Mette Jakobsen, Minous Geschichte

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Und umso länger und aufmerksamer ich dies alles prüfe,­ umso klarer und deutlicher erkenne ich es als wahr. René Descartes


Am

Morgen, als ich den toten Jungen fand, schneite es. Die Insel mit ihren zwei Häusern und der einen Kirche lag unter einer weißen Decke. Papa holte gerade die Fischernetze ein, als ich eine Hand zwischen zwei Felsen sah. Es kam mir vor wie ein Zaubertrick, bei dem ein Strauß Rosen erscheint – voilà! Bitte sehr, für dich – und dann Applaus. Aber alles war still, die Hand rührte sich nicht. Er lag auf dem Rücken, bestäubt mit frischem Schnee, in einer Wiege aus Steinen. Seine Augen waren geschlossen. Ein Rabe saß auf einem verwitterten Kiefernast und beobachtete ihn. Der Junge war etwas älter als ich, vielleicht vierzehn oder fünfzehn. Sein Haar war dunkel, fast so dunkel wie meins. »Papa.« Meine Stimme war ein Flüstern. Der Mund des toten Jungen war leicht geöffnet. Als wollte er etwas sagen. »Papa«, rief ich. Dann lief ich zu Papa, stolperte, rannte, und er ließ die Netze fallen und fing mich in seinen Armen auf. 9


»Keine Angst, Papa«, murmelte ich in seinen dicken Mantel, »es ist nicht Mama.« Papa ging sich den toten Jungen ansehen, während ich an der Angelstelle wartete und beobachtete, wie der Wind den feinen Schnee hochwehte und über Steine und Sand wirbelte. Der Winter war früh gekommen. Es war November. Ein Jahr war seit der Zirkusvorstellung vergangen. Und ein Jahr, seit Mama mit einem großen schwarzen Schirm in den kalten Morgenregen hinausgegangen war. Ein Jahr, seit sie verschwunden war und Schildkröte mitgenommen hatte. Vielleicht glaubt ihr meine Geschichte nicht. Vielleicht lest ihr sie wie ein Märchen oder wie eine Fabel aus meiner Phantasie. Aber alles ist wahr. Der tote Junge blieb drei Tage lang bei uns. Papa legte ihn steif und gefroren auf ein Bett im blauen Zimmer, und dort blieb er, bis das Versorgungsschiff kam. Die Insel liegt immer noch draußen im ­Ozean; sie ist so klein, dass man sie auf keiner Karte findet. Nur ein Kreuz zeigt dem müden Matrosen, dass es inmitten des endlosen Meeres die Aussicht auf Rettung gibt.

schwand, stellte er immer ihre Tasse auf den Küchentisch und den Wasserkessel auf den Herd, und erst dann kümmerte er sich um die Netze. Mama trank ihren Kaffee gern gleich nach dem Aufstehen. Sie mochte ihn mit Milch und Zucker in einer zarten Tasse, auf die seitlich kleine Pfauen gemalt waren. Sie trank ihn langsam, mit zerzaustem Haar und verschlafenen Augen. Ich holte ihre Tasse immer noch jeden Morgen heraus und stellte sie auf den Tisch. Papa schaute dann traurig auf das zarte Porzellan. »Sie ist nicht tot, Papa«, sagte ich. »Sie kommt bestimmt wieder.« Ich war zwölf, mein Körper dünn und lang, und ich ähnelte Mama nicht im Geringsten. Sie war auf eine Weise schön, die ich nicht so recht erklären kann. Ihre Augen waren grau, und schon morgens trug sie Kleider – blaue, rote oder violette –, und nach dem Kaffee band sie ihr langes rotes Haar zu einem lockeren Knoten zusammen, in den sie Federn und samtene Rosen steckte.

Papa fischte immer im Morgengrauen. Sein Blecheimer stand im Schränkchen unter der Spüle, und die Netze hingen dunkel und verheißungsvoll an der Rückwand der Küche. Bevor Mama ver-

Am Morgen, als ich den toten Jungen fand, packte ich die Netze zusammen. Papa trank noch seinen Kaffee aus, dann zog er seine Stiefel, die Jacke und den gelben Schal an, den ich ihm im Jahr zuvor gestrickt hatte, und der, wie ich jetzt deutlich sah, ziemlich löchrig war. Draußen war es kalt und dunkel, nur die Lichter der Kirche in der Ferne dienten uns als Anhaltspunkt. Ich spürte kleine, stechende Schnee-

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flocken auf den Wangen und hielt mir schützend die Hand vor die Augen. Papa und ich standen direkt vor der Tür. Wir konnten das Meer nicht sehen, aber wir hörten es. Der Strand war zweihundertsechsundsiebzig Schritte von unserer Haustür entfernt. Zwischen der Tür und dem Strand befand sich nur ein großes schmiedeeisernes Tor mit zwei hohen, stolzen Flügeln, die sich, so stellte ich mir vor, nach dem Zaun sehnten, der nie errichtet worden war. Vor mehr als zweihundert Jahren hatte Theodora die Kirche mit ihren Buntglasfenstern und die beiden Häuser auf der Insel gebaut, aber zu dem Zaun war sie aufgrund ihres vorzei­ tigen Todes nicht mehr gekommen. »Bist du fertig?« Papa legte sich die Netze über die Schulter. »Ich finde meine Handschuhe nicht.« »Dann nimm meine.« Er reichte mir seine riesigen Handschuhe mit dem Schafswollfutter und griff nach dem Eimer, während die schwindende Dunkelheit auf uns zustürzte, als wäre es ihre letzte Chance, sich bemerkbar zu machen. Papa öffnete immer das Tor statt außen herumzugehen. »Kein Gentleman ignoriert ein Tor«, erklärte er. Dann fielen die Flügel mit einem rostigen Kreischen hinter uns ins Schloss, und Papa sagte wie immer: »Nenne mir drei Philosophen, Minou.« Und wie an jedem Morgen hatte ich auch heute

drei Namen für ihn parat. »Kant, Hegel und natürlich Descartes.« »Natürlich«, sagte er und nahm mich an die Hand. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber ich wusste, dass er zufrieden war. Zusammen gingen wir den Pfad hinunter und dann am Strand entlang, wie zwei blinde Forscher, über Seetang und dunkle Felsen, über Eis und Perlmoos in Richtung Angelstelle. Papa sagte, das Leben auf einer Insel gleiche dem Leben in einer geschlossenen Faust. »Nichts ist besser für einen Philosophen«, sagte er. »Wie soll man philosophieren, wenn man ständig Entscheidungen treffen muss?« Auf unserer kleinen Insel musste man zwar auch Entscheidungen treffen, aber nicht sehr viele. Die meiste Zeit konnte man nachdenken, und das war für Papa die vornehmste aller Beschäftigungen. Ich schaffte es, die Insel in dreiundfünfzig Minuten zu umrunden. Sie hatte die Form von Katzenzungen aus Schokolade, die es bei uns manchmal an Weihnachten gab. Sie waren cremig und milchig und glichen eher Hundeknochen als Katzenzungen. An der Westspitze lag Theodoras Plateau. Ich durfte mich der Kante nie nähern. Allein der Wind, sagte Papa, könne einen wegwehen und tief hinunter in die Wellen schleudern.

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Wenn der Junge gesund und munter auf die Insel gekommen wäre, hätten wir ihm alles gezeigt.


Wir wären vom Strand den Pfad hochgegangen. Und Papa hätte dem Jungen alles über den alten Leuchtturm erzählt, der sich auf unserem Haus befand und sich leicht zum Meer neigte. Er war nicht mehr in Betrieb. Aber Papa war stolz auf ihn, und obwohl er nicht sehr praktisch veranlagt war, hatte er in stundenlanger, mühevoller Arbeit die Holztreppe zum Leuchtturm repariert, der dann zu meinem Lieblingsort wurde. Im Näherkommen hätte ich dem Jungen gesagt: »Warte nur, bis du im Haus bist und die Wände siehst.« Mama malte nämlich gern und hatte das Haus mit vielen bunten Wandgemälden geschmückt. Ich hätte dem Jungen zugeflüstert, dass alle auf der Insel glaubten, Mama sei tot. Nach ihrem Verschwinden hatte Priester ihren Schuh am Strand angespült gefunden. Papa sprach nie über den Tag, an dem sie ihn, salzverkrustet und ohne Absatz, in eine alte Schuhschachtel gepackt und begraben hatten. Ich schaute vom Leuchtturm aus zu. Papa meinte, ich solle mitkommen, aber ich wollte nicht. Ich fand es sinnlos, denn ich war sicher, dass Mama noch lebte. Wir hätten dem Jungen den Wald mit den siebzehn Kiefern gezeigt, mit den vielen Kaninchen und dem alten Apfelbaum, der in einem Sommer dreihundertzwei Äpfel trug. Wir hätten ihn den Waldweg entlanggeführt und Kistenmann und seinen treuen Gefährten Namenlos besucht, einen

kleinen Hund mit schmuddeligem weißem Fell und Schlappohren. Dann hätten wir Priester besucht. In der Morgendämmerung sieht die Kirche immer erhaben aus, weil das Licht aus den Fenstern schimmert und die Raben im Glockenturm ein und aus fliegen. »Priester hat Angst vor der Dunkelheit«, hätte ich ihm erklärt. »Er schläft im Glockenturm und lässt die ganze Nacht das Licht brennen. Deswegen brauchen wir keinen neuen Leuchtturm. Manchmal, wenn er durcheinander ist, läutet er sogar die Glocken.« Später hätte ich dem Jungen die verrostete Maschine im Schuppen neben der Kirche gezeigt, die keuchend und hustend Licht für die ganze Insel erzeugte. »Nicht alle Inseln haben Licht«, hätte ich ihm erklärt. Und der Junge wäre beeindruckt gewesen, dass wir auf einer so kleinen Insel sowohl Licht als auch eine Kirche samt Priester und Glockenturm hatten.

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In der Mitte des Leuchtturms hing eine sehr große Glühbirne. Einmal wollte ich sie einschalten, aber Papa wurde ärgerlich. »Sie enthält Quecksilber«, sagte er und rieb sich die Nase, auf der seine Lesebrille einen roten Abdruck hinterlassen hatte. »Das ist giftig. Deshalb sind so viele Leuchtturmwärter hier auf der In-


sel verrückt geworden. Sie haben Dinge aus dem Meer steigen sehen: seltsame Geschöpfe, Piratenschiffe, Ziegen, Schweine, alle möglichen gruseligen Wesen.« »Und Pferde, Papa?« »Alles, was eigentlich nicht aus dem Wasser kommen sollte.« An der großen Glühbirne befestigte ich vier Bilder von Descartes, die Onkel mir geschenkt hatte. Er kam zu Besuch, als Mama verschwand. Onkel war Papas Bruder, er hatte unseren Familienstammbaum bis zu Descartes zurückverfolgt. Er war Gelehrter und arbeitete am Institut für Parawissenschaft an einer renommierten Universität. Onkel war der einzige verbliebene Mitarbeiter der Abteilung, und sein Büro war so klein, dass er seine Aktentasche draußen vor der Tür lassen musste. Seit Mamas Verschwinden hatte ich jede Nacht im Leuchtturm geschlafen. Ich hatte eine alte Matratze mit vielen Decken und ein kleines Heizgerät in der Ecke. Papa brachte mich immer noch jeden Abend unten ins Bett und achtete darauf, dass ich einen Schal, eine Jacke und einen dicken Pullover trug, bevor ich unter die Decke kroch. Dann gab er mir einen Gutenachtkuss, schaute nach, ob meine Stiefel unter dem Bett standen und schaltete die Lichter aus. Manchmal blieb ich noch eine Weile im Bett liegen, horchte auf Papas geistesabwesendes Sum-

men und das Geräusch des Seitenumblätterns aus seinem Arbeitszimmer, aber in den meisten Nächten stand ich auf, ging auf Zehenspitzen durch den Flur, öffnete leise die Haustür und stieg die Außentreppe zum Leuchtturm hoch. Das Turmzimmer war niedrig, ich konnte nur in der Mitte aufrecht stehen. Eingehüllt in Decken saß ich da und schaute hinaus auf die Insel: ein dunkler Schatten aus Sand, Schnee und Felsen. In Gedanken suchte ich nach etwas Überraschendem, von dem ich Mama bei ihrer Rückkehr erzählen könnte.

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Einmal fragte ich Papa, worüber Philosophen nachdenken. Wir saßen in der Küche. Mama kniete auf dem Boden, hatte Farbe auf der Wange und führte die letzten Pinselstriche an einem Bild von unserem alten Apfelbaum aus. »Sie denken über das Leben nach«, antwortete er. »Über Hunde?«, fragte ich. »Nein, über Hunde machen sie sich nicht so viele Gedanken.« »Dann vielleicht über Bäume?« »Nein, auch nicht über Bäume, sie denken nicht über Einzelheiten nach, eher über das große Ganze.« »Über die Insel?« »Nein«, sagte Papa, »sie denken über weitaus Größeres nach.« »Die Sterne?«


»Nicht unbedingt. Philosophen treten zurück und betrachten das große Bild.« »Mama macht das nicht.« »Nein«, stimmte Papa zu. »Sie sagt, noch der winzigste Pinselstrich sei wichtig.« »Aber manchmal, mein Mädchen, verlierst du das große Bild aus den Augen, wenn du dich zu sehr auf Einzelheiten konzentrierst.« »Was ist das große Bild, Papa?« »Die Wahrheit, Minou, die absolute Wahrheit. Die uns sagt, warum Dinge passieren.« »Welche Dinge?« »Dinge, die nicht leicht zu begreifen sind.« »Dinge über den Krieg, Papa?« »Ja, Minou. Auf alle Fälle Dinge über den Krieg.« »Aber was ist, wenn jemand das große Bild nicht sehen will?«, fragte ich. »Tja«, antwortete Papa zögernd, »das wäre schade, Minou.« Er schaute kurz zu Mama. Ihr Bild, sagte er, werde eine große Bereicherung für die Küche sein: Die welken Baumäste reichten um die Haustür und berührten den Schirmständer. Und neben dem Gestell mit den ordentlich aufgereihten Schuhen hatte sie ein Kaninchen mit extralangen Ohren gemalt und daneben einen Berg köstlich aussehender Äpfel. Mama interessierte sich nicht besonders für Philosophie.

»Benutze deine Phantasie, Minou«, sagte sie oft, »und denke nicht so viel.« Einmal nahm sie das Blatt, das ich sorgfältig in Papas Ausgabe von Kants Kritik der reinen Vernunft gepresst hatte, und hielt es ans Fenster. Das Blatt war trocken und brüchig, an manchen Stellen schien Licht hindurch. »Woran erinnert dich das?« Sie hielt es höher, damit ich besser sehen konnte. Ich schüttelte den Kopf. »Erfinde etwas, Minou. Etwas Ausgefallenes.« Ich zögerte und schaute mir das Blatt genau an. »Siehst du nicht die Stadt mit den vielen Häusern?«, fragte sie. »Und einen Fluss und einen Platz, auf dem sich abends alle versammeln?« »Wer?«, fragte ich. »Alle Menschen der Stadt natürlich«, sagte sie lachend, dann sah sie mich an. »Wo bleibt deine Phantasie, Minou? Wo hast du sie nur gelassen?«

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Nach Mamas Verschwinden bat ich Papa, ein Notizbuch bei den Schiffsleuten zu bestellen. Es hatte zweihundertzehn Seiten, und ich schrieb alles hinein, was passierte. Zum Beispiel: Am Baum hängt nur noch ein Apfel, Mama. Es ist sehr kalt. Papa sagt, der Winter sei früh gekommen. Ich hoffe, du hast es warm, falls du auf einem Schiff bist.


Ich zeichnete auch die Kiefernzapfen, die ich im Leuchtturm aufbewahrte, und hielt ihre Form und Größe fest. Außerdem sammelte ich jeden Tag neue Rabenknochen und legte sie in verschiedene Muster, weil ich etwas Besonderes zu sehen hoffte, das Mama vielleicht gefallen würde. Aber ich kam mir albern vor und erinnerte mich an Papas Worte. »Ein Philosoph sieht mit seinem Verstand, Minou, er beschäftigt sich nicht mit der Phantasie. Sie führt uns an unvorhersehbare Orte, folgt unseren Wünschen und Sehnsüchten, nicht dem wirklichen Geschehen.« Ich dachte, es wäre vielleicht hilfreich, mehr über Mamas Vergangenheit zu wissen, darüber, was sie vor ihrer Ankunft auf der Insel gemacht hatte. Aber sie redete nie über früher – nicht mit mir und nicht mit Papa. Sie erzählte Papa, sie sei im Krieg gewesen, wollte ihm aber nicht sagen, was ihr zugestoßen war. Eigentlich wusste Papa nur, dass sie an einem windigen Tag in einem Ruderboot auf der Insel gelandet war, mit einem roten Koffer und ihrem geliebten Pfau namens Pfau.

Papa und Priester lebten schon seit einiger Zeit auf der Insel, als Mama ankam; Kistenmann stieß erst später dazu. Priester war am längsten da und sagte, einem Mann Gottes könne nichts Besseres passieren, als an einem ruhigen Ort zu leben. Nur einmal hatte er den Wunsch zurückzugehen, nämlich als der Krieg ausbrach. Er wollte helfen, aber kein Versorgungsschiff war bereit, ihn mitzunehmen. Papa kam nach dem Krieg, und das ruhige Leben auf der Insel gefiel ihm sofort. Er fand es schön, hin und wieder zusammen mit Priester zu essen und war zufrieden ohne Frau. Mama war auch nicht gerade versessen darauf zu heiraten. Sie brauchte nur eine Tasse heißen Kaffees und einen Platz für ihren Koffer. Als sie Papa jedoch am Strand winken sah, mochte sie ihn sofort. »Stell dir das vor, Kleines. Ein netter, freundlicher Mann steht da und winkt mir zu, als hätte er nur auf meine Ankunft gewartet.« Papa erinnerte sich noch genau an den Tag, an jede Einzelheit, sagte er. Es war kalt und der Himmel grau. Wie immer, wenn ein Boot sich näherte, flogen die Raben aufs Meer hinaus, wurden aber wieder zurückgewirbelt, einer nach dem anderen, sagte Mama, wie lustige alte Hüte, die übermütig in Richtung Strand purzelten. »Sie war eine äußerst verblüffende Erscheinung«, sagte Papa. »So farbenfroh.« Mamas rotes Haar hatte im fahlen Sonnenlicht geschimmert, und als das Ruderboot näher kam, ent-

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Gestern Abend habe ich die Haustür nicht richtig zugemacht. Das Wasser in Papas Glas ist über Nacht gefroren. Gestern hat Papa neunzehn Fische gefangen, ein Rekord! Auf deinem Schuhgrab liegt Schnee.


deckte Papa Pfau, der zufrieden in einer goldenen Schüssel saß und mit seinen glänzenden blauen Schwanzfedern prahlte. Papa half ihr galant aus dem Boot und lud sie auf einen Kaffee ein. Er wusste, dass sie von weither gekommen war, als er die herbstlichen Blätter in ihrem Haar sah. Sie stammten nicht von einem Apfelbaum, da war er ganz sicher. Und während Mama ihren Kaffee trank, holte Papa einen alten Beinkamm aus einer sonst leeren Schublade. Dann kämmte er ihr langsam und geduldig die Haare, als sehe er seine Fischernetze durch. Mama hatte ihre Ankunft im blauen Zimmer auf eine Wand gemalt. Das Bild zeigte ein lebensgroßes Ruderboot mit einem zerzausten Pfau, der zuversichtlich in die riesigen Wellen blickte. Sich selbst hatte Mama winkend und lächelnd gemalt, Papa stand am Strand und sah freundlich aus. Er winkte zurück und schützte die Augen vor der Sonne. »Ich wusste, er ist ein guter Mann, als er meine Hand nahm und mir an Land half«, sagte Mama und schaute Papa liebevoll an. Papa sagte oft, der Krieg sei immer noch in ihm. Manchmal, wenn ich seine Hand hielt, meinte ich, ihn zu spüren. Er hatte sich den ganzen Krieg über zwischen Zwiebeln und Karotten in einem kleinen Rübenkeller von der Größe eines Schranks versteckt. Aber wenn ich mehr über den Keller wissen wollte, sagte Papa nur: »Du bist viel zu jung, mein Mädchen. Später.« 22

Ich fragte Mama, ob sie den Krieg in Papas Hand auch gespürt habe, als er ihr an Land geholfen hat. »Ja, Kleines«, sagte sie und blickte hinaus aufs Meer. »Der Krieg ist auch in mir.«


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