindustrie leidet. Doch Not macht erfinderisch. Ablenkungsmanöver allerortens. Man arbeitet sich ab, an Fairtrade und Klimaschutz, an neuen Kollektionen, neuen Gesichtern, neuen Trends und alten Ideen und Idealen. Nichts wirklich Neues. Doch wenigstens etwas. Ein Status Quo. Ein sich nicht bewegen lassendes Konstrukt aus wirren Verflechtungen und Verfehlungen. Doch wir kommunizieren, in ganzen, halben und keinen Sätzen, über un- und endliche Distanzen, über alles und über jeden und fühlen uns dabei unheimlich gut und aufgeklärt und sind währenddessen revolutionär und bieder zugleich. Wir reden uns die Seele aus dem Leib und werden – seelenlos. Doch es herrscht Zufriedenheit, denn man hat den Glauben noch nicht verloren. Vielleicht die Lust.


Es ist ja nicht alles schlecht. Manch einer glaubt sogar, wieder politisch ambitionierte Popmusik ausmachen zu können. Oder war das dem Punk, dem Hip-Hop und dem Indie-Rock vorbehalten? Oder anderen Sub- und Jugendkulturen? Oder macht das einen Unterschied? Am Beispiel von Wahlen wird mehr und mehr deutlich, wie beliebig wir agieren, reagieren und uns regieren lassen. Zur Fußball-Weltmeisterschaft sind wir alle Fußballexperten. Bei Bundestagswahlen verhält es sich so ähnlich: Mit einem Schlag fühlen wir uns aufgeklärt und im Stande, noch so komplizierte Sachverhalte mit dem Nachbarn, dem Taxifahrer oder der eigenen Freundin zu diskutieren und aufzudröseln. Plötzlich generieren wir im Minutentakt Meinung für Meinung. Mittlerweile haben wir uns einen unbeirrbaren Grundglauben angeeignet, der es uns ermöglicht, die Dinge stets in Verhältnis und Abhängigkeit zu einem weit- und weltumfassenden Kontext zu stellen, der letztendlich doch nur individuelle Bedürfnisse regelt. Das alte Spiel: wie du mir, so ich dir. Doch einer von beiden hat nichts. So ist das. Wahrscheinlich gehören wir zu denen, die etwas haben. Doch wir wissen leider immer noch nicht, was es ist. Und aus diesem Grund beschäftigen wir uns weiter mit den Dingen, versuchen abzubilden, zu entdecken, zu ergänzen, zu erfreuen, zu irritieren, zu kritisieren und nennen das, in unserem Fall, auch Zweitausendzehn, dann ganz einfach nur BLANK. Und natürlich würden wir uns freuen, wenn du, der Leser, dann auch wieder mit dabei bist. Denn wie heißt es so schön: „Der Blick in das Gesicht, eines Menschen dem geholfen ist, ist der Blick in eine schöne Gegend“. Also hilf uns!

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novemBer/deZemBer 2009

7 Bunt, Bunter, Bundestagswahl Nicht nur bei der Kombination ihrer Signalfarben bereiten die Parteien einem Kopfschmerzen.

14 K arneval in der KraBBelgruppe Jan Off macht sich ein paar Gedanken über ein Thema, das sowohl Hollywood und Frachter vor der somalischen Küste, als auch die deutsche Politik beschäftigt: Piraten.

16 wahlKampf im plisseeKleid Während bei Bundestagswahlen alles immer nach Schema X verläuft, hat sich im bunten Kreis der Misswahlen einiges getan. Ein Blick auf Ab- und Spielarten der Branche.

19 impressum 20 manchmal genügt der Klang eines namens Unser Reiseredakteur Boris Guschlbauer über den weltreisenden Buchautor Michael Obert.

24 mach es gross! Man muss sich ja nicht gleich eine Fototapete ins Zimmer knallen, aber ein schöner Print auf Leinwand ist allemal schön. Vorausgesetzt das Motiv stimmt.

26 vom leBen und sterBen im reservat Die in Hamburg lebende Fotografin Lucja Romanowska hat 10 Jahre lang Straßenpunks fotografiert. Jetzt kommt ihr erster, sehr eindringlicher Bildband.

30 film The Age of Stupid, Anne Clark Live, Berlin Calling, Der Seewolf und Tobias Schenke.

32 verschlimmBessern In seiner Kolumne beschäftigt sich Nilz Bokelberg diesmal unter anderen mit der Frage: Gründen junge Menschen heutzutage noch Detekteien und kann man Hello Kitty auch nach Beenden der Schullaufbahn noch cool finden?

34 print Ahne, Testcard #18, Alles außer Tiernahrung, Benedict Wells, Richistan Eine Reise durch die Welt der Megareichen, David Gilmour, Feinbild Moslem, Weltgeschichte der Sklaverei, X - Porno für Frauen, Philipp Roth, Hanna Poddig, Peter Murphy, Thomas Glavinic, Dmitry Glukhovsky


40 um nichts vorwegZunehmen, aBer… Roman Libbertz trifft in seiner Kolumne den Krimi-Autor Friedrich Ani, der zuweilen Angst hat, dass ihm der Münchner Himmel auf den Kopf fällt.

42 BlanK fashion fotos pt. 2 Manuel Cortez fotografierte für uns die ehemalige Aggro-Berlin Rapperin Kitty Kat, die jüngst bei Universal ihr erstes Album veröffentlichte.

48 der schönste mann im BiZ is BacK! Max Herre hat nach vier Jahren seine zweite Solo-Platte veröffentlicht. Eine gute Entscheidung.

50 die entdecKung der langsamKeit Überall Thema und auch bei uns: Kings Of Convenience, die charmante Seite vom Musik-Biz.

52 verspielt, verpeilt: Juliette lewis Manche Treffen laufen so. Andere laufen anders. Juliette Lewis hätte eigentlich viel zu erzählen.

53 von einer frau, die ausZog, um uns das fürchten Zu lehren Peaches bzw. Miss „Fuck The Pain Away“ hat zwar jede Menge zu erzählen, doch wie, ist eine andere Frage.

54 let them Be Kids! Die Arctic Monkeys würden es toll finden, wenn sich Leute später an sie erinnern. Nur zu verständlich.

57 Britney, Kelly, pixie lott Nach ihrem Nr.1 Hit „Mamma Do“ in Großbritannien, wird man auch hierzulande noch mehr von der jungen Sängerin hören.

58 von singenden therapeuten und seltsamen vögeln Über den Songwriter und Seelenklempner William Fitzsimmons.

60 amBitionierter act Bei David Lettermann waren die Silversun Pickups aus Los Angeles bereits zu Gast. Jetzt warten die harten Mühlen der Jägermeister Rock:Liga auf die Band.

62 tonträger The More, Boys Noize, Björn Kleinhenz, Element Of Crime, Raz Ohara And The Odd Orchestra, Prinz Pi, Virginia Jetzt!, Karpatenhund, Tele, Jennifer Rostock, Audiolith-Compilation, Elyjah

68 termine 72 register heft Zwei

Schmerz von Stefan Kalbers Kapitel: Der Mond, der sich auf dem See spiegelt – Eine wahre Geschichte von Roman Libbertz Mit pinker Tinte von Teresa Bücker Selbstgespräch von Phil Vetter


BUNT

BUNTER BUNDESTAGSWAHL TexT Johannes Finke & Teresa Bücker

es gab und gibt keine Visionen, nur Zahlenspiele, Umschichtungen, Grabenkämpfe und karrieren. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern. neben ihrer ideenlosigkeit haben die Parteien aber noch etwas gemeinsam: keinen Geschmack, keinen stil und kein händchen für Design. Vielleicht auch nicht ganz so wichtig. BLank reduziert nach der Wahl die Parteien auf das Wesentliche.


cdu/csu 33,8 % Dieser Parteienverband ist modern, so steht an seiner Spitze eine Frau. Das vormals unscheinbare Mädchen Kohls versteht der Kommentator des wohlwollenden ZDF-Kanzlerinnen-Portraits im Vorfeld der Wahlen nunmehr als durchgestylte Dame. Solch ein modisches Prädikat erhält man als gereifte Politikerin für täglich wechselnde Blazerfarben und einmalig tiefer geschnittenen Büstenblick, wenn für die Einordnung ihres Regierungsstils den Journalisten nichts Wagemutigeres mehr einfällt. Die Kanzlerin juckelte derweil im Schlafwagen der Wiederwahl entgegen. Da überraschte es nicht, dass ausgerechnet die Konservativen mit dem Wert des Äußeren

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in den Wahlkampf zogen; der jugendliche Wirtschafts- und Technominister mit glänzend gelecktem Haar und großen, blonden, adeligem, ehelichem Beistand, die Kandidatin Lengsfeld des Berliner Szenebezirks Friedrichshain-Kreuzberg mit einem Dekolleté jenseits des besten Alters und natürlich die Dauerbrennerin aus dem Familienministerium, die zumindest Anhängern „strenger britischer Erziehung“ einen Schauer über den Rücken zu jagen im Stande ist. Wer das versteht, fühlt sich vielleicht auch in der Rückwärtsgewandtheit der Christdemokraten der politischen Zukunft ganz nah, beziehungsweise steckt nach dieser Wahl bereits mittendrin.


spd 23,0 % Diese Partei ist modern, so gelang es dem senioren Sauerländer an der Spitze der Partei als erstem Herren, die private Komponente des Wahlkampfes mit einer Partnerin aus der Altergruppe seiner Enkeltöchter auszustaffieren. Sex sells. Oder, wie die Wahl zeigt, auch nicht. Leider ist die deutsche Sozialdemokratie ansonsten nicht besonders sexy. Da half auch keine junge, blonde Hoffnung im biederen Business-Look für das Amt der Familienministerin, eine stets überfordert wirkende Juso-Vorsitzende oder in-

tellektueller Beistand von Erfolgsautorin Juli Zeh, die mit ihren letzten Publikationen tatsächlich das Zeug dazu gehabt hätte, Teil eines Diskurs zu sein, der sich mit dem beschäftigt, was wirklich wichtig ist: Visionen. Aber Visionen werden bei der SPD schon lange nicht mehr kommuniziert und so wartet auf die Sozialdemokratie eine schwere Zeit in der Opposition. Und Sexyness: in Zukunft werden bei der SPD da wohl die Damen Nahles und Drohsel ihre Frau stehen müssen. Arme Sozialdemokratie!

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die grünen 10,7 % Diese Partei ist modern, so steht an ihrer Spitze nicht nur eine Frau, sondern auch noch ein anatolischer Schwabe. Über Kopftuchdiskussionen jedoch ist nichts bekannt. Könnte aber interessant sein. Es könnte tatsächlich vieles interessant sein, doch die Grünen beschränken sich darauf, das Erleben von Politik zu erfahren und haben sich schon lange in die Masse derer eingereiht, die dem System folgend das eigene Ego aufzupolieren versuchen. Da passt die Oppositionsrolle tatsächlich am Besten. Auch in dieser Partei gibt es ehemalige Anwälte der Roten Armee Fraktion. Im Gegensatz

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jedoch zum sozialdemokratischen Innenminister Schily, der sich unter Kanzler Schröder in Amtswürde sonnen und die Bürgerrechte massiv beschneiden konnte, ist Öko-Aktivist Christian Ströbele eher als Maskottchen einzustufen. Fahrradfahren für den Weltfrieden. Alles klar! Diese Partei hat ein ähnliches Problem wie Woodstock: man fängt so langsam an, das Phänomen zu hinterfragen. Bei der Atomenergie wird das auch wieder passieren. Und beim Klimaschutz auch. Und spätestens dann ist grün in Deutschland wahrscheinlich wieder einfach nur eine Farbe hinter den Ohren.


fdp 14,6 % Diese Partei ist modern, so steht an ihrer Spitze zwar keine Frau, aber ein Schwuler. Zumindest in islamischen Ländern wird der daraus resultierende Posten des Outside-Ministers sicher diskutiert werden. Bislang konnten sich Homosexuelle im Wesentlichen ja nur in den liberalen Großstädten an Spree und Alster politisch etablieren. Den eloquenten niedersächsischen Ministernachwuchs jedoch hätten Westerwelle und sein Partner nicht in ihr Heim holen können: Einer Möglichkeit der Adoption für gleichgeschlechtliche Paare stellt sich der Koalitionspartner entschieden entgegen. Auch die stellvertretende

EU-Parlamentspräsidentin Frau Dr. Silvana Koch-Mehrin beweist, dass es in dieser Partei niemals um Geschlecht, aber immer um Leistung geht. In der Familie. Im Beruf. Schwäche zeigen geht nicht. Wachstum ist Pflicht. In dieser Partei finden sich immer wieder Größen, die das Politikerdasein sehr konsequent betreiben und notfalls auch wissen, wie man die Reißleine zieht. Oder eben gerade nicht. Lustig ist es bei der sich selbst zwischenzeitlich mal als Spaßpartei bezeichnenden Partei mittlerweile aber nicht mehr so. Denn jetzt hat man tatsächlich wieder Verantwortung. Und da hört der Spaß bekanntlich ja auf.

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die linKe 11,9 % Diese Partei ist nicht modern. An ihrer Spitze stehen zwei oder drei Second-HandPolitiker, dahinter alte Haudegen, bei den Grünen oder der SPD-Geschasste und junge Mädchen, die gerne mit anderen Punks am Bahnhof gesessen hätten, aber nicht verstanden haben, dass Punks nichts mit Che Guevara und Marx am Hut haben. Hier existieren gelebte Vergangenheit und Perspektivlosigkeit nebeneinander her.

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Das macht das Ganze so trostlos. So gefährlich. Hier hat sich bei der Bundestagswahl eine Wählerschaft vereint, die nicht dem Reiz und Charme einer linken Alternative erlegen ist, sondern den Denkzettel unterschreibt, der über Nichtwählen und Kleinstparteien nicht zu publizieren ist. Wie das mit der Linken weitergeht, liegt wohl im Wesentlichen in der Hand der Sozialdemokratie. Na ja!


pauli 0,0 %, piraten 2,0 %, die partei 0,0 % Die Piratenpartei ist modern, denn Meinungen und Gesichter bleiben zumeist anonym. Wer hier Coolness, den wohligen Wind von Hipness und Hüftschwung, vielleicht einen Zusammenschluss von gewaltbereiten Fußballfans oder gar Kinderpornographie erwartet, wird eventuell bedient. Denn man ist bei den Piraten im Begriff, den Gründungsmythos der einst als alternativ gehandelten Ökopartei „Die Grünen“ zu wiederholen und – sich dem basis-demokratischen Gedanken verpflichtet fühlend – den eigenen Niedergang im Moment der Erweckung bereits zu beschließen und einzuleiten. Die Partei der ehemaligen CSU-Querulantin und Ministerpräsidenten-Mobberin Claudia, Andrea oder Gabriele Pauli hat das erfreulicherweise noch konsequenter betrieben,

was in Anbetracht von Ex-Penthouse-Girl Kader Loth als Frauenbeauftragte und der teils aus der rechtsextremen Szene kommenden Parteimitglieder wahrscheinlich auch besser ist. Der Bundeswahlleiter hat das wohl ähnlich gesehen und die Partei erst gar nicht zur Wahl zugelassen. Frau Pauli zumindest wird man als „Latex Lady“ in, wenn auch guter, Erinnerung behalten. Und wenn der gesellschaftspolitische Verfall so rasant weitergeht wie zuletzt, dann sehen wir Claudia, Andrea oder Gabriele Pauli sicherlich bald wieder. Sei es Dschungelcamp oder Bundestag. Und dann gab es noch die der Satire-Zeitschrift Titanic entsprungene Partei „Die Partei“. Aber sind wir mal ehrlich: Who the fuck cares? Der Bundeswahlleiter hat es auf jeden Fall nicht getan.

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KARNEVAL IN DER

KRABBELGRUPPE TexT Jan oFF FoTograFie LUcJa roManoWska

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Von fabrikfrischen und verrosteten nägeln im Fleisch der parlamentarischen Demokratie. ein paar Gedanken zur Piratenpartei.

m Januar 2010 heißt es, sich beim Bioschlachter und im Naturkostladen auf leere Regale einzustellen, feiern doch in eben diesem Monat Die Grünen ihr dreißigjähriges Bestehen. Wenn man sich das vergleichsweise gesittete Äußere ihrer aktuellen Vertreter vor Augen hält, will an den wilden Stil-Mix, den die Partei während ihrer Entstehungsphase nach außen transportierte, so gut wie gar nichts mehr erinnern. Ein BEDAUERNSWERTER Umstand, denn was waren das doch immer für erquickende Bilder von all diesen Aufbau- und Gründungstreffen: der strickende Vollbart mit Fusselmähne neben dem hageren Pastor im lederflickenbewehrten Cord-Jackett; dahinter ein barfüßiger Wünschelrutengänger Seit an Seit mit dem weißhäuptigen Träger eines Lodenjankers, den die Liebe zu Natur UND Vaterland in die Arme der Umweltbewegung getrieben hatte. Entsprechend bunt war der Pool der politischen Ansichten, wobei konservative Einstellungen durchaus eine größere Rolle spielten, als das im Nachhinein zu vermuten wäre. Beispielhaft sei hier an Herbert Gruhl erinnert, der neun Jahre lang für die CDU im Bundestag saß, bevor er sich für die Europawahl 1979 gemeinsam mit Petra Kelly als Spitzenkandidat des Grünen-Vorläufers Sonstige Politische Vereinigungen Die Grünen aufstellen ließ. Von seinen inner- wie außerparteilichen Gegnern regelmäßig als „Ökofaschist“ gebrandmarkt, verließ Gruhl Die Grünen alsbald wieder, um im Jahre des Herrn 1982 die ÖDP mitzubegründen, die dann unter seiner Führung auch gleich mal einen eher bedenklichen Kurs einschlug. Derart krude Figuren geistern bei den ehemaligen Ökopaxen heute höchstens noch auf kommunaler Ebene herum. Aber

für wunderliches, insbesondere rechtes Gelichter findet sich immer ein Reservat, in dem es für seine bizarren Gedankengebäude mehr als ein Paar offene Ohren findet. Im Moment ist das ganz unzweifelhaft die Piratenpartei, deren Mitgliedszahlen nach dem Entschluss, zum ersten Mal an einer Bundestagswahl teilzunehmen, rapide in die Höhe geschnellt sind. Naturgemäß zieht ein politischer Zusammenschluss, der seine erste Aufgabe in der Verteidigung digitaler Bürgerrechte sieht, neben den üblichen Computer-Nerds auch allerlei Verschwörungstheoretiker und sonstige Paranoiker an. Dass vor kurzem mit Bodo Thiesen

bleibt zu hoffen, dass die Partei, der er – Inschallah – bald nicht mehr angehören wird, sich in Zukunft endlich dem widmet, was ihr Name verspricht: Nämlich Lobbyarbeit für diejenigen, die sich ihren Teil vom Kuchen unter Zuhilfenahme von Schnellbooten und Schusswaffen abholen – für die somalischen Piraten also. Nicht, dass mich hier jemand falsch versteht: Ich bin weder ein Freund von Freiheitsberaubung und Scheinhinrichtungen, noch möchte ich das Leid der entführten Besatzungen in Abrede stellen. Aber im Kino einen Säbelschwingenden Johnny Depp abzufeiern oder den eigenen Nachwuchs

Naturgemäß zieht ein politischer Zusammenschluss, der seine erste Aufgabe in der Verteidigung digitaler Bürgerrechte sieht, neben den üblichen ComputerNerds auch allerlei Verschwörungstheoretiker und sonstige Paranoiker an. allerdings eine Figur, die den Holocaust relativiert und Deutschlands Urheberschaft am 2. Weltkrieg leugnet, sogar ein Parteiamt abgreifen konnte, wenn auch ein vergleichsweise unbedeutendes, erinnert dann doch wieder an die Anfänge der Grünen, also an den fehlenden Überblick angesichts der schieren Masse enthusiastischer Aktivisten, beziehungsweise an das Fehlen klarer Richtlinien, wohin das Pendel denn nun genau ausschlagen möge. Mittlerweile ist Bodo Thiesen seines Amtes als Ersatzmitglied des Bundesschiedsgerichts nicht nur wieder enthoben, ihm droht zusätzlich ein Ausschlussverfahren. Und so

mit modischen Totenkopf-Emblemen auszustaffieren, um dann hernach die real existierende Seeräuberei als eine Ausgeburt des abgrundtief Bösen zu betrachten, während große Teile eines kompletten Kontinents in Agonie versinken, stellt eine Bigotterie dar, die nur schwer zu ertragen ist. Wenn also irgendwann die ersten gefangenen Piraten von der Fregatte Bremen in den Hamburger Hafen gebracht werden, dann will ich wenigstens die Mitglieder der Piratenpartei an den Landungsbrücken sehen. Natürlich mit Entermessern zwischen den Zähnen – und sei es nur dem Gebot der sportlichen Fairness zuliebe.

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WAHLKAMPF IM

PLISSEEKLEID TexT anTonia MärZhäUser FoTograFie nUcLear.rU

nur allzu gut erinnern wir uns an die Zeit als uns auf – in spätsommerliches verklärendes Licht gehüllten – Wahlplakaten die immer gleichen müden Gesichter ihr routiniertes Lächeln entgegen warfen. Während bei den Bundestagswahlen also alles nach schema X verlief, hat sich im bunten kreis der Misswahlen einiges getan. Gefängniskantinen ersetzen Beach-resorts als Wettkampfstätten und statt nackter haut gibt es flammende Manifeste. Wir hoffen auf ihre Vorbildfunktion.

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as macht man im Jahr 2009 mit einem latent zum Pessimismus neigenden Volk, dessen Generation der Zwanzig- bis Dreißigjährigen bereits zu Krisenkindern ernannt wurde? Diese Frage muss sich wohl Anfang des Jahres ein ganz bestimmter Berufsstand gestellt haben, worauf sich dann die nicht uneigennützige Beschäftigungstherapie „Wahljahr“ aus dem Hemdsärmel geschüttelt wurde. Bis zu sechzehn Mal ließ sich das Thema dieses Jahr aufwärmen, zwischen den Gerichten wurde schön auf Sparflamme weiter geköchelt, damit wir ja nicht an etwas anderes denken würden. Das politische Wahljahr hatte die Aufgabe, uns den dunklen Weg zurück auf den Pfad der Tugend zu zeigen, runter von der mit Leuchtreklame gesäumten Autobahn der schnelllebigen Zerstreuungen. Was aber wenn wir nun gar nicht hinunter wollen von dem bunt blinkenden Highway? Eine Verbindung aus Superwahljahr und Pop? Um diese zunächst konträr erscheinenden Begriffe Wahl und Vergnügen vereinen zu können, bedarf es einer intensiveren Untersuchung des Wahlbegriffs. Wir wissen um die Geschichtsträchtigkeit der Bill of Rights von 1689. Ein Datum, dessen historische Relevanz –zu Unrecht – weitgehend in Vergessenheit geriet, ist der 19. September 1888, die

Geburtsstunde des ersten europäischen Schönheitswettbewerbs. Trotz dieser historischen Geburtsstunde im Herzen Europas, waren es unsere (damals noch „bored and beautiful“) Amerikaner, die den Misswahlentrend über den ganzen Globus katapultierten. Ende der 20er kam dann ein richtiger Exportschlager über den Teich. Ergänzend zur Weltwirtschaftskrise lieferten die Amerikaner uns gleich die Möglichkeit zum Eskapismus mit. Schönheitswahlen sind wie kleine Enklaven einer glatteren und einfacheren Welt, sie folgen dem System der Komplexitätsverweigerung. Uns scheint der Mikrokosmos bestehend aus Hair Extensions, Bademode

Die Misswahlen unserer Zeit beinhalten also weniger Weltfrieden und Extensions, als vielmehr Silikon und einen ärztlichen Geschlechtsnachweis. Während wir nicht müde werden unsere Akzeptanz der gleichgeschlechtlichen Ehe zu betonen, haben die Thailänder einen ganz anderen Weg gefunden, sich der bunten Vielfalt der menschlichen Sexualität zu nähern. In keinem Land der Welt hat sich eine so große und öffentliche Transvestitenszene entwickelt. Ladyboys und Kathoeys scheuen nicht gerade die Öffentlichkeit und so war es nur eine Frage der Zeit, bis man ihr wirtschaftliches Potential entdeckte. Die Miss Tiffanys Universe Wahl in Pattaya ist längst zu einem Touristenmagnet ge-

Wie kann man den Inbegriff von Oberflächlichkeit und intellektueller Beschränktheit mit einem Thema in Verbindung bringen, das von so großer politischer Relevanz und Ernsthaftigkeit ist? und Weltfrieden genau so fremd zu sein wie die Passion der Engländer zu baked beens und hash browns. Ähnlich wie diese absolut abartige Frühstückstradition expandieren Schönheitswahlen um den ganzen Globus, nur dass sie meistens nichts mehr mit dem klassischen Verständnis eines Beauty Contests zu tun haben.

worden. Die Mitmachbedingungen entscheiden sich bis auf ein paar minimale Details nicht von denen konventioneller Schönheitswahlen. Die Kandidaten müssen der Spezies Transwoman angehören, also männlichen Geschlechts geboren, das Leben aber als Frau bestreitend, falls Geschlechtsveränderungen in

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In der DDR waren Schönheitswettbewerbe „Zeichen der Erniedrigung und Ausbeutung der Frau durch den Kapitalismus“. Kurzum: eine Ausgeburt der Hölle. Form von Operationen vorgenommen wurden, wird um eine Geburtsurkunde gebeten. Profilieren müssen sich die Teilnehmerinnen übrigens in den Kategorien „bestes Kostüm“, „Fotogenität“ und „unlimited sexy star“, na wenn das nicht mal eine willkommene Abwechslung zum roten Bikinishowlauf mit anschließender pseudosozialen SpontanFragestunde ist. Social Awareness ist der Transgender-Community natürlich eine Herzensangelegenheit und so soll der Contest die Toleranz gegenüber dem Geschlechts- und Liebespotpourri stärken. Während sich die Japaner ja recht öffentlich zu ihren Fetischen bekennen und es nichts neues ist, dass sie in ihrer knappen Freizeit ganz gerne mal in Schulmädchenkostümen Karaoke singen, gelten die Chinesen da gemeinhin als etwas prüder, aber definitiv nicht als weniger einfallsreich. So krönen sie jedes Jahr die Miss Plastic Surgery. Die Anwärterinnen auf den Titel müssen nachweislich mindestens (!) eine Schönheitsoperation hinter sich gebracht haben, vielleicht sollte mal schnell jemand Frau Ohoven ein Flug buchen, dann hat die Gute endlich mal etwas richtig gemacht. Wie reiner Mainstream wirken dagegen die bereits weit verbreiteten Schönheitswettbewerbe in den Frauengefängnissen dieser Welt. Von Brasilien über Litauen bis an den äußersten Rand Sibiriens, überall werden Overalls gegen enganliegende Synthetik getauscht. Auf den Oberarmen der Mädchen prangen Tattoos, die man sonst nur bei den Hells Angels vermuten würde. Umso faszinierender ist es, sieht man mit was für einem Ernst und Ehrgeiz die Wahlen vonstatten gehen. Angetreten wird in den Kategorien „Schreiben“, „Charme“ und „öffentliche Rede“. Für einen Moment sind die eisernen Gitterstäbe und kahlen Einzelzellen vergessen, dann werden aus Gefängniswärterinnen Stylisten und aus

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den sonst so bedrohlich am Gürtel von links nach rechts schwingenden Knüppel, der Schwung von schwarzer Mascara. Wenn Schönheitswahlen als Publicity für Städte und Produkte funktionieren, gilt dann nicht auch das gleiche für Wohltätigkeitszwecke und die Politik? Ist die Gleichung so einfach? „Sex sells“, auch bei schwer verdaulichen Themen? Die Paradoxie der Misswahlen besteht darin, dass ihre Natur absolut apolitisch ist und sich gerade dadurch bestens als Projektionsfläche für verschiedenste Interessen anbietet. Stürmten die Feministinnen in den 70er Jahren, ihren BH wie ein Lasso schwingend, Misswahlen und forderten ein Ende der weiblichen Fleischbeschauung und Objektivierung, werden heute Misswahlen für Frauenrechte initiiert. Social Awareness heißt auch wieder mal das Zauberwort bei der Wahl zur Miss Landmine. Geschmacklos würde auch hier manch einer gerne rufen. Wie kann man den Inbegriff von Oberflächlichkeit und intellektueller Beschränktheit mit einem Thema in Verbindung bringen, das von so großer politischer Relevanz und Ernsthaftigkeit ist? Ist das nicht eine Zuschaustellung der Opfer, dessen Bilder in der Masse des westlichen Kulturangebots untergehen und maximal dem ein oder anderen Ausstellungsbesucher ein kurzen Seufzer entgleiten lassen? Stellt man diese Fragen, muss man auch so ehrlich sein sich zu fragen, was nun besser ist, Aufmerksamkeit durch eine Miss-Wahl oder eben keine Aufmerksamkeit. Das Motto „celebrate true beauty“, was im Kontext einer Dove-Kampagne nicht mehr als eine Ansammlung von leeren Worthülsen ergibt, bekommt hier eine wahrlich plastische Bedeutung. Zu deutlich und verstörend ist die Abweichung vom genormten Schönheitsideal. Der feministische Zeigefinger kann in

diesem Falle getrost unten bleiben, es ist nämlich zu bezweifeln, dass ein noch so flammender Artikel in der Emma über weibliche Landminenopfer hier mehr bewirkt hätte. Etwas schwieriger gestaltet sich da die Verbindung Politik und Schönheit. Nun gehört das Gespann etwas ergrauter Mitte-Fünfziger mit schöner Anfang-Zwanzigerin in mittlerweile allen politischen Lagern zum guten Ton, die Instrumentalisierung von Misswahlen zu Wahlzwecken ist trotzdem ein heikles Thema. So versorgte Väterchen Kohl 1998 die Klatsch-Presse mit allerlei Stoff, als er mit der aus Ost- Berlin stammenden Miss Germany 1991/92 auf Wählerfang im Osten ging. In der DDR waren Schönheitswettbewerbe „Zeichen der Erniedrigung und Ausbeutung der Frau durch den Kapitalismus“. Kurzum: eine Ausgeburt der Hölle. Während bei uns also Schönheit und Politik wieder getrennte – sehr getrennte – Wege gehen, entdeckt Russland diese Strategie neu für sich. Was in Deutschland wohl zu bürgerkriegsähnlichen Szenarien führen würde, fällt in Russland einfach unter die Kategorie cleveres Marketing. Bekanntermaßen sieht sich die Atomenergiebranche mit gewissen Vorurteilen konfrontiert. So wird ihr gerne jedes schwerere Übel, vom kalten Krieg bis hin zur Umweltvergiftung in die Schuhe geschoben. Und wenn Schalke verliert, dann ist natürlich Gazprom Schuld. Das möchte man natürlich nur ungern auf sich sitzen lassen und wie ließe sich die Sympathie der Branche besser steigern, als durch schöne Frauen. Wer in den letzten Jahren an der Cote ´d Azur oder in St. Moritz war, weiß, dass es davon in Russland sogar eine ganze Menge von gibt. Dass diese auch in der Atomenergiebranche tätig sind, veranlasste das Web-Portal nuclear.ru dazu die Miss Atom-Wahl ins Leben zu rufen. Da sag noch einmal jemand, der russischen Seele würde es an Humor mangeln. Sind die strahlenden Gewinnerinnen vor der Reaktorkulisse erstmal abgelichtet worden, wirken Ironie und Patriotismus doch gar nicht mehr so weit voneinander entfernt. Wer hätte 1979, als Rudi Carrell die erste Miss Germany Wahl im Fernsehen moderierte, gedacht, dass der Begriff „Misswahl“ so viel kreativen Spielraum lässt. Jedem Topf seinen passenden Deckel, jedem Freak seine Miss-Wahl.


Die Top 5 in der Welt des Spleen Miss Headscarf Nicht, dass die Dänen mit ihrem Karikaturenskandal schon genug Ärger gehabt hätten, jetzt kommen sie noch auf die wahnwitzige Idee, Miss Kopftuch zu wählen. Der Initiator, ein dänischer Radiosender, schreibt sich damit Integrationsarbeit auf die Fahne und die Karikaturengegner haben wieder einen Grund zu demonstrieren. Miss Altersheim Die Schweizer sind die Trendsetter auf dem Gebiet der abstrusesten MissWahlen. Der Jugendwahn scheint an dem Bergidyll einfach vorbeigezogen zu sein und so wählen die Schweizer voller Stolz ihre Miss Altersheim. Einzige Bedingung: die Bewerberinnen müssen über siebzig und noch alleine lauffähig sein. Miss Gay America Ausgerechnet im vor Konservativität strotzenden Missouri findet 2010 die Wahl zur Miss Gay America statt. Es haben sich bereits 60 Anwärterinnen beworben und folgen dem Motto „female impersonation is an art“. Wer noch schnell das Anmeldeformular oder die genauen Wettkampfbedingungen runterladen will sollte sich also beeilen! www.missgayamerica.com Miss Handicap Auch Frauen mit Behinderungen wollen begehrt werden und so wird am 24.Oktober in Bern zum ersten Mal die Miss Handicap gewählt. Die Jury beteuert, dass bei der Bewertung nur die gesunden Körperstellen beachtet werden, und sowieso... es geht um innere Schönheit! www.misshandicap.ch Miss Alien Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die Jünger der Star Wars-und Cartoonwelt eine Chance bekommen, ihre sexuellen Vorlieben kundzutun. Die Traumfrauen dürfen leider nur auf Papier begutachtet werden, aber bekanntlich verfügen die jungen Männer ja über eine blühende Fantasie. Gewählt wurde beim ComicJam und die Ergebnisse gibt es unter: www.c-base.org

IMPRESSUM Herausgeber: Berger, David & Finke GbR Chefredakteur: Johannes Finke Art Direction: Romy Berger Grafik & Online: Mario Meißner

Redaktion: Teresa Mohr (Musik), Teresa Bücker (Politik), Roman Libbertz (Literatur), Boris Guschlbauer (Reise), Elmar Bracht (Mode), Matthias David (Foto), Antonia Märzhäuser, Frederike Ebert Autoren: Nilz Bokelberg, Elmar Bracht, Teresa Bücker, Johannes Finke, Teresa Mohr, Jan Off, Daniel Vujanic, Boris Guschlbauer, Ariane Sommer, Roman Libbertz, Stefan Kalbers, Frederike Ebert, Antonia Märzhäuser, Erik Brandt-Höge, Peter Blank Fotografen: Matthias David, Cem Guenes, Bella Lieberberg, Lucja Romanowska, Manuel Cortez, Johannes Finke, Romy Berger Lektorat: Christian Müller, Heidje Klaer Titelshooting Fotografie: Cem Guenes Druck: Konradin Druck GmbH Kohlhammerstraße 1-15 | 70771 Leinfelden-Echterdingen | www.konradinheckel.de Vertrieb: asv vertriebs gmbh Süderstraße 77 | 20097 Hamburg | www.asv-vertrieb.de Aboservice: abo@blank-magazin.de Abonnement (jährlich, 10 Ausgaben): 34,- Euro (Schüler, Studenten, Journalisten, Rentner, ALG I, ALG II gegen Nachweis 29,50 Euro) Preise inklusive 7 % Mehrwertsteuer Anzeigen: Nielsengebiete 1 & 5 media & more | Peter Hanf | Kronprinzenstr.36 | 22587 Hamburg Tel. 040 / 83 93 22 56 | Fax 040 / 83 93 22 57 | media.more@t-online.de Nielsengebiete 2 & 3a Radermacher Medienservice| Hermann Radermacher | Scheidtstr. 70 | 45149 Essen Tel. 0201 / 710 18 33 | Fax 0201 / 710 18 79 | radermacher@adverting.de Nielsengebiete 3b & 4 VERLAGSBüRO BRANDT | Wolfgang Brandt | Helmpertstraße 3 (RG) | 80687 München Tel. 089 / 54 63 63 90 | Fax 089 / 54 63 63 940 | wb@verlagsbuero-brandt.com Internet: www.blank-magazin.de Redaktionsanschrift: BLANK | Postfach 02 10 02 | 10121 Berlin Tel: 030 44 31 80 41 | Fax: 030 44 31 80 42, info@blank-magazin.de Steuernummer: 34/225/53519 Finanzamt Berlin Mitte/Tiergarten Auflage: 25.000 Wir danken

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MANCHMAL GENÜGT

DER KLANG EINES NAMENS TexT Boris GUschLBaUer FoTograFie MaTThias ZieGLer

Zum ersten Mal hörte ich von Michael obert auf der Fähre von odessa nach istanbul. Mein damaliger reisebegleiter wollte mich mit Michael oberts Worten aus dem Buch „regenzauber“ von den Qualen der seekrankheit ablenken, was leider nur teilweise gelang. Wieder mit festem Boden unter den Füßen recherchierte ich und stieß auf einen reiseschriftsteller, der keine ängste zu kennen scheint, der in Ländern wie afghanistan oder sierra Leone unterwegs ist, also in Ländern, die der normalbürger eigentlich nur aus Berichten der Tagesschau kennt. Und da die Veröffentlichung von Michael oberts bereits fünften Buch „chatwins Guru und ich“ kurz bevor steht, musste ich ihn einfach kontaktieren. eine rasche antwort kam natürlich nicht aus heimischen Gefilden, sondern aus dem süden des sudan, in dem Michael obert zum ersten Mal seit Wochen endlich wieder internetzugang hatte. Zurück in seiner Wahlheimat Berlin, stellte ich obert ein paar Fragen. BLAnK: Herr Obert, Sie sind gerade von einer Reise aus dem Sudan zurück. Was war der Grund dieser Reise? MO: Eine Reportage, die eben im Greenpeace Magazin erschienen ist. Nord- und Südsudan haben zwei Jahrzehnte lang Krieg gegeneinander geführt. Zwei Millionen Menschen starben, doppelt so viele wurden vertrieben. Seit 2005 gibt es im Sudan ein Friedensabkommen. Ich wollte herausfinden, wie groß die Chancen sind, dass dieser Frieden hält. BLAnK: Und, hält er? MO: Er wackelt. Die Volksgruppen bekämpfen sich, überall Waffen, Viehdiebstähle, Raubüberfälle. Es gibt wieder viele Tote. Sudan blickt einer finsteren Zukunft entgegen. BLAnK: Sie leben in Berlin. Auf was freuen Sie sich am meisten, wenn Sie nach einer langen Reise nach Hause kommen? MO: Auf meine Freunde. Feiern, tanzen, nach Hause gehen, wenn die Vögel zwitschern. Dem einen Extrem ein anderes entgegensetzen, ein ziemlich schizophrenes Leben, das ich da führe. Ich kann mir kein besseres vorstellen.

BLAnK: Sie sind oft in Ländern unterwegs, in welchen Krieg herrscht oder herrschte, in welchen Terroranschläge die Medien bestimmen und die viele deshalb nur aus dem Fernsehen kennen. Haben Sie keine Angst, diese Länder zu bereisen? Und wenn ja, wie gehen Sie mit diesen Ängsten um? MO: Die Angst hält einen lebendig. Denken Sie nur an die Antilope. Wenn sie im richtigen Moment losrennt, hat sie eine Chance gegen die Löwen.

Man ist wie versteinert, die Gedanken setzen aus. Wenn sie wieder einsetzen, erbricht man sich. Im Vordergrund stehen für mich aber immer die Menschen. In den Nachrichten aus Krisengebieten ist immer nur von Bomben, Terror, Chaos die Rede. Man könnte fast vergessen, dass dort auch ganz normale Leute leben: Väter, Mütter, Geschwister, Bäcker, Lehrer, Fischer und Bauern. Menschen mit ihren Problemen, sicher, aber eben auch mit ihren Freuden und Hoffnungen. Menschen

Ein ziemlich schizophrenes Leben, das ich da führe. Ich kann mir kein besseres vorstellen. BLAnK: Sind Sie oft gerannt? MO: Natürlich gab es solche Momente. In Nigeria war ich Zeuge einer barbarischen Hinrichtung. Direkt vor mir wurde ein Mann auf offener Straße enthauptet. Sein Kopf rollte vor meine Füße. Was in einem solchen Moment in einem vorgeht?

wie wir. Über diese Menschen schreibe ich. Zum Beispiel über den Lehrer im Sudan. Ich traf ihn auf einer Fähre über den Nil, den afrikanischen Lebensstrom. Um uns drängten sich Hirten und Händler, Karren, Schafe und Ziegen und Kamele. Die bunten Kopftücher von Frauen mit

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Gesichtstätowierungen wehten im Wind. Der Lehrer ließ geröstete Pinienkerne in meine Hand rieseln, dann bat er mich, meinen Leuten daheim – also Ihnen – zu sagen, dass die Sudanesen keine Terroristen sind. BLAnK: Ein Mensch, der immer unterwegs ist – ob in fernen Ländern oder auf Lesetour – gibt es für ihn so etwas wie einen Ruhepol, oder gar Stillstand? Können Sie mit Stillstand umgehen? MO: Wenn ich mir vorzustellen versuche, was das Wort „Stillstand“ bedeutet, wird es dunkel um mich. Eine echt klaustrophobische Finsternis. Wie im Sarg. Unter der Erde. Wenn wir erst dort drunten sind, haben wir noch alle Zeit der Welt, um Stillstand in Reinform zu erleben. Ruhe? Ja, das ist etwas anderes. Das Gefühl von Ruhe durchströmt mich im Zug, im Bus, auf einem Schiff, unterwegs – irgendwohin. BLAnK: Der Schriftsteller Paul Bowles meinte einst, dass seine größten Feinde seine Füße sind und musste deshalb immer weiter, bis er sich schlussendlich in Tanger sesshaft machte. Haben Sie einen ähnlichen Drang in sich und was wäre ein Ort, an dem Sie sich mit einem geregelten Leben für länger niederlassen würden? MO: Es gibt Leute, die behaupten, Bowles sei wegen der Drogen in Tanger hängen geblieben. Damals in den Sechzigern gab es dort echt würzige Joints. Fast umsonst. Vielleicht hat ihm der Stoff die

Man ist wie versteinert, die Gedanken setzen aus. Wenn sie wieder einsetzen, erbricht man sich. Füße einfach weggerissen. Wer weiß? Mein Ort ist Berlin. Diese Stadt wirkt auch wie eine Droge. Berlin ist ein Trip, ein andauerndes Delirium. Das gefällt mir. Seit ich hier wohne, seit fast sieben Jahren, komme ich gern von unterwegs zurück. BLAnK: Auf Ihren Reisen begegnen Sie oft immenser Armut. Wie ist es als vermeintlich reicher Westler solcher Not zu begegnen? Gibt es dabei ein Gefühl von Ohnmacht und wie gehen Sie damit um? MO: Wenn von der Armut in der sogenannten Dritten Welt die Rede ist, geht es meist um materielle Armut. Die gibt es, klar. Mit meinen Texten versuche ich etwas dagegen zu tun. Aber dabei vergesse ich nie den Reichtum, der mir unterwegs tagtäglich begegnet. Menschlicher Reichtum. Auf unserem Weg in die Hyperkonsumgesellschaft ist einiges auf der Strecke geblieben. Die „Armen“ besitzen Schätze, die wir uns mit unseren Euros nicht kaufen können: gegenseitiges Kümmern, Teilen, einen würdevollen

zwischenmenschlichen Umgang, die fast körperliche Erfahrung vom Verstreichen der Zeit. BLAnK: Sie haben einst Betriebswirtschaft studiert und in Paris gearbeitet. Was war der Auslöser zu sagen, ich verlasse das gesicherte Terrain und werfe mich in das abenteuerliche Leben eines Reiseschriftstellers? MO: Damals war ich Mitte zwanzig, verdiente in Paris ein maßlos überzogenes Gehalt und sah einer lukrativen Managementkarriere in der sogenannten „freien“ Wirtschaft entgegen. Aber mir gefiel der Job nicht, dieses ganze Konzern- und Büroleben... grauenhaft. Ich setzte mich an meine Schreibmaschine und tippte die Kündigung. Ein Gewicht fiel von mir ab. Ich packte meinen Rucksack, flog nach Guatemala und ahnte nicht, dass meine Reise zwei Jahre dauern, dass sie mich kreuz und quer durch Mittel- und Südamerika bis hinunter nach Feuerland führen würde, in ein neues Leben. Wieder in Deutschland, schrieb ich meine Reisenotizen zu kleinen Aufsätzen um, versah sie mit Fotos und schickte sie an Zeitungen – so bin ich Journalist und später Buchautor geworden. BLAnK: In Ihrem neuen Buch „Chatwins Guru und ich“, das eben im Malik Verlag erschienen ist, begeben Sie sich auf die Suche nach einem gewissen Patrick Leigh Fermor. MO: Patrick Leigh Fermor ging 1933 zu Fuß von Rotterdam nach Konstantinopel. Dass ich ein Reisender wurde und anfing zu schreiben, verdanke ich seinen beiden Büchern über diese Wanderung. Ich bekam sie damals in Südamerika in die Hand, am Beginn meines neuen Lebens. Mit diesen Büchern hat alles angefangen. Und dann erfuhr ich, dass Fermor noch lebte, der älteste schreibende Vagabund der Welt, fast hundert Jahre alt. Ich

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REISE


Die „Armen“ besitzen Schätze, die wir uns mit unseren Euros nicht kaufen können: gegenseitiges Kümmern, Teilen, einen würdevollen zwischenmenschlichen Umgang, die fast körperliche Erfahrung vom Verstreichen der Zeit. machte mich Hals über Kopf auf die Suche nach ihm. Die Reise führte mich quer über den Balkan, nach Bratislava, durch Ungarn, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Mazedonien und Albanien bis auf den südlichen Peloponnes.

Ich trug ihn fast ein Jahr mit mir herum, bis mir klar wurde, wie kostbar er auch für andere Leute sein könnte, Menschen, denen der Mut fehlt, etwas in Angriff zu nehmen, eine Last abzuwerfen, sich zu verändern, frei zu sein.

BLAnK: Und haben Sie Fermor gefunden? MO: Ja. Nein. Vielleicht. Um nicht zu sagen: Steht alles im Buch. Viel wichtiger ist im Nachhinein, dass die Reise alle Fragen, die ich an Fermor hatte, beantwortet hat. Es war meine bisher wichtigste Passage. Als ich vom Balkan zurückkam, sah ich darin einen ganz persönlichen Schatz.

BLAnK: Welche Personen sehen Sie noch als Inspirationsquelle für Ihre Bücher und Reisen an? MO: Bevor ich zu schreiben beginne, versuche ich, alle Bücher, die ich gelesen habe, zu vergessen. BLAnK: Gibt es Länder, die Sie noch

unbedingt bereisen und die Sie niemals bereisen wollen? MO: Die Entscheidung, irgendwo hinzureisen findet selten rational statt. Manchmal genügt der Klang eines Namens – Timbuktu, Patagonien, Mandalay. Manchmal ist es eine Begegnung in einem anderen Land, auf einer anderen Reise… es geht immer weiter, es hört nie auf. BLAnK: Gibt es ein Zitat oder eine Lebensweisheit, welches Sie für Ihr Leben beherzigen? MO: Eine Zeile von Neil Young: Walk on, walk on.

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MACH ES

GROSS! TexT eLMar BrachT FoTograFie reDakTion

ein sonnenaufgang. ein sonnenuntergang. Das Meer. Die Berge. klaus vor dem Berg. klaus vor der Burg. Petra mit den kindern an der strandpromenade beim eis essen. Die kleine, wie sie weint, weil ihr eis runtergefallen ist. Petra und klaus mit selbstauslöser vor dieser komischen statue. Die kleine beim sandburgbauen am strand. Petra oben ohne unterm sonnenschirm. klaus beim reifenwechsel auf der autobahn. Wir alle lieben Urlaubsbilder.

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n Zeiten, in denen Urlaubsfotos auf den digitalen Datenträgern unserer Zeit verschwinden und zumeist ohne Auswahl und in unglaublichen Mengen (der Speicherkapazitäten modernerer Kleinkameras und Mobiltelefonen sei Dank) konsumiert werden, wird es um so wichtiger, den einzelnen Moment, ein Gefühl, eine Erinnerung, zu konservieren, herauszustellen, größer zu machen und es sich in die eigenen vier Wände zu hängen oder zu verschenken. Es geht hier nicht um kitschige Siebziger-

Jahre Fototapeten-Motive, sondern vielmehr um das Persönliche, das Eigene, die Egozentrik, die wir uns alle mal erlauben sollten. Während man früher nicht nur sorgfältig jedes Motiv auswählte, dass man fotografierte, sondern oftmals zudem anhand der Negative eine Auswahl vornahm, die man dann entwickeln ließ, macht es digitale Fotografie heutzutage möglich, Unmengen an Bildern zu machen, von denen ebenso Unmengen unmittelbar oder mittelfristig wieder gelöscht werden, unwiederbringbar. Die Verweildauer des

Betrachters einzelner Bilder nimmt so beständig ab und es stellt sich die Frage, ob diese Masse an Eindrücken eigentlich weniger geeignet ist, um tatsächlich zu vermitteln, wie es zum Beispiel im Urlaub so gewesen ist. Manchmal, wenn Leute einem Bilder auf dem Display ihrer Kamera oder am Notebook zeigen, hat man bei Betrachtung der gezeigten Motive das Gefühl, man schaut sich hier die Einzelbilder eines Super-8-Filmes an. Das kann nicht Sinn und Zweck der Sache sein. Lasst uns wieder etwas mehr geben, im Urlaub, beim Bilder machen.

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vom

leben und

sterben

im

reservat eUch Die Uhren – Uns Die ZeiT. sTrassenPUnks 1999–2009 LUcJa roManoWska, VenTiL VerLaG


Die Fotografie und der Fotojournalismus im speziellen sehen sich den immer gleichen Vorurteilen ausgesetzt. Verzerrung der realität durch die ästhetik der Tragik, zu viel Distanz zwischen Geschehnis und Betrachter, ein Moment, der zum sinnbild etwas viel umfassenderen wird. Lucja romanowska kann dieser Vorwurf nicht gemacht werden. Fast ein Jahrzehnt war sie ein Teil der straßenpunk-szene, was ihr definitiv ein authentizitätsbonus beschert. Trotz der unmittelbaren nähe erlag sie nicht der Versuchung jedwede Distanz zu verlieren. Dass dies nie geschieht, dass sie im Gegenteil selbst in der vermeintlich vertrauten Umgebung noch anzeichen einer alles durchdringenden entfremdung ausmacht, das ist die stärke dieser Fotografie.



Seit fünfundzwanzig Jahren totgesagt, aber noch immer quicklebendig. Punkrock eben. Rebellion und Attitüde – laut und räudig, lustbetont und gewaltbereit. Ausnahmsweise einmal nicht dokumentiert aus der Perspektive des Zoobesuchers sondern aus der des Rudels selbst. Die Nächte unter Brücken oder in besetzten Häusern, der Stress mit der Staatsgewalt, die Trinkgelage, die Konzerte, das frühe Sterben von Freunden und die immergleichen Vorwürfe empörter Passanten sich gefälligst einfach eine „richtige“ Arbeit zuzulegen. Was der Volkszorn bei diesem im Tenor rechtschaffener Überlegenheit vorgetragenen Argument stets übersieht, ist folgende simple Tatsache: Schnorren ist Arbeit! Zwar keine, die das Bruttosozialprodukt vermehrt oder die Rentenkassen füllt, aber eben doch eine Form des Broterwerbs, die alles andere als vergnüglich daherkommt. Sich stundenlang die Beine in den Bauch zu stehen und dabei mit möglichst freundlichem Gesicht den immergleichen Text zu variieren, fällt gewiss nicht unter die Rubrik „Freizeitspaß“. „Aber die geben das Geld doch bloß für Alkohol, oder – noch schlimmer – für Drogen aus“, lautet für gewöhnlich der nächste Einwand. Das mag zutreffen, wobei im Normalfall zuerst an Futter für die Hunde gedacht wird. Aber wer kommt schon ohne Rausch aus, in diesem Absurditätenkabinett namens Leben? Konsum, Extremsport, Sex – wer da ohne Suchtverhalten ist, der werfe die erste Crackpfeife! Der Unterschied zwischen der „Straßenpunk“-Szene, die ja zumeist des Schnorrers gesellschaftliche Heimat darstellt, und dem Rest der Bevölkerung ist doch eigentlich nur der, dass dem Laster hier öffentlich gefrönt wird, während man es dort häufig genug hinter verschlossenen Türen hätschelt. Ohne Unterlass brav und artig auf der Kriechspur dahin zu schleichen und dabei mit serviler Geste in die Kameraüberwachung zu winken, fördert die geistige Gesundheit nur bedingt. Bei aller Härte und Unmittelbarkeit des Alltags findet auf den Wagenplätzen, in den besetzten Häusern, unter den Brücken oder wo immer auch sonst sich die Maderln und Buben mit der betont räudigen Attitüde zu Stammesverbänden zusammengeschlossen haben, zumindest der Versuch statt, ein anderes Leben zu führen – ein Leben jenseits der Wohnsilos und Büroburgen, des Schönheitswahns und der Altersvorsorge, der Kundenkarten und Leasingverträge. Dafür eins, das den Moment heiligt – genau wie die Fotografien in diesem Buch.


FILM dvd

anne clark live tour 2008–2009 /// live in germany In den 80-er Jahren hatte ich das Gefühl, mein älterer Bruder und seine Generation wären hoffnungslos verloren. Zu sehr schien „seine“ Musik ein Lebensgefühl zu transportieren, das mich mehr und mehr abschreckte. Zudem waren meine Englisch-Kenntnisse mit zehn, zwölf Jahren noch nicht ausreichend genung, um Tragweite oder Tiefe von dieser Geisterstimme zu erahnen, geschweige denn zu erfassen. Ich habe es auch sein lassen und mich für diese Dame nie weiter interessiert. Die durch unser Stockwerk wabernden CDs von Anne Clarke waren sicherlich einer der Gründe, warum ich mich selbst mehr den bunten und lebensbejahenden Momenten verschrieb, Skateboard statt Kreppschuh. Dieses Jahr wird mein Bruder vierzig. Morbides ist nicht hängengeblieben. Hoffentlich. Und ich entdecke Anne Clark. Nicht die junge. Die von 2009. (EB)

„The Age of Stupid“ daher. Die britische Regisseurin nahm die im Dezember dieses Jahres anstehenden Verhandlungen zum Nachfolgevertrag von Kyoto zum Anlass, eine Dokufiktion zum Thema Klimawandel zu drehen. Doku, weil neben mehr oder weniger manipulierten Nachrichtenmitschnitten auch vermeintlich „echte“ Menschen zu Wort kommen. Fiktion, weil das Ausgangsszenario eine Welt nach der Klimakatastrophe im Jahr 2055 ist. Und so beginnt der Film mit einer Auswahl wirklich schockierender Bilder: Sydney in Flammen, London überflutet, Las Vegas unter Wüstensand begraben – schockierend vor allem aufgrund kaum ertragbar schlechter Computeranimation. Der offensichtlich einzig Überlebende der Katastrophe, ein namenloser Menschenfreund, nennen wir ihn Noah, zeigt den Zuschauern in einer Vielzahl kurzer Clips auf modernster 3D-Animationsoberfläche, wie es zur Klimakatastrophe kommen konnte. Sollte da tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Wirbelstürmen, Waldbränden, Flutwellen und der Erderwärmung bestehen? So nimmt die Lehrstunde in Sachen

dvd Berlin calling

2008, Ein Film von Hannes Stöhr

Kino populistische pollution „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet [….] werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann.“ Ähnlich bauernschlau wie diese mit Vorliebe von Alt-68ern auf Stickern publizierte Redewendung der kanadischen Cree-Indianer kommt auch Franny Armstrongs Film

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FILM

Umweltbewusstsein ihren Anfang. Einwegflaschen aus Plastik sind böse, Öl ist böse, Krieg ist böse und Schuld an allem haben natürlich die Amerikaner. Und die Inder, denn von denen gibt es ziemlich viele und die wollen jetzt auch Billigairlines. Es dauert nicht lang, da fließen die ersten Tränen. Nicht bei den Zuschauern, sondern bei dem sympathischen, älteren Franzosen, einem Bergführer, der nun immer höher klettern muss, um überhaupt noch auf Gletschereis zu stoßen. Und wessen Herz davon noch unberührt geblieben ist, den sollen dann die ein bis zwei mitleiderregenden Quotenschluchzer des kleinen irakischen Jungen im Exil erweichen, wenn er von der Ermordung seines Vaters durch die Amerikaner erzählt. Was ihn jedoch nicht davon abhält, mit seiner Schwester Krieg zu spielen. Dabei kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese possierliche Sequenz vom Filmteam wenn nicht gar initiiert, dann zumindest forciert wurde. Überhaupt hat all das so deklariert Reale den bitteren Nachgeschmack des Inszenierten: Die junge Afrikanerin, die eigentlich Ärztin werden möchte, nun

Endlich, Berlin Calling als DVD. Jetzt kann man Ickarus psychischem und physischem Verfall nicht nur auf der Kinoleinwand bei-

wohnen, sondern auch zu Hause bewundern, so oft wie das Herz es begehrt. Das ist natürlich genau das Richtige für einen gemütlichen Sommerabend mit der Freundin im Bett vor dem Fernseher. Und aus diesem Grund trinke ich jetzt erst einmal ein kühles Bier, rauche noch dies oder das und ziehe dann fröhlich durch die Berliner Clubs, die in diesem Film gefeatured werden - vielleicht ergibt sich ja was. Und die Tage werden sowieso schon kürzer und der Winter klopft an die Türe, also schnell noch einmal die Sau raus lassen, bevor der Abfuck kommt und Kälte und Dunkelheit das Gemüt trüben. Und genau dann stecke ich mir die DVD in die Hosentasche, ziehe mein USA T-Shirt über und lasse mich in die Psychiatrie einliefern. Wenn das kein Grund ist, die DVD zu besitzen, dann weiß ich auch nicht. (BG) Wir verlosen 2 Exemplare von „Berlin Calling“. Sendet einfach eine Mail mit gleichnamigen Betreff an verlosung@ blank-magazin.de und drückt Euch selbst die Däumchen.


tv der seewolf

01. & 04.11. 20:15 ZDF Tobias Schenke hat es mit dem Wasser. So war er im vergangenen Jahr nicht nur in der Lenz-Verfilmung „Das Feuerschiff“ zu sehen, sondern war auch während dem „Untergang der Pamir“ mit an Bord. Das scheint ihm gefallen zu haben, denn für das Remake des Klassikers „Der Seewolf“ hat er erneut angeheuert und ist im November neben Sebastian Koch (Das Leben der Anderen), Tim Roth (Reservoir Dogs) und Neve Campbell (Scream) in der Rolle des Schiffsjungen Leach zu sehen. Im Gegensatz zu der zuletzt bei PRO7 gezeigten Adaption mit Thomas Kretschmann als Kapitän Wolf Larsen, vermag es dieser aufwendig, authentisch und international produzierte Zweiteiler das Original mit Raimund Harmstorf für einen kurzen Augenblick vergessen zu lassen. Die See ist rau. Die See ist hart. Die Seeleute sind brutal. Aber das Leben ist halt doch ganz schön. Tobias Schenke hätte wahrscheinlich durchaus nichts dagegen, demnächst wieder in See zu stechen, denn auf dem Meer, im salzigen Wind, bei Sturm und Regen oder sternenklarer Nacht fühlt sich der Schauspieler scheinbar am wohlsten. Vielleicht, weil er als Berliner Stadtkind die geballte Kraft der Natur so schätzt. Wohl auch einer der Gründe, warum Tobias Schenke zur Zeit als Klimaschutzbotschafter im Einsatz ist und für die gemeinsam von MTV und der EUKommission ins Leben gerufenen Kampagne „Play to stop. Europe for climate“ wirbt. Wir trafen Tobias Schenke Ende September in Budapest zwischen Pressekonferenz und einem Konzert der Editors, die sich ebenfalls in der Kampagne engagieren, und bestiegen

aber auf dem Schwarzmarkt Diesel verkaufen muss, weil die Flüsse vergiftet und die Fische gestorben sind. Der engagierte Engländer, der mit seiner Windenergieanlage am Widerstand der in ihrem ästhetischen Empfi nden gekränkten Bürger scheitert. Und der Amerikaner, der durch Hurrikan Katrina alles verloren hat, außer seiner Harley, seiner Nikotinsucht und seinem Spaß am American Way of Life. Alle bedienen gängige Klischees und helfen dem Zuschauer zu verstehen, dass es eben nur schwarz und weiß, gut und böse gibt. Franny Armstrong betreibt politische Aufklärung auf Grundschulni-

für eine Fahrt von Buda nach Pest gemeinsam eine durchaus umweltfreundliche Rikscha. BLANK: Du bist viel in der Luft. Für den Seewolf nach Kanada. Für den Klimaschutz nach Budapest. Fliegen lässt sich schwer vermeiden. Also, um was geht’s hier heute in Budapest und bei der Kampagne im Allgemeinen? TOBIAS SCHENKE: Na ja, es fängt bei den Kleinigkeiten an, die jeder machen kann und es geht bis zum großen Ziel, ein globales Bewusstsein zu schaffen. Deswegen diese Kampagne. Deswegen auch MTV, denn die sind erstens global oder wie in diesem Fall zumindest in elf europäischen Ländern präsent und zweitens zählt genau die junge Zielgruppe, denn auf sie wird es in Zukunft ankommen. Und nebenbei kann man schon mal nach Budapest fliegen. Ist doch eine geile Stadt.

hier in Ungarn übrigens sehr gut gelaufen ist… BLANK: Sogar Attila Katus (achtmaliger Aerobic-Weltmeister und Ungarns Klimaschutzbotschafter) hat dich erkannt. TS: Ja, witzig. Auf jeden Fall war ich damals eine Woche hier und es war wirklich schön. Ich kann mich auch noch an einen Club bei der Zitadelle erinnern.. Da werde ich vielleicht heute Nacht noch hingehen.

BLANK: Warst Du schon mal hier? TS: Ja, zur Premiere von „Knallharte Jungs“, der

BLANK: Budapest ist ja nur eine Station auf dem Weg nach Kopenhagen, wo im Dezember neue Weichen für ein globales Klimaschutzverständnis gestellt werden könnten. Sind wir soweit oder ist die Finanzkrise mal wieder wichtiger? TS: Das läuft ja Hand in Hand. Die Armen und sozial Benachteiligten sind auch beim Klimaschutz diejenigen, die es zuerst und am härtesten trifft. Da geht es nicht nur um ein Naturerlebnis, sondern um die Gesellschaft und deren Zukunft. (JF)

veau, die Kunst der Persuasion ist ihr offensichtlich nicht geläufig. Ein einseitiger Blick auf die Ausbeutungsstrukturen des kapitalistischen Konsumsystems auf dem Niveau von aufmerksamkeitsheischendem Boulevardjournalismus ist purer Populismus in bester Sabine ChristiansenTalk-Manier. Phasenweise fragt man sich, wann sich wohl Michael Moores dicker Hintern endlich vor die Kamera schiebt. Und ähnlich wie Moores Filme berührt auch „The Age of Stupid“ so, wie von Bettlern in Fußgängerzonen zur Schau gestellte Amputationsstumpen: unterhalb der Gürtellinie der Würde.

Das umweltfreundlichste an diesem Film ist noch seine Herstellung: „Lediglich 94 Tonnen CO2 wurden ausgestoßen – etwa so viel wie fünf Amerikaner in einem Jahr verbrauchen“ weiß die Pressemitteilung. Um die Sache wirklich rund zu machen, hätte Frau Armstrong bloß noch Bono und Geldof für den Soundtrack verpfl ichten müssen. Vielleicht leben wir ja in „The Age of Stupid“, was nicht heißt, dass wir in einer Welt voller Dummer leben, für die gut gemeint nicht trotzdem noch das Gegenteil von gut wäre. (FE,AM)

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Die KoLUMne von niLZ BokeLBerG Ich komme langsam in ein Alter, wo man gewisse Dinge, die junge Menschen begeistern, nicht mehr so recht nachvollziehen kann. Und andere dafür umso mehr. Meine Tochter zum Beispiel ist High School Musical Fan. Und auch ein bisschen Hannah Montana. Das kann ich verstehen. Ihr hättet mal sehen sollen wie stolz ich war, als ich ihr damals den Soundtrack zum ersten HSM geschenkt habe und sie sich in ihr Zimmer eingeschlossen hat (zum ersten Mal). Da stand sie dann vor dem Spiegel und hat die Songs mitgesungen, dazu getanzt und gehüpft. Gut, wir mussten die Songs dann immer und überall hören. Sie tönten aus ihrem Zimmer, zu jeder Zeit, im Auto wollte sie auch immer nur die Lieder hören und dieses Phänomen erstreckt sich selbstverständlich auch auf Teil 2 und 3. Ich kann also mit Fug und Recht behaupten, alle drei Soundtracks so ziemlich im Schlaf mitsingen zu können. Eher unfreiwillig, aber: Das hat mich daran erinnert, als ich zu Weihnachten im Alter von 6 Jahren die „Thriller“ von Michael Jackson geschenkt bekommen habe. Da ging das nämlich genauso. Ich in mein Zimmer und tagelang nix anderes mehr gehört. „The Girl is mine“ war dabei mein Lieblingslied. Vermutlich ist das auch daran schuld, dass noch heute „I´m a lover, not a fighter“ meine Lebensmaxime ist. Wie auch immer: Ich kann verstehen, dass Pop auch nach Jahren nichts von seiner Anziehungskraft verliert. Warum sollte er auch. Pop glänzt, strahlt, ist so eine Art heiliger Gral. Transportiert alles, was man ihm

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aufladen will. Ich hab auch kein Problem damit, dass Kids Lady Gaga gut finden, die ist mir als Role Model gefühlte 6 Milliarden Mal lieber als eine Mariah Carey oder eine Celine Dion. Gut, ich glaube nicht, dass die jemals als Role Model in Frage kam, aber man muss ja auch ein bisschen zuspitzen. Mir ist die auch lieber als Christina Aguilera. Und als Madonna(heute). Ich finde eh, es sollte sich eine neue Schreibweise etablieren. Wenn man von Madonna spricht, sollte man immer schreiben Madonna(heute) oder eben Madonna(damals), das ist nämlich ein eklatanter Unterschied. Damals: Ein pfiffiges Pop-Produkt, ebenso sexy, wie hookig, wie innovativ, wie genial. Heute: Ein altes Pop-Produkt, ebenso alt, wie alt, wie alt, wie alt. „Geh von der Bühne runter, alte Frau mit viel zu trainierten Oberarmen, hier kommt deine Ablösung!“, ist zumindest der Satz, den ich mir immer von Lady Gaga zu Madonna(heute) rufend vorstelle. Ob sie wirklich eine Ablösung ist? Keine Ahnung. Wäre ich Wahrsager, wäre ich in der Musikindustrie. Oder nee, lieber doch nicht. Dann wäre ja Dieter Gorny mein Sprachrohr. Wie gesagt: Das kommt alles noch in den Ordner, auf den ich mit Edding fett „Verstehe ich“ geschrieben habe. Aber daneben steht einer, da war früher vielleicht mal ein Blatt drin, aber der hat sich über die letzten Jahre beständig mit Notizen gefüllt. Und da steht eben fett „Verstehe ich nicht“ drauf, dreimal unterstrichen.

Auf einem Blatt steht einfach nur dick geschrieben: Slam Poetry. Ich gebe zu, anfangs eine gewisse Faszination für das Thema gehabt zu haben. Ich fand diesen „unverkrampften Umgang mit unserer Sprache“ (das schreiben Feuilletonisten doch immer so, wenn die über Slam Poetry schreiben, oder?) ganz spannend und originell. Dann hab ich mir das ein bisschen mehr angeguckt und gehört und mittlerweile muss ich ihnen zurufen: Okay! Es ist gut! Ich glaube wir haben jetzt alle Alliterationen, die das Alphabet anbietet, durch! Geht weiter oder hört auf, aber das muss ich nicht mehr haben. Überhaupt: Dieses gestresst durch einen Text hetzen, nur um zu zeigen, dass man gestresst durch einen Text hetzen kann, das kann ich nicht mehr hören. Das bleibt dann auch inhaltlich immer gleich. Mal ein bisschen Politik, am besten gewürzt mit einer Prise Alltagsbeobachtungen, wie die Oma, die in den Bus steigt (Oma Ornella ordnet obsolete Obuli offensichtlich obrigkeitshörig ornithologisch. Oder so.), fertig ist der Gewinnertext des Lübecker Lokal-Slams, der dann auch bei den Niedersächsischen Meisterschaften antreten darf. Vereinsmeierei trifft den Wunsch nach Literatur. Und das am besten kneipenkompatibel. Nein, nicht mit mir. Da habe ich vermutlich über die Jahre einen eher inhaltlichen Anspruch entwickelt, der meiner Begeisterung für Slams diametral entgegen gesetzt verläuft. Was ich auch nicht verstehe: Comedy. Also, ich verstehe sie schon ein Stück weit,


aber ich weiß nicht, warum das alles so mittelmäßig sein muss, wenn man sich schon an amerikanischen Vorbildern orientiert. Ich war, jedes Mal wenn ich in USA war, immer abends in Stand-Up Clubs und was ich da von absoluten NoNames geboten bekommen habe, war mehr Talent für Witze und Punchlines im kleinen Finger als eine Cindy aus Marzahn in ihrem ganzen Körper haben könnte. Die Sender wundern sich, dass die drölfte Sketchshow, die nichts anderes bietet als unbekannte Gesichter, nicht funktioniert. Man möchte ja gerne Comedy machen, man weiß nur eben nicht wie. Dabei habe ich einen exklusiven Tipp, den ich jetzt hier mit euch teile. Behaltet das bitte für euch, nicht weitersagen, streng exklusives Geheimwissen, aber ich weiß ja, dass ich euch vertrauen kann, also: Mein Ratschlag, um Comedyformate zu retten, lautet: Macht was Lustiges! Aber Pssssst! Geheim! Wobei, das ist unfair. Es gibt sehr lustige Menschen in Deutschland, die auch auftreten. Nur werden die eben lautstärkenmäßig von den Barths und Pochers dieser Welt übertönt. Nun, für was kann sich ein junger Mensch heute sonst noch so begeistern? Hello Kitty auch nach Beenden der Schullaufbahn noch cool finden? Nun ja, muss ich nicht verstehen. Andererseits: Ich würde mir auch noch originalverpackte Mastersof-the-Universe-Figuren ins Zimmer stellen. Aber ich hab ja auch eine Geschichte mit denen. Während es von Hello Kitty noch nicht mal einen offiziellen Club gab, in dem man Mitglied werden konnte und der einen dazu anhielt, Gutes zu tun. Das gab es nämlich von He-Man. Ich habe dahin geschrieben und die haben mir super viel Infomaterial zukommen lassen und dazu geschrieben, man solle als Masters-Clubmitglied Gutes tun und Protokoll darüber führen, wo die Gruppe heute wieder Gutes getan hätte und sich dann selbst Abzeichen dafür verleihen, die als Sticker dem Brief beilagen. Und wenn man ein volles „Gute-Taten-Journal“ hatte, dann konnte man das denen einschicken und hat dafür eine ominöse Überraschung bekommen. Nun, meine kriminelle Energie war schon in jungen Jahren viel zu gering ausgeprägt und ich wollte dem Vertrauensvorschuss, den ich von Mattel bekam, alle Ehre erweisen und keine Taten erfinden. Nun gestaltete sich die Akquise von Teammitgliedern schon schwierig genug. Mein bester Freund spielte lieber mit seinen Massen an Star-Wars-Figuren, und wollte sich

mit Man-At-Arms und Orku nicht abgeben und in meiner Klasse sah es mit Teammitgliedern, die an einer ernsthaften Ausführung eines solchen Clubs interessiert waren, auch eher mau aus. So saß ich also oft in meinem Zimmer und betrachtete die Bögen mit nie-verliehenen Belohnungsstickern traurig, bevor ich sie wieder in der Aufkleberkiste verschwinden ließ. Ich bekam auch noch einige Male das Clubmagazin zugeschickt, aber da ich nie zurückschrieb (ich hätte so gerne, aber was hätte ich ihnen sagen können?!?!), schlief das auch bald ein. Vielleicht haben sie auch einfach nur diese schwachsinnige Kundenbindungsaktion beendet. Ich gehe nicht davon aus, dass eine Pfadfinder-Ripoff-Organisation auf Freiwilligen-Basis von großem Erfolg gekrönt war. Nicht mal bei der Macht von Greyskull. Aber um es kurz zu machen: All das, so sinnlos die Versuche auch gewesen sein mögen, gab es von Hello Kitty nie. So. Ich war danach noch im Drei???-Detektiv-Club. Da hat man eigentlich nicht viel mehr bekommen als eine, wie eine Zeitung aufgemachte, Neuigkeiten-Postille, in der stand, welche neuen Bücher es um Justus, Peter und Bob zu kaufen gäbe. Von geheimen Aufträgen, Rätseln, die es zu knacken galt oder sonstigem Inhalt, der einem das Gefühl hätte geben können, ein richtiger Detektiv zu sein keine Spur. Damit war für mich eine offizielle Clubzugehörigkeit erstmal beendet und ich tat das einzig Richtige in der Situation, was jeder andere auch getan hätte: Ich gründete ein Detektivbüro. Das Schild mit Filzstift war schnell gemalt und an meiner Zimmertür befestigt. Schmissig stand da: „DSUDS – Ermittlungen aller Art – Keine Ehefälle“. Und tatsächlich überraschend bekam ich zum folgenden Geburtstag ein Hammergeschenk: Edle, geprägte, echte Visitenkarten für unsere Detektei. Der gleiche Text wie auf dem Schild, nur noch mit Adresse von mir und meinem Partner ergänzt, inklusive Telefonnummern. Jetzt waren wir echte Detektive. Dabei hatten wir zwei große Fälle in unserer Ermittlungskarriere: Erster Fall: Die Frau am Fenster. Möglichst unauffällig streiften wir durch unsere Siedlung und guckten, ob es Fälle zu lösen galt. Lupe, Fingerabdruckpulver, Detektivset, alles hatten wir dabei. In einer kleinen Straße mit mehreren Bungalows fiel sie uns dann aus dem Augenwinkel auf: Eine Frau hatte uns beobachtet. Sofort wurden erste

Maßnahmen eingeleitet und wir versteckten uns hinter dem Gebüsch der Nachbarn, um zu beobachten, ob die geheimnisvolle Frau etwas im Schilde führte. Von unserem, vermutlich unüberhörbarem, konspirativem Gewisper aufgeschreckt, blickte sie noch mal durch die Häkelgardine nach draußen. DA! Sie guckte schon wieder! Die musste doch ein schlechtes Gewissen haben! Sofort notierte ich unsere Beobachtung. So ging das den ganzen Nachmittag. Sie guckte, wir guckten. Irgendwann wurde es ihr wohl zu blöd und sie kam raus, um uns zu verscheuchen. Wir gingen, taten als ob nichts wäre, aber uns war klar: Die führt was im Schilde. Wir beobachteten sie noch einige Male, aber wir fanden nichts weiteres heraus, bis wir den Fall dann eines Tages zu den Akten legten. Zweiter Fall: In unserer Nähe war eine bekannte Kiesgrube. Mit einem kleinen, etwas entlegenen Plätzchen, wo immer Lagerfeuer gemacht wurden. Mehr oder weniger illegal. Und was fanden wir dort eines Tages? Ausweispapiere! Führerschein, Reisepass, Perso. Alles von einer Frau. Wir brachten sie nach Hause, um mit unseren Vorgesetzten (unsere Eltern) das weitere Vorgehen zu besprechen. Sie fanden die Nummer der Frau über die Auskunft heraus, riefen sie an und sie kam, um sich ihre Papiere abzuholen. Überglücklich. Wir bekamen sogar eine Belohnung von 10 Mark pro Kopf. Welche wir erstmal geschickt anlegten: In Figuren und Fahrzeuge von „Mask“. Mit dem Start der Mask-Sammlung schlief dann auch unser aufklärerisches Engagement ein. „DSUDS“ schloss seine Pforten. Übrigens: Der Name war eine Abkürzung für „Der Schnelle und der Schlaue“. Super Team-Name. Gründen junge Menschen heutzutage noch Detekteien? Oder ist alles so, wie es Kulturpessimisten immer behaupten, nur noch Spongebob, Manga und Disney? Nun, aus eigener Erfahrung, ich kann euch beruhigen. Erst gestern wurde ich von meiner Tochter, 8, in einen im Wohnzimmer aufgebauten Freizeitpark eingeladen, das Lieblingskuscheltier hat mir dabei meine Eintrittskarte verkauft. Einzig irritierend war der Name des Parks: „Die Fünf-EuroSchein-Welt“, weil man da alles mit eben diesen Scheinen bezahlen sollte. Toll, was die heutzutage so alles lernen. Und FünfEuro-Scheine können selbst mich als Erwachsenen genauso begeistern wie sie.

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PRINT neue Zwiegespräche mit gott ahne (voland & Quist)

ahne ist einer der autoren, ähnlich wie linus volkmann, die sich eine masche zu eigen gemacht haben, die man mit begriffen wie ‚süß’, ‚witzig’ und ‚harmlos’ umschreiben könnte. in seinem neuesten buch „neue Zwiegespräche mit Gott“ verlässt sich einer der „bekanntesten lesebühnen-autoren der Welt“ (Klappentext) auf altbewährtes: politisch-korrektes berliner lokalkolorit einschließlich verslangter sprache und witziger Personenkonstellationen sowie themenverquickungen. dass der verlag voland & Quist seine bücher zusätzlich mit begleitenden Cds schmückt, macht im Falle eines „der bekanntesten lesebühnen-autoren der Welt“ tatsächlich sinn und so versteht der geneigte leser, dem die berliner lesebühnenkultur bisher abging, vielleicht auch wie dieses buch zustande gekommen ist. Wer also selbst schon lange nicht mehr mit Gott redet, sollte sich ahnes versuche des dialoges ruhig mal anschauen, durchlesen oder besser: anhören. (eb)

reagiert – polemisch, analytisch, kämpferisch, aber nicht resigniert.“ das klingt doch erst mal toll. also weiter geht’s mit der auskunft über mögliche motive: „1968 ist dieses Jahr in aller munde. aber wie steht es mit unserer gegenwärtigen Gesellschaft? nahezu alle im Zuge von 1968 erkämpften errungenschaften werden derzeit wieder schrittweise abgeschafft. testcard #18 wirft einen kritischen blick auf den reaktionären backlash, den die westlichen Gesellschaften in den letzten Jahren erfahren haben. dies betrifft die renaissance von religionen aller art, spirituelle und irrationale lebensmodelle, die erstarkte bedeutung der Kleinfamilie und von traditionellen Geschlechterrollen, neoromantik und eskapismus in der Kunst und musik und den abbau von bürgerrechten.“ das erinnert mich ein wenig an tom buhrow, der am donnerstag, den 30. Juli, exakt um 22:41 uhr, in den tagesthemen erklärte, was ‚Kulturelle Prägung’ sei. nämlich dass er, auf der Wiese des legendären WoodstockFestivals stehend, seinen Kindern dieses

alles außer tiernahrung

Neue politische Gedichte Tom Schulz (Hrsg.) (Rotbuch Verlag)

testcard #18: regress

beiträge zur Popgeschichte (ventil verlag) die/das testcard ist so etwas wie das Jahresbuch einer nischen-diskurs-Kultur, die es sich im Pop, oder dem was dazu gemacht wurde, zwischen rezeption und affirmation gemütlich gemacht hat und, glaubt man der selbstauskunft, „auf den reaktionären Wandel unserer Gesellschaft

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In seinm Vorwort „Warum politische Gedichte“ schreibt Herausgeber Tom Schulz: „Es gilt der Hauptsatz, dass alles formal wie stofflich interessant Kom-

historisch große ereignis näher bringen möchte und neben ihm ein italiener steht, mitsamt Kindern, und dieser italiener genau das Gleiche macht. also seinen Kindern, so wie tom buhrow, von Woodstock erzählt. setzen wir mal voraus, dass buhrow des italienischen ausreichend mächtig ist um sagen zu können, welche aspekte dieser kulturellen Prägung der italiener seinen bambinis weitergab. vielleicht hat das vermeintliche italienische Pendant diesen besuch aber auch zum anlass genommen eine mahnung auszusprechen, seine Kinder zu warnen und ihnen die möglichkeit zur kritischen reflexion zu geben. alles besser als das sture Werteverwalten, das mittlerweile auch in der ach so kritischen deutschen pop-affinen linken gang und gäbe ist. man schreckt da auch vor nichts mehr zurück. so beschäftigt sich martin büsser, vielleicht auch, um auf eine im ventil verlag erschienene, weiterführende buchpublikation zum thema hinzuweisen, mit der Jugendkultur der „emos“ zum inhalt, die dann für alles herhalten müs-

ponierte und Wagnisbehangene dem Altbackenen, moralisch angesäuerten und politisch Korrektem vorzuziehen war. Denn die neue Qualität dieser Texte, vergleicht man sie mit Gedichten aus den 70er- und 80er-Jahren, ist ihr Hang zu komplexer Durchdringung einer mindestens parallelweltenen Wirklichkeit, der scharfgestellte entideologisierte Blick und das Vermögen zu kritischer Reflexion ohne Beschwörung einer trügerischen Hoffnung, wie sie zu Zeiten des SchwarzWeiß aus Ost und West allzu oft schreibend praktiziert worden ist. Das Fehlen einer einfachen positiven Utopie mag im deutlichen Zeitencrash begründet liegen, der auf das Wort Zukunft keine Anagramme mehr bildet.“ Wer diese Zeilen, verstanden, überwunden und überlesen hat, kann sich anschließend an lyrischen Texten von Autoren wie Monika Rinck, Björn Kuhligk, Ron Winkler oder Daniel Falb abarbeiten. Den in dieser Anthologie versammelten Texten letztendlich etwas gemeinsames Abzuringen, erscheint dann erstens etwas überzogen und zweitens auch unwichtig, denn wie so oft bei Lyrik, kann schon ein einzelnes Wort, eine Zeile, ein Absatz oder im besten Falle ein einzelnes Gedicht für den Kauf dieser Sammlung entschädigen. (EB)


spinner

benedict Wells (diogenes) benedict Wells – mit lob überschüttet, eigentlich viel zu jung für einen literaten und doch so gut. mit „spinner“, seinem zweiten, eigentlich ersten, weil mit neunzehn geschriebenen roman, hat der mittzwanziger mich endgültig einkassiert. die Geschichte des zwanzigjährigen Jesper, der die divergenz zwischen seinen träumen und der realität nicht sieht, erinnert zunächst an J.d. salinger, entfernt sich dann weit davon und wird schließlich viel mehr als eine einwöchige odyssee durch das (ach so hippe) berlin. einige der besten Zeilen: Vorsichtig schob ich den Plastikvorhang beiseite. Ich nannte ihn „die zweite Haut“, denn das Teil klebte immer sofort an mir. // In einem Paralleluniversum, in dem Woody Allen Wimbledon gewann

und Hitchcock kleine Pornofilme drehte, wären mir bestimmt tausend Gesprächsthemen in den Sinn gekommen. In dieser Welt dagegen fiel mir ums Verrecken nichts ein. // Es waren Küchenmenschen, Leute, die sich auf jeder Party immer sofort in die Küche hockten, sich dort gemütlich einrichteten, den Kühlschrank leer fraßen und dabei ausschließlich darüber diskutierten, was in den anderen Zimmern geschah. // „Sex?“ wiederholte ich „ist das nicht eine Sache bei der zwei Menschen miteinander schlafen und ich am Ende immer gewinne und erster werde?“ // „Manchmal braucht man einfach ein bisschen Liebe, und dann erzwingt man sie bei der erstbesten Person, die einem über den Weg läuft, und das endet oft in einer Katastrophe. // Er würde nämlich irgendwas Sicheres studieren und sich dann irgendwann einen sicheren Job suchen, und den würde er dann die nächsten vierzig Jahre lang machen. Er brach mir das Herz. // Ich hatte eine unsichtbare Linie überschritten und stand nun auf der anderen Seite. Trotz der Nähe meiner Freunde war ich genauso einsam wie sonst. // Ich weiß, das alles ist nicht gerade leicht für dich, aber du musst dich jetzt von allem freischwimmen und dir nicht die Schuld daran geben. Es ist wie beim Schach, auch dort musst du zunächst an deinen eigenen Aufbau, an dein eigenes Spiel denken. // Eva duftete nach „Chanel Nr.5 – Orbit ohne Zucker“, ihrem persönlichem Parfum. // ...so traurig, dass an meiner Wange eine verdammte Träne runterlief. Ich leckte sie mit der Zunge weg. Salzig schmeckte es und ein bisschen bitter, und ich war überrascht, wie vertraut mir dieser Geschmack nach so kurzer Zeit geworden war. // Der Kerl war ja dumm wie die Nacht. // Miri war unordentlich, eine Anhängerin der Häufchenstrategie, überall lagen Berge von Klamotten, Platten, Büchern und alten Sneakers. Auch ihre Küche war unaufgeräumt. Ich fühlte mich sofort wohl. // Wir küssten uns inniger und heftiger und warfen uns heldenhaft gegen die Einsamkeit.... // Es war als hätten wir den ganzen Scheiß nicht mehr nötig. Ich wusste zwar nicht, was der Satz bedeutete, aber er klang gut. // Wenn du jetzt in diese Spannung hinein „ich liebe dich“ sagst, ist das wie eine vorzeitige Ejakulation auf Gefühlsebene. // Er hatte einfach diese abgefuckte Coolness, die man nicht spielen kann. Die nur erwirbt, wer schon unzählige Male bis zum Morgen in Clubs abgehangen und sich dabei immer

Hamburger Morgenpost

Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag

sen, was die angestaubte Poptheorie hergibt. von der vermeintlichen und vermuteten verwischung der Geschlechter, dem tragen und verwenden von symbolik aus Punk, Gothic- oder skaterkultur bis zum latenten schwulenhass und der ablehnung der anderen, sowie musiktheoretischer Herleitung eines sich über musik hinaus definierenden Phänomens. bei letzterem wird die arroganz deutlich, mit der hier die eigene Positionierung im Zitat- und referenzkosmos verfestigt werden soll. als ob die junge emo-teenager-Kultur, egal ob europa, amerika oder asien, tatsächlich auch nur irgendwas mit 80er Jahre diYHardcore aus Washington oder ‚emocore’ á la samiam zu tun hat oder haben möchte. doch irrsinnigerweise müssen Fugazi als vertreter dieser Kultur auch noch in einer Filmbesprechung zum 2007-Film „ex-drummer“ als vergleichende ursuppe herhalten. das wird dann ein bisschen absurd und man merkt dieser Filmkritik den realitätsverlust deutlich an. Wahrscheinlich geht es einfach nur um die angst, deutungshoheiten zu verlieren und die Welt nicht mehr so erklären zu können, dass die, die es schon immer gemacht haben, sich auch nach wie vor auf die schulter klopfen. so wird das nichts mit dem gesellschaftlichen Wandel zum Guten. (eb)

»Anthony McCarten ist der Mann für die außergewöhnlichen und mutigen Geschichten.«

Aus dem Englischen von Manfred Allié 336 Seiten, Leinen, € (D) 21.90 / sFr 38.90* / € (A) 22.60 ISBN 978-3-257-06730-9 * unverbindliche Preisempfehlung Auch als Hörbuch

Brauchen Sie ein neues Auto? Oder vielleicht ein neues Leben? Hier ist Ihre Chance: ein Ausdauerwettbewerb, bei dem ein glänzendes neues Auto zu gewinnen ist. Doch für zwei der vierzig Wettbewerbsteilnehmer in Anthony McCartens neuem Roman geht es nicht ums Gewinnen, sondern ums nackte Überleben …

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neue Wunden zugefügt hat. Tanzend und koksend und hart gegen sich selbst. Gustav hatte die Narben der Nacht. // Das Leben war nicht besonders einfallsreich. Es brachte immer den gleichen Trick, und trotzdem fiel jeder drauf rein. Wells kann schreiben, phantasieren und erzählen. Wer „becks letzter sommer“ mochte, bekommt hier noch mehr. (rl)

richistan – eine reise durch die welt der megareichen robert Frank (Fischerverlage)

robert Frank ist Korrespondent des Wall street Journal und gilt als spezialist für die Welt der superreichen, den sogenannten „richistani“, die bewohner

x – porno für frauen

Erika Lust (Heyne Hardcore)

Erika Lust wurde 1977 in Stockholm geboren, kam über das Theater zum Film (so die Kurz-Bio des Verlages) und lebt und arbeitet heute in Barcelona. Für ihre Filme, die sie mit ihrer Produktionsfirma Lust Films realisiert, bekam sie bereits mehrere Preise, unter anderem den Feminist Porn Award in Toronto. Jetzt hat sie ein vielleicht etwas zu

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von „richistan“. Wie man tatsächlich zum spezialisten für die Welt der superreichen avanciert, sei hier mal außen vor gelassen, soll es hier doch mehr um die erkenntnisse gehen, die der spezialist auf seinem spezialgebiet gewinnt. und, was für eine Überraschung, diese erkenntnisse sind alles andere als revolutionär: superreiche haben super viel Geld, haben super viele Probleme, die das Geld entweder generiert oder löst oder beides, haben super viele unglaubliche ideen, haben Zweifel und visionen. superreiche haben kein Gewissen. superreiche haben ein Gewissen. superreiche sind sozial engagiert. superreiche sind egomanen. superreiche sind, und schon wieder sind wir überrascht, auch nur menschen. „eines tages werden die reichen exzesse wie 150-meter-Yachten, 350.000-dollar-rolls-royces und Krokodilleder-toilettensitze im Flugzeug hinter sich lassen.

sie werden erkennen, dass ihr Geld kein Geschenk ist, sondern verantwortung bedeutet. dank kluger Wohltätigkeit (…), könnten die richistani endlich Carnegies hundert Jahre alten traum erfüllen, „die aussöhnung der reichen und armen – ein reich der Harmonie…“ das klingt zwar wie eine entschuldigung, aber die Hoffnung stirbt bekanntermaßen ja zuletzt. und das letzte Hemd hat… na ja. (eb)

sehr als Manifest gepriesenes Buch geschrieben, das Frauen den Zugang zur Pornographie, egal ob als Konsument, Produzent, Macher oder Kritiker, erleichtern soll. So gibt es in diesem Werk ein bisschen Vorurteil, ein wenig Einblick in die Lieblingspornofilme der Autorin, ein paar kleine und lustige Grafiken und Piktogramme bei denen man zuweilen Schwänze und Titten erkennen kann und den Versuch einer historischen Einbettung der eigenen Ansicht, der eigenen Motivation, der eigenen Lust. Letzteres macht das Buch schwierig, denn Intimitäten sind nun mal kein Allgemeingut. Doch lassen wir die Autorin selbst zu Wort kommen:

me sind einfach nur flach und langweilig, chauvinistisch und viel zu oft gewalttätig. Die Filme bedienen eine rein männliche Perspektive, da sie schlichtweg nur von Männern für Männer gemacht werden. Wir Frauen wollen Filme mit sexuellem Inhalt, die nach unserem Geschmack sind, für dieses Recht müssen wir uns einsetzen. Ich kämpfe dafür, dass die Frauen eine Stimme in der Pornoindustrie bekommen. Es ist wichtig, dass wir an dem Diskurs teilnehmen, egal ob wir es jetzt „Porno für Frauen“ oder „feministischen Porno“ nennen. Ich weiß ganz genau was Frauen mögen, meine Freundinnen und ich wir WOLLEN KEINE Machotypen, Mafiabosse, Waffen, Zuhälter, Luxusvillen, Silikon-Girls, Sportwagen oder Luxusstrände auf den Malediven. Wir brauchen dieses ganze Zeug nicht um angetörnt zu werden, wir wollen richtige Menschen in realen Situationen und wir wollen wissen, warum diese Menschen gerade Sex haben. Viele Männer wollen einfach nur Analsex, Blowjobs und Tittengeficke – einfach dreckigen und billigen Porno. Ich glaube, dass Frauen da einfach mehr Intimität und Psychologie wollen, mehr Sex anstatt Porno.

BLANK: So lange wir „Porno“ sagen, wird es schwer sein, dem Begriff neue Attribute hinzuzufügen, siehst du das genau so? Erika Lust: „Porno“ ist ein seltsames Wort, das von einer Aura von Schuld umgeben ist. Es wird von vornherein angenommen, dass Porno dreckig und abartig ist, so etwas wie eine niedere Kulturform. Auf der Welt gibt es so viele Abartigkeiten: Misshandlung, Drogen und Gewalt... Porno ist nicht mehr und nicht weniger als die unmittelbare Darstellung von Sex. Porno begleitet die Menschheit solange wir denken können, die Natur des Pornos hat nichts Boshaftes. Das Problem liegt in der heutigen Machart von Pornofilmen. Die Fil-

unser allerbestes Jahr

david Gilmour (Fischerverlage) der kanadische schriftsteller david Gilmour war langjähriger Chefredakteur des toronto international Film Festivals, das muss man wissen, um die in den Hauptplot eingearbeitete nebenlinie seines ersten romans zu verstehen. Jes-

BLANK: Geht es dir um Feminismus oder einfach darum einen guten Job zu machen und dich kreativ ausleben zu können?


se, davids sechzehnjähriger sohn, will die schule abbrechen. Was soll nur aus seiner Zukunft werden? unter der voraussetzung, mit ihm zusammen jede Woche etliche Filme, mit entsprechendem einführungsmonolog anzusehen, stimmt david dem abbruch der schulischen Karriere seines sohnes zu. Gelingt das vorhaben, Werte und Zwischenmenschliches über die mattscheibe zu vermitteln? einige der besten Zeilen: „Es geht um die Qualität der Sorgen und Ängste.“ // Und wieder konnte man sehen, wie seine Gliedmaßen ganz leicht wurden, ein Urlaub von dem Nebel aus Angst und Selbstkritik, zu dem er aber, wie von der Schwerkraft angezogen, später wieder zurückkehren sollte. // Es ist ein hinreißender Augenblick, so voller Energie, dass ich beim Zuschauen bis heute das Gefühl

EL: Wenn Frauen in ein Gebiet eindringen, das bis dato eine reine Männerdomäne war, dann steckt dahinter auch immer die Absicht Dinge zu verändern. Das schaffst du in der Regel nur mit Kreativität, Einfallsreichtum und Ehrgeiz – wenn wir in so einer Situation Schwäche zeigen, sind wir ganz schnell wieder draußen! BLANK: Porno findet nicht länger hinter verschlossenen Türen statt, sondern hat längst den öffentlichen Raum eingenommen. Welche Chancen siehst du in dieser Entwicklung? EL: Wir leben heute längst in einer pornofizierten Gesellschaft, ob wir das jetzt mögen oder nicht spielt keine Rolle. Porno ist überall, egal ob im Internet oder in den klassischen Massenmedien. Die Zeiten, wo Porno in den abgedunkelten Hinterzimmern stattfand, sind vorbei. Aus diesem Grund müssen wir Frauen an dieser Entwicklung teilhaben und mitwirken, damit wir so kritischer mit dem Phänomen umgehen können. Während der 60er und 70er, als sich die Frauenbewegung auf ihrem Höhepunkt befand, wurde das durch Fernsehen und Werbung manifestierte sexistische Weltbild kritisiert. Genau das muss heute mit Pornografie geschehen. Wir können das nicht einfach ignorieren mit der Entschuldigung, dass es sich hierbei nur um eine dumme Angewohnheit von Männern handelt und

habe, bei etwas unglaublich Wichtigem dicht dabei zu sein – ohne es endgültig besitzen zu können. // Ab einem gewissen Alter kann man nicht mehr viel für seine Kinder tun, aber man hat immer noch diesen Impuls – und kann nichts mehr damit anfangen. // „Dass man im Jetzt glücklicher ist als man denkt?“ // „Über eine Frau wegzukommen, ist ein Prozess, der seinem eigenen Zeitplan folgt, Jesse“. // Ich spürte Ärger in mir hochsteigen, der Ärger prickelte auf meiner Haut, fast wie Schweiß. // Ich tendiere dazu, dich nicht mehr zu lieben. // Ich musste auf den Augenblick warten, wenn er zufällig meinem Blick begegnete und ich die Geschichte wie an einem Haken aus ihm herausziehen konnte. // Alle Gedanken führen nach Rom. im Grunde konnte „unser allerbestes Jahr“ nur fehlschlagen, aber es funkti-

uns damit nicht weiter zu interessieren hat. Die männliche Vorstellung von weiblicher Sexualität hat ihren Ursprung größtenteils in der Pornografie, wodurch das Leben jeder Frau beeinflusst wird. Wir haben die Möglichkeit, an der Diskussion um Pornografie teilzunehmen und damit unglaublich viele Möglichkeiten, unsere eigene Sexualität zu beschreiben. Wir alle wissen, dass die meisten Männer da ziemlich schwer von Begriff sind – und welche bessere Chance gibt es, das endlich zu ändern? BLANK: Warum haben Frauen nicht das Bedürfnis, Porno nach ihrem Geschmack zu verändern, anstatt nur zu verteufeln? EL: Ich denke die meisten Frauen, die explizit gegen Porno sind, haben eine ziemlich beschränkte Sichtweise auf die weibliche Sexualität. Ich bin absolut der Meinung, dass wir Porno kritisieren müssen, sobald Frauen darin gedemütigt werden. In einer absolut männlich orientierten Pornoindustrie kommt das leider mehr als genug vor. In den letzten Jahren hat sich eine Gruppe von weiblichen Produzenten etabliert, die eben genau das zu verändern versuchen, indem sie zeigen, dass eine andere Art von Porno ohne Angst möglich ist. BLANK: Wer sind deine größten Kritiker, Frauen oder Männer? EL: Viele Männer in diesem Business ak-

oniert. Wissenswertes über unzählige Filmklassiker gepaart mit einer anrührenden vater-sohn-Geschichte. (rl)

feindbild moslem

Kay sokolowsky (rotbuch)

weltgeschichte der sklaverei egon Flaig (beck)

aufklärung ist wichtig. es kann nie genug davon geben. aufklärung kann Ängste nehmen, verdrängen und ersetzen. in seinem buch „Feindbild moslem“ unternimmt Kay sokolowsky genau diesen versuch und versucht Parallelen zwischen antisemitismus und antiislamismus aufzuzeigen, Feindbilder zu demontieren und erklärungen zu liefern: „Weil die radikalen muslime die Zivi-

zeptieren Frauen nicht. Sie haben Angst vor ihren Ideen und Forderungen und unterstellen einem, man würde die Zeit zurückdrehen wollen, indem man Porno nur für Frauen macht. Sie wollen, dass wir den gleichen Schrott konsumieren, weil sie behaupten, wir würden ihnen schließlich absolut gleichwertig sein wollen. Sie haben einfach Angst, dass ein weiblicher Porno beweisen wird, wie schrecklich machohaft ihre eigenen Produktionen sind. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass Sex mit Hunden und Pferden, schrumpligen Omis, Pisse, Scheiße und allen anderen Absonderlichkeiten akzeptiert wird, ganz einfach weil gesagt wird „die menschliche Sexualität ist vielfältig“. Hingegen grenzt die Idee, Porno für Frauen zu machen fast an Gotteslästerung. Wir sollen uns gefälligst mit den Filmen zufrieden geben, die sie machen. BLANK: Macht dich ein guter Porno scharf? EL: Ja, klar. Darum geht es schließlich bei einem guten Porno. In meinem Buch „Porno für Frauen“ habe ich eine Liste mit wirklich guten Pornos von den 70ern bis heute zusammengestellt, die ich persönlich gerne mag. Und ich sage den Frauen auch, wo sie die finden! (EB/AM)

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lisation zutiefst verachten, glaubt man, sie ihnen verwehren zu dürfen.“ dabei bezieht der Konkret-autor stellung und zeigt Haltung, wobei letztere keine neue ist, sondern genau diese politischkorrekte, die einem aktuell nicht weiterhilft, weil sie an den realen Problemen des miteinanders vorbeizielt. das macht das buch einseitig und nur zum teil aufklärerisch. anders verhält es sich mit der „Weltgeschichte der sklaverei“ des in linken Kreisen eher kritisch beäugten Historikers egon Flaig, der in diesem hochinteressanten buch die entstehung, Fortführung, Kommerzialisierung und letztendlich auch die niederschlagung der sklaverei beschreibt, wobei es hier nicht um moderne sklavenhaltung geht, sondern um die verklärte Geschichte der sklaverei zwischen der mitte des ersten Jahrtausends und der neuzeit. Flaig zeigt, dass man stets damit rechnen muss, das eigene Weltbild revidieren bzw. überarbeiten zu müssen, so beschreibt er den durchaus fruchtbaren boden, auf den die europäischen Kolonialisten stießen und die lange, auch islamische Geschichte der sklavenhaltung, die erst durch die abolitionisten-bewegung ab der mitte des 18. Jahrhunderts langsam auf ein ende zusteuerte. (eb)

empörung

Philip roth (Hanser verlag) Über Philip roth ist wohl bereits alles geschrieben worden. sein neuer roman „empörung“ ist durch und durch eine metapher, jedoch sollte das niemanden abschrecken, denn er ist großartig. der junge marcus messner ist ein guter Junge, ein ausgezeichneter student und noch dazu pflichtbewusst, bis ihn die äußeren umstände mehr und mehr empören. einige der besten Zeilen: Dann begann ich spontan, mit der Zungenspitze die Tinte der Unterschrift abzulecken, geduldig wie eine Katze an der Milchschale leckte und leckte ich, bis das O, das L, das I, das V, das zweite I und das A verschwunden waren - leckte, bis der letzte schwungvolle Federstrich aufgeleckt war. // Wie im Leben kenne ich nur, was ist, und im Tod stellt sich heraus, was ist, ist was war. // Ich war allein in einem Auto auf einer unbe-

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leuchteten Straße und bewegte meine Hand unter der Bluse eines Mädchens, dessen Zunge sich in meinem Mund bewegte, genau die Zunge, die allein da unten im Dunkel ihres Mundes lebte und jetzt das leichtfertigste aller Organe zu sein schien. // Am Anfang meines Erwachsenenlebens, bevor alles plötzlich so kompliziert wurde, besaß ich ein großes Talent darin, mit allem zufrieden zu sein. // Ich hatte sie verloren und nicht wie ich erkannte, weil ihre Eltern geschieden waren, sondern weil meine es nicht waren. // Das ist es, was Olivia versucht hatte, sie wollte sich nach koscheren Vorschriften umbringen, indem alles Blut aus ihrem Körper fließen sollte. // Arbeit – bestimmte Menschen lechzen nach Arbeit, nach irgendeiner Arbeit, so hart und unerquicklich sie auch sein mag, um die Härte aus ihrem Leben und die zermürbenden Gedanken aus ihrem Kopf zu vertreiben.

ständnis können da zuweilen schon richtig rebellische momente aufkommen: „und das war der moment, in dem ich mich geärgert habe, keine Kreide dabeizuhaben. denn genau jetzt „Homophobie angreifen“ auf die straße zu schreiben, wäre genau richtig gewesen. ich mach mich schließlich nur selbst kaputt, wenn ich solche erlebnisse in mich hineinfresse. deswegen gilt: „Wut zu Widerstand!“. leider, und das kann fast jeder nachvollziehen, der sich schon mal an Gleise kettete, eine örtliche antifaGruppe gründete oder sich ernsthaft vor schwächere stellte, ist Widerstand mehr als eine mode, die zum Zweck hat, das eigene ego zu füttern, um sich besser zu fühlen. leider nicht nur besser, sondern sogar besser als. und das war schon immer gefährlich.“ (Pb)

empörung ist ein gewaltiger roman über das Zwischenmenschliche, aber das sind Werke von roth ja nahezu immer. das buch ist tragisch, witzig, erotisch und lebensnah und ich bin dankbar, dass dieser große amerikanische schriftsteller jedes Jahr neuen lesestoff auf hohem niveau bietet. (rl)

Peter murphy (suhrkamp)

ich, John

radikal mutig – meine anleitung zum anderssein

der irische musikjournalist Peter murphy, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen britischen musiker, hat seinen debütroman geschrieben. als leser verfolgt man drei Jahre des John devine, der zwar in einem kleinen dorf namens Kilcody aufwächst, dem das leben jedoch alles auf den Weg zu geben scheint, was es für menschen bereithält. Zeilen voll melancholie, lakonie und Hoffnung.

Hanna Poddig wurde 1985 geboren, bezeichnet sich als „vollzeitaktivistin“ und ist, laut Klappentext, engagierte Globalisierungskritikerin, rüstungsund militarismusgegnerin. Jetzt hat das ehemalige mitglied der umweltorganisation robin Wood ein buch geschrieben, das, so formuliert es mal wieder der Klappentext, auf eine revolution im Kleinen abzielt. Poddig scheint also der Gut-mensch zu sein, der sich, im modernen verständnis von „links“, kritisch engagiert und den Widerstand anscheinend radikalisiert. doch vielmehr geht es hier um selbstgerechte Zurschaustellung und dem leben und erleben vom vermeintlichen Widerstand, der letztendlich auch nur als touristische variante verstanden werden sollte. im kleinen konfrontiert mit anders geartetem Geschlechterver-

einige der besten Zeilen: Du hast schon damals losgespritzt wie ein Gartenschlauch, wenn ich deine Windeln gewechselt hab. // S. 23 // Aber die alte Krähe antwortet nicht, sie fixiert mich nur mit unheilvoll gelben Augen , schlägt die Flügel gegen die Wände meines Traumes, bis sie einstürzen, und dann breitet sie ihre Schwingen aus, krächzt und ist verschwunden. // Fünfzehnjährige Jungs bestehen normalerweise aus wenig mehr als Ellbogen, großer Klappe und schlechter Laune, und ich war keine Ausnahme. // „Ich hoffe mal das Wetter wird nicht ganz so wie du angezogen bist“ // Eltern sind leicht zu täuschen. Alles, was man braucht sind Manieren. // „Mrs. D sie haben das richtige Vorbild.“, „Wie meinst du das?“, „Das war göttlich.“ // Ihr Gesicht sah aus, als könnte es jeden Moment in

Hanna Poddig (rotbuch)


vor allem die einbindung der träume des Protagonisten oder der hervorragenden Kurzgeschichten seines Kumpels machen das buch zu einem wirklichen Genuss. mehr von Peter murphy. (rl)

das leben der wünsche

thomas Glavinic (Hanser verlag) der österreichische, in Wien lebende, eng mit daniel Kehlmann befreundete schriftsteller thomas Glavinic hatte es mit seinem neuen roman auf die longlist des deutschen buchpreises geschafft. dort war er mit „das bin doch ich“ auch. beide male vollkommen zu recht. „das leben der Wünsche“ ist eine Geschichte über die unerbittlichkeit, sowie über die schicksalhaften Wendungen in der realität heutiger mittdreißiger. Zeilen gefüllt von sehnsucht, berührungen, Wünschen, Zielen und eben Zufällen. einige der besten Zeilen: In der warmen Jahreszeit summieren sich die vielen kurzen Blicke in hübsche Gesichter, auf nackte braune Schenkel, auf Bäuche und in Dekolletés, die sich im Laufe des Tages präsentiert hatten, meist zu einem Wunsch nach Entladung und Befreiung, sie kulminieren in der Lust auf einen friedlichen Orgasmus. //

Allmählich glaube ich, du bist gar nicht wirklich nett, du willst im Gegenteil die Menschen quälen, indem du sie durch wiederholte Zuwendung unter Druck setzt. // Jede Frau hatte eine klein wenig andere, eine besondere Art zu lieben, und Jonas war verrückt nach der von Marie. // Antworten auf die Fragen des Lebens, die ihn beschäftigten, hatte er immer schon in der Liebe gesucht. // Ihn erfüllte eine so schmerzhafte, wütende Sehnsucht nach ihr, dass er sich im Schlafzimmer einsperrte, um mit sich und seinem Bild von ihr allein zu sein. // Hinter seiner Stirn knackte es wie unter Wasser. // Wenn ich jemals an den Everest käme, weißt du, was ich sagen würde? Diesem Berg widme ich all meine Berge. // Mit aller Kraft versuchte er sich im Hier und Jetzt festzuhalten. // Machs gut, sagte er schnell zu Helen. Und schloss in sich die Tür. // S. 123 // Im Wein schwamm eine Mücke. Er fischte sie mit Hilfe der Serviette heraus. Sie lebte noch. Er freute sich. // Einen Zahn zu verlieren ist wie ein kleiner Tod. // Jonas hatte das Gefühl, an sich zu ertrinken. // Er konnte sich geradezu selbst noch spüren, das, was er beim letzten Mal von sich hiergelassen hatte, // Weltausschaltcode, sage Jonas. Was? Vielleicht gibt es ein Kürzel am Computer, das die ganze Welt ausschaltet.

Kölnische Rundschau

Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag

hundert Stücke zerspringen. // „Wenn man ein Kind bekommt, John, ändert sich etwas in einem. Man ist nie frei von Sorge, aber man ist auch nie einsam.“ // John, ich hatte einen Traum, einen total verspulten Traum, in dem ich in der Hölle war, und dann wachte ich auf und war in der Hölle und träumte. // Manchmal fühlte er sich wie der arme alte Gaul aus Farm der Tiere, wie hieß er gleich? Boxer. Noch härter arbeiten war Boxers Lösung für alles. // Siebzehn Jahre in diesem Haus, und er fühlte sich immer noch, als passte er nicht zur Einrichtung, als sei er ein kitschiges Erbstück oder ein mieses Bild, das von Zimmer zu Zimmer wanderte. // Ich hatte immer gedacht, dass Lehrer ihr Leben lang dasselbe taten, so wie Nonnen oder Sträflinge. // Ich mochte es, wie der Alkohol die Umrisse der Dinge verschwimmen ließ, die Sorgen dämpfte und die Welt in einen heiteren Ort voller Möglichkeiten verwandelte.

»Geschichten, so leicht und traurig wie das Leben selbst. Klug komponiert, mit viel hintergründiger Komik.«

thomas Glavinic ist ein sprachvirtuose. darüber hinaus entspinnt er wahnwitzige Geschichten, die dem leser auf wunderbar lakonische Weise den spiegel vorhalten. Wer „das bin doch ich“ nicht gelesen hat, sollte sich beide bücher zulegen. (rl)

metro 2034

dmitry Glukhovsky (Heyne) im Frühahr stellten wir dimitry Glukhovskys endzeit-epos „metro 2033“ vor, in dem die menschen nach konkreter misswirtschaft im tiefgelegen netz der moskauer metro Zuflucht gefunden haben. die Welt draußen ist unwirtlich, verstrahlt und voll von mutationen. die Welt drinnen bzw. unter der erde ein täglicher Kampf ums Überleben. Glukhovsky spinnt seine Geschichte weiter, ohne jedoch wesentlich an tempo zu verlieren. Für Fans von Fortsetzungen ein gefundenes Fressen. (Pb)

Aus dem Russischen von Sabine Grebing 544 Seiten, Leinen € (D) 22.90 / sFr 40.90* / € (A) 23.60 * unverbindliche Preisempfehlung

Der Milchmann in der Nacht ist dreifache Liebesgeschichte, schwarze Komödie, Krimi und politische Satire zugleich – ein Roman mit so vielen Pointen, Wendungen und Geschichten wie Sterne in der Milchstraße. Die Ukraine ist nicht das Land, wo Milch und Honig fließt – aber die Tinte großer Literatur!

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UM NICHTS

VORWEGZUNEHMEN,

ABER…

eine KoLUMne von roMan LiBBerTZ TeiL 5 Friedrich Ani

Bücher haben bei vielen meiner Freunde den ruf, langweilig und einschläfernd zu sein. Umständliche Sätze, endlose Beschreibungen anstatt fesselnder Geschichten. das muss verflucht noch mal nicht sein! ein Ansatzpunkt. durch den Bezug zum Autor oder die hintergründe, warum dieser oder jener roman geschrieben wurde, kann Verborgenes sichtbar und ein Buch zu mehr als einem Buch werden. Kinderleicht. Mir geht es jedenfalls so. hier ein weiterer Versuch, ein Buch für dich lebendig zu machen.

an einem lauen mittwochssommerabend traf ich den schriftsteller Friedrich ani, in dem von ihm gewählten münchner stadtcafé. seit seinem grandiosen buch „verzeihen“, das ich vor nicht allzu langer Zeit zum zweiten mal las, hatte ich den entschluss gefasst, um ein treffen zu bitten. mit „totsein verjährt nicht“, der realitätsnahen Geschichte über das verschwinden einer achtjährigen und der darauf folgenden scheinbar an den Haaren herbeigezogenen inhaftierung eines geistig zurückgebliebe-

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nen mannes wegen mordes, war es also soweit. dennoch muss ich gestehen, dass der Zeitpunkt nicht wirklich glücklich war, da das besagte buch erst gegen mittag in meinem Postkasten lag und ich in der verbleibenden Zeit nicht weiter als bis seite 168 gelangt war. Wie soll man über ein buch sprechen, dessen ende zu lesen einem über die gesamte dauer des Gespräches unter den nägeln brennen wird? ich hatte Glück, denn Friedrich ani besaß vollstes verständnis dafür, dass ich Polonius Fischer, der vom mönch zum Kommissar wurde und dem ani nun zum dritten mal leben eingehaucht hat, in meinen Gedanken nachhing. Kein Wunder, bezeichnet der autor auch sich selbst in seinen schreibphasen als von seinen Figuren besessen. nachdem ich zu beginn also reinen tisch gemacht hatte, wandte ich mich meinen vorbereiteten Fragen zu, wobei jedoch schnell klar wurde, dass wir sie nicht brauchen würden. ich hatte zum zweiten mal Glück, denn Friedrich ani sagt von sich selbst, dass er gerne schweigt, doch muss ich mir wohl soviel mühe gegeben haben, dass sich ein bis in die nacht andauerndes Gespräch entwickelte, in dem ich mich die ganze Zeit über dicht auf den Fersen des wohl besten deutschen Kriminalromanautors befand, aber vorab: Was wusste ich vor unserem treffen? – dass Herr ani den Kriminalroman als bestes Gewand für seine Geschichten ansieht. – dass Herr ani seine Figuren nicht findet,

sondern sie ihn, manchmal sogar gleichzeitig 12 auf einmal. – dass Herr ani laut Pressestimmen ebenfalls das Fach der lyrik und Jugendromane beherrscht. – dass Herr ani in Kochel am see geboren ist, heute das Großstadtleben bevorzugt und in münchen lebt. – dass Herr ani in 11 Jahren mehr als zwanzig bücher herausgebracht hat. – dass Herr ani mit seinem bekanntesten Protagonisten tabor süden, Hauptkommissar im vermissten-dezernat der münchner Kripo, durch dreizehn überaus erfolgreiche bücher, sowie zwei verfilmungen (gespielt von ulrich noethen) gewandert ist und ihn entgegen seiner damaligen ankündigung nach vier Jahren abstinenz mit einem neuen Fall zurückkehren lassen will. – dass Herr ani die bücher von Juan Carlos onetti überaus schätzt. – dass Herr ani auch drehbücher geschrieben hat. – dass Herr ani neben zahlreichen anderen auch den deutschen Krimipreis und den staatlichen Förderungspreis für literatur des bayerischen Kultusministeriums erhalten hat. – dass Herr ani schweren rotwein liebt. in unserem Gespräch erfuhr ich: Friedrich ani ist der seine eltern an körperlicher Größe überragende sohn einer schlesierin und eines arabers, die ihn lieber als arzt sehen würden, als „bei dieser sache, die er macht und die nicht einmal


komisch ist“. Jedes Jahr bereitet es ihm um die Weihnachtszeit großes vergnügen die trilogie des Paten in den dvd-spieler zu legen und er ist großer anhänger der amerikanischen sitcom „two and a Half men“. seine journalistische tätigkeit hat er aufgrund seiner leidenschaft, eigene Wirklichkeiten zu kreieren ad acta gelegt und auch seine internet-aktivitäten beschränken sich auf ein mindestmaß. trotzdem versucht er immer wieder, die überzogene auflistung seiner lyrikbände auf Wikipedia richtig zu stellen, was aber bis jetzt leider nicht von erfolg gekrönt wurde. nach wie vor bevorzugt er Printmedien, die sich wöchentlich in Hülle und Fülle in seiner Wohnung ansammeln. Kritiken steht er relativ gelassen gegenüber, zumal er sowieso nichts beeinflussen könne. Über eine gute rezension freut er sich ungeachtet dessen zehn, über eine schlechte ärgert er sich fünfzehn minuten. bis zum letzten Jahr war er ersatztorwart der literaturnationalmannschaft, aus der er, nach einer gewaltigen Zerrung, seinen rücktritt erklärte. er ist bescheiden, mag musik von bob dylan und vergleicht das tippen seiner Zeilen gerne mit dem Zupfen an den saiten einer akustikgitarre. auftragsbücher sind für ihn tabu, da er ohnehin schon zu viele ideen im Kopf habe. vor lesungen ist er, obwohl er dachte das würde sich über die Jahre legen, nach wie vor von lampenfieber geplagt. sein liebstes Fortbewegungsmittel ist das schiff, nicht nur wegen seiner Flugangst. all seine Figuren entstammen alleinig der Phantasie von Friedrich ani und Freunde wie bekannte müssen nie befürchten, jemals in einem seiner romane zu erscheinen. er schreibt bei geschlossener tür, ist aber der erste entwurf fertig gestellt, öffnen sich Fenster und türen wieder und es geht an die Korrekturen. „es gibt keine nötige stimmungslage für eins meiner bücher, man muss sich nur selbst aushalten können“, sagt Herr ani und lacht ansteckend. seine eigenen ergüsse zu lesen ist für ihn dennoch verwirrend. Für den schweden Per olov enquist hegt er große bewunderung. trotz seines Faibles für rotwein trinkt er dieses Jahr ausschließlich Weißwein, warum weiß er selbst nicht so genau und „totsein verjährt nicht“ ist sein dreiundzwanzigster Kriminalroman, dessen thema durch die einlösung eines länger zurückliegenden versprechens begünstigt wurde. einige der besten Zeilen: Die Stimme des Jungen klang heiser. Aber

es war eine Stimme, die Stimme eines anwesenden Menschen. // Eher sah Marcel aus wie ein Geist, der aus der Geisterbahn vertrieben worden war und nicht begriff, wieso. // Die Frau hat ein Hassgeschwür im Herzen. // Er hob die Hand, wandte sich um und schlurfte bei Rot über die Kreuzung, nach vorn gebeugt, die Hände in den Taschen, ein lederner Schatten im nebligen Dunkel. // Marcel wollte nur in ihrer Nähe sein, weil die Nähe der anderen ihm fremd blieb und er sich vorkam wie einer, der von ihnen nicht gemeint war, von ihren Worten, Gesten, Blicken. // Obwohl er seit vierzehn Jahren bei der Mordkommission arbeitete, kam er sich manchmal wie ein Gyrovage vor, wie einer jener umherziehenden Mönche auf der Suche nach dem einen Ort seiner Bestimmung. // Nach vorn gebeugt saß sie da, die Hände flach auf dem Tisch, beschwert von Ahnungen. // So vertrockneten und zerbröselten ihre Wünsche und Gedanken, und wenn sie es bemerkten, waren sie alt geworden. // An den Tischen in dem dunklen, durch Balustraden und Nischen unterteilten Lokal saßen vereinzelt oder zu zweit Gäste, die aussahen, als wären sie nach Verkündigung des allgemeinen Rauchverbots in Gaststätten im Schock erstarrt und versuchten nun herauszufinden, welchen Sinn der Alkohol und die Existenz an sich noch hatten. // Am liebsten wäre sie ausgestiegen und hätte Fischer all das ins Gesicht geschrieen, was sie ihm den ganzen Tag über nicht hatte sagen können. Dass sie nämlich aus Angst um ihn langsam durchdrehte, dass er ihr ununter-

brochen Angst einjagte, dass die Luft um ihn herum nur noch aus Angst bestand und dass jeder, der in seine Nähe kam, von dieser Angst um den Verstand gebracht wurde. „Scheiß dir nicht in die Hose“ schrie sie, als der Lkw-Fahrer hinter ihr wieder zu hupen anfing. // Deswegen hab ich so gezittert, weil die Angst so geflattert hat in mir, die Fledermausangst. // Immer dieselben Geschichten, dieselbe Egozentrik, dasselbe innere Gefängnis. nach unserem Gespräch: Hastig verschlang ich in tiefer nacht die restlichen 117 seiten des buchs, woraufhin sich bei mir ein Gefühl der seeligkeit einstellte, aber gleichzeitig ebenso ein Hunger nach Polonius Fischer, nach tabor süden, sämtlich nach mehr stoff von Herrn ani, auch wenn ich zu dem Genre, abgesehen von der „new York trilogie“, „verzeihen“, simon brenner und dem Film „Zodiac“ früher nie ernsthaft Zugang fand. Gestern erreichte mich dann noch folgende e-mail: lieber roman, bevor ich mich an die nordsee aufmache, wo ich jedes Jahr das weite schauen übe, winke ich dir nach unserem gestrigen treffen noch einmal aus Giesing. die Zigaretten, die ich von dir schnorren durfte, haben mir gut getan, ich inhaliere noch etwas nach. Jetzt pack ich mehrere simenons ein und hau ab, bevor mir der münchner Himmel auf den Kopf fällt. Herzlich: Fritz

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FASHION FOTOS PT. 2

PhoTograPhie MAnUel cortez STUDio YAB StUdio hair-MaKeUP eliF icoez, JUdith hASlinGer

nachdem uns der Fotograph Martin Bauendahl in der letzten ausgabe das eher hochpreisige Modesegment vor augen führte, ging es für diese ausgabe mit unserem Model kitty kat bzw. katharina Löwel, so wie die junge rapperin aus Berlin mit bürgerlichen namen heisst, eher „zurück auf die straße“, in szene gesetzt vom Berliner Fotografen Manuel cortez. Doch wer glaubt, bei kitty kat bedarf es eines Dompteurs, der sollte nachhilfe in katzenkunde nehmen oder sich einfach nur kittys im september veröffentlichtes Debut-album „Miyo!“ (Universal) anhören, ein rap-Gewitter der Post-aggro-Phase des deutschen hip hop mit Gastauftritten von cassandra steen und sido.

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gewinnspiele gutes leder für den herbst Der Herbst ist da und die Jacken werden aus dem Schrank geholt. Wer jedoch keine Jacke besitzt und sich deshalb den Arsch abfriert, oder wer sich mal so richtig als Biker fühlen will, obwohl er keine Harley in der Garage stehen hat, dem sei diese Verlosung ans Herz und kalte Niere gelegt. Wir verlosen nämlich jeweils eine Damen- und Herrenlederjacke, Größe S und M, von Firetrap. Also rein ins Internet und eine E-Mail mit dem Betreff „Lederjacke“ an verlosung@blankmagazin.de senden.

für sportliche und stilbewusste leser Der Turnschuh bzw. Sneaker bzw. Joggingschuh bzw. Skatertreter ist heutzutage zuweilen bereits Auto- oder Uhrenersatz, Ausdruck von Dynamik, Jugendhaftigkeit und Stilsicherheit (oder eben nicht). ASICS ist da seit jeher vorne mit dabei und wir geben euch die Möglichkeit, auch vorne mit dabei zu sein. ASICS ist ja bekanntlich die Abkürzung für „Anima Sana In Corpore Sano“. Wir möchten von euch andere Bedeutungen für das Firmenkürzel. Schreibt eine Mail mit eurem Vorschlag und dem Betreff „ASICS“ bis zum 11.11.2009 an verlosung@ blank-magazin.de. Die zwei besten Vorschläge prämiert die Redaktion mit je einem Paar neuer Treter. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

nachhaltig ohne nachteile armedangels sind Teil der „Social Fashion Revolution“ und machen seit 2006 in feinster Streetwaer, 100% organisch, 100% Fairtrade und 0% Kinderarbeit. Weger der großen Nachfrage für nachhaltig produzierte Kleidung und Accessoirs wurde 2009 armedangels und friends ins Leben gerufen, ein Web-Shop mit Produkten nicht nur der eigen Linie. Wer sich den Besuch im Web-Shop fürs erste aufheben möchte, schickt bis zum 10.12.2009 eine Mail mit dem Betreff „armedangels“ an verlosung@blank-magazin.de. Unter allen Einsendern verlosen wir 3 Longsleeves (s.Abb.).

GRUNDNAHRUNGS-

MITTEL

DELUXE naomi campbell trank vergangenes Jahr auf der londoner Fashion-Week bereits dieses Wasser aus dem südlichen norwegen. Klingt international. Klingt Jetset. Klingt gut.

Ist auch so. Bei Models scheint dieses Wasser sowieso gut anzukommen: kein Zucker. Kein Fett. Keine künstlichen Zusätze und nur natürliche Aromen. Und falls Bands noch einen guten Bandnamen oder auch Songtitel suchen, dann sei ihnen die Produktpalette von ganicwater erst recht ans Herz gelegt: Smooth Ginger, American Jasmine, Cranberry Pearl, Strawberry Slim, Orange Beach, Pomelo Wake Up, Crystal Melon, Caramel Toffee, Cinnamon Soul, Citric Lemongrass, Velvet Green Tea, Merry Cherry, Aloe Infusion, Spearmint Hint und Platinum Spring heißen die Kreationen. Wer ganicwater probieren möchte, der kann das u.a. bei Hautsache in Stuttgart, dem Colette Concept Store in Paris, bei Oh, its fresh und dem East Hotel in Hamburg, bei Feinkost Käfer in München, im Restaurante Klein in Barcelona, im Axel Hotel Berlin und im Roomers Hotel Frankfurt. Natürlich kann man sich das Aromawasser auch Wellness-Like nach Hause schicken lassen, über www.yourbar.de und natürlich bei www.ganicwater.com.

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DER SCHÖNSTE

MANN IM: BIZ IS BACK

MAX HERRE TexT Johannes Finke FoTograFie ceM GUenes

Mit seinem letzten album schaffte es der einstige Frontmann der stuttgarter hip-hop-Formation Freundeskreis vor vier Jahren an die spitze der charts und auch sein neues album „ein geschenkter Tag“ kletterte auf anhieb in die Top Ten. Was das an absoluten Verkaufszahlen bedeutet, ist dabei vielleicht nicht ganz so wichtig, wie der Umstand, dass für die anstehende Tour bereits Zusatzkonzerte anberaumt wurden. Für einen, der sein neues album in nur einer Woche mit Band im studio live eingespielt hat und sich vielleicht endgültig entfernt hat von Beats, samples und Loops, ist das Musik machen wahrscheinlich auch spannender als der Blick auf chartlisten.

N

achdem Herre zwei Jahre mit sich und Gitarre an neuen Songs geschrieben hatte, teils auch mit Unterstützung alter Bekannter wie Sekou Neblett oder Clueso, wurde „Ein geschenkter Tag“ im März diesen Jahres mit Roberto Di Gioia (Piano), Frank Kuruc (Gitarre), Christian Diener (Bass) und Earl Harvin (Schlagzeug) in nur einer Woche live im Studio in Berlin aufgenommen. Und so klingt es auch: warm und echt, verspielt, vorsichtig und zart federführend. Max Herre ist dem Hip-Hop entwachsen, ohne ihn zu verleugnen. So ist das mit Jugendkulturen, sie prägen, bleiben Teil und sind oftmals Grundlage für mehr. Im Falle von Max Herre ist das, ähnlich, nur anders geartet als beim Hamburger Kollegen Jan Delay, auf jeden Fall eine gewisse Stilsicherheit. Zu seinem neuen Album inszeniert er sich als Songwriter alter Schule in schwarz/weiss-Ästhetik, irgendwo zwischen Dylan, der bündischen Jugend, Rio Reiser und dem eigenen Verständnis von reduktiver, aber engagierter Lebensführung. Das wirkt vertraut und doch artifiziell und Herre erreicht damit eine gewisse Unnahbarkeit, die nur selten bröckelt, ein bisschen vielleicht, wenn er und seine Band auf der großen Studio-Bühne von TV Total ganz eng zusammenrücken. Da werden sie dann plötzlich deutlich, die Notwendigkeiten, die Ab- und Spielarten von Werbung, Eigenwerbung und Selbst-Bleiben. Da kommt keiner

mehr drum herum. Das ist die Zeit. Das sind die veränderten Vorzeichen. Wie soll sich da ein Songwriter noch ernsthaft politisch fühlen. Verständlich, dass der Rolling Stone nichts besseres zu tun hat, als dem Heft einen Live-Mitschnitt auf CD von Neu-Liebling Gisbert zu Knyphausen beizulegen, aufgenommen bei einem Konzert im elterlichen Weingut Baron Knyphausen. Mehr Revolution geht nicht. Da ändern auch neue Platten von den Goldenen Zitronen oder Ja, Panik! nicht viel. Man muss sich ganz schön viel einfallen lassen, um die aktuelle deutsche Musiklandschaft als aufbegehrerisch, politisch oder zumindest mal kritisch zu beschreiben.

Max Herre nimmt sich da bewusst aus. Ging es in den Anfangstagen deutschen Hip-Hops noch um aufklärerische Momente („Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“), geht es in Herres Liedern heute um Selbstverständnis des Künstlers, um Momentaufnahmen eines Lebens, um die Liebe, um das Weitermachen: „Du kommst raus, der Tag ist hell, blickst nach vorn, versuchst ihn scharf zu stellen“. Max Herre stellt sich suchend, ist aber trotzdem irgendwie und irgendwo schon angekommen. Er nimmt sich nicht zu ernst. Er macht Musik. Er singt. Und er wird weitermachen. Das kann man spüren. Max Herre ist jetzt ein Songwriter.

Max Herre stellt sich suchend, ist aber trotzdem irgendwie und irgendwo schon angekommen.

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DIE

ENTDECKUNG

DER LANGSAMKEIT TexT Teresa Mohr FoTograFie BeLLa LieBerBerG

Die kings of covenience sind nur eine Baustelle von vielen, auf denen erlend Øyle, die männliche Mary Poppins des indie-Pop, sein Potenzial ausreizt. auch das vierte album, das er mit seinem The Whitest Boy alive-kollegen eirik Glambek Bøe im oktober unters Volk mischt, ist ein Prachtstück geworden und wirft erneut die Frage auf: Wie macht der das eigentlich?

D

ie Kings of Convenience sind neben dem norwegerpullover vermutlich das erfolgreichste exportprodukt ihres Heimatlandes. Was vor allem daran liegen dürfte, dass ihre musik ein ähnlich wohlig-warmes Gefühl erzeugt wie der schafswollene Pullover, wenn man ihn überstreift und sich erstmal ans Kratzen gewöhnt hat. die Kings of Convenience kratzen nicht, sie umschmeicheln das Herz wie seide den Körper. und machen sich damit ein ganz einfaches Prinzip zu nutze – in einer Welt, die vor informationsüberfluss ständig unter strom steht, in der technisierung und Globalisierung das individuum längst überfordern und entwurzeln, machen sie einen schritt zurück: „es ist so, dass man in einer Welt, in der alles und jeder nach aufmerksamkeit schreit, in der dich ein angebot nach dem anderen lockt, anscheinend leise und dezent sein muss, um etwas besonderes zu sein.“, meint erlend Øyle. Quasi die Wiederentdeckung der langsamkeit. und ebenfalls eine Weiterführung des Prinzips „Quiet is the new loud“, nachdem sie bereits ihr erstes album benannt haben. Weshalb „declaration of dependence“ völlig ohne drums auskommt – die man im Übrigen keinesfalls vermisst, wenn erlend und eirik auf den Pfaden von Woodstock wandeln und dabei fast noch schöner klingen als die Herren simon & Garfunkel. doch neben der Qualität der musik, dem tiefen vertrauen der Protagonisten und das Wissen beider um gegenseitige abhängigkeit

voneinander (merke: albumtitel = botschaft!), die den erfolg des duos ausmachen, ist es ganz besonders die Präsenz von erlend Øyle. mit einer samtweichen stimme, die sich anhört, als wäre singen für Øyle das gleiche wie atmen – nämlich lebensnotwendig und dabei völlig frei von jeglicher anstrengung.

In einer Welt, in der alles und jeder nach Aufmerksamkeit schreit, in der dich ein Angebot nach dem anderen lockt, muss man anscheinend leise und dezent sein, um etwas Besonderes zu sein. und wenn man ihn dann so wohlig warm und weich singen hört und dazu auf der bühne sieht, verblasst alles um ihn herum. Wird unscharf und unwichtig, während erlend Øyle strahlt wie ein kleines Kind, das zum ersten mal ein musikinstrument in die Hand genommen hat und staunt, was damit alles möglich ist. Weil er, so wie die musik seiner band, absolute ruhe und reinheit ausstrahlt. ein seltenes Gut in Zeiten wie diesen. und deshalb so kostbar.

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VERSPIELT, VERPEILT:

JULIETTE LEWIS TexT Johannes Finke FoTograFie ceM GUenes

Juliette lewis hat eine neue platte gemacht. eigentlich schreibt sie aber schon an den Songs für eine neue. es kommen auch ein paar Filme mit ihr.

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n „Betty Anne Waters“ spielt sie eine kleine Rolle neben Hillary Swank. In „Whip It“, dem neuen Film von und mit Drew Barrymore spielt sie auch mit. Ebenfalls in „Sympathy For Delicious“, an der Seite von Orlando Bloom, und in „The Aster“, einer neuen Komödie mit Jennifer Aniston. Und dann hat sie noch Synchro für einen animierten Film namens „Metropia“ gemacht, weiß aber nicht mehr genau, ob es ein schwedischer war, und darauf angesprochen weiß sie auch nicht mehr darüber zu berichten. Eigentlich schade, so lassen Namen von Schauspielkollegen wie Vincent Gallo, Udo Kier und Stellan und Alexander Skarsgard, die ebenfalls ihre Stimmen für diesen Film hergaben, eigentlich ein ambitioniertes und spannendes Projekt vermuten. Doch heute geht es auch mehr um die Musik von Frau Juliette Lewis und ihrer neuen Band, den New Romantics. Das ist verständlicherweise alles etwas langweilig, bedenkt man, dass wir, laut Aussage der begleitenden PR-Frau, bereits das zehnte Interview an diesem Tag sind, es ist ganz sicher auch nicht befriedigend. Die Antworten, das Lächeln. Das hat zwar was, sorgt sogar für Assoziationen und sich aus der eigenen Sozialisation ergebende Sentimentalitäten und für zeitliche Winzigkeiten hat man sogar den Eindruck, tatsächlich eine Art von Interesse in ihren Augen aufblitzen zu sehen. Doch man kann sich auch täuschen. Juliette Lewis spielt ihre Rolle der abgefuckten Musikerin par exellence, vielleicht muss sie sich auch nicht besonders anstrengen um das Bild herbei zu

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bemühen, welches sie gerne von sich etabliert hätte. Doch wie Teresa Mohr in unserer letzten Ausgabe bereits über „Terra Incognita“, der aktuellen Platte von Juliette Lewis and The New Romantics, zu schreiben wusste: „Trotz des Mutes, des guten Vorhabens und einiger schön verspielt-verpeilter Songs klingt das Album

ab und an nach jemandem, der zu viel The Doors gehört und sich dazu ToolVideos reingezogen hat. Ein bisschen gewollt.“ Bleibt zu hoffen, dass Juliette Lewis demnächst wieder das einlöst, was man sich von ihr versprochen hatte: eine der begnadetsten Schauspielerinnen ihrer Generation zu sein.


VON EINER FRAU,

DIE AUSZOG, UM UNS DAS FÜRCHTEN ZU LEHREN.

TexT Teresa Mohr FoTograFie XL recorDinGs / BeGGars GroUP

so mancher hat sich auf das erscheinen von Peaches‘ neuem album in diesem sommer sehr gefreut. War ja auch schön. Die auseinandersetzung mit der künstlerin eher weniger. Denn Miss „Fuck The Pain away“ hat zwar jede Menge zu erzählen – doch wie, ist eine andere Frage.

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ür viele verkörpert musik etwas, das über den dingen steht. etwas Göttliches. vielleicht sind viele von diesen vielen auch deshalb versucht, die interpreten dieser oder jener musik auf einem unsichtbaren thron aus Zucker und Gold zu platzieren. und auch ich bin nicht davor gefeit. vielleicht sitzt Peaches nicht auf einem thron aus Zuckerzeug und glänzendem edelmetall, aber zumindest schaue ich zu ihr auf. Halte sie für eine Galionsfigur in sachen Feminismus und auflösung festgefahrener Geschlechterrollen. aber, wie sagt man so schön und abgeschmackt: irren ist menschlich. und wie. merill nisker, wie die erfinderin des electroclash mit bürgerlichem namen heißt, hat in den letzten zehn Jahren eine ziemlich starke Performance hingelegt, wenn es darum geht, den mann aus der Frau herausbrechen zu lassen und frei schnauze übers Ficken zu sprechen. dem Grund dafür möchte ich in einem Gespräch nachgehen. nachdem sie in der letzten nacht aus Japan in ihre Wahlheimat berlin zurückgekehrt ist, hat sie nur noch Zeit für ein last-minute-telefoninterview. schade, habe ich mir doch ein, wie

mir gesagt wird, mutiges thema für das Gespräch mit der Kanadierin zurechtgelegt. Heute soll nicht ihr neues album „i Feel Cream“ im Zentrum der aufmerksamkeit stehen, sondern die Person hinter dem auf der bühne den dildo wie ein schlachtschwert schwingendem, sein androgynes auftreten zelebrierendem Weibsbild named Peaches. doch schon die erste Frage zum thema stoffwechselendprodukte und deren thematisierung in der Öffentlichkeit stößt auf – formulieren wir es schmeichelhaft – ablehnung. der Jetlag scheint Peaches die Grundlagen des menschlichen miteinanders vergessen zu lassen. sie wüsste gar nicht, was ich da reden würde, sagt sie. und verschreckt mich. Wer hätte gedacht, dass eine Frau, die sonst scheinbar über den dingen steht, sich von solch einer harmlosen Frage so auf die Palme bringen lässt? ungeachtet dessen frage ich todesmutig nach dem Grund für die tatsache, dass das Gender-thema ihr gesamtes kreatives schaffen beherrscht und erfahre tatsächlich, dass eine transsexuelle sandkastenfreundin und deren damit einhergehende leidensgeschichte merill schwer beeinflusste. Wird aus dem interview doch noch etwas?

ein paar minuten später dann die entscheidende Frage nach dem ich hinter der Kunstfigur Peaches und die fast schon vorhersehbare antwort: „that’s nobody’s business.“ na gut. also nicht. so tough, wie das image der mittlerweile nicht mehr ganz so jungen dame auch sein mag – sie ist es nicht.

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LET

THEM BE

KIDS! inTervieW eriK BrAndt-höGe FoTograFie GUY aroch

in einem alten Kaminzimmer in Berlin-Mitte sitzen zwei Arctic Monkeys, um über das neue Album ihrer Band zu sprechen: Matt helders (Schlagzeug) und nick o’Malley (Bass). Mit ihren dr. dre-t-Shirts fallen sie ein bisschen aus dem extra für sie gewählten interview-terrain. Wie passend. denn eines wollen diese Jungs noch nicht sein – erwachsen. ein Gespräch über das andauernde Großinteresse an den Sheffielder Kids von nebenan, über ihr popstar-dasein und die gleichbleibenden themen ihrer Songs: partys und Mädchen. BLAnK: Als die Libertines vor einigen Jahren groß wurden, gründeten sich viele Bands in England, die ihnen folgen wollten. Man sprach von einer neuen UK-Indierock-Szene. Würdet ihr heute noch von einer solchen sprechen wollen – und euch dazu zählen? MATT HELDERS: Es gibt momentan zu viele Bands – das meine ich nicht negativ – um von einer Szene sprechen zu können. Dafür sind sie auch alle zu unterschiedlich, es entsteht ja geradezu täglich ein neues musikalisches Genre. Damals war es natürlich ein großes Ding für britische Gitarrenmusik, als die Libertines es nach oben schafften. Und definitiv haben viele Bands von ihnen profitiert. Wenn man in ein paar Jahren zurückblickt, wird man sicher sagen können, dass diese Zeit sehr bereichernd war. BLAnK: Ihr habt euch schnell absetzen können. Habt ihr euch bei all dem Erfolg manchmal genauso besonders gefühlt, wie viele euch beschrieben haben? HELDERS: Es ist nicht einfach, das zu akzeptieren, was andere über dich denken. Wir haben nie gedacht: „Oh, stimmt, wir sind schon ziemlich gut!“ Wir waren immer selbstbewusst und glaubten an das, was wir machten. Aber wir würden nie die Meinung anderer nachsprechen. BLAnK: Mit etwas Fantasie konnte man in die Sprache eures letzten Albums „Favouri-

te Worst Nightmare“ eine Geschichte vom Leben als Popstar hineininterpretieren – allein der Titel hat viel vermuten lassen. HELDERS: Man hätte annehmen können, dass wir uns in den Songs mit dem befassen, was mit uns zu dem Zeitpunkt gerade passierte. Das haben wir natürlich nicht bewusst so gemacht. Auf dem ersten Album ging’s ganz generell darum, was wir und unsere Freunde so machten. Dann haben sich die Umstände zwar geändert, und doch haben wir immer noch über Partys gesungen, auf die wir so oder so gegangen wären. BLAnK: Welche textlichen Themen durchziehen das dritte Album „Humbug“? HELDERS: Das ist schwer zu sagen, weil das Schreiben der Lyrics eine sehr persönliche Sache für Alex ist. Oftmals wird man in den Texten auch andere Themen finden als die, die Alex gewählt hat. Wir wollten nicht experimentell wirken, aber mit dem dritten Album können wir uns schon leisten, lyrisch etwas weniger eindeutig zu sein und ein bisschen mehr auf die Fantasie der Hörer zu setzen. Wir wollen nicht jedes Puzzleteil sofort erkennbar machen. BLAnK: Eindeutig ist, dass es in vielen Songs wieder um Mädchen geht. Allerdings scheinen es jetzt andere Mädchen zu sein, als die in früheren Titeln. Damals waren es Schönheiten, die man im kleinen

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Toll wäre, wenn wir in die Geschichte britischer Popmusik eingehen würden. Sheffielder Pub um die Ecke trifft – und heute sind es glamouröse Szene-Girls? HELDERS: Die Mädchen in unseren Songs sind immer glamourös! Aber es geht auch jetzt nicht um irgendwelche Berühmtheiten. BLAnK: Als euer letztes Album 2007 erschien, sagte Nick: „Wenn möglich, würde ich für immer jung bleiben.“ Und Alex wollte die Songs nicht klingen lassen, „als wären wir erwachsen geworden.“ Hat sich diese Einstellung verändert – wollt ihr mit diesem Album älter wirken? nICK O’MALLEy: Wir waren damals einfach noch zu jung, da sagt man so was. HELDERS: Wir wollten allerdings auch nicht, dass sich das dritte Album nun erwachsen anhört. Insgesamt haben wir 20 Songs aufgenommen, einige davon sind schon älter und passten jetzt nicht mehr so richtig in den Kontext des Albums. Trotzdem wollten wir immer noch ein Party-Album machen, das können wir

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uns in unserem Alter ja auch leisten. BLAnK: Ihr habt immer betont, euch nicht auf das Schreiben von Hits zu konzentrieren. Auch diesmal nicht? HELDERS: Nein, ich denke nicht. Klar waren wir schon immer daran interessiert, populäre Musik zu entwerfen – aber auf interessante Art und Weise. Wir wollten nie einen simplen Strophe-Refrain-Hit aufnehmen. O’MALLEy: Wenn wir uns nur bemühen würden, einen catchy Chorus zu schreiben, gingen wir uns damit selbst irgendwann auf den Wecker. Wir wollen ja keine McDonald’s-Jingles machen. HELDERS: Man denkt schon darüber nach, was die Leute gerne hören würden. Aber wir wollen nicht um jeden Preis einen Festival-Song schreiben. Das machen ja viele, es gibt dafür eine ganze Industrie – zu der wir nicht gehören. Wir wollen einfach nur gutes Songwriting präsentieren. Umso besser, wenn das gut ankommt.

BLAnK: Aufgenommen habt ihr jetzt in New York und Los Angeles. Habt ihr es genossen, das neue Album weit weg von England und der dortigen Hype-Presse entstehen zu lassen? HELDERS: Ich glaube, es wäre auch nicht schlecht gewesen, wenn wir das in England gemacht hätten. In Amerika hatten wir einfach die Möglichkeit, spezielle Studios zu benutzen, und mit Josh Homme einen großartigen Produzenten. In New York haben wir mit James Ford gearbeitet. Es war schon gut, mal alles hinter sich zu lassen, mal wieder ein bisschen zu reisen und zu gucken, ob uns diese Orte inspirieren können. Aber während der Aufnahmen waren wir ja gar nicht so präsent in den Medien, wie damals, als wir das Debütalbum aufgenommen haben. Wir wollten auch nicht vor irgendetwas flüchten. BLAnK: Als ihr noch Internet-Berühmtheiten ohne Plattenvertrag wart, habt ihr mehrere


Coverstorys großer Magazine abgelehnt. Dann habt ihr irgendwann nachgegeben und wurdet zu Stars aller Hefte. Ist euch das schnell zu viel geworden? HELDERS: Stimmt, am Anfang haben wir vieles noch vermeiden können. Es gibt einige Bands, die zu einer „NME“Coverstory sofort „ja“ sagen würden. Wir aber wollten nicht unbedingt unsere Gesichter in Magazinen sehen und berühmt werden. Aber letztlich kann man nichts dagegen tun. Sobald jemand ein Foto von uns hat, kann er es veröffentlichen. Wir versuchen, so gut es geht mit den Medien zu kooperieren. BLAnK: Was war das Beste, was ihr bislang als Band gemacht habt – und was war der größte Fehler? HELDERS: An Fehler kann ich mich gar nicht erinnern. Wenn, dann waren es ganz kleine, zum Beispiel, dass wir vielleicht nicht in eine bestimmte TVShow hätten gehen sollen. Aber es gab nichts, was uns im Nachhinein drastisch geschadet hat. Generell sollte man immer das tun, was sich richtig anfühlt. BLAnK: Was ist das Beste am PopstarDasein im UK? HELDERS: Toll wäre, wenn wir in die Geschichte britischer Popmusik eingehen würden. Wenn sich die Leute später an uns erinnern würden. BLAnK: Muss man daran glauben, die Besten zu sein, um als Band langlebigen Erfolg zu haben? HELDERS: In Großbritannien ist das anders. Gerade wo wir herkommen, würde man nicht sagen: „Wir sind die Besten der Welt!“ O’MALLEy: Und natürlich sind wir auch nicht die beste Band der Welt. BLAnK: Wer ist denn die momentan beste britische Band? HELDERS: Es gibt Bands, die wir alle gerne mögen: The Horrors, Klaxons, Mystery Jets. O’MALLEy: Aber es ist zu schwierig, sich eine davon als beste britische Band herauszupicken. Dazu sind sie auch alle zu verschieden. HELDERS: Auch wenn man auf andere Jahrzehnte zurückblickt, könnte man nicht sagen, wer die Besten waren. Das kommt immer auf die Stimmung an, wen man gerade am besten findet.

BRITNEY, KELLY,

PIXIE LOTT TexT peter BlAnK FoTograFie cASio

die junge Sängerin hat an diesem tag viel vor. Von london geht es mit einer eigens für Sie gebrandeten Maschine nach Berlin zu einem halbstündigen Showcase zur Veröffentlichung ihrer ersten lp „turn it Up“, danach zurück nach london für ein weiteres Konzert. Man muss das eisen schmieden solange es heiß ist.

I

m Bauch des Fliegers nicht nur die aufstrebende Künstlerin, ihre Band, Entourage und ein paar Pressevertreter, sondern auch eine kleine Menge britischer Pixie-Fans, zumeist leicht bekleidet, kurze Röckchen, Schuhe mit Absatz – man kennt diesen Stil ja aus England. Dazu kommen in Berlin noch ein paar Vertreter der Presse, der Plattenfirma und der Sponsoren hinzu und es gibt den ersten Auftritt von Pixie Lott auf deutschem Boden. In Großbritannien sprang Ihre Debut-Single „Mamma Do“ auf Platz Eins der Charts. Nicht zu unrecht. Ein druckvoller Mid-Tempo Song, ganz im Stile der grassierenden Retrowelle um Winehouse und Duffy, doch poppiger,

verspielter, weniger ernst, mehr Mädchen. Ihre Stimme hat Größe und was Eigenes, sie sieht gut aus und hat hinter sich sicher Leute, die wissen, wie man eine Künstlerin mit soviel Potential behutsam aufbaut. Beim Londoner Konzert an diesem Abend gibt sie trotz des langen und sicherlich anstrengenden Tages noch einmal alles, spielt weitere Songs aus ihrem Album, covert mit ihrer Band dann noch die Black Eyed Peas und die Kings Of Leon und gegen Ende sogar „In My Life“ von den Beatles. Das alles ohne im Geringsten auch nur Ansatzweise peinlich, überfordert oder bemüht zu klingen und zu wirken. Sowieso, eine Tankkanone ist die junge Dame noch nicht. Manchmal hat man das Gefühl, sie ist fast ein bisschen tapsig, wie sie mit silber-glitzernden Kleidchen und flachen Schuhen von einem Rand der Bühne zum anderen springt. Ihren ersten Hit „Mamma Do“ spielt sie zum guten Schluß, voller Inbrunst und Würde, wie eine Warnung: Seht her, es gibt sie, die Britneys und Kellys und Pixies, und sie sind gut, sonst wären sie nicht hier. Gut aussehen ist das Eine. Musikverständnis, eine Stimme, Wille und Talent sind das Andere. Pixie scheint beides zu haben. Popmusik hat viele Seiten, viele Gesichter. VERLOSUNG Gemeinsam mit Casio, die Pixie Lott unterstützen, verlosen wir eine Baby-G „Black Couture“ MSG-300C-1BER, genau die Uhr, die auch Pixie Lott am Handgelenk trägt. Schreibt bis zum 10.12. eine Mail mit dem Betreff „Pixie“ an verlosung@blank-magazin.de. Entschieden wird im Losverfahren. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

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VON SINGENDEN

THERAPEUTEN UND SELTSAMEN

VÖGELN TexT Teresa Mohr FoTograFie TiM GaYLorD

Der songwriter William Fitzsimmons ist auch seelenklempner. seinem neuen album „The sparrow and The crow“ hört man das deutlich an, denn auf diesem widmet er sich der analyse des niederganges seiner ehe. so präzise und ehrlich, dass einem beim hören wahlweise die schamesröte ins Gesicht steigt oder Tränen in die augen schießen. Doch genau so muss es sein. Und Fitzsimmons, der alte schlaumeier, weiß eines ganz genau: die hoffnung stirbt zuletzt. BLANK: Die erste Zeile in deiner Biographie lautet „William Fitzsimmons ist eine der seltsamsten Personen, die du jemals treffen wirst.“ Wieso? WILLIAM FITzSIMMOnS: Ich fühle mich anderen gegenüber immer so, als wäre ich ein komischer Kauz. Die einzigen, die mich an Seltsamkeit noch übertreffen, sind die Patienten, mit denen ich arbeite. BLAnK: Apropos Patienten – wann wusstest du, dass du Psychotherapeut werden möchtest? WF: Das liegt wohl an meiner Kindheit. Meine Familie hat harte Zeiten durchgemacht, so wie es viele Familien tun. Und ich mochte die Vorstellung, solche Dinge wieder in Ordnung zu bringen. An der Uni war Psychologie eine meiner ersten Vorlesungen, und ich habe mich vollkommen in dieses Thema verliebt. Es hat einfach etwas, den Kopf jemand anderes zu erforschen. Aber im Grunde genommen ging es mir wahrscheinlich nur darum, mich selbst zu therapieren. BLAnK: Was man ja grundsätzlich allen nachsagt, die Therapeuten sind. WF: Ja, nicht ohne Grund. Aber das ist ja okay, weil sie schon mal realisiert haben, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Die Menschen, vor denen man Angst haben sollte, sind diejenigen, denen nicht bewusst ist, dass sie Probleme haben. BLAnK: Hast du jemals Musik für therapeutische Zwecke eingesetzt?

WF: Ja, jeden Tag. Um mich zu therapieren, bei Patienten nicht. Aber auch durch meine Musik lasse ich den Leuten, die sie hören, so etwas wie eine musikalische Therapie zukommen. BLAnK: Du bist dabei sehr, sehr ehrlich, was deine Gefühle anbelangt. Ist es nicht ganz schön heftig, solch intime Gedanken einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen? WF: Das wäre es gewesen, bevor ich als Therapeut gearbeitet habe. Aber ich finde das wichtig und bin auch in gewisser Weise stolz darauf, dass ich das kann, meine Gefühle so offen teilen. Wenn man jahrelang mit Menschen gearbeitet hat,

erfahren hat, ist es keine große Sache, ein Album zu schreiben, in dem, wie bei mir, die Scheidung thematisiert wird. BLAnK: Das Album heißt „The Sparrow And The Crow“. Wer besetzt im Konflikt welche Position? WF: Ich habe mich mit der Symbolik dieser Vögel beschäftigt. Der Spatz ist das liebende, ehrliche, zugewandte Individuum und die Krähe ist die teuflische, dunkle, böse Person. Ich kann dir nicht genau sagen, wer die Krähe ist… aber ich denke, es ist ein Mann mit Rauschebart. Es gehören immer zwei zu einer Beziehung, aber in diesem Fall habe ich es versaut.

Ich kann dir nicht genau sagen, wer die Krähe ist, aber ich denke, es ist ein Mann mit Rauschebart. die vor einem sitzen, und Dinge sagen wie „Das Einzige, was ich jetzt möchte, ist, mir das Leben zu nehmen.“, dann ändert das die Perspektive auf Ehrlichkeit und Offenheit im Umgang mit Gefühlen. Zu erfahren, dass Menschen sich von allem entledigen, was in ihnen ist – und es ihnen, wenn alles gut läuft, im Nachhinein besser geht. Wenn man so etwas

BLAnK: Trotzdem gelingt es dir auch in deinen Songs, immer Hoffnung mitschwingen zu lassen. WF: Nicht jeder hört das auf der Platte. Aber es ist so. Ich hatte keine Wahl, ich musste mich an die Hoffnung klammern. In dieser Situation ging es mir sehr schlecht, aber da muss man durch, um wieder bei null anfangen zu können. Das ist Karma.

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AMBITIONIERTER

ACT

inTervieW eriK BrAndt-höGe FoTograFie Warner MUsic GerManY

in Amerika sind sie längst rockstars, füllen die großen hallen und treten beim late-night-Giganten david letterman auf: die Silversun pickups aus los Angeles. Auch in europa treffen ihre kräftigen Gitarrennummern den nerv des publikums. im Sommer zählten die Siversun pickups zu den highlights großer Festivals wie „hurricane“ und „Southside“. im herbst treten die Kalifornier als viel verprechender teilnehmer bei der Jägermeister rock:liga an. Vor der tour hat Schlagzeuger christopher Guanlao im BlAnK-interVieW erzählt, was die Musik seiner Band besonders beeinflusst, wie es zu hause in l.A. derzeit um Gitarrenrock bestellt ist und warum er und seine Mitspieler sich auf die anstehende tour durch deutschland freuen. BLAnK: Christopher, wie kommt es, dass eine Band, deren Mitglieder ihre Lieblingsgruppen im UK ansiedeln, so sehr nach Seattle-Grunge und sogar den Smashing Pumpkins klingt? CHRISTOpHER GUAnLAO: Ende der 80er beeinflussten die Pixies sehr viele UK-Bands. Dann wiederum beeinflussten viele UK-Bands wie The Jesus And Mary Chain viele US-Bands. Ich denke, Amerika und Großbritannien werden immer einen gegenseitigen Respekt für ihre jeweilige Musik haben. The Beatles/Beach Boys, My

hat immer noch eine Glam-Metal- sowie eine Techno und Goth-Szene. Am östlichen Ende von L.A., in Vierteln wie Silverlake und Echo Park, ist Indie-Rock präsenter, mit einer eher linken Szene. Dort sind wir groß geworden und hatten viele Bands um uns herum, die sich gegenseitig unterstützt haben – auch wenn sich ihre Herkünfte und Ansichten unterschieden. BLAnK: Euer Sänger und Gitarrist Brian sagt über euer aktuelles Album „Swoon”, es würde „wie ein Nervenzu-

Das Album so entschlossen zu produzieren, bedeutete, eine Serie von kleinen Nervenzusammenbrüchen in Kauf zu nehmen. Und die spiegelt das Album auch wieder. Bloody Valentine/Sonic Youth – die sind alle sehr verschieden, aber in manchen Punkten ähneln sie sich schon. BLAnK: Ihr lebt nach wie vor in Los Angeles. L.A.-Bands stehen nicht gerade für typisch amerikanischen Indie-Rock. Gibt es trotzdem eine Szene in der Stadt, der ihr angehört? CG: L.A. ist riesig. In dieser Stadt wirst du jede nur denkbare Szene finden, solange du weißt, wo du suchen musst. Hollywood

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sammenbruch klingen“. Was hat euch beim Songwriting inspiriert? CG: Wir waren gerade von einer fast zwei Jahre langen Tour zurückgekommen und mussten erstmal wieder lernen, wie man zu Hause lebt. Auch wie man sein Sozialleben mit Freunden und Familie führt. Was die Musik anging, haben wir uns nur ein paar Wochen Pause gegönnt, um danach schon mit dem Schreiben neuer Songs und den Arbeiten an einem neuen Album zu beginnen. Das war gut, denn

wir waren gerade auf einem musikalisch sehr hohen Niveau – aber es führte auch zu Angst- und Stresszuständen, weil wir es zeitig fertig bekommen wollten. Das Album so entschlossen zu produzieren bedeutete, eine Serie von kleinen Nervenzusammenbrüchen in Kauf zu nehmen. Und die spiegelt das Album auch wieder. BLAnK: Könnt ihr euch denn jeder Zeit hinsetzen, um einen Song zu schreiben – oder braucht ihr dazu eine bestimmte Gefühlslage, eine Art Bewusstlosigkeit gar, wie sie viele Künstler suchen? CG: Wir waren schon ziemlich klar, als wir das Album geschrieben und später aufgenommen haben. Darin sind wir geradezu routiniert. Disziplin hat auch eine große Rolle gespielt. An fünf Tagen die Woche haben wir jeweils fünf bis acht Stunden dran gesessen. Und wenn es mal nicht so rund lief, waren wir uns sicher, dass der nächste Tag besser werden würde. Diese Zuversicht hatten wir. BLAnK: Im November tourt ihr mit der Jägermeister Rock:Liga durch Deutschland. Was reizt euch an diesem Bandcontest besonders? CG: Wir fanden es schon immer spannend, in Deutschland aufzutreten. Wir haben unseren Reisen nach Deutschland immer sehr genossen. Außerdem freuen wir uns wirklich sehr, mit Amusement Parks On Fire und The Films zu spielen. Die finden wir beide großartig.


gewinnspiel BLAnK: Würdet ihr euch als sehr ambitioniert beschreiben, wenn es um den Erfolg der Band geht – und wollt ihr die Jägermeister Rock:Liga auch gewinnen? CG: Na klar. Wir wollen mit der Band so weit kommen wie nur möglich, und werden immer unser Bestes geben. Sollte es morgen vorbei sein, könnten wir zwar nichts dagegen tun, aber immerhin behaupten, alles versucht zu haben. Wir wollen mit unserer Musik noch so viel sagen und erreichen. Ich glaube nicht, dass wir uns jemals mit dem zufrieden geben werden, was wir haben. Wir werden es immer noch einen Tick besser machen wollen und auch können. Wenn man das als ambitioniert bezeichnen würde, sind wir es natürlich. Alle Termine der Jägermeister Rock:Liga findet ihr bei unseren Terminempfehlungen.

für höchste ansprüche Damit der geneigte Zuhörer und Fan auch Zuhause in Konzertlautstärke seiner Lust nachgehen kann, verlosen wir gemeinsam mit Jägermeister einmal den neuen IE8 von Sennheiser, einem Kopfhörer, der, geht es um HiFi-Stereosound, mit Sicherheit in der Championsleague spielt. Passt mit 3,5mm-Klinke in alle Geräte, egal ob IPod, MP3-Player oder Handy, ist robust und schirmt die nervigen Aussengeräusche wunderbar ab. Einfach bis zum 16.11.2009 eine Mail mit dem Betreff „Kopfhörer“ an verlosung@blank-magazin.de schicken. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Bestechung ebenso.

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rophe bestechen durch eine angenehme mischung aus singsang, atarisounds, Froschquaken, swingigem Klaviergeklimper und hymnenhaften melodien. sie pegeln sich zwischen den Kollegen von the tings tings, röyksopp und Crystal Castles ein. auffällig und bisweilen fast erschreckend ist auch die gesangliche Ähnlichkeit von Fräulein Højlund zu björks stimmbandverrenkungen. man befindet sich in bester Gesellschaft und grätscht elegant zwischen Pop und experimentalmusik. Klingt nach dem Gegenteil einer Katastrophe. (tm)

immer da wo du bist bin ich nie Element Of Crime (Universal)

power

boys noize vÖ: bereits erschienen (boysnoize records)

the more

marybell Katastrophe vÖ: bereits erschienen (Ponyrec) manch einer mag stöhnen, weil die nächste Formation aus skandinavien beweist, dass die lieben Fjordbewohner nicht nur ein ausgezeichnetes Gespür für mode besitzen, sondern ebenfalls überdurchschnittlich begabt sind, wenn es darum geht, catchy melodies zu produzieren. auch marybell Katastrophy aus dänemark belegen das und servieren mit ihrem ersten album „the more“ ein stück vom saftigen skandinavischen Kuchen, gebacken aus durchtanzten indierock-nächten und bestreut mit bunten elektro-Perlen. das rezept von sängerin marie Højlund und soundtüftler emil thomsen geht auf. marybell Katast-

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nu rave’s still not dead. auch wenn neonfarben und wilder mustermix langsam aus der mode geraten, diese musikrichtung tut es nicht. eher erfreut sich der bastard aus techno mit allem, was sonst noch reinhaut, einer immer größeren beliebtheit. Zu recht. leicht konsumierbar, schwer erheiternd. auch die neue Platte von boys noize erhebt das Gemüt mit einer unwiderstehlichen mixtur aus rumsenden beats, noiseelementen und einem glucksenden, hüpfenden, electrosound, der von tiefschwarz bis prinzessinlillifeerosa changiert. alex rhida, der mann hinter dem Projekt, hat mit seinem zweiten album zwar kein musikalisches Wunder erschaffen, aber „PoWer“ trägt seinen namen zu recht und wirkt wie eine adrenalinspritze auf den erschlafften neuzeitlichen menschenkörper- und Geist: erquickend und labend. (tm)

B.u.r.m.a.

björn Kleinhenz vÖ: bereits erschienen (devilduck records) nur ein Jahr nach seinem letzten release beglückt uns björn Kleinhenz mit einer neuen Platte. b.u.r.m.a. heißt sie. Genauer gesagt: be undressed and ready my angel – eine gängige abkürzung der soldaten im zweiten Weltkrieg, die sie in briefen an ihre in der Heimat wartenden Frauen verwendeten. der Junge mit der Gitarre ist gebürtiger schwabe, lebt aber seit Jahren im schwedischen exil. sonst in Göteborg zu Hause, hat es ihn in diesem sommer auf eine kleine insel gezogen, die für ihn, seine Freundin

Es hat ein wenig gedauert, doch gut Ding will Weile haben. Das ist nicht nur beim Bücher schreiben so. Und gut Ding ist es geworden, die neue Platte von Element Of Crime, denn bei dieser Band altert man mit Stil und verläßt sich auf das, was man kann. Es sind diese verlorenen, unverbindlichen aber bewegenden Gitarren, die Trompete, die mittlerweile wie ein alter Freund den Weg durch den Wald weist und natürlich diese Stimme, die jetzt wieder ganz vorne sitzt, beharrlich und befreit und einfach so erzählt, vom Leben, von der Liebe: „Komm mit mir woanders hin/ ich weiß noch einen Weg/ den kann man nicht alleine gehen/ und ich hab mir überlegt/ dass alles was ab jetzt geschieht/ mich nicht mehr interessiert/ wenn du darin nicht vorkommst/ bitte bleib bei mir“. Dieser Aufforderung werde ich

und den gemeinsamen Hund zum Zuhause für einen sommer wurde. und zum kreativen Pol für den songwriter, der stunden in der natur verbrachte und schrieb. ein bisschen astrid lindgren-Feeling à la Ferien auf saltrokan. Heile Welt. doch björn Kleinhenz wäre nicht björn Kleinhenz, wenn er nicht trotz des sommers, der ihn während des schreibens in warmes licht gehüllt hat, und des meeres, dessen Wellen ihm wohlwollend zugezwinkert haben, trotzdem lieber im trüben fischen würde. sonnige Klänge sind wohl einfach nicht sein ding, und so ist auch b.u.r.m.a wieder herrlich melancholisch und meditativ. trotzdem aber sonderbar anheimelnd und intim. bisweilen aber sogar richtig laut, wie beim eingangtrack HaZ920, dessen anfang mit lärmenden Postrock fast ein bisschen schockiert, um dann gleich wie-


auch künftig gerne nachkommen. Zum besseren Verständnis, für ein paar kleine, unaufgeregte Fragen und ein gutes Gefühl hat sich BLANK mit Frontmann Sven Regener getroffen: BLANK: Sven, Element Of Crime-Lieder besitzen beides: Stadt- und Land-Charakter. Auch auf eurem neuen Album „Da wo du bist bin ich nie“ singst du nicht nur über das Leben in der Metropole, sondern erzählst auch vom „Jammern und Picheln im Gartencafé“. Ist es dein Ziel, Provinz und Großstadt gleichermaßen zu thematisieren – oder passiert das unbewusst? SR: Vielleicht liegt es einfach an den Personen in der Band, dass diese Themen immer wieder auftauchen. Richard zum Beispiel ist von Holzminden nach Berlin gekommen, über viele Umwege und Städte, bis er irgendwann in der größten angekommen war. Ich bin von Bremen nach Berlin gekommen. Bremen ist nun nicht ganz Holzminden, aber eben auch nicht ganz Hamburg. Die Lieder sollen ja auch alle ansprechen, und nicht nur die Hippen in den Metropolen. Wir wollen niemanden ausschließen, es kann jeder mitmachen. Um uns zu verstehen, muss man keine Voraussetzungen mitbringen oder einer bestimmten Szene angehören. BLANK: Welcher Ort wäre passend, um „Da wo du bist bin ich nie“ zum ersten Mal vorzustellen? SR: Was ich zum Beispiel ganz faszinierend fand und nie vergessen könnte, wegen des Ortes, war ein Konzert auf der Galopprennbahn in Bremen-Vahr. Das war der Hammer, das Publikum saß auf der Tribüne, und man selbst war

der in die geliebte und gewohnten folkigen Kleinhenz-atmosphäre überzugehen. ein wenig inselfeeling ist wohl doch mit eingeflossen, denn das album ist verspielter als sonst und wartet trotz rarer instrumentalisierung mit vielen verfremdeten sounds auf. und verspielt war Kleinhenz wohl im allgemeinen, hüpft er doch auf dem Plattencover als indianer verkleidet über die insel Fårö. (tm)

„ii“

Raz Ohara And The Odd Orchestra vÖ: 23.10. (Get Physical Music) schon das vorgängeralbum machte klar, dass mit dem Projekt raz ohara and the odd orchestra ruhigere töne und weichere melodien gesponnen wer-

auf einer Lastwagenbühne auf der Bahn. Da haben wir auch zum ersten Mal das Lied „Delmenhorst“ gespielt. Ich habe kurz vorher unseren alten Tourmanager Jochen Schwarz getroffen, der aus Delmenhorst kommt. Ich meinte zu ihm: „Jochen, wir haben ein Lied über Delmenhorst gemacht!“ Und er lachte nur. „Ja“, sagte ich, „und Huchtingen kommt auch drin vor!“ Er hat mir kein Wort geglaubt. Dann haben wir das gespielt, und es war super, weil jeder Bremer mit Delmenhorst auch etwas verbindet. BLANK: Habt ihr als Band noch einen Traum? Wenn man eure neue Platte hört, möchte man denken, dass alle Träume gelebt sind oder gerade gelebt werden, so zufrieden klingt sie. SR: Träumen tue ich höchstens vom nächsten Lied, das noch mal einen obendrauf setzt. Das ist keine glamouröse Vision, aber ich glaube auch, dass Helmut Schmidt nicht ganz Unrecht hat, wenn er sagt: „Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen.“ Ich will nur diese Lieder spielen, und das wollen die anderen auch. Deswegen ist diese Band auch schon so lange am Leben. Und da keiner außer uns Element Of Crime-Platten macht, gibt es auch noch genug zu tun. Ich würde nicht davon träumen, dass wir ein Platinalbum machen oder dass eine Single von uns im Radio gespielt wird. Ich finde zwar, dass unsere Lieder in jedes ordentliche Radio gehören, aber ich kenne die Welt ganz gut, und wäre schon ein bisschen stutzig, wenn das damit plötzlich losgehen würde. (Interview: Erik Brandt-Höge)

den sollten. raus aus dem Club und rein in die heimischen vier Wände. dabei langweilte das ohara orchestra nicht mit easy listening-Kitsch, sondern ließ den Hörer mit dem wohligen Gefühl zurück, dass diese zerbrechlichen Klangkompositionen doch wirklich in den tieferliegenden Gefühlswelten regung erzeugten. da soll es auf Konzerten doch den ein oder anderen harten burschen gegeben haben, dem bekennend und ein wenig stolz die tränen über die Wangen kullerten. ob das am 23.10 erscheinende album ii die gleiche Wirkung erzielen wird, bleibt allerdings eher fragwürdig. die zehn neuen stücke beinhalten wenige Überraschungen, wieder wird der Hörer zum stillhalten aufgefordert: hinhören statt rumzappeln. raz ohara, auf dessen stimme, was Wiedererkennungswert und Wow-effekt

WILLIAMÊ FITZSIMMONS

TheÊ SparrowÊ AndÊ TheÊ Crow ReleaseÊ DateÊ 23.10.2009 ã anÊ uncensoredÊ glimpseÊ ofÊ oneÊ manÕ sÊ heartacheÊ fromÊ startÊ to finish“ BOSTONÊ GLOBE ProducedÊ byÊ MarshallÊ Altman www.williamfitzsimmons.com myspace.com/williamfitzsimmons

Ê

WEISSENH€ USERÊ STRANDÊ -Ê RollingÊ StoneÊ Weekender

10.Ê 11.Ê

LEIPZIG – Moritzbastei

11.Ê 11.Ê

BERLIN – Festsaal Kreuzberg

07.Ê 11.Ê

18.Ê 11.Ê Ê DRESDENÊ ÐÊ BeatPolÊ 21.11.Ê

A-GRAZÊ ÐÊ Postgarage

26.Ê 11.Ê

T† BINGENÊ ÐÊ SudhausÊ

27.Ê 11.Ê Ê DACHAUÊ ÐÊ FriedenskircheÊ 28.Ê 11.Ê Ê WIESBADENÊ ÐÊ SchlachthofÊ 03.Ê 12.Ê

M† NSTERÊ ÐÊ GleisÊ 22Ê

16.Ê 12.Ê

K… LNÊ ÐÊ GebŠ udeÊ 9Ê

17.Ê 12.Ê

HAMBURGÊ ÐÊ UebelÊ &Ê GefŠ hrlichÊ

18.Ê 12.Ê

KIELÊ ÐÊ WeltrufÊ

HarmoniaÊ &Ê EnoÊ Ô 76

Windmill

TracksÊ andÊ TracesÊ Reissue

Epcot Starfields

www.groenland.com

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immer verlass ist, experimentiert, unter anderem in „Wildbirds“, etwas fernab von den gängigen tonlagen, womit so manch ein stück doch das attribut „experimentell“ zugeschrieben bekommen kann. es besteht kein Zweifel daran, dass ii weniger melancholisch ist und einflüsse aus osteuropäischen Folklore ihren beitrag dazu geleistet haben. Glaubt man dem Pressetext, so lässt dieser neugewonnene optimismus einen sommerlüfte riechen und bienen, wie sie durchs unterholz summen, hören. Welches innere energiefeld wird da nicht erschüttert? der Preis für diesen neugewonnenen optimismus ist, wie so oft im leben, nicht zu unterschätzen. nun lässt sich nicht anzweifeln, das Glück und Fröhlichkeit nicht auch zu der Gefühlspalette eines jeden gesunden individuums gehören, aber diese Gefühle bleiben wie anhörgefühle. sie gehen nicht auf einen über, nicht so wie die schwere der melancholie oder der traurigkeit. so bleibt auch ii ein anhöralbum, aber ein unzweifelbar Gutes. (am)

teenage mutant horror show 2

Prinz Pi vÖ: bereits erschienen (Keine liebe records) „Wenn es mir scheiße geht, schreib’ ich meine besten songs.“ – was Friedrich Kautz aka Prinz Pi da in „du Hure 2009“, einem der besten tracks der Platte, verkündet, scheint wohl der tatsache zu entsprechen. die dominanten thematiken auf dem 9. album des scheinbar schwer angeschlagenen Prinzen sind nämlich: unsere verdorbene Gesellschaft, seitensprung, liebeskummer, der nahende Weltuntergang, Gott, die Welt, der aufruf zum Kampf gegen den Kapitalismus. ist ja schön, der ansatz. aber Prinz Pi trägt auf „teenage mutant Horror show 2“ einfach ein bisschen zu dick auf. so dick, dass man sich schnell daran verschlucken kann. schwere Kost, die trotz mitunter sehr guter lyrics ziemlich schnell erste sättigungserscheinungen hervorruft – wenn man nicht starke nerven hat. das album komplett zu hören, ist ob der durchgängig unamüsanten themen jedenfalls eine ziemliche Herausforderung, was vielleicht auch daran liegt, dass ganze 19 tracks drauf sind. aber immer nur Krawall und remmidemmi mit dem li-la-laune-bär, das wär’ auch nichts für Friedrich. einer muss es ja machen. das mit dem Gewissen. und er macht‘s wenigstens gut . (tm)

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neue deutsche schlachtplatte oder: „…hör´ auf dein herz“. von Daniel Vujanic

Wieso redet eigentlich niemand über die völlige Homogenisiereung der Musiklandschaft? Über die sich immer mehr – in Erscheinungsbild und Inhalt – angleichenden Printmedien. Über die perfide Ästhetik des Konsens. Darüber das ALLE immer ALLES hörenswert oder irgendwie toll finden. Was ist der Sinn von konstruktiver Kritik, wenn man auch die unterdurchschnittlichsten Acts immer irgendwie o.k. finden muss? Aus welchen Gründen auch immer: Wegen der PETA Credibility, der bewegten Lebensgeschichte des Sängers, den Bonusverrechnungen wegen eines halben Hits von vorletztem Jahr, wegen der tollen Ex-Band des zweiten Gitarristen, wegen der bisexuellen Keyboarderin, wegen der schicken Fotostrecke in einem Magazin, oder aber aus Mitleid. Es muss doch irgendwann einmal mit dieser Almosenmentalität reichen. Sag NEIN zur Musik die dich nicht überzeugt. Bei den Hunderten von Albumveröffentlichungen pro Monat kann man inzwischen getrost davon ausgehen, dass neben den 10 irgendwie besonderen, weil strangen (also nicht gleich faßbaren) Platten und den 20 (zumindest anfänglich) hörenswerten, nichts weiter spannendes dabei ist. Das ist mein völliger Ernst. Denkt euch den Prozentsatz. Der erschreckende Großteil dieser Flut, wird nämlich von absolut mediokren Interpreten, Stumpfbirnen und frisch frisierten Copycats ausgemacht, deren Pressewaschzettel sich zwar vordergründig interessant anhören mögen, deren musikalischer Inhalt sich dann aber lustig diametral zur honigsüssen Promo verhält. Definitorisch heißt das dann, glaube ich, Mogelpackung. Von den Best Of´s, Chartssellern, genrespezifischen Frankensteins, Trance-Compilations und Reissues rede ich gar nicht. Eher von aktuellen „Artists“, wie es so schön heißt. Also in diesen spezifischen Fall: Indierock-. Punkrock-. Electronica- und Pop-Produktionen. Auch von deutschen Bands. Ich mag eigentlich gar nicht über Musik kotzen. Ehrlich gesagt ist mir dafür die Zeit zu schade, doch wenn ich mir „Blühende Landschaften“ von VIRGINIA JETZT! zu Gemüte führe, komme ich einfach nicht umhin, über die ganze bigotte Lächerlichkeit zu schmunzeln, die vielen zeitgenössische deutschen, wie auch deutschsprachigen Bands in-

newohnt. Auch als popkultureller Witz, als zwinkerndes Zitat, als abgeschmackte Indiesubversion wäre „Blühende Landschaften“ ein Schuss in den berühmten Ofen. Die meinen das jedoch absolut ernst. Damit beginnt auch die eigentliche Tragödie. Wie viel überzuckerten Herzschmalz kann eine Band eigentlich auf Polybicarbonat pressen? Anscheinend so viel das sich nach spätestens drei Songs bereits Metastasen an/in den Ohren bilden. Zucker als Treibstoff für Krebszellen. Macht hier auch durchaus Sinn. Die Seichtheit, mit der hier vorgegangen wird, mit den Werken der MÜNCHNER FREIHEIT zu vergleichen, ist so uncool wie vollidiotenkonsenssicher, klar. Da kann mann jetzt natürlich mit der Popgeschichtetrumpfkarte wedeln. Damit tut man aber den Münchnern und ihrem flauschigen Achtzigersound bestimmt keinen Gefallen. Die Jungs um Sänger Stefan Zauner waren damals einfach nur ein harmloser Dieter Thomas Heck-Hitparadenakt. Romantisch verklärt und dem Vollkitsch verpflichtet. Und als solches wollten sie ja schließlich nicht die Beatles sein und auch noch die gefärbten-Pony-tragende Indiecrowd für sich gewinnen. Und die Styler. Und die Mädels. Alle Mädels. Und die Kritiker. Und den Bundesvisionsongcontest. Die oberen Chartsregionen. Number One! Die Hölle bricht unvermittelt los. Gleich der Opener weckt unangenehme Assoziationen an entblößten Schulbandpathos samt schmierigen Keyboards, unappetitlich verträumten Vocals und standartisierten Gitarren. Fremdschämen geht genau so. Wie es klingt? In etwa die Billoversion der ohnehin schon schlimmen Escobar. Und es wird im weiteren Verlauf bestimmt nicht besser. Allerorts Midtempo, Scheissreime, flirrende Achtel. Die Söhne Mannheims des Herzschmerzindie. Teenage Fanclub in der teutonischen Wattebauschvariante ohne einen einzigen (!) zwingenden Moment. Nichtssagend und blutleer tuckern


sich VIRGINIA JETZT! durch einen aufgeblähte Galaxie des Wohlklangs, an ranziger Radiofreundlichkeit kaum zu übertreffen und immer zielsicher die nächste Jauchegrube ansteuernd. Nicht ein einziger, irrlichtender Funken Energie. So was Totes habe ich seit letztens Michael Jackson nicht mehr gehört. Selbst das neue PURAlbum hat irgendwie mehr Drive. Textlich, wie auch (rein funktionell betrachtet) musikalisch, ist das Gehörte mindestens ebenso irrelevant wie auch arrogant tönend. Sterbenslangweiliger, statischer und auf Connaiseur machender Seelenbalsam. Trotz zünftigem Streicherbeschuss, runder Produktion und nach „Hookline“ schreienden, nun ja, „Hooklines“, bleibt das Werk zu Teeniesäuselei vergorene musikalische Grillsoße. ECHT haben das vor zig Jahren um einiges besser hinbekommen. Sorry. Da kann man als Band noch so inspiriert sein, und sich mal für ein Jahr einschließen um ein Meisterwerk abzuliefern. Ihr könntet euch jetzt einfach auch mal ruhig für zehn Jahre wegschließen um euch mit dem nächsten Meisterwerk die Weltherschaft zu sichern. Zitat aus „Hollywood“: „Es tut noch weh....“. Jungs, wenn ihr wüßtet wie recht ihr damit habt.

TELE sind immer eine dieser soliden Steely DanCoolness vor sich hertragenden Weichspüler gewesen, die man nie wirklich schlecht finden konnte. Dafür wusste die Band einfach zu viel von geschmäcklerischem Songwriting, phänomenologischen Wortgeschöpfen und ornamentaler Melancholie. „Jedes Tier“ nimmt dass subtile Jazzelement aus dem bandeigenden Sound und erweitert den Klangraum stattdessen etwas um englischsprachige Slogans, Duran Duran bzw. Maroon 5-Tanzbarkeit, Kifferatmosphärik, Slapbass und Radioschmonzetten. Wäre eigentlich nicht nötig gewesen. Die Neuerungen sind fast allesamt ziemlich redundant und machen so manches mal eine eigentliche sympatische Band dann mitunter mal eher unsympatisch.

Francesco als Simon Le Bon? Lass mal. Da fehlt der Glamour und das Koks. Das sorgt zuweilen für eine funkige Hüftsteifheit, die sehr schön aufzeigt, dass jedes System seine Grenzen hat, aber nicht unbedingt kennen muß. Alles in allem befinden sich die Ex - Freiburger aber mit ein paar schönen Songs auf der sicheren Seite. Was auch immer das bedeuten mag. Zumindest kann man das Album auzugsweise anhören ohne gleich vor Fremdscham zu sterben.

Das passiert dann spätestens bei Muskelschwund, ich meine natürlich: KARPATENHUND. Die Band um Sängerin Claire überzeugt mit absolut lausigen Loops, ooops, ich meine natürlich Songs, die sich so was von auf dem zeitgenössischem Rockfriedhof zusammengeklaubt anhören: keine Melodie, kein Beat, kein Schläfenpochen, kein übermannt werden vom Glück, an einem universellen Gefühl namens POPSONG zu partizipieren. Nur tote Zitate in einer in fetttriefend nach Credibility und Electronica schreienden Produktion (Peter Deimel, Tony Doogan! Peter Katis!!) und absolut vorhersehbaren Songs, die sooooo gerne die inzestuösen Kinder von The Cure, Killers, Interpol und Joy Division, etc. wären. Und weil der Sound absolut NICHTS transportiert, müssen dann eben die Titel das Melancholiekontingent, also die (leider immer noch) trendige New Wave/New Romantic Stigmatisierung vor sich her tragen wie einen Sack voll ausgeblichener Knochen: Wald. Rorschach. Boden. Hahahaha. Huch, sind wir aber weit vorn. Über den furcheinflößend ton- und emotionslosen Gesang muss und sollte man ebenfalls keine Worte verlieren...aber weil´s so Spass macht: Die Frontfrau scheint eine weitere der unzähligen Damen zu sein, die ihre (Kopf-)Stimme einfach nur als Mädchenhauchen stilisiert hat, ohne auch nur einen einzigen Ton auszusingen. Energie? Fehlanzeige. Es nervt, wirkt absolut gewollt lasziv und ist bestimmt nicht sexy. Die einzige

hervorzuhebende Leistung der Sängerin ist es jedoch, absolut souverän ein knappes Dutzend Stücke lang in ein-und dererselben Tonlage, auf einer handvoll Tönen rumzureiten. Wow. Davon abgesehen sollte eine Stimme authentisch sein. Die hier ist´s nicht. Dieses verhuschte, aber nach vorne gemischte Etwas, ist ja nicht mal in den sterbenslangweiligen Songs verankert. Das wirkt wie ein Sahnehäubchen aus Labial- und Diphtonglauten auf einer Torte aus Secondhand-Preset-Schrott. Was soll das? Wenn Muskelschwundhund es tatsächlich schaffen sollten mit „Der Name Dieser Band Ist...“ Geld und Fans hinzuzugewinnen, werde ich in Zukunft nur noch JENNIFER ROSTOCK hören. Versprochen.

„Der Film“ ist zumindest der Versuch, ein großes Poprockfaß aufzumachen. Nichts mehr mit Indie. Eher Großraumrockdisse mit einem Merchandisestand, der mindestens so groß ist wie der Schuppen, in dem du mit deiner Band letztens mal gespielt hast. Trotz großflächiger Halstattoos der notorisch überdrehten Frontfrau, ist das hier der scheissfreundliche aber immerhin angenehm hibbelige Status Quo der deutschen Radio- und Festivalpoprocklandschaft. Balladen, Uptemposongs, lustige Screamoeinsprengsel, viel NDWGezicke, Raised-Fist-Stadionkompatibilität und Kraftmeierei. Echt sympathisch. Die besseren Silbermond. Die punkrockigeren Juli. Es darf dann auch ruhig mal über sich selbst und das alberne Anything-Goes-Gepose des Albums gelacht werden („Nenn mich nicht Jenny“). Das Booklet, das dummdreist und auf´s plakativste mit Filmfiguren und Settings spielt, spricht da Hochglanzbände. Insgesamt also eine absolut hassenswerte Angelegenheit aber eigentlich natürlich voll in Ordnung. .Musik zum Jeans verkaufen. Damit die Boutiquen nicht immer nur „Heavy Cross“ von THE GOSSIP spielen müssen.

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schönheit der ausgaBe planet, planet

ELYJAH (Klimbim Records/Cargo)

se, etwas Eigenes in dieser Welt voll fremder Dinge. Den Anfang macht die Berliner Band Elyjah, die seit 2003 den Berliner Indie-Kosmos bereichern. Mit ihrer neuen Platte „Planet, Planet“ werden sie in jenem jetzt die Position eines leuchtenden Sternes einnehmen. Mit dazu bei trägt das tolle

Artwork, dass in seiner Doppelfunktion als Cover und Zielscheibe von der Band bereits scharf beschossen wurde. Das beinhaltet jedoch soviel Interpretationsmöglichkeiten, dass wir uns an dieser Stelle dagegen verwehren und diese Platte einfach nur empfehlen.

BLAnK: Man kann Jubiläen an den Haaren herbeiziehen oder nicht. Kann man sagen, dass es ein inneres Gefühl und Bedürfnis war, endlich mal was zu feiern? LL: Mir was es wichtig, den Status Quo 2009 von Audiolith Records und den Künstlern, die bei mir veröffentlichen, abzubilden. Sozusagen einmal neuen Schwung aufnehmen und versuchen, die Leute zu erreichen, die noch nichts von unserem Wirken mitbekommen haben. Vom Feiern bekomm ich langsam Bauchschmerzen und das Letzte, was ich will, ist das unsere Außenwahrnehmung nur von hirnloser Feierei bestimmt ist. Label und Musiker zu sein ist heutzutage harte Arbeit. Audiolith … Doin‘ our thing“ ist das was wir 24/7 leben und was wir mit euch dort draußen teilen wollen.

will nicht jammern, das Feedback der Audiolith-Supporter ist sehr stark, die Künstler liefern geile Scheiben ab, wirken in einem kraftvollen sozialen Netzwerk und sind innovativ. Die Leute indentifi zieren sich mit dem was wir machen, so dass sie sich sogar unser Labellogo tätowieren lassen. Das ist geil, oder?

In Zeiten digitaler Beliebigkeit ist das Erleben von haptischen Momenten nach wie vor herausragend. Beginnend mit dieser Ausgabe, möchten wir neue Platten vorstellen, die nicht nur musikalisch den redaktionellen Geschmackstest bestanden haben, sondern die auch optisch etwas zu bieten haben, eine gewisse Rafines-

doin‘ our thing

Audiolith(Universal)

„Doin‘ Our Thing“ ist die 50. Veröffentlichung des Hamburger Labels Audiolith. Das kann man ein Jubiläum nennen. Und wenn man es dann noch schafft, dass Acts wie Der Tante Renate, ClickClickDecker, Frittenbude, Plemo oder Egotronic einem zuweilen etwas größeren Publikum zugänglich gemacht werden, dann hat man doch schon etwas erreicht. Dem feierlichen Anlass entsprechend stellten wir Labelchef Lars Lewerenz ein paar Fragen:

66 I BLANK

MUSIK

BLAnK: Die Frage nach dem erschreckendsten und dem erleuchtendsten Erlebnis in sechs Jahren Audiolith? LL: Erschreckend ist, dass Idioten uns Content vor Veröffentlichungsdatum klauen und den verfügbar machen und sich noch erdreisten, zu behaupten das Label und Künstler sowieso in Geld schwimmen würden. Aber ich

BLAnK: Welcher Song und welcher Künstler repräsentieren das LabelPortfolio und den damit einhergehenden Erweckungsgedanken am besten? LL: Hier ist keiner besser oder schlechter als der andere. Ich stehe hundertprozentig hinter den Leuten. Jeder kann entscheiden, welcher Künstler und/oder Song zu welcher Zeit welche emotionale Bedeutung für jemanden hat. Wir erzählen nicht was angesagt ist, du da draußen entscheidest, was dich bewegt. Es gibt keinen Soundtrack zur Bewegung. Alles ist Audiolith! Nichts ist unmöglich! Ob CD, Vinyl, das Mp3 auf dem Handy, das Livekonzert, der Rave oder die Stunde alleine zu Haus, wenn es dich fesselt, sind wir begeistert! (PB)


e King des Rap!“ Juice Magazin r der Hip Hop Welt!“ VIBE

FACE YOUR MAGAZINE

BACK ISSUES

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WIR GLAUBEN AN

DAS GUTE INDIEROCK ?BG:GSDKBL>% DEBF:P:G=>E NG= P:AEC:AK

UNTER DER ARMUTSGRENZE

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Literatur: Julia Zange, Adam Davies, Stefan Kalbers, Roman Libbertz Mode: Kilian Kerner, Modewoche Berlin, Blind and Beautiful Politik: Die Grünen 2.0, Jan Off über Athener Verhältnisse

hst nur im Kino!

März 2009

=B> DBEE>= ;R 2O ;:MM>KB>L F:<A>G G>NA:LL

16.02.2009 13:09:55 Uhr

BLANK 1/09

die BlanK ausgaben sind auch einzeln erhältlich. der preis für eine ausgabe beträgt 4,- eur und versteht sich inkl. mwst, liefer- und versandkosten.

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BLANK 2/09

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Leider nicht mehr vorrätig.

JETZT WIRD ES STILL! WINNENDEN, OPEL & CO. „SEX IST NIEMALS NUR SEX“ MUSIK: DJ Vadim, Dirty Projectors, Naked Lunch KOLUMNE: „Verschlimmbessern“ von Nilz Bokelberg LITERATUR: Boris Guschlbauer, Benedict Wells

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SOPHIE ANDRESKY

07.04.2009 18:35:56 Uhr

BLANK 3/09 wahlkampf arena Die politische Debattierplattform auf freitag.de

LESER SERVICE was du wissen oder loswerden möchtest. dein Beitrag zu unserem selbstverständnis. deine möglichkeit zum einwand. dein freund. der BlanK-leserservice.

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08

Debattierplattform für Politikinteressierte agen, antworten, abstimmen Wettstreit der Argumente beitragen.

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KonZert max herre

TER MI NE KonZert

sophie hunger Alle schwärmen von der Schweizer Diplomatentochter, egal ob The Guardian, Le Monde, Mojo, NZZ oder Rolling Stone. Letzterer schrieb: „Zeitlose, ortlose Jazzmelancholie, durch die sich Hunger seufzt und schreit, singt und kauzt“. 05.11. 06.11. 07.11. 08.11. 09.11.

München, Backstage Frankfurt, Das Bett Innsbruck, Treibhaus Ravensburg, Trans4 Jazz Festival Karlsruhe, Jubez

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TERMINE

Sonic. Nachdem sie mit ihrem Musikvideo zu „Sheena Is a Parasite“ von Chris Cunningham, die sonst so abgestumpften MTV Zuschauer in Erregung versetzten, dürfen wir uns 2009 auf fulminante Auftritte und damit etwas Abwechslung im kopfnickenden Konzertalltag freuen. 06.11. Köln, Underground 07.11. Hamburg, Uebel & Gefährlich 10.11. Berlin, Lido 12.11. München, 59 to 1

KonZert Er hat die Gitarre wieder in die Hand genommen, nicht nur für ein, zwei Lieder, wie 2004 auf seinem Solodebüt, sondern für ein ganzes Album. Wer nach HipHopRhymes à la Freundeskreis oder elektronischen Beats, wie noch auf seinem Vorgängeralbum „Max Herre“ sucht, der wird enttäuscht werden – wer ehrliche Musik mit Soul sucht, der wird sie finden. Mit „Ein geschenkter Tag“ ist ein Album entstanden, das sich auf das Wesentliche konzentriert, unprätentiös aber dafür umso berührender. Da geht es um Selbstzweifel, eine zerbrochene Liebe und bei all dem herrscht in guter alter Max Herre-Manier das Hoffnungsprinzip vor. Ein Album, dem man die persönliche Bedeutungsebene anhört, das aber dennoch abstrakt genug, bleibt um sich in den eigenen Gedanken und Gefühlen wohl zu fühlen. 03.11. Ulm, Theatro 04.11. Wien, Porgy & Bess 06.11. München, Muffathalle 07.11. Leipzig, Spiegelsaal 10.11. Osnabrück, Rosenhof 11.11. Hamburg, Grünspan 15.11. Dortmund, FZW 16.11. Frankfurt, Mousonturm 17.11. Stuttgart, Mozartsaal 22.11. Berlin, Babylon 24.11. Oldenburg, Kulturtage 25.11. Erfurt, Stadtgarten 29.11. Köln, Gloria

Jochen distelmeyer Blumfeld gibt es nicht mehr. Doch Distelmeyer sitzt noch immer in seinem kleinen Garten voll großer Gefühle und wartet auf Erlösung. Und wartet. Und wartet. Wer mitwarten möchte, sollte unbedingt eines seiner Konzerte besuchen, denn Schönheit ist Mangel dieser Tage. 04.11 05.11. 06.11. 07.11. 09.11. 11.11. 12.11. 14.11. 15.11. 16.11. 17.11. 02.12. 04.12. 12.12. 13.12.

Bremen, Modernes Dortmund, FZW Bielefeld, Kamp Mühlheim, Ringlockschuppen Köln, Gloria Erlangen, E-Werk Heidelberg, Karlstorbahnhof Stuttgart, Universum München, Ampere Leipzig, Conne Island Berlin, Postbahnhof Osnabrück, Lagerhaus Tübingen, Sudhaus Regensburg, Alte Mälzerei Frankfurt, Mousonturm

KonZert Ja, panik!

the horrors

Glaubt man Gerüchten, ist die Wiener Band Ja, Panik! vor Kurzem in die deutsche Hauptstadt umgesiedelt und der tut das mit Sicherheit gut, denn die Österreicher haben verstanden, was zusammengehört: „The Angst And The Money“ lautet der Titel ihres neuen Albums.

Trotz des geradezu jungfräulichen Gründungsdatums im Jahr 2005 erinnern „The Horrors“ mit ihrem düsteren Garagenrock an die Ära von Joy Divison und The

29.10. Nürnberg, K4 05.11. Frankfurt, Mousonturm 28.11. Berlin, Festsaal Kreuzberg 10.12. Hamburg, uebel & Gefährlich

KonZert


KonZert ausstellung Kunst und Kalter Krieg – deutsche positionen 1945-1989

Dass die Amerikaner mit Matroschkas und Borschtsch nicht allzu vertraut sind, ist kein Geheimnis und nach wie vor scheint der Umgang mit allem, was östlicher liegt als Berlin, relativ schwierig. Da ist es doch viel einfacher, sich dem Ost/West Thema auf deutschem Boden zu widmen. Und eines muss man L.A. lassen: Wenn schon denn schon. So entstand im L.A. County Museum of Art eine der umfangreichsten Ausstellungen zum Thema Kunst im geteilten Deutschland. Die Auswirkungen zweier so unterschiedlicher politischer Systeme auf die Kunst, ihre Übereinstimmungen und Abgrenzungen, sind anhand von 300 Exponaten von Künstlern wie Jörg Immendorf, Anselm Kiefer, Martin Kippenberger und Joseph Beuys, seit dem 03. Oktober in Berlin zu sehen. bis 10.01. Berlin, DHM

ausstellung „Berlin 89/09 – Kunst zwischen spurensuche und utopie“ 2009 – das Superwahljahr, das Superjubiläumsjahr,… an größenwahnsinnigen Komposita mangelt es dem letzten Jahr des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends nun wirklich nicht. Europawahl, Bundestagswahl, 60 Jahre Grundgesetz, 50 Jahre „Godesberger Programm“, 20 Jahre Mauerfall. Findige Politiker und fleißige Geschäftsleute melken die Kuh Jahrestag bis das Euter welk ist, und lassen den Kulturkonsumenten bei der Lektüre des Veranstaltungsteils der Tageszeitung mit dem unguten Gefühl zurück, vor lauter Nichtigkeiten die Wich-

Jägermeister rock:liga mit the films, silversun pickups und amusement parks on fire Es scheint eine feste Institution zu werden, dieser musikalische Wettstreit im Zeichen des Hirschs, in dem sich Rock und Fußball so nahe kommen, wie sonst selten. Nachdem in den letzten Jahren publikumsgeliebte Bands wie Deichkind, Mediengruppe Telekommander, Clawfinger und zuletzt die Partykönige

tigkeiten zu verpassen. Ins Töpfchen statt ins Kröpfchen gehört defi nitiv die Ausstellung „Berlin 89/09 – Kunst zwischen Spurensuche und Utopie“, die ab dem 18. September in der Berlinischen Galerie zu sehen ist. Werke von Max Baumann, Sophie Calle, Björn Melhus, Frank Thiel und vielen mehr zeigen, dass die Neuorganisation Berlin nicht nur Gegenstand politischer sondern auch künstlerischer Auseinandersetzung war und ist. Utopische und realisierbare, dokumentierende und kommentierende Arbeiten werden in den drei Kategorien „Spurensuche“, „Panorama des Wandels“ und „alternative Konzepte“ präsentiert. bis 31.01. Berlin, Berlinische Galerie

ausstellung christian falsnaes Verwunderlich eigentlich, dass Christian Falsnaes in Deutschland bisher keine große Aufmerksamkeit zu Teil wurde, stammt doch die tributhafte Per-

von Friska Viljor das Rennen um die begehrte Meisterschale für sich entscheiden konnten, versuchen in diesem Jahr The Films aus South Carolina, die Silversun Pickups aus Los Angeles und die Briten von Amusement Parks On Fire die erste Gruppenphase zu überstehen. Angetreten wird in dieser Gruppe mit Gitarre, soviel sei versprochen. Mal mehr, mal weniger rockig oder Indie oder lärmend, verspielt, straight oder tight. Nur eines ist sicher: einfach wird es das Publikum nicht haben. Die weiteren zwei Gruppen werden übrigens im Herbst bekannt gegeben, doch wahrscheinlich wird man sich nicht lumpen lassen. Seit man die Lemonheads zumindest bereits mal ankündigen konnte, braucht diese Veranstaltung keine Credibility mehr. Institutionen sind nun mal Institutionen. 16.11.2009 Frankfurt, Batschkapp 17.11.2009 Stuttgart, Longhorn 18.11.2009 München, Backstage Werk 19.11.2009 Hannover, Faust 20.11.2009 Rostock, Mau Club

formance in Modern Talking-Manier vor kitschiger Acryl-Strandszenerie von ihm. Eigentlich ist der 1980 geborene Däne studierter Philosoph, der sich für ein paar Jahre in die Streetart verirrt hat, um dann aber doch noch die Kurve zur bildenden Kunst zu kratzen. Mit einem Crossover aus Streetart, Videoinstallationen, Perfomances mit so verheißungsvollen Titeln wie „Tarzan Says Damn I´m Wet“ oder „Rational Animal“ kommt er im Oktober für seine erste Einzelausstellung nach Deutschland. bis 30.10. Stuttgart, SELF SERVICE: open art space

lesung unendlicher spaß von david foster wallace Totgesagte leben bekanntlich länger und vielleicht dachte das auch David Foster Wallace, als er die Arbeit zu seinem 1.100 Seiten Roman „Infinite Jest“ begann. Der bis dato eher für seine scharfsinnigen, gesellschaftskritischen und politisch eher

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KonZert Oktober die Arbeiten des 1975 geborenen Wahl-Parisers Neil Atherton begutachten. „Speckled“ ist Teil einer größeren Reihe mit dem Titel „Expired“, der sich nicht nur auf das stets abgelaufene Filmmaterial, mit dem Atherton spielt, bezieht, sondern auch auf die fotografierten Sujets, Orte und Situationen, die einer anderen Zeit angehören oder zumindest in ihr steckengeblieben sind. Ab sofort, Montag – Samstag von 12 – 20h Berlin, The Early Bird Hype

KonZert diego

Konzert

Björn Kleinhenz „B.U.R.M.A.“ bedeutet „Be Undressed and Ready My Angel“ und war eine bei amerikansichen Soldaten im 2. Weltkrieg gern verwendete Grußformel für Ansichtskarten. Songwriter Björn Kleinhenz hat seine neue Platte so betitelt. Passt irgend-

fragwürdigen Kurzgeschichten bekannte Autor, sorgt mit „Unendlicher Spaß“ ein Jahr nach seinem Freitod und nach sechs Jahren Übersetzungsarbeit erneut für einen Rezensionenoverload. Wenn in der Einmaligkeit der Ereignisse die Leichtigkeit unseres Seins liegt, dann führt in Unendlicher Spaß gerade diese Leichtigkeit der Unterhaltungsgesellschaft zu einer Gesellschaft von Süchtigen. Ulrich Blumenbach und Begleitung servieren den Roman mundgerecht im Häppchenformat, für alle, denen die Nummer dann doch etwas zu groß ist. 09.11. Zürich, Literaturhaus 12.11. München, Literaturhaus

lesung eine schallnovelle mit Juli Zeh und slut Beim Namen „Lese Musikzimmer“ kann es schon passieren, dass einem das Bild einer adrett gekleideten Familie, die mit Blockflöte und Geige umringt, in den eigenen vier Wänden der Hausbibliothek mu-

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TERMINE

wie immer alles zusammen bei dem symphatischen, feinfühligen Musiker mit Gänsehaut-Garantie. Passt auch live. 23.10. Leipzig, Ilses Erika 24.10. Erlangen, House Show 25.10. Fürth, Babylon Underground 26.10. Döbeln, Café Courage 27.10. Dresden, AZ Conni

siziert, in den Kopf schießt. Ergänzt man nun aber die Worte Slut und Juli Zeh, wird schnell klar, es muss sich hier um einen Irrtum handeln. Ihr neuestes Buch Corpus Delicti handelt von einer Dystopie des 21. Jahrhunderst, von einem Gesundheitswesen und dessen Allmacht. Slut hat eigens für das Buch zehn neue Songs komponiert und entwirft damit ein musikalisches Abbild des Konflikts. Nachdem die Veröffentlichung der musikalischen Neuinterpretation der Dreigroschenoper 2006 scheiterte, haben wir im Herbst erneut die Chance, uns von dem Experiment Musik trifft Literatur überzeugen zu lassen. 12.11. Graz, Project Pop Culture 13.11. München, Gasteig, Carol Orff Saal

ausstellung neil atherton „speckled” Im neuen Concept-Store “The Early Bird”, der sich als Schnittstelle von Kunst und Konsum sieht, kann man seit dem 16.

Die Band Diego haben wir euch bereits im August für das Phono-Pop Festival ans Herz gelegt. Mit ihrem melodischen Wave-Rock erinnern sie an vertraute Bekannte von der Insel. Dass die Jungs nicht aus einem tristen Vorort einer britischen Industriestadt kommen, spielt hierbei keine Rolle. Noch bespielen sie die kleinen Bühnen der Republik, es ist Zeit das zu verändern. 13.11. Bayreuth, Glashaus 14.11. Ulm, Cat 21.11. Wiesbaden, Schlachthof 11.12. Hamburg, Grüner Jäger

festival film festival cottbus Vom 10. November bis 15. November ist es wieder soweit. Das Film Festival Cottbus, das Festival des osteuropäischen Films, jährt sich zum 19ten Mal. Schwerpunkt in diesem Jahr wird mit dem „Neuen Kino vom Schwarzen Meer“ auf der Schwarzmeer-Region liegen. Gezeigt werden Spielfilme, Kurzspielfilme, Nationale Hits des osteuropäischen Films, Kinder- und Jugendfilme. Prämiert wird das Ganze von einer internationalen und nationalen Jury. Viele namhafte Regisseure aus Mittel- und Osteuropa präsentierten bereits ihre Filme in Cottbus und auch dieses Jahr führt kein Weg an dem führenden Festival des osteuropäischen Films vorbei. Wer also wissen will, was das osteuropäische Kino aktuell zu bieten hat, der mache sich schleunigst auf in das schöne Cottbus. 10.–15.11., Cottbus


KonZert KonZert william fitzsimmons Es hätte auch ganz anders kommen können, die Gedanken und Melodien in Fitzsimmons Kopf hätten zwischen Wartezimmer und Behandlungsliege zerstäuben können und „ die Welt da draußen“ wäre nie in den Genuss seiner vor Ehrlichkeit und Nähe schmerzenden Texte und Melodien gekommen. Nun schafft es Fitzsimmons Musik und seine Leidenschaft zur Analyse der menschlichen Seele auf wundervolle Weise zu verbinden. Das Ergebnis gibt es im November zu bewundern.

t-mobile street gig mit polarkreis 18 Die Männer aus dem Märchenwald sind zurück. Nachdem sie die kindliche Kaiserin aus dem Elfenbeinturm befreit haben, treten Polarkreis 18 nun erneut an, um das Publikum mit ihrem Sound irgendwo zwischen Aha und Unendliche Geschichte zu beglücken. Frontmann Felix Räuber wird diesmal nicht barfuß über die Bühne tänzeln, während der Rest der Band ihren hymnenhaften Gänsehaut-Sound übers Volk streut wie glitzernden Schnee. Denn im Rahmen der T-Mobile Street Gigs spielt die Band, die mit ihrem zweiten Album „The Color Of Snow“ Platz 14 in den deutschen Charts erstürmte, thematisch passend in einem Eislaufstadium. 03.11. auf der Kunsteisbahn der Eissporthalle Frankfurt Tickets gibt es bis zum 02. November unter www.t-mobile-streetgigs.de zu gewinnen.

KonZert helgi Jonsson und das icelandic folk ensemble Der Nordrid Iceland Express Musik Klub ist so etwas wir ein Exportunternehmen der isländischen Musikkultur, zu deren Qualitätsprodukten neben Gus Gus auch der Songwriter und Posaunist Helgi Jonsson gehört. Es verwundert nicht, dass solch emotionsgeladene Klangwel-

BLANK und T-Mobile verlosen 1x2 Tickets sowie ein exklusives Street Gigs MusicPac II, bestehend aus: • Samsung SGH-F480i mit Touchscreen mit Vibrations-Feedback, 5.0 Megapixel-Kamera mit 4-fachem Digitalzoom, MP3-Player und vielem mehr… • Lautsprecherset Beat Speaker • DVD: „Street Gigs – Best Of“ Vol. II (Highlights der Street Gigs von Jan Delay, Kaiser Chiefs, Clueso, Bloc Party, Deichkind) • Download Voucher „10 Tracks gratis downloaden“ Sendet bis 29.10. eine Mail mit dem Betreff „T-Mobile Street Gig“ an verlosung@blank-magazin.de und mit etwas Glück könnt Ihr Polarkreis 18 dann schon mit eurem neuen Handy fotografieren.

ten, die mit Unterstützung des Icelandic Folk Ensembles nur noch an Intensität gewinnen, aus einem Land stammen, dessen Bewohner den Weissagungen des Elfenministeriums folgen. For The Rest Of My Childhood heisst das Album, mit dem uns Jonsson mit der fabelhaften Welt der Isländer bekannt machen wird. 25.11. München, 59:1 27.11. Köln, Studio 672 28.11. Hamburg, Prinzenbar 29.11. Berlin, Admiralspalast 101

07.11. Weissenhäuser Strand, Rolling Stone Weekender Festival 18.11. Dresden, BeatPol 20.11. Wien, Blue Bird Festival 21.11. Graz, Postgarage 25.11. Aarau, Kiff 26.11. Tübingen, Sudhaus 27.11. Dachau, Friedenskirche 28.11. Wiesbaden, Schlachthof 03.12. Münster, Gleis 22 17.12. Hamburg, Übel & Gefährlich 18.12. Kiel, Weltruf

KonZert marit larsen „If A Song Could Get Me You“ klingt noch jedem in den Ohren, der diesen Sommer auch nur annährend mal das Gefühl hatte, dass die Welt trotz Finanzkrise eigentlich doch ganz in Ordnung ist. Marit Larsen heißt die junge, hübsche, eloquente Schwedin, die uns dieses Gefühl auch in den tristeren Wintertagen vermitteln wird. Und das ist gut so. Zu The XX geht es dann auch noch irgendwann. 12.11. 13.11. 14.11. 15.11. 17.11. 18.11. 19.11. 20.11. 22.11. 23.11. 24.11. 26.11. 27.11.

Flensburg, deutsches Haus Kiel, Kulturforum Hamburg, Knust bremen, schlachthof stuttgart, theaterhaus t2 münchen, ampere mannheim, alte Feuerwache mainz, Frankfurter Hof berlin, Postbahnhof Köln, Werkstatt leipzig, moritzbastei Frankfurt, batschkapp Hannover, musikzentrum

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REGISTER – Persönlichkeiten im Heft Ani, Friedrich Aniston, Jennifer Armstrong, Franny Atherton, Neil Aust, Stefan

40 52 30 70 VI

Bauendahl, Martin Baumann, Max Berg, Sibylle Berrymore, Drew Beuys, Josef Blumenbach, Ulrich Bowles, Paul Brenner, Simon Buhrow, Tom

43 69 VI 52 69 70 22 41 34

Campbell, Naomi Campbell, Neve Christiansen, Sabine Calle, Sophie Carell, Rudi Carey, Mariah Clark, Anne Cortez, Manuel Cunningham, Chris

47 31 VI 69 18 32 30 43 68

Diener, Christian Di Gioia, Robert Dion, Celine Dylan, Bob

49 49 32 41

Enquist, Per Olov

41

Falsnaes, Christian

69

22 59, 71 36 36

Gallo, Vincent Geldorf, Bob Gilmour, David Glawinic, Thomas Glukhovsky, Dimitry Gruhl, Herbert Guanlao, Christopher

52 31 36 39 39 15 60

Harvin, Earl Helder, Matt Herre, Max Højlund, Marie

S.49 55 49, 68 62

Immendorf, Jörg

Larsen, Merit Lengsfeld, Vera Lewerenz, Lars Lewis, Juliette Lindgren, Astrid Loth, Karda Lot, Pixie Lust, Erika Melhus, Björn Merkel, Angela Meyer-Wölden, Sandy Mohr, Teresa Moore, Michael Murphy, Peter Müntefering, Franz

71 VII 66 52 62 13 57 36 69 VI, VIII VIII 52 31 38 VIII

Nisker, Merrill

53

Obama, Michelle Obert, Michael Ohara, Raz O´Malley, Nick Onetti, Juan-Carlos Øyle, Erlend

VIII 21 63 53 40 51

Pauli, Gabriele Pocher, Oliver Poddig, Hanna

13 VIII 38

Räuber, Felix Ridha, Alex Roff, Tim Romanowska, Lucja

71 62 31 27

69

Jackson, Michael Jonsson, Helgi

32, 65 71

Karrasz, Maxi Kiefer, Anselm Kippenberger, Martin Kier, Udo Kleinhenz, Björn Klinger, Susanne Koch-Mehrin, Silvana Koch, Sebastian Kohl, Helmut Kröger, Michael Kuruc, Frank

X 69 69 52 62 VI 11 30 8, 18, VII X 49

:

Audiolith Records

Fermoir, Leigh Fitzsimmons, William Flaig, Simon Frank, Robert

Roth, Philip

38

Schenke, Tobias Schily; Otto Schulz, Tom Schwarzer, Alice Schwerig, Manuela Skarsgerd, Alexander Sokolowsky, Kay Stöhr, Hannes Späth, Lothar Ströbele, Christian Swank, Hillary

30 10 34 VIII VII 52 37 30 III 10 52

Thiel, Frank Thiesen, Bodo Thomsen, Emil

69 15 62

Vetter, Phil Von der Leyen, Ursula

IX IX

Wallace, David Foster Wells, Benedict Westerwelle, Guido Wichert, Ulrich Will, Anne Winehouse, Amy Wowereit, Klaus

69 34 11 III VIII 57 VIII

Zauner, Stefan Zeh, Juli

64 9, 70

Audiolith live und in Farbe:

Knarf Rellöm X

Krink

Egotronic

Rampue

Bratze

Frittenbude

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Ira Atari

Juri Gagarin

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Dadajugend Polyform

Plemo

ClickClickDecker

Der Tante Renate

The Dance Inc.

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HEFT ZWEI Schmerz von Stefan Kalbers Kapitel: Der Mond, der sich auf dem See spiegelt – Eine wahre Geschichte von Roman Libbertz Mit pinker Tinte von Teresa Bücker Selbstgespräch von Phil Vetter


HEFT ZWEI Schmerz von Stefan Kalbers

der Junge ein Vibrieren des Gegenstandes. Er verfärbt sich oder wird heiß. Die Haustür fällt ins Schloss, die Frau entfernt sich und der Gegenstand kehrt in seinen ursprünglichen Zustand zurück. Wenig später holt der Junge sein Fahrrad aus dem Keller und radelt durch seine Wohngegend. Als er an den Mülltonnen des Wohnblocks vorbeiradelt, sieht er einen Mann mit mehreren Stofftaschen, die an seinem Arm hängen. Der Mann durchwühlt die Container nach leeren Flaschen. Jede Art von Hemmung oder Scham ist ihm längst fremd geworden wie er so mit bloßen Händen im Müll anderer Menschen wühlt. Hat er eine Flasche gefunden, steckt er sie mit einem schabenden Geräusch zu den anderen in seinen Taschen. Mit etwas Glück hat er am Ende des Tages bis zu zehn Euro allein durch Pfand verdient. Es ist davon auszugehen, dass dieser Beschäftigung niemand wegen akuter Langeweile oder Geldgeilheit nachgeht. Da der Junge den Gegenstand auf seinen Gepäckträger geklemmt hat kann er nicht sehen, wie sich dieser verändert. Vielleicht könnte man den Schmerz des Pfandsammlers auch durch eine Verformung des Gegenstandes darstellen. Mir schwebt zum Abschluss dieser Szene auf jeden Fall ein Bild vor, wie der Mann mit unrasiertem Gesicht dem Jungen nachschaut. Dabei liegt die Qualität des Gesichtsausdrucks in seiner Unbestimmbarkeit. Ob gedankenverloren, sehnsüchtig oder gar hasserfüllt, muß offen bleiben. Keine zweihundert Meter weiter kommt dem Jungen ein erwachsener Radfahrer entgegen. Die vollbepackten Spezialtaschen an dessen Rad, vor allem aber die orangefarbene Kleidung weisen ihn als Mitarbeiter einer dieser neuen Zustellfirmen aus, die der Post Konkurrenz machen und den Markt beleben sollen. Dass man mit solch einer Tätigkeit kaum seinen Lebensunterhalt verdienen kann, scheint kaum jemanden zu interessieren. Es wäre eine eigene Reportage wert, diesen Mann über den Zeitraum von einem halben Jahr zu begleiten. Was empfindet dieser Mann, wenn eine Kinoeintrittskarte mehr kostet als der Gegenwert von vier Stunden Arbeit? In was für eine Wohnung kehrt er abends nach Hause? Sanierter Altbau mit Zentralheizung auf über achtzig Quadratmeter wird es kaum sein. Familie gründen? Vergiss es. Du kannst eine Frau nicht mal zu einem stilvollen Abendessen einladen. Möglicherweise lässt sich der aktuelle Zeitbezug zu diesem Aufblühen der Billigjobs und dem damit verbundenen sozialen Elend

Wenn dies ein Comic wäre, sagen wir im Stil von Arne Bellstorf oder Adrian Tomine, dann bliebe nicht viel mehr als der schwache Versuch, den eigenen inneren Bildern Worte im Sinne einer Vorlage zuzuordnen, in der Hoffnung und dem guten Glauben, dass die Zeichnungen so viel mehr an Kraft und Atmosphäre haben, als es durch die diffuse Chiffrierung mit Buchstaben möglich ist. Die immerwährende Magie eines Bildes bleibt unschlagbar. Zeichner hätte man werden sollen. Oder sich zumindest einen bei Wasser und Brot im Keller halten. Wenn er dann brav die inneren Bilder genau so umsetzt, wie man sich das selbst vorgestellt hatte, wird dann auch schon mal die Kette am Fußgelenk von rechts nach links gewechselt. Der innere Film zeigt also einen Mann oder einen kleinen Jungen, das weiß ich nicht so genau. Entweder ist der Mann ein handwerklich begabter Sonderling, der seine neueste Erfindung fertig in den Händen hält, oder der kleine Junge hat beim Spielen im Keller diesen Gegenstand hinter einem Schrank oder einer Kiste gefunden. Wie dieser Gegenstand aussehen soll, bleibt offen. Es handelt sich um eine Vorrichtung, mit der man menschlichen Schmerz im weitesten Sinne messen kann. Die Aufmerksamkeit liegt dabei auf der inneren, seelischen Not, im Sinne von Verzweiflung, Tragik und Hoffnungslosigkeit. Wie es sich anfühlt gegen einen Laternenpfahl zu laufen oder wie liebreizend die Empfindung anmutet, sich versehentlich mit dem Hammer auf den Penis zu schlagen, möge dereinst jeder für sich selbst herausfinden. Ich bleibe jetzt doch lieber bei dem kleinen Jungen, weil er eine gewisse Unschuld und Naivität, gepaart mit unverbrauchter, natürlicher Neugier verkörpert. Der kleine Junge sitzt also im Treppenhaus dieses riesigen Wohnblocks, spielt mit seinem Fund, und eine Frau um die fünfzig mit grau gewordenen Haaren kommt die Treppen herunter. Abgetragene Kleidung, Falten um die Mundwinkel, die Augen stumpf, der Mund verkniffen. Nicht jedes Schicksal taugt zum Leinwanddrama, in dem selbst der größte Verlierer noch etwas vom Glanz großer Helden abbekommt. Die Wirklichkeit des Alltags zeichnet sich oft genug durch gnadenlose Schäbigkeit aus. Als die Frau wortlos an ihm vorübergeht bemerkt

II


HEFT ZWEI nicht ins Verhältnis setzen lässt. Beispiel: Einem Kind fällt eine Kugel Eis herunter, ein Erwachsener erfährt, dass sein linkes Auge für immer blind bleiben wird. Die Vernunft sagt uns, dass die medizinische Angelegenheit viel gravierender ist. Sie ist dauerhaft, beeinträchtigt den Alltag und lässt sich nicht rückgängig machen. Fragt man das Kind, so ist der Verlust der Kugel Eis für den Moment aber auch einem Weltuntergang ähnlich. Das Empfinden von Schmerz oder Verzweiflung kann auf einer persönlichen, ganz konkreten Erlebnisebene einfach nicht bewertet oder ins Verhältnis gesetzt werden. Schmerz bleibt Schmerz. Der kleine Junge radelt also durch die Straßen seiner Wohngegend. Durch mehrere Einzelbilder wird dieser Lebensraum entsprechend charakterisiert. Durch die Art und den Zustand der Häuser, durch die Kleidung und das Alter der Menschen, die auf der Straße unterwegs sind. Man könnte ein paar Graffitti an den Wänden zeigen oder die Größe der Vorgärten mitsamt ihren Blumenbeeten, falls es denn solche geben sollte. Als der Junge an einer Einfahrt vorüberfährt muss er scharf bremsen. Aus dem Hinterhof schiebt sich langsam die Motorhaube eines größeren Wagens. Die Augen des Jungen blicken neugierig, was sich da an ihm vorbeischiebt. Der Wagen ist schwarz und auffallend sauber. Der Gesichtsaudruck des Jungen bleibt neutral und offen. Hinter dem Steuer sitzt ein Mann in Uniform und mit Mütze. Spätestens jetzt sollte jedem Bildbetrachter klar sein, dass es sich um einen frisch beladenen Leichenwagen handelt. Nachdem sich der Wagen entfernt hat und der Junge seine Fahrt wieder aufnimmt, erkennt man, dass der Gegenstand auf dem Gepäckträger plötzlich verschwunden ist, ohne dass man weiß, wie es dazu kam. Vielleicht ist er heruntergefallen. Hat man in den vorigen Bildern noch weitere Personen in unmittelbarer Nähe gezeigt, z.B. andere Kinder, könnte suggeriert werden, dass ihm der Gegenstand geklaut worden sei. Oder man zeigt schlicht, dass der Gegenstand kaputt gegangen ist. Wichtig ist allein der Bezug zwischen dem Leichenwagen, der den Tod symbolisiert, und der Möglichkeit, den Schmerz zu messen. Bleibt je nach persönlichem Gutdünken offen, ob der Tod das Ende aller Schmerzen bedeutet oder ob gesagt werden soll, dass das Ausmaß des Schmerzes durch den Tod so groß ist, dass es sich nicht ermessen und dadurch begreifen lässt. Soweit die vage Idee, der erste Notizzettel, für einen Comic zum Thema Schmerz. Zwingend überzeugend ist er nicht. Könnte man sich auch drüber lustig

aber nicht formvollendet in einen Comic einbauen. Entweder das Thema bleibt unverständlich oder wirkt vollkommen deplatziert. Vielleicht doch eher ein Fall für eine Fernsehreportage, die jeder, der nicht vom Thema betroffen ist, nach zwei Minuten wieder vergessen hat. Diese Art von Hoffnungslosigkeit konkret messen zu können, bleibt der Reiz des erfundenen Gegenstandes, den der kleine Junge mit sich herumträgt. Bleiben zwei weitere Darstellungsprobleme zu behandeln. Zum einen würde ich gern in ein kleines Kind schauen können, wenn es zum ersten Mal in seinem Leben einen schlafenden Obdachlosen sieht. Da liegt ein verwahrloster Mann auf dem Boden vor einer Buchhandlung, weil deren Eingang überdacht ist. Umringt von vollgestopften Plastiktüten, einen üblen Gestank verbreitend. Die Schaufensterdekoration widmet sich einem Politik- oder Wirtschaftsspecial und wirbt für schlaue Zeitanalysen von Geistesgrößen wie Lothar Späth („Wir schaffen das“) oder Ulrich Wickert. Was genau passiert da, wenn das Kind zum ersten Mal begreift, dass ein Mensch bei jeder beschissenen Temperatur draußen schlafen muss, weil er kein Zuhause hat? Welche Erkenntnis wird hier gefördert, wenn man ihm erzählt, dass man sich an diesen Anblick gewöhnt, das halt nicht jeder so viel Glück im Leben hat, dass der Mann wahrscheinlich auch selbst Schuld hat, dass man sich an den Gewinnern, nicht an den Verlierern orientieren soll? Und doch bleibt beim Anblick eines auf dem Boden liegenden Menschen die Empfindung zurück: „Das könnte ich sein.“ Diese innere Erfahrung des Kindes lässt sich nur schwer darstellen und schon gar nicht unverbraucht. Wir leben im Jahr 2009. Jeder Versuch wirkt schon wie ein Klischee und albern. Wissen wir doch alles schon. Sozialromantik, Stoff aus dem vergangenen Jahrhundert, Pädagogikscheisse. Schreib nicht drüber, mach ganz konkret im Alltag was dagegen. Der Entertainer in uns würde ja auch viel lieber eine Karikatur daraus machen. Da hilft auch der herbeiphantasierte Gegenstand zur Schmerzmessung nichts. Auf der anderen Seite besteht die größte Freiheit bei allen Arten von schöpferischen Vorgängen in der vollkommenen Ignoranz der Geschichte. „Hey, schau mal, ich hab das Rad erfunden und das Feuer. Vielleicht werden die Menschen eines Tages zum Mond fliegen.“ Das kann natürlich nach hinten losgehen, aber prinzipiell darf und muss jeder den Ballast der Welt abschütteln und wieder ganz von vorne anfangen. Das zweite Problem ist natürlich, dass sich Schmerz

III


HEFT ZWEI Noch ein zweiter vager Entwurf zum Thema Schmerz schwebt mir vor. Diesmal im Stile eines Hollywoodfilms aus den Vierziger oder Fünfziger Jahren. Natürlich in schwarz-weiß gehalten und mit einer Mimik in den Gesichtern der Schauspielern versehen, wie ich sie zuletzt in „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ (1941) bei Spencer Tracy gesehen habe. Die Story könnte wie folgt aussehen: Ein kranker Mann ist dringend auf ein Spenderherz angewiesen und bekommt dies irgendwann auch. Dabei bleibt unklar, wer der tote Spender gewesen ist. Das Leben des operierten Mannes verläuft zunächst normal weiter, aber schließlich beginnt er aufgrund des neuen Herzens eine Veränderung in sich zu spüren. Szene: Eine Frau sitzt weinend und zusammengekauert auf einer Bank. Sie springt hoch und läuft davon. In einer Seitenstrasse läuft der Protagonist ebenfalls zügigen Schrittes, da er es eilig hat. Die beiden laufen aufeinander zu, ohne es zu wissen. Schließlich, und das muss nicht genau an der Ecke sein, rempeln sie aneinander. Der Mann packt die Frau kurz an der Schulter, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren und in dieser Sekunde bemerkt er seine eigene körperliche Veränderung zum ersten Mal. Die Frau geht weiter ihres Weges. Wir kannten den Anlass ihrer Tränen nicht, aber wir sehen, dass sie jetzt langsam trocknen und sich ihre Gesichtszüge entspannen. Dem Mann hingegen geht es nicht so gut. Er muss sich setzen, beginnt zu schwitzen und schwer zu atmen. Nach einigen Minuten geht es auch ihm wieder besser und er kann seinen Weg fortsetzen. Wie sich nach und nach herausstellt, bewirkt das neue Herz des Mannes einen sonderbaren Austausch. Bei jedem Menschen mit dem er in Berührung kommt, fließt die seelische Not, der psychische Schmerz auf den Mann über. Er saugt in gewisser Weise das Leiden der Menschheit auf oder anders ausgedrückt: Er nimmt das Leiden der Welt auf sich. Das dramatische Element an diesem Stoff ist der Tatsache geschuldet, dass es sich hier nicht um eine freiwillige Leistung im Sinne der Krankenkasse handelt. Der Mann hat keine Wahl. Er kann gar nicht anders. Zusehends wird seine innere Kraft weniger. Er magert körperlich ab, die Gesichtshaut fällt in sich zusammen. Ihm schwindelt angesichts des Ausmaßes an Leiden in der Welt. Verzweifelt über sein Unvermögen, mit offenem Herzen dem Leben gegenüber zu treten, geht er natürlich an diesem Schmerz qualvoll zugrunde. Ziemlich schnell sogar. Herr Ober, zahlen bitte!

machen: „Der Mann mit dem Schmerzometer“ oder „Schmerzelrute – feel the pain, see the mess.“ Denkt natürlich sofort jeder an was Versautes. Ich glaube ich bestell‘ noch ein Bier. (Autor winkt mit dem Glas, Bedienung an der Theke nickt wissend zurück.) Hinten in der Ecke sitzt Julia mit ein paar Freunden. Die hat mich irgendwann einfach nicht mehr zurückgerufen. Das hat mich schon getroffen. Leichte Herzschmerzen sozusagen. Dabei ist sie nur beleidigt. Aber ich kann auch nichts dafür, dass ihr neuer Freund in meinen Augen so eine Witzfigur ist. Einer dieser Typen, die in der Fußgängerzone barfuss und mit nacktem Oberkörper mit Kegeln oder Bällen jonglieren. Julia hatte mich angerufen, ich solle unbedingt kommen und mir das anschauen. Als guter Kumpel bin ich da natürlich hin und habe mich an die zwei Stunden dazu gesetzt. Warum auch nicht? Das Wetter war gut und ich hatte mich gefreut, Julia zu sehen. Der Typ hat dann wie wild jongliert. Das Gesicht verkniffen, die Rastas flogen hin und her, die Baggypants rutschten zusehends und dazu wurde eine Art wildes Rumgehüpfe geboten. Ich weiß nicht, ob das dazugehörte, aber dieser Tanz hat mich einfach an Rumpelstilzchen erinnert und das hab ich ihm auch gesagt. Außerdem ist ihm andauernd das Zeug runtergefallen. Er konnte seine Bälle keine zwanzig Sekunden am Stück in der Luft halten, sondern rannte unentwegt durch die Gegend, um sie wieder aufzusammeln. Als dann einer der Passanten noch eine Banane nach ihm warf, musste ich einfach lachen. Zugegeben, vielleicht habe ich ihn ausgelacht, aber erst als mich Julia mit ganz bösem Blick durchbohrte, dämmerte mir, dass sie etwas von diesem Typen wollte und natürlich Partei ergriff. Ich hatte mich schleunigst vom Acker gemacht und seitdem nichts mehr von ihr gehört. Ob ich mal rübergehen sehen soll? Ne, lieber nicht. Ah, da kommt das Bier. Da fällt mir ein, dass jemand wie Helge Schneider möglicherweise sein ganzes Leben darunter leidet, dass niemand etwas Ernstes von ihm hören will. Seine reinen, seriös bemühten Jazzplatten kennt praktisch keiner. Als ganz großer Künstler geht nur durch, wer uns glaubhaft dramatischen Stoff andrehen kann. In diesem Sinne ist Helge eine tragische Figur. Ich stelle mir Helge vor, wie er auf die Bühne geht und sagt: „Hallo, ich bin’s, der Helge. Ich möchte gerne ernstgenommen werden.“ Der Komiker, der gern für voll genommen werden will – eine ganz eigene Kategorie in Punkto seelischer Schmerz.

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HEFT ZWEI Kapitel: Der Mond, der sich auf dem See spiegelt – Eine wahre Geschichte von Roman Libbertz

Keine Mauern waren wie früher nach oben gefahren, sondern meine Begeisterung hatte abgenommen. Sicher war sie immer noch der Mittelpunkt meines damaligen Lebens, aber irgendetwas hatte sich verändert. Genauso wenig wie ich, dank des einstudierten Verhaltens Touristen gegenüber, engeren Kontakt zu den indischen Mitmenschen aufbauen konnte, verhielt es sich mit einem Mal hinsichtlich des Menschen an meiner Seite: Ich konnte ihre Denkweisen, Machtspiele und Launen nicht verstehen, soviel ich auch darüber meditierte oder so sehr ich mich auch mühte. Trauer machte sich in meinem offenen Herz breit und ein seltsamer Isolationsgedanke pochte in meinem Kopf. Ich hatte mich selbst in wundervolle Ketten gelegt, die mir nun die Luft abzuschnüren drohten und deren Glieder ich nicht mehr nachzuvollziehen vermochte. Ich träumte von grünen Landschaften im Allgäu, vom Alleinsein oder von meinen Freunden, die ich durch Beziehung und Indien kaum gesehen hatte. Da war ich also in einem fremden Land in einen Zustand völliger Unsicherheit geraten, in dem alles möglich, doch auch alles unmöglich erschien. Äußere Betrachtung.

Etwas desillusioniert war ich, der sich gefühlsmäßig lange für scheintot und begraben hielt, in diese Beziehung hineingeschlittert und mein Innenleben, unter dem Stern meines bevorstehenden Staatsexamens, sowie der Bedrohung ihres Ex-Freundes, in seinen Grundmauern erschüttert worden. Nach so langer Zeit war ich zum ersten Mal verliebt, bekam meine Anerkennungssucht befriedigt und sah irgendwie Alles und Jeden in rosa. Also weniger Rauchen, Essen, Alkohol, Masturbieren, Gehirnwichserei, Telefonieren, Schaffensdrang, sämtlich all die negativen Angewohnheiten, die mich in der Regel treiben, wenn ich mit dem Alleinsein konfrontiert werde. Ich wollte die Welt für einen anderen Menschen niederreißen und zusammen, wie in einem Cary Grant-Film auf einem Hausboot dem Leben entgegen treiben. Schnitt. Sieben Monate später befand ich mich in Udaipur, der weißen Stadt mit ihrer traumwandlerischen Atmosphäre und den unzähligen Dachterrassen am See. Zwanzig Tage waren wir 5000 Kilometer mit dem Auto quer durch die nordindische Wüste gereist. Jede Stunde hatten wir zusammen verbracht – gesehen, geschlafen, gegessen, gelacht und manchmal gestritten. Jedoch machte sich nach etwa einer Woche unseres Aufenthaltes ein Gefühl breit, das ich bis dato noch nicht kannte. (Gehirnforscher attestieren, dass nach etwa sechs Monaten das „Verliebtheitsendorphin“ nachlässt.) Wir beide, auch bedingt durch die tägliche Reizüberflutung, überdachten insgeheim, jeder für sich, ob der Partner wirklich der Mensch sein könne, den man zu „Lieben“ fähig wäre. Nicht mächtig genug, sich dies einzugestehen, verschweißte es einerseits, ließ andererseits aber auch unsere Streitigkeiten wie Vulkanausbrüche aus dem Boden schießen. Es gab zwei Momente, die ich während der Reise nicht fähig war einzuordnen und die mich, immer mehr, in mich zurückziehen ließen. Details. Einmal trug es sich an einem Abend in Puskar zu, dass ich froh war, sie bereits eingeschlafen neben mir zu sehen und bewegungslos in Ruhe für mich sein zu können. Der andere Abend spielte sich in Agra ab, als ich vom Essenholen zurückkam, sie mir überschwänglich in die Arme fiel und ich diese Zuneigung nicht erwidern konnte. Erklärung.

Kritik organisieren.

. Die linke Wochenzeitung. Am Kiosk und im Netz: jungle-world.com

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HEFT ZWEI Mit pinker Tinte von Teresa Bücker

Der Sinnsuchende hatte den Sinn verloren. Er trieb auf einer Scholle, welche ihn Handlungsströmungen aussetzte, die für ihn zwar augenblicklich zweckmäßig erschienen, jedoch im Nachhinein von Grund auf unreflektiert waren. Blickte er in den Spiegel, war es fast so, als sehe er sein eigenes, jedoch verfremdetes Gesicht und seine Hand, die ihm den ausgestreckten Mittelfinger zeigte. Allumfassende Ohnmacht. Raus. Um uns spazierten Kühe auf unbetonierten Straßen. Abwasserrinnen liefen offen neben den Wegen. Tausende Rikschafahrer. Ein nackter Säugling krabbelte scheinbar heimatlos durch die Gegend und wie das Leben so spielt, brauchte es genau hier dann einen kleinen unwichtigen Streit, welcher sich genau genommen nicht verbal, sondern nur mit Blicken austrug, der das geheuchelte Konstrukt zusammenbrechen ließ. Explizit. Meine ehemalige Traumfrau schwang sich in eine Rikscha und brauste von Dannen. Ich war endgültig vom Weg abgekommen, doch unvorstellbarerweise von dieser Sekunde auf die andere wieder mit mir im Reinen. Das Gefühl war so intensiv, dass ich mich, gleichsam wie ein frisch verliebter Junge über sein gebrochenes Herz weint, gegenüber eines von Frauen beklopften Steinfeldes vergoss. Derart geläutert, kenterten wir kurze Zeit später in unserem Hotelzimmer, in dem ich beschloss, auf eine letzte gemeinsame Woche im seligen Kerala, gefüllt von Ayurveda am Meer zu verzichten, am nächsten Morgen nach Delhi zurückzufahren und den Heimflug anzutreten. Ende. In der Nacht nach meiner Entscheidung rauchte ich das erste Mal seit drei Wochen wieder und zwar gleich eine ganze Schachtel. Um fünf Uhr früh fand ich mich auf dem Balkon sitzend, sah den Mond sich im Wasser des Sees spiegeln, die Luft geschwängert von fremdländischen Gewürzen, das Ohr der orientalischen Musik lauschend, die vom anderen Ufer entgegenschwappte und fühlte mich zugleich frei und leer wie nie zuvor. Das Hausboot haben wir, weder in Kerala, noch in unserem Leben je betreten. Das immer gleiche traurige Lied vom Kampf um Liebe und Anerkennung. Abspann. You must remember this A kiss is still a kiss A sigh is just a sigh The fundamental things apply As time goes by

„Dann haben wir Sex. Mit Geräten. Mit Komplexen. Mit Angst, Angst, Angst. Wir suchen Partner, finden keinen. Werden schwanger. Oder nicht. Haben Angst, weil wir nicht schwanger werden oder doch, und dann kommt das Kind, wir kennen es nicht, wir pflanzen es in einen Blumentopf.“ Sibylle Berg: Der Mann schläft. Vor dem Kanzleramt blüht nur ein einsames Gänseblümchen auf dem adrett gemähten Rasen. Die unkrautüberwucherten Fragen, die der von Sibylle Berg formulierte Auszug aus dem Leben junger Frauen aufwirft, schlagen hier keine Wurzeln. „Do you know, what it feels like in this world, for a girl?“ – In diesem Wahlkampf? Nach dieser Wahl im September 2009? Auf dem Balkon des Kanzleramtes blickt eine Frau im Blazer gedankenverloren in die Luft. Fragezeichen kullern aus den glanzlosen Augen von Sabine Christiansen und Stefan Aust irgendwo in einem erleuchtet blauen Studio. Es ist Ihre Wahl. Und dort, dort ist der nächste Blumenkübel. „Do you know, what it feels like in this world, for a girl?“ Sabine Christiansen weiß es vermutlich genauso wenig wie Angela Merkel. Realpolitik und Polittalk der Best Ager-Damen haben wenig Bezug zur Realität von anderen Frauen und besonders den jungen. Mit der sanften Moderation des Politischen überlassen sie die Wortschlacht und Taten oftmals den Männern, in deren Seilschaft es sich lebt wie das Zicklein an der Zitze, lässt man den Böcken ihren Lauf. Während die CDU-Vorsitzende wenigstens einmal im Jahr zum Girls’ Day kurz ihren Draht zu einigen eingeschulten Mädchen pflegt, frisiert Talk-Dame Christiansen zusammen mit dem Mann, der das Frisurenwunder Merkels vor vier Sommern bewirkte, verzogene Rassekläffer. Der Blick auf die Welt außerhalb des Salons verschleiert diesem interessanten Girls’ Club die vom Boden gefegten Bobtailfransen. Susanne Klinger stellte ganz richtig fest: „Im Wahlkampf 2009 ist die Frage, ob eine Frau Kanz-

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HEFT ZWEI lerin sein kann, einfach nur lächerlich.“ Christdemokratische Mädchen kommen überall hin. Sogar an die politische Spitze der Republik. Ein apricotfarbener Blazer und pfirsichfarbene Bäckchen sind vier Jahre nach der Kanzlerinnenkrönung dem zartpinken Blazer der Staatsmännin gewichen. Auf Wahlplakaten muss er lila sein. Das wirkt entschlossener. Oder endlich bei den Lesben. Fortgesetzt wird hier die Farbklecksstrategie für offizielle Führungsriegenfotografie, die den vor den Bildschirmen weggedämmerten, wankenden Wählern kurz einen weiteren Tupfer Entzückung ins Hirn klopft: Sie ist etwas Besonderes, unsere Angela. Mal rosa, mal ostdeutsch, mal Dubyas Darling. Immer Faszinosum. Immerwährendes Symbol für die unerschöpflichen Weiten des deutschen Traums. Wir Mädchen hatten uns das niemals träumen lassen, als Kohls Mädchen herself noch gar nicht von Kanzlerschaft träumte. Das, was heute in Form der Empfehlung des Hauses als Traum deutscher Frauen den Damen serviert wird. Wir hatten schließlich gedacht, wir dürften spätestens dann auch einfach mal Frau sein; wenn eine von uns anstatt des Rocks die Hosen anziehen würde. *** Heute ziehe ich mir am allerliebsten ein Kleid über den Kopf. Die Zeit vor der Schulreife verweigerte ich mich dem wallenden Gewand. Baumhäuser erklimmen, über Schneeschanzen springen, Pferde zähmen – dafür musste die Hose sitzen. Doch zur Einschulung ziemte sich zur Schultüte auch das passende Kleid. Gedanklich in Hosen, tatsächlich im Kleidchen, öffnete sich mit dem Fall der Mauer für mich die Tür der ersten Klasse. Dreizehn weitere Schulbänke würden folgen, die mich schlecht möglichst auf die Idee einer Studien- und Berufswahl bringen würden. Zweifelsfrei stand einzig fest, dass ich in der aufgeklärten Welt westfälischer Einöde als Mädchen alles werden konnte; mit Mal sogar Messdiener der katholischen Gemeinde. Emanzipiert noch vor der ersten Brustknospe, da Papa gerne die Kochschürze trug – und obwohl seine Frau vor Mutterglück schäumend das Beobachten meines Wachstums einer frühen Rückkehr in den Be-

ruf vorzug. Für all die niedlichen Erstklässlerinnen blühte das Amt der Kanzlerin wie selbstverständlich auf dem Schulweg. Zur Linken und zur Rechten wartete es als Mauerblümchen mit strammen Schultern darauf, gepflückt zu werden. Mein Pony zäumte ich jedoch mit Scheuklappen und zockelte nach Erhalt eines Fetzen Papiers, der notdürftige Reife, Bildung und tiefe Traurigkeit über eine vertane Jugend unter dem löchrigen Dach des deutschen Schulsystems bescheinigte, durch die Mitte gen wilden Osten. Sieben Sachen im Kanzleramt würden für kein Mädchen, keine Frau, mehr bedeuten als ein wildes Kreisen auf der Stelle, bis der Schwindel sie vergessen lassen würde, dass mit dem Abwurf des Rocks und dem Arsch im Hosenanzug nur ein Hauch mehr als ein Nichts getan sein würde. *** Temperamentvollere Röcke mit politischem Gehalt sucht man heute im Regierungsviertel, auf Hinterbänken und parlamentarischen Abenden vergeblich. Hier regiert der Bleistiftrock in kargen Betontönen. Eine Definition von Weiblichkeit, die für etwas anderes steht als Verführung, Glatteis und Mutterschaft existiert im Politischen nicht. Selbst eine Kanzlerin hat nach vier Jahren Führung den Faktor Frau in keinster Weise politisch interessant machen können. Ein frauenpolitisches Engagement hätte Angela Merkels einzig wahrhaft weibliches Attribut sein können, doch dies zu erwägen trippelte nie in Nähe ihres Verstandes vorbei. Lieber nahm sie es schläfrig zur Kenntnis, dass sie erst über Einsatz ihres Körpers als Wesen von Weiblichkeit wahrgenommen wurde. Darf eine Kanzlerin Brüste haben? Im inhaltsarm vor sich hin plätschernden Wahlkampf sind der Einsatz von Kurven (Vera Lengsfeld, CDU) und die blonde Mähne einer jungen Frau (Manuela Schwesig, SPD) die einzig verlässliche Strategie ein Stück vom Kuchen der Aufmerksamkeit abzubekommen. Sogar das männliche Nesthäkchen des Kabinetts sonnt sich in seiner von Boulevardberichten herbeischwadronierten Attraktivität, die wie ein listiges Advertorial für Pomadeproduzenten wirken. Die Glanzleistungen seines

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HEFT ZWEI Haupthaars sind ein Präzedenzfall für die politische Berichterstattung. Dass bei einem Minister die ihm zugedachte Aufmerksamkeit zu großen Teilen auf dessen Äußeren und dem Grad seiner Anziehungskraft auf das eine oder andere Geschlecht fußt, ist neu und so wenig selbstverständlich. Dem gegenüber steht die Selbstverständlichkeit, wie dieser charmant gemeinte Überfluss das äußere Erscheinungsbild zu besprechen, zu einem Politikerinnenportrait gehört. *** Fanshirts an die Röcke wird die Politik nicht mehr verkaufen, ganz gleich, ob modisch begeisterte Wahlberechtigte sich nach dem Auszug aus der Krise wieder ein paar Stiefel mehr leisten können werden. Die Herzen von Frauenpolitik, Männerpolitik, Familienpolitik und Maßregelung der Jugend gehören nicht in die zittrigen Hände des Staats. Der Feminismus schon lange nicht mehr in die Hände Schwarzers. Der Emma-Chefin, die zwar viel für den Stand der Emanzipation heute bewirkte, es aber gleichsam schaffte, dass dieser nicht vielstimmig ist und der Begriff des Feminismus oftmals mit einer alternden, keifenden Furie gleichgesetzt wird, kann man Ähnliches vorwerfen, wie oftmals für die Politikverdrossenheit der Bürger herangezogen wird. Sie hat sich von der Lebensrealität der Frauen entfernt, ein Machterhaltungstrieb hat Dialoginteresse verdrängt und alle werden sie fetter, gelangweilter und egozentrischer. Doch ein Vorwurf ist an dieser Stelle das Instrument, das die Wunden nicht flickt. Kritik an konservativer Familienpolitik, das Proklamieren von Lohnunterschieden und der Wunsch nach mehr oder anderer Führung durch Frauen fällt bei Politik und im Tunnelblick agierenden Feminismus in keinen fruchtbaren Schoß. Da wünscht man sich derzeit eher Comedian Oliver Pocher als Sprachrohr des Feminismus: er nahm die abgelegte Schmuckdesignerin (eine Berufsbezeichnung, die von Society-Reportern immer an der Stelle eingepflegt wird, wenn eine Liebhaberin eines Prominenten weder Bildung, Berufung noch Intellekt aufweist) eines zum Schürzenjäger ergrauten Tennisstars unter seine Fittiche, wandelte ihren dummen, zwanghaften Wunsch, weiterhin promi-

nent zu vögeln, für die Presse in gewitzte Ironie um, als er sie sagen ließ, über die zuvor von ihm über sie gemachten Scherze könne sie lachen. Atemlos verhalf er der anorektischen Kindsfrau im ersten Monat des jungen Verhältnisses zum Babybauch. Tapfer, dass Pocher die Bürde auf sich nahm, Sandy Meyer-Wölden den einzig ihr offen stehenden Weg zu ebnen, der sie zu einer Frau machen könnte. Sie ist kein zu belächelndes Anhängsel mehr. Wo prominente Mitbürger es zahlreich schaffen, sich selbst und die wechselnden Partner als eigenständige Personen zu etablieren, fügt sich das Zusammenspiel von Mann und Frau auf den roten Läufern der Politik stets zu einem schiefen Bild. Was soll diese Frau an Frank Walter Steinmeiers Seite, mit der er obamaesk in das Fanvolk winkt? Wenn ein Kandidat keine Marke wird, kann dies dann für seine Gattin bewerkstelligt werden, die verglichen mit der Vogue-Tauglichkeit einer Michelle Obama noch nicht einmal für Landlust oder die Brigitte interessant genug wäre? Was verrät uns das Gespann Merkel-Sauer, das zwar gegenseitigen Respekt vermuten lässt, aber auch den Gedanken anregt, dass sich der Mann neben einer maximal erfolgreichen Frau in seiner Haut nicht ganz wohl fühlt. SPD-Senior Müntefering hat das Charisma der Macht genutzt, um das einzig frisch wirkende Element im Wahlkampf der Sozialdemokraten an seiner Seite zu wissen, doch das Lächeln seiner Gespielin im Enkelinnenalter verrät, wer hier der wahre Profiteur ist. Und am Ende der Reihe sahnt der feierfröhliche Regent der Hauptstadt die Punkte im Paarlauf ab. Ausgerechnet Klaus Wowereit und sein Partner oder auch Moderatorin Anne Will und die Frau an ihrer Seite wirken bei öffentlichen Auftritten wie ein geschlossenes Paar, da ein aufgesetztes Rollenspiel verworfen wurde. *** Und dann würde ich gerne Anne Will Angela Merkel fragen hören, warum ihr und ihrer Partnerin keine Adoption zugestanden würde. Und dann höre ich die BILD lachen, da auf das Konto der Zeitung mehr geborene Babys gehen, als auf die

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HEFT ZWEI reift ein Gedanke in uns: Endlich können wir mich mal selbst interviewen und damit einige Dinge klarstellen.

Familientherapie der Ursula von der Leyen. Und dann höre ich mich seufzen, da ich für Frauen die politische und gesellschaftliche Stimme nicht sehe. Und dann knickt der Spross des Fragezeichens im Blumentopf ein, da den jungen Frauen, denen die Popkultur vertraute, das Hirn, der Lektor und der Mut fehlte.

PHIL: Hi Phil, schön mit dir hier zu sitzen! Du hattest gerade deine ersten Konzerte in den USA. Wie war’s? PHIL: Interessante Sache. Es war ja auch mein allererster Aufenthalt überhaupt in Amerika. Lange Zeit habe ich mir den Flug über den Ozean einfach nicht zugetraut, obwohl ich immer wusste, dass die Wiege des Rock ‘n‘ Roll sicher einiges für mich zu bieten hätte. Die Konzerte, die ich hier mit meinem Freund und Kollegen Sam I Am hatte, waren an sich eher unspektakulär. Man braucht nicht zu denken, dass man als Kraut hier rüber kommt und gleich mal in der Carnegie Hall losträllern kann. Ich war aber auf jeden Fall froh, dass ich mich bei meinen Songs für’s Englische entschieden habe. So konnten die Leute auch meine Texte verstehen. Obwohl es, zugegebenermaßen, anfangs schon ein mulmiges Gefühl war, das die Leute da jetzt wirklich ganz genau alles verstehen, was man so verzapft.

*** Frauenpolitik bedeutet derzeit, dass die Lenkerin des Staates einen Blazer, und kein Jackett trägt, und dass Großplakate der Regierung ein Bild von glucksenden Kleinkindern und neuen Vätern zeichnen. Vor meiner Haustür gibt es diese Väter tatsächlich. Doch sie sind nicht Ursula von der Leyens Idee eines kinderreichen Staates gefolgt, sondern ihrem Herzen und Kinderwunsch. Ganz wie die Frauen an ihrer Seite. Mein Kindheitstraum von der Kinderlosigkeit scheint mir neuerdings wie eine sehr schlechte Idee. Eine schlechtere Idee ist eigentlich nur, meine Fruchtbarkeit als politische Herausforderung einzuordnen. In den Kästchen der Regierung, die einen Ministerposten für politische Bäuche schuf, fehlt auf meinem Wahlzettel das Kreuz.

PHIL: Dein neues Album heißt ’I Pretend My Room’s A Sailing Boat’. Was willst du den Hörern damit suggerieren? PHIL: Mein Segelboot ist ein seelisches Refugium, ein Vehikel, das ich benutzen kann, um zu reflektieren und Orte und Erkenntnisse in meinem Leben zu erreichen und mitzunehmen, um sie in gewisser Weise zu konservieren. Es symbolisiert für mich die Freiheit, das zu tun was ich möchte: Es gibt mir eine gewisse Sicherheit. Wenn ich über mein Tun im Zweifel bin, kann ich mich auf mein Boot zurückziehen und mir klar werden, ob das was ich gerade mache für mein Leben richtig ist, ob es einen Platz hat auf diesem Zuhause.

Das einzig Weibliche an meiner Wahlentscheidung ist die pinke Tinte, mit der ich die Striche ziehe.

Selbstgespräch von Phil Vetter

Ich bin es nicht gewohnt, mit dem Flugzeug zu reisen, da ich die letzten Monate permanent mit meinem Segelboot unterwegs war. Nun sitze ich aber in einem Stunden andauernden TransAtlantik-Flug von Philadelphia nach München. Durch die Zeitverschiebungen zwischen den USA und Europa sind seltsame Dinge passiert. Zum Beispiel ist es erstaunlicherweise so, dass neben mir im Sitz 24E kein anderer sitzt als ich selbst. Eigenartig, denke ich mir. Nach anfänglicher Verwirrung und endlosen Auseinandersetzungen

PHIL: Aha...? PHIL: Ja, „die Gedanken sind frei,“ heißt es in einem alten deutschen Volkslied. Und genau das ist das Konzept hinter dem neuen Album – du kannst sein, wo immer du möchtest, wenn du deiner Fantasie genügend Raum gibst. Und du kannst Dinge, die du dir wünschst, auch wahr werden lassen, wenn du sie konkret formulierst.

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HEFT ZWEI

PHIL: Kannst du ein Beispiel nennen? PHIL: Ein gutes Beispiel ist das Album, das ich im Oktober veröffentliche. Es ist immer wieder erstaunlich für mich, wie so etwas entsteht. Am Anfang ist es nicht mehr als eine Idee. Ich habe lediglich ein Gefühl, wie das neue Album werden könnte. Daraus entsteht nach und nach etwas Greifbares, etwas Hörbares. Das schönste ist, wenn alles fertig ist und ich es mit meiner Live-Band zu etwas tatsächlich physikalisch existierendem umwandeln und es meinem Publikum von der Bühne aus geben kann.

A Sailing Boat“ hören, habe ich es geschafft, diese Liebe in das Leben selbst zurückzuverlagern. Liebe ist etwas das man in sich trägt. Man braucht keine bestimmte Person, um sie zu fühlen. PHIL: Das neue Album erscheint auf deinem eigenen Label HAUS BOOT Entertainment. Wollte dich sonst keiner nehmen? PHIL: Ich weiß nicht, ob es ein Label gegeben hätte, das meine neue Platte herausgebracht hätte. Ich habe es nicht mal jemandem geschickt. PHIL: Bist du deswegen frustriert? PHIL: Nein, aber ich sehe gerade keinen Sinn darin, sich als Künstler mit einem Label zusammen zu tun. Im Prinzip tun die ja nicht viel anders, als einem zu ermöglichen, überhaupt etwas zu veröffentlichen. Sie geben einem in Form von CD-Herstellung und Investition in Promotion und Marketing einen Kredit zu denkbar schlechten Konditionen. Mir war es in dem Fall lieber, selbst das Risiko einzugehen, eine Stange Geld hinzulegen und dafür die Fäden in der Hand zu haben. Das gute am Untergang des physikalischen Tonträgers ist ja, das man nicht mehr solche Unmengen an CDs herstellen muss, um das Album flächendeckend verfügbar zu machen. Was Vertriebsstrukturen angeht, gibt es in der Zwischenzeit viele Dienstleister, mit denen man als Musiker direkt zusammenarbeiten kann, die es einem ermöglichen, bei i-Tunes, Amazon und anderen Portalen in Erscheinung zu treten. Davon abgesehen, waren meine Erfahrungen mit so genannten Plattenverträgen in den letzten Jahren nicht sehr erbaulich. Ein Klischee zwar, aber leider dennoch die Wahrheit. Es wird einem immer etwas versprochen, das nicht eingehalten werden kann.

PHIL: Du sprichst von einer Live-Band. Wer ist das? Und sind das nicht dieselben Jungs oder Mädchen, die auch auf der Platte zu hören sind? PHIL: Ich habe mich irgendwann, so um 2005 herum, entschieden, dass ich meine Aufnahmen im Alleingang machen möchte. Ich spiele alle Instrumente die nötig sind, um Popmusik nach meinen Vorstellungen zu produzieren. Es macht mir großen Spaß, wie ein Maler auf einer Leinwand, Schicht für Schicht, musikalische Farbe für musikalische Farbe aufzutragen. Bis ein für mich stimmiges Bild entsteht. Ich bin davon überzeugt, dass etwas sehr eigenes und intensives entsteht, wenn man sich so intim und selbst bestimmt in etwas hineinversenkt. Meine Live-Band besteht zum größten Teil aus Musikern, mit denen ich schon seit vielen Jahren zusammen spiele und die auch meine beiden vorherigen Alben live umgesetzt haben. Wompl, Michael Kröger, Mr Sil aus Berlin. Neu an Board ist Maxi Karrasz am Bass, der mit mir und ein paar Jungs von der Band Jamaram in einer Musikerkommune im bayerischen Fünf-Seen-Land lebt. Ich spiele mit tollen Musikern, die sehr einfühlsam und liebevoll mit meinen Kompositionen umgehen.

PHIL: Worauf freust du dich, wenn du wieder in Deutschland bist? PHIL: Natürlich auf die bevorstehende Veröffentlichung und die Tour im Oktober und November. So Phil, und jetzt verdrück dich wieder, du machst mich noch ganz kirre!

PHIL: Mit deinem letzten Album hast du dich als „Sad Man Walking“ dargestellt. Was ist mit ihm passiert? PHIL: Der „Sad Man Walking“ ist ein Symbol für die große Liebe, die gescheitert ist. Es wird immer einen Platz in meinem Leben haben, denn sie ist nicht zurückgekehrt. Allerdings, und das kann man, glaube ich, auch auf „I Pretend My Room’s

PHIL: Ok, Servus !

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