bodo Juli 2021

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bodo DAS

07 | 21 Die besten Geschichten auf der Straße

IN STRASSENMAGAZ

2,50 Euro Die Hälfte für die Verkäuferin den Verkäufer

Greta Thunberg im Interview Seite 36

Armin Laschet Seite 40

D ORTMUND ÜBERWACHT SKANDAL IM FLETCH CLUBKULTUR

T S U R T R E V L I JEFF S -T R IO O N E - M A N - JA Z Z

AN DER ERZBAHN MIETENSTOPP

NUR MIT AUSWEIS

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IMPRESSUM

Herausgeber, Verlag, Redaktion: bodo e.V. , Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Redaktionsleitung und V.i.S.d.P.: Bastian Pütter, redaktion@bodoev.de 0231 – 950 978 12, Fax 950 978 20 Layout und Produktion: Andre Noll, Büro für Kommunikationsdesign info@lookatnoll.de Veranstaltungskalender: Petra von Randow, redaktion@bodoev.de Anzeigenleitung: Susanne Schröder, anzeigen@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Vertriebsleitung: Oliver Philipp, vertrieb@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Autoren dieser Ausgabe: Leopold Achilles, Annette Bruhns, Alexandra Gehrhardt, PeterHesse, Aichard Hoffmann, Adrian Lobb, Wolfgang Kienast, Petra, Bastian Pütter, Petra von Randow, Sebastian Sellhorst Titel: Daniel Sadrowski Bildnachweise: Leopold Achilles (S. 18, 19, 20), Ron Galella (S. 23), Johanna Geron / Reuters (S. 37), Felix Huesmann (S. 8), Sven Hagolani (S. 9, 28), Andreas Hilger (S. 27), Guy Marineau (S. 23), Wolfgang Rattay / Reuters (S. 36), Daniel Sadrowski (S. 3, 4, 5, 6, 12, 13, 14, 15, 16, 21, 30, 32, 33, 34), Julia Schwendner (S. 8), Sebastian Sellhorst (S. 2, 7, 8, 9, 10, 11, 45, 46), Shutterstock. com (S. 22), Maurice Weiss / Ostkreuz (S. 41), Richie Williamson (S. 23) Druck: LN Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien Auflage, Erscheinungsweise: 20.000 Exemplare, monatlich in BO, DO und Umgebung Redaktions- und Anzeigenschluss: für die August-Ausgabe 10. Juli 2021 Anzeigen: Es gilt die Anzeigenpreisliste 06. 2019 Verein: bodo e.V. ist als gemeinnützig eingetragen im Vereinsregister Dortmund Nr. 4514 Vereinssitz: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund www.bodoev.de, facebook.com/bodoev

INHALT

Jeff Silvertrust

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Der Chicagoer Jeff Silvertrust lebt seit 40 Jahren mit großer Kompromisslosigkeit seinen Traum: ein versierter Trompeter, der sich selbst auf Keyboard und Hi-Hat begleitet, der wild durch Genres und Sprachen springt. Überall, wo Menschen es hören wollen, als alleinreisendes Lo-Fi-Jazz-Trio. Von Bastian Pütter

Platanen

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Sie sind 30 Millionen Jahre alt, doch zu ihrer heutigen Form entwickeln sie sich erst im kolonialen Zeitalter in Europa. Lange sind sie adliges Statussymbol und Sammelobjekt in botanischen Gärten, dann macht ihre Robustheit sie zu Industrialisierungsgewinnern. Eine Einwanderungsgeschichte. Von Wolfgang Kienast

Fletch lass nach

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Das in die Jahre gekommene Dortmunder Theater Fletch Bizzel setzte mit der Berufung von Cindy Jänicke und Till Beckmann als künstlerische Leiterung auf Innovation, Öffnung und Diversität – und kündigte beiden fristlos beim ersten Gegenwind. Ein bürgerliches Trauerspiel. Von Leopold Achilles

Vorstand: Andre Noll, Verena Mayer, Marcus Parzonka verein@bodoev.de Geschäftsleitung, Verwaltung: Tanja Walter, 0231 – 950 978 0, verein@bodoev.de Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt, Bastian Pütter 0231 – 950 978 0, redaktion@bodoev.de Transporte, Haushaltsauflösungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln, 0231 – 950 978 0, transport@bodoev.de Buchladen, Spendenannahme Dortmund: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Mo. – Fr. 10 – 18 Uhr, Sa. 10 – 14 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Dortmund: Schwanenstraße 38, 44135 Dortmund Mo. – Fr. 10 – 13 Uhr Spendenannahme Bochum: Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10, 44803 Bochum Mo. 10 – 13 Uhr, Sa. 10 – 12 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Bochum: Henriettenstraße 36, Ecke Bessemerstraße 44793 Bochum, Mo., Do., Fr. 11 – 14 Uhr Di. 11 – 17.30 Uhr, Mi. 8 – 14 Uhr Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 BIC: BFSWDE33XXX

Petra, bodo-Verkäuferin in Bochum Liebe Leserinnen und Leser, es geht wieder richtig los. Und das sogar mit Verstärkung. Seit ich wieder verkaufe, sind wir an meinem Platz hier zu dritt. Mein Milo begleitet mich ja schon seit Jahren. Jetzt hat er auch noch eine kleine „Schwester“ bekommen. Amy habe ich von Bekannten bekommen, denen das Geld für eine Operation fehlte. Die Kleine hatte einen Nabelbruch. Damit konnte sie ganz gut leben, aber irgendwann hätte das Komplikationen gegeben. Also hab ich mich ihrer angenommen. Mittlerweile ist sie operiert und es geht ihr wieder besser. Glücklicherweise versteht sie sich super mit Milo und die beiden sind ein Herz und eine Seele. Hier auf der Kortumstraße ist jetzt Gott sei Dank auch wieder mehr los, seit die Geschäfte wieder offen haben. In der Zeit, als alles zu war, waren an meinem Platz nur die Leute, die zum Testzentrum am Husemannplatz wollten. Denen eine bodo zu verkaufen, war schon nicht einfach. Ich hoffe, dass jetzt erst mal alles offenbleibt. Bis bald, Ihre Verkäuferin Petra

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EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

04 Menschen | Jeff Silvertrust 07 Straßenleben | Arme als Störfaktor 08 Neues von bodo 12 Reportage | Platanen statt Autobahnen 16 Das Foto 16 Mieten & Wohnen | Sechs Jahre Mietenstopp 17 Kommentar | Cornern als Sicherheitsrisiko 17 Die Zahl 18 Reportage | Theaterskandal im Fletch Bizzel 21 Soziales | Der Kameracontainer 22 Wilde Kräuter | Malve (2) 23 Kultur | Studio 54 24 Kulturkalender 39 Kinotipp | Matthias & Maxime 30 bodo geht aus | Erzbahnbude 32 Reportage | Marian und das Memphis 36 Interview | Greta Thunberg 39 Bücher 40 Interview | Armin Laschet 43 Eine Frage… | Was ist ein Blackout? 44 Rätsel | Leserpost 45 Leserpost 46 Verkäufergeschichten | Vorwärtskommen

ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber auch wenn da ein Delta am Horizont droht, erfreuen wir uns an diesem Sommer. Lange waren die Bedingungen, unter denen wir arbeiten, nicht mehr so gut – und so sicher. Die Inzidenzen sind zurzeit niedrig, viele VerkäuferInnen des Straßenmagazins und Wohnungslose in unserer Beratung sind geimpft, die meisten MitarbeiterInnen bei bodo sind es auch. Wir können – mit begrenztem Zugang zwar – unsere Anlaufstellen öffnen und beraten zum ersten Mal seit März 2020 auch wieder in unseren Räumen. Außerdem freuen wir uns, dass die Kultur aus der Zwangspause erwacht ist und mischen selbst mit: Anna Mayrs Buch „Die Elenden“ hat mich tief beeindruckt, am 30. Juli wird sie in unserem Dortmunder Buchladen lesen. Außerdem haben wir Jeff Silvertrust, den Herrn auf unserem Titel, eingeladen, Anfang August beim „Sommer am U“ in Dortmund zu spielen, und ich spreche mit einem Mann, der sich vor 40 Jahren gegen Kompromisse, gegen die Bühne, aber für die Musik entschieden hat: ein Straßenmusiker auf zwei Kontinenten. Und sonst? Wir haben Greta Thunberg gefragt, was sie so macht, und Armin Laschet, warum man CDU wählen sollte. Wir ärgern uns über einen Theaterskandal, zeigen, wer die Kämpfe um den öffentlichen Raum eskaliert, erinnern an eine Disco-Legende, fahren auf der Erzbahntrasse Rad, singen eine Hymne auf einen Ruhrgebietsbaum mit Zuwanderungsgeschichte, aber lesen Sie selbst.

Ihre Meinung ist uns wichtig. Seite 44

Viele Grüße von bodo Bastian Pütter – redaktion@bodoev.de

Von Nothilfe bis Neuanfang: Helfen Sie helfen.

Obdachlosigkeit hat ein Davor und ein Danach. Die beste Hilfe ist, Obdachlosigkeit zu verhindern. In unserer Arbeit wenden wir Wohnraumverluste ab und betreuen ehemals Wohnungslose weiter. Mit Ihrer Hilfe. Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 3


MENSCHEN

Jeff Silvertrust steigt von seinem Motorroller. „Meine Trompete hab ich dabei, nur den Hut habe ich vergessen. Eigentlich habe ich immer einen auf“, begrüßt er uns auf Englisch mit eingestreuten deutschen Vokabeln. Dass ihm das etwas Zappa-haftes gebe, goutiert er mit leichter Verbeugung und einer ganzen Reihe Anekdoten. Ein Treffen mit einer amerikanischgesamteuropäischen Ein-Mann-Band. Von Bastian Pütter | Fotos: Daniel Sadrowski

Jazz-Trio, alleinreisend Bei Alleinunterhalter denkt man an die Abgründe deutscher Gemütlichkeit, bei Ein-Mann-Band an leicht enervierende Kunstfertigkeit mit Pauke auf dem Rücken. Auf Jeff Silvertrust trifft irgendwie beides nicht zu. Er weiß zu unterhalten und schüttelt ohne zu zögern auch kölsche Karnevalslieder mit breitem Chicagoer Akzent aus dem Ärmel oder alberne Rockcover mit babylonisch-sprachverwirrten Quatschtexten. Zuallererst ist er aber ein versierter Jazz-Trompeter, der auch – wenn man Glück hat – die vielgelobten New Yorker Aufnahmen seines Quintetts mit renommierten Musikern wie Jon Davis, Sam Rivers, Ron McClure oder David Rokeach im Gepäck hat. Und an zweiter Stelle ist er ein fast etwas verschrobenes Original, das seit 40 Jahren mit großer Kompromisslosigkeit seinen Traum lebt. Jeff Silvertrust macht Musik. Überall, wo Menschen es hören wollen, als alleinreisendes Lo-Fi-Jazz-Trio. Mit zehn Jahren begann der 1956 in Chicago geborene Jeff Silvertrust mit einer klassischen Trompetenausbildung, dann mit 14 eine Art Erweckungserlebnis: „Ich spielte in einer Big Band, wir probten, und mein Lehrer legte eine Kassette ein mit einem Standard-Bluesschema. Er sagte: ,Ich will, dass jetzt jeder so schlecht spielt wie möglich. Die erste Lektion: Wenn du Jazz spielst, hab keine Angst, Fehler zu machen.‘“ Durch die Big Bands kam er zu Maynard Ferguson, von da zum Jazzrock: Chicago, Blood, Sweat & Tears, Bill Chase. „Ich lernte Skalen und wie Akkorde gebildet werden, aber ich hatte meist keinen Gitarristen oder Pianisten, der mit mir übte. Also spielte ich mit der einen Hand auf dem Klavier Akkorde, um gleichzeitig auf der Trompete die Töne zu spielen, die passten. Ich machte das nur zum Üben während meines Ingenieurstudiums.“ In San Franzisco spielte Jeff in Jazz-Clubs, als er in einem Trödelladen eine kleine, tragbare Orgel fand. „Also ging ich raus, suchte mir eine Steckdose und spielte. Ich verdiente so drei Dollar in der Stunde, die meisten Leute ignorierten mich. Und dann sah ich einen Typen, um den eine richtige Menschenmenge stand: Er spielte zwei Trompeten gleichzeitig, die Leute

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Termin: Sommer am U 8. August, 17 Uhr Leonie-Reygers-Terrasse Eintritt frei


Jeff Silvertrust geboren 1956 in Chicago lebt in Belgien, Deutschland, den Niederlanden, Frankreich seit 1986 eigenes Plattenlabel „Bulldozers from Jupiter“ Acht LPs mit dem „Jeff Silvertrust Quintet“ Tritt auf als One-Man-Band mit Trompete, Keyboard, Hi-Hat

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MENSCHEN

liebten das. Er riet mir: ,Das ist gut, was du machst, aber dein Timing ist nicht gut. Du musst den Rhythmus halten, mein Vorschlag: Besorg Dir eine Hi-Hat.‘“ Jeff gehorchte, kaufte die zwei Becken mit Fußbedienung, tauschte die Miniorgel gegen eins der neuen japanischen Keyboards mit Batteriebetrieb und fertig war die One-Man-Band. Er kündigte den ungeliebten Job als Chemieingenieur und entschied, sich für drei Monate Europa anzuschauen und die Reisekasse mit Straßenmusik zu füllen. Das war 1981. „Als ich in Amsterdam ankam, baute ich auf und spielte. Als ich eine Pause machte, sah ich auf. Da standen 30 Leute und klatschten. Ich hatte im Nu 50 Gulden im Hut.“ Statt drei Monate reiste Jeff zwei Jahre durch Europa und spielte. „Als ich dann zurück in die USA kam, merkte ich, wie wenig Respekt Musiker im Vergleich zu Europa dort genossen. Also bin ich wieder zurück nach England.“

Um dort sehr bleibende Erfahrungen im Musikgeschäft zu machen: „Ich stieg in die Band von Edwin Starr ein. Dessen ,War! What is it good for' war ein Nummer-1-Hit. Die meisten waren Jamaikaner, ich war der einzige Weiße in der Band. Starr verdiente 3.000 bis 4.000 Pfund jeden Abend, wir bekamen den Mindestlohn von 25 Pfund pro Stunde. Und wir spielten nur eine Stunde.“ Als Starr dann auch noch Geld zurückhielt, verabredete die Band sich, eine Stunde vor dem nächsten Auftritt die Außenstände einzufordern oder zu gehen. „Er war stinksauer, aber er bezahlte uns. Ich war ,reich‘, kündigte und entschied, nach Skandinavien zu gehen, das ich noch nicht kannte.“ „Besonders Finnland fand ich spannend, denn niemand geht dort hin“, lacht Jeff. „Es ist so geheimnisvoll.“ Jeff verliebt sich in das Land und in seine Freundin, mit der er 14 Jahre dort zusammenlebte. „Ja, das war meine ,home base‘. Ich hatte eine Jazzband in Palermo und einen Freund in Sevilla, der einen Jazzclub hatte – für den Winter. Für den Sommer kamen wir immer zurück.“ Jeff räuspert sich: „Wirklich verrückt übrigens ist: Wir haben uns 24 Jahre nicht gesprochen, und ausgerechnet vergangene Woche hat sich mich angerufen. Ich hatte ihr jahrelang Briefe geschrieben, die hatten sie nie erreicht.“ Er kratzt sich am Kopf. „Verrückte Geschichte.“ Seit 1998 liegt Jeff Silvertrusts Hauptwohnsitz in Belgien. In Ennepetal ist er regelmäßig bei seiner Freundin. Zweimal im Jahr schafft er es mindestens nach Chicago. Und wenn nicht gerade eine nervige Pandemie alles lahmlegt, reist er den kleinen und großen Festivals hinterher. Dass dort nicht mehr alles so ist wie früher, ist jedoch nicht allein Corona zu verdanken. Die Gründergeneration der Musikfestivals habe aus Musikenthusiasten bestanden, heute gehe es an jeder Stelle ums Geld. Jemand, der gar nicht auf die Bühne wolle, sondern neben den Essens- und Plattenständen spiele, „geht gar nicht in deren Kopf “. Corona hat den schrumpfenden Raum dann noch einmal drastisch reduziert. Die Corona-Ausgabe des Moers-Festivals an Pfingsten habe er sich gespart: „100 Menschen sitzen getestet, mit Masken und Abstand da und hören Free Jazz – Come on!“ Stattdessen ist es viel „echte“ Straßenmusik gewesen, die Jeff seit dem vergangenen Jahr gemacht hat. „Irgendwann habe ich die Zoos entdeckt. In Dortmund ist es sehr angenehm. Bochum natürlich, die Studenten, die Bars mit den Tischen draußen.“ Als die Maskenpflicht erst in die Fußgängerzonen und dann sogar in die Parks wanderte, wurden sogar die großen Supermärkte zur Bühne – ob in Chicago oder Dortmund. „Hätte ich auch nicht gedacht, dass ich mal vor Kaufland und Real spiele, aber das hat ja auch funktioniert.“ Nebenbei hat Jeff eine neue Platte aufgenommen, hat sich an ironischen Coversongs von „I can’t get no desinfection“ (Stones) bis „Ich brauch irgendein Spray for my hands“ (Beatles) im erzwungenen Home Office versucht – aber nun freut er sich auf einen Sommer mit viel Live-Musik.

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STRASSENLEBEN

Spätestens Corona hat die Krise der Innenstädte offengelegt. Das Konzept, sie als Orte zu begreifen, an denen außer Einkaufen nicht viel stattfindet, hat sich überlebt. „Lebenswert“ und vielfältig ist die Innenstadt von morgen. Was das heißt, erarbeiten Planungs- und PR-Büros, die passende „Story“ der Vision wird gleich mitgeliefert. Arme und Wohnungslose fehlen in diesen Geschichten meistens. Von Alexandra Gehrhardt | Foto: Sebastian Sellhorst

Arme als Störfaktor Große Herausforderungen sind es, die die Stadt Dortmund angehen will. Es geht um den Strukturwandel des Einzelhandels, den Corona massiv beschleunigt hat (bodo 01/02.21) und die Notwendigkeit, „neue Nutzungen und Funktionen für die Innenstadt zu denken und zu fördern“, wird Oberbürgermeister Thomas Westphal in einer Mitteilung zitiert. In Dortmund soll sich künftig ein Citymanagement darum kümmern, was das heißen kann: Kleine, individuelle Läden statt großer Ketten, Handwerk, Kultur und Wohnen nebeneinander sind erste Ideen. Dazu die passende „Story“, die die Stadt als Erlebnisort erzählt. Auch die Thier Galerie will vom „Aufblühen“ profitieren. In einer Stellungnahme zu den Corona-Auswirkungen auf das Shopping Center freute sich CenterManager Markus Haas auf die Zukunft, machte aber auch klar, was (und wer) dabei stört: „Das aktuelle Stadtbild ist geprägt von Armut, Vandalismus und Betäubungsmittelkonsumenten“, klagt er. Letztere seien „mit dem Umzug des Café Kick gezielt in den Bereich der Thier Galerie gelockt worden“. 2020 zog der Konsumraum der Aidshilfe von der Ostseite der Thier Ga-

lerie auf die Westseite. Auch Graffiti und Schlafplätze sowie Baustellen und Demonstrationen auf dem Wall, die die Zufahrt zum Center behindern, sind Markus Haas ein Dorn im Auge. Die Erzählung, dass Störfaktoren verschwinden müssen, betrifft den umkämpften öffentlichen Raum als Ganzes. Shopping Center und Außengastronomien sind nicht für alle da, sondern nur für die, die Hausrecht und Sicherheitsdienste hereinlassen. Eine repressive Ordnungspolitik flankiert das im öffentlichen Raum. Alkoholverbote treffen die Trinker vom Kiosk, nicht die teure Außengastronomie nebenan. „Wildpinkeln“ trifft meist nicht die Fußballfans vorm Stadion, sondern Menschen, die keinen freien Zugang zu Toiletten haben. Im vergangenen Sommer erhielten Wohnungslose in Dortmund Corona-Bußgelder in zum Teil vierstelliger Höhe, vor drei Jahren sorgten Knöllchen wegen „Lagerns und Campierens“ für bundesweite Empörung. Nach heftiger Kritik wurde die Sanktionspraxis damals ausgesetzt. Im Ordnungsrecht existiert der Paragraf noch immer.

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NEUES VON BODO

Anna Mayr bei bodo Wir freuen uns riesig, dass die Journalistin Anna Mayr im Rahmen des ruhrgebietsweiten Lesemarathons „LiteraTour Ruhr“ Station in unserem Dortmunder Buchladen macht. Anna Mayr, die heute im Politik-Ressort der „Zeit“ in Berlin arbeitet, stammt aus dem Ruhrgebiet. Ihr Erstling „Die Elenden“ erzählt die Hartz-IV-Kindheit der Autorin – doch weder als Aufstiegsgeschichte noch als „Fall“, weil das wieder vereinzelt und Mitleid ein billiger Ausweg wäre: „Stattdessen werde ich aufschreiben, warum meine Kindheit beschissen war. Welches System dahintersteckt, welche Ideologien, welche Gedanken, die in uns allen wohnen, auch in mir.“

TERMINE

7. August, 19.30 Uhr, Schwanenwall 36 – 38, Dortmund. Alle Details zur Veranstaltung ab Mitte Juli auf www.bodoev.de

Gedenktag für die verstorbenen DrogengebraucherInnen 21. Juli, 12 Uhr Stadtgarten, Dortmund Funny van Dannen präsentiert von bodo Juicy Beats Park Sessions 30. Juli, Einlass 18 Uhr An der Buschmühle 3 Dortmund Anna Mayr: Die Elenden Lesung im bodo Buchladen 7. August, 19.30 Uhr Schwanenwall 36 – 38 Dortmund Jeff Silvertrust präsentiert von bodo Sommer am U 8. August, 17 Uhr Leonie-Reygers-Terrasse Dortmund 8

Jeff am U

Dominik Bloh

Am Dortmunder U gibt es in diesem Sommer wieder Livekultur mit breit gefächertem Programm. Wir freuen uns, dazu beitrahen zu dürfen. Bis zum 27. August gibt es ein spannendes Programm im Schatten des U, organisiert von jungen Wilden, alten Bekannten und mit KünstlerInnen und Organisationen, denen wir uns lange verbunden fühlen. Am 8. August dürfen wir das Programm bestimmen und haben Jeff Silvertrust eingeladen (s.S.4). Der Jazztrompeter aus Chicago kommt als One-Man-Band mit Hi-Hat und Keyboard und zeigt, wie Straßenmusik im besten Falle ist: mitreißend, klug, irritierend und wirklich lustig. Das ganze Programm finden Sie auf Sommer-am-U.de

Mit 16 wird er das erste Mal obdachlos, haltlose Jahre folgen, immer wieder schläft er draußen – und schreibt das auf der Straße Erlebte auf. Die „Flüchtlingskrise“ 2015 verändert sein Leben. „Man muss nichts besitzen, um helfen zu können“, sagt er. Dominik Bloh lernt Menschen kennen, die sein Engagement und sein Talent beeindruckt, hat bald eine Wohnung und einen Verlag. „Unter Palmen aus Stahl“ wird ein Bestseller. Nach Auftritten bei unseren Jubiläumsfeiern folgte die Corona-Zwangspause. Nun kommt Dominik wieder vorbei. Am 15. Juli um 19 Uhr liest er in der Reihe „Kleiner Freitag“ im Kino des Dortmunder U. Karten sind knapp. Reservierung: kleinerfreitag@stadtdo.de


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Spiele, Spiele Unsere Buchteams in BO und DO freuen sich auf Ihren Besuch. Mehr als 10.000 gute, gebrauchte Romane, Krimi, Sach- und Fachbücher warten in unseren Läden und in unserem Onlineshop auf neue LeserInnen. Für den Urlaub auf Balkonien, im Freibad oder anderswo reduzieren wir im Juli alle Gesellschaftsspiele um bis zu 50 Prozent.

Unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Dortmund haben sich rund 200 gemeinnützige Vereine, Organisationen und Initiativen zusammengeschlossen. Sie bieten Unterstützungsleistungen in allen Lebensbereichen an: n n n n n n n

Beratung bei Ehe- und Lebenskrisen Unterstützung bei der Betreuung von Kindern Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene Unterstützung bei psychischen Erkrankungen Hilfen für Menschen mit Behinderungen Hilfen in Notlagen und bei besonderen sozialen Schwierigkeiten Selbsthilfeunterstützung

Kontakt über Paritätischer Wohlfahrtsverband NRW Kreisgruppe Dortmund Ostenhellweg 42-48/Eingang Moritzgasse | 44135 Dortmund Telefon: (0231) 189989-0, Fax: -30 dortmund@paritaet-nrw.org | www.dortmund.paritaet-nrw.org

Funny Van Dannen bodo freut sich, den großen Funny bei den Juicy Beats Park Sessions zu präsentieren. Am 30. Juli spielt der Kunstmaler und Buchautor in seiner Rolle als Solitär der deutschsprachigen Singer- / Songwriter-Szene im Dortmunder Westfalenpark. Im Gepäck hat er 16 Alben, Meriten als Gründungsmitglied der legendären Lassie Singers, Credits als Autor für die Toten Hosen. Vor allem aber hat er zeitlose Hits dabei, die oft unglaublich komisch, aber nie eindimensional albern sind; Songs, die auf Melancholie gründen, die auch Pathos mit Würde tragen, genau wie sie das Antivirtuose, Unfertige der geschrammelten Gitarre aushalten, ja: feiern. www.bodoev.de

Weil Öko und Soziales zusammen gehören.

Markus Kurth

für den Wahlkreis Dortmund 1 in den Bundestag! markuskurthmdb

@markuskurthmdb

markus-kurth.de 9


NEUES VON BODO

Wenn es heiß wird Der Sommer ist etwas Schönes. Die längst erfahrbaren Folgen des Klimawandels und das Fehlen von Luftzirkulation und flächendeckenden Begrünungskonzepten in der Stadt führen jedoch zunehmend zu sogenannten urbanen Hitzeinseln. Wohnungslose halten sich jedoch genau hier auf, weil sie auf die Infrastruktur von Hilfseinrichtungen und auf Erwerbsmöglichkeiten im öffentlichen Raum der Städte angewiesen sind. Die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe haben sich auf diese zusätzlichen Gefahren für die Gesundheit Wohnungsloser eingestellt. Auch wir sind täglich unterwegs und verteilen seit Jahren in der heißen Jahreszeit Tausende Wasserflaschen und schauen nach Menschen mit gesundheitlichen Problemen. Wenn Sie sich Sorgen um eine obdachlose Person machen, sprechen Sie sie an. Wenn Sie glauben, dass ein medizinischer Notfall vorliegt, rufen Sie die 112.

SOZIALES Schutzlos auf dem Feld: Hunderte ErntehelferInnen haben sich auf deutschen Spargelfeldern mit Covid-19 infiziert. Nach Buzzfeed-Recherchen wurden bis Juni nur rund 140 Fälle der zuständigen Sozialversicherung gemeldet, kein einziger als Arbeitsunfall anerkannt. Der Bundestag hat im Mai beschlossen, dass trotz Berichten über miserable Arbeitsbedingungen SaisonarbeiterInnen 102 Tage lang ohne Versicherung beschäftigt werden dürfen. Zuckerbrot und Abschiebeflieger: Die NRW-Regierung reformiert das Integrations- und Teilhabegesetz. Dazu gehören zum einen bessere Bleibeperspektiven für „gut integrierte“ Geduldete und die sichere finanzielle Ausstattung von NGOs. Kommunen sollen 12.000 Euro Festbudget pro Geduldetem erhalten und Mehrkosten allein tragen. Von NGOs kommt heftige Kritik, der Alltag in Abschiebehaft sei geprägt von Isolation und Entrechtung. Wohnen in Großstädten ist teurer für Arme. Nach einer Studie der HU Berlin gibt fast die Hälfte der Haushalte in Großstädten mehr als 30 Prozent des Nettoeinkommens für Miete aus. Besonders Haushalte mit niedrigen Einkommen haben eine hohe Mietbelastung: bei Einkommen an der Armutsgrenze liegt sie im Mittel bei 46 Prozent. Bochum und Dortmund liegen bei der Mietbelastung im Bundesschnitt von rund 30 Prozent. Während Corona waren und sind Sozialbehörden kaum erreichbar – sogar in Notfällen. Durch Homeoffice und das Fehlen von persönlichen Terminen verzögerten sich Anträge, mahnt das Bündnis „AufRecht bestehen“. Die zunehmende Digitalisierung schließe Menschen ohne Computer oder mit Sprachbarrieren zusätzlich aus, das führe bei Betroffenen zu Mittellosigkeit und Verzweiflung, so das Bündnis. 10

Foto-Heft Der Dortmunder Journalist, Fotograf, Nordstadtblogger und seit dieser Ausgabe auch bodo-Autor Leopold Achilles hat im vergangenen Winter die Arbeit der Winternothilfe am Dortmunder U dokumentiert. Gast-Haus, Suppenküche Kana, bodo und Team Wärmebus hatten in einem beheizten Großzelt an sieben Tagen in der Woche je zwei Mahlzeiten an Wohnungslose ausgegeben, als die stationären Einrichtungen pandemiebedingt nicht öffnen konnten und durften. Möglich wurde dieser Kraftakt durch das Engagement Hunderter Ehrenamtlicher. Ihren Einsatz zeigt eine Projektarbeit von Leopold Achilles, die als Broschüre kostenlos in unserem Buchladen erhältlich ist – so lange der Vorrat reicht.


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Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt Bastian Pütter redaktion@bodoev.de Anzeigen: Susanne Schröder anzeigen@bodoev.de Vertrieb: Oliver Philipp vertrieb@bodoev.de

Mit uns gesund durch den Sommer!

SortimentServicePreise - auch online! Westenhellweg 81 - 44137 Dortmund Tel./WhatsApp* 0231 84 01 00 90 schwanen@ausbuettels.de *Bitte beachten Sie bei der Benutzung von WhatsApp unsere Hinweise zum Datenschutz. Diese erhalten Sie in unseren Apotheken oder unter www.ausbuettels.de/datenschutz.

bodos Bücher: Julia Cöppicus buch@bodoev.de Haushaltsauf lösungen und Entsorgungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln transport@bodoev.de

Gedenktag

Licht ins Dunkel

Am 21. Juli 1994 starb in Gladbeck der junge Drogengebraucher Ingo Marten. Seine Mutter erreichte, dass in einem Gladbecker Park Deutschlands erste Gedenkstätte für verstorbene Drogenabhängige eingerichtet wurde. Seither wird hier jedes Jahr an Ingos Todestag aller Menschen gedacht, die durch den Konsum illegaler Drogen ums Leben gekommen sind. Inzwischen wird in mehr als 60 Städten ein jährliches Gedenken organisiert. In Dortmund laden die Einrichtungen der Dortmunder Drogenhilfe und der Angehörigenkreis zu einer Veranstaltung unter dem Motto „Substitution für alle OpioidkonsumentInnen“ um 12 Uhr zum Gedenkstein im Stadtgarten, nahe der U-Bahn-Station.

In der ersten Juliwoche führt die Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS) im Auftrag des Landes eine systematische Befragung Obdachloser in ausgewählten Städten in NRW durch. Neben Dortmund sind Köln, Münster und Remscheid sowie die Städte und Gemeinden der Kreise Lippe und Wesel Teil des Projekts. Eine Vielzahl von Trägern, Einrichtungen und Organisationen, darunter bodo, ist in die Befragung eingebunden. Ein besonderer Fokus liegt auf verdeckt lebenden Wohnungslosen mit Übernachtungsmöglichkeiten bei Bekannten oder Verwandten, ohne dort einen ständigen Wohnsitz zu haben. Die Ergebnisse wird das Land im November vorstellen.

en lassen.“ „Nicht ärgern. Berat © by Photocase.de

bodo ist für Sie da

Mieter schützen · Mietern nützen!

Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V.

Mieterverein

Bochum, Hattingen und Umgegend e.V.

Brückstraße 58 44787 Bochum Tel.: 0234 / 96 11 40 mieterverein-bochum.de

Kampstr. 4 44137 Dortmund Tel. 0231/557656-0 mieterverein-dortmund.de

Öffnungszeiten Mo - Do 9:00 - 18:00 Fr 9:00 - 12:00

Öffnungszeiten Mo - Do 8:30 - 18:00 Fr 8:30 - 14:00

Mitglieder im Deutschen Mieterbund

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REPORTAGE

Unter Platanen spaziert man in Grünanlagen, man genießt ihren Schatten auf öffentlichen Plätzen. Als Alleebäume säumen sie Straßen und Wege. In keiner Ruhrgebietsstadt sind sie zu übersehen, allein ihrer imposanten Größe wegen. Aber was sind das für Bäume? Lexika, selbst die Wikipedia, fassen sich kurz. Also haben wir einen Fachmann gefragt. Patrick Knopf, Direktor des Botanischen Gartens Rombergpark, ist ein international geschätzter Dendrologe, ein Baumexperte. Promoviert hat er über Steineiben. Platanen gehören zu seinen Lieblingsbäumen, wie er uns gegen Ende des Interviews verriet. Von Wolfgang Kienast | Fotos: Daniel Sadrowski

Platanen

Teenager von dreihundert Jahren Die vermutlich älteste Platane Dortmunds steht im Stadtteil Marten. Gepflanzt wurde sie, so ist es überliefert, am 25. Januar des Jahres 1790. Ihr Standort: die Straße „Am Voerstenhof “, benannt nach einer bedeutenden historischen Hofanlage. Dort drückt sie beharrlich eine im Vergleich recht junge Backsteinmauer aus dem Lot. Kein Wunder, ihr Stammumfang beträgt mittlerweile raumgreifende sechseinhalb Meter. „Informationen zufolge wurde der Baum schon als gefährlich eingeschätzt und eine Fällgenehmigung erteilt, die aber umstritten blieb. Die ungeklärte Situation bereitet der Bezirksvertretung Sorge“, wandten sich die Fraktionen von SPD und CDU vor zwölf Jahren in einem gemeinsamen Antrag an ihren Bezirksbürgermeister. Zum Glück wurde die Platane hiernach nicht abgeholzt, sondern als Objekt mit der Nummer OV159 ins Verzeichnis der Dortmunder Naturdenkmale aufgenommen.

Statussymbol im Landschaftspark Der alten Lady geht es also gut. Aber alt ist relativ, vor allem bei Platanen. „Vor Urzeiten waren sie in der Evolution eine Gruppierung, die viele Arten umfasste“, sagt Patrick Knopf. „Ein bisschen ist das wie beim Ginkgo, von dem es in unserer Gegenwart nur noch einen einzigen Vertreter gibt. Oder nehmen Sie ein mittelalterliches Adelsgeschlecht. Der letzte seiner Art macht die Tür zu. Bei den Platanen handelt es sich heute ebenfalls um eine äußerst kleine Gruppierung. Vielleicht sind da noch fünf oder sechs Geschwister. Irgendwann, theoretisch, werden sie wohl verschwinden. Wobei, wir reden jetzt über Zeiträume von Millionen Jahren. Und die Platane hat im Moment das Glück, dass sie mit dem Klimawandel besonders gut zurecht kommt.“ Der Ginkgo gilt als lebendes Fossil. 60 Millionen Jahre stehen im Raum. Bei Platanen redet man von 33,9 Millionen Jahren. In Gestalt der bei uns geläufigen Parkund Alleebäume aber existieren sie nicht ansatzweise den berühmten erdgeschichtlichen Wimpernschlag lang. Tatsächlich schlägt diese Ahornblättrige Platane (Platanus × acerifolia) ihre Wurzeln erst seit anno 1650 ins Erdreich. Es handelt sich um eine Bastard- oder Hybridform, hervorgegangen aus einer wahrscheinlich spontanen Kreuzung der Amerikanischen (Platanus occidentalis) mit der Morgenländischen Platane (Platanus orientalis). Wo diese Kreuzung erfolgte, ist in der Fachwelt umstritten; genannt werden botanische Gärten in Oxford, in Spanien oder Südfrankreich.

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REPORTAGE

Patrick Knopf, Direktor des Botanischen Gartens Rombergpark und international geschätzter Baumexperte.

Ohne menschliches Zutun wären sich die Eltern vermutlich nie begegnet. „In botanischen Gärten und in sogenannten Medizinalgärten wurden exotische Pflanzen gehegt“, erklärt Herr Knopf. „Da standen dann die Gift- neben den Zierpflanzen. Viele sahen ja auch ganz nett aus. Die tollsten Gewächse haben sich die Adeligen als Statussymbol geholt. Heute heißt es: mein Tablet, mein Porsche, meine Yacht, meine Wohnung auf Malle. Früher hat man gesagt: Das ist meine Lindenallee. Der die Natur idealisierend nachahmende Englische Landschaftspark war seinerzeit in Mode. Je überwältigender die Sammlung, desto höher war das Ansehen. Und jetzt, schaut man auf die Häuser am Phoenixsee, präsentiert man seinen Reichtum offensichtlich durch eine maximale Schotterfläche mit künstlicher Buxbaumkugel.“

Robuste Industrialisierungs-Gewinner Rechts: Am 25. Januar 1790 wurde Dortmunds wohl älteste Platane im Stadtteil Marten gepflanzt. Ihr Stammumfang beträgt inzwischen sechseinhalb Meter. Unten: Die Verkehrslage auf der Bundesstraße 1 im Bereich der Dortmunder Innenstadt gibt oft Gelegenheit, die sie säumende, zweifache Platanenallee im Wechsel der Jahreszeiten zu betrachten.

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Auch die Gestaltung des Rombergparks wurde vom einst ansässigen Adelsgeschlecht in Auftrag gegeben. Mit dem Sammeln seltener Hölzer begann die Familie im frühen 19. Jahrhundert. Holländische Linden wurden 1825 als Allee und Sichtachse arrangiert, eine Gruppe Hybridplatanen am Ufer des großen Teichs stammt aus dem Jahr 1804. Vom damaligen Schloss aus war sie gut zu sehen – und es ist nicht überraschend, dass man die Bäume an dieser exponierten Stelle zur Schau stellte.


Die Kreuzung aus Amerikanischer und Morgenländischer Platane bringt starkwüchsige, hübsch anzusehende Exemplare hervor. Die großen, sommergrünen Blätter, vor allem aber die infolge von Borkenablösungen markant grün-ocker-silbrig gefleckten Stämme machen sie attraktiv für Parks und botanische Gärten, wo man mit den imposanten Bäumen punkten wollte. Dass sie darüber hinaus recht unempfindlich gegen Luftverschmutzung und gelegentliche Trockenphasen sind, spielte bei ihrer Wertschätzung zunächst eine untergeordnete Rolle. „Im Zuge der Industrialisierung aber tauchten Platanen gezielt im urbanen Raum auf. Es wurde untersucht, was trotz schmutziger Luft gut gedeiht. Das systematische Testen gehörte zu den Aufgaben von Richard Nose. Von 1920 bis 1938 war Nose der Dortmunder Garten- und Friedhofsdirektor. Ihm unterstand auch der Rombergpark. Im Park war die Luft sicher nicht besser als im benachbarten Hörde. Also ließ er 1.500 Gehölzarten anpflanzen, einheimische wie exotische, und erkannte bald das Potenzial der Hybridplatane. Weil in sein Ressort auch sämtliche Straßenzüge fielen, ließ er sukzessive die ganze Stadt durchgrünen. Das Gros der älteren Platanen in Dortmund stammen noch aus seiner Züchtung.“

Die Platanenallee an der B1 kam 1980 sogar zu popkulturellen Ehren. Der Hintergrund war ernst. „Platanen statt Autobahnen“ reimte damals die Dortmunder Folkrockband Cochise ein wenig ungelenk und brachte a capella den Unmut über eine sehr umstrittene Fällaktion zum Ausdruck. Etwa zweihundert Platanen waren in einer Nacht- und Nebelaktion weggesägt worden. Und obwohl ihr Wert mittlerweile geschätzt wird, in sicheren Gefilden stehen die Westfalendammbäume bis heute nicht. „Aber wenn man in Dortmund schon im Stau stecken muss, dann doch bitte im Schatten der Platanen“, meint Patrick Knopf. „Sie kühlen den Raum und fangen obendrein eine Menge vom Dreck in der Luft ab.“ Der Dendrologe schätzt und bewundert Platanen. „Ich mag ganz einfach, wie sie wachsen. Andere Bäume stellen mit achtzig oder neunzig Jahren ihr Wachstum ein, die Kronen lichten sich, sie bekommen eine struppige Gestalt. Platanen bleiben in Form. Die sind mit dreihundert Jahren noch im Teenageralter. Es gibt sie seit 1650. Erst Generationen nach uns wissen, wie alt und wie groß sie wirklich werden können.“

Aber was haben Platanen, was vielen Bäumen augenscheinlich fehlt? „Besonders harte, ledrige Blätter“, weiß Herr Knopf. „Das ist die Cuticula der Pflanzen, eine schuppige Wachsschicht, die in ihrer Mikrostruktur den Dreck festhält. Diese Schicht macht sie unempfindlich gegen Staub und Ruß in der Luft. Sensibelchen machen schneller schlapp, Platanen nicht. Außerdem verfügen ihre Blätter über ein gutes Innenskelett. Vergleichen Sie das mit der Stahlarmierung im Betonbau. In Trockenphasen, wenn der Wasserdruck fehlt, bleiben die Blätter in Form. Sie können weiter arbeiten. Das Blatt, das Kraftwerk der Zelle, braucht immerzu Input. Es muss zur Bildung von Traubenzucker permanent Luft aufnehmen, Kohlendioxyd. Im Umfeld von Industrie, Motoren und Maschinen, wo Kohlendioxyd ausgestoßen wird, liegt atembarer Dünger in der Luft. Platanen sind das Erfolgsmodell im Westen.“

Platanen statt Autobahnen Mit diesem Bild im Hinterkopf kann man in der Dortmunder Innenstadt, Hansastraße 95, ein Traumpaar des industriellen Ruhrgebiets finden. Ob Zufall oder Planung, sei dahingestellt, jedenfalls kommen hier Bergmann und Platane zusammen. Der Baum wurde in etwa zeitgleich mit der Platanengruppe im Rombergpark angepflanzt; da war der Standort im Zentrum freilich eher untypisch für die Art. Seit 1985 reckt unter dem ausladenden Blätterdach der ‚Wettersteiger‘ des Bildhauers Wilhelm Wulff, wenn auch nur als Kopie des Originals von 1958, prüfend seine Grubenlampe in die Höhe.

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DAS FOTO

„Unlock Bochum“: Sinkende Inzidenzen, die weitgehende Rücknahme der Kontakt- und Aufenthaltsverbote und hochsommerliches Wetter führten im Juni zu einer rasanten – und natürlich nicht immer konfliktfreien – Wiederbelebung des öffentliches Raums wie hier am Schauspielhaus Bochum. Foto: Daniel Sadrowski

MIETEN & WOHNEN

Sechs Jahre Mietenstopp von Aichard Hoffmann, Mieterverein Bochum, Hattingen und Umgegend Der 69. Deutsche Mietertag am 10. und 11. Juni fand als erster in der Geschichte der Mieterbewegung online statt – wegen Corona. Nach acht Jahren Großer Koalition, während derer sich die Lage der Mieter dramatisch verschlechtert habe, forderte er einen grundlegenden Wechsel in der Wohnungspolitik. Der klare Vorwurf an die Bundesregierung: viel zu wenig getan zu haben gegen Mietenexplosion in Ballungszentren.

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So war die wichtigste Forderung des Deutschen Mieterbundes DMB die nach einem sechsjährigen, flächendeckenden Mietenstopp. Im Klartext: Alle Mieten in ganz Deutschland sollen für sechs Jahre eingefroren werden, um den MieterInnen eine Atempause zu verschaffen und der Politik Zeit zu geben, Mittel gegen immer weiter steigende Mieten zu finden.

Die Diskussion stand auch unter dem Eindruck des Scheiterns des Berliner Mietendeckels am Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Viele Delegierte waren der Meinung, dass ein bundesweiter Mietendeckel die bessere Lösung sei. Vorteil: Ein Deckel friert nicht nur alle Mieten ein, egal, wie hoch sie sind, sondern definiert Obergrenzen. Er senkt also auch Mieten, die bereits darüber liegen. In München z.B. wäre


KOMMENTAR

Cornern als Sicherheitsrisiko Von Alexandra Gehrhardt Menschen treffen sich abends in der Stadt, auf einem Platz, im Park, an der Hauptstraße im Wohnviertel. Man lacht, raucht, trinkt, hört Musik, macht Musik, genießt den lange vermissten Kontakt. So machen das Hunderte jedes Wochenende, an Orten, die nur so halb dafür gedacht waren, den Vorplatz des Schauspielhauses oder des Musikforums, eine Brücke im Kreuzviertel in Dortmund. Während Corona, als Kneipen und Clubs dicht waren, haben sich die Leute, die keinen Garten, keine Wohngemeinschaft und keine Kernfamilie haben, andere Räume genommen für ein bisschen Sozialleben.

Umkämpfter öffentlicher Raum

Corona hat Cornern in neuen Milieus etabliert. War es vor Jahren noch Punk, mit richtigen Gläsern auf dem Bordstein zu stehen, macht jetzt auch der Weinladen Außenverkauf für die Kundschaft. Nun wird das eine als neue Ausgehkultur gefeiert, das andere zum Problem erklärt. Anwohnerbeschwerden häufen sich, in Bochum wie in Dortmund, jetzt auch über fehlende Abstände und Menschenmengen, vor Corona nur über Lärm. In Bochum war es 2018 erklärtes Ziel des Theaters, dass der Vorplatz „zentraler Treffpunkt urbanen Geschehens“ ist. Aber gefälligst auf Socken!, rufen jetzt andere. Problematisch wird das, wenn die Komponente Macht dazu kommt. Corona hat die Frage, wer was darf im öffentlichen Raum, massiv verschoben. Kaum ein Quadratmeter in der Stadt, der nicht verregelt war und wo nicht Sanktionen für Fehlverhalten drohten. Das haben die zu spüren bekommen, die keine Alternative haben, wie Wohnungslose (bodo 07.20). Das merken jetzt die, die in den genommenen Räumen angekommen sind – und jetzt wieder gehen sollen. Der Weg, der gerade gegangen wird, ist nicht Kompromiss, sondern Verdrängung durch Ordnungsbehörden, die mit Corona enorme Befugnisse dazugewonnen haben, die sie jetzt nur ungern wieder abgeben. Wo Kontrolle willkürlich erscheint, erzeugt sie Gegentendenzen und Konf likt. Und wo Cornern als Sicherheitsrisiko erzählt wird, wird Polizeiarbeit zur potenziellen Aufstandsbekämpfung. Ohne allzu dystopisch wirken zu wollen: Dank Tasern, Drohnen und „Anti-Terror-Panzern“ für die Polizei und Schlagstöcken für Ordnungsämter ist die Tendenz erkennbar. Dabei löst das nichts: nicht den Frust, den eine in weiten Teilen ihres Lebens mit Corona im Stich gelassene Jugend verarbeiten muss, und nicht die Frage, wieviel Verregelung eigentlich gut für eine Gesellschaft ist. Das muss ausgehandelt werden, nicht weggeräumt.

solches bitter nötig. Dort liegt die Durchschnittsmiete bereits über 21 Euro. Nachteil: Während ein Stopp für den Gesetzgeber ganz leicht umzusetzen wäre, wäre ein Deckel sehr aufwendig, da für jede Gemeinde ein Mietoberwert definiert werden müsste. Außerdem ist unklar, ob er verfassungskonform wäre. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich dazu nicht geäußert, sondern nur dazu, dass allein der

DIE ZAHL

462.236 EURO an Bußgeldern für Verstöße gegen die CoronaSchutzverordnung hat die Stadt Dortmund von April 2020 bis April 2021 eingenommen. In Bochum waren es 233.245 Euro.

Bund Gesetzgebungskompetenz im Miethöherecht habe (bodo 05.21). Eine weitere Forderung: die VermieterInnen an den CO2-Kosten zu beteiligen. Das hatte die GroKo bereits beschlossen, aber die CDU-Fraktion im Bundestag sperrt sich und will allein die MieterInnen zahlen lassen. Dann aber würde die beabsichtigte Lenkungswirkung verfehlt, denn Vermieter allein entscheiden, welche Heizung sie einbauen. 17


REPORTAGE

Bürgerliches Trauerspiel Es sollte ein Generationswechsel werden: Im Februar erst haben die Kulturmanagerin und Dramaturgin Cindy Jänicke und der Theatermacher Till Beckmann die Leitung des traditionsreichen Dortmunder Theaters Fletch Bizzel übernommen (bodo 03.21). Im April sollte es so richtig losgehen, doch dazu kam es nicht. Stattdessen sprach der Trägerverein unter Horst Hanke-Lindemann wenige Wochen nach dem Start die fristlose Kündigung aus. Jetzt beschäftigt der Fall über Dortmund hinaus die Öffentlichkeit, hinter verschlossenen Türen Verwaltung und Kulturpolitik – und das Arbeitsgericht. Text und Fotos: Leopold Achilles

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S

pätestens seit Ende März gibt es dicke Luft im Fletch. Ganz konkret entlud sich der Konflikt rund um eine mit dem Herner Verein „Pottporus“ geplante Ausstellung mit urbaner Kunst. Graffiti sollte auf Malerei treffen, eine Fotoausstellung und Installationen verschiedener KünstlerInnen waren geplant. Der Generationswechsel sollte auch eine Neuausrichtung werden: mit Theater für junges Publikum, Schauspielproduktionen, Tanztheater, Projekten im öffentlichen Raum, Recherchen und anderen Formen zeitgenössischer Kunst. Das Fletch sollte neu in Dortmund verankert werden und auch einer größeren Zahl von lokalen KünstlerInnen für eigene und Kooperationsprojekte zur Verfügung stehen. Ein Neustart inmitten des Lockdowns.


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NUR MIT AUSWEIS

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Till Beckmann und Cindy Jänicke auf dem Weg zum Arbeitsgericht. Der künstlerischen Leitung des Fletch Bizzel war nach wenigen Monaten fristlos gekündigt worden.

„Das ist keine Kunst“ Stattdessen erhielten Cindy Jänicke und Till Beckmann die fristlose Kündigung durch den Trägerverein des Theaters. Abgesagt und aufgekündigt sei das Konzept, welches ausgearbeitet und sowohl mit dem Verein als auch der technischen Leitung im Haus abgesprochen gewesen sei, so beschreibt es Till Beckmann. Noch im Februar hieß es in einem Interview mit dem Westfalenspiegel, der Vorgänger und langjährige Macher des Fletch Bizzel, Horst Hanke-Lindemann, hätte Jänicke und Beckmann ans Haus geholt und würde sie in allem unterstützen. Monate später ist Till Beckmann resigniert und müde, hat, wie er sagt, schon ein paar Tage nicht mehr richtig geschlafen und ist schwer ent-

täuscht. Nachdem in Vorbereitung auf die „Fletch Urban“-Ausstellung erste Wände, eine Treppe, aber auch Türen und Heizkörper im Haus von KünstlerInnen bemalt wurden, kam es zu einem Eklat mit dem Eigentümer der Immobilie. „Das ist keine Kunst“, soll es von dessen Seite geheißen haben, berichtet auch einer der Kuratoren, Patrick Brehmer. Die Einflussnahme auf die künstlerische Ausrichtung durch den Eigentümer wird Teil des Arbeitsrechtsprozesses sein. Sie soll durch Schriftverkehr zwischen Hanke-Lindemann und dem Eigentümer Jochen Niemeyer belegt sein, der auch der Stadt vorliege. Vermieten würde er nur an „das alte Fletch Bizzel“. Auf Nachfrage bestreitet Niemeyer zwar eine Einflussnahme, führt dann aber doch aus: „Man sucht eine Anstellung

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REPORTAGE

an einem Theater, um dann innerhalb von acht Wochen alles in Schutt und Asche zu legen, was 35 Jahre bestens funktioniert hat“, kommentierte der Vermieter im April die Arbeit der Beteiligten. Und: „Mit Theater hat das ja nichts mehr zu tun.“

Zu modern, zu divers? Beim ersten Termin am Arbeitsgericht, einer Güteverhandlung zwischen Cindy Jänicke und dem Fletch Bizzel, kommt es zu keiner Einigung zwischen den beiden Parteien. Nach rund 45 Minuten beendete die Richterin die erste Güteverhandlung ergebnislos. Ein nächster Termin für Cindy Jänickes Klage wurde für den 25. August ausgemacht. Die Verhandlung ist öffentlich. Der Anwalt der beiden Theaterschaffenden, Achim Fricke, sprach nach der Verhandlung von der „Disqualifizierung zweier Künstler“ und, dass es hier auch um Existenzen gehe. Jänicke war mit ihrer dreiköpfigen Familie für den Job im Fletch von Flensburg nach Dortmund gezogen. Den ersten gerichtlich angesetzten Gütetermin mit Till Beckmann am 24. Juni ließ die Arbeitgeberseite platzen. Eine „lügen- und lebensverlängernde Maßnahme“, ätzte Martin Kaysh, Anchorman des von Hanke-Lindemann veranstalteten Geierabend, bei Facebook. Mit ihm stärken Beckmann und Jänicke inzwischen zahlreiche Personen aus Theater, Musik und der Kreativwirtschaft den Rücken.

Thomas David Finke, unter Kay Voges künstlerischer Leiter am Schauspiel Dortmund, findet drastische Worte, Maja Beckmann, Schauspielerin am Schauspielhaus Zürich und Schwester von Till Beckmann, hat den von Hanke-Lindemann vergebenen Tana-Schanzara-Preis zurückgegeben. In einem offenen Brief fordern Adolf Winkelmann, Sabine Brandi, Birgit Rumpel und Günter Rückert vom Kulturdezernenten der Stadt Dortmund, Jörg Stüdemann, Antworten: „Wie konnte es zu der überraschenden Absetzung von gerade erst eingestelltem Personal kommen?“, und: „Stimmt es, dass der Vermieter sich in die künstlerische Ausrichtung des Theaters eingemischt hat?“

Politische Verantwortung Damit verbunden ist die Frage, die das „Netzwerk Dortmunder Tanz- und Theaterszene“ (dott) ebenfalls in einem offenen Brief formulierte: „Entspricht es den Förderrichtlinien, dass ein Theater, das jährlich mit 320.000 Euro von der Stadt gefördert wird und eine der wichtigsten freien Spielstätten in Dortmund ist, einen jeweils nur einjährigen Mietvertrag besitzen darf?“ Und damit von einem Vermieter erpressbar ist. Oder stellt sich die Vertragssituation ganz anders dar? Nach der Kündigung der künstlerischen Leitung hat Horst Hanke-Lindemann jedenfalls ein Herbstprogramm angekündigt, das in eine „nicht ganz so progressive Richtung“ gehe. Nicht nur für Horst Hanke-Lindemann steht einiges auf dem Spiel. Längst ist auch die Verwaltung unter Druck. Das Kulturbüro war eingebunden in den Moderationsprozess, an dessen Ende die fristlose Kündigung von Jänicke und Beckmann stand. Es kennt die Rolle des Vermieters in der Sache. Es hat nicht interveniert, ebenso wenig wie der Kulturdezernent und Kämmerer Jörg Stüdemann. Bislang hüllt man sich in Schweigen. Die Privilegierung und hohe Subventionierung des alten Fletch Bizzel unter Horst Hanke-Lindemann, die städtischen Ausfallbürgschaften für Hanke-Lindemanns Reihe „RuhrHOCHdeutsch“ und die enge Verflechtung mit Verwaltung, Mehrheitsfraktion und Kulturpolitik könnten wieder auf den Tisch kommen. Dass David Schraven, Investigativjournalist und Chef des unabhängigen Recherchezentrums „Correctiv“, empört vom „größten Kulturskandal von NRW“ spricht, wird die Beteiligten nicht ruhiger schlafen lassen.

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SOZIALES

18 Polizeikameras überwachen seit Ende Mai einen Teil der Münsterstraße in der Dortmunder Nordstadt. Auch auf dem Mehmet-KubaşıkPlatz, einem Ort, der dem 2006 von Rechtsterroristen ermordeten Dortmunder gewidmet ist, wird aus einem Videocontainer gefilmt. Ein nötiger Schritt im Kampf gegen Straßenkriminalität, sagt die Polizei. Ein unverhältnismäßiger Eingriff in Grundrechte, sagen KritikerInnen. Von Alexandra Gehrhardt Fotos: Daniel Sadrowski

Immer unter Beobachtung Schon als 2017 im Brückviertel die Videoüberwachung startete, war auch die Münsterstraße im Gespräch; eine Straße, in der man findet, was es in Großstädten gibt: Geschäfte, Kioske, Restaurants, Partys, Schmutz, Streit und Kriminalität. Damals ließ das Gesetz das nicht zu. In den letzten Jahren wurden Polizeien bundesweit jedoch nicht nur technisch mit Drohnen und Tasern aufgerüstet, sondern auch mit Befugnissen, die ihnen das Eingreifen erlauben, obwohl (noch) gar keine Straftaten passiert sind. Auch die Videoüberwachung bestimmter Orte ist nun erlaubt, wo „die Beschaffenheit des Ortes die Begehung von Straftaten begünstigt, solange Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass an diesem Ort weitere Straftaten […] verabredet, vorbereitet oder begangen werden.“ Auf einen Teil der Münsterstraße, so die Polizei, trifft das zu. 18 Kameras filmen zwischen der Josefkirche und der Mallinckrodtstraße den gesamten öffentlichen Raum (bodo 04.21). Das Versprechen: Wenn die Polizei ihre Augen überall hat, schreckt sie potenzielle TäterInnen ab und kann im besten Fall Straftaten im Vorhinein verhindern. Zusätzlich dazu steht überraschend und vorerst für drei Monate auf dem Mehmet-Kubaşık-Platz ein Container mit ausfahrbaren Kameras. Dort gibt es immer wieder Einsätze gegen vermeintliche Drogenhändler. Der größere Teil des Platzes ist allerdings einfach ein Ort, an dem sich AnwohnerInnen aufhalten, draußen sitzen, sich mit Bekannten treffen. Auch sie sind jetzt immer im Auge der Kameras.

Die Initiative NoCamDo sieht gravierende Eingriffe in die Privatsphäre und hält die Überwachung vieler für unverhältnismäßig. Der Video-Container verstärke das: „Er zeigt symbolisch, wie die Polizei ihre ohnehin schon erweiterten Befugnisse noch weiter überdehnt“, sagt ihr Sprecher Martin Pilpul. „Wir werden gefilmt, aber wir wissen gar nicht, was da drin passiert.“ Pilpul hat vor einem Jahr Klage gegen die Videoüberwachung eingereicht. Das Verwaltungsgericht sah jedoch keine wesentlichen Grundrechtseingriffe. Über einen Widerspruch hat das Oberverwaltungsgericht noch nicht entschieden. Bei vielen AnwohnerInnen und Ladenbesitzern kommt die Videoüberwachung gut an. An ihrer Seite sieht sich die Polizei und betont, im Sinne der Nordstadt-Bewohner zu handeln. Pilpul sieht gerade in der mobilen Überwachung per Container ein Scheitern des Projektes insgesamt. Denn ein Argument gegen Videoüberwachung, das auch Studien stärken, ist, dass sie Kriminalität nicht verhindert, sondern lediglich verdrängt. Auch das Polizeigesetz schreibt vor, dass nur Orte überwacht werden dürfen, an denen das nicht passiert. „Der bewegliche Container ist ja die Bestätigung, dass Überwachung nur Verdrängung auslöst und die Polizei den Dealern jetzt hinterher fährt, wenn sie in Seitenstraßen abwandern. Damit ist er eigentlich eine Bankrotterklärung für das ganze Konzept.“

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WILDE KRÄUTER

Unsere monatliche Exkursion in die urbane Welt der wilden Kräuter. Mit nützlichen Informationen, pointierten Fußnoten, vielen Geschichten – und immer einem originellen Rezept. Von Wolfgang Kienast

MALVE (2)

Malvaceae

W

enige Begriffe gibt es im deutschen Wortschatz, die im internationalen Sprachgebrauch Karriere machen konnten. Kindergarten zum Beispiel, Autobahn, Blitzkrieg und Gemütlichkeit. Sie bezeichnen Spezialitäten, die wohl als so typisch deutsch gelten, dass selbst das Englische, die einzige im Wortsinn weltweit gebräuchliche Verkehrssprache, die Lingua franca der Wirtschaft, der Diplomatie, des wissenschaftlichen wie des kulturellen Austauschs, darauf verzichtet hat, der Sprachgemeinschaft eine aus dem eigenen Vokabular geschöpfte Alternative anzudienen. REZEPT 75 g Malvenblütenzucker (Rezept aus bodo 06.21) streufähig machen und mit 100 g gesiebtem Puderzucker und einer Prise Salz gründlich mischen. 3 Eiweiß zu einem steifen Schnee schlagen und sobald sich feste Spitzen bilden, vorsichtig die Zuckermischung einrühren. Kontinuierlich weiter schlagen, bis eine homogene Masse entsteht. Mit einem Esslöffel 10 bis 12 Nocken aus der Mischung abstechen und auf große Oblaten (wie sie auch für Lebkuchen benötigt werden) geben. Die Baiser im vorgeheizten Ofen (kleinste Stufe) 3 Stunden eher trocknen als backen, dabei die Ofentür gegebenenfalls einen Spalt weit offenlassen.

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Beinahe jedenfalls. Denn da ist ja noch das parallele Universum Marketing und Zeitgeist, dessen Wortkreationen mir stets wie Modeschmuck im Vergleich zum echten scheinen. Hier soll die im globalen Ohr womöglich sperrig klingende Gemütlichkeit durch das schlankere Cocooning abgelöst werden. Besagter Begriff wurde erstmals in den späten 1980er Jahren von einer USamerikanischen Trendforscherin verwendet, die einst als Faith Plotkin das Licht der Welt erblickte, um sich später in Faith Popcorn umzunamsen. Zugegeben, an dieser Stelle weiß ich nicht, was ich irrer finden soll, das Pseudonym oder die Profession des Trendforschens ganz allgemein. Egal. Lange Jahre nach Popcorn schrieb eine Inga Black für gofeminin.de, einer laut Selbstauskunft auf Frauen- und Gesundheitsthemen spezialisierten Medienfirma, „wenn ihr momentan also auch am liebsten alle Einladungen ausschlagen und euch Zuhause einmümmeln würdet, liegt ihr damit voll im Trend. ,Cocooning‘ nennt sich diese Entwicklung. Sie bezeichnet den Rückzug aus dem Alltag in die gemütlichen, heimi-

schen vier Wände“. Das war vor Corona. Inga Blacks Beitrag stammt vom 25. Dezember 2016. Weihnachten 2021 war dann Cocooning für alle. Das fanden nicht alle gut. Voll im Trend zu liegen? Ein schwacher Trost. Den Unglücklichen dürfte auch der Tipp von Julia Windhövel nicht viel geholfen haben, die etwa zeitgleich und ebenfalls auf gofeminin. de dazu riet, den privaten Rückzugsraum ganz malve zu gestalten. Sie meinte, „dass so ein besonderer Farbton auch vor der Wohnwelt keinen Halt macht. Momentan angesagt wie nie zuvor, gibt es Wandfarben, Tapeten und zahlreiche Deko-Artikel wie Kissen, Bettwäsche, Kerzen und vieles mehr zu kaufen.“ Das ist natürlich Geschmackssache. Ich ziehe Malve auf der Zunge vor. Meinethalben als Tee und sowieso als Aroma bei Gebäck und Süßspeisen.

Manche Malven-Arten werden aufgrund ihres Aromas in der Industrie für Kosmetikartikel verwendet oder zu Malvenblütentee verarbeitet. Tee aus Blättern der Wilden Malve ist außerdem ein Heilmittel gegen Reizhusten. Die meisten Malven-Sorten werden als Zierpflanzen genutzt.


KULTUR

Er ist bis heute einer der bekanntesten Nachtclubs der Welt und schrieb Kulturgeschichte: das Studio 54. Das Dortmunder U hat die legendäre New Yorker Disco für eine Ausstellung nach Dortmund geholt – und erzählt zudem gemeinsam mit Dortmunder Clubs und DJ-Kollektiven vom Innenleben der hiesigen Clubszene. Von Peter Hesse | Fotos: Guy Marineau, Ron Galella, Richie Williamson

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ank guter PR wurde das Studio 54 schon mit der Eröffnung am 26. April 1977 zum Club für die Reichen und Berühmten – 5.000 Einladungen hatten die Betreiber (genauer: ihre Promoterin) an Stars wie Cher und Frank Sinatra verschickt; zu den späteren Stammgästen gehörten Größen wie Liza Minelli, Andy Warhol, Grace Jones und Mick Jagger. Die Disco im alten Theatersaal hatte einen Charme, von dem Gäste noch Jahre später schwärmten – und galt gleichermaßen als Ort der Exzesse und der Dekadenz wie als Beispiel für gesellschaftliche Offenheit und Diversität, denn hier konnte jeder unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung ausgelassen feiern – wenn man es am Türsteher vorbei schaffte. Eher ausgelassen war offenbar auch die Buchführung der Betreiber: 1980 gingen sie wegen Steuerhinterziehung ins Gefängnis, das Studio 54 wurde geschlossen. Die Wiedereröffnung 1981 misslang, 1986 machte es endgültig dicht.

Der Zauber der Nacht

Trotzdem hält der Einfluss des legendären Clubs auf Mode, Gesellschaft und Clubkultur bis heute an. In Fotografien, Mode-Objekten, Film und Musik sowie nie zuvor gezeigten Kostümillustrationen und Set-Designs erzählt die Ausstellung, für die das Dortmunder U eng mit dem New Yorker Brooklyn Museum kooperiert, diese bewegte Geschichte.

Head“ begibt sich der Dortmunder HartwareMedienKunstverein HMKV in die Innenwelt von Dortmunder Clubs nach 16 Monaten Pandemie. An dezentralen Stätten sollen diese als Kulturorte sichtbar und neu erfahrbar werden. Gezeigt werden in Kooperation mit der Interessengemeinschaft Dortmunder Club- und Konzertkultur mehrere Arbeiten zum Thema Clubkultur, zum Beispiel Jeremy Dellers Projekt zur Geschichte von Acid House.

„Studio 54: Night Magic“ wird durch zwei weitere Ausstellungen ergänzt, die den Fokus auf die lokale Clubkultur und ihre soziokulturelle Wirkung legen. Mit „Can't Get You Out of My

Auf der UZWEI widmet sich die Ausstellung „hello again“ ebenfalls der lokalen Clubszene. Über eine interaktive Rauminstallation präsentieren sich die Clubs – mit dabei sind unter anderen die Dortmund Dance Division, die Maschinerie, der Rekorder, Oma Doris, UmsichT, Tresor West oder der Weinkeller. Mit virtueller Clubkulisse, Filmbeiträgen und einem audiovisuellen Storytelling wird hier die Clubkultur aus vergangenen Jahrzehnten sichtbar gemacht – Läden wie das Orpheum, Jara, Hades, LiveStation, der Club Trinidad oder das Memphis (s.S. 32), die lange schon Geschichte sind.

Studio 54: Night Magic Can’t Get You out of My Head bis 17. Oktober hello again bis 7. November www.dortmunder-u.de

Das Dortmunder U erwartet bis zum Ende der Ausstellung 12.000 BesucherInnen, die geplanten städtischen Kosten liegen bei maximal 1,1 Millionen Euro. 23


Kulturkalender Juli | 2021

Ein richtiger Kulturkalender! Zum ersten Mal seit dem Februarheft 2020 sieht diese Auswahl von Veranstaltungen in Bochum, Dortmund und Umgebung wieder so aus, wie wir sie uns wünschen: Eine Sammlung von Empfehlungen, ausgewählt für Sie aus einer weitaus größeren Zahl von „echten“ Veranstaltungen, an Orten, die zur Begegnung und zu gemeinsamen Erfahrungen einladen. Monatelang haben wir diesen Platz verteidigt, auch wenn wir Kultur nur als Leerstelle abbilden konnten, als etwas, das fehlt. Um mitzuhelfen, dass Orte und Akteure nicht in Vergessenheit geraten. Nun haben viele von Ihnen wieder ihre Türen geöffnet. Wir freuen uns.

DO 01 | 07 – SA 03 | 07 | 21 Festival | Ruhr International Das Fest der Kulturen Nachdem das Festival aufgrund der Pandemie im vorigen Jahr abgesagt werden musste, hat die Veranstaltergemeinschaft für dieses Jahr ein alternatives und Corona-konformes Format entwickelt. Im Fokus stehen in der diesjährigen Ausgabe die Themen Diversität und Interkultur. Zum Auftakt des Festivals betreten mit Danko Rabrenovic, Senay Duzcu und Tamika Campbell drei starke Persönlichkeiten aus der Welt des Kabaretts die Bühne (1.7.). Global Pop mit viel Tiefgang verspricht die Band Il Civetto (2.7.) Am Samstag (3.7.) lädt das Netzwerktreffen Interkultur Ruhr zum Austausch und zur Diskussion aktueller kulturpolitischer Fragen ein, und am Abend verbindet Serge Ananou aus Benin afrikanische Musik mit Elementen des Jazz, Blues und Funk. Eintritt frei – Anmeldung erforderlich: www.ruhr-international.de Freilichtbühne Wattenscheid, Bochum

Ausstellung | Weltgarten 2021 Der Weltgarten ist eine interaktive Wanderausstellung des Eine Welt-Netzes NRW e. V. zum globalen Lernen, der jedes Jahr in einer anderen Stadt stattfindet. Inhalte der Ausstellung sind die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals SDGs) und das breite Themenfeld Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit. Dieses Jahr findet der Weltgarten bis Ende September im Westfalenpark in Dortmund statt. Das Veranstaltungsprogramm ist thematisch breit gefächert und umfasst u.a. Kulturveranstaltungen, wissenschaftliche Vorträge oder DIY-Workshops. Das gesamte Programm wird unter ev.frau-lose.de/events veröffentlicht. Westfalenpark, Dortmund

Luft, Land und Wasser? Gibt es noch heute Saurier? Diese und andere Fragen beantwortet die Ausstellung im Naturmuseum Dortmund. Im Mittelpunkt steht der Reichtum an Lebensformen, Lebensweisen und Lebensräumen. Die BesucherInnen gehen auf eine Zeitreise von den frühesten Sauriern, die vor 300 Millionen Jahren lebten, bis zu den heutigen Schildkröten, Echsen, Schlangen und Krokodilen. Dabei zeigen Saurier eine Vielfalt, die die meisten Menschen bisher wohl nur den Säugetieren zuordneten. Natürlich widmet sich die Sonderausstellung auch den berühmtesten Sauriern, den Dinosauriern. Damit knüpft sie thematisch an die neue Dauerausstellung des Naturmuseums Dortmund an, die die BesucherInnen parallel besuchen können. Bis 6. März 2022. Naturmuseum, Dortmund

Ausstellung | Saurier Erfolgsmodelle der Evolution Warum sind die meisten Saurier keine Dinosaurier? Wie besiedelten Saurier erfolgreich

Ausstellung | MO-Schaufenster#26: Timm Ulrichs – Willkommen im Museum Ostwall Gezeigt werden 18 Arbeiten vor allem aus den 1960er bis 1980er Jahren, die verschie-

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BODO-TIPP Mit einem breitgefächerten Programm ist bereits im Juni in schönem Industriekultur-Ambiente der Kultursommer auf dem Außengelände der Herner Flottmannhallen gestartet. Theater und Musik, Tanz und Artistik, Comedy und Kabarett, Poetry und Wortakrobatik stehen auf dem Programm.

KulturOpenAir 2021

bis 25. Juli Flottmann-Hallen Straße des Bohrhammers 5 Herne

Mit Hennes Bender am 14. Juli und „Simon und Jan“ am 23. Juli sind auch zwei coronabedingt ausgefallene Veranstaltungen in die Open-Air-Saison gerutscht. Ein Stück Rio des Janeiro bringen „Roda de Samba do Alemao“ aus Köln am 9. Juli nach Herne, am 16. Juli verbinden die BochumerInnen „Karmakind“ Downtempo- und Dub-Beats und elektronische Sounds mit Querflöte, Gitarre und vielsprachigem Gesang. Der „Circus Schnick-Schnack“ und das Kindertheater „Pappmobil“ bieten auch Unterhaltung für die Kleinsten, außerdem gibt es das Bandfusion- und das Best-of-Poetry-Slam-Open-Air. Informationen und Tickets: flottmann-hallen.de

dene Tätigkeitsbereiche und Themen des vielseitigen und seit über 60 Jahren aktiven Künstlers aufgreifen. Mit seinen Aktionen, Performances, Objekten und Installationen hinterfragt Ulrichs auf ironische und spitzfindige Art geläufige Wahrnehmungsmuster und Weltansichten. „Neugier und Zweifel sind die Produktivkräfte, die mich am meisten voranbringen. Nichts glauben!“, fordert Timm Ulrichs. Bis 18. Juli 2021. Museum Ostwall im Dortmunder U Dortmund Ausstellung | The Journal „The Journal“ ist ein globales FotografieKollektiv von mehreren hundert Frauen aus 75 Ländern, die sich während der Pandemie zusammengefunden haben, um miteinander ein Netzwerk für Austausch, Kreati-

vität und Unterstützung zu schaffen. Die Ausstellung im öffentlichen Raum in der Dortmunder Nordstadt gibt eindrucksvolle Einblicke in das Leben der Fotografinnen. Schon zu Beginn der globalen Krise wurde offensichtlich, dass viele FotografInnen ihr Einkommen verlieren würden, plötzlich isoliert lebten und dass dies unverhältnismäßig viele Frauen in der Branche betraf. Diese Ausstellung zeigt Bilder aus dem Privaten im öffentlichen Raum, auch um diesen damit ein Stück zurückzuerobern. Indem sich die Fotografinnen des Kollektivs auf das Persönliche und Private konzentrieren, bringen sie Nuancen in die Art und Weise, wie die Zeit der Pandemie medial dargestellt wird. Sie teilen intime Geschichten und geben Einblicke in das Leben von Frauen auf der ganzen Welt. Es nehmen auch ausge-

wählte Fotografinnen aus dem Open Call Dortmund an der Ausstellung teil. Bis 4.7. Nordstadt Dortmund, ausgehend vom Kulturort Depot, Dortmund

FR 02 | 07 | 21 Theater | Noise. Das Rauschen der Menge Das englische Wort Noise kann als Geräusch übersetzt werden, aber auch als Lärm, Störung, Rumoren – Rauschen. Noise bezeichnet das, was gewöhnlich klanglich stört. Denn dieses Rauschen ist mehr als Klang. Es ist eine Überlagerung von Schwingungen unterschiedlicher Lautstärke, ein Geräusch, das sich aus vielen Geräuschen zusammensetzt. Die Theaterautorin und Regisseurin Manuela Infante versteht Noise als Ausdrucksart der politischen Unruhe. Vergleichbar mit der Protestbewegung Fridays For Future, die zwar weltweit Personen verbindet, aber nicht zentral gesteuert, sondern als vielstimmige Menschenmenge zu lautstarkem Protest bringt. Mit ihrem Stück möchte Manuela Infante der Frage nachgehen, ob Gesellschaften sich trauen werden, diese vielstimmige Unruhe auch mit einer pluralen Politik der Vielen zu beantworten, mit neuen Ideen von Mitbestimmung, statt sie mit einer einzelnen Stimme der Macht abzuwürgen. Kammerspiele, Bochum, 19.30 Uhr (auch 3.7., 19.30 Uhr und 4.7., 19 Uhr) Theater | Hunger „Hunger“ erzählt vom Überlebenskampf eines jungen Mannes in der norwegischen Stadt

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Mittendrin – statt nur davor!

kulturrucksack-dortmund.de guck da: So einfach geht Kultur.

Kostenlose Workshops für 10-bis 14-Jährige in Musik, Theater, Tanz, Kunst, Foto & Film, Games und 1000 anderen Sachen.

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KULTURKALENDER

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Kath St Paulus Gesellschaft Jugendhilfe St Elisabeth Dortmund

Essen & Lernen St. Antonius Deutsch, Mathe, Bio oder Geschichte … Helfen Sie Kindern in unserer Hausaufgabenbetreuung!

Kristiania – dem heutigen Oslo – Ende des 19. Jahrhunderts. Es ist die Geschichte eines Menschen, der Hunger leidet, aber sich vor Essen ekelt und Nähe sucht, obwohl er diese nicht erträgt. Verzweifelt schreibt er gegen die Armut an: Wenn er hin und wieder einen Artikel an eine Zeitung verkaufen kann, dann ist immerhin eine Mahlzeit oder ein Obdach für die Nacht sicher. Diese Bühnenadaption des Romans von Knut Hamsun thematisiert das Scheitern an den eigenen Ansprüchen, die schonungslose Selbstentblößung, die Zurschaustellung des Schmerzes als oppositionellen Akt. Die Parallelwelt des Prekariats, vor der man allzu gern die Augen verschließt, wird theatral sichtbar. Prinz Regent Theater, Bochum, 19.30 Uhr (auch 3.7.)

SA 03 | 07 | 21 Musik Terrassenkonzerte: Streichorchester Neben seinen bekannten Sinfonien für großes Orchester schuf Felix Mendelssohn Bartholdy bereits in jungen Jahren eine Serie von 12 Streichersinfonien – kurzweilige Werke, aus denen für das Terrassenkonzert die Sinfonia IX in C-Dur ausgewählt wurde. Edvard Grieg hingegen schaute für seine Suite im alten Stil zurück in die Vergangenheit. Die Komposition entstand 1884 anlässlich des 200. Geburtstags des Literaten Ludvig Holberg und bezieht sich auf beliebte musikalische Formen aus dessen Lebzeiten: Satztitel wie Gavotte, Rigaudon und Sarabande lassen die höfische Tanzkultur einer vergangenen Epoche noch einmal aufleben. Opernterrasse, Dortmund, 18 Uhr

MO 05 | 07 | 21

Nehmen Sie Kontakt auf Martina Buchbinder Projektleiterin Tel.: (0160) 74 42 333 E-Mail: Martina.Buchbinder@ jugendhilfe-elisabeth.de 26

Kinder | Kinder-Zauberkurs Die Zauberkinder lernen in diesem Kurs, mit ganz gewöhnlichen Dingen ungewöhnliche Sachen zu machen. Das Erarbeiten der Kunststücke – teilweise im wahrsten Sinne des Wortes durch Basteln – und die Möglichkeit, im Zauberkasten gleich von Beginn an auf der Bühne zu stehen, geben den Zauberkindern vom ersten Tag an einen guten Einstieg in ihre Kunststücke. Infos & Anmeldung: www.zauberkasten.de Zauberkasten, Bochum (auch 19. – 24.7.)

Mischmasch | HellwegSommer 2021 „Willst Du mit mir gehen?“ – Diese Frage richten das Kulturzentrum balou und die Tremonia Akademie in Form einer originellen Postkarte derzeit an alle, die an der Planung ihrer Sommerferien noch feilen. Mit einem abwechslungsreichen Ferienprogramm für Erwachsene und Kinder, dem alljährlichen HellwegSommer, geben sie auch gleich die passende Antwort: Ja! Von Atemspaziergang bis Fitnessboxen, von Trickfilmworkshop bis HipHop, von der Fotoschule bis hin zum Zeichnen in der Natur: Zwischen Montag, dem 5. Juli, bis zum 17. August warten über 70 sommerliche Angebote auf alle großen und kleinen TeilnehmerInnen, die in diesem Sommer Lust auf Entspannung, Tanz, Kunst und vor allem wieder auf gemeinsamen Sport haben. www.balou-dortmund.de Kulturzentrum balou, Dortmund

MI 07 | 07 | 21 Musik | JunkYard Open Air: Bokanté feat. Malika Tirolien & Michael League Entstanden ist Bokanté im Jahr 2017 auf Initiative von Michael League, einem der Gründer und Bassist der inzwischen zur weltweiten Supergruppe avancierten Formation Snarky Puppy. Und der SnarkyPuppy-Geist ist auch in dieser Band klar spürbar bzw. musikalisch deutlich erweitert in Richtung kulturenübergreifender Global Music. Und dazu kommt auch viel Input, denn die Band besteht aus acht MusikerInnen aus vier verschiedenen Kontinenten. Und genau diese unterschiedlichen kulturellen und musikalischen Reservoires geben Bokanté den absolut einzigartigen Bandsound. Er folgt bewusst den Spuren des Blues, geht aber von dieser Basis aus kreative musikalische Verbindungen mit Soul, Afro und Jazz ein. JunkYard, Dortmund, 20 Uhr

DO 08 | 07 | 21 Kabarett | Kleiner Freitag: Johannes Floehr Wenn Super Mario kein Italiener wäre, sondern Deutscher: Hieße er dann „Toller Jochen“? Oder „Prima Klaus“? Was machen


BODO-TIPP

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Mit globalen Sounds ist das Festival Odyssee ist zurück aus der Corona-Pause und präsentiert auf vier Open-Air-Bühnen im Ruhrgebiet drei großartige Acts – kostenlos.

Odyssee – Musik der Metropolen 17., 24. und 31. Juli jeweils 18.30 Uhr Freilichtbühne Wattenscheid Parkstraße Bochum

17. Juli: RasgaRasga sind fünf MusikerInnen um Frontfrau Daria, die ein mitreißendes, charmantes Amalgam aus Folk und Pop, Balkan und Worldbeats im Gepäck haben. 24. Juli: Banda Comunale, das Dresdner Kollektiv mit bis zu 20 MusikerInnen aus Deutschland, Syrien, Palästina, Schottland, Brasilien, Italien, Russland, Polen und dem Irak bläst seit 20 Jahren der radikalen Rechten den Marsch und steht für ungehemmte Brassband-Power. Zum Abschluss der Odyssee treffen am 31. Juli die betörenden Stimmen und die hypnotisierenden Percussions des Frauenduos Farafi auf die Berliner Band Shishko Disco mit ihrer Melange aus afrikanischer, nahöstlicher und indischer Musik. Weitere Termine für Hagen, Recklinghausen und Mülheim. Anmeldung unter bahnhof-langendreer.de

Putzerfische, die im Aquarium immer an der Scheibe herumsaugen, in der freien Natur? Schwimmen die ein Leben lang durch den Ozean auf der ewigen Suche nach einer Fensterscheibe und sterben dann total enttäuscht? Die SPD, was ist da eigentlich schon wieder los? Und Einräder - warum fallen sie nicht um? Wer sich solche Fragen stellt, der braucht keine Antworten, sondern eine Bühne. Und auf eben diese stellt sich der sympathische Zwei-Meter-Mann Johannes Floehr mit seinen frechen Scherzen nun schon seit einigen Jahren. Eintritt frei – Anmeldung erforderlich. Dortmunder U, Dortmund, 19 Uhr

FR 09 | 07 | 21 Kleinkunst | Runde um den Block Am 9., 10. und 11. Juli heißt es wieder: Auf zur „Runde um den Block“! Die Reise führt uns dieses Jahr durch die Ruhrwiesen. Ausgehend vom Kanu- und Surf-Verein an der Ruhr, starten die Reisegruppen im 10-Minuten-Takt. Die Reise endet mit einem feurigen Finale auf dem Parkplatz der Stadtwerke Schwerte. Das Publikum darf sich wieder auf eine bunte Mischung verschiedenster Künste freuen, die erheitern, zum Nachdenken anregen und glücklich machen werden. Auch in diesem Jahr werden die Schwerter Künstler vom Studio 7, von TAF und der Schwerter Operettenbühne mit dabei sein.

KULTUR LIVE! Wir laden euch ein zu unserem Kulturfestival

NordStadtSommer vom 11. bis 17.07.2021 ein! Freut euch auf:

11.07.21 - Das Interkulturelle Gebet - Dortmund goes Black: Vernissage "Miseducation of Melanin" von Sheila Elethy Kipling Lutumba (zu sehen bis zum 31.08.21)

www.runde-um-den-block.de Kanu- und Surf-Verein, Detlef-Lewe-Weg 1, Schwerte, 19 Uhr (auch 10.7., 19 Uhr und 11.7., 17 Uhr)

FR 16 | 07 | 21 Tour | Mord und Totschlag – Tour 1 Die dunklen Schattenseiten Dortmunds Auf der Tour entdecken die Teilnehmenden die Orte historischer Gräueltaten und tauchen tief in die dunkle Vergangenheit der Hansestadt Dortmund ein. Dabei erfahren sie, wo man in Dortmund an den Pranger gestellt wurde, welche Hexenprüfungen an welchem Ort durchgeführt wurden und was das Trojanische Pferd mit Dortmund zu tun hat. Anmeldung erforderlich unter: www.Stadt-Litera-Tour.de Treffpunkt: Dortmund, Krügerpassage/Ecke Kampstrasse, Dortmund, 16 Uhr

SA 17 | 07 | 21 Kabarett | 700 Jahre Bochum Die Mixed-Show zum Stadtjubiläum 28 Jahre lang hat der Zauberkasten zur kulturellen Vielfalt in Bochum beigetragen. Da lassen es sich Angelika und Robinson natürlich nicht nehmen, auch zum Stadtjubiläum etwas Besonderes auf die Bühne zu bringen. Und was wäre da im Sinne von Heimatverbundenheit schöner als eine

15.07.21

- Dortmund goes Black meets Pottkultur

16.07.21 - Book Release Party "Der gelbe Kranich" mit Patrick Salmen

17.07.21 - Tango- Konzert mit "Los Milonguitas" Außerdem an allen Tagen: buntes Kultur- und Sportprogramm für Kinder und Jugendliche! Checkt daher – wie immer – unsere Social Media Kanäle für alle News und unser online Programm! Bis bald! facebook.com/DietrichKeuningHaus keuninghausofficial YouTube "Keuninghaus to Go" Dietrich-Keuning-Haus Leopoldstr. 50-58 | 44147 Dortmund Fon 0231 50-25145 | Fax 0231 50-26019 27


KULTURKALENDER

Mixed-Show mit Bochumer Künstlern und Künstlerinnen, die das Theater schon seit langem mit ihrer Kunst begleiten und das Publikum immer wieder aufs Neue begeistern und überraschen. Das Publikum darf sich überraschen lassen, wer alles dabei sein wird und welche vielleicht noch unbekannten Seiten und Talente sich auf der Bühne des Zauberkasten zeigen. Zauberkasten, Bochum, 20 Uhr

BODO-TIPP

Funny Van Dannen 30. Juli Westfalenpark An der Buschmühle 3 Dortmund

MI 21 | 07 | 21 Musik | Hundreds Nach ihrer ausverkauften Orchester-Show in der Elbphilharmonie anlässlich des 10-jährigen Bandjubiläums kehren Hundreds im Frühjahr mit lauteren Tönen, einer beeindruckenden Performance und Lichtshow zurück zu ihren Wurzeln. Die Geschwister Eva und Philipp Milner zählen zu den großen Erlebnissen elektronischer Popmusik. Neben einem musikalischen Rückblick auf die letzte Dekade werden Hundreds Songs des neuen Albums, das am 27. März erschienen ist, präsentieren. FZW, Dortmund, 20 Uhr (auch online)

DO 22 | 07 | 21 Film | Kleiner Freitag: Studio 54 Documentary Exzess, Ekstase und Exzentrik – Ende der 1970er Jahre steht der New Yorker Nachtclub Studio 54 sinnbildlich für das Lebensgefühl einer ganzen Generation. Das 54 galt als Epi-

bodo verlost 4x2 Karten

bodo präsentiert: Funny van Dannen auf „Tour ohne Namen“ bei den Juicy Beats Park Sessions. Er war Mitbegründer der legendären Lassie Singers, schrieb Hits für die Toten Hosen und wird nicht zuletzt von MusikerInnen geschätzt: Udo Lindenberg, Wiglaf Droste und Bands wie Rantanplan oder „Japanische Kampfhörspiele“ coverten seine Songs. Dabei ist der gebürtige Niederländer Franz Josef Hagmanns stets auf Abstand bedacht: Abstand zur Schmerzensmann-Lyrik oder zur Politdidaktik in der deutschen Liedermacherei; Abstand auch zu ausgestellter Virtuosität. Und nicht zuletzt Abstand zum eindimensionalen Klamauk: Niemand sonst würde es schaffen, Lieder über Schilddrüsenunterfunktion, über Eurythmieschuhe oder Okapiposter mit einer Grundierung aus Melancholie zu versehen. Alle Infos und Tickets unter fzw.de Die Redaktion verlost 4 x 2 Karten. Einfach Mail mit dem Betreff „Verlosung“ an redaktion@bodoev.de.

zentrum des Hedonismus, als Spielwiese für alle, die ohne Regeln und Grenzen ihren Fantasien freien Lauf lassen und hemmungslos die Nacht durchfeiern wollten. Der Diskotempel versprach Freiheit und Gleichheit und zog sowohl Weltstars wie Michael Jackson, Andy Warhol und Liza Minelli als auch die einfache, lebenshungrige New Yorker Jugend in seinen Bann. Letztere musste jedoch an der Tür die Willkür des Gründers Steve Rubell hinnehmen, der dem Club später durch Steuerhinterziehung seinen Niedergang bereitete. Eintritt frei – Anmeldung erforderlich. Dortmunder U, Dortmund, 19 Uhr

DO 29 | 07 | 21 Musik | Dritte Wahl 2021 ist alles anders und doch beim Alten. Dritte Wahl widmen sich zeitlosen Themen, manche schön, manche schrecklich, manche genau dazwischen und sezieren auf ihrem neuen Album „3D“ deutschsprachigen Punkrock bis in die kleinste Befindlichkeit, fügen ihn zu etwas Neuem zusammen. Was erneut beweist, dass man sehr wohl Haltung und Unterhaltung miteinander kombinieren kann. Juicy Beats Park Sessions An der Buschmühle 3, Dortmund, 20 Uhr

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Installation Choreografie für Nebel und Objekte In seiner „Choreografie für Nebel und Objekte“ zeigt das Duo scheinzeitmenschen, wie es aussieht, wenn man künstlich erzeugtem Nebel die Hauptrolle gibt und er als Protagonist in einer Materialchoreografie auftritt. Wie kann man ein so körperloses und zugleich vielgestaltiges Material formen und in feste Bewegungsabläufe bringen? In den Rottstr5-Kunsthallen in Bochum gestalten sie mehrere Räume, in denen man Nebel in verschiedenen Formen und Bewegungen begegnet – dicht und undurchdringbar, flüchtig und nicht zu greifen, wabernd, kräuselnd, schleichend, springend. Im Zusammenspiel von Nebel mit anderen Materialien und Ob-


KINO-TIPP

jekten lassen sie Bilder und Landschaften entstehen, die man durchschreiten und in die man eintauchen kann. Rottstr5-Kunsthallen, Bochum, 14 – 20 Uhr (auch 31.7.) Kabarett | René Steinberg „Freuwillige vor“ Unsere Zeit: unübersichtlich, ökonomisiert, aufgeheizt und – kurz gesagt – „alle bekloppt“. In den Innenstädten Leere, auf den Autobahnen Chaos, in den sozialen Netzen Wut und in der Gesellschaft immer mehr Gegeneinander. Was also tun? Schimpfen? Schaukeln gehen? Aluhut aufsetzen? René Steinberg meint: Wir müssen mehr Humor wagen. Gemäß Steinbergs Motto „Gemeinsinn, statt gemein sein“ erlebt das Publikum, was Humor ist und wie man sich mit diesem gegen all die Beklopptheiten unserer Zeit wappnet. Zauberkasten, Bochum, 20 Uhr

DO 05 | 08 | 21 Musik | Drangsal & Blond Max Gruber ist Drangsal und tauchte 2016 scheinbar aus dem Nichts in der deutschen Musiklandschaft auf. Max Gruber ist Autodidakt, Außenseiter, Musikbesessener. Seine Musik ist ein Amalgam aus den Erfahrungen, die Gruber als Freak in der konservativen pfälzer Provinz machte, und all der Musik, die er während seiner Existenz aufgesogen

hat. In der Live-Situation findet dann eine Transformation statt, die wenig mit kühler 80s-Ästhetik zu tun hat, sondern Drangsals Brachial-Pop in all seiner Intensität entfesselt. Zweiter Act sind Blond, die mit ihrem DebütTonträger „Martini Sprite“ die Zustandsbeschreibung einer unruhvollen ostdeutschen Jugend lieferten. In atemberaubender Geschwindigkeit verwandelte sich die Kinderzimmerformation Blond, bestehend aus Lotta Kummer, Nina Kummer und Johann Bonitz, in eine veritable Showgröße. Rapgesang, Powerpop und Zauberkunst gehören bei Bühnenauftritten schon lange zusammen. Juicy Beats Park Sessions, An der Buschmühle 3, Dortmund, 20 Uhr

SO 08 | 08 | 21 Musik | JunkYard Open Air: Pohlmann Mit „Wenn jetzt Sommer wär“ landete Pohlmann 2006 einen echten Sommerhit. Seitdem kennt wohl jeder hierzulande Pohlmann. Der Wahlhamburger wurde und ist heute fester Bestandteil der deutschsprachigen Musikszene, ohne sich dabei auf die ständige Jagd nach dem nächsten Hit zu machen. Stattdessen Beständigkeit, tiefsinnige Texte, charmante Kompositionen auf der Gitarre – Hauptsache, es berührt das Herz. Im September 2020 veröffentlichte Pohlmann sein mittlerweile sechstes Studioalbum „falschgoldrichtig“. JunkYard, Dortmund, 20 Uhr

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endstation.kino | Matthias & Maxime Matthias und Maxime sind schon seit ihrer Kindheit beste Freunde und können sich gar nicht vorstellen, plötzlich getrennte Wege zu gehen. Doch das Erwachsenwerden bedeutet Veränderung, und so zieht es Maxime für längere Zeit nach Australien. In den Tagen vor seiner Abreise ziehen die beiden im Kreis ihrer Freunde von einer Party zur nächsten. Als eine ihrer Freundinnen, eine Filmstudentin, für ihren neuesten Kurzfilm noch zwei Schauspieler sucht, werden Matthias und Maxime kurzerhand und nicht ganz gegen ihren Willen engagiert. Der Knackpunkt des Ganzen: Die beiden Freunde müssen sich vor der Kamera küssen. Und plötzlich gerät alles ins Wanken. Ungeahnte und unterdrückte Gefühle erwachen, die die beiden vor Entscheidungen und Herausforderungen stellen, die unüberwindbar scheinen. Denn während Matthias sich krampfhaft gegen seine Gefühle zu wehren versucht, wächst in Maxime mehr und mehr der Wunsch, Matthias noch näher zu kommen, bevor sie der Ozean endgültig trennt. Matthias & Maxime ist der aktuelle Film des gefeierten kanadischen Regisseurs Xavier Dolan, bekannt geworden mit zahlreichen Filmen, darunter „I Killed My Mother“, „Laurence Anyways“ oder „Mommy“. Das Drama war bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes für die Goldene Palme und die Queer Palme nominiert. Zu sehen vom 29. Juli bis 4. August, jeweils um 20 Uhr (in Originalsprache mit Untertiteln am 29. und 30. Juli, 3. und 4. August) endstation.kino im Bahnhof Langendreer Wallbaumweg 108, 44894 Bochum www.endstation-kino.de

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BODO GEHT AUS

Grillen und chillen für Radler

Holgers Erzbahnbude

Natürlich hat Holger auch einen Nachnamen. Der spielt hier aber keine Rolle. Wer per Rad zwischen Herne, Bochum, Wattenscheid und Gelsenkirchen unterwegs ist, kennt den Holger und seine Bude. Eine doppelte Institution. Dabei kommt Holger ursprünglich nicht einmal aus dem Revier, hat jahrelang in Hamburg als Radkurier gearbeitet, bevor ihn Marketing und New Economy Richtung Wattenscheid spülten. Er blieb, als die Blase platzte, auch der Liebe wegen. Dass er später seine Erzbahnbude gründen sollte, ist dem Zufall geschuldet, oder besser: einem Unfall. Bei einer seiner vielen Radtouren nämlich verunglückte er dort, wo sich Erzbahn- und Krey-Wanner-Bahntrasse treffen. Bei der Zwangspause erkannte er das Potenzial der kleinen Lichtung, die damals noch verkrautet und von Ranken überwuchert war. „Hier ist eine Kreuzung“, sagt er. „Städte sind bereits an Kreuzungen gegründet worden. Aber es hat gedauert. Dreieinhalb Jahre habe ich nichts als Anträge geschrieben, hier etwas machen zu dürfen. Anfangs dachte ich an reine Serviceleistungen, an Flickzeug, Notruf und an Erste Hilfe.“

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Von Wolfgang Kienast Fotos: Daniel Sadrowski Flick- und Werkzeug hält er nach wie vor bereit. An Fahrrädern ist immer was zu reparieren. Aber nicht nur Räder müssen gepflegt werden. Menschen haben Hunger und Durst. Mittlerweile gibt es Kaffee und Kuchen, Bier und Alkoholfreies, an Wochenenden wird sogar gegrillt. Dazu gibt es häufig Livemusik von befreundeten Musikern. Das hat sich zwanglos etabliert. „Mir gefällt, dass es ein Teil des Strukturwandels ist“, sagt Holger. „Hier wurden Kohle und Erz gefahren, heute ist es ein Freizeitgebiet. Und zwar für alle. Auf dem Rad sind alle gleich, vom Arbeitssuchenden bis hin zum Herrn Professor.“

Die Leute sitzen, chillen und lassen oft Stunden verstreichen. Woanders wären die ehemalige Marktbude und die schlichten Sitzgelegenheiten längst schickem Design gewichen. Auch hier wäre das möglich, aber es würde nicht passen. Holger nennt es einen Ringeltaubenort. Geöffnet: täglich ab 12 Uhr bis Sonnenuntergang Infos und Fotos unter anderem bei Facebook: „Erzbahn Bude“ Wer mit dem aktuellen bodo-Artikel kommt, erhält zwei Bier zum Preis von einem.


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Knotenpunkt 46 Vielleicht ist er ja irgendwann einmal fertig, der sagenumwobene RS1. Dann gäbe es für Pendler per Rad endlich die lang versprochene schnelle und unkomplizierte Ost-WestVerbindung im Revier. Bei den Freizeitradlern sieht es besser aus. Sie profitieren schon jetzt von einem dichten, gut ausgeschilderten Radwegenetz. Bisheriger Höhepunkt der Infrastruktur ist das 2019 installierte Knotenpunktsystem nach niederländischem Vorbild. Mehr als 250 solcher Punkte markieren die Kreuzungen im Netz und weisen den Weg zu Sehenswürdigkeiten, Bahnhöfen oder zur nächsten Kreuzung. Am Knotenpunkt 46 befindet sich die Erzbahnbude, benannt nach der Trasse einer ehemaligen Industriebahn. Über ihre Gleise wurden einst Kohle und Eisenerz zwischen Rhein-Herne-Kanal und Zechen beziehungsweise Stahlwerken transportiert. Heute präsentiert sich die Trasse als nahezu steigungsfreier Radweg. Vom Knotenpunkt 46 aus kann man unter anderem die Zeche Zollverein, die Jahrhunderthalle oder die ZOOM Erlebniswelt erreichen.

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REPORTAGE

Marian und das Memphis Im Umfeld der großen New Yorker Ausstellung „Studio 54: Night Magic“ (S. 23) werfen Dortmunder U, UZWEI und Hardware Medienkunstverein auch einen Blick auf Gegenwart und Zukunft der Dortmunder Club-Szene. Wir hingegen schauen zurück: DJ Marian Dzierzenga erinnert sich an das Memphis im Dortmunder Norden, das in den nur drei Jahren seiner Existenz ein überregionaler Anziehungspunkt für die Generation New Wave wurde – und eine bleibende Erinnerung. Von Peter Hesse | Fotos: Daniel Sadrowski Archivbilder: Peter Hesse, Marian Dzierzenga

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M

usik faszinierte Marian Dzierzenga, der 1959 geboren ist, schon ganz früh. „Ich habe mit 12 oder 13 Jahren im ZDF immer die Sendung Disco mit Ilja Richter geschaut oder den Musikladen. Mitte der 1970er Jahre entdeckte ich Bands wie Slade, Alice Cooper oder Sweet – das war genau mein Sound. Und die meisten meiner Platten kaufte ich in der damaligen KarstadtFiliale in Dortmund-Aplerbeck.“ Marian fing in der Dortmunder Disco Hades an zu kellnern, und nach ein paar Besuchen im legendären Ratinger Hof in Düsseldorf stellte er fest, dass es eine Disco mit cooler New-Wave- und Punk-Ausrichtung auch in Dortmund geben müsste. „Das Jara war damals das Nonplusultra in Dortmund“, erinnert sich Marian. „Es gab einen DJ dort namens Jimmy, der Punk und Reggae auflegte, dazu Pink Floyd mixte und andere schrille Stilformen spielte. Und in dieser Phase hat DJ Mimmi

auch dort angefangen. Ursprünglich hatte Mimmi ja nur Funk und klassische Disco-Musik à la Studio 54 aufgelegt.“ Mit den Jahren öffnete sich der Musikgeschmack des Dortmunder Nachtleben-Originals Mimmi. Im Oktober 2020 ist der ehemalige Spirit-DJ während einer Reise nach Griechenland an einem Herzinfarkt verstorben.

DJ Flugsicherung Dass die Tingelei durchs Nachtleben für ihn keine Perspektive darstellte, war Marian schnell klar. Nachdem mehrere von ihm organisierte Konzerte die Kosten nicht einspielten, sattelte er beruflich um. Seit 1988 arbeitete er für die Flugsicherung in Frankfurt und wechselte in gleicher Position nach Brüssel. In der belgischen Hauptstadt blieb er fast 30 Jahre, seit einem Jahr lebt er nun wieder in Dortmund-Aplerbeck. „Irgendwie kommt man ja doch immer wieder zu seinen Wurzeln zurück“, sagt er.

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REPORTAGE

Während seiner Zeit in Brüssel hat Marian bis auf ein paar New-Wave-Parties gar nicht mehr aufgelegt, „aber ich hatte Kontakt zur Musik-Szene und hab dort Bands wie Neon Judgement, Front 242 oder Clinic kennengelernt.“ Ein paar Kisten seiner umfangreichen LP-Sammlung hatte er sogar zwischendurch verkauft, „aber alles Wichtige habe ich mir wieder besorgt“, sagt Marian. „Im nächsten Jahr probiere ich mal wieder, ein paar Konzerte auf die Beine zu stellen“, aber pandemiebedingt sei jede Planung derzeit mit sehr vielen Fragezeichen behaftet. Dennoch bleibt er zuversichtlich: „Irgendwann wird schon was klappen!“ Lokale Musikergrößen von Yellow Sunshine Explosion, The Idiots, The Fair Sex, Invisible Limits, Spanish Flies, Guinea Pigs oder Days of Sorrow trafen im Memphis auf gestylte Szenegänger aus allen möglichen Jugendkulturen: Waver und Punks, Psychobilly-Fans und Popper, Mods, Hippies und Rocker. Sie saßen an der langen Bar, in umgebauten Schrottautos oder standen an der ausfahrbaren Tanzfläche rum – und warteten darauf, dass DJ Marian Songs von Killing Joke, Billy Idol, Dead Kennedys oder The Cure spielte.

Fehlfarben in der Warteschlange „Mit Thomas Lüdke von der Band The Invisible Limits (später: The Invincible Spirit) habe ich bis heute sehr regen Kontakt. Ich hatte ihn damals mit Uli Bolz vom Plattenladen Last Chance zusammengebracht, der dann auch die erste Maxi vom Lüdke mit dem Titel ,Love Is A Kind Of Mystery‘ bei seinem gleichnamigen Label herausgebracht hat.“ Den ersten Mix davon spielte Marian vorab auf Tape im Memphis. „Am Anfang wollte ich auch alle möglichen Stile zu einem großen Ganzen vereinen, aber das war ein Fehler. Ich habe mich dann auf Wave, Punk und Artverwandtes spezialisiert.“ Der Eröffnungstag des Memphis war Mittwoch, der 16. Oktober 1983 – und die Sause an der Bornstraße hielt ganze drei Jahre. Im Schatten der Dortmunder Actien-Brauerei waren die Bierpreise stabil – das frisch gezapfte Bier kostete damals 4 D-Mark im Memphis. Die frühen Tage in der Disco waren hingegen von schneller Improvisation geprägt: „Bevor die Endstufe der Anlage installiert wurde, war so gut wie nichts klar. Es gab noch nicht mal Schallplatten. Ich habe mir dann von den Betreibern, die ursprünglich aus Emsdetten kamen, 1.000 D-Mark geben lassen, bin zum Plattenladen Last Chance und hab das Geld komplett in Vinyl-Platten umgesetzt.“

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p h i s: a n i m M em on D J M a r i v s ck ra t L ie bl i n gs – M i r ro rs D av e B a l l is n M et ro p ol – S le ep er i A n n e C la rk B ed L et ’s go to T h e C u re – W or ld ro w – W i ld D a y s of S or d S er v a n ts M a st er a n – e od M e D ep ec h av e t – L ad y S h F ad G ad ge le – No S h u f f F ro n t 2 4 2 lf w it h M y se – D a n ci n g B i l ly Id ol i n P a ra d i se – A cc id en ts s ic er y at m r I n fo i n d of M y st L ov e i s a K – s it m i L I n v i si b le y in the UK s – A n a rc h S ex P i st ol p le of L ov e er c y – T em M of s er st Si


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Dabei sein hat viele

Vorteile Mehr Schutz im Betrieb, mehr Sicherheit im Leben und dadurch mehr persönliche Freiheit. Eine der ersten Maxis, die Marian an Tag 1 kaufte, war „Nag Nag Nag“ von Cabaret Voltaire, und diese Nummer lief im Laden oft. Es folgte ein rasanter Aufstieg: Das Memphis-Flair sprach sich bis nach Düsseldorf, Berlin oder Hamburg rum. Plötzlich standen sogar Musiker von X-Mal Deutschland oder den Fehlfarben an, um die kultige Diskothek in der Dortmunder Nordstadt zu besuchen. „Wir waren manchmal ruckzuck voll bis unter das Dach, die Securities am Eingang mussten oftmals reihenweise Besucher wegschicken.“ Das Honorar war spärlich, Marian bekam damals 15 D-Mark Stundenlohn. Als er nach zwei Jahren nach mehr Geld fragte, überwarf er sich mit dem Geschäftsführer des Memphis. Da kündigte sich das Ende bereits an: Nach einer Steuerprüfung mussten die Betreiber Konkurs anmelden. Das unrühmliche Ende einer Institution. Wer das Memphis zu seinen besten Zeiten kannte, weiß, dass es Mitte der 1980er Jahre die aufregendste Disco im ganzen Ruhrgebiet war.

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INTERVIEW

Greta Thunberg

„Die Klimakrise ist eine soziale Krise“ „Es ist einfach immer mehr ausgeufert“, sagt Thunberg über Zoom aus ihrem Zuhause in Stockholm. Im Hintergrund macht sich ihr Hund bemerkbar. „Einerseits fühlt es sich an, als wäre es gestern gewesen. Andererseits scheint es zehn Jahre her zu sein. Es war außergewöhnlich und schwer zu begreifen. Aber jetzt habe ich es fast geschafft.“ Heute ist Thunberg einer der bekanntesten Menschen auf der Erde. Weniger als vier Monate nach ihrem Solo-Protest sprach sie auf der COP 24, der jährlichen UN-Klimakonferenz, in Katowice, Polen, und auf der darauffolgenden Konferenz in Madrid ein Jahr später. „Daran habe ich mich noch nicht gewöhnt“, sagt Thunberg, die im Januar 18 Jahre alt wurde. „Ich war immer ein Mensch, der sich eher nicht äußerte und dem man nicht wirklich zuhörte. Mit anderen Leuten habe ich mich immer schwer getan. Also, zuerst nahezu unsichtbar zu sein und dann zu einem Menschen zu werden, dem die Leute tatsächlich zuhören – daran muss man sich gewöhnen.“ Aus der schwedischen Schülerin wurde auch eine weltreisende Klimaaktivistin, ein ganzes Jahr war sie auf allen Erdteilen unterwegs. Hat mehr von der Welt zu sehen, in ihr ein größeres Bedürfnis ausgelöst, sie zu retten? „Ich glaube nicht, dass man die Welt sehen muss, um sie schützen zu wollen“, sagt sie. „Aber es war ein fantastisches Erlebnis, sie sehen zu können. Es wird immer so geredet, als täten wir nichts, bis es im eigenen Garten brennt, aber das stimmt nicht. Bei den Waldbränden im

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Westen Nordamerikas gibt es klare Beweise, dass Verbindungen zur Klimakrise bestehen. Das heißt aber nicht automatisch, dass sich die Menschen, die dort leben, ändern.“ „Wir sehen die Klimakrise als etwas, das uns erst in Zukunft betreffen wird. Und irgendwie stimmt das. Aber wir vergessen, dass unzählige Menschen bereits heute an den Konsequenzen leiden und sterben. Sie betrifft uns also jetzt schon. Es wird uns nicht möglich sein, alle ihre Folgen zu verhindern – dafür ist es schon zu spät. Aber es ist nie zu spät, unser Möglichstes zu tun. Jeder noch so kleine Beitrag ist wichtig, und es ist noch Zeit, um die schlimmsten Folgen zu verhindern.” Auf die Frage, was verändert werden sollte und ob die Änderung des eigenen Lebensstils oder die Technik der CO2-Abscheidung die beste Waffe gegen die Krise ist, gibt Thunberg dieselbe Antwort: was auch immer funktioniert. „Wir tendieren dazu, nur einzelne Probleme zu betrachten: ‚Wir müssen dieses tun und nicht jenes‘“, sagt sie. „Aber das können wir uns nicht mehr leisten. Wir können nicht die ganze Zeit darüber streiten, was am besten wirkt, wenn wir dann keine Zeit mehr haben, diese Dinge überhaupt zu tun. Wir müssen holistisch und langfristig denken und alle möglichen Lösungen implementieren, anstatt sie nur miteinander zu vergleichen. Denn das raubt nur Zeit.” Erlebt sie das zähe Ringen um kleinste Schritte angesichts der Größe des Problems nicht als entmutigend? „Wenn wir nur herumsitzen und nichts tun,


Im August 2018 setzte die Schülerin Greta Thunberg ein Zeichen. Statt freitags zur Schule zu gehen, saß sie mit einem selbstgemachten Plakat mit der Aufschrift „Schulstreik für das Klima“ vor dem schwedischen Parlament. Binnen Monaten war aus einer Geste der Verweigerung eine weltweite Bewegung entstanden, die Hunderttausende auf die Straße brachte. Dann kam Corona. Und was macht Greta Thunberg heute? Ein Zoom-Anruf bei einer kämpferischen 18-Jährigen. Von Adrian Lobb | Fotos: Johanna Geron / Reuters, Wolfgang Rattay / Reuters

fühlen wir uns oft hoffnungslos. Aber sobald wir etwas unternehmen, gibt es Hoffnung“, entgegnet sie. „Nach dieser Einstellung möchte ich leben. Stellen wir uns nur vor, wir würden tatsächlich etwas tun – wer weiß, wohin uns das führen könnte. Wir wissen nicht, welche soziale Trendwende wir einleiten könnten. Weil wir es noch nie getan haben. Eine so große Herausforderung wie die Klimakrise gab es noch nie. Wir wissen also nicht, was passieren könnte, wenn wir handelten – und auch das macht Hoffnung.“ Thunberg muss jedoch hinzufügen, dass auch die Klimaschutzbewegung nicht die nötigen Veränderungen bewirken wird. „Vor allem muss die Klimakrise als Krise behandelt werden. Zurzeit berichten die Medien über schmelzende Gletscher, steigende Meeresspiegel und Waldbrände. Aber das ist nicht die Klimakrise. Das sind nur Symptome.“ Dabei gehe es vor allem um Zeit, um die Menge an CO2 in der Atmosphäre und darum, was jetzt zu tun ist. Solange die Klimakrise nicht in den Hauptnachrichten sei, entstehe der Eindruck, dass sie möglicherweise nicht so wichtig ist. „Wir sollten uns nicht auf hypothetische Zukunftsszenarien konzentrieren, sondern darauf, was wir jetzt tun müssen. Denken wir mal an die Corona-Pandemie: Sie zeigt, dass Medien in der Lage sind, etwas als Krise zu behandeln und ihr Verhalten anzupassen.“ Greta Thunberg betont, wie verwoben die Themen der Straßenzeitungen – Armut und Obdachlosigkeit – und die Klimafrage seien. „Die Klimakrise ist eine soziale Krise. Sie betrifft vor allem die ohnehin

schon verwundbarsten Menschen. Ohne das zu berücksichtigen, werden wir sie nicht lösen können.“ Wohin es sie als nächstes zieht, steht noch nicht fest. Noch zwei Jahre Schule, dann Universität, meint sie. Aber was auch immer sie abseits ihres Klimaaktivismus‘ angeht, handelt es sich hierbei sichtlich um ihr Lebenswerk. „Ich werde mich auf viele weitere Dinge konzentrieren, aber die kommen immer an zweiter Stelle“, sagt sie. „Ich will einfach sagen können, dass ich alles getan habe, was ich konnte. Aber wenn ich mir vorstelle, was mein älteres Ich zu mir sagen würde, wäre es wohl, dass ich auf mich achten und das Leben genießen soll. Man muss auch Pausen machen und so weiter. Also versuche ich, auch das zu tun.“ Auf die Frage, was das Wichtigste sei, das sie in den vergangenen Jahren gelernt habe, hält sie kurz inne: „Jeder Mensch zählt“, sagt sie. „Manche denken vielleicht, nur eine einzige Person kann keine Veränderungen auslösen, also tun wir nichts. Aber die Schulstreik-Bewegung zeigt, dass das nicht stimmt. Und wenn wir alles verändern müssen, dann brauchen wir alle. Kein Schritt in die richtige Richtung ist zu klein.”

„Stellen wir uns nur vor, wir würden tatsächlich etwas tun – wer weiß, wohin uns das führen könnte.“ 37


BÜCHER

Gelesen von Bastian Pütter

Der Park Der Dortmunder Westfalenpark ist eine der größten innerstädtischen Parkanlagen Europas. Als eingehegtes, quasi bürgerliches Gegenstück zu den raueren, lauteren, gemischteren städtischen Parks ist er so etwas wie ein Aushängeschild ohne Brüche. Mit seiner von optimistischer Nachkriegsmoderne geprägten Architektur und der aufwendig durch drei Bundesgartenschauen, viel Einsatz und Liebe zum Detail geformten Flora ist er aber mehr als eine Postkartenidylle. Ob durch Spielplatzbesuche, Schulausflüge, Sonntagsspaziergänge, Florianausblicke, Flohmärkte oder Festivals – der Park hat seinen festen Ort in den Biografien und Erinnerungen vieler DortmunderInnen. Dem spürt dieser hochwertig gestaltete, in passend sanftem Flamingorosa gehaltene und von Alexandra Apfelbaum und Alexander Bayer herausgegebene Band nach. Dortmunder Persönlichkeiten von Inke Arns (HMKV) bis Neven Subotić erzählen ihre Parkgeschichten, historische Fotos werden denen des Fotografen Daniel Sadrowski (dessen Fotos auch bodo prägen) gegenübergestellt. Kleine Kritik am Schluss: Wenn sich unter 19 Persönlichkeiten nur vier Frauen befinden, fällt das heutzutage auf; wenn sich bei einem Bildband die Nennung des Fotografen am Ende im AutorInnenverzeichnis versteckt, irritiert das ebenfalls. Alexandra Apfelbaum, Alexander Bayer (Hg.) | Der Park. Der Westfalenpark in historischen und aktuellen Aufnahmen. ISBN: 978-3-86206-881-4 Kettler | 192 S. | 19,80 €

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Die Nazijäger Die Väter Alem, ein „Gastarbeiterkind“, das so heißt wie der Autor des Romans, aus dem Land, das noch Jugoslawien ist. Die Mutter Smilja schuftet bei einem Frankfurter Autozulieferer, der Vater, ein Ganove, stirbt auf der berüchtigten Gefängnisinsel Goli Otok. Smilja verliert Alem an eine deutsche Pflegefamilie, er wird deren achtes Kind, reibt sich an seinem Altnazi-Pflegevater und hält den Kontakt zur Mutter. Inklusive der Sommerferien im kroatischen Bergdorf der Großeltern, wo alles auf einen Krieg zusteuert, der nicht Alems ist. Der dritte Vater schließlich, der neue Mann der Mutter, ist ein gewalttätiger Trinker. Mit und gegen diese drei Väter wächst Alem auf und über sie hinaus. Das könnte greller, unglaubwürdiger Kitsch sein oder ein einziges Lamento. Stattdessen schreibt der Berliner Autor und Journalist Alem Grabovac einen erstaunlich leisen autobiografischen Roman, der den geradezu überbordenden Unwahrscheinlichkeiten, Identitätswirren und Konflikten mit einer Zurückhaltung und einer Subtilität begegnet, die den Blick auf das Aufwachsen eines Jungen in Deutschland lenken: die Suche nach dem, was man mitbekommen hat auf den Weg, nach einem Platz, nach Identität. Alem Grabovac | Das achte Kind ISBN: 978-3-446-26796-1 hanserblau | 256 S. | 22 Euro

Es beginnt mit der Ohrfeige. Als Beate Klarsfeld 1968 Kurt Georg Kiesinger – Bundeskanzler und ehemaliges NSDAPMitglied – schlägt, ist das vielleicht die symbolisch wirkmächtigste Zurückweisung einer „Stunde Null“. Dem Kampf gegen das Vergessen der Opfer der Shoah und gegen das Verdrängen von Verstrickung und Täterschaft haben Beate und ihr Mann Serge Klarsfeld ihr Leben gewidmet. 1971 versucht das Paar, den unbehelligt in Köln lebenden Gestapo-Kommandierenden für Frankreich, Kurt Lischka, zu entführen. Er war 1950 in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilt worden, Adenauer verweigerte jedoch die Auslieferung. Als die Entführung scheitert, machen die beiden ihre Straftat öffentlich, Lischka wird später doch der Prozess gemacht. Wie ein Krimi schildert der Comic die Jagd auf den „Schlächter von Lyon“, Klaus Barbie, in Südamerika. Helmut Kohl verhindert die Auslieferung an Deutschland, aber in Frankreich kommt es zum Prozess. In Rückblenden und geradezu filmisch erzählt Pascal Bressons und Sylvain Doranges opulentes Comicbuch das Leben des Paars. Eine mitreißende Geschichte, eine Erinnerung an den westdeutschen Normalzustand und eine Verneigung vor der Lebensleistung der Klarsfelds. Pascal Bresson, Sylvain Dorange Beate und Serge Klarsfeld. Die Nazijäger. ISBN: 978-3-551-79347-8 Carlsen | 208 S. | 28 Euro


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Interview der Straßenzeitungen zur Bundestagswahl 2021

„Herr Laschet, weshalb sollte ich die CDU wählen?“ Herr Laschet, die Zahl der Obdachlosen wächst exponentiell: Sie hat sich in Hamburg genauso verdoppelt wie im kleinen Rain am Lech. Nehmen Sie diese Verelendung wahr? Ja, das ist ein Problem, an dem Politik arbeiten muss. Ich selbst bin seit Jahren mit einer Wohnungslosen-Initiative in Aachen verbunden, Café Plattform. Da merkt man, dass es nicht nur um die Frage geht, ob eine Wohnung da ist oder nicht, sondern um sehr individuelle Lebensgeschichten. Wir brauchen mehr als nur ein Wohnungsbauprogramm, um Menschen da herauszuhelfen. Die Verelendung ist auch ein Ergebnis von Armutszuwanderung: Mehr als zwei Drittel der Betroffenen haben einen EU-Pass – aber keinen deutschen. Sie haben 2014 gesagt, die EU sei keine „Sozialunion“; der Staat solle ArbeitsmigrantInnen nicht dieselben Sozialleistungen bieten wie Deutschen. Ich habe nur das europäische Recht erläutert. Für soziale Leistungen ist zunächst der Mitgliedsstaat zuständig, aus dem jemand stammt. Man kann zur Arbeitsaufnahme nach Deutschland kommen, aber man kann nicht einwandern und sofort Leistungen in Anspruch nehmen. Das ist nicht das Konzept der Europäischen Union. Aber was soll dann geschehen, damit WanderarbeiterInnen nach Einsätzen in der Landwirtschaft oder auf Baustellen, die zu keinen Sozialleistungen berechtigen, nicht auf der Straße landen? Die Obdachlosigkeit nimmt nicht nur durch Zuwanderung aus Mittel- und Osteuropa zu... Sagen wir es so: Die wenigen Zahlen, die wir haben, legen nahe, dass Zuwanderung entscheidend dazu beiträgt. In Hamburg waren 2009 mehr als 70 Prozent aller Obdachlosen deutsch. Bei der letzten Zählung, 2018, hatte sich die Zahl der Betroffenen fast verdoppelt – und zwei Drittel waren Nicht-Deutsche. Der Ausweg kann nicht sein, dass jeder, der innerhalb der Europäischen Union einreist, automatisch Anspruch auf Leistungen hat. Das würde das deutsche Sozialsystem überfordern.

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Welche Lösungen schlagen Sie vor? Dortmund hatte das Problem massiv: Mit vielen Menschen, die in illegale, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse vermittelt worden waren. Sie wurden teilweise in Schrottimmobilien untergebracht, manchen wurden Kreditkarten und Pässe abgenommen. Kurz: Es gab ein kriminelles Umfeld, das eine große soziale Frage zur Folge hatte. Dortmund hat reagiert, indem die Stadt die Schrottimmobilien stillgelegt und legale Arbeitsmöglichkeiten geschaffen hat. Tariflohn, Mindestlohn, Arbeitslosenversicherung – all das, was unser Land an Sozialabsicherung vorsieht, muss natürlich auch für legal Beschäftigte aus Südosteuropa gelten.

Dortmund hat reagiert, indem die Stadt die Schrottimmobilien stillgelegt und legale Arbeitsmöglichkeiten geschaffen hat. Tariflohn, Mindestlohn, Arbeitslosenversicherung –auch für legal Beschäftigte aus Südosteuropa. In Europa gelingt es offenbar nur Finnland, Obdachlosigkeit zu verringern: durch „Housing First“, die bedingungslose Vermittlung von Wohnraum. Ihr Sozialminister Karl-Josef Laumann hat ein Modellprojekt in Nordrhein-Westfalen zuletzt als „vollen Erfolg“ bezeichnet. Würden Sie als Kanzler „Housing First“ in ganz Deutschland einführen? Das entscheiden die Länder, der Bund kann nur Impulse setzen. Jedes Land muss auf die Situation vor Ort eine Antwort finden. Die ist im Ruhrgebiet im Zweifel anders als in Köln, auf dem Land anders als in Städten. „Housing First“ ist in Nordrhein-Westfalen ein Modellprojekt. Wenn es gut funktioniert, und den Eindruck habe ich, kann es natürlich eine Blaupause sein für andere in Deutschland.


Vierter Teil: Armin Laschet

Im nächsten Heft: Janine Wissler

Vor der Bundestagswahl am 26. September haben die deutschen Straßenzeitungen Fragen. Mit Partei- und Fraktionsspitzen demokratischer Parteien im Bundestag führen sie deshalb Interviews zu Sozialpolitik, Wohnungspolitik und Armutsbekämpfung. In diesem Monat stellt sich NRW-Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der CDU/CSU, Armin Laschet, den Fragen zu Arbeitsmigration und Obdachlosigkeit, Bargeld und Bildungsaufstieg, zu Hans-Georg Maaßen und zur AfD. Von Annette Bruhns | Foto: Maurice Weiss / Ostkreuz

In vielen Städten werden Obdachlose durch Ordnungsdienste brutal vertrieben. Grundlage sind Straßensatzungen, die „aggressives Betteln“, „Lagern“ und „störenden Alkoholgenuss“ verbieten. Was halten Sie als ehemaliger Integrationsminister von so viel Intoleranz? Da geht es um schwierige Abwägungen zwischen der öffentlichen Ordnung und der Möglichkeit, sich irgendwo aufzuhalten und sein Leben zu leben. Ich würde mir einerseits eine tolerante Handhabung der Gesetzeslage wünschen, vor allem aber, immer den Menschen im Blick zu behalten, um den es da geht.

„Housing First“ ist in NordrheinWestfalen ein Modellprojekt. Wenn es gut funktioniert, und den Eindruck habe ich, kann es natürlich eine Blaupause sein für andere in Deutschland. Apropos Betteln: Die Finanzexpertin der CDU, Antje Tillmann, hält mindestens die kleinen Münzen für überflüssig. Geben Sie uns hier und heute eine Garantie, dass mit Ihnen das Münzgeld erhalten bleibt? Ja! Soweit ich das kann und das nicht die Europäische Zentralbank entscheidet. Ich finde selbst eine Ein-Cent-Münze zeitgemäß. Bargeld ist ein Freiheitsrecht. Angenommen, ich hangle mich von einem befristeten Arbeitsvertrag zum nächsten, wohne zur Miete und mache mir Sorgen um die Zukunft, auch wegen des Klimawandels. Weshalb sollte ich die CDU wählen? Um zu mehr wirtschaftlichem Wachstum und damit zu mehr Arbeitsplätzen zu kommen! Vor der Pandemie haben wir ohne Steuererhöhungen mehr Steuereinnahmen gehabt – weil die Wirtschaft gewachsen ist. Dies wieder herzustellen, wird wegen des Klimawandels zur doppelten Herausforderung. Wir wollen bis zur Mitte des Jahrhunderts mit marktwirtschaftlichen Anreizen Deutschlands Klimaneutrali-

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Interview der Straßenzeitungen zur Bundestagswahl 2021

tät hinbekommen. Die CO2-Besteuerung – also dem klimaschädlichen CO2 einen höheren Preis zu geben – wird zu Innovationen führen, die wiederum für neue Arbeitsplätze sorgen. Und: Die CDU kümmert sich nicht nur um guten Klimaschutz, sondern auch um die soziale Frage. Laut Ihrer Partei soll gute Bildung Hartz-IV-Karrieren verhindern. Als Kanzler könnten Sie den Ländern freilich wenig vorschreiben, den Ministerpräsident fragen wir, was bisher falsch gelaufen ist: Woher kommt die große Bildungsungleichheit in Deutschland? Das ist ein Thema, das mich seit vielen Jahren umtreibt. Ich habe dazu ein Buch geschrieben, „Die Aufsteigerrepublik“. Die eigentliche soziale Frage lautet: Aufstieg unabhängig von der Herkunft der Eltern zu ermöglichen. Das betrifft viele Kinder mit einer Einwanderungsbiografie, wenn die Eltern nicht gut Deutsch sprechen. Aber auch in deutschen Familien mangelt es teilweise an guten Sprachkenntnissen. Deshalb brauchen wir frühkindliche Sprachförderung, Ganztagsangebote – und durchlässige Schulen, die etwa den Wechsel von der Realschule zum Gymnasium jederzeit ermöglichen. Ich kenne viele Karrieren, gerade aus Einwandererfamilien, die in der Hauptschule begonnen und zum Abitur geführt haben. Der Anteil an Abiturientinnen und Abiturienten mit Zuwanderungsgeschichte steigt von Jahr zu Jahr. In der Pandemie wurden Laptops an Schüler in einem Land verteilt, in dem es vielerorts noch an der Mobilfunkversorgung hapert. Wieso rangiert das Merkel-Deutschland in Sachen Netzausbau noch hinter Albanien? Wir sind da nicht gut genug. In NordrheinWestfalen haben wir jetzt Verträge mit den großen Telekommunikationsunternehmen gemacht, um den Ausbau zu beschleunigen. Ihre Corona-Politik wirkte im Gegensatz zu der Ihres bayerischen Amtskollegen Markus Söder schlingernd… …wieso ist es schlingernd zu sagen, Kinder und Jugendliche sollen wieder in die Kita und Schulen, wenn die Infektionszahlen sinken? Das war der große Streit des Jahres 2020. Für ein Kind, das mit Geschwistern in einer Zwei- oder Drei-Zimmer-Wohnung lebt, ist der Präsenzunterricht die Chance, um den Aufstieg zu schaffen. Wir werden uns nach der Pandemie intensiv um die Kinder kümmern müssen, gerade um die-

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jenigen aus schwierigen sozialen Verhältnissen, damit kein Kind aufgrund der Pandemie zurückbleibt. Meine Haltung war klar: Neben den Inzidenzzahlen müssen auch die Schäden in den Blick genommen werden, die Schulschließungen anrichten. Dieses Jahr hatten wir eine Phase mit explodierenden Infektionszahlen, mit der britischen Mutante sogar mit höheren Ansteckungsraten bei Kindern. Da muss man eine andere Antwort geben als im Jahr zuvor.

Wir werden mit der AfD weder reden noch kooperieren, diese Regeln gelten auch für Herrn Maaßen. Das weiß er auch. Der umstrittene Ex-Verfassungsschutzschef HansGeorg Maaßen hat auf Twitter Corona mit der Grippe verglichen. Was bedeutet seine Bundestagskandidatur für Ihre Kanzlerkandidatur? Gar nichts. Corona ist gefährlich. Tausende Menschen haben ihr Leben verloren wegen dieser Pandemie. Punkt. Ansonsten gehe ich davon aus, dass Herr Maaßen seinen Beitrag für den Erfolg der Union leisten wird. Wir werden mit der AfD weder reden noch kooperieren, diese Regeln gelten auch für Herrn Maaßen. Das weiß er auch. Im Übrigen hat der Bundesparteivorsitzende keinen Einfluss auf die Wahl der Kandidaten in den 299 Wahlkreisen. Ihr Konkurrent Olaf Scholz hat uns auf die Frage, was aus ihm würde, wenn er nicht siegt, geantwortet: „Ich werde Kanzler.“ Wie ist das bei Ihnen, würden Sie auch nach Berlin gehen, um die Opposition anzuführen? Das ist doch mal eine originelle Antwort. Ich werde Kanzler.


Eine Frage, Herr Dr. Christian J. Merz:

Was passiert beim Blackout im Gehirn? Wer kennt es nicht? Man sitzt in einer Klausur, in der Führerscheinprüfung oder beim Vorstellungsgespräch, und auf einmal ist die ganze Vorbereitung wie weggeblasen. Doch wie kommt es zu diesem spontanen Vergessen von Gelerntem in Stresssituationen?

Dr. Christian J. Merz vom Institut für kognitive Neurowissenschaft der Ruhr-Universität Bochum

„Hauptverantwortlich dafür sind die Hormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol“, sagt Dr. Christian J. Merz vom Institut für kognitive Neurowissenschaft der RuhrUniversität Bochum. In erster Linie sind diese Stresshormone dafür zuständig, unseren Körper in einen Erregungszustand zu versetzen, in dem er leistungsfähiger wird. Die Atemfrequenz und der Blutdruck steigen, die Bronchien weiten sich und unsere Muskeln werden besser durchblutet. Leider haben diese Hormone auch Auswirkungen auf den Hippocampus, der für das Erinnern eine zentrale Rolle spielt. Dieser ist in Stresssituationen weniger aktiv und Erinnern fällt uns schwerer.

Effekt könne man aber auch heute noch im Alltag beobachten. An das Auto, das uns die Vorfahrt nimmt, kann man sich meist sehr gut erinnern. Was wir morgens gefrühstückt haben oder andere Informationen, die wir in einem Zustand der Entspannung aufnehmen, werden sehr viel schlechter abgespeichert. Am besten schützt man sich vor einem Blackout, indem man gut vorbereitet und vielleicht auch nicht mit zu hohen Erwartungen in solche Situationen geht, um das

„Möchte man etwas behalten, macht es Sinn, sich unmittelbar nach dem Lernen in einen Erregungszustand zu versetzen.“

Etwas zu lernen hingegen fällt uns ab einem gewissen Stresslevel sehr viel leichter. Das Ganze hat evolutorische Gründe. „Wenn wir früher erfolgreich vor einem Säbelzahntiger geflüchtet sind, dann sollte die Information, wie wir ihm entkommen sind, möglichst gut abgespeichert werden“, so Merz. Diesen

Stresslevel auf einem gesunden Niveau zu halten. Man könne diese Mechanismen im Gehirn aber auch zum eigenen Vorteil nutzen, so Merz. „Möchte man etwas behalten, macht es Sinn, sich unmittelbar nach dem Lernen in einen Erregungszustand zu versetzen. Zum Beispiel, indem man sich erst auf eine Prüfung vorbereitet und unmittelbar danach Sport macht.“

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RÄTSEL

LESERPOST & MEINUNGEN

bodo 06.21

„Macht weiter so!“ Liebe bodo, erst einmal ein allgemeines Lob: Ich lese bodo regelmäßig und immer wieder gerne. Denn wo liest man schon solche Geschichten: Jürgen, der Jahrzehnte als indischer Mönch lebt und dann nach Deutschland abgeschoben wird, obdachlos wird und Hilfe findet – und im gleichen Heft: Kudlip, ein gebürtiger Inder, der in Bochum obdachlos war und uns nun in der eigenen Wohnung erklärt, wie man ein Curry zubereitet. Wunderbar! Macht weiter so! H. W.

bodo 06.21

Christian Lindner im Interview Liebe Redaktion, ich weiß immer noch nicht, wie ich es finde, dass Ihr als Straßenzeitungen die Parteispitzen interviewt. Auch beim Christian-Lindner-Interview schaffen die kritische Fragen mehr Erkenntnisgewinn und machen mehr Spaß als die Antworten. Ja, Zeit und Platz sind begrenzt, aber eigentlich müsste man jede Antwort zerpflücken und „übersetzen“. Wenn Lindner sagt, geschenkt habe ihm niemand was, müsste man sagen: Doch, wir. 2 Millionen Euro öffentliche Gelder als KdW-Kredit, die er mit seiner Firma in eineinhalb Jahren verbrannt hat. Unsereins wär am Ende und müsste ganz unten anfangen, er hat einfach mit den von uns bezahlten Landtagsdiäten seinen Porsche betankt. Die Antworten zu Saisonarbeit und Mindestlohn sind zynisch. „Was versprechen Sie prekär Beschäftigten?“ – „Eine Aufstiegsperspektive.“ Das ist ein Witz. Deutschland hat seinen Niedriglohnsektor erst geschaffen. Wir haben bewusst Millionen Menschen in nicht existenzsichernde Arbeit geschickt, und Lindner sagt: Ja, aber wenn du dich richtig reinhängst, kommst du vielleicht aus dem Loch wieder raus. Man fragt Lindner zur Wohnraumkrise und ihm fällt nur ein, dass Professoren in Sozialwohnungen wohnen und man Penthouse-Wohnungen teurer vermieten kann. In was für einer Welt lebt so jemand?

AUFLÖSUNG HEFT 06.21

Liebe Grüße, B. G.

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Schreiben Sie uns: redaktion@bodoev.de Telefon: 0231 – 950 978 0


Wenn Wohnungslose sich im öffentlichen Raum häuslich einrichten wie hier in der Dortmunder Innenstadt, ist das ein Arrangieren mit dem scheinbar Alternativlosen. In unserer Arbeit stärken wir das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und entwickeln gemeinsam Perspektiven. Denn die Straße ist kein Zuhause. Foto: Sebastian Sellhorst

Bücher schaffen Stellen

bodo 06.21

Jürgens Platz Eine bewegende Geschichte! Ich wünsche Jürgen alles Gute bei seinem Neuanfang. Einen Menschen nach Jahrzehnten aus seinem Leben zu reißen und ihn in das fremde Land zu bringen, das in seinem Pass steht, ist unmenschlich. Deutschland macht das jeden Tag. Wer einmal mit der Ausländerbehörde zu tun hatte, weiß: Da arbeiten Menschen, deren beruflicher Auftrag und privater Antrieb es ist, Menschen aus dem Land zu werfen. Wegen des Passes. Nicht, weil sie hier „falsch“ wären, nicht integriert oder sonst was, sondern weil es geht: ein fehlender Stempel, eine um einen Tag versäumte Frist. Daran sollten wir bei Geschichten wie der von Jürgen denken. Alles Gute für Eure Arbeit!, F. D.

bodos Bücher Liebe bodo, ich wollte einfach mal schreiben, was ich Euren Mitarbeitern im Dortmunder Buchladen schon gesagt habe. Ich war diese Woche das erste Mal nach langer Pause wieder bei Euch. Es freut mich riesig, dass es das Projekt trotz der bestimmt großen Einbußen durch Corona noch gibt, dass der Laden und Angebot immer noch toll sind und die „Schwingungen“ einfach positiv. Nicht einmal von der fiesen Baustelle vor der Tür lassen sich Eure Mitarbeiter die Stimmung vermiesen. Ein bodo-Verkäufer kam mit mir in den Laden und erzählte, dass es jetzt auch in der Innenstadt wieder klappt mit dem Heftverkauf. Das war alles schön zu sehen! Ich hab „viel zu viel“ eingekauft bei Euch, komme aber sicher bald wieder. Liebe Grüße an alle, L. W.

Buchladen Dortmund Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Mo. – Fr. 10 bis 18 Uhr Sa. 10 bis 14 Uhr Buchladen Bochum Königsallee 12 44789 Bochum Mo. – Fr. 14 bis 18 Uhr Sa. 10 bis 14 Uhr Online stöbern: bodoev.shopnetzwerk.com

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VERKÄUFERGESCHICHTEN

Für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ist der öffentliche Raum gespickt mit großen und kleineren Hürden. So auch für Frank. Seit einem Unfall 1996 trägt er zwei Unterschenkel-Prothesen. Seit zwei Jahren ist er aufgrund von Problemen mit seinen Beinarterien mit dem Rollstuhl unterwegs. Seiner Mobilität tut das allerdings keinen Abbruch. Warum es trotzdem oft nicht einfach ist, von A nach B zu kommen, hat er uns beim Spazieren durch Bochum erklärt. Text und Fotos: Sebastian Sellhorst

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ir treffen Frank in der U-Bahn Station am Bochumer Rathaus. Bei sich zu Hause an der Grillostraße in Gelsenkirchen kann er glücklicherweise ebenerdig in die Bahn, erzählt er. Bei unterirdischen Haltestellen ist man als Rollstuhlfahrer darauf angewiesen, dass der Fahrstuhl funktioniert. „Wenn du vor einem Aufzug stehst, der defekt ist, bleibt dir nichts anderes übrig, als eine Station weiter zu fahren und zu gucken, wie du da hinkommst, wo du eigentlich hin wolltest“, erzählt er. Das Risiko habe er anfangs zeitlich immer mit eingeplant, wenn er zu einem festen Termin irgendwo sein musste. Mittlerweile hat er aus der Not gelernt, auch Rolltreppe zu fahren. „Dazu warte ich immer erst mal ab, bis ich meine

Vorwärtskommen Ruhe habe und keine Passanten mehr in der Nähe sind. Dann schiebe ich mich rückwärts auf die Treppe, stehe auf und drücke den Rollstuhl mit dem Oberschenkel gegen die Stufen. Mittlerweile hab ich das ganz gut drauf, aber ich hab mich auch schon mal langgemacht“, erinnert sich Frank. Heute hat er Glück. Der Fahrstuhl funktioniert. Das Projekt „Elevate“ des Vereins Sozialhelden e.V. versucht Live-Daten zu defekten Fahrstühlen zu sammeln und so Reisen mit Rollstuhl planbarer zu machen. An der Jahrhunderthalle zum Beispiel sei der Aufzug fast ständig kaputt. Bei der „Bogestra“ habe man seine Meldung dann aufgenommen, passiert sei allerdings nichts. „Ich glaube, vielen ist gar nicht klar, wie wichtig die Aufzüge sind. Es geht

dabei ja gar nicht mal nur um Rollstuhlfahrer wie mich oder um Bequemlichkeit. Die Mutter mit Kinderwagen oder Menschen mit Rollatoren stehen ohne einfach ziemlich dumm da“, sagt Frank. Mindestens genau so schwierig wie der öffentliche Nahverkehr gestaltet sich die Suche nach einer öffentlichen Toilette. „Es ist ja so schon schwierig genug, eine kostenlose Toilette zu finden. Eine zu finden, in die du auch mit Rollstuhl reinpasst, ist noch mal eine Ecke schwieriger“, so Frank. Am meisten ärgert er sich allerdings aber über Toiletten, die nur zu unregelmäßigen Zeiten geöffnet sind: „In Gelsenkirchen am Heinrich-König-Platz zum Beispiel stand ich schon mehr als einmal vor verschlossener Tür.“ Besonders schwierig sei die Situation am Dortmund Hauptbahnhof. Immerhin wird der jetzt barrierefreier, doch während der Bauzeit bleibt es kompliziert. „Du kannst zwar Bahnmitarbeiter fragen, ob sie dir mal eben den Rollstuhl in den Zug reichen oder die Treppe hochtragen. Aber mal eben geht da gar nichts. Aus versicherungstechnischen Gründen müssen die dann immer eine Rampe oder einen Treppenlift holen und ein genaues Prozedere einhalten. In der Zeit hab ich es schon dreimal selbst geschafft“, erzählt er und lacht. PassantInnen seien da die größere Hilfe. Bis jetzt sei er aber noch immer überall hingekommen. Nur bei starkem Schneefall im Winter sei er einige Tage zu Hause geblieben. „Als dann die Straßen geräumt, aber die Bürgersteige voller meterhoher Schneeberge waren, bin ich einfach auf der Straße gefahren. Im Endeffekt musst du immer selbst gucken, dass du irgendwie vorwärtskommst.“

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Martin Kaysh schreibt für die Arbeiterwohlfahrt

Als Blag mochte ich Heino. Der sang, was wir im katholischen Ferienlager auch so sangen. Kein Nazizeug, mehr diesen Bergkram. Morgenrot und Moorsoldaten kamen später. Man entwickelt sich. Ina Scharrenbach nicht. Sie hat seit vier Jahren ein neues Türschild am Büro in Düsseldorf. „Ministerin für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung“ steht darauf. Sie konzentriert sich auf die Tümelei. Unvergessen bleibt ihr Grinsen, als Heino ihr vor drei Jahren eine Schallplatte in die Hand drückte, auf der blöderweise auch Lieder waren, die man bei der SS gerne hörte. Manche bleiben hängen in ihrer Vergangenheit. Scharrenbach will ihre Vergangenheit aber dem Ruhrpott aufdrängen. Sie kommt aus Kamen, aus dem Gartenbau. Sie mag Industriekultur nicht, dieses Ding mit Ruß, Staub, Kumpel und Kollegen. Das sagt sie nicht, man sieht es ihr an. Mal drückt sie dem Recklinghäuser Bürgermeister ein Puzzle in die Hand mit seinem, dem vermeintlich schönsten NRW-Rathaus, das wie gemacht scheint für eine Modelleisenbahn-Idylle. Dann wedelt sie sich mit Tausend-Euro-Schecks für musterhafte Vereinsmeierei durch die Vereinswelt, Motto: „Unser Dorf soll schöner werden - jetzt auch mitten im Pott“. In der Türkei karrt man vor Wahlen Säcke mit Bohnen in die Armenviertel. Martin Kaysh (Geierabend) schreibt jeden Monat in bodo für die AWO.

Jetzt gibt es im Revier die starke Idee, nicht den einzelnen Pütt (Zollverein) zum Weltkulturerbe zu machen, sondern das Prinzip Pott. Ein historisches Konzept, das sich mal in Kokereien, mal

Sie Mitglied Werden auch in der AWO! eder die AWO li g it M r h e m Je hr kann sie in hat, desto me ft bewirken. der Gesellscha en nn sie Mensch Desto eher ka fe brauchen. helfen, die Hil .awo-ww.de ww.de • www

in ein paar hundert Metern Köttelbecke zeigt (Ja, das EmscherDing ist gigantisch). Weil man mit der UNESCO verhandelt, haben sich hiesige Expert*innen auf hohem Niveau weltweit vernetzt. Zur Abwehr bastelt sich Scharrenbach eine Jury zusammen. Ihre Profis sollen das andere Profiteam ausbremsen. In der Wissenschaft eine Beleidigung. Ich hätte dann gerne eine Jury, die den Blödsinn der Landesregierung zensiert, ehe er Politik werden kann.

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Dr. Ute Kaufmann Pädagogische Leitung

Wiebke Dahlhaus Koordination & Kundenbetreu ung für Bochum

Annika Seebach Koordination & Kundenbetreuung für Dortmund

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