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[New] Containern baldstraffrei?
Debatte zumUmgangmit weggeworfenen Lebensmitteln
Fortsetzung Titelseite
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„Containern“, „Dumpster Diving“oder „Mülltauchen“ isteinePraxis,bei der Menschen Lebensmittel,die sonst entsorgt werden würden, aus Abfallcontainern –beispielsweisevon Supermärkten, Gastro-Betrieben oder Fabriken –sammeln. Diessoll eineMöglichkeit sein,Lebensmittelverschwendung zu reduzieren undgleichzeitigBedürftige mitNahrung zu versorgen. Neben Bedürftigen fischen auch „Aktivisten“Essbares aus Abfallcontainern,umdamit ihrenUnmut über die vermutete Verschwendung auszudrücken. Kritische Stimmen halten dem entgegen, dass diese Praxis die Sicherheit und Qualität der gesammelten Lebensmittel beeinträchtigesowie die systemischen Ursachender Lebensmittelverschwendung ungelöstblieben. Angaben derBundesregierung zufolge werden in Deutschland jedesJahr rund elf MillionenTonnen Lebensmittelabfälle entsorgt. Dergrößte Teil falledabei bei Privathaushalten an (59 Prozentoder durchschnittlich 78Kilogramm pro Verbraucher). In der Landwirtschaftentstünden nachder Ernteoder Schlachtung zwei Prozent der Gesamtabfallmenge (0,2 Millionen Tonnen). Bei derVerarbeitung fielen weitere 15Prozent (1,6 Millionen Tonnen) an. Im Handel entstünden dann sieben Prozent derLebensmittelabfälle (0,8 Mio. Tonnen).Schließlich fielen bei der Außer-Haus-Verpflegung noch 17 Prozent (1,9Millionen Tonnen) der Abfälle an. Nach dem Abfallrecht gehörendie Inhalte von Abfallcontainernauf privaten Grundstückenbis zur Abholung durcheineEntsorgungsfirma dem sogenanntenWegwerferres- pektive demGrundstückseigentümer. Wer widerrechtlich private Räumebetritt, begehtHausfriedensbruch. Und werLebensmittel entwendet,begehtDiebstahl. Das Bundesverfassungsgericht hatam5.August2020 übereine vonder Nichtregierungsorganisation„Gesellschaft fürFreiheitsrechte e. V. (GFF)“ eingereichte Verfassungsbeschwerde gegen dasStrafmaßfür zwei Studentinnen ausOberbayern,die containert hatten, geurteilt (Az. 2BvR 1985/19 u. a.). Danachbleibt Containernverboten, denn der Gesetzgeber dürfe grundsätzlichauchdas Eigentum an wirtschaftlich wertlosen Sachenstrafrechtlichschützen. Das BVerfG führte jedoch ebenfalls aus, es könnenicht prüfen,„ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste,vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat; es hatlediglich darüber zu wachen, dass die StrafvorschriftmateriellinEinklangmit den Bestimmungen derVerfassung steht und denungeschriebenen Verfassungsgrundsätzensowie Grundentscheidungen desGrundgesetzesentspricht“.Die GFF nahmdies alsFingerzeig,dass die Politik tätig werden müsse.Das Strafrecht dürfenur gegensozialschädlichesVerhalteneingesetzt werden–und wer verhindere, dass Lebensmittel verschwendet würden, tätenachdieserLesart nichts Verwerfliches. Radikaleund umstrittene Aktivisten vom„Aufstand derletzten Generationhaben 2022 medienwirksam containert undein „Lebensmittel-retten-Gesetz“ gefordert. Siebegrüßten bereits, dass Bundesernährungsminister CemÖzdemir (Bündnis90/DIE GRÜNEN) die Legalisierung des Containerns plante. In einer gemeinsamenPresseerklärung desBundesministeriums für Ernährungund Landwirtschaftund des Bundesministeriums derJustiz vom 10. Januar2023 werben nun
Özdemir undBundesjustizminister Dr. MarcoBuschmann(FDP) fürÄnderungen beiden „Richtlinien für dasStrafverfahren unddas Bußgeldverfahren“, damit bestimmte Verfahren wegen Diebstahlsweggeworfener Lebensmittel aus Abfallcontainern regelmäßig eingestellt werden.Dies seieine praktikableLösung auf Ebeneder Verwaltungsvorschriften zum Verfahrensrecht, ohne dass das materielle Rechtberührt würde.
Gemeinnützige
Organisationen fördern Demgegenüber lehntder Handelsverband Lebensmittel (BVLH) Änderungen bei der strafrechtlichen Verfolgung desContainerns ab. Strafrechtund Strafprozessrecht würden bereits allen denkbaren Fallkonstellationen Rechnung tragen. Überdiessei Containern mit Blickauf die Statistikder Bundesregierung, wo die Privathaushalte den größten Anteil an derLebensmittelverschwendunghätten, kein wirksamer Beitrag zur Reduzierung. „Auf dieIdee, dafür dieErlaubniszuerteilen, private Abfalltonnen für Mülltaucherfreizugeben,kommt verständlicherweiseniemand.“ Vielmehr solltejegliche Form des Containerns schon aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes verbotensein: Lebensmittel würden im Handel inder Regel zu Abfall, wenn sienicht mehr verkehrsfähig seien, sprich:ihre spezifischen Eigenschaften eingebüßt haben, ihr Verzehrnicht mehr alssicher oder gesundheitlich unbedenklichgelten könne.VerkehrsfähigeLebensmittel,welchedie Händlernicht mehr verkaufenkönnten, würden wiederumangemeinnützige Organisationen wiedie Tafeln gespendet. Diese sollten gezieltgefördert werden,soder BVLH.
Ihre Meinung ist uns wichtig!Leserbriefebittean redaktion@blick-punkt.com Dr. Olaf KonstantinKrueger