China Underground Der kritische Blick von unten
china time 2010
Filmpolitik und Independentfilm in China Die Geschichte des chinesischen Films begann 1905 in Peking mit dem Abfilmen einer Pekingoper. In Shanghai entwickelte sich eine Filmwirtschaft, die sich nicht nur dem Unterhaltungsfilm zuwandte, sondern auch dem sozial engagierten Film. Mit der Machtergreifung der Kuomintang und dem Japanisch-Chinesischen Krieg fanden diese Entwicklungen ein Ende. Der Film wurde unter der kommunistischen Regierung der staatlichen Kontrolle unterworfen, Filmimporte fast nahezu unterbunden. 16 mm Filmmaterial und -Geräte waren den Profis und Filmhochschulen vorbehalten. Die einzige Ausnahme blieben betriebliche Kulturgruppen, die jedoch unter der strikten Kontrolle der Partei standen. 8 mm Film, der in der westlichen Welt das Metier der Amateur- und Familienfilmer war, existierte in China auch. Um sich vom Westen zu unterscheiden, wählte man ein nur in China existierendes Format von 8,75 mm. Die Filme waren herunterkopierte 16 mm oder 35 mm Produktionen. Es war ein Weg, kostengünstig Propaganda- und Unterhaltungsfilme in den ländlichen Raum des riesigen Landes zu bringen. Aus Angst vor einer unabhängigen Mediennutzung, verzichtete man vollständig auf den Bau von 8,75 mm Kameras. Mit den Entwicklungen der Globalisierung öffnete sich China auch den weltweiten Kapital –und Warenströmen. Trotz der verschärften staatlichen Repression nach dem Tian’anmen Massaker 1989, fanden nun ausländische Filme dank der Kultur des Raubkopierens eine große Verbreitung, erst als VHS Kassetten, inzwischen als DVDs. Auf diesem staatlich nicht kontrollierbaren Markt verbreitet sich nicht nur westliches Mainstreamkino, sondern auch Arthausproduktionen und Spartenfilme. Auch Subkulturelles, Undergroundfilme und politisch radikale Produktionen finden so ein Publikum. Auch das Internet löst die Abschottung des Landes weiter auf. Etwa seit der Jahrtausendwende begann sich eine chinesische independent Filmszene zu entwickeln. Zwar gibt es nach wie vor eine staatliche Zensur, doch inzwischen haben einige Filmemacher Wege gefunden, die Kontrolle zu umgehen. Problematischer ist es weiterhin, öffentliche Veranstaltungen in Festlandchina zu organisieren. Filmemacher und Organisatoren von Veranstaltungen bewegen sich noch immer auf schwierigen Terrain, jedoch gibt es regional
sehr unterschiedliche Freiheiten. Auch die in China empfangbaren Sender Hongkongs, haben einen Einfluß auf das politische Klima im Land. Es haben sich bereits Festivals für unabhängige Produktionen in China etabliert. Einige Filmemacher und Organisatoren erfahren Unterstützung aus dem Westen. Diese Entwicklungen beeinflussen auch die staatliche Filmpolitik. In dem riesigen Netz an TV-Stationen gibt es zunehmend mutige Filmemacher und Redakteure, die vor politisch brisanten Themen nicht zurückschrecken. Wir haben bei der Programmzusammenstellung von »CHINA UNDERGROUND« versucht, all diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Es ist ein Film aus einem Verleih in Hongkong dabei und ein Programm mit ungewöhnlich kritischen TV Dokus. Es geht uns nicht allein um mutige Schilderungen von Problemen des Landes, wir werfen auch einen Blick auf die Produktion unabhängiger Spielfilme und auf interessante Entwicklungen im Kurzfilm. Unsere Gäste aus China Ni Kun Kurator 1972 in Hunan geboren, studierte Kunst. Lebt und arbeitet in der Stadt Chongqing und ist einer der aktivsten jungen Kuratoren in China. Aktiv im Aufbau von Strukturen der freien Kunstszene. Seine Arbeit geht von einem erweiterten Kunstbegriff aus, der die Bereiche Film, Tanz, Performance, Musik und Multimedia einschließt. Wang Bang Freie Autorin und Journalistin, Comiczeichnerin, Filmkritikerin und Filmemacherin 1974 in Nanning geboren, studierte Kunst, Hauptwohnsitz in Guangzhou, beginnt einen zweijährigen Londonaufenthalt. Zhandong Ma Dokumentarfilmer 1970 in Lanzhou in der Provinz Gansu geboren. An der Beijing Film Academy machte er seinen Abschluss als Fotograf und lebt heute in Chengdu. Eine Veranstaltung der Kinemathek Hamburg e.V. und Blitzfilm im Rahmen der China Time 2010, mit Unterstützung der Behörde für Kultur, Sport und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg, der Filmförderung Hamburg Schleswig Holstein FFHSH, sowie durch die Hamburgische Kulturstiftung.
Disorder
China 2009 Huang Weikai 58 min. Das urbane Chaos durch die Augen von Filmamateuren. Der Filmemacher Hung Weikai schuf ein Porträt der radikalen Umbrüche der chinesischen Gesellschaft in einer Collage von Bildern verschiedener Amateurfilmer. Schweine auf der Autobahn, ein Lebensmüder auf einem Brückengeländer, Unglaubliches in den Tiefkühltruhen eines Restaurants und offene Bestechungsversuche.
15.9.2000
Anschließend Branchengespräch der FFHSH mit den chinesischen Gästen
Bewegung im Offiziellen Film
Trotz staatlicher Kontrolle entstehen in den Sendern zunehmend kritische Produktionen.
My Body is controlled by You
China 2009 Gu Tao 55 min. Ein Porträt eines männlichen Models. Der Film beschreibt den Bruch mit dem klassischen Rollenverhalten, den daraus resultierenden Problemen mit Familie und Umfeld, den ökonomischen Schwierigkeiten und den Alltag des jungen Mannes.
Going to the City
China 2009 Zhang Ping 60 min. Die chinesische Landbevölkerung migriert in die Städte auf der Suche nach Arbeit. Dieser Film wirft ein Licht auf die größte Migrationsbewegung innerhalb eines Landes und den Kampf der Wanderarbeiter für eine Verbesserung ihrer sozialen Situation und politischen Rechte.
16.9.1700
Though I am Gone
China 2006 Hu Jie 67 min. Die Direktorin einer Volksschule wird zu Zeiten der Kulturrevolution von ihren Schülerinnen erschlagen. Ihr Mann hat sein Leben dem Andenken an seine Frau gewidmet, doch nicht nur als persönliches Gedenken, sondern auch als gesellschaftliches Andenken. Ein bewusster Akt, die eigene Erinnerung der offiziellen Geschichtsschreibung entgegenzusetzen.
16.9.1900
Eight Diagrams
China 2009 Fu Hao 92 min. »Ba Gua« nennt man die acht Trigramme des altchinesischen I Ging, wobei ein Trigramm aus drei – jeweils durchgezogenen oder unterbrochenen – Linien besteht. Darauf bezieht der Regisseur Fu Hao seine drei Erzählungen, die parallel im Laufe einer Nacht geschehen. Fu Hao geht es in erster Linie um die Atmosphäre der Zehnmillionenstadt Guangzhou: So als ob die Stadt von ihnen Besitz ergriffen hätte, irren die Menschen durch die Straßen, suchen nach einer billigen Unterkunft oder einem ebensolchen Vergnügen.
17.9.1700
Kurzfilmprogramm
ca. 90 min. Aktuelle Kurzfilme der chinesischen Independentszene, zusammengestellt von Ni Kun. Junge Chinesen probieren sich in den neu eroberten Medien. Es wird mit der Bildsprache gespielt und man sucht Möglichkeiten, das Lebensgefühl in den Megacities auszudrücken. Vom Animationsfilm bis zum Musikvideo, kurze Geschichten und skurrile Ideen.
17.9.1900
University City Savages
China 2010 Wang Bang 88 min. Die chinesische Regierung versucht mit Mega-Bauprojekten zu glänzen. Die von Landwirtschaft lebende lokale Bevölkerung steht dem Bau eines gewaltigen Universitätskomplexes im Weg und soll weichen. Die Betroffenen beschreiben vor der Kamera das Geschehen. Die Filmemacherin zeigt die Wut und den Durchhaltewillen der Zwangsgeräumten.
17.9.2130
To Live is better than to Die
China 2002 Chen Weijun 63 min. Ein Großteil der Dorfbevölkerung ist HIV-infiziert. Blutspenden sind in der Armut eine wichtige Geldquelle, doch sie werden nicht unter ausreichenden Hygienemaßnahmen durchgeführt. Der Filmemacher begleitet eine Familie, in der nur eines der drei Kinder nicht HIV-positiv ist. Die Mutter stirbt noch während der Dreharbeiten.
18.9.1700
MAYDAY
China 2010 Zhandong Ma 138 min. Das Erdbeben in Sichuan kostete mehr als 80.000 Menschen das Leben. Der Filmemacher reiste in das Erdbebengebiet, um praktische Hilfe zu leisten. Als verschiedene Probleme in der Erdbebenregion offensichtlich wurden, entschloss er sich, seine Kamera mitzunehmen und den Betroffenen so eine Stimme zu verleihen ...
18.9.1900
Die Rote Frauenarmee
Ein Klassiker aus der Kulturrevolution: Ein buntes Revolutionsepos in plakativen Bildern in der Tradition des Volkstheaters und der Pekingoper. Als Clubevent mit Live SoundRemix und Performance mit Xyramat und Uwe Bastiansen.
18.9.2200
The Nail
China 2009 Jiang Zhi 75 min. In der Metropole Chongqing weigert sich das resolute Ehepaar Wu, sein Haus den Plänen der Investoren zu opfern und es zu räumen. Ihr Kampf wird auch von der Weltpresse beobachtet. Mit ihrer schließlich erfolgreichen Hausbesetzung wurde das Paar international bekannt und im Land zu Volkshelden. Während die Bevölkerung sie als Symbole für mutigen Widerstand sieht, rühmt sich die Stadtverwaltung mit ihrem Verhandlungswillen und ihrer Liberalität, die zu dem einvernehmlichen Ende führten.
19.9.1900
The Rat Trap and the Rose
China 2010 Wang Bang 78 min. Der Film lässt vier Charaktere denkbar verschiedener Hintergründe in Guangzhou aufeinander treffen: eine arme Chinesin aus der Provinz, einen kämpferischen Afrikaner aus dem Kongo, einen reichen französischen Geschäftsmann und eine desillusionierte Ehefrau. Die Vielschichtigkeit der multikulturellen Metropole spiegelt sich im Film in der Verwendung verschiedener Sprachen und Dialekte wider. Die heutige chinesische Gesellschaft verteilt Chancen nach Klassenzugehörigkeit, Geschlecht und Herkunft und produziert so Verlierer und neue Konflikte.
19.9.20 30
Anschließend Diskussion mit den chinesischen Gästen.
Steindamm 52/54 20099 Hamburg Telefon 040 342 353 www.metropoliskino.de
antonberta