POLA
Da n i e l a D r รถ s c h e r
POLA R om a n
BERLIN VERLAG
ÂťNever look down on your audienceÂŤ Iggy Pop
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Es war der Tag , an dem Pola Negris Karriere zu Ende
ging. Langsam rollte der Cadillac den Sunset Boulevard hinab. Neben Pola saß ein Mädchen. Ihr Lidschatten und Make-up waren zu Rinnsalen zerflossen, die Kleine hatte ununterbrochen geweint. Nun, kurz vor der Ecke Crescent Heights, waren die Tränen versiegt, das Mädchen schlief. Dichter Nebel hing über der dunklen Fahrbahn, und erst als Pola auf die Einfahrt zusteuerte, merkte sie, dass vor dem Anwesen die cremeweiße Limousine von Mercedes de Acosta quer über den Gehweg ragte. Die Drehbuchschreiberin war bekannt für drei Dinge: für die Rollen, die sie der Garbo auf den Leib schrieb, ihre feurige Liebe zu Frauen und für die Angewohnheit, ihren Wagen einfach dort abzustellen, wo es ihr gerade gefiel. Das abrupte Abbremsen riss das Mädchen aus dem Schlaf, Pola selbst war überrascht von der Heftigkeit, mit der ihr Wagen reagierte. Mit aufgerissenen Augen schaute die Kleine geradeaus. Pola klemmte sich eilig die Tasche unter den Arm. Beim Aussteigen stieß sie sich heftig die Stirn am Türrahmen. Fluchend stöckelte sie in die Nacht hinaus. Das zitternde Bündel an ihrem Arm tat ihr leid. Pola hatte das aufgelöste Geschöpf in einem Diner aufgegabelt. Sie hatte nach dem Gespräch mit ihrem Agenten nur kurz Halt machen wollen, um sich mit einem Banana Flip zu stärken, als plötzlich ein Mädchen auf sie zugestürzt war. 7
Nancy Robbins war ein stupsnasiges, sommersprossiges und außerordentlich frühreifes Kind von etwa zwölf Jahren, das in den Schulferien aus New York angereist kam, um seine Patentante, die Schauspielerlegende Alla Nazimova, zu besuchen. Die Nazimova wiederum war eng mit Mercedes de Acosta befreundet, und es kam vor, dass die beiden bei ihren Touren durch die Stadt die kleine Nancy einfach irgendwo vergaßen. Nancy tat so, als ob es sie nicht weiter kümmerte. So kess sie sich nach außen gebärdete, so zartbesaitet war sie, wenn sie nur lange genug verloren über einem Eisbecher gesessen und Rotz und Wasser in ihre Streusel geheult hatte. An der Limousine vorbei zwängte Pola sich durch ein Tor, das auf das weitläufige Anwesen mit dem Haupthaus und etwa fünfundzwanzig kleineren Bungalows führte. Über dem Eingang prangte ein großes Holzschild »Garden of Allah«. Ein Dienstmädchen ließ sie ein. In der Mitte des kreisrunden Salons döste, ganz ohne Leine oder Käfig, ein Leopard. Als das Tier die Besucher bemerkte, schickte es ein leises Knurren zu ihnen herüber, starrte dann aber weiter trübselig vor sich hin. Mit den Schauspielerinnen der Stadt teilte die Großkatze das Schicksal, dass man sie gleich nach ihrer Ankunft in Hollywood zum Zahnarzt verfrachtet hatte: So, wie man angehenden Filmdiven sämtliche Backen- und Weisheitszähne zog, damit ihre Gesichter schmal und hohlwangig wirkten, waren dem Raubtier sämtliche Krallen und Reißzähne entfernt worden. »Nancy, endlich«, rief Alla. Sie erhob sich aus dem malachitgrünen Fauteuil und umschlang das Kind mit drama tischer Geste. »Sie war kurz davor, per Anhalter nach Hause zu fahren.« Wie immer, wenn Pola in Aufregung geriet, feuerte ihr pol8
nischer Akzent dabei scharf gegen das Amerikanische. In Kombination mit ihrer dunklen, verrauchten Stimme klang sie wie ein empfindsamer Mafioso. »Ihr könnt das Kind doch nicht einfach in der Nacht zurücklassen.« Seelenruhig kam Mercedes de Acosta auf sie zugeschlendert. »Nancy ist dreizehn«, sagte sie. »Die halbe Stunde Fußweg hat noch niemandem geschadet.« »Warte, ich hole dir einen Eisbeutel«, sagte Alla mit Blick auf Polas Stirn. Die Kleine zog sie mit sich, um ihr einen Klaps auf den Po zu geben. »Geh und wasch dir die Farbe aus dem Gesicht.« Im Weggehen streckte Nancy Pola die Hand entgegen. »Danke fürs Mitnehmen.« »Gern geschehen«, murmelte Pola. Sie sah dem Mädchen hinterher, wie es mit kessem Hüftschwung die Treppe hinauf verschwand. Es war Nancy an zusehen, wie sehr es sie wurmte, in die Rolle des Kükens verwiesen zu sein. Oben auf der Galerie angekommen, beugte Nancy sich über das Geländer. Blitzschnell streckte sie die Zunge raus, dann drehte sie sich um und entfernte sich in Richtung ihres Zimmers. »Die jungen Dinger werden auch immer frecher. Und schöner.« Alla seufzte. »Ich konnte Kinder noch nie leiden«, sagte Pola leichthin und presste den Eisbeutel, den Alla ihr reichte, gegen die Stirn. Als sie Mercedes genauer ansah, wich Pola erschrocken zurück. Anders als sonst trug die Drehbuchschreiberin das kurze Haar nicht mit Brillantine glatt zurückgekämmt. Weich umspielten stattdessen Locken das scharf geschnittene Gesicht. Etwas darin aber wirkte schief, wie aus den Fugen geraten. 9
»Glotz nicht so, Herrgott! Sie hatte einen Autounfall«, flüsterte die Nazimova Pola ins Ohr. »Sie hat Unmengen Operationen hinter sich.« Pola sog heftig Luft ein. Mitleid schoss in ihr auf und versetzte sie in eine andere Stimmung. »Pola! Zurück im Lande«, fuhr eine Stimme dazwischen, bevor sie Mercedes begrüßen konnte. Das schlechte Englisch hallte laut und schamlos von den Wänden wider. Im hinteren Teil des Raumes schritt gazellengleich die Dietrich auf und ab. Sie trug einen hellen Hosenanzug und eine jener dunklen Brillen, die in diesem Sommer auf Long Island in Mode gekommen waren. Um den Hals hatte sie eine gelbe Krawatte gebunden. Es war unverschämt, wie gut sie damit aussah. Beim Auf-und-ab-Gehen schwenkte sie ein kleines Fässchen, aus dessen Öffnungen fauchend Rauch hervorquoll. Es stank gottserbärmlich nach Moschus. Wieder wich Pola zurück. So abergläubisch, wie sie war, und so häufig sie einen Blick in das Kristall der örtlichen Wahrsagerin riskierte, so skeptisch blieb sie gegenüber allen fremdländischen Ritualen. Marlene hob die Hand, klimperte zur Begrüßung mit den Fingern durch die Luft und stolzierte weiter mit ihrem Fässchen umher. Alla nahm Pola abermals zur Seite. »Sie ist beleidigt, weil Mercedes sich weigert, ihrem von Sternberg den Tripper an den Hals zu hexen. Der Herr Regis seur hat sich doch von ihr getrennt.« »Ein Tripper wäre gegen mein Credo«, entgegnete Mercedes. »Ich erfülle nur gute Wünsche. Keine schlechten.« Sie zuckte die Achseln und verschränkte die Arme. »Wenn ihr mich fragt, war das abzusehen«, stellte Alla fest. »So verliebt, wie der in sie war. Gott, es macht ihr solchen Kummer, der Ärmsten.« 10
Pola staunte. Der Unfall der Acosta, die Trennung des Dreamteams Dietrich und von Sternberg – ein Jahr nur war Pola auf Vaudeville-Tournee gewesen, und schon wusste sie nicht mehr, was vor sich ging. Neugierig stellten sich die drei Frauen vor Pola auf und überprüften sie von Kopf bis Fuß auf Falten, Fehler und Fettablagerungen. Wie Orgelpfeifen standen sie nebeneinander. Pola frohlockte. Hier waren also die Damen des »Nähkreises«, wie man sie in Hollywood nannte, versammelt. Anders als die meisten anderen Kolleginnen – allen voran Greta Garbo, die argwöhnisch über ihr Image als unberührbare, rätselhafte Sphinx wachte – scherten diese Frauen sich einen Dreck um ihren Ruf. Mit der seichten, heilen Welt der Musicals und Boulevardkomödien, die gegenwärtig in Hollywood regierten, hatten sie nichts am Hut. Die Währung, mit der sie handelten, war der Skandal. Mercedes de Acosta stammte in direkter Linie von der Herzogin von Alba ab. Name und Herkunft verliehen ihrer Erscheinung etwas Hoheitsvolles. Mercedes’ langjährige Liaison mit Greta Garbo, die sie allerdings nie davon ab gehalten hatte, auch mit anderen Frauen, wie etwa der Dietrich, zu schlafen, galt in Hollywood als offenes Geheimnis. Die Presse schlachtete die Affäre nur deshalb nicht aus, weil man den gigantischen Erfolg nicht gefährden wollte, den jeder Film mit der Göttlichen garantierte. Wäre bekannt geworden, dass Greta Garbo Frauen liebte, es hätte das gesamte Starsystem Hollywoods in den Schmutz gezogen. Marlene Dietrich war die einzige Frau in ganz Los Angeles, die auf offener Straße Hosen trug. Berühmt geworden war sie mit einer Filmszene, in der sie, als Mann verkleidet, ein junges Mädchen küsste. Marlenes Verschleiß an Lieb11
habern beiderlei Geschlechts zeitigte über die Dauer eines Jahres mehr Opfer, als eine Spinne Fliegen fing. Sie selbst jedoch blieb von Liebesdingen so ungerührt wie eine deutsche Eiche, was die Aura des kühlen Vamps noch vergrößerte. Selbst ihre stadtbekannte Pedanterie, vor Überseefahrten eigenhändig das Klo ihrer Kajüte zu schrubben, konnte dem Image der Femme fatale keinen Abbruch tun. Und dann war da noch die Hausherrin Alla Nazimova, die emigrierte Russin, eine lebende Legende. Alla war die erste Filmschauspielerin, die freizügige, selbstbewusste Frauen verkörpert hatte. Frauen, deren Hände, wenn man ihnen einen Dolch in die Finger drückte, nur ein Ziel kannten: das Herz des männlichen Helden. Ihren fünfzig Jahren zum Trotz hatte die Nazimova noch immer die Ausstrahlung eines selbstbewussten jungen Mädchens. Dass unter Roosevelt die gleichgeschlechtliche Liebe neuerdings als gotteslästerlich unter Strafe gestellt wurde, interessierte eine Nazimova nicht. Inzwischen hatte Mercedes sich aus der Dreierreihe gelöst und war vor Pola hingetreten, um den unverhofften Gast mit einem Kuss auf die Wangen zu begrüßen. »Und? Was willst du? Du willst doch etwas, habe ich recht?« »Es geht um das Buch«, begann Pola, löste sich aus der Umarmung und trat einen Schritt zurück. Von ihrem Agenten hatte Pola am Nachmittag erfahren, dass ihr Produzent, David O. Selznick, die Lebensgeschichte der Tänzerlegende Isadora Duncan verfilmen wollte. Er erwog, diese Rolle mit Pola zu besetzen – immerhin war Pola Negri eine ehemalige Primaballerina. Das Drehbuch dazu hatte er bei de Acosta in Auftrag gegeben. »Ich wollte nur sichergehen, dass du die liebe Isadora 12
auch genügend tanzen lässt. Bei euch Schreibern weiß man ja nie.« »Tanzen, wieso sollte ich? Greta kann doch gar nicht tan zen«, erwiderte Mercedes erstaunt. »Greta?«, fragte Pola. »Wieso Greta?« Eine Amsel flatterte wild in einem Käfig auf. Mercedes strich sich eine dunkle Strähne aus der vernarbten Stirn. Ungläubig wanderte ihr Blick über Polas Gesicht. Etwa zwei Sekunden lang war es still. Für einen Moment tauchte selbst die Dietrich hinter den dunklen Gläsern hervor. Auch Alla, die dazu übergegangen war, den aufgescheuchten Vogel zu füttern, sah sich nach ihr um. Drei Augenpaare blickten sie an. Dann lachte die Dietrich schallend los. »Also so was.« Ihr Lachen erinnerte an eine wiehernde Stute. »Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du die Hauptrolle spielst? Schätzchen, das ist wirklich zu gut.« »Was meinst du?«, fragte Pola. Ihre Stimme zitterte plötzlich. »Du spielst Mary Desti. Isadora Duncans Freundin. Die Kosmetikstudiobesitzerin«, sagte Mercedes. Pola sah in das Antlitz der Spanierin, das im Zimmerlicht fast olivfarben wirkte. Es gab keinen Grund, daran zu zweifeln, dass sie die Wahrheit sagte. Pola presste die Lippen aufeinander. Ohne ein weiteres Wort griff sie nach ihrem Hut. »Jetzt warte. Sei nicht gleich beleidigt, ich kann schließlich nichts dafür.« Dankbar nahm Pola die langstielige Zigarette, die Mercedes ihr entgegenstreckte. Dass Selznick die Rolle mit der Göttlichen und nicht mit ihr besetzen wollte, erstaunte Pola im Grunde nicht. So unterschiedlich die Karrieren der hiesigen Schauspielerinnen verliefen, ein Gesetz war für alle 13
gleich. Das, was in Hollywood über Schicksale entschied, waren nicht allein Jugend, gutes Aussehen, Glück und Talent, auch nicht Rollen, Bücher und Regisseure, nicht einmal Gerüchte und Affären. Es war das Bild, das sich die Welt von einer Schauspielerin machte. Wie dieses Bild aussah, oblag nicht der eigenen Kontrolle, und doch waren sie alle damit beschäftigt, es unablässig zu verfeinern und zu korrigieren. Pola seufzte. Um ihr Image war es nicht gerade gut bestellt. Das Einzige, was sie gegenwärtig vorzuweisen hatte, waren eine mittelprächtige Vaudeville-Tour, die Trauer um den verstorbenen Sportflieger Glen Kidston sowie eine Reihe von Filmen, die zuletzt mehr oder weniger gefloppt waren. Seit Jahren schon galt sie als Kassengift. Die Ära des Stummfilms, die Pola Negri zu einer der ganz Großen gemacht hatte, war lange vorbei. Eine Verkettung unglücklicher Ereignisse hatte ihren schrittweisen Abstieg herbeigeführt, und das nicht erst, seit der Ton die Filmwelt regierte. Hollywood hatte versucht, das Exotische ihres Typs, dem die Männer in Scharen zu Füßen gelegen hatten, zu zähmen. In mehr als einem Film hatte der Biss einer Raubkatze ihr das verdiente Ende bereitet. Zuletzt hatte man versucht, die feurige Pola Negri in eine edelmütige Grande Dame zu verwandeln. Das aber hatte nicht funktioniert. Seit Jahren ging es mit ihrer Karriere bergab. Pola fühlte sich wie eine Betrunkene, die auf dem Heimweg von einem großen, rauschhaften Fest vornüber in ein seichtes Gewässer gekippt und darin liegen geblieben war. Sie strampelte und strampelte, doch nirgendwo war eine rettende Hand, die ihr aufhelfen wollte. Nun also wollte man sie erstmals mit einer Nebenrolle besetzen. Die Dietrich setzte ihr Fässchen ab und trat an einen kleinen Grill nahe der Verandatür. Wenige Sekunden später 14
breitete sich der Geruch von geschmolzener Butter im Raum aus. Die eine Hand in die Hosentasche gesteckt, schlug sie mit der anderen ein Dutzend Eier in die Pfanne. Sie verrührte das Gemisch mit energischer Geste und klatschte sogleich eine Portion auf einen Teller, den sie an Mercedes weiterreichte. Diese biss ihr in den Finger, aber die Dietrich bog sich in der Bewegung weg, sie wirkte verstimmt. Auch Pola sollte ihr Omelett serviert bekommen. Entsetzt betrachtete sie den halbgaren Brei. Wie alle hier wusste sie, dass Marlene ausschließlich ihre Liebhaber mit dieser Speise beehrte. Nicht im Traum aber hätte sie zu diesem erlesenen Zirkel gehören wollen. Als der Teller bei ihr ankam, lehnte sie dankend ab. »Wie du willst.« Die Dietrich leckte sich das Fett von den Fingern. »Kein Wunder, dass du am Boden bist, wenn du dich so zierst. Nicht, dass es tragisch wäre, am Boden zu sein. Die entscheidende Frage ist nur, was man bereit ist zu tun, um wieder nach oben zu kommen.« Pola sah in den Garten hinaus. Der nächtliche Pool schimmerte dunkel. Angeblich waren seine Umrisse der Form des Schwarzen Meeres nachempfunden. Ein seliges Stöhnen war von dort zu hören. Die Nazimova hatte ihr Haus nach dem Börsencrash 1929 in eine Art Künstlerhotel verwandelt. Namhafte und ehemals namhafte Menschen, die zuvor nur auf ihren legendären Partys ein und aus gegangen waren, lebten hier nun, da die Hausherrin zu einer Concierge herabgesunken war, als zahlende Gäste. Schriftsteller wie Hemingway und Fitzgerald, Schauspielgrößen wie die Marx Brothers und Dorothy Gish sowie der tagaus, tagein Klavier spielende Russe Rachmaninov hockten wie Tiere einer seltsamen Menagerie in 15
den Häusern des von Olivenhainen bewachsenen Geländes. Dort, wo zuvor nur gefeiert worden war, wurde nun auch gearbeitet. Pola schielte nach der Acosta. Bei ihrem ersten Aufeinandertreffen während einer von Polas Dinnerpartys hatte Mercedes ihr mit leuchtenden Augen eine ihrer berüchtigten Visitenkarten überreicht. »Wollen Sie meine Freundin sein?« hatte darauf gestanden. Pola hatte nicht reagiert. Wäre Mercedes aber nicht noch am selben Abend der Garbo begeg net, dann wäre wohl sie in den Genuss dieser Leidenschaft mitsamt den dazugehörigen Drehbüchern gekommen. Pola holte tief Luft. Wenn die Rolle der Duncan nun also vergeben war, musste sie Selznick eben mit einem anderen Part überzeugen. Und dazu hatte sie am besten ein Skript in der Tasche. Sie tastete nach ihrer Federboa, klemmte lasziv die Hand in die Hüfte und warf Mercedes jenen schmachtenden Blick zu, mit dem sie im Laufe ihrer Karriere schon Könige, Pharaonen und andere Edelmänner becirct hatte. Sie reckte dazu den schneeweißen Hals, senkte die Lider auf halbmast und leckte sich über die leicht geöffneten Lippen. Mercedes sah sie erst verständnislos, dann erstaunt und schließlich überaus interessiert an. Pola grinste in sich hinein. Nun, da sie erstmals aus Berechnung mit jemandem schlafen würde, handelte sie sich auch noch eine Frau als Bettgefährten ein. Alla, die den Flirt zwischen Mercedes und Pola bemerkt hatte, trat mit einem schnellen Schritt neben sie. »Mercedes, Liebling«, flüsterte sie, »ich finde, du könntest so gut sein und unserer Pola einen grünen Zweig unter den süßen Hintern hexen.« 16
Mercedes musterte Pola. Dann kniete sie blitzschnell auf dem Boden nieder. Wie auf Kommando schob die Nazimova die Möbel ein Stück aus der Zimmermitte, und alle nahmen im Kreis auf dem Fußboden Platz. Auch Pola kniete mit klopfendem Herzen nieder. Bevor Mercedes aber mit der Séance beginnen konnte, hatte Marlene sich mit dem Kochlöffel in der Hand vor ihnen aufgebaut. »Einen Teufel wirst du tun.« Ihre Stimme war schneidend. Mit ausgerecktem Finger zeigte die hochgewachsene Blondine auf Pola hinab. »Wie wunderbar man ist, dafür ist jeder selbst verantwort lich. Da hilft einem niemand dabei. Sieh zu, wie du allein zurechtkommst.« Einen wütenderen Atem konnte einem selbst der angriffslustige MGM -Löwe nicht ins Gesicht blasen. »Moment mal«, setzte Pola zur Verteidigung an, aber die Dietrich kam gerade erst in Fahrt. »Mich fragt ja auch niemand, was es mich kostet. Und wozu? Damit man meinen Namen auf einem Trottoir ein zementiert. Keine fünf Jahre hat mein Ruhm gehalten. Passend dazu verlässt mich Sternberg, und ich sitze auf dem absteigenden Ast.« Der Kochlöffel fiel zu Boden. »Nach Berlin gehe ich trotzdem nicht. Soll denen eine andere ihre Lola machen.« Marlene hatte sich inzwischen vor Mercedes aufgebaut. »Meine Karriere geht auch den Bach runter. Nur dass an meinem Geld auch meine Tochter, mein Mann und seine Geliebte dranhängen. Aber das braucht eine Herzogin wie dich ja nicht zu interessieren.« »Jetzt reicht es aber«, ging Alla dazwischen, doch die aufgebrachte Dietrich ließ sich nicht beirren. »Ständig liegst du mir mit deiner schwedischen Nutte in 17
den Ohren. Wer hat denn für dich die teuersten Chirurgen der Stadt aufgetrieben? Ich, nicht Greta. ›Die Göttliche‹, dass ich nicht lache. Ein dahergelaufenes Dienstmädchen ist sie, nichts weiter.« »Mag sein. Aber mit einem Gesicht, das Gott berührt hat«, presste Mercedes hervor. Sie strich Pola unablässig über die Wange, und einen Moment schien es, als versuche sie durch Polas gepudertes und geschminktes Gesicht hindurch ihre Geliebte zu berühren. »Ich liebe Greta nun einmal. Ich liebe Greta, und Greta liebt den Ruhm. Wie alle Gossenmädchen. So ist das eben.« Der Marmorboden unter ihnen war plötzlich eiskalt. Pola sprang auf und griff nach ihrem Hut. Sie schüttelte sich. Es war, als hätte jemand in ihrem Inneren einen Vorhang gelüpft.
An einem Herbsttag im Jahr 1908, als Pola Negri
noch nicht Pola Negri, sondern Apolonia Barbara Chałupiec hieß und in dem kleinen Ort Lipno in der Wojewodschaft Mazowsze zu Hause war, saß sie im Geäst einer hochge wachsenen Edelpinie. Pola war geübt im Sitzen. Ganze Tage verbrachte sie hier, betrachtete die mattgrüne Ebene der Baumwipfel und stellte sich vor, eine im tiefen Finsterwald gefangene Prinzessin zu sein. In ihrer Vorstellung trug sie ein weiß glitzerndes Kostüm wie jene Tamara Karsavina mit dem stängelschmalen Hals, die am St. Petersburger Mariinski-Theater tanzte. Pola hatte die Ballerina am Kiosk von den Zeitungen lächeln sehen. Heute aber war Pola keine Prinzessin. Seit Stunden wagte sie sich nicht hinab. Noch immer ätzte die Lüge in ihrer 18
Kehle. Am Nachmittag hatte sie neben ihrem Vater auf der verschlissenen Plüschbank im Zelt des kleinen Wanderzirkus gesessen, der seit ein paar Tagen bei ihnen in Lipno gastierte und heute seine letzte Vorstellung gab. Das Zelt war klein und stank, die Leute auf den Bänken neben ihnen stanken, das feuchte Stroh aus den umliegenden Tierkäfigen stank, und das grelle Licht ließ das Ganze noch trostloser aussehen. Nur von den Gesichtern, die nach oben sahen, ging ein stilles Leuchten aus. Eine Tänzerin schwebte mit ausgestreckten Armen und Beinen schwerelos wie eine seltsam geformte Fe der über den Köpfen. Polas Füße hingen von der Bank. Noch nie hatte sie so deutlich Luft unter sich gespürt. Jäh schmetterte ein Tusch durch die Reihen. Die Tänzerin erschrak und kämpfte mit dem Gleichgewicht. Das Licht der Scheinwerfer traf sie hart im Gesicht. Schweiß schimmerte über der weißen Schminke, sie rappelte sich aus dem Spagat hoch und rutschte mit verkniffenem Mund am Seil hinab. Zu den Klängen einer Zirkusrumba kamen eine Handvoll Kamele in die Manege getrabt. Die abgeknickten Höcker wankten hin und her, ein kleinwüchsiger Dompteur, der offenbar viel zu früh aufgetaucht war, dirigierte sie. Dann war die Vorstellung auch schon vorbei. Als der Applaus vertröpfelt war, der Pulk sich gelichtet hatte und Pola unter freiem Himmel stand, verschwand der Vater sofort hinter dem Zelt. Zuvor hatte er mit einem der Zirkusmänner slowakisch geredet, was nur bedeuten konnte, dass er mit ihm über einen Armreifen oder ein Paar Ohrringe verhandelte. Polas Mutter, eine ebenso strenge wie stolze Frau mit dem ebenso strengen wie stolzen Namen Eleonora de Kiełczewska, verabscheute dieses, wie sie sagte, bäurische Gebaren. Sie hasste es, dass der Vater sich auf halb19
seidene Geschäfte einließ, nur um der Tochter Geschenke zu machen. Immer gab es Streit deswegen. Pola trat von einem Bein aufs andere. Schließlich entschied sie, den Vater suchen zu gehen. Sie schlenderte über den Platz, kickte winzige Steine über die zertretene Wiese und wollte schon wieder umkehren, als ein Mädchen vor sie hintrat. Es trug Wollstrümpfe, einen einfachen Rock und über der verwaschenen Bluse ein leuchtend blaues Tuch um die Schultern. Die schwarzen Locken hingen ihm tief in die Stirn, und es schielte bewundernd nach dem dünnen Silberring an Polas Arm. Kommentarlos streifte sich Pola das verbogene Metall vom Gelenk. Erfreut zog die andere es über. Eine Weile liefen sie schweigend ne beneinanderher. »Wollen wir uns zusammen die Kamele ansehen?«, bot das Mädchen an. Pola schüttelte hochmütig den Kopf. An den stinkenden Käfigen hatte sie kein Interesse. »Dann lass uns zu dir nach Hause gehen«, schlug es vor. »Auf keinen Fall«, rief Pola. Sie errötete, hielt dem verwunderten Blick aber stand. Pola liebte die beiden Zimmer, in denen es immer nach Blaubeerkuchen und geschmorten Pilzen duftete. Doch war die Wohnung winzig und alles darin ärmlich und windschief. »Zu mir nach Hause, das geht nicht.« Verzweifelt sann sie nach einem Ausweg. »Wir sind nicht von hier«, sagte sie dann. Die Lüge hing als still glimmende Wolke über ihren Köpfen. Pola biss sich auf die Lippen. Ihre Mutter pilgerte alljährlich nach Jasna Gorá, um dort zur Schwarzen Madonna von Częstochowa zu beten. Von ihr hatte Pola eingebläut bekommen, dass Lügen eine Todsünde war. Sie schwankte. 20
Noch hätte sie das Gesagte zurücknehmen können. Da aber öffnete sich die Tür eines der umstehenden Wohnwagen, und der Vater trat hervor. Bevor das Mädchen etwas erwidern konnte, hatte Pola es am Arm gefasst und zu Boden gezogen. Wann immer man den Vater in Gegenwart eines anderen Kindes antraf, brachte er Pola in Verlegenheit. Er verbeugte sich tief und behauptete beispielsweise, der berühmte Opernsänger Jerzy Chałupiec zu sein. Wenn man ihn dann aber bat, ein Lied zu singen, riss er nur den Mund auf und schnitt stumm Grimassen, er konnte nicht singen. Das Mädchen sah Pola erwartungsvoll an. In seinen bewundernden Blick hatte sich ein Funke Neugier gemischt. Verschwörerisch legte Pola die Hand vor die Lippen. Sie hockten einander gegenüber wie zwei Freundinnen, die sich im nächsten Augenblick ihre Unterhosen abstreifen und versuchen würden, ihre Urinstrahlen in die Höhe zu schicken, damit sie sich dort kreuzten. »Springbrunnen« hieß das Spiel, das für nasse Hosen und mütterliche Schelte sorgte, die Lipnoer Mädchenschar aber hellauf begeisterte. Noch immer schuldete sie dem Mädchen eine Erklärung. Fiebernd kramte Pola in ihrem Gedächtnis nach Fetzen, die sie aus Erzählungen der Eltern kannte. Mutter Eleonora erklärte ihre Armut damit, dass ihre Familie sie enterbt habe. Man hatte nicht dulden wollen, dass eine de Kiełczewska sich einen dahergelaufenen slowakischen Zigeuner mit Namen Jerzy Chałupiec zum Bräutigam nahm. Vater Jerzy zufolge aber stammte die Mutter lediglich von einem verarmten Adelsgeschlecht ab, so dass es im Grunde nicht allzu viel zu enterben gegeben habe. Pola wusste nicht, was stimmte. Sie wusste nur, dass für ein großes Schloss, in dem die Familie 21
dem Dafürhalten der Mutter nach eigentlich hätte leben müssen, kein Geld da war. Abwesend sah Pola auf einen Punkt am Horizont. Schließlich begann sie mit schleppender Stimme zu sprechen. »Meine Mutter ist eine Adlige. Und mein Vater hat vor der Revolution auf Seiten der Nationalen gekämpft. Der Zar hat uns enteignet und droht, uns nach Sibirien zu bringen. Jetzt leben wir im Untergrund«, log sie weiter, im vollen Bewusstsein darüber, dass sie sich um Kopf und Kragen redete. Die Wörter »Untergrund« und »Revolution«, die Pola bei einer von Jerzys Stammtischreden aufgeschnappt hatte, sprach sie mit jenem dramatischen Wackeln in der Stimme aus, das sie der Mutter abgelauscht hatte, wenn diese bei einem Streit ihre schluchzend hervorgepressten Sätze mit »Ich, Eleonora de Kiełczewska« begann. Das Mädchen sah sie an. Wie zum Beweis ihrer noblen Herkunft umfasste Pola den Schmuck, der nun wieder von ihrem Handgelenk baumelte. Die Stimme des Mädchens klang erstaunt. »Aber deine Mutter hat doch den kleinen Gemischtwaren laden vorne an der Ecke. Und dein Vater …« Pola hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. »… dein Vater«, fuhr die andere mit unschuldigen Augen fort, »ist doch der Klempner hier im Ort.« Das Mädchen sah ihr ruhig und fragend ins Gesicht. Angestrengt suchte Pola nach einer Möglichkeit, um das lästige Ding loszuwerden, als plötzlich Rauch in ihre Nase kroch. Der Vater hatte sich in der Wohnwagentür eine Zigarette angezündet. Zwischen seinen Beinen hindurch konnte Pola ins Innere spähen. Aus den Kissen der Sessel quoll Rosshaar hervor, überall lag Wäsche, Geschirr stapelte sich. Pola 22
musterte die schwarzgelockte Gestalt neben sich im Kies. Die Zähne waren schief, die Nägel schmutzig. »Was ist, hast du keinen Mund, um zu reden?«, fragte das Mädchen, nun allmählich verärgert, dass Pola sich so beharrlich in Schweigen hüllte. Noch immer saßen sie geduckt, und es wurde allmählich unbequem. Unruhig wippte das Mädchen mit dem Hintern auf und ab. »Lass uns endlich was spielen. Das hier ist langweilig.« Pola strich sich mit einer anmutigen Geste das Haar aus dem Gesicht. Leicht reckte sie das Kinn in die Luft. »Ich kann dich nicht nach Hause mitnehmen.« »Ach nein? Und warum nicht?« Pola nahm allen Mut zusammen. »Eben deshalb. Ihr seid Zigeuner. Wir nicht.« Mit offenem Mund sah das Mädchen sie an. Für einen Moment schien es zu zögern, dann wurden seine schönen Augen schmal. Wie eine Kobra richtete es sich auf und trat, als es zu voller Größe angewachsen war, einen Schritt von ihr weg. Den Blick stur auf ihr Gegenüber gerichtet, saugte es die Wangen so stark nach innen, dass sich auf beiden Seiten tiefe Krater bildeten. In hohem Bogen flog ein weißer Tropfen durch die Luft. Pola starrte auf den Fetzen Schaum, der sie nur knapp verfehlt hatte und nun auf dem dunklen Weg zwischen ihren Füßen knisterte. Aus den Augenwinkeln sah Pola, dass der Vater sie entdeckt hatte. Noch nie waren ihr seine Augen und sein Haar so schwarz und nie seine Haut so dunkel erschienen. Im Nu hatte sie kehrtgemacht und war über die breite Straße in Richtung Wald fortgerannt. Oben im Baum dämmerte es jetzt schon. Pola entschied, 23
so lange auf ihrem Ast sitzen zu bleiben, bis es ganz dunkel geworden war und sie sicher sein konnte, dass der Zirkus seine Zelte abgebrochen hatte und davongezogen war. Sie blickte hinauf in die schwarzen Stäbe. So wach und reglos saß sie, als wäre sie Vogel und Wolke zugleich. Ein Rascheln riss ihren Blick weiter in die Höhe. Im Baum über ihr kreuzten sich Äste. Eine Eule hatte dort Platz genommen. Mit einem klatschenden Geräusch fiel ein Klumpen weißer Matsch auf sie herab. Angewidert hob Pola die Hand, spreizte die Finger und kratzte die scharf riechende Masse vom Scheitel. Sie war kein Vogel. Auch keine Wolke. Sie rutschte herum, beugte sich ein klein wenig vor und spähte in die Tiefe. Was konnte der Tod anderes sein als ein großer, geräuschloser Wind, der aus dem Himmel fuhr und nach den Menschen griff? Pola wankte. Dann ging ein Ruck durch sie hindurch, und sie kippte wie ein steif gefrorenes Eichhörnchen vom Ast. Das Letzte, was sie sah, war ein langer, endlos schwarzer Balken, an dem vorbei sie in die Tiefe stürzte.
Pola betrat David O. Selznicks Büro in der
Gower Street und feuerte den Vertrag mit dem Radio-KeithOrpheum-Label über den Tisch. »Das soll ich spielen? Eine Kosmetikstudiobesitzerin? In einer Ne-ben-rol-le?« Mit jeder Silbe, die sie in die Luft ausstieß, pikste ihr ausgestreckter Zeigefinger drohend in Richtung Zimmerdecke. »Und? Wie war die Tournee?«, begann Selznick. 24