BV 385 - Eisler-Studien, Bd. 5

Page 1

CoverBV385_Layout 1 01.09.15 10:28 Seite 1

P

EISLER-STUDIEN – BEITRÄGE ZU EINER KRITISCHEN MUSIKWISSENSCHAFT Herausgegeben von Johannes C. Gall und Peter Schweinhardt im Auftrag der Internationalen Hanns Eisler Gesellschaft

Eisler-Studien

5

Gall: Hanns Eisler Goes Hollywood

Im April 1942 zog der aus NS-Deutschland exilierte Komponist Hanns Eisler nach Los Angeles, um sein Auskommen in der Hollywood-Filmindustrie zu finden. Nach einigen Mühen wurde er schließlich mit der Musik zu Fritz Langs Antinazifilm Hangmen Also Die beauftragt, an dessen Drehbuch Bertolt Brecht entscheidenden Anteil hatte. Im Anschluss an diese Arbeit schrieb Eisler gemeinsam mit Theodor W. Adorno das Buch Komposition für den Film. Es wurde im Wesentlichen 1944 fertiggestellt, erschien aber erst 1947 in englischer Übersetzung bei der Oxford University Press. Kurz vor der Drucklegung zog Adorno seine Koautorschaft zurück, um nicht ebenfalls ins Visier des House Committee on Un-American Activities zu geraten. In der Studie werden die beiden Gegenstände – das Buch Komposition für den Film und die Filmmusik zu Hangmen Also Die – im Detail untersucht und aufeinander bezogen. Die Betrachtungen zu Adornos und Eislers Buch befassen sich mit der komplexen Textgeschichte, der Problematik der doppelten Autorschaft sowie den wesentlichen Darlegungen und Thesen nicht zuletzt im Hinblick auf den Aspekt der „Komposition für den Hollywoodfilm“. Im Fokus des Teils zur Filmmusik von Hangmen Also Die steht vor allem deren umfassende Analyse. Die Studie stützt sich auf ausgedehnte Archivrecherchen und leistet einen Beitrag nicht nur zur Erforschung von Eislers Leben und Werk, sondern auch zur Adorno- und Brecht- sowie zur allgemeinen Exilmusik- und Filmmusikforschung.

Johannes C. Gall

Hanns Eisler Goes Hollywood Das Buch Komposition für den Film und die Filmmusik zu Hangmen Also Die

Eisler-Studien

Band 5

Breitkopf & Härtel

ISBN 978-3-7651-0385-8

9 783765 103858 BV 385



ES3-Vorsatz-2008-08-29

03.09.2008

11:50 Uhr

Seite 3

Johannes C. Gall

Kompositionen für Hollywood den Film Hanns Eisler Goes Zu Theorie und Praxis von Hanns Eislers Filmmusik Das Buch Komposition für den Film und die Filmmusik zu Hangmen Also Die Herausgegeben von Peter Schweinhardt

Breitkopf & Härtel Wiesbaden · Leipzig · Paris

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 3

24.08.15 11:11


Der Abdruck der Bilder und Notenbeispiele erfolgt mit freundlicher Genehmigung der genannten Archive und Verlage. Abbildungsnachweis Titelseite: Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Hanns-Eisler-Archiv, Signaturen 10914 (Typoskript) und 966 fol. 12r (Notenautograph) ISBN 978-3-7651-0385-8 © 2015 by Breitkopf & Härtel, Wiesbaden Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Friedwalt Donner, Alonissos Satz: Kontrapunkt Satzstudio Bautzen Notensatz: Johannes C. Gall, Berlin Druck: Bräuning + Rudert OHG, Espenau Printed in Germany Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 4

24.08.15 11:11


Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     7 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    11

I. Komposition für den Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    11 1. Textgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   21 Anlass, Prämissen – Eisler und Adorno als Koautoren – Arbeit am Text und Drucklegung der englischsprachigen Erstausgabe – Publikation einer deutschen Fassung im Henschel-Verlag – »Erstdruck der Originalfassung« – Rezeption, Kommunikationsstörungen

2. Eislers Buch – Adornos Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    67 3. Darlegungen – Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    90 a. Der Film als »das charakteristischste Medium gegenwärtiger Massenkultur« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    90 b. Kulturindustrielle Filmmusik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    92 c. Unarten und schlechte Gewohnheiten von Hollywoods Filmmusik-Praxis . . . . .    95 d. Aspekte einer Filmmusik-Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 e. Eigenschaften sachgerechter Filmmusik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

II. Hangmen Also Die – Eislers erster Hollywoodfilm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Geschichtlicher Hintergrund: Das Attentat auf Heydrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Brechts Mitarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Eislers Mitarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Finanzieller Engpass – Arbeitssuche in Hollywood – Endlich Arbeit in Hollywood: Die Filmmusik zu Hangmen Also Die – Bedingungen bei Eislers erster Hollywood-Arbeit – An der kalifornischen Küste gestrandet

5

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 5

24.08.15 11:11


Inhalt

4. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Präexistente Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Song of the Hostages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Main Title; Foreword and Landscapes and Hradčín – Hitler Picture . . . . . . . . . . . . e. Heydrich Hospital; Street – till bell rings in rooming house . . . . . . . . . . . . . . . . . . f. Tension Music during Dinner (doorbell rings); Dedič Scene . . . . . . . . . . . . . . . . . . g. Bell Sequence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h. Restaurant Music No. II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i. Mass Grave; Finale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j. Andante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k. Die Filmmusik der DDR-Fernsehfassung Henker sterben auch . . . . . . . . . . . . . . . .

155 155 160 166 176 201 212 218 230 233 245 254

III. Komposition für den Hollywoodfilm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

Anhang I:  Materialien zum Filmmusikbuch von Adorno und Eisler . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Anhang II: Filmpartitur zu Hangmen Also Die . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   317

6

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 6

24.08.15 11:11


Vorwort

Zum Text Die vorliegende Arbeit ist bis auf wenige Überarbeitungen und Korrekturen mit der Dissertation identisch, die ich im Januar 2011 an der Universität Hamburg eingereicht und im Juli 2011 verteidigt habe. Aus diesem Grund datiert die von mir berücksichtigte einschlägige Literatur im Wesentlichen vor Ende 2010; von den in den letzten vier Jahren erschienenen Publikationen habe ich lediglich die beiden von Maren Köster und Jürgen Schebera herausgegebenen Briefe-Bände 1 der Hanns Eisler Gesamtausgabe (HEGA) sowie die von mir ebenfalls im Rahmen der HEGA vorgelegte Edition von Eislers Filmmusik zu The Grapes of Wrath und Hangmen Also Die 2 mit entsprechenden Nachweisen eingearbeitet. Die Anfänge meiner Arbeit gehen weit zurück. Den ersten Anstoß gab ein musikwissenschaftliches Seminar zur »Exilmusik«, das Prof. Dr. Peter Petersen im Sommersemester 1996 an der Universität Hamburg anbot. Als ich als frischgebackener Hamburger Student das Seminar erstmals besuchte, waren nahezu alle Referate bereits vergeben. Nur ein Thema stand noch zur Verfügung, es war mit der Frage umrissen: »Adorno/Eisler: Komposition für den Film. Kulturkritik oder Anti-Amerikanismus? Wie kritisch dürfen Asylanten sein?« Ich meldete mich für das Thema; es interessierte mich ohnehin. In meinem Referat versuchte ich nicht nur, Eislers und Adornos kritische Auseinandersetzung mit der US-amerikanischen Kulturindustrie zu diskutieren, sondern zeigte auch einen Ausschnitt aus dem Spielfilm Hangmen Also Die, von dem die Uni-Mediathek einen Fernsehmitschnitt als VHS-Video besaß. Daraufhin empfahl mir Peter Petersen, der Sache genauer nachzugehen, und verwies mich auf das Hanns-Eisler-Archiv im Archiv der Akademie der Künste in Berlin. So ist es in mehrfacher Hinsicht maßgeblich das Verdienst Peter Petersens, dass ich mich mit Eisler im Allgemeinen und seiner Filmmusik im Speziellen zu beschäftigen begann und später mein Dissertationsvorhaben auf diese Thematik hin ausrichtete. In die Zeit, in der ich mit Unterbrechungen den Text der vorliegenden Arbeit aufschrieb, fielen drei Fassungen der reformierten deutschen Rechtschreibregeln. So war die Schreibweise einzelner Wörter und Wendungen mehrmals zu verändern; mit ein wenig Glück dürfte das Ergebnis der Reform der Reform der Reform von 2006 ungefähr entsprechen. Bei einigen Wörter griechischen Ursprungs wie »Biographie« oder »Monographie« verwende ich indessen weiterhin ein »ph«, ebenso folge ich auch nicht der Empfehlung, »Potenzial« statt »Potential« zu schreiben. Hingegen gleiche ich Zitate aus gedruckten

1 HEGA IX/4.1–2 (Briefe 1907–1943 und 1944–1951). 2 HEGA VI/10.

7

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 7

24.08.15 11:11


Vorwort

Texten gegebenenfalls der neuen deutschen Rechtschreibung an, was sich allerdings überwiegend in der Substitution von »ß« durch »ss« nach kurzen Vokalen erschöpft. Zudem korrigiere ich bei Zitaten aus dem HEGA-Band der Gesammelten Schriften 1921–1935 nötigenfalls die Orthographie und Interpunktion gemäß den aktuellen Regeln. 3 Bei Zitaten aus unveröffentlichten Quellen (zumeist Briefen) gebe ich stets die originale Rechtschreibung wieder. Dank Die vorliegende Arbeit wurde von der Studienstiftung des deutschen Volkes durch ein Promotionsstipendium gefördert. Dies ermöglichte mir, meinen Forschungen drei Jahre lang ohne finanzielle Sorgen nachzugehen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch meinem Vertrauensdozenten Prof. Dr. Jürgen Deininger für seine Betreuung danken. Ein halbjähriger Forschungsaufenthalt führte mich im Wintersemester 2001/2002 an die University of California Los Angeles (UCLA). Es ist das Verdienst von Prof. Dr. Susan McClary vom Department of Musicology, dass ich in dieser Zeit den Status und die Privilegien eines Visiting Scholar genoss. Eine Reihe von Archiven im In- und Ausland haben meine Forschung hilfsbereit unterstützt und die entsprechenden Materialien zur Verfügung gestellt. (Im Fall der Feuchtwanger Memorial Library war diese Unterstützung durch den im Jahr 2010 gewährten »Exile Studies Grant« auch finanzieller Natur.) Namentlich gedankt sei Dr. Werner Grünzweig, dem Leiter des Musikarchivs der Akademie der Künste in Berlin, Helgard Rienäcker und Anouk Jeschke, der früheren und der heutigen Archivarin des Hanns-Eisler-Archivs, Dr. Gabriele Ewenz und Michael Schwarz, der vormaligen Leiterin und dem langjährigen Mitarbeiter des Theodor W. Adorno Archivs (Frankfurt am Main, seit 2004 auch im Archiv der Akademie der Künste, Berlin), Dr. Darwin Stapleton, dem Direktor des Rockefeller Archive Center in Sleepy Hollow, New York, Marje Schuetze-Coburn und Michaela Ullmann von der Feuchtwanger Memorial Library an der University of Southern California (USC) in Los Angeles, Ned Comstock, dem Senior Library Assistant der Cinematic Arts Library an der USC, sowie Lauren Buisson und Julie H. Graham, den Mitarbeitern der Performing Arts Special Collections an der UCLA. Auch vermochte ich dankenswerterweise das Nachlassarchiv der Stiftung Deutsche Kinemathek in Berlin, das Deutsche Literaturarchiv Marbach, das National Film and Television Archive des British Film Institute (das heutige BFI National Archive) sowie die Raymond Fogelman Library an der New School in New York zu konsultieren.

3 Das bei diesem Band angewendete Editionsprinzip, die Orthographie und Interpunktion der Hauptquelle weitgehend unangetastet zu lassen, halte ich insgesamt für unglücklich. So scheint mir zum Beispiel die originale Rechtschreibung der folgenden Passage nicht nur von geringer Aussagekraft zu sein, sondern auch ihrem Verständnis eher im Wege zu stehen: »Das merkwuerdige fuer mich war, dass Holleywood nach links geht, u. zw. das Filmproletariat und die Filmintellektuellen. Auch sie haben erkannt, dass eine Filmindustrie, die ausschliesslich an grosse Provite denkt, fuer die Entwicklung der Filmkunst hemmen[d], aber nicht voerderlich ist. Von Holleywood fuhr ich weiter nach Dettreut [lies: Detroit] und dann wieder zurueck nach New-York.« (HEGA IX/1.1, 277)

8

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 8

24.08.15 11:11


Vorwort

Prof. Dr. David Culbert vom Department of History an der Louisiana State University in Baton Rouge ist es gelungen, Eislers und Adornos Korrespondenz mit der Oxford University Press aufzutun. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mir eine Kopie dieser Korrespondenzakte für meine Forschung zur Verfügung stellte. Ebenso danke ich Prof. Wolfgang Glück, dass er mir zu seiner bemerkenswerten Wiener Eisler-Sammlung Zugang gewährte, noch bevor er sie Ende 2009 dem Hanns-Eisler-Archiv übergab. Zudem haben mich liebenswürdigerweise Dr. Maren Köster und Dr. Jürgen Schebera in ihre Eisler-Briefedition vor ihrem Erscheinen Einblick nehmen lassen. Mein Dank gilt überdies den jeweiligen Rechteinhabern für ihre großzügige Publikationserlaubnis: Das Theodor W. Adorno Archiv in Frankfurt am Main sowie die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur haben gestattet, die betreffenden unveröffentlichten Briefe und Texte Adornos zu zitieren. Der Suhrkamp Verlag hat den Nachdruck von Adornos Entwurf zum Filmmusikbuch im Anhang I genehmigt. 4 Die Publikation der betreffenden unveröffentlichten Eisler-Quellen erfolgt mit freundlicher Erlaubnis von Breitkopf & Härtel; ebenso hat Breitkopf & Härtel den Wiederabdruck von Eislers Filmpartitur zu Hangmen Also Die im Anhang II bewilligt. 5 Für die kritische Lektüre von einzelnen oder auch allen Teilen der vorliegenden Arbeit bin ich dem Lektorat von Breitkopf & Härtel, Marie Goger, Peter Deeg, Prof. Dr. Günter Mayer, Dr. Jürgen Schebera, Dr. Peter Schweinhardt, Dr. Boris Voigt und Prof. Dr. Horst Weber sehr zu Dank verpflichtet. Mit letzterem verband mich zudem ab Herbst 2010 eine überaus anregende Arbeitsgemeinschaft, indem wir zunächst bis zur Abgabe meiner Dissertation und danach auch bis zur Fertigstellung seiner großen Studie zu Eisler in Hollywood 6 an einem wöchentlichen jour fixe einander unsere Fortschritte vorstellten. Die Zweitgutachterin meiner Dissertation war Prof. Dr. Claudia Zenck. Ich bin ihr für aufschlussreiche Diskussionen sowie für zahlreiche Korrekturen und Revisionsvorschläge sehr dankbar. Wertvolle Hinweise haben mir auch Prof. Dr. Lydia Goehr, Dr. Thomas Ahrend, Dr. Oliver Dahin, Bernard Eisenschitz, Dr. Tobias Faßhauer, Prof. Dr. Thomas Phleps, Prof. Barry Salmon, Dr. Leonard Stein und Dr. Breixo Viejo gegeben. Meine Eltern haben mich mit Rat und Tat unterstützt, ebenso hat Heike Schmidt über lange Jahre unerschütterlich zu mir gestanden. Schließlich und mit Nachdruck gilt mein Dank Prof. Dr. Peter Petersen für seine maßgeblichen Impulse, seine beharrliche Unterstützung meiner Forschung sowie seine geduldige Betreuung dieser Arbeit.

4 Erstmalige Publikation des Entwurfs in KfdF 147–154. 5 Erstmalige Publikation in HEGA VI/10, 43–82. 6 Horst Weber: »I am not a hero, I am a composer«. Hanns Eisler in Hollywood, Hildesheim: Georg Olms Verlag 2012.

9

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 9

24.08.15 11:11


BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 10

24.08.15 11:11


Einleitung

Hanns Eisler begab sich dreimal in seinem Leben nach Hollywood – zunächst für wenige Tage, dann für einen Monat und zuletzt für sechs Jahre. In allen drei Fällen befand er sich im Exil; die NS-Machtübernahme hatte ihn aufgrund seiner politischen Haltung und Aktivität, seiner jüdischen Herkunft 1 sowie als Schüler Arnold Schönbergs und damit Exponenten einer als »entartet« diffamierten Kunstrichtung zur Flucht aus dem Deutschen Reich gezwungen.2 Eislers erste Begegnung mit der Filmkapitale fand unter für ihn vergleichsweise vorteilhaften Umständen statt. Eine knapp dreimonatige Benefiz-Tournee quer durch die USA , die vom Londoner »Relief Committee for the Victims of Fascism« und auf amerikanischer Seite von einem eigens ins Leben gerufenen »Hanns Eisler Tour Committee« zugunsten der Kinder der Saarflüchtlinge ausgerichtet worden war, hatte ihn am 21. März 1935 nach Los Angeles geführt. Tags darauf hielt er wie schon in anderen amerikanischen Metropolen zuvor eine flammende Rede, in der er zur internationalen Solidarität im Kampf gegen den Faschismus aufrief;3 anschließend wurden Beispiele seiner ›agitatorisch-propagandistischen‹ 4 musikalischen Arbeit aufgeführt. Zugleich nutzte er seinen Aufenthalt, um sich in den Einrichtungen von Metro-Goldwyn-Mayer umzusehen und etwas über die Produktionsmethoden des Hollywooder Studiosystems zu erfahren. Seine Eindrücke von der Filmstadt – jenem »Traum jedes Spießbürgers« 5 vom »Charakter eines kleinen Provinznestes«,6 das »tatsächlich wie eine nicht abgebrochene Filmdekoration« 7 aussehe – schilderte er wenig später in zwei Rundfunkvorträgen (Musikalische Reise durch Amerika 8 und Eine amerikanische Reise 9 ) sowie in dem Zeitungsartikel Hollywood – von links gesehen.10 Dabei vermochte er noch die Haltung des interessierten Außenstehenden und scharfblickenden Beobachters einzunehmen, der seine Erfahrungen zum Anlass »einer Überprüfung [...] [seiner] Denkmethode« 11 nimmt. War er von dem hohen Maß an Organisation und technischem Fortschritt durchaus angetan, so bedauerte er die in den Musikabteilungen 1 Wegen seines jüdischen Vaters galt Eisler in der Nazi-Terminologie als »Halbjude«, so etwa nachzulesen im Lexikon der Juden in der Musik. 2 Vgl. Petersen 2000, 287: »Eisler war als Jude, Kommunist und Dodekaphonist von den Nazis dreifach bedroht.« 3 Vgl. den Wortlaut der Rede in HEGA IX/1.1, 238–240. 4 Vgl. ebd., 240. 5 Ebd., 270 (Hollywood – von links gesehen). 6 Ebd., 271. 7 Ebd., 263 (Musikalische Reise durch Amerika). 8 Ebd., 255–266. 9 Ebd., 274–277. 10 Ebd., 270–274. 11 Ebd., 255 (Musikalische Reise durch Amerika).

11

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 11

24.08.15 11:11


Einleitung

der Produktionsgesellschaften angestellten Komponisten, die als genau spezifizierter Teil einer fließbandartigen Tonspurproduktion stets denselben ihnen zugeordneten Musiktyp zu liefern hatten: Dazu kommt noch, dass das Niveau der meisten dieser Filme nicht nur, was den Inhalt, sondern auch die Musik anbelangt, ein entsetzlich tiefes ist. Denn obwohl der Film ein großartiges Unterhaltungsund Erziehungsmittel für die moderne Gesellschaft sein könnte, so ist er doch in den Händen einer Privatindustrie, die ausschließlich Filme herstellt, um Profite zu machen, ein Verblödungs- und Verdummungsmittel für die breiten Massen.12

Unter deutlich veränderten Bedingungen fand dagegen Eislers zweite Begegnung mit Hollywood statt. Der Komponist war nun nicht mehr nur besuchsweise in den USA, sondern hatte vor der NS-Verfolgung in New York dauerhaft Zuflucht genommen,13 wo er eine Professur an der New School for Social Research – damals einem Hafen für Exilanten verschiedenster Couleur, darunter auch etliche Musiker 14 – wahrnahm. Und: von der Rockefeller Foundation hatte er die Mittel für ein zweijähriges Projekt erhalten, um die Bedingungen und Möglichkeiten der Musik im Film systematisch zu untersuchen. Nicht zuletzt ging es um Alternativen zu der in Hollywood etablierten Praxis, die sich auf die spätromantische Sinfonik à la Gustav Mahler und Richard Strauss sowie auf gewisse Verfahrensweisen und Stilelemente des Wagner’schen Musikdramas berief: What has brought about this research project is the question raised in recent years by musicians everywhere – is it really necessary to continue the current Hollywood practice of re-hashing “original” scores with crumbs picked from the tables of Tchaikowsky [!], Debussy, Ravel, Richard Strauss and Stravinsky? Is a new musical material possible? May it not even be more useful and effective? 15

Solchen Fragen ging Eisler zunächst weniger in abstrakter theoretischer Form als anhand von konkreten praktischen Experimenten nach: Zu ausgewähltem Material komponierte er innovative Musik, die er einspielen und nach entsprechenden Schnitt- und Mischungsmaßnahmen auf der Tonspur von Demonstrationsfilmen fixieren ließ. Für diesen Gegenentwurf zum Usus der Hollywood-Industrie war er indessen paradoxerweise auch auf ihre Kooperation angewiesen, benötigte er doch das entsprechende Material von aktuellen oder abgeschlossenen (möglichst hochqualitativen) Produktionen. So entschloss sich Eisler, im August 1940 – ein halbes Jahr nach dem Beginn des Filmmusik-Projekts – mit seiner Frau Louise und seinem Assistenten Harry Robin im eigenen Auto nach Hollywood zu reisen, um bei den jeweiligen Personen, Institutionen und Unternehmen vorstellig zu werden und ihre Mithilfe zu erwirken. In einem umsichtigen Zeitungsinterview versuchte er sein Vorhaben zu erläutern, ohne sich die Riege der alteingesessenen HollywoodFilmkomponisten vorab zu Feinden zu machen: 12 Ebd., 264. 13 Allerdings fehlte Eisler immer noch ein Einwanderungsvisum (immigration visa) und damit die rechtliche Voraussetzung für ein solches dauerhaftes Asyl in den USA (siehe dazu Kapitel II.3, S. 123ff.). 14 Vgl. Grünzweig 1993, insbesondere 299–303. 15 Eisler 1941, 251.

12

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 12

24.08.15 11:11


Einleitung Hollywood has produced a number of notable scores of background music. It would be foolish and tactless for me to come here and endeavor to tell artists such as Korngold, Steiner, Hageman, Newman and, a dozen more, what kind of music to write and how to do it [...]. Hollywood, however, has not given enough time and not enough opportunity to its composers to depart from the musical conventions of the film. Naturally, I can well see the reasons for this. Hollywood thinks in terms of investments. The attitude is that what proved successful yesterday should prove welcome also tomorrow. That, of course, is apt to be a fallacy, because public taste and public receptiveness does not stand still, and what was emotionally sufficient yesterday, may sound threadbare tomorrow. [...] If one were to make a criticism of Hollywood methods, then it is that time and money are spent on the solution of technical problems pertaining to photography and sound generally, but that not enough time and money are set aside to experiment with music along technical and expressional lines.16

Zugleich scheint Eislers zweiter Aufenthalt in der Filmstadt dem geheimen Zweck gedient zu haben, die Möglichkeiten für eine Beschäftigung als Hollywood-Filmkomponist zu sondieren sowie gegebenenfalls einen ersten Auftrag an Land zu ziehen. Das dramatische Ende von Eislers Kampf um seinen Einwanderungsstatus, der ihn einen Monat lang in den mexikanischen Grenzort Mexicali verbannte und danach zur sofortigen Rückkehr nach New York zwang, machte derartige Ambitionen jedoch vorerst zunichte.17 Erst zwei Jahre später unternahm Eisler – noch während der verbleibenden, um ein Dreivierteljahr verlängerten Laufzeit des Filmmusik-Projekts – einen erneuten Anlauf auf die Hollywooder Filmindustrie und reiste im April 1942 ein drittes Mal nach Los Angeles. Seine achtmonatige Arbeitssuche war zuletzt von Erfolg gekrönt, wenn auch die bloßen biographischen Fakten leicht über die Mühen und Frustrationen des Unternehmens hinwegtäuschen: Er wurde mit der Komposition der Musik zu dem Fritz-Lang-Film Hangmen Also Die (Arnold Productions, Inc. für United Artists 1943) betraut und etablierte sich in der Folge als freischaffender Hollywood-Komponist. Bis zu seiner vom House Committee on Un-American Activities (HUAC) erzwungenen Ausreise am 26. März 1948 blieb er in der Metropolregion von Los Angeles ansässig. Der Fokus der vorliegenden Studie liegt auf ebendieser Phase in der Biographie und künstlerischen Entwicklung Eislers, in der er sich ein drittes Mal Hollywood zuwandte – nun, um dort seinen Lebensunterhalt zu verdienen und sich so dem Komponistenkreis zuzugesellen, dessen stark eingeschränkte Möglichkeiten er noch 1935 und 1940 herausgestellt hatte. Es zeugt von seinen damaligen Zwängen, dass Eisler sich trotz alledem auf Gedeih und Verderb der Hollywood-Industrie feilbot. Unter den sich verschärfenden Bedingungen seines Exils erblickte er nach dem Ende seiner Lehr- und Forschungstätigkeit für die New School for Social Research in einer erneuten Hochschulanstellung und/oder seiner Arbeit für den Hollywoodfilm die einzige Möglichkeit, seiner Profession entsprechend in den USA durchzukommen. Da sich die Aussichten auf einen Ruf an eine Universität, ein

16 Bruno David Ussher, »Speaking of Music. Mr. Eisler Looks at Hollywood«, Pasadena Star-News, 21. September 1940, S. 11. 17 Siehe Kapitel II.3, S. 126f.

13

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 13

24.08.15 11:11


Einleitung

College oder ein Konservatorium zerschlugen beziehungsweise in unabsehbare Ferne rückten,18 hatte Eisler kaum eine andere Wahl als nach Hollywood zu gehen – jedenfalls wenn er die Mitgestaltung seiner Zukunft nicht gänzlich aus der Hand geben wollte. Die vorliegende Studie leistet somit unter anderem auch einen Beitrag zur musikwissenschaftlichen Exilforschung,19 indem sie Eislers produktive Auseinandersetzung mit der Filmindustrie seines Exillandes in ihren Voraussetzungen und Resultaten untersucht. Ihren Niederschlag fand diese Auseinandersetzung in der anfänglichen ungefähr zweijährigen Phase, in der sich der Komponist unter den veränderten Bedingungen neu orientierte und die daher dem Prozess des Nach-Hollywood-Gehens im weiteren Sinn zugerechnet werden kann, außer in der erwähnten ersten Hollywood-Arbeit – der Filmmusik zu Hangmen Also Die – insbesondere auch in dem Buch Komposition für den Film, dessen deutschsprachiges Manuskript er gemeinsam mit Theodor W. Adorno im Wesentlichen bis zum 1. September 1944 fertigstellte und das die Oxford University in englischer Übersetzung und unter dem Titel Composing for the Films im August 1947 herausbrachte. Beide Arbeiten sind aufeinander bezogen und können zur wechselseitigen Erläuterung dienen: Nicht nur sind Eislers Erfahrungen bei der Produktion von Hangmen Also Die in den Text von Komposition für den Film eingeflossen; auch wird darin auf die Musik des Antinazifilms fünfmal ausdrücklich Bezug genommen 20 (zwei dieser fünf Referenzen sind allerdings erst in der 1949 im Henschel-Verlag publizierten deutschen Erstausgabe von Komposition für den Film durch nachträglich einfügte Fußnotenhinweise ausgewiesen),21 um die möglichen Ansätze zu einer innovativen Filmmusikpraxis am Modell zu exemplifizieren. Zudem erscheint, wie noch zu zeigen sein wird, eine sechste, nicht explizite Bezugnahme sehr wahrscheinlich.22 Dem Buch Komposition für den Film hat bereits eine große Zahl an interdisziplinären wissenschaftlichen Untersuchungen von einer bemerkenswerten interpretativen Bandbreite gegolten; 23 eine umfassende Darstellung der komplexen Textgeschichte – eines

18 Siehe Kapitel II.3, S. 125f. 19 Zur Exilmusikforschung im Allgemeinen sei auf die Einleitung der wegweisenden Krenek-Studie von Claudia Maurer Zenck (Maurer Zenck 1980, 11–42), ferner auf die erste überblicksartige Darstellung des Gegenstands mit dem Buch Musik im Exil (Heister / Mauer Zenck / Petersen 1993, hier insbesondere die Einleitung, 13–25) sowie auf Peter Petersens programmatische Aufsätze Petersen 1999 und Petersen 2000 verwiesen. Einen empfehlenswerten Überblick über Eislers Exil und Exilschaffen geben Phleps 1988, 28–50, und Phleps 1993, wenn auch einige Details dem aktuellen Stand der Eisler-Forschung anzugleichen sind. Hingegen liefert Schebera 1978 vornehmlich eine inzwischen zu großen Teilen überholte musikbiographische Darstellung von Eislers USA-Exil und unterlässt es, mit genaueren Analysen »am konkreten Einzelwerk die Konsequenzen der Exilproduktion aufzuzeigen« (Phleps 1988, 26). »Exil« – so bereits Maurer Zenck – gilt ihm »demnach mehr als Orts- bzw. Zeitangabe [...]; kaum aber sind darin die Implikationen einbegriffen, mit denen der Begriff [...] besetzt ist.« (Maurer Zenck 1980, 34) 20 KfdF 29; KfdF 32; KfdF 39; KfdF 92 (zweimal). 21 Eisler 1949, 104 (= KfdF 92); Eisler 1949, 104f. (= KfdF 92). 22 Vgl. KfdF 17. 23 Lück 1969; Stern 1975; Klemm 1977; Mayer 1978b; de la Motte-Haber/Emons 1980, 23–31; Rosen 1980; Kuntze 1981, 30–38; Levin 1984; Gorbman 1987, 99–109; Behrens 1998; Hufner 1998; Betz 1999; Guido 2000; Leppert 2002, 365–371; Parkes 2003; Gall 2006, 155–171; Jeneman 2007, 105–115; Culbert 2008; Goehr 2008, 204–256; Salmon 2008; Bick 2010b.

14

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 14

24.08.15 11:11


Einleitung

Schlüssels für ein tiefergreifendes Verständnis der Filmmusik-Monographie –, der Problematik der doppelten Autorschaft sowie der wesentlichen Darlegungen und Thesen des Buches nicht zuletzt im Hinblick auf den Aspekt der »Komposition für den Hollywoodfilm« ist jedoch ein Desiderat geblieben. Eine solche Darstellung wird im ersten Teil der vorliegenden Studie unternommen, sie stützt sich dabei auf eine Reihe von bislang wenig oder nicht bekannten Materialien. Dazu gehören die erstaunlich umfangreiche Korrespondenz Eislers und Adornos mit der Oxford University Press 24 und das mit handschriftlichen Korrekturen Adornos versehene Schreibmaschinenoriginal des Manuskripts von Komposition für den Film.25 Weitere Materialien sind im Anhang I dieser Arbeit zum überwiegenden Teil (bis auf Adornos Entwurf zum Filmmusikbuch) 26 erstmals publiziert. Auch der Spielfilm Hangmen Also Die ist bereits unter vielfältigen Blickwinkeln wissenschaftlich untersucht worden. Dies liegt vor allem in den (aus heutiger Sicht) namhaften Personen, die sich damals an der Produktion beteiligten, sowie im Sujet und Charakter des Hollywoodfilms begründet: Er entstand im Zeitraum zwischen Juni 1942 und März 1943 unter der Regie von Fritz Lang sowie nach einer Originalgeschichte (Original Story) und einem Drehbuch, an denen jeweils Bertolt Brecht mitarbeitete. Den Ausgangspunkt bildete ein wichtiges Ereignis im Widerstand gegen den NS-Faschismus – das Attentat auf den »Stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren« Reinhard Heydrich. So steht der Spielfilm Hangmen Also Die im Schnittpunkt diverser wissenschaftlicher Kontexte: –  Er gehört zur filmwissenschaftlichen und biographischen Forschung, die sich mit Fritz Lang befasst.27 –  Außerdem wird er in der entsprechenden Literatur unter dem Aspekt des Genres berücksichtigt, dem er zuzurechnen ist und innerhalb dessen er zugleich einen Sonderfall darstellt: Nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg begann in Hollywood eine regelrechte Serienproduktion von »Antinazifilmen«, in denen den Machthabern und Schergen Hitler-Deutschlands das Rollenfach der Bösewichte zukam. Von der USamerikanischen Regierung wurde diese Antinazifilm-Produktion als Propaganda für die militärischen Maßnahmen der Alliierten nicht nur gutgeheißen, sondern auch angeregt und gefördert. Allein zum Heydrich-Attentat entstanden parallel zu Hangmen Also Die zwei weitere Spielfilme – Hitler’s Madman (Douglas Sirk 1943) und Hostages (Frank Tuttle 1943). Im Vergleich mit diesen beiden Filmen wie auch der Überzahl der vielen anderen Antinaziproduktionen, die vom Fließband der Hollywooder Filmindustrie liefen, ragt Hangmen Also Die hinsichtlich seiner Qualität jedoch deutlich hervor.28 24 OUPA fol. 1–99. 25 HEA 10914. 26 Dieser Entwurf ist bereits der vom Verfasser besorgten Suhrkamp-Sonderausgabe von Komposition für den Film beigegeben (KfdF 147–154). 27 Bogdanovich 1967, 60–62; Eisner 1976, 221–238; Töteberg 1985, 96–106; Schnauber 1986, 118–134; McGilligan 1997, 287–305; Schütze 2006, 117–185. 28 Vgl. Horak 1984, insbesondere 321–328.

15

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 15

24.08.15 11:11


Einleitung

–  Nicht zuletzt verdankt sich dies dem Anteil Bertolt Brechts. Seine Mitarbeit am Drehbuch hat wesentlich dazu beigetragen, dass der Spielfilm ins wissenschaftliche Rampenlicht geraten ist.29 Dabei sind in der Folge von Irène Bonnauds Forschung vor einigen Jahren neue Bereiche ausgeleuchtet sowie die von Brecht und Lang verfassten Filmentwürfe publiziert worden.30 –  Schließlich ist Hangmen auch für die fachübergreifende Exilforschung von besonderem Interesse: Nicht nur haben an der Filmproduktion Lang als Regisseur, Brecht als Drehbuchautor und Eisler als Filmkomponist mitgewirkt, sondern überhaupt eine für den Hollywoodfilm ungewöhnlich hohe Zahl deutschsprachiger Exilanten. So ist der Produzent von Hangmen, Arnold Pressburger, wie dessen Nachname bereits nahelegt, ebenso gebürtiger Österreicher (geboren 1885 in Pressburg, heute Bratislava/Slowakei) wie Artur Guttmann (geboren 1891 in Wien), der die Einspielung der Filmmusik dirigierte. Und die tragenden Rollen der Nazideutschen wurden ausschließlich mit exilierten Schauspielern besetzt, die im Film entweder ihre deutsche Muttersprache oder mit deutschem Akzent englisch sprechen, – mit Alexander Granach, Tonio Selwart, Hans Heinrich von Twardowsky, Reinhold Schünzel, Louis Donath und Arno Frey sowie mit Lutz Altschul, Poldi Dur, Fred Essler, Hans Fuerberg, Victor Kendall, Kurt Kreuger, Rolf Lindau, Kurt Neumann, Fritz Nuernberger, Peter Michael, Hans von Morhart, Lore Mosheim, Otto Reichow, Hans Schumm und Walter Thiele in kleineren, nicht im Vorspann genannten Rollen. Als Vertreter der am laufenden Band produzierten US-amerikanischen Antinazifilme zählt Hangmen damit zugleich zu einem »der wenigen Versuche deutscher Emigranten, im Ausland Filme gegen das Hitler-Regime zu drehen«. 31 Dieser Versuch zeichnet nicht zuletzt ein facettenreiches Bild von der zum Teil eng vernetzten Tätigkeit deutschsprachiger Exilanten in Hollywood. 32 Eine Untersuchung der Filmmusik zu Hangmen Also Die, die auf die im Hanns-Eisler-Archiv überlieferten Autographe rekurriert, ist ebenfalls vereinzelt und zu Teilen bereits erfolgt, unter anderem auch in einem präliminaren Aufsatz vom Verfasser der vorliegenden Studie. 33 Jürgen Schebera räumt in seinem Buch über Hanns Eisler im USA-Exil dem Gegenstand eine gute Seite ein, 34 um zu »zeigen, wie Eislers kompositorisches Schaffen in den USA an Weite und Vielfalt gewann, dabei unverändert in seinem gesellschaftlichen Anspruch blieb«. 35 Allerdings sind Scheberas Ausführungen, wo sie nicht nur die Darstellungen von Komposition für den Film paraphrasieren, vielfach von Irrtümern und Fehlschlüssen gekennzeichnet, die sich auch in die Folgepublikationen des Wissenschaftlers

29 Gersch 1975, 200–217; Völker 1976, 325f.; Lyon 1984, 90–108; Teuchert 1980; Schebera 1985, 210–233; Mittenzwei 1989, Bd. 2, 39–47; Schnauber 1991; Bonnaud 1999; Bonnaud 2001; Lyon 2002; Lyon 2003; Mews 2003; Bonnaud 2004; Lyon 2004; Lyon 2005; Wallace 2005. 30 Brecht/Lang 2003; Brecht/Lang 2005. 31 Krusche 2008, 307. 32 Vgl. Taylor 1984, 239–246; Bahr 2007, 129–147. 33 Gall 1998. 34 Schebera 1978, 136f. 35 Ebd., 137.

16

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 16

24.08.15 11:11


Einleitung

forttragen. 36 Sally Bick stellt in ihrer Doktorarbeit über Composers on the Cultural Front Aaron Coplands und Eislers Auseinandersetzung mit der Hollywood-Filmindustrie einander gegenüber und bespricht in diesem Zusammenhang ausgewählte Teile der Musik zu Hangmen Also Die. 37 Ihre Forschungsergebnisse unterbreitet sie im Folgenden in zwei Aufsätzen,38 von denen der erste die fragwürdige These vertritt, Eisler habe bei der Komposition der DDR-Nationalhymne auf einen Abschnitt aus seiner Filmmusik zu Hangmen zurückgegriffen, 39 während der zweite Aufsatz zwar durchaus auch richtige Thesen und Beobachtungen enthält, bei der musikalischen Analyse jedoch gravierende handwerkliche Mängel aufweist. Insgesamt dürften Bicks Arbeiten mehr zur Verdunklung als zur Erhellung beigetragen haben. Zweifellos hat einer gründlicheren Analyse, wie sie im zweiten Teil der vorliegenden Studie erfolgt, eine in der einschlägigen Literatur (selbst bei Schebera und Bick) hartnäckig persistierende Fehlannahme im Weg gestanden, nämlich dass sich »die Partitur der Filmmusik nicht erhalten« 40 habe beziehungsweise nur fragmentarisch überliefert sei. In Wahrheit existieren im Hanns-Eisler-Archiv zu allen Szenen und Sequenzen, bei denen in Hangmen Also Die eine von Eisler komponierte Musik erklingt, entsprechende Partiturautographe, zudem eine Reihe von Skizzen, Particellen und Partiturentwürfen sowie eine weitere autographe Partitur, 41 deren Musik bei der Tonspurproduktion zuletzt nicht verwendet wurde. 42 Charakteristische, von fremder Hand vorgenommene Eintragungen und Markierungen belegen, dass die betreffenden Partiturautographe sowohl einem Kopisten als Vorlage für den Stimmenauszug dienten als auch von Artur Guttmann bei seiner musikalischen Leitung der Einspielung verwendet wurden. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die im Hanns-Eisler-Archiv aufbewahrten Notenautographe zu Hangmen Also Die: Tabelle 1: Notenautographe zu Hangmen Also Die im Hanns-Eisler-Archiv Archivsignatur

Quellenart:  Autographer Titel

HEA 68 fol. 1r–5r

Partitur:  Main Titel

HEA 964 fol. 71r–72v

Partitur:  Forword and Landscapes | and Hradřin – Hitler picture

HEA 78 fol. 1r

Partitur:  Heydrich Hospital

HEA 78 fol. 1v–2r

Partitur:  Street – till bell rings in Rooming house

HEA 68 fol. 16r

Partitur:  Tension Music during Diner (Doorbell rings)

36 Vgl. Schebera 1982, 23f.; Schebera 1997, 48f. 37 Bick 2001, 321–365. 38 Bick 2003; Bick 2010a. 39 Siehe dazu Kapitel II.4.g, S. 226–230. 40 Dümling 1985, 509; vgl. auch Schebera 1978, 136; Lucchesi/Shull 1988, 799; Bick 2001, 318; Bick 2003, 73; Bick 2010a, 137. 41 Siehe Kapitel II.4.j. 42 Obendrein verweisen die Findmittel des Hanns-Eisler-Archivs auf drei Partiturautographe, die in Wahrheit Eislers alternativer Filmmusik zu Sequenzen aus The Grapes of Wrath zugehören (vgl. Gall 2002, 63).

17

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 17

24.08.15 11:11


Einleitung HEA 68 fol. 13r–14r

Partitur:  Dedič Scene

HEA 966 fol. 11r–12v

Partitur:  Bellsequenze

HEA 964 fol. 55r–56v

Partitur:  Restaurant-Music Nro II

HEA 832 fol. 3r

Partitur:  Song of the Hostages

HEA 68 fol. 15r–15v

Partitur:  Mass Grave

HEA 99 fol. 1r–8r

Partitur:  Finale

HEA 68 fol. 9r–11v

Partitur:  Andante

HEA 10 fol. 1v HEA 832 fol. 1r–2v, 3v–5v, 6v, 10r HEA 859 fol. 1r–2v, 3v–4r, 6r, 7r–8r, 9r–10r

Skizzen, Particelle und Partiturentwürfe

Die Analyse im zweiten Teil der vorliegenden Studie stützt sich auf dieses Archivmaterial, dabei werden die von Eisler angegebenen Titelbezeichnungen in korrigierter Orthographie verwendet. Zudem sind im Anhang II sämtliche in Tabelle 1 verzeichneten Partituren (mit Ausnahme des Song of the Hostages, siehe Kapitel II.4.c) in gesetzter Form wiedergegeben. Zu diesem Zweck hat der Verfasser auf seine Stichvorlagen für die von ihm besorgte Filmmusik-Edition 43 im Rahmen der Hanns Eisler Gesamtausgabe zurückgegriffen. Eine weitere Schwierigkeit bei der Untersuchung der Filmpartitur zu Hangmen Also Die resultiert aus dem Umstand, dass der Antinazistreifen für den Verleih zuletzt um zwei Szenen mitsamt der entsprechenden Musik Eislers (Mass Grave) gekürzt wurde. So sind auf der DVD-Fassung, die die US-amerikanische Firma Kino on Video im Jahr 2000 auf den Markt brachte, 44 die fraglichen Szenen nicht enthalten. Auf der Suche nach einer vollständigen Filmkopie wurde der Verfasser schließlich im National Film and Television Archive des British Film Institute (beziehungsweise im BFI National Archive, wie es inzwischen genannt wird) in London fündig. Diese Kopie ist seit 2006 in einer von der Dortmunder Firma e-m-s herausgebrachten »Collector’s Edition« von »Fritz Langs Auch Henker sterben – Hangmen Also Die« auch im DVD-Format erhältlich. Als Standard voreingestellt bietet die DVD außerdem die deutsche Tonspur der 1984 produzierten DDRFernsehfassung Henker sterben auch, die indessen an einigen Stellen mit der originalen Tonspur aufgefüllt ist und so zu einer merkwürdigen Hybridform mutiert. 45 Zu berücksichtigen ist auch die gut vierprozentige PAL-Beschleunigung 46 der DVD und die damit einhergehende Laufzeitverkürzung sowie Erhöhung des Soundtracks um einen knappen Halbton.

43 HEGA VI/10. 44 Laut den Angaben auf der Hülle ist die DVD »digitally mastered from a 35mm print newly struck from the original (but slightly damaged) nitrate negative«. 45 Vgl. Gall 2007. 46 Die PAL-Beschleunigung resultiert aus der 1:1-Konvertierung von Lichtton (24 Bilder pro Sekunde) zu PAL (25 Bilder pro Sekunde).

18

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 18

24.08.15 11:11


Einleitung

Nach der Analyse im zweiten Teil der vorliegenden Studie wird im abschließenden Kapitel Eislers Filmmusik zu Hangmen Also Die noch einmal speziell unter dem Gesichtspunkt der »Komposition für den Hollywoodfilm« hinterfragt. Die Ausführungen zielen auf eine thesenhafte Zuspitzung der erreichten Ergebnisse. Dabei wird auch der Bogen zum ersten Teil dieser Studie geschlossen.

19

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 19

24.08.15 11:11


Komposition für den Film

3. Darlegungen – Thesen Nicht zuletzt um ein tragfähiges Fundament für die Untersuchung der Filmmusik zu Hangmen Also Die im zweiten Teil der vorliegenden Studie zu errichten, sollen im Folgenden die Darlegungen und Thesen von Eislers und Adornos Buch unter dem speziellen Blickwinkel der »Komposition für den Hollywoodfilm« näher beleuchtet und zusammengefasst werden. Hierbei sind gewisse Doppelungen zu den Betrachtungen der beiden vorstehenden Kapitel nicht immer zu vermeiden. Zunächst wird auf Eislers und Adornos Kritik derjenigen Abläufe einzugehen sein, die für die Hollywood-Industrie typisch sind. Dies betrifft die Ausführungen zur Funktion des Films in der kapitalistischen Gesellschaft und zu der Rolle, die die Musik dabei spielt, sowie zu der damals gängigen Praxis der Komposition von Filmmusik (und der Filmproduktion überhaupt). Anschließend sollen die ästhetischen Ideen, die sich in dem Buch in Bezug auf Filmmusik finden lassen, skizziert werden, um zuletzt herauszuarbeiten, welche Eigenschaften sachgerechte Filmmusik Eisler und Adorno zufolge aufweisen muss. a. Der Film als »das charakteristischste Medium gegenwärtiger Massenkultur« Die Einleitung zu Komposition für den Film beginnt mit einem Paukenschlag: Der Film kann nicht isoliert, als eine Kunstform eigener Art, sondern muss als das charakteristischste Medium der gegenwärtigen Massenkultur verstanden werden, die sich der Techniken der mechanischen Reproduktion bedient. Massenkultur ist dabei nicht als eine ursprünglich von den Massen aufsteigende Kunst aufzufassen. Eine solche Kunst gibt es nicht mehr und noch nicht. [...] Im spätindustriellen Zeitalter bleibt den Massen nichts als der Zwang, sich zu zerstreuen und zu erholen, als ein Teil der Notwendigkeit, die Arbeitskraft wiederherzustellen, die sie in dem entfremdeten Arbeitsprozess verausgabten.1

Der Zwang zur Freizeitunterhaltung ruft als deren Lieferanten die Kultur‑ und speziell Filmindustrie auf den Plan, die auf die Bedürfnisse reagiert und sie befriedigt, sie aber zugleich entsprechend dem eigenen wirtschaftlichen Interesse weckt, das heißt produziert und reproduziert. In der Dialektik der Aufklärung konstatieren Adorno und Horkheimer einen »Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis, in dem die Einheit des Systems immer dichter zusammenschießt«.2 Eine Demokratisierung durch den Film erweist sich somit als scheinhaft. Nicht etwa dient das Medium dazu, die Sache der Massen zu vertreten und ihnen ein Sprachrohr zu verleihen. Vielmehr trägt es dazu bei, den Herrschaftsbereich industrieller Organisation zu erweitern und die menschlichen Massen als Bestandteile des Systems zu funktionalisieren und zu kontrollieren – nicht nur als Arbeiter

1 KfdF 9. 2 AGS 3, 142.

90

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 90

24.08.15 11:11


Darlegungen – Thesen

und Angestellte, sondern auch als Konsumenten und Kunden, selbst da, wo der Rückzug ins Private und die individuelle Wahl offenzustehen scheinen: »Manipulierte Kunst ist Konsumentenkunst«. 3 Industriell organisierte und vor allem monopolistisch erfasste Massenkultur ist standardisiert. Die Produktion – so Eisler und Adorno – »ist vorweg in administrative Felder aufgeteilt, und was durch die Maschinerie läuft, trägt ihre Spur, vorverdaut, neutralisiert, nivelliert«.4 In der Ausrichtung auf den Konsum werden die Unterschiede eingeschmolzen. Jegliche Form von Kunst – ernst oder leicht, niedrig oder hoch, autonom oder unterhaltend – wird zum bloßen, prinzipiell gleichwertigen »Mittel, Freizeit auszufüllen«. 5 Solche Verschmelzungstendenzen sind Eisler und Adorno zufolge gerade für den kulturindustriellen Film besonders typisch. Nicht nur werden qualitative Differenzen innerhalb seiner Elemente amalgamiert, er selbst zeigt sich als »Addition von Drama, psychologischem Roman, Kolportage, Operette, Sinfoniekonzert, Revue« 6 – dabei ganz auf der Linie »gewisser gesellschaftlicher Tendenzen zur Amalgamierung der zu Waren gewordenen traditionellen Kulturgüter; wie sie sich etwa schon im Wagnerschen Gesamtkunstwerk, im Reinhardtschen neuromantischen Ausstellungstheater, in Lisztschen und Strauss’schen symphonischen Dichtungen aufzeigen ließe«. 7 Allerdings heben die Autoren von Komposition für den Film hervor, dass solche kritische Einsicht weder beabsichtige, abstrakt die Filmtechnik und die Technifizierung ihrer artifiziellen Elemente zu diffamieren, noch die Vergangenheit zu glorifizieren. Im Gegenteil, die technische Apparatur biete für zukünftige Kunst unabsehbare Möglichkeiten. Noch im schlechtesten Film – meinen Eisler und Adorno – »sind Augenblicke, wo diese Möglichkeiten sichtbar aufblitzen«.8 Damit lasse der gegenwärtige Film die Verschränkung zweier gegensätzlicher Momente erkennen – das »der ästhetischen Potentialitäten der Massenkunst in einer freien Gesellschaft und [das] ihres ideologischen Charakters in der gegenwärtigen«. 9 Über die »ästhetischen Potentialitäten« des Filmmediums, von denen es in Komposition für den Film lediglich vage heißt, sie seien »unabsehbar«,10 schreibt Walter Benjamin in seinem berühmtem Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Benjamin sieht gerade in der Destruktivität des Films – darin, dass er veranlasst, die tradierten ästhetischen Begriffe beiseitezusetzen – das zeitgemäße und progressive Moment des Mediums. Dieses übernehme anstelle der prekären L’art-pour-l’artHaltung avantgardistischer Kunst soziale Funktion; 11 es übe den Menschen in den »neuen

3 KfdF 10. 4 KfdF 9. 5 Ebd. 6 KfdF 10. 7 Ebd. 8 Ebd. 9 Ebd. 10 Ebd. 11 Benjamin 1978, 441f.

91

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 91

24.08.15 11:11


Komposition für den Film

Apperzeptionen und Reaktionen«,12 die eine zunehmend dominanter und komplexer gewordene technische Apparatur einfordere; zugleich dringe bei der technischen Prozedur der Filmaufnahme diese Apparatur derart tief in die Realität ein, dass sie deren reine, vom Fremdkörper der Apparatur freie Seite erreiche – jenen Aspekt des Wirklichen, den der zeitgenössische Mensch von der Kunst einzufordern berechtigt sei.13 Der Film vermöge »das Gleichgewicht zwischen dem Menschen und der Apparatur« 14 herzustellen, dies sei sogar seine wichtigste gesellschaftliche Funktion. In Komposition für den Film werden zwar Benjamins Terminologie und Argumentation aufgegriffen – so mit den Begriffen der »Aura«,15 des »Hier und Jetzt«,16 der »Montage« 17 und der »Chockwirkung« 18 der ständigen Bilderfolge oder etwa auch bei der Feststellung, unmittelbare Übereinstimmungen zwischen den Medien Film und Musik ließen sich allenfalls in mit technischer Reproduktion unvereinbaren auratischen Bereichen suchen.19 Dennoch dürfen die angedeuteten Thesen, die sich zum Potential des emanzipierten Films in Benjamins Essay finden, nicht ohne Weiteres unter die Ausführungen von Komposition für den Film subsumiert werden. Ist nämlich die Quintessenz der von Benjamin entwickelten Begriffe und Thesen die revolutionäre Forderung, den Film zu politisieren und generell der Ästhetisierung der Politik im Faschismus eine Politisierung der Kunst als Antwort der kommunistischen Bewegung entgegenzusetzen,20 so entsprach dies zwar durchaus Eislers Absichten; sein Mitautor Adorno – maßgeblich verantwortlich für das theoretische Fundament, auf dem das Filmmusikbuch beruht – stand jedoch einer solchen Konsequenz grundsätzlich ablehnend gegenüber. b. Kulturindustrielle Filmmusik So entfremdet die Menschen sich selbst und untereinander sind und als so desolat sich auch die gesellschaftlichen Verhältnisse erweisen, so bestrebt ist der kulturindustrielle Film, der eben daran sein Auskommen hat, fürs Bestehende zu werben. Er erhebt – so Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung – »das schlechte Dasein durch möglichst genaue Darstellung ins Reich der Tatsachen [...]. Durch solche Übertragung wird das Dasein selber zum Surrogat von Sinn und Recht. Schön ist, was immer die Kamera reproduziert.« 21 Ebenfalls in solch werbender Suggestion liegt Eisler und Adorno zufolge

12 13 14 15 16 17 18

Ebd., 444. Ebd., 459. Ebd., 460. Vgl. KfdF 66; Benjamin 1978, 440. Vgl. KfdF 66 sowie KfdF 131: »Moment des hic et nunc«; Benjamin 1978, 437–439. Vgl. KfdF 66: »Montage als Erkenntnis der Realität«; Benjamin 1978, 446f. Vgl. KfdF 72: »Durch den Schock vermag der Film das empirische Leben, dessen Abbildung er auf Grund seiner technischen Voraussetzungen prätendiert, fremd zu machen und erkennen zu lassen, was an Wesentlichem hinter der abbildrealistischen Oberfläche sich abspielt«; Benjamin 1978, 464. 19 Vgl. KfdF 65f. 20 Vgl. Benjamin 1978, 467–469. 21 AGS 3, 170f.

92

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 92

24.08.15 11:11


Darlegungen – Thesen

die vornehmliche Aufgabe der Musik in kulturindustriellen Filmen: »Das Verhältnis der Musik zum Film ist nur der ausgeprägteste Fall dessen, was ihr in der hochindustriellen Kultur zugemutet wird. Sie soll nichts anderes als dazu beitragen, den Zustand der Hörer und virtuell alle Beziehungen zwischen den Menschen als spontan, improvisatorisch, unmittelbar menschlich erscheinen zu lassen.« 22 Dazu eignet sie sich den Autoren von Komposition für den Film zufolge besonders, ist sie doch »die ungegenständlichste Kunst par excellence, am fernsten der praktischen Welt«.23 Sie beruht auf der Perzeption durch das menschliche Ohr, einem Sinnesorgan, welches im Vergleich zum Auge ›archaische‹ Züge trägt. Die hörende Wahrnehmung wirkt gegenüber dem flinken und an die hochindustrielle Ordnung angepassten, verdinglichenden Sehen selbstvergessen und hinter dem technischen Fortschritt zurückgeblieben.24 Ihr ist ein »Moment von altertümlicher Kollektivität« 25 zu eigen. Musik wird deshalb in gewisser Hinsicht unzeitgemäß gehört, sie tritt »in Gegensatz zur dinglichen Bestimmtheit« sowie allgemein »zur Eindeutigkeit, zum Begriff«.26 Trotzdem hatte – so Eisler und Adorno mit Verweis auf Max Webers Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik – aber auch und gerade die Musik am historischen Prozess der Rationalisierung teil. Damit erhält sie Doppelcharakter: »Ist sie auf der einen Seite in gewisser Weise vorkapitalistisch, ›unmittelbar‹, ahnungsvolles Bild von Verbundenheit, so hat sie andererseits zugleich am zivilisatorischen Fortschritt teilgenommen, sie hat sich verdinglicht, ist mittelbar, beherrschbar, schließlich manipulierbar geworden.« 27 Solcher Doppelcharakter lässt sich missbrauchen: Im Kapitalismus dient Musik als »das Medium [...], in dem man Irrationales rational betreiben kann«,28 zur ›psychotechnischen‹ Überlistung der Massen. Die »Versagungen, welche die Profitwirtschaft [...] auferlegt«,29 bewirken Bedürfnisse, die sich abermals zu Profitzwecken ausbeuten lassen. Die kitschigen Soundtracks kulturindustrieller Filme suggerieren Harmonie und Süße des Alltags, während die realen Missstände den Bedarf nach solcher Musik produzieren. Dabei ist die viel beschworene Emotionalität der Musik die zu Zwecken von Massenbetrug und Profit »rational eingesetzte Irrationalität [...] der Vergnügungsindustrie«. 30 Vorgeblich wollen die Filmbetriebe die Musik ihrer Produktionen auf den Publikumsgeschmack auslegen. In Wahrheit ist dies mit der Zurichtung der Filmmusik für die möglichst risikolose Gewinnmaximierung identisch. Solche »Rationalisierung des Publikums22 KfdF 25. 23 Ebd. 24 Eislers und Adornos Differenzierung zwischen flinkem Auge und trägem Ohr stellt Chion 1994, 10f., die umgekehrte physiologische Hypothese gegenüber (ohne sich allerdings von Komposition für den Film explizit abzugrenzen): “Sound perception and visual perception have their own average pace by their very nature; basically, the ear analyzes, processes, and synthesizes faster than the eye. [...] The eye perceives more slowly because it has more to do at once; it must explore in space as well as follow along in time. The ear isolates a detail of its auditory field and it follows this point or line in time.” 25 KfdF 25. 26 KfdF 26. 27 Ebd. 28 Ebd. 29 KfdF 27. 30 Ebd.

93

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 93

24.08.15 11:11


Komposition für den Film

effekts« 31 lenkt den Blick von einem wirklichen Fortschritt der musikalischen Mittel ab; die Entwicklung stagniert. Verwendung findet, was sich auf dem Markt bereits bewähren konnte. Dabei richtet sich »die Kunstverwaltung des Monopols [...] nach dem ästhetischen Verdikt, das die letzte Phase der freien Konkurrenz ausgesprochen hat«. 32 Filmmusik rekurriert somit ahistorisch auf ein musikalisches Material – oder vielmehr auf die Warenform eines musikalischen Materials –, das noch aus der Zeit vor dem »Bruch zwischen dem bürgerlichen Publikum und der eigentlichen bürgerlichen Kunstmusik« 33 datiert. Der Darlegung Eislers und Adornos zufolge wird das Publikum, das bereits »in Oper und Konzertsaal [der] [...] Geschichte Einhalt geboten hat«, 34 im Lichtspieltheater »nochmals um das betrogen, wogegen [es] [...] ohnehin schon sich sperrt«. 35 Dies gilt selbst für das Publikum der vergleichsweise traditionsarmen Vereinigten Staaten und zumal ihres »Wilden Westens« Kalifornien. Hier sperrt sogar »der Mangel an Erfahrung des Alten [...] vollends die Erfahrung des Neuen«. 36 Die Stagnation der Filmmusik verhindert, dass sie eine »echte Geschichte« aufweist – so konstatieren es zumindest Eisler und Adorno zum Zeitpunkt der Abfassung von Komposition für den Film. 37 Alle Veränderungen im Bereich der Filmmusik wurden nicht etwa durch sachlich bedingte Problemstellungen, sondern allein durch Angleichung an den Publikumsgeschmack und durch technische Innovationen veranlasst. Diese Modifikationen erzielen lediglich ein ständiges »Streamlining der Fassade«. 38 Als tatsächlichen historischen Vorgang spiegeln sie allenfalls das Herabsinken »der bürgerlichen Kulturgüter zu Waren für den Vergnügungsmarkt« 39 wider. Eine entscheidende Etappe der Pseudo-Filmmusikgeschichte ist dabei in dem noch vor der Einführung des Tonfilms erfolgten »Übergang [...] vom mehr oder minder bescheidenen privatkapitalistischen Unternehmen zur hochkonzentrierten und rationalisierten Industrie« 40 zu verzeichnen. Anstelle des vormaligen Salonensembles kam es zur Einführung des großen, »symphonischen« Kinoorchesters. Ohne sich substantiell wesentlich zu ändern, erhielt Filmmusik einen neuen »gesellschaftlichen Sinn«. 41 Ihr großartiger Aufputz, ihre bunte und üppige Erscheinung vermag die hinter ihr stehende ökonomische Macht und Größe sinnfällig zu demonstrieren. »Ihr Farbenreichtum betrügt über die Monotonie der Serienproduktion. Ihr beflissen-positiver Charakter unterstreicht die allgemeine Reklame für die Welt.« 42

31 KfdF 52. 32 KfdF 54. 33 Ebd. 34 KfdF 55. 35 Ebd. 36 Ebd. 37 Vgl. KfdF 46. 38 KfdF 50. 39 KfdF 49. 40 KfdF 50. 41 KfdF 51. 42 Ebd.

94

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 94

24.08.15 11:11


Darlegungen – Thesen

Generell erweist sich Reklame als eine wesentliche Intention der kulturindustriellen Filmmusik. Gestus und Formsprache sind auf Werbewirksamkeit hin ausgerichtet. Dabei ist solche Filmmusik gemäß der »Grundstruktur aller Reklame« 43 entweder aufdringlich und grell oder unartikulierter Hintergrund: »Sie ist entweder Schlager oder gestaltloser Klang«. 44 Sucht die Kulturindustrie, die wirklichen oder vermeintlichen Bedürfnisse ihrer Kunden zu kalkulieren und zu reproduzieren, so sind die resultierenden Filmprodukte im Hinblick auf das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage ihrem Publikum am nächsten, zugleich aber auch »objektiv [...] am fremdesten«. 45 Weder halten die Konsumenten kulturindustrieller Filme lebendigen Kontakt zu deren Herstellung, noch stehen sie den Interessen nahe, die die Filme repräsentieren. Nur »indirekt, im Kassenausweis, in ganz verdinglichter Gestalt, wird der angebliche Wille des Publikums überhaupt spürbar«. 46 »Der Widerspruch von universaler Nähe und unüberbrückbarer Ferne« aber – so der zentrale Gedanke der »Soziologischen Bemerkungen« in Komposition für den Film – »bezeichnet die schwache Stelle im Wirkungszusammenhang, dem alles dienen soll«. 47 Diese Schwäche zu verdecken ist die soziologische Rolle kulturindustrieller Filmmusik. Nicht bloß ist sie ein Moment der fabrikmäßig hergestellten Irrationalität im Allgemeinen, der ›Entspannung‹, die über die Kälte der spätindustriellen Gesellschaft mit spätindustriellen Mitteln hinwegtäuschen will. Sie bringt den Film nahe [...]. Sie sucht eine menschlich vermittelnde Schicht zwischen die ablaufenden Fotografien und die Betrachter zu setzen. Ihre soziale Funktion ist die des Kitts, sie hält zusammen, was sonst beziehungslos sich gegenüberstünde, das mechanische Produkt und die Zuschauer und auch diese untereinander, wie sie abgesperrt sind im Gefängnis ihrer Sessel. 48

Hierin liegt seitens der Filmindustrie der entscheidende Missbrauch, auf den Eisler und Adorno den Finger legen. Musik soll »dem technisch Vermittelten den Schein von Unmittelbarkeit verleihen«, 49 auf welche die Kulturindustrie für ihre Wirkungsmacht und damit für ihr Geschäft angewiesen ist. c. Unarten und schlechte Gewohnheiten von Hollywoods Filmmusik-Praxis Nicht nur stellen Eisler und Adorno in Komposition für den Film die Rolle heraus, die dem Film im Allgemeinen und der Filmmusik im Besonderen von der Kulturindustrie zugemutet wird; darüber hinaus weisen sie auf eine Reihe konkreter Unarten und schlechter Gewohnheiten der Filmkapitale Hollywood und ihrer musikalischen Praxis.

43 KfdF 57. 44 Ebd. 45 KfdF 55. 46 Ebd. 47 Ebd. 48 KfdF 55f. 49 KfdF 124.

95

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 95

24.08.15 11:11


Komposition für den Film

Zuvorderst rangiert dabei die damalige Allherrschaft der Studios, die in der Tat »jeden Schritt des Filmprozesses von der Produktion über [die] Distribution bis zu den Theatern« 50 kontrollierten und mit einem fest angestellten Personal an Regisseuren, Schauspielern, Technikern, aber auch Musikern und Komponisten wie »straff geführte Fabriken« 51 funktionierten. Diese Studios waren streng hierarchisch organisiert, so dass die letzte Entscheidungsbefugnis in allen – auch künstlerischen – Fragen den Studio-Chefs oblag. 52 Der gesamte Bereich der Filmmusik wurde aber von eigens eingerichteten »Musik-Departments« kontrolliert. Ihnen fiel »für die künstlerische, die aufnahmetechnische und die kommerzielle Seite aller mit dem Film zusammenhängenden musikalischen Dinge dem Unternehmer gegenüber die alleinige Verantwortung« 53 zu. Wie das gesamte Studiosystem waren auch diese Departments unter der Aufsicht eines Abteilungsleiters industriell durchrationalisiert. Die dort beschäftigten Komponisten hatten innerhalb eines soweit als möglich arbeitsteilig organisierten Gefüges neben Arrangeuren, Tonmeistern, Musikern, Dirigenten – in vielen Fällen auch weiteren Komponisten – ihren genau definierten Teil zur musikalischen Produktion beizusteuern. Darüber mokierte sich Hanns Eisler bereits 1935 in seinem Bericht über eine Musikalische Reise durch Amerika, die ihn auch nach Hollywood ins Studio von Metro-Goldwyn-Mayer geführt hatte: Wenn ein Zuschauer im Kino so einen Hollywood-Film hört, dann glaubt er wohl, dass die Musik dazu ein mehr oder weniger begabter Komponist geschrieben hat. In Wirklichkeit ist das ganz anders. Die Musik wird von vielen gemacht und zwar nach folgenden Prinzipien: Die Gesellschaft hat in den Büros 5 bis 6 Komponisten und Arrangeure sitzen, die nicht übermäßig gut bezahlt werden und Musikbeamte sind [...]. Die Komponisten werden nach ihrer Spezialität ausgewählt. Der eine ist als Spezialist für Militärmusik ausgewählt. (Er war früher Militärmusiker in Deutschland.) Der zweite für Wiener Walzer und Operettenmusik älteren Genres. Der dritte als Spezialist für Jazz und Tanzmusik, der vierte für lyrische Lieder, der fünfte schreibt die Vorspiele und Begleitmusik, der kommt mehr von der ernsten Musik. Hat nun ein Regisseur einen Film fertig und braucht er einen Jazzschlager, so kommt eben Nummer 3 dran; braucht er einen Militärmarsch, dann kommt eben Nummer 1 dran. Und wünscht er an bestimmten Stellen seines Filmes eine symphonische Begleitmusik, dann kommt eben der klassisch gebildete dran. So entsteht also die Musik eines Films durch fünf oder sechs Komponisten. Das ist vom Standpunkt der Rationalisierung des Filmbetriebs gar nicht unklug, aber welche Hölle für die angestellten Komponisten, die jahraus, jahrein immer dieselbe Type von Musik schreiben müssen und die damit der hoffnungslosen Verblödung ausgeliefert sind. 54

Trägt diese Erzählung von der ersten Begegnung mit den Hollywooder Musikabteilungen komische Züge, so klingen die Darstellungen in Komposition für den Film – dem höheren Grad an persönlicher Betroffenheit entsprechend – bitterer. Im Musik-Department, heißt es dort, war der Komponist »vorweg ein abhängiger, meist dem Unternehmen nur lose 50 Monaco 2000, 246. 51 Ebd. 52 Das heißt nicht, dass die sogenannten »Moguln« der großen Produktionsfirmen wie absolute Souveräne hätten tun und lassen können, was sie wollten. Vielmehr waren sie wiederum weitgehend abhängig von den finanziellen Gewährleistungen der Banken, bei denen sie oftmals erhebliche Schulden hatten. 53 KfdF 81. 54 HEGA IX/1.1, 263f.; entsprechend schildert Eisler den arbeitsteiligen Kompositionsprozess auch in dem Artikel Hollywood – von links gesehen (ebd., 272).

96

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 96

24.08.15 11:11


Darlegungen – Thesen

verbundener und leicht kündbarer Angestellter«. 55 Laut Vertrag gingen dabei dessen Schöpfungen vollständig in das Eigentum des Departments über, das sich zu diesem Zweck als Urheber ansah. 56 Von der von Eisler und Adorno eingeforderten Gleichberechtigung des Komponisten mit Drehbuchautor, Regisseur und Produzent konnte in den Musik-Departments der Hollywood-Studios gleich gar keine Rede sein. Wenn überhaupt, so besaß allenfalls der Department-Leiter, »der den Komponisten gewissermaßen als Spezialisten« 57 hinzuzog, die Mittel, den Produktionsvorgang eines Films gemäß eigener künstlerischer Vorstellungen zu beeinflussen. Gerade dieser Aufgabe aber zeigten sich der Meinung Eislers und Adornos zufolge die Direktoren der Musik-Departments selten gewachsen. Bei ihnen handelte es sich zumeist um alteingesessene Musiker noch aus der Pionierzeit des Filmmediums. Ohne im Grunde dafür besonders qualifiziert gewesen zu sein, hatten sie sich einst zur Komposition von Filmmusik bereit gefunden. Mit den Jahren und zunehmender Rationalisierung des Produktionsprozesses waren sie dann an die »Spitze der musikalischen Departments« 58 gelangt, von wo aus sie in der »goldenen Ära« Hollywoods den gesamten filmmusikalischen Bereich ihrer Studios unter Kontrolle hatten. Nicht nur aber wurde der Filmkomponist in den Musik-Departments dergestalt als hinzugezogener Spezialist betrachtet, dass er oftmals lediglich mit einem begrenzten Teil der zu komponierenden Filmmusik betraut wurde; auch verstand man unter seinem Beitrag zunächst allein die Anfertigung des Satzes – eines auf zwei oder drei Systemen notierten Auszuges, der von einem weiteren Fachmann instrumentiert wurde. Solche Arbeitsteilung in »Komposition« und »Arrangement« mochte sich aus dem großen Zeitdruck rechtfertigen, unter dem die Filmkomponisten üblicherweise standen und der es ihnen verwehrte, »die beträchtliche Schreibarbeit an der Partitur [...] zustande [zu] bringen, selbst wenn sie beim Komponieren den Instrumentalklang noch so lebendig sich vorgestellt haben.« 59 Zur Folge hatten aber die Ausgrenzung der Instrumentation aus dem Ressort des Komponisten und die Ausbildung des Typus des Arrangeurs unweigerlich eine »Uniformität der Filmpartituren« 60 und Standardisierung des Orchesterklangs. Restriktionen, die von den damals in den Studios gebräuchlichen Orchesterbesetzungen herrührten, taten ein übriges zur Nivellierung der klanglichen Resultate. So nehmen Eisler und Adorno etwa Anstoß an der »absurden Disposition des Streichkörpers« 61 und der Disproportion zwischen dünnem Holz und massigem Blech. Generell stünden im Orchester der Hollywood-Studios 55 KfdF 82. 56 In Adorno/Eisler 1994, 55f., wird das Missverhältnis zwischen der Allmacht des Unternehmens und der Ohnmacht jener, die ihre Arbeitskraft verkaufen (»disproportion between the omnipotence of the corporation and the impotence of those who sell their services«) mit längeren Zitaten aus einem typischen Hollywood-Vertrag (»typical Hollywood contract«) veranschaulicht; siehe oben, S. 36. 57 KfdF 81. 58 KfdF 47. 59 Zitiert nach Anhang I, S. 269; englischer Wortlaut: Adorno/Eisler 1994, 105f.; vgl. auch oben, S. 37. 60 KfdF 94. 61 Ebd. (Dazu ist in KfdF 94f. ausgeführt: »12–16 Geigen, meist als eine Stimme behandelt [...], 2–3 Bratschen, 2–3 Celli, 2 Kontrabässe werden im Durchschnitt [...] verwandt.«)

97

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 97

24.08.15 11:11


Komposition für den Film

einer aufdringlichen Oberstimme bloß ein schwächlicher Bass und dünne Mittelstimmen gegenüber. Dies behindere die Plastizität von Polyphonie und verführe »zum ›Schmieren‹ mit bloßen Füllstimmen«.62 Zu weiterer klanglicher Unausgewogenheit führe die Praxis, »die großen Besetzungen nur für Anfang, Schluss und besonders wichtige Sequenzen« 63 heranzuziehen und sonst den Orchesterapparat auf den unreduzierten, in sich disproportionierten Streichkörper zu beschränken. Zumal bei zusätzlicher Kolorierung mit Harfe und Klavier bewirke dies »einen unleidlichen Caféhausklang«.64 Angespannte Hektik charakterisierte den gesamten Produktionsverlauf in den damaligen Hollywooder Musik-Departments. Der permanente Zeitmangel beeinträchtigte schließlich selbst noch die Einspielung für die Tonspur des endgültigen Films. Die Dirigenten erhielten kaum Zeit, ihre Partitur zu studieren, geschweige denn mit dem Orchester zu proben. Dementsprechend war wenig Raum für künstlerische Ausformung, die über die simple Synchronisation hinausgegangen wäre. Zudem rangierten Eisler und Adorno zufolge die Dirigenten der Filmstudios zumeist nur auf einem niedrigen Niveau (insbesondere im Vergleich zu dem hohen Standard der angestellten Orchestermusiker) und waren schon insofern zu kaum mehr in der Lage, als »mit möglichst kurzer Vorbereitungszeit die Musik im gröbsten Sinne« 65 zusammenzuhalten. Doch selbst wenn die Aufnahme der Musik zu einem Film einigermaßen glücklich vonstatten gegangen war, so hing das endgültige Resultat von der Mischung der Tonspur ab. Hier konnten Musikabschnitte ohne Rücksicht auf die Intentionen des Komponisten »in der Lautstärke verändert, ersetzt, gekürzt oder vollständig herausgeschnitten werden«.66 Dementsprechend klagen auch Eisler und Adorno über die Praxis willkürlicher und sinnwidriger musikalischer Schnitte, mit denen der Filmkomponist in Hollywood jederzeit zu rechnen habe.67 Werden in Komposition für den Film die Unzulänglichkeiten einer musikalischen Produktion innerhalb der Strukturen der Musik-Departments schonungslos aufgedeckt, so wird deren Unabdinglichkeit für die komplexen »technisch-ökonomischen Prozesse der Filmproduktion« 68 Hollywoods dennoch konzediert: Die Departments sind überflüssig und notwendig zugleich. Ihre Überflüssigkeit misst sich am möglichen Zustand einer freien, vom Profitinteresse emanzipierten künstlerischen Produktion; notwendig sind sie in der gegenwärtigen, weil ohne ihre Ressourcen, ihre Mittlerdienste im Gesamtprozess, oft auch ihre Erfahrung überhaupt nichts zustande käme.69

Beim Umgang mit Filmmusik hatte sich in Hollywood mit der Zeit eine gewisse Routine entwickelt, wie dies Eisler und Adorno gleich im ersten Kapitel von Komposition für den 62 KfdF 95. 63 Ebd. 64 Ebd. 65 KfdF 99. 66 Nowell-Smith 1998, 230. 67 vgl. KfdF 98f. 68 KfdF 82. 69 KfdF 83.

98

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 98

24.08.15 11:11


Darlegungen – Thesen

Film feststellen. Zur Routine gehörte dabei die Orientierung an einer »Reihe von Erfahrungsregeln«, die scheinbar dem »gesunden Menschenverstand« 70 entsprachen. In Wahrheit handelte es sich bei ihnen um Überbleibsel aus den dilettantischen Anfängen. Aus »dem Vorstellungskreis der niedrigen Amüsiermusik« 71 gewonnen, waren »diese Regeln durch die technische Entwicklung sowohl des Films wie der außerfilmischen Musik überholt«. 72 Dennoch wurde auf ihnen beharrt, »als wären sie ererbte Weisheit und nicht schlechte Gewohnheit«. 73 Solche schlechte Gewohnheit und Vorurteile bewusst zu machen und damit »ihr Diktat zu brechen« 74 ist zu Beginn des Buches Komposition für den Film das Anliegen seiner Autoren. Als erstes wenden sich Eisler und Adorno gegen die von Richard Wagner entlehnte Technik des Leitmotivs, mit deren Hilfe die Filmmusik Hollywoods üblicherweise zusammengehalten werde. Die hinter diesem Verfahren stehende Hoffnung auf eine bessere Fasslichkeit der Filmmusik sei indessen illusionär. Gerade wegen ihrer Prägnanz und Kürze bedürften nämlich die leitmotivischen Bausteine der Entfaltung in der großen Form des Musikdramas. Dafür sei aber in den zwangsläufig kurzen Filmmusikabschnitten kein Raum. Werde des ungeachtet die Leitmotivtechnik bemüht, so führe dies »zu äußerster Dürftigkeit der eigentlich musikalischen Gestaltung«. 75 Zudem sei es der eigentliche ästhetische Sinn von Leitmotiven, nicht nur »Personen, Emotionen oder Dinge [zu] charakterisieren«, sondern szenische »Vorgänge in die Sphäre des metaphysisch Bedeutenden [zu] erheben«. 76 Der auf Abbildung der Realität ausgerichtete Film 77 jedoch biete für solche Symbolik keine Basis. Somit reduziere sich die Funktion des Leitmotivs auf unwirksame und unökonomische Verdoppelung. Als ein weiteres Vorurteil der filmmusikalischen Praxis Hollywoods konstatieren Eisler und Adorno die Forderung nach Melodie und Wohllaut. Dabei berufe man sich ebenso auf deren angebliche Selbstverständlichkeit wie auf den Geschmack der Konsumenten, den es zu berücksichtigen gelte. Weder aber seien Melodie und Wohllaut tatsächlich ein so selbstverständlicher Bestandteil musikalischer Abläufe, noch harmonierten sie derart problemlos mit den Anforderungen, mit denen sich sachgerechte Filmmusik konfrontiert sehe. Die Gleichsetzung des Begriffs des Melodischen mit musikalischer Naturgesetzlichkeit erweise sich nämlich als scheinhaft. Die antizipierbare Oberstimmen-Melodie sei vielmehr ein »Phänomen höchst bedingter Art, keine verbindliche Norm, keine Urgegebenheit des Materials, sondern eine [...] Verfahrungsweise unter anderen«. 78 Mit den sachlichen 70 KfdF 11. 71 Ebd. 72 Ebd. 73 Ebd. 74 Ebd. 75 KfdF 13. 76 Ebd. 77 Dass es das Wesen des Films ist, die Realität abzubilden, gilt allerdings in der Filmwissenschaft und unter Filmemachern keineswegs als so selbstverständlich, wie Eisler und Adorno es darstellen. An den beiden Polen der kontroversen Haltungen stehen etwa Kracauer 1985 und Arnheim 1979 einander gegenüber. 78 KfdF 14.

99

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 99

24.08.15 11:11


Komposition für den Film

Anforderungen des Films gerate sie aber in Konflikt. Denn alle Filmmusik stehe »im Zeichen des Gebrauchs, nicht in dem der sich aussingenden ›Seele‹«. 79 Vor allem jedoch widerspreche die prosaähnliche Gestalt filmischer Bildvorgänge dem symmetrischen Bau, der konventionell zum Charakter des populären Melodiebegriffs gehöre.80 »Keine achttaktige Periode« – so die Autoren von Komposition für den Film – sei »wahrhaft synchron mit dem fotografierten Kuss«.81 Auch die weit verbreitete Meinung, dass man Filmmusik nicht hören solle, ist Eisler und Adorno zufolge ein Vorurteil. Es zeige, wie wenig noch die Musik im Film ihrem »eigenen Inhalt nach [...] verarbeitet worden« 82 sei. Das Prinzip, nach dem Filmmusik am besten unmerklich im Hintergrund agiert, unterschätze und verenge ihre Möglichkeiten. Werde hingegen schon einmal eine reine »Hörkulisse« 83 benötigt, so seien in diesem Fall wohl »etwas wie auskomponierte Geräusche« 84 vorzuziehen. Unauffällige Musik huldige hier lediglich der Banalität. In Hollywood – stellen Eisler und Adorno fest – halte sich noch immer ein Vorurteil, das aus den unbeholfenen Anfängen des Tonfilms stamme, nämlich dass der Gebrauch von Filmmusik optisch gerechtfertigt werden müsse, um dem Kinobesucher ja nicht ein in der Realität unmögliches Phänomen zuzumuten. De facto erschwere dies jeden wirklich konstruktiven und Kontrast bildenden Gebrauch von Musik. Stattdessen werde sie »auf die Handlung nivelliert und zu einem Requisit, einer Art akustischem Möbelstück gemacht«.85 Verwandt erscheint die Inanspruchnahme der Filmmusik für Wirkungen im Bereich von Geographie und Geschichte, für die Evokation eines lokalen, nationalen oder historischen Kolorits. Auch hierbei handelt es sich den Autoren von Komposition für den Film zufolge um eine schlechte Gewohnheit. »Musik wird [...] so verwandt wie Kostüm oder set, ohne dass sie aber so schlagend charakteristisch wäre wie jene.« 86 Noch eine schlechte Gewohnheit der filmmusikalischen Praxis Hollywoods verzeichnen Eisler und Adorno unter der Überschrift »Illustration«. Als durchaus ernst zu nehmende dramaturgische Möglichkeit werde sie nicht mit der gebührenden Sorgfalt behandelt, stattdessen würden lediglich klischeehaft die allbekannten Assoziationsschemata bemüht, etwa wenn »Musik aufs Stichwort Natur« 87 einschnappe. Zu den schlimmsten Gepflogenheiten der Filmindustrie zählen jedoch Eisler und Adorno die Anwendung von »Stock music«, das heißt »einer kleinen Anzahl abgestem79 KfdF 15. 80 Dieses Argument beruft sich deutlich auf die Darlegungen und die Terminologie in Schönbergs Aufsatz Brahms der Fortschrittliche, wo in Abgrenzung von Melodiebildungen aus Wiederholungen und symmetrischen Phrasen der Begriff der »musikalischen Prosa« geprägt wird. (Vgl. Schönberg 1976, 49: »Das sollte musikalische Prosa sein – eine direkte und unumwundene Darstellung von Gedanken ohne jegliches Flickwerk, ohne bloßes Beiwerk und leere Wiederholungen.«) 81 KfdF 15. 82 KfdF 16. 83 Vgl. ebd. 84 KfdF 17. 85 Vgl. KfdF 18. 86 KfdF 20. 87 KfdF 19.

100

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 100

24.08.15 11:11


Darlegungen – Thesen

pelter Musikstücke, die durch ihre wirklichen oder traditionellen Titel mit den Situationen zusammengebracht werden, die sie im Film begleiten«.88 Der Rückgriff auf solche »Titelwarenzeichen« sei indessen nichts als »barbarischer Unfug«.89 Das eigentliche Grundübel aller Unarten und schlechten Gewohnheiten in der Filmmusik Hollywoods sehen die Verfasser von Komposition für den Film in der Verwendung musikalischer Klischees, mit denen »typischen Situationen, immer wiederkehrenden emotionalen Momenten [...] [und] standardisierten Spannungsreizen« 90 der Fließbandware Film begegnet werde. Schlecht sei dabei »die Standardisierung dessen, was mit dem Anspruch auftritt, ein Individuelles zu sein, oder umgekehrt die individuelle Verkleidung des Schemas«. 91 Besonders fragwürdig mache die Klischees, die die Filmmusik gleichermaßen aufgreift und ausprägt, dass ihr Material aus einer eben vergangenen Phase der autonomen Musik datiere. Dies bewirke eine »völlige Disproportion zwischen Mittel und Wirkung«. 92 d. Aspekte einer Filmmusik-Ästhetik Obwohl in Komposition für den Film zu Beginn des Kapitels »Ideen zur Ästhetik« sogleich schwerwiegende Zweifel an Sinn und Möglichkeit einer Ästhetik der Filmmusik vorgetragen werden, so entwickeln Eisler und Adorno in der Folge doch ästhetische Konzepte, angesichts derer sich die Kapitelüberschrift recht bescheiden ausnimmt. Dies geschieht in Abgrenzung von diversen ästhetischen Überlegungen, die bereits zur Zeit der Niederschrift von Komposition für den Film angestellt worden waren. Verworfen wird zunächst eine Pseudoästhetik des Materialgerechten – und das meint für Filmmusik: des Mikrofongerechten. 93 Eine kompositorische Ausrichtung auf dieses Postulat bedeute zumeist nur Simplifikation und Einengung der Phantasie. Noch bedenklicher seien ästhetische Gesetze, »die aus der abstrakten Beschaffenheit der Medien als solcher, [...] der wahrnehmungspsychologischen Relation optischer und phonetischer Gegebenheiten« 94 ermittelt

88 KfdF 21. 89 KfdF 22. 90 Ebd. 91 Ebd. 92 KfdF 23. 93 Hierbei dürften sich Eisler und Adorno insbesondere von Kurt London abgrenzen, in dessen Buch Film Music von 1936 die Frage der mikrofongerechten Orchesterbehandlung einen breiten Raum einnimmt und zuletzt gar für die Einrichtung einer »Microphone Academy« plädiert ist (London 1970, 249–261). Ironischerweise verweist London mehrfach gerade auf Eisler als Vorreiter und Exponenten einer mikrofongerechten Instrumentationsweise (London 1970, 166, 185f., 230f.). Und auch dieser selbst schlägt noch in seinem Exposé für das Rockefeller-Filmmusik-Projekt die Frage der »instrumentation in relation to the microphone« (EGW III.3, 143) als einen Schwerpunkt der Untersuchung vor. 94 KfdF 59. Tatsächlich waren synästhetische Experimente in Form von filmischen »Chromophonien« in den zwanziger Jahren en vogue (vgl. de la Motte-Haber/Emons 1980, 49–55). Indessen hatte »Bruno Corra [...] bereits 1912 einen Artikel veröffentlicht, in dem er detailliert die während zweier Jahre mit seinem Bruder Arnaldo Ginna durchgeführten Experimente und einige daraus entstandene Filme beschreibt« (Hein/Herzogenrath 1978, 31).

101

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 101

24.08.15 11:11


Komposition für den Film

werden. Werde nämlich – so Eisler und Adorno unter Bezugnahme auf Hegels Ästhetik – »das Kunstschöne aus seinem bloßen Material hergeleitet, so [...] [falle] es ins Naturschöne zurück, ohne doch dieses wieder zu erreichen«. 95 In ihren Gedanken über die Beziehung zwischen Musik und Film lassen sich die Autoren von Komposition für den Film von den Erörterungen Sergej Eisensteins in The Film Sense anregen, dessen abschließende ästhetische Konzeption sie gleichwohl kritisieren. Sie folgen dem Filmemacher in dessen ablehnender Haltung sowohl gegenüber Spekulationen, die auf absolute Äquivalente in Farbe und Klang zielen, als auch gegenüber einer beabsichtigten Synthese von Bild und Musik, indem »zu den Ausdrucksassoziationen, sei es einzelner musikalischer Motive, sei es ganzer Stücke, Bildentsprechungen addiert« 96 werden. Eisensteins alternatives Konzept, demgemäß die innere Bewegung der Musik und die Komposition der Filmbilder sowie ihrer Folge korrespondieren sollen, 97 ist jedoch Eisler und Adorno zufolge »dem Bannkreis der von [...] [dem Filmemacher] zu Recht bekämpften Denkweise nicht ganz entronnen«. 98 Indessen konzedieren die Autoren von Komposition für den Film, dass »zwischen Bild und Musik [...] eine Beziehung bestehen« 99 muss, solange kein Unsinn entstehen soll. Selbst wenn die Musik zum Filmgeschehen kontrastiert, so darf dies nicht die formale Einheit der beiden Medien beeinträchtigen, wie sie sich innerhalb einer Filmsequenz zumeist in analoger Gliederung äußert. Solche formale Einheit ist allerdings besonderer Art; in ihr gibt es keine »unmittelbare Identität irgendwelcher Momente«.100 Bereits ihrer Grundbeschaffenheit nach erweisen sich die beiden Medien Bild und Musik, die der Film in formaler Einheit zu zeigen vermag, als verschiedenartig. Musik verhält sich in der Tendenz ungegenständlich und subjektiv, bildliche Darstellung gegenständlich und objektiv. So ist die Einheit von Bild und Musik im Film zumeist keine von Ähnlichkeit, sondern »weit mehr eine von Frage und Antwort, von Position und Negation, von Erscheinung und Wesen«.101 Gerade im tiefsten Moment der Einheit – so Eisler und Adorno – »ist [...] das Verhältnis der Musik zum Bilde antithetisch«.102

95 KfdF 60. 96 KfdF 61. 97 Vgl. Eisenstein 2006, 259: »Man muss die Bewegung eines Musikabschnitts erfassen und die Spur dieser Bewegung, also ihre Linie oder Form, zur Grundlage jener bildlichen Komposition nehmen, die der Musik korrespondieren soll.« (Die Vertikalmontage) 98 Ebd. 99 KfdF 64. 100 Ebd. 101 Ebd. 102 KfdF 71. Dieser für das Ästhetik-Kapitel des Filmmusikbuches eigentlich so wichtige Gedanke hat in der Musikwissenschaft mitunter für Missverständnisse gesorgt. Obwohl Eisler und Adorno gerade diesem Irrtum vorbeugen möchten, wird die behauptete Antithetik von Bild und Musik oft mit dem Verfahren des »dramaturgischen Kontrapunkts« gleichgesetzt oder mit Beziehungslosigkeit und Ungleichzeitigkeit in Bezug auf das Filmbild verwechselt (vgl. etwa Kuntze 1981: »Zweifellos haben zum Filmbild antithetische Musikkonzeptionen in diesem Buch einen sehr hohen Stellenwert [...], jedoch mangelt es nicht an Ausführungen zu bildbezogenen bzw. bildsynchronen Kompositionsanweisungen«; ähnlich auch de la Motte-Haber/ Emons 1980, 26). Die Antithetik von Bild und Musik setzt indessen auf einer grundlegenderen Ebene an als jedweder dramaturgischer Kontrapunkt und Synchronismus. Sie behauptet schlicht die ästhetische

102

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 102

24.08.15 11:11


Darlegungen – Thesen

Unter Bezugnahme auf die Filmästhetik Sergej Eisensteins und Walter Benjamins halten es die Autoren von Komposition für den Film für unabdinglich, die Technik der »Montage« auch für die Beziehung von Bild und Musik zugrunde zu legen. Solche Montage als direkte Konfrontation setzt die nur äußerliche Relation zweier unabhängig voneinander entstandener Medien in Ausdruck um, wie dies Eisenstein für miteinander montierte heterogene Filmbilder ausführt. Indem Montage die Widersprüche hervorkehrt, anstatt sie zu vermitteln, ist sie im spätindustriellen Zeitalter die adäquate Darstellungsform zur Erkenntnis der Wirklichkeit. Die Konfrontation der einander fremden Medien Bild und Musik, wie sie in der filmischen Montage stattfindet, sagt »die Wahrheit über eine sich selbst entfremdete Gesellschaft«.103 Darüber hinaus sehen jedoch Eisler und Adorno die Montage der antithetischen Medien Bild und Musik grundsätzlich im Wesen des Films begründet. Schließlich ist eine musikalische Unterlegung von Lichtbildern bereits seit den ersten Stummfilmen praktiziert worden.104 Denn ohne Musik ginge von den bewegten und doch zugleich stummen und anorganischen Bildern eine gespenstische Wirkung aus. Den Zuschauern mag dabei das Bewusstsein aufblitzen, »als unartikulierte Masse dem Mechanismus gegenüber ohnmächtig ausgeliefert zu sein«.105 Im »Angesicht der gestikulierenden Masken [...] [werden] die Menschen sich ihrer als eben solcher Wesen inne, als sich selbst Entfremdete«.106 Filmmusik gewinnt darum »den Gestus des Kindes, das im Dunkeln vor sich her singt«.107 Sie soll »die Angst beschwichtigen, den Schock absorbieren«.108 Daran hat, meinen Eisler und Adorno, selbst der Sprechfilm wenig ändern können: »Auch der Sprechfilm ist stumm.« 109 Fangen in ihm zweidimensionale und körperlose Fotografien zu reden an, so steht dies an Unheimlichkeit den vormals lautlosen Filmbildern

Divergenz der beiden Medien und die sich damit ergebende Chance, durch die Musik dem Filmbild etwas hinzuzufügen, anstatt es bei dem durch das Abgebildete Gesagten belassen zu wollen. In ihrer Antithetik kann sich dabei die Musik zur Dramaturgie des Filmgeschehens ebenso gut analog wie kontrapunktisch verhalten. 103 KfdF 67. 104 Vgl. Pauli 1981, 40: »Sicher ist [...], dass der Brauch, Filmvorführungen mit musikalischen Darbietungen zu koppeln, so alt ist wie die Praxis, Filme in der Öffentlichkeit vorzuführen.« 105 KfdF 68. 106 KfdF 69. 107 Ebd. 108 KfdF 68. Dass solche Beschwichtigung wirklich zu den ursprünglichen ästhetischen Funktionen von Filmmusik gehört, bezweifeln de la Motte-Haber/Emons 1980, 189–191. Stattdessen sehen sie eine allgemeine, auf die Kinosituation ausgerichtete Funktion der Filmmusik mehr darin, dass die zweidimensionale »Leinwand durch akustische Ergänzung zur räumlichen Bühne« (ebd., 191) wird. De la Motte-Haber 1996, 233, nennt zudem den »Abbau von Realitätsbezügen«. Demgemäß dient Filmmusik dazu, die psychischen Energien des Kinobesuchers, die vom Filmgeschehen nicht in Anspruch genommen werden und somit für die Realität außerhalb der filmischen Scheinwelt frei bleiben (etwa für den Popcorn essenden Nachbarn), akustisch zu besetzen und damit doch noch an den Film zu binden. Einen Überblick über die unterschiedlichen Erklärungsansätze für den Ursprung der Filmmusik (einschließlich der von Eisler und Adorno ebenfalls referierten und als Bestätigung ihrer eigenen These interpretierten Behauptung von London 1970, 27f., Filmmusik habe anfänglich zur Neutralisierung des Projektorlärms gedient) gibt Pauli 1981, 40–45. 109 KfdF 69.

103

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 103

24.08.15 11:11


Komposition für den Film

wenig nach. Hinzu kommt die Uneigentlichkeit aller Rede im Film, dessen Wesen in der Fotografie von Bewegungen begründet liegt. Wegen der »fundamentalen Divergenzen von Wort und Bild« 110 – so die Verfasser von Komposition für den Film – nimmt der Rezipient deren Synthese im Tonfilm unbewusst als brüchig wahr. Damit aber die wirkliche Stummheit der nur zum Schein redenden bewegten Bilder nicht ohne Trost zutage träte, bedarf wie einst der Stummfilm selbst »der Tonfilm, dem doch anscheinend alle Möglichkeiten der Sprechbühne und eine weit größere Mobilität als dieser zu Gebote stehen, nach wie vor der Musik«.111 Eisler und Adorno zufolge steht also Filmmusik in Zusammenhang mit der (lautlosen) Bewegung der Filmbilder. Dabei soll sie sich nicht – wie Eisenstein es fordert – in diese Bewegung einfühlen und sie bloß verdoppelnd ausdrücken.112 Vielmehr eignet sich Musik, wird sie als antithetisches Medium mit Filmbildern montiert, in ihrer »ästhetischen Wirkung [als] Stimulans der Bewegung«.113 Filmmusik rechtfertigt die Folge der bewegten Bilder, indem sie suggeriert, diese auszulösen. Die Autoren des Filmmusikbuches weisen darauf hin, wie leicht sich die eigentliche Funktion der Musik »als Antithese zum Bild [...] [und] als ›Motivationsquelle‹ des fotografierten Vorgangs« 114 zum ideologischen Missbrauch schickt, indem sie zu Zwecken kulturindustriell verwalteten Trostes für die Unmittelbarkeit und Lebendigkeit des technisch Vermittelten wirbt. Ideologische und eigentliche Verwendung von Filmmusik stünden sich »so nahe, dass sich kaum ein abstraktes Kriterium angeben ließe dafür, wo die Musik eine echt antithetische und wo sie eine schlecht verklärende Rolle spielt«.115 Gerade deswegen – so Eisler und Adorno – hänge das weitere Schicksal der Filmmusik davon ab, »wieweit es ihr gelingt, [...] [ihre] Antithetik fruchtbar zu machen und die Illusion der unvermittelten Einheit abzuschütteln«.116 e. Eigenschaften sachgerechter Filmmusik Bei der Anfertigung von Filmmusik soll der Komponist weder Klischees bemühen noch seinen privaten Gefühlen frönen. Vielmehr gilt es, eine sachliche Haltung einzunehmen. Dies ist nicht im Sinne des »neusachlichen« Stilideals mit musikalischer Distanziertheit und

110 KfdF 70. 111 Ebd. 112 Trotz der kurzen Zeitspanne, die Eisenstein nach der Publikation von Composing for the Films zu leben hatte (er erlag am 11. Februar 1948, im Alter von 50 Jahren, einem Herzinfarkt), vermochte er die Kritik an seiner Filmmusik-Ästhetik noch zur Kenntnis zu nehmen und begann am 14. Dezember 1947, sich »Notizen zu einer möglichen Polemik mit Hanns Eisler« (Bulgakowa 1998, 52) zu machen. So schrieb er: »Wir suchen die Kommensurabilität, nicht die Illustration oder Doppelung.« (Ebd., 53) Dass diese Differenzierung für Eisler und Adorno etwas geändert hätte, erscheint indessen fraglich. Eisensteins Überlegungen zu einer Replik diskutiert auch Dümling 2010, 224–226. 113 KfdF 71. 114 KfdF 124. 115 Ebd. 116 KfdF 71.

104

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 104

24.08.15 11:11


Darlegungen – Thesen

Kühle in eins zu setzen, sondern meint die Orientierung an den Anforderungen der Sache, den von den Filmbildern und Filmszenen gestellten Aufgaben. Es muss – schreiben die Autoren von Komposition für den Film – »kompositorisches Planen verfolgt werden, das freie und bewusste Verfügen über alle musikalischen Möglichkeiten auf Grund der genauen Erkenntnis der jeweiligen dramaturgischen Funktion, die in jedem konkreten Fall [...] anders beschaffen ist«.117 Solches Planen dient dazu, den Automatismus, dem die Filmmusik in der Kulturindustrie unterliegt, zu durchbrechen. Üblicherweise – so Eisler und Adorno – ist nur »die Wirkung auf den Zuschauer geplant und die Sache planlos.« 118 Wirkliches kompositorisches Planen richtet hingegen den Darstellungen in Komposition für den Film zufolge seinen konstruktiven Zugriff »auf zweierlei: auf das Verhältnis zwischen Film und Musik und auf die Gestalt der Musik selber«.119 In Hinsicht auf das Verhältnis von Film und Musik erweisen sich für die Planung der Bezüge »Rhythmogramme«,120 wie Eisler sie nennt, als adäquates kompositorisches Mittel. Mit ihrer Hilfe entsteht eine Partitur, »die mit äußerster Präzision alle Details, auch die kompliziertesten und differenziertesten, musikalisch« 121 einbezieht. Tempomodifikationen lassen sich auskomponieren, um bei der Synchronisation die »Unfähigkeit lebendiger Menschen, mechanische Zeitrelationen einzuhalten«,122 auszugleichen. Filmmusik wird so wie ein Uhrwerk justiert. Mit der Vorrangigkeit des musikalischen Planens tendiert im kompositorischen Prozess die konstruktive Verfahrensweise dazu, so allumfassend zu werden, »dass sie gewissermaßen nichts außerhalb ihrer selbst, nichts was ihr fremd und mit eigenem Anspruch gegenüberstünde, mehr dulden will«.123 Die Folge ist – so Eisler und Adorno – ein Auseinandertreten von »Material und Verfahrungsweise [...], und zwar in dem Sinn, dass das Material gegenüber der Verfahrungsweise relativ gleichgültig wird«.124 Nicht mehr resultiert die Kompositionsweise unbedingt aus ihrem Material, sondern sie vermag »gleichsam jedes Material sich [zu] unterwerfen«.125 Gehören solche Feststellungen eindeutig zum Gedankengut Theodor W. Adornos und finden sie sich auch wirklich unter dem Aspekt

117 KfdF 72. 118 KfdF 125. 119 Ebd. 120 Vgl. KfdF 97. Was es mit diesen Rhythmogrammen auf sich hat, erläutert Harry Robin – anfänglich Eislers Assistent während des Rockefeller-Filmmusik-Projekts (vgl. Gall 2009b, 124f., 127 u. 133–135) – im Interview mit Ted Cohen: »They [sc. the film sequences] were broken down by me into what we used to call, in those days, a ›rhythm score‹, indicating visible events which were in the sequence and relating them to basic tempos according to certain metronome markings. [...] They looked like scores, but contained no tonal indication. Everything was written out as rhythm, the most immediate analogy or comparison would be to that part of a score which contains the percussion line.« (HEA 7790 fol. 2) Zu Eislers unvollendeter Filmmusik zu Charlie Chaplins The Circus haben sich zwei solche Rhythmogramme erhalten (HEA 964 fol. 35r–39r und 41r–46r). Den Zusammenhang mit der Partitur des Septetts Nr. 2, als das Eisler die komplettierten Teile seiner Chaplin-Filmmusik zusammengestellt hat, analysiert Heller 1982, 58f. und 68–70 (auch Heller 1998, 553f.). 121 KfdF 97. 122 Ebd. 123 KfdF 71. 124 Ebd. 125 Ebd.

105

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 105

24.08.15 11:11


Komposition für den Film

»Lossage vom Material« ganz ähnlich in der Philosophie der neuen Musik, so darf doch nicht übersehen werden, wie sehr sie ebenfalls im Interesse Hanns Eislers erfolgen.126 Tatsächlich sind ja dessen Filmkompositionen zwar von großer Strenge in der Konstruktion, aber oft nicht auf dem neuesten Stand des Materials. Für Eisler war eben, schreibt Fritz Hennenberg, »gerade auch die Beachtung von ›Hörgewohnheiten‹ wichtig«.127 Selbst die Tonalität aber – so Adorno in der Philosophie der neuen Musik – »fügt sich der totalen Konstruktion [...]. Wem einmal die Verfahrungsweise alles bedeutet und der Stoff nichts, vermag auch dessen sich zu bedienen, was verging und was darum selbst dem gefesselten Bewusstsein der Konsumenten offen ist.« 128 Im Prinzip jedoch – insistieren die Autoren von Komposition für den Film – gebührt bei Filmmusik »dem wirklich neuen musikalischen Material der Vorrang«.129 Dieses ist besonders qualifiziert, seine Funktion im Film sachgerecht zu erfüllen. Kann in Anlehnung an die Thesen Walter Benjamins behauptet werden, dass der Film die Möglichkeit hat, durch die Schockwirkung seiner Bilderfolge »das empirische Leben, dessen Abbildung er auf Grund seiner technischen Voraussetzungen prätendiert, fremd zu machen und erkennen zu lassen, was an Wesentlichem hinter der abbildrealistischen Oberfläche sich abspielt«,130 so korrespondiert dieser Möglichkeit die neue Musik. Deren Mittel – so Adorno in der Philosophie der neuen Musik – haben sich gerade für die »seismographische Aufzeichnung traumatischer Schocks« 131 gebildet. Dem Spannungsgehalt filmischer Vorgänge vermögen daher Dissonanzen besonders gerecht zu werden. Die Bildsequenzen eines Films sind zumeist nur von kurzer Dauer. Deswegen bedarf Eisler und Adorno zufolge die Filmmusik kurzer Formen. Zwar wären im Grunde auch große musikalische Formen, »die sich nicht an Bildsequenzen, sondern an Sinnzusammenhänge halten«,132 denkbar, doch setzte dies eine noch gar nicht praktizierte Filmtechnik bezüglich des Drehbuchs, der Regie und des Schnitts voraus. Darum sind in der Regel musikalische Skizzen und Aphorismen vorzuziehen. Filmgerecht werden diese Kurzformen – so die Autoren von Komposition für den Film – durch ihre »Unregelmäßigkeit, Labilität und die Abwesenheit von Reprisen und Binnenwiederholungen«.133 Aus diesem Grund erweisen sich »›weiterlaufende‹ Formen wie etwa Präludien, Inventionen und Toccaten« 134 als weit eher geeignet, den Anforderungen des Films sachgerecht nachzukommen, als Formen, die wie die dreiteilige Liedform und der Sonatensatz Wiederholungen oder Reprisen

126 Im Hinblick auf die unterschiedlichen Voraussetzungen und Schlussfolgerungen, die die These vom »Auseinandertreten von Material und Verfahrungsweise« für Eisler und Adorno beinhaltet, ist Mayer 1978b, insbesondere 175–179, aufschlussreich. 127 Hennenberg 1987, 73. 128 AGS 12, 116. 129 KfdF 74. 130 KfdF 38. 131 AGS 12, 47. 132 KfdF 84. 133 KfdF 83. 134 KfdF 83f.

106

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 106

24.08.15 11:11


Darlegungen – Thesen

beinhalten. Im Allgemeinen – befinden Eisler und Adorno – erweist sich der Formenschatz der akademischen Formenlehre als weithin unbrauchbar: »Gute Filmmusik ist [...] antiformalistisch«.135 Die Restriktion der Filmmusik auf Kürze betrifft selbst noch die Bauelemente der Formen. »Filmmusik«, heißt es diesbezüglich formelhaft in Komposition für den Film, »kann nicht ›warten‹«.136 Zusammen mit den zuvor genannten Aspekten der prosaartigen Unregelmäßigkeit und der Absenz von Wiederholungen legt dies nahe, bei Filmmusik die Verfahrensweisen der neuen Musik anzuwenden. Diese taugen – so Eisler und Adorno – weit mehr als die traditionellen, für tonales Material entwickelten Verfahrensweisen »zum Aufbau konsistenter, präziser kleiner Formen, in denen nichts Überflüssiges vorkommt, die sofort zur Sache kommen und keiner Verlängerung aus architektonischen Gründen bedürfen«.137 Generell – konstatieren Eisler und Adorno – konfrontiert der Film den Komponisten mit neuartigen formalen Aufgaben. Beispielsweise könne eine Filmsequenz eine Art Exposition – jedoch in einer bisher ungekannten, gedrängten Kürze – oder einen Schluss ohne vorhergegangene dramatische Entwicklung oder einen unmittelbaren Höhepunkt ohne alles Crescendo notwendig machen. Im vorstehenden Kapitel über die Unarten und schlechten Gewohnheiten der Filmmusik-Praxis Hollywoods wurden bereits die Unzulänglichkeiten der studioüblichen großen Orchesterbesetzungen genannt. Zur Überwindung dieser Missstände fordern die Autoren von Komposition für den Film nicht nur die Disproportionen im Studioorchester durch dessen Annäherung an das symphonische Orchester auszugleichen (»genügend zweite Geigen, Bratschen, Celli und Kontrabässe und zwei- bis dreifaches Holz«); 138 sie raten auch, echte Kammermusikensembles für die kleinen Besetzungen heranzuziehen. Legitime zusätzliche Möglichkeiten bieten neue elektrische Instrumente, sofern sie nicht bloß eingesetzt werden, um dem standardisierten Klang der kulturindustriellen Filmmusik mit Hilfe der neuen Farbtupfer ein pseudoindividuelles Gewand zu verleihen.

135 KfdF 86. 136 KfdF 84. 137 KfdF 41. 138 KfdF 95.

107

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 107

24.08.15 11:11


BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 108

24.08.15 11:11


II. Hangmen Also Die  –  Eislers erster Hollywoodfilm

1. Geschichtlicher Hintergrund:  Das Attentat auf Heydrich Aus den »Ruinen des Habsburgerreiches« 1 wurde nach dem Ersten Weltkrieg die Tschechoslowakei gegründet. Vor allem an der Grenze zum Deutschen Reich hielt sich jedoch »eine starke deutschsprachige Minderheit«.2 So konnten »1938 [...] Beschwerden, die die [sogenannten] Sudetendeutschen gegen Prag vorbrachten, Hitler einen bequemen Vorwand [liefern], seine Machtsphäre in Mitteleuropa auszudehnen«.3 Als sich die Slowakei schließlich am 14. März 1939 unter deutschem Druck zum unabhängigen Staat erklärte, veranlasste Hitler den Einmarsch deutscher Truppen in die Tschechei und in Prag, da er »sein Volk unter den ›Schutz‹ des Naziregimes zu stellen« 4 habe. Böhmen und Mähren wurden zum »Reichsprotektorat« proklamiert. Formal behielten die Tschechen eine eigene Regierung, die jedoch keine verteidigungs- und außenpolitischen Befugnisse besaß und von einem von Berlin ernannten »Reichsprotektor« streng überwacht wurde. Für den Posten dieses »deutschen Statthalters« wählte Hitler zunächst Konstantin Freiherr von Neurath, »weil er in der angelsächsischen Welt als Mann von Distinktion gelte«.5 Er residierte in der Prager Burg auf dem Hradschin. Für die deutsche Wirtschaft bedeutete »das ›Protektorat‹ sowohl eine wichtige Ressource innerhalb der Rüstungsindustrie (mit den Zentren Prag und Pilsen) als auch eine Quelle billiger Zwangsarbeiter. Bis 1941 wurden 200.000 Tschechen nach Deutschland verschleppt.« 6 Zudem erhielt das Naziregime »auch die komplette Ausrüstung der tschechoslowakischen Armee und Luftwaffe, darunter 600 Panzer und 1.000 Flugzeuge«.7 Nach dem Beginn des Krieges und gut 16 Monate nach dem deutschen Einmarsch in Prag konstituierte sich am 23. Juli 1940 unter der Führung eines ehemaligen Präsidenten der Tschechoslowakei, Eduard Beneš, eine von England offiziell anerkannte provisorische Exilregierung in London, die den Widerstand gegen die Okkupanten zu koordinieren versuchte. Über Funk wurde der Kontakt in die Tschechei zu »einem schattenhaften Zentralrat, UVOD (Ústřední výbor odboje domácího – Zentralausschuss des heimatlichen Widerstandes)« 8 hergestellt. Drastische Widerstandsaktionen, die Repressalien bewirkt hätten,

1 MacDonald 1990, 64. 2 Ebd. 3 Ebd. 4 Ebd., 84. 5 Aus Josef Goebbels’ Tagebüchern zitiert nach MacDonald 1990, 86. 6 Schebera 1985, 219. 7 MacDonald 1990, 85. 8 Ebd., 104.

109

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 109

24.08.15 11:11


Hangmen Also Die

wurden vermieden, stattdessen konzentrierten sich die Anstrengungen der Heimatarmee »auf drei Bereiche: auf nicht aufdeckbare Sabotageakte gegen deutsche Fernmeldeverbindungen, passiven Widerstand wie Bummelstreiks in Fabriken und das Sammeln von Geheiminformationen«.9 Wie empfindlich diese Taktik der »kleinen Nadelstiche« die Besatzer traf, »wird aus der Tatsache ersichtlich, dass im Herbst 1941 der ›Reichsprotektor‹ ausgetauscht wurde. Ein härterer Mann musste her, der energischer durchgriff.« 10 Unter dem Druck der Naziregierung bat von Neurath den »Führer«, ihn aus gesundheitlichen Gründen zu beurlauben. Seine Befugnisse wurden als »Stellvertretendem Reichsprotektor« dem siebenunddreißigjährigen SS-Obergruppenführer und Polizeichef Reinhard Heydrich übertragen, einem skrupellosen Egomanen und ehrgeizigen Intriganten, der sich von einer erfolgreichen Kontrolle von Böhmen und Mähren den Respekt Hitlers sowie die Emanzipation vom ranghöheren Heinrich Himmler versprach. Noch am Tag nach seinem Amtsantritt verhängte Heydrich das Standrecht und veranlasste in der Folge eine Terror-, Verhaftungs- und Hinrichtungswelle, die ihm im In- und Ausland den Beinamen des »Henkers von Prag« eintrug. Um dem schwer getroffenen Untergrund neuen Mut einzuflößen und den Alliierten zugleich die Glaubwürdigkeit des tschechischen Widerstands zu demonstrieren,11 beschlossen der Exilpräsident Beneš und sein Geheimdienstchef František Moravec eine aufsehenerregende Aktion – die Tötung Heydrichs durch ein Attentat. Dazu wurden in Großbritannien mehrere Männer ausgebildet und per Fallschirm in das »Protektorat Böhmen und Mähren« eingeschmuggelt, unter ihnen der Slowake Josef Gabčík und der Tscheche Jan Kubiš. An einer Haarnadelkurve im Prager Bezirk Libeň erwarteten sie am Vormittag des 27. Mai 1942 das Cabriolet des »Stellvertretenden Reichsprotektors« auf seiner üblichen Fahrt zur Prager Burg. Gabčík sollte mit einer Maschinenpistole auf Heydrich schießen und Kubiš eine Bombe in sein Auto werfen. Indessen versagte die Maschinenpistole ihren Dienst, und die Bombe flog zu kurz und explodierte außerhalb des Wagens in Heydrichs Rücken. Dennoch hatten ihm Splitter von Bombe oder Wagenblech schwere innere Verletzungen zugefügt, denen er schließlich trotz aller ärztlichen Bemühungen von eigens hinzugezogenen Spezialisten acht Tage später erlag. Drastische Repressalien und Vergeltungsmaßnahmen seitens der Nationalsozialisten waren die unmittelbare Folge des Attentats. Eine Ausgangssperre wurde verhängt, Großrazzien und Geiselnahmen sollten zur Festnahme der Attentäter, die zunächst zu Fuß und mit dem Fahrrad entkommen waren, und ihrer Verbindungsleute führen. Massenexekutionen wurden veranlasst, »ein mit ›AaH‹ (Attentat auf Heydrich) markierter Sonderzug« 12 deportierte tausend tschechische Juden aus Prag in die Vernichtungslager der SS, zwei weitere Transporte folgten aus dem Ghetto Theresienstadt. Traurige Berühmtheit erhielt das Verbrechen von Lidice: Um ein Exempel zu statuieren, wurde die im böhmischen

9 Ebd., 105. 10 Schebera 1985, 220. 11 Vgl. MacDonald 1990, 152. 12 Ebd., 231.

110

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 110

24.08.15 11:11


Geschichtlicher Hintergrund

Regierungsbezirk Kladno gelegene Ortschaft am 9. Juni 1942 besetzt und die gesamte männliche Bevölkerung im Alter von über fünfzehn Jahren von einem SS-Exekutionskommando an Ort und Stelle erschossen. Die Frauen wurden in Konzentrationslager gebracht, mit den Kindern geschah dasselbe, nur einige wenige wurden SS-Familien zur »Eindeutschung« übergeben. Die Häuser des Dorfes wurden niedergebrannt und die Überreste in Monate währender, akribischer Arbeit eingeebnet. Die Terroraktionen verfehlten ihre Wirkung nicht. Um straffrei auszugehen, gab ein Mitglied des Untergrunds der Gestapo entscheidende Hinweise, die schließlich zum Versteck der Attentäter in der Krypta einer Prager Kirche führten. Nach stundenlangem erbittertem Widerstand entgingen die Rebellen einer Festnahme, indem sie sich selbst erschossen.

111

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 111

24.08.15 11:11


Hangmen Also Die

2. Brechts Mitarbeit Die Nachricht vom Attentat auf Heydrich galt in weiten Teilen der Welt zweifellos als die wichtigste Meldung des 27. Mai 1942. An der Ostküste der USA könnten sie Fritz Lang und Bertolt Brecht noch am selben Kalendertag aus dem Radio erfahren oder am folgenden Morgen den Zeitungen 1 entnommen haben.2 Aus den autobiographischen Aufzeichnungen der beiden Exilanten, dem Journal Brechts und einer Mitteilung Langs an den Brecht-Forscher James K. Lyon geht jedenfalls hervor, dass sie bereits am 28. Mai »über [einen] Geiselfilm (anlässlich Heydrichs Exekution in Prag)« nachdachten.3 Lang und Brecht waren zu diesem Zeitpunkt gewissermaßen Nachbarn, 4 sie »sahen einander oft, diskutierten auf langen Spaziergängen am Meer [über] Politik«.5 Lang war »free-lancing« 6 – das heißt, er war nach der Lösung seines Vertrags mit Twentieth Century Fox bei keinem Studio fest angestellt 7 – und suchte nach einem neuen Stoff. Und: nach eigenem Bekunden bewunderte er Brecht.8 Dieser hingegen war erst seit vergleichsweise Kurzem, seit dem 21. Juli 1941, in den USA. Seine materielle Lage war angespannt, schließlich musste er nicht nur für seinen eigenen Unterhalt sorgen, sondern auch für seine Frau Helene Weigel und die gemeinsamen Kinder Stefan und Barbara aufkommen. Über Rücklagen verfügte er nicht, die Nationalsozialisten hatten »nicht nur das Eigentum der Vertriebenen beschlagnahmt«, sondern verhinderten auch »Einnahmen aus Werken, die an deutsche Verlage gebunden waren«.9 So bildete vor allem eine monatliche Zuwendung aus dem »European Film Fund« – einer maßgeblich von Charlotte und William Dieterle, Liesl und Bruno Frank, Ernst Lubitsch sowie dem Agenten Paul Kohner für hilfsbedürftige

1 Laut Schebera 1985, 210, meldeten »zahlreiche Zeitungen [...], Heydrich sei sofort tot gewesen«, so »auch die ›Los Angeles Times‹ – durch den Zeitunterschied von zehn [recte: neun] Stunden gegenüber Prag bereits in ihrer Morgenausgabe vom 27. Mai 1942.« Zumindest im Hinblick auf die Los Angeles Times treffen jedoch diese Angaben nicht zu. Die Los Angeles Times berichtete am 27. Mai 1942 noch nicht über das HeydrichAttentat, geschweige denn in ihrer Morgenausgabe, und meldete am folgenden Tag auch nicht Heydrichs Tod, sondern lediglich dessen »grave condition [...], according to the Vichy radio, after being wounded in an assassination plot in Prague« (Assassin Bombs Hitler ›Hangman‹, in Los Angeles Times, 28. Mai 1942, S. 1). 2 Lang erinnerte sich später, er habe über das Attentat einen »großaufgemachten Bericht« in der Zeitung gelesen (vgl. Fritz Lang: [Über die Zusammenarbeit an Hangmen Also Die], in Schebera 1985, 164). 3 GBA 27, 99. 4 Beide wohnten damals in Santa Monica in der Metropolregion von Los Angeles. Langs Adresse war 2141 La Mesa Drive; Brecht hatte sein Domizil einen Fußweg von ungefähr anderthalb Kilometern entfernt zunächst in der 815 25th Street bezogen, bevor er im August 1942 in die 1063 26th Street umzog (vgl. Schnauber 1992, 125–128). 5 Fritz Lang: [Über die Zusammenarbeit an Hangmen Also Die], in Schebera 1985, 164. 6 Vgl. ebd. 7 Zu den Geschehnissen, die schließlich zur vorzeitigen Lösung von Langs Vertrag mit Twentieth Century Fox führten, vgl. beispielsweise McGilligan 1997, 281–284. 8 Vgl. Fritz Lang: [Brief an Lotte Eisner, 3. Oktober 1968]: »Ich war ein hundertprozentiger Brecht-Anhaenger«, in Schnauber 1991, 197. Dies bestätigt auch Eisler: »[...] er war ein Verehrer von Brecht.« (EGW III.7, 107). 9 Gersch 1975, 178.

112

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 112

24.08.15 11:11


Brechts Mitarbeit

Flüchtlinge organisierte Spendenkollekte – Brechts ökonomische Basis.10 Um den finanziellen Engpass zu überwinden, versuchte der Schriftsteller beharrlich, als sogenannter »writer on spec« (spekulierender Autor) »auf dem ›freien Markt‹ Geschichten für Filme zu verkaufen.« 11 Er arbeitete an zahlreichen Filmentwürfen, für die einen Abnehmer zu finden ihm aber nicht gelingen wollte.12 Von Brechts Selbstwahrnehmung und Gefühlen von künstlerischer Prostitution und Ekel bei diesen Erwerbsversuchen zeugen eindrucksvoll seine Gedichte aus dieser Zeit, von denen Eisler einige als Hollywood-Elegien für sein langjähriges Projekt eines Hollywooder Liederbuchs vertonte.13 In dieser misslichen Situation bedeutete das Sujet zu Hangmen Also Die zweifellos einen Glücksfall. Rasch erstellten Brecht und Lang gemeinsam »eine kurze Outline«,14 also eine Rohskizze der Filmgeschichte, die indessen mit ihrem Umfang von 39 Seiten das in Hollywood übliche Maß (10–15 Seiten) bereits weit übertraf.15 Ihr Titel war 437!! Ein Geiselfilm (Bezug nehmend auf die Zahl der Geiseln, die in dem Filmentwurf in der Folge des Heydrich-Attentats umgebracht werden).16 Diese Outline und eine 32seitige englische Übersetzung reichte Langs langjähriger Agent Sam Jaffe am 30. Juni 1942 bei der Screen Writers Guild (dem Berufsverband der Drehbuchautoren) in Hollywood ein, um den Urheberrechtsanspruch seines Klienten und Brechts sicherzustellen.17 Zugleich bekundete ein unabhängiger Produzent, Arnold Pressburger (Arnold Productions, Inc.), dem Lang die Outline wohl am 27. Juni 1942 vorstellte, Interesse an dem Filmprojekt.18 So schloss man am 14. Juli einen Vertrag, demzufolge Brecht Lang seine Rechte an der Filmgeschichte abtrat und dafür von dem Filmregisseur 5.000 Dollar erhielt – laut Cornelius Schnauber »mit Einwilligung des [prospektiven] ›Executive Producers‹ [...] Pressburger«.19 »Lang wiederum verkaufte in einem Vertrag vom 11. August 1942 alle Film- und deren Folgerechte an [...] Pressburger [...] und bewirkte für Brecht 3.000 weitere Dollar.« 20 Später erhielt Brecht 10 Vgl. Lyon 1984, 73f. Vgl. auch Brechts Brief an Kurt Weill von Anfang März: »ohne die Hilfe von hier hätte ich es nicht geschafft.« (GBA 28, 222). 11 Gersch 1975, 192. Vgl. auch Brechts Brief an Kurt Weill, 12. März 1942: »ich habe gar keine Einnahmen und muss immerfort diese Filmstories auf ›gut‹ Glück entwerfen, so dass ich zu gar keiner richtigen Arbeit mehr komme« (GBA 28, 223). 12 Gersch 1975, 192, spricht von »mehr als fünfzig Filmentwürfen«, zu denen er allerdings sämtliche Filmprojekte Brechts während seines Exils in den USA (1941–1947) rechnet, also auch einige Projekte nach der Arbeit an Hangmen Also Die (vgl. auch GBA 20 [Prosa 5 – Geschichten, Filmgeschichten, Drehbücher 1940–1956]). 13 Bick 2010a, 92, verkennt diese schwierige Zeit Brechts, wenn sie schreibt: »Once Brecht arrived in Los Angeles, Lang immediately offered him the opportunity to work on Hangmen also Die [...].« 14 Fritz Lang: [Über die Zusammenarbeit an Hangmen Also Die], in Schebera 1985, 164. Lang zufolge war die Arbeit an der Outline im Wesentlichen »in ein paar Tagen, kaum mehr als vier oder fünf«, getan (ebd.). 15 Vgl. Lyon 2002, 457f. 16 Ein Exemplar des Outline-Typoskripts befindet sich in der Fritz Lang Collection, Cinematic Arts Library, University of Southern California (USC), Los Angeles. Es wurde im Brecht-Jahrbuch 28 (2003), 9–30, publiziert (Brecht/Lang 2003). Ein Exemplar der englischen Übersetzung befindet sich Irène Bonnaud zufolge hingegen im Fritz-Lang-Nachlass der Cinémathèque française (vgl. Bonnaud 1999, 15). 17 Vgl. Lyon 2002, 458. 18 Vgl. GBA 27, 107. 19 Schnauber 1991, 199. 20 Ebd., 199f. Beide Verträge sind Teil der Fritz Lang Collection an der USC (siehe Fußnote 16).

113

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 113

24.08.15 11:11


Hangmen Also Die

noch einen Bonus von 2.500 Dollar – und zwar »für die Abend- und Sonntagsarbeit«,21 wie er in seinem Journal vermerkte. So verdiente Brecht insgesamt 10.500 Dollar an der Produktion von Hangmen Also Die – eine stattliche Summe angesichts dessen, dass Eisler aus dem Etat des Rockefeller-Filmmusik-Projekts 3.000 Dollar jährlich erhalten hatte. Es erstaunt daher nicht, dass Brechts ökonomische Lage sich dauerhaft entspannte und er ein knappes Jahr später in sein Journal eintrug: »Der Lang-Film [...] hat mir Luft für drei Stücke verschafft.« 22 Ihre Outline gestalteten Brecht und Lang im Anschluss an deren Copyright-Meldung zu einem 95seitigen Treatment Never Surrender! aus,23 das sie am 16. Juli 1942 abermals durch Sam Jaffe bei der Screen Writers Guild urheberschutzrechtlich registrieren ließen.24 Die englische Übersetzung dieses ebenso wie die Outline zunächst in deutscher Sprache verfassten Treatment hatte Hans Viertel besorgt, ein Sohn von Berthold und Salka Viertel, den Irène Bonnaud auch als den Übersetzer der Outline annimmt.25 Damit war der konzeptionelle Rahmen gesetzt und der Weg frei für intensive Detailarbeit am Drehbuch. Da Brechts Englisch indessen nicht genügte und er aus Hollywooder Sicht auch keine ausreichende Drehbuch-Erfahrung besaß, wurde eigens ein weiterer Mitarbeiter verpflichtet: John Wexley. Der hatte nicht nur als Dramatiker und Drehbuchautor eine gewisse Reputation erlangen können – etwa mit seinem Broadway-Erfolg The Last Mile (1930), einem eindringlichen Protest gegen die Jurisdiktion und den Strafvollzug der USA, und dem gemeinsam mit Milton Krims verfassten Drehbuch zu Confessions of a Nazi Spy (1939), einem der frühesten US-amerikanischen Antinazifilme –, sondern er verfügte auch über die notwendigen Deutschkenntnisse für die Zusammenarbeit mit Brecht.26 Zudem galt er »als links [tatsächlich scheint Wexley im Gegensatz zu Brecht auch Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen zu sein] und sehr anständig«.27 Kein Wunder daher, dass die Zusammenarbeit am Drehbuch zunächst harmonisch verlief. Dennoch enthält der Vertrag, den Wexley am 23. Juli 1942 mit dem Produzenten Arnold Pressburger abschloss, bereits

21 GBA 27, 125 (5. Oktober 1942); vgl. auch den Brief von Arnold Pressburger an Brecht, 28. September 1942: »We agreed to pay you an amount of $2,500 at the time that your work on this script is finally completed. [...] | In consideration of this promised additional compensation you agree to work as hard as at all possible, including evenings, Saturdays and Sundays until the script is actually completed.« (BBA 2971/1) 22 GBA 27, 152 (24. Juni 1943). 23 Lyon 2005, 1f., hält es für evident, dass Lang an dieser Ausgestaltung nicht mehr teilhatte, stützt allerdings seine Behauptung im Wesentlichen darauf, dass Lang während eines Interviews im Jahr 1971 sich an keine Details zu dem Treatment habe erinnern können und dass Hans Viertel zufolge der Regisseur während des Diktats der englischen Übersetzung nicht anwesend war. 24 Vgl. Lyon 2002, 458. Ein Exemplar des englischsprachigen Treatment befindet sich in der Fritz Lang Collection an der USC (siehe Fußnote 16). Es wurde im Brecht-Jahrbuch (2005), 7–60 publiziert (Brecht/Lang 2005). Die deutsche Vorlage konnte bislang nicht aufgefunden werden (vgl. Lyon 2005, 1f.). 25 Vgl. Bonnaud 1999, 15. 26 Vgl. Fritz Lang: [Über die Zusammenarbeit an Hangmen Also Die], in Schebera 1985, 165: »Er sprach ausgezeichnet deutsch«. Vgl. auch das Interview von Wolfgang Gersch mit John Wexley, am 13. Dezember 1965 an Helene Weigel übersandt, BBA 2214/61: »[Lang] erinnerte sich offenbar von unserem früheren gesellschaftlichen Zusammentreffen her, dass ich Deutsch verstand, dass meine Frau Wienerin war, und das sei ein weiterer Vorteil, sagte er, weil Brecht kein Wort Englisch spräche.« 27 GBA 27, 118 (5. August 1942).

114

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 114

24.08.15 11:11


Brechts Mitarbeit

den Keim für das spätere Zerwürfnis: Hier wird allein John Wexley beauftragt, ein Drehbuch zu schreiben »based on an original story tentatively entitled ›Never Surrender‹ by Fritz Lang and Bertolt Brecht«.28 Die genauen Vorgänge um das Attentat auf Heydrich lagen zum Zeitpunkt der Entstehung von Hangmen Also Die wie selbst noch eine ganze Weile nach dem Zweiten Weltkrieg im Dunkeln. Brecht und Lang entschlossen sich darum schon bei ihrer Outline, eine fiktive Rahmenhandlung zu konstruieren. Dennoch enthält diese wohl nicht von ungefähr einige authentische Ingredienzien: etwa die tschechische Widerstandsorganisation, die zu Bummelstreiks aufruft, Sabotageakte veranlasst und von der das Attentat ausgeht; den Umstand, dass Heydrich noch im Krankenhaus um sein Leben ringt und erst in der zweiten Filmhälfte Glockenläuten von seinem Tod kündet; den Terror, den die Nationalsozialisten ausüben, um die Auslieferung des Attentäters zu erzwingen; und schließlich den verräterischen Überläufer.29 Brecht war indessen mit dem filmischen Resultat nicht restlos einverstanden. Einige Szenen hielt er für klischeehaft und manche Effekte erschienen ihm ohne sonderlichen Kontext-Bezug, sondern lediglich auf momentanen Spannungsreiz ausgerichtet. Zudem griff Lang für Hangmen in Teilen auf die bewährte Rezeptur seines ersten Tonfilms M (1931) zurück: ein temporeicher und spannungsvoller Wechsel von Aktionen der Untergrundorganisation und der Polizei.30 Brechts filmische Absicht hingegen war es – auch das gibt das Spielfilmresultat deutlich zu erkennen 31 – die Wirkungsmacht eines geschlossen und unbeirrbar widerständigen Kollektivs, hier des tschechischen Volkes, problematisierend darzustellen.32 So sollte der Film seinem Willen zufolge am liebsten Trust the People 33 oder wenigstens Silent City,34 Die Geiseln von Prag,35 Unconquered 36 oder – wie

28 BBA 2183/192 (Kopie des Vertrags im Bertolt-Brecht-Archiv, Berlin). 29 Wallace 2005, 47f., weist darauf hin, dass der Name des Überläufers, Emil Czaka, offenbar Emil Hácha, Staatspräsident des Protektorats Böhmen und Mähren und zuvor Staatspräsident der Tschechoslowakei, assoziieren lassen soll: »In a film, the main purpose of which is to call for resistance whatever the price, Hácha’s name easily suggested itself for the role of the quisling. Czaka’s statement of loyalty to Gruber – ›As a real Czech patriot I realise our entire future depends on unconditional collaboration with greater Germany‹ – encapsulates the policy identified with the Czech President.« 30 Vgl. das Interview von Wolfgang Gersch mit John Wexley (1965), BBA 2214/59: »Und wir besprachen ein bisschen ›M‹, und er [sc. Lang] erklärte, dass die Idee für die Fabel in ihrer ganzen Handhabung mehr oder weniger der gleichen Fabelstruktur folge, außer im politischen Sinne«. Vgl. auch Gersch 1975, 205; Teuchert 1980, 13f.; Lyon 1984, 91; Töteberg 1985, 102. 31 Vgl. Teuchert 1980: »Despite many cuts and changes, the Brechtian theme of the unconquered collective, ›das unüberwindliche Volk‹ prevails in [...] the released motion picture.« 32 Bonnaud zufolge unterscheidet sich Hangmen Also Die von anderen Antinazifilmen der Zeit durch ebendiese Brecht’sche Problematisierung mit Fragen wie: »Lohnt es sich, Heydrich zu ermorden, wenn diese Ermordung zur Folge hat, dass 437 Leute von der Gestapo verhaftet und später hingerichtet werden? Lohnt es sich generell, Attentate gegen Nazi-Offiziere zu begehen, wenn danach Repressalien folgen?« (Bonnaud 2004, 40) 33 GBA 27, 126 (16. Oktober 1942). 34 GBA 27, 103 (5. Juni 1942). 35 GBA 27, 107 (27. Juni 1942). 36 So lautete der Titel noch, als Edwin Schallert sich den Film dreieinhalb Wochen vor der Premiere für den Los Angeles Examiner ansah (vgl. Schebera 1985, 190f.).

115

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 115

24.08.15 11:11


Hangmen Also Die

das Treatment – Never Surrender heißen. Der Titel, unter dem der Film schließlich herauskam und der einen ganz anderen Akzent setzt, geht Langs Schilderungen zufolge auf den Einfall einer seiner Sekretärinnen zurück, die damit ein betriebsinternes Preisausschreiben für einen werbewirksamen Namen gewann.37 Brechts Tagebuch liefert in dem Zeitraum zwischen dem 28. Mai 1942 und dem 20. Januar 1943 eine aufschlussreiche Chronik der Entstehung von Hangmen Also Die – aus der persönlichen Perspektive des exilierten deutschen Schriftstellers, der nicht bloß sich seinen Lebensunterhalt in Hollywoods Filmindustrie zu verdienen suchte, sondern außerdem hoffte, seine künstlerischen und politischen Intentionen zu realisieren. Seine Beurteilungen sind zunächst durchaus zwiespältig und schwankend, erst am Ende der Dreharbeiten verfestigt sich die Desillusionierung. Am 29. Juni 1942, also noch während der Arbeit an der Outline, notiert er mit missbilligender Verwunderung, dass Lang Diskussionen über die »Logik eines Vorgangs oder Fortgangs« gerne mit dem Argument »Das akzeptiert das Publikum« vorbeuge und überhaupt »weit mehr an Überraschungen interessiert [sei] [...] als an Spannungen«.38 Für »ein unendlich trauriges Gemächte« voller »Schemen, Intrigen, Falschheiten« befindet Brecht »diese[n] Geiselfilm« am 27. Juli 1942.39 Dann, am 14. September 1942, vermerkt er einen besseren Lauf der Dinge, seitdem er »statt Lang [...] mit Wexley die Übertragung der outline in das Drehbuch vorbespreche (und [...] dann auch noch seine Arbeit [korrigiere]).« Außerdem habe er »Wexley dazu gewonnen, mit [ihm] [...] und in [s]einem Haus abends ein völlig neues Idealscript zu schreiben«.40 Drei Wochen später berichtet Brecht dann jedoch von Langs Anordnung, auch abends das »Hauptscript« zu schreiben »und das ›Polieren‹ für den Schluss« aufzuheben, weshalb »Wexley nicht mehr zum Weiterarbeiten am ›Idealscript‹ [zu] bewegen« sei.41 Über Lang heißt es dann am 16. Oktober 1942 – dem Datum, an dem Wexley und Brecht offenbar den Final Draft des

37 Fritz Lang: [Über die Zusammenarbeit an Hangmen Also Die], in Schebera 1985, 169f. 38 GBA 27, 109. 39 GBA 27, 116. 40 GBA 27, 124. 41 GBA 27, 125 (5. Oktober 1942). Brechts Verweis auf ein »Idealscript« hat die Brecht-Forschung von Anbeginn und erst recht seit der erstmaligen Publikation der Journale (1973) umgetrieben. Dennoch konnten die von Brecht bezeichneten 70 Seiten bislang noch nicht gefunden werden, ein Verlust, der nach Gersch 1975, 207, »als der schwerwiegendste im Bereich der Brecht’schen Filmarbeiten anzusehen ist.« Bereits Lyon 1984, 97, hält dem entgegen, dass der »Verlust dieses mutmaßlich rein Brecht’schen Opus [...] nichts an der Tatsache [ändere], dass zumindest eine Fassung des fertigen Drehbuchs so viel unverfälschten Brecht enthielt, dass er es eindeutig als sein eigenes Werk anerkannte.« Rechtzeitig zu Brechts 100. Geburtsjahr brachte Jürgen Alberts den Roman Hitler in Hollywood heraus (Alberts 1997), worin der Autor seine eigenen Erfahrungen mit der Fahndung nach dem Idealscript auf originelle Weise in einen Handlungsstrang integriert hat (dies würdigt auch Mews 2003, 40–44). Auf der Grundlage eines inzwischen vielzitierten Briefes, dem beiliegend Wexley Lang am 6. Oktober 1942 »the first 60 polished pages of screenplay« übersandte (Fritz Lang Collection, siehe Fußnote 16, auch angeführt von Lyon 2002, 461), hat Bonnaud in jüngerer Zeit argumentiert, »dass das sogenannte ›Idealscript‹ eine polierte Fassung des Drehbuchsanfangs war« (Bonnaud 1999, 16), in dem »es wahrscheinlich nie neue Szenen von Brecht« gab (Bonnaud 2004, 45). Bonnaud nimmt aber an, dass das in der Cinémathèque française aufbewahrte Drehbuchfragment CF 2684 »noch große Spuren des sogenannten Ideal-Skripts enthält.«

116

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 116

24.08.15 11:11


Brechts Mitarbeit

Drehbuchs vorlegten –, 42 er sitze, »mit den Allüren eines Diktators und alten Filmhasen, hinter seinem Bossschreibtisch, voll von drugs und resentments über jeden guten Vorschlag, sammelnd ›Überraschungen‹, kleine Spannungen, schmutzige Sentimentalitäten und Unwahrheiten«.43 Zwei Tage nach diesem Eintrag überlegt Brecht, wenn möglich »doch auch einige Szenen aus dem Drehbuch von Trust the People« in seinen Versuchen abdrucken zu lassen – »etwa die erste Szene«, in der »ein moderner Tyrann intelligent geschildert« werde, oder »einige Geiselszenen, wo die Klassenunterschiede im Lager gezeigt werden«. Zudem deklariert Brecht jetzt die Konstruktion des Films aus den drei Geschichten »eines Attentäters«, »eines Mädchens« und »eines Quislings [d. i. ein Verräter, Anm. d. Verf.]« als »episch« und spricht ihr damit das Gütesiegel seiner Poetologie zu. 44 Dann, einen halben Monat später, entsetzt er sich, dass Wexley »für zwei Wochenschecks« die mühsam entfernten »Hauptdummheiten« wieder eingebaut habe.45 Eine weitere Quelle der Enttäuschung war für Brecht, dass es ihm nicht gelang, seine Besetzungswünsche durchzusetzen. So zeigte sich Fritz Kortner gekränkt, dass »in dem Lang-Film keine Rolle« für ihn abfiel. 46 Und für die Besetzung des tschechischen Kollaborateurs Czaka schlug Brecht den mit ihm befreundeten österreichischen Schauspieler Oskar Homolka vor – ohne Erfolg. Brecht verschloss sich indessen offenbar der Einsicht, dass Lang nicht bloß aus purer Willkür ablehnte oder gar, weil Homolka zur Abwechslung »ein guter Schauspieler« 47 war, sondern weil nach seinem einleuchtenden und wirkungsvollen Besetzungskonzept »alle Tschechen von Amerikanern gespielt werden sollten und nur die Deutschen mit deutschem Akzent [so wie Homolka] sprechen dürften«. Czaka sollte vom Publikum »auf jeden Fall [als] ein tschechischer Verräter« und nicht als Deutscher wahrgenommen werden.48 Mit dem gleichen Argument entsprach Lang auch nicht dem Wunsch Brechts, die Rolle der Gemüsehändlerin Mrs. Dvořák mit seiner Frau Helene Weigel zu besetzen, obwohl ursprünglich darüber eine »strikte Abmachung« 49 bestanden

42 Lyon 2002, 461, meint allerdings, dass der auf den 16. Oktober 1942 datierte Final Draft bereits das Ergebnis eines Reduktionsprozesses war, von dem Brecht ferngehalten wurde. Lyon beruft sich auf eine Notiz Langs vom 25. September 1942 an Milton L. Gunzburg, »den Lang engagiert hatte, um das Drehbuch zu überarbeiten« (Lyon 2002, 460). Aus der Notiz folgert Lyon, das zu diesem Zeitpunkt »eine abgeschlossene Erstfassung des Drehbuchs schon vorlag« (ebd.). Dies scheint jedoch keineswegs zwingend, und ebenso nicht, dass die durch Brechts autobiographische Aufzeichnungen verbriefte gemeinsame Arbeit im Zeitraum zwischen dem 25. September 1942 und dem 16. Oktober 1942 nicht in den Final Draft einging. Vielmehr wirkt es plausibel, dass der Eklat am 16. Oktober, da Lang »den armen Wexley [...] hinter verschlossenen Türen« anschrie, »er wünsche ein Hollywoodpicture zu machen, scheiße auf Volksszenen usw.« (GBA 27, 126), eben den am gleichen Tag vorgelegten Final Draft Wexleys und Brechts betraf. Brecht notierte daraufhin die »Enttäuschung und den Schrecken der geistigen Arbeiter, denen ihr Produkt weggerissen und verstümmelt wird« (ebd.) 43 GBA 27, 126 (16. Oktober 1942). 44 GBA 27, 129 (18. Oktober 1942). 45 GBA 27, 133 (4. November 1942). 46 GBA 27, 128 (17. Oktober 1942). 47 Ebd. 48 Schnauber 1991, 200; vgl. auch Fritz Lang: [Über die Zusammenarbeit an Hangmen Also Die], in Schebera 1985, 166f. 49 GBA 27, 139 (24. November 1942).

117

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 117

24.08.15 11:11


Hangmen Also Die

habe und er brieflich »Lang fast flehend darum« gebeten hatte.50 In diesem Fall konstatierte Brecht zwar die Gründe des Regisseurs, empfand es aber dennoch als eine »besonders rüde Art«, wie dieser sich auf »einige überflüssige Sätze« kaprizierte, die Wexley in die zunächst »nahezu stumme Führung der Figur hineingeschmiert« habe, dann mit Weigel »einen flüchtigen Tontest« machte, um schließlich kurzerhand, und ohne Rücksprache zu nehmen, »die erste Szene mit jemand anderm« zu drehen.51 Auch sonst steigerte sich Brechts Unmut während der Dreharbeiten. Dass die weibliche Hauptrolle der Mascha Novotny mit Anna Lee, »einer fünftklassigen englischen Schauspielerin [...] [und] glatten eigenschaftslosen Puppe«, besetzt sei, notierte Brecht schon bei Drehbeginn (2. November 1942).52 Zwei Tage danach entrüstete er sich über die »Schönfärberei der berüchtigten Art«, der zufolge der Attentäter angeblich als letzten Ausweg die Wohnung des Historikers mit frisch geölten Locken und ohne ein einziges Stäubchen auf seinem Sakko betritt.53 Und den Aufwand, den Lang bei der »Schlägerei zwischen Gestapokommissar und Bräutigam der Heldin« betreibt, kommentierte Brecht, da er die Szene offenbar für ephemer hielt, mit deutlicher Ironie.54 Während all der Zeit scheint aber am Drehbuch noch weiter gearbeitet worden zu sein. So datiert das im Bertolt-Brecht-Archiv aufbewahrte Final Shooting Script erst auf den 27. November 1942. Die entsprechenden Einträge in Brechts Journal legen allerdings nahe, dass er von den Revisionen des Final Draft nach dessen Abgabe am 16. Oktober 1942 weitgehend ausgeschlossen war.55 Die Revisionsarbeit lässt sich Irène Bonnaud zufolge an den vier Fassungen des Final Draft ablesen, die die Cinémathèque Française aufbewahrt: »Obwohl sie alle am Anfang denselben Vermerk (›Final Draft October 16, 1942‹) 50 Bonnaud 1999, 16. In seinem Brief an Lang versuchte Brecht, das Ergebnis von »Hellis Test« positiv darzustellen, »da sie im Übrigen wunderbar sein könnte«, und fügte hinzu: »Entschuldigen Sie, dass ich das schreibe, es ist vielleicht Hellis einzige Chance, im Exil was zu machen – wann schon kann für sie wieder eigens was gemacht werden? – und mir liegt so sehr viel daran, aus vielen Gründen.« (Fritz Lang Collection, siehe Fußnote 16, Box 1:13) 51 GBA 27, 139. 52 GBA 27, 133. Während Brecht Lang die Besetzung der weiblichen Hauptrolle mit Anna Lee übel nahm, haderte dieser indessen selber damit, dass Pressburger das Engagement der jungen englischen Filmschauspielerin durchgesetzt hatte. »To Lang she was hopelessly unsuitable for the part.« (McGilligan 1997, 299) Zudem hielt er sie nach dem Zeugnis seines Schnittmeisters Gene Fowler, Jr. generell für »one of the worst actresses in the world« (ebd., 300), und wohingegen Brecht seine Enttäuschung über Anna Lee lediglich seinem Journal anvertraute, ließ Lang sie seinen Unmut während der gesamten Dreharbeiten spüren. Patrick McGilligan zufolge hatte dies negative Folgen: »One can detect Anna Lee’s discomfort in the film. All of the delicacy is squeezed out of her performance.« (Ebd., 303) 53 Ebd. 54 GBA 27, 134 (15. November 1942). Lyon pflegt jedoch diese Ironie zu überlesen und stattdessen den JournalEintrag als Beleg anzuführen (Lyon 1984, 100; Lyon 2004, 34), dass Brecht mit der filmischen Realisation mitunter eben doch zufrieden war, etwa wenn er »Würde, Respektabilität des Handwerks« darin sah, »wie exakt und elegant der Stiefeltritt in den Brustkasten eines liegenden Mannes, dann in die Rippengegend ausgeführt wird« (GBA 27, 124). 55 Dies belegt auch ein unlängst aufgefundener undatierter Brief Brechts an Lang: »nicht einmal meine völlige ausschaltung, die so weit ging, dass ich die endgültige fassung nicht zu sehen bekam, bevor Sie schon ins atelier gegangen waren, nahm ich Ihnen wirklich übel, obwohl Sie aus eigener erfahrung wissen müssen, wie schwierig es ist, aus einer monatelangen intensiven produktion ganz plötzlich an die luft gesetzt zu werden.« (BBA 2892)

118

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 118

24.08.15 11:11


Brechts Mitarbeit

aufweisen, zeigen sie die aufeinanderfolgenden Etappen des Reduzierungsprozesses, den Fritz Lang und seine Mitarbeiter (Wexley oder der junge Milton L. Gunzburg) am Werk vorgenommen hatten.« 56 Zudem existiert in der Cinémathèque Française noch eine fünfte unvollständige Fassung (CF 2684), die nach Bonnnauds Schätzung etwa zwei Drittel eines verloren gegangenen oder nie fertiggestellten, in jedem Fall aber wesentlich umfangreicheren und detailreicheren Drehbuchs darstellt und daher wahrscheinlich auf die Zeit noch vor dem Final Draft datiert. Dieses Fragment enthält »mehrere Szenen, die nirgendwo anders existieren«. Nach Bonnauds Hypothese repräsentieren sie die »›Volksszenen‹ [...], von denen Brecht in seinem Journal spricht und die er in der Versuche-Reihe herausgeben wollte.« 57 Brechts Missmut über den Verlauf der Produktion von Hangmen Also Die erreichte aber wohl den Höhe- und zugleich Endpunkt, als er erfuhr, dass er seiner tatsächlichen Leistung zum Trotz im Filmvorspann nicht als Drehbuchautor aufgeführt werden sollte, sondern dass allein John Wexley den »credit« erhalten würde. Brecht rief die Screen Writers Guild an, da er sich von einer namentlichen Nennung zumindest bessere Chancen für eine eventuelle abermalige Beschäftigung als Drehbuchautor eines Hollywoodfilms versprach.58 Doch die Klage blieb trotz der Fürsprache Eislers und Langs erfolglos, da alle Seiten des Drehbuchtyposkripts mit »John Wexley« überschrieben waren und der maßgebliche Anteil Brechts deswegen nicht belegt werden konnte.59 So ist im Vorspann der in den Verleih gekommenen Filmfassung unter Screenplay tatsächlich nur der Name »John Wexley« zu lesen, während Bertolt Brecht gemeinsam mit Fritz Lang als Verfasser der Original Story aufgelistet wird. Selbst die Herausgeber der Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe von Brechts Werken haben das Urteil der Screen Writers Guild gewissermaßen nochmals bekräftigt, als sie Hangmen Also Die aus dem Kanon der Geschichten, Filmgeschichten, Drehbücher 60 ausschlossen. Immerhin änderte die BrechtForschung infolge von Irène Bonnauds Recherchen ihre Haltung:61 Im Registerband der Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe wird auf die Outline 437!! Ein Geiselfilm sowie das Treatment Never Surrender! verwiesen, die zudem in den Brecht-Jahrbüchern von 2003 und 2005 ediert wurden.62 56 Bonnaud 1999, 15. 57 Ebd. 58 GBA 27, 148 (20. Januar 1943): »Der credit würde mich eventuell instand setzen, einen Filmjob zu kriegen, wenn das Wasser mir bis an den Hals geht.« 59 Um Anspruch auf einen credit unter screenplay erheben zu können, hätte nach den damaligen Bestimmungen Brecht beweisen müssen, mindestens 25 Prozent zum Drehbuch beigetragen zu haben (vgl. Teuchert 1980, 36). 60 Vgl. GBA 19 u. 20 (Geschichten, Filmgeschichten, Drehbücher). 61 Seltsam indessen, dass die Brecht-Forschung nicht schon vor langem den entsprechenden Hinweisen in den einschlägigen Publikationen von Cornelius Schnauber nachgegangen ist und auch Bonnaud selbst diese Hinweise offenbar übersehen hat. Dabei hat Schnauber schon 1986 (wenn auch aus einem anderen Interesse und nicht mit Bonnauds Verve und Genauigkeit) einige der betreffenden Dokumente im FritzLang-Nachlass der von ihm selbst mitbegründeten Fritz Lang Collection an der USC angeführt und deren Relevanz angedeutet (Schnauber 1986, 118–134). 62 GBA Registerband, 682.

119

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 119

24.08.15 11:11


Hangmen Also Die

In der Tat wirkt es paradox, dass Brecht einerseits vor Gericht auf seinem maßgeblichen Anteil beharrt, sich andererseits aber in seinem Journal und auch später immer wieder von der Endfassung des Films distanziert und über die Verstümmelung seiner Arbeit empört hat. In diesem Zusammenhang ist es geboten, sich von der Perspektive des gekränkten und entrüsteten Dichters zu lösen und sein harsches Urteil zu differenzieren. Die Tatsache, dass Brechts Ideen nicht immer berücksichtigt und dass andererseits Szenen und Texte entgegen seinen Vorstellungen konzipiert wurden, heißt nicht unbedingt, dass das Filmresultat nur noch »Dreck« zu sein vermag. Im Gegenteil, Hangmen Also Die kann nicht nur – mit James K. Lyon zu reden – »neben den klischeeüberhäuften Antinazifilmen [...] auch heute [...] durchaus bestehen«,63 sondern muss zu der kleinen Gruppe wirklich gelungener antifaschistischer Filme gezählt werden.64 Zudem ist die Handschrift Bertolt Brechts deutlich zu erkennen, wie dies James K. Lyon, Hans Joachim Teuchert und in jüngerer Zeit Irène Bonnaud überzeugend herausarbeiten.65 Hangmen Also Die erweist sich demnach unter anderem auch als ein Brecht-Film – jedoch eben nur: unter anderem. Vor allem ist Hangmen natürlich ein Film des Regisseurs Fritz Lang,66 ferner zu einem gewissen Grad auch ein Film des Drehbuchautors John Wexley 67 und nicht zuletzt ein amerikanischer Antinazifilm, der in Hollywood mit Rücksicht auf ökonomische Sachzwänge und

63 Lyon 1984, 108. 64 Vgl. Gersch 1975, 217, und Mittenzwei 1989, Bd. 2, 47: »Die durch äußere Verärgerung ausgelöste Distanzierung Brechts von diesem Film, in dem ein Großteil seiner Arbeit steckte, schadete letztlich ihm selbst. In die Rezeptionsgeschichte ging der Film als ein Werk ein, das durch aufgezwungene Konzessionen nichts von Brechts persönlicher Handschrift verrate. Dabei zählt Hangmen Also Die zu den besten Antinazifilmen, die Hollywood gemacht hat. Und das war nicht zuletzt Brechts Verdienst.« 65 Vgl. Lyon 1984, 103–105; Teuchert 1980, 64–130; Bonnaud 2001, 176–183 u. 279–287. 66 Beispielsweise erläutern Cornelius Schnauber und Irène Bonnaud anhand der Szene, in der sich die Protagonistin Mascha Novotny in denunziatorischer Absicht zur Gestapo-Zentrale begibt, wie Lang sich während der Dreharbeiten zwar im Wesentlichen an das Skript halten, dem filmischen Ergebnis aber doch seinen persönlichen Charakter verleihen konnte. Während es für Brecht bei dieser Szene um die kollektive Vernunft des tschechischen Volkes ging, das individuelle Fehltritte zu erkennen und zu korrigieren vermag (vgl. GBA 27, 129), zeigte Lang, dass es »unter bestimmten Erregungen zum Mob einer Lynchhandlung wie in Fury neigt.« (Schnauber 1986, 129; vgl. auch Schnauber 1991, 202; Bonnaud 2004, 44f.) 67 Die neuere Brecht-Forschung will allerdings Wexleys Anteil am Drehbuch nur noch als Hilfsarbeit verstanden wissen. So bringt es James K. Lyon auf die »kurze Formel«: »Drehbuch von Brecht, mit Hilfe von Wexley« (Lyon 2004, 35). Dies erscheint indessen über das Ziel hinausgeschossen. Trotz allem war es schon allein aus Gründen der Sprachkompetenz Wexley, der den Wortlaut des Drehbuchs im Einzelnen ausformulierte. Dass er dabei dem Treatment folgte und wenn möglich ganze »Sätze aus der Vorlage fast wörtlich übernahm« (Lyon 2004, 29), liegt in der Natur der Sache und ist kein Argument gegen Wexleys Drehbuchautorschaft. Sonst wäre beispielsweise auch Nunnally Johnson das Drehbuch zu The Grapes of Wrath (Twentieth Century Fox 1940) abzusprechen, da es keine Inhalte und kaum Dialogformulierungen aufweist, die nicht auch schon in der Romanvorlage von John Steinbeck enthalten sind. Und dass Brecht auch während der Drehbucharbeit entscheidenden Einfluss nehmen, Szenenverläufe vorgeben oder vorformulieren und Korrekturen einbringen konnte, zeigt zwar seinen maßgeblichen Anteil, der – so bereits Lang vor der Screen Writers Guild und im Gespräch mit Peter Bogdanovich (Bogdanovich 1967, 60) – den »Credit« als Drehbuch-Koautor allemal gerechtfertigt hätte. Doch lässt sich daraus im Umkehrschluss nicht folgern, dass Wexley das Drehbuch zu Hangmen Also Die also in Wahrheit gar nicht geschrieben, sondern lediglich – gewissermaßen als Brechts Fremdsprachensekretär – Hilfsarbeiten geleistet habe.

120

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 120

24.08.15 11:11


Brechts Mitarbeit

die Auflagen des sogenannten »Hays Office« 68 produziert wurde. In diesem Licht betrachtet muss ein entscheidender Aspekt an Brechts Unmut bedacht werden. War dieser zwar von jeher gewohnt, im Kollektiv zu arbeiten, so doch nur als primus inter pares. Dass er es bei der Filmproduktion nicht mehr unter Kontrolle hatte, seine – so Lyon – »ganz persönliche, ihm überlegen dünkende Vorstellung zu verwirklichen, machte ihn bitter gegenüber Lang und Wexley, von der Filmindustrie als solcher ganz zu schweigen. Da er von seinem Genie unerschütterlich überzeugt war, legte er das Ergebnis als Verbrechen gegen sich und sein Werk aus.« 69 Wie auch immer man das filmische Resultat von Hangmen Also Die bewerten möchte – sei es, dass man sich auf die Seite Brechts stellt oder dass man Lang zustimmt, der den Spielfilm zumindest für seinen besten Antinazifilm befand 70 –, im vorliegenden Kontext ist es wichtig festzuhalten, dass Brecht sich letztendlich enttäuscht zeigte und welche Gründe dafür bestanden. Eisler, Brechts Kollege bei der Produktion von Hangmen Also Die, war über den Unmut des Freundes nicht nur selbstredend im Bilde, sondern teilte auch seine Meinung, dass man ihm bei seiner Mitarbeit am Drehbuch Unrecht getan und seine künstlerischen und politischen Intentionen verwässert habe.71 Wenn es irgendeine Möglichkeit gab – so marginal sie im filmischen Gesamtzusammenhang auch bleiben mochte –, mithilfe der Filmmusik einen Akzent auf eine der ursprünglichen Absichten Brechts zu legen, so wird Eisler diese Möglichkeit genutzt haben.

68 Bei dem Hays Office handelte es sich um die »Production Code Administration (PCA), ein Büro des MPPDA [Motion Pictures Producers and Distributors Association, erster Präsident (1922–1945): Will H. Hays], das [...] den Inhalt von Filmen kontrollierte. Ab 1934 war die Genehmigung durch die PCA erforderlich für alle Drehbücher vor Drehbeginn und noch einmal für den fertigen Film, der vor seiner Veröffentlichung ein PCASiegel erhielt.« (Nowell-Smith 1998, 205) Trotz der Vorsichtsmaßnahmen Langs bekam Hangmen Also Die ernsthafte Schwierigkeiten mit dem Hays Office, weil am Filmende die Rettung des Attentäters Svoboda dadurch erfolgt, dass der Quisling Czaka mit gefälschten Indizien belastet und den Fahndern in die Hände gespielt wird. »How can I give my approval to a picture that glorifies a lie?« (Bogdanovich 1967, 62), soll der damalige Leiter des Office – Joe Breen – gefragt haben. 69 Lyon 1984, 100. 70 Vgl. Lang, Fritz: [Über die Zusammenarbeit an Hangmen Also Die], in Schebera 1985, 170. 71 Vgl. EGW III.7, 25, 46 u. 107.

121

BV385_Eisler_Bd_5_Umb1_TF.indd 121

24.08.15 11:11




CoverBV385_Layout 1 01.09.15 10:28 Seite 1

P

EISLER-STUDIEN – BEITRÄGE ZU EINER KRITISCHEN MUSIKWISSENSCHAFT Herausgegeben von Johannes C. Gall und Peter Schweinhardt im Auftrag der Internationalen Hanns Eisler Gesellschaft

Eisler-Studien

5

Gall: Hanns Eisler Goes Hollywood

Im April 1942 zog der aus NS-Deutschland exilierte Komponist Hanns Eisler nach Los Angeles, um sein Auskommen in der Hollywood-Filmindustrie zu finden. Nach einigen Mühen wurde er schließlich mit der Musik zu Fritz Langs Antinazifilm Hangmen Also Die beauftragt, an dessen Drehbuch Bertolt Brecht entscheidenden Anteil hatte. Im Anschluss an diese Arbeit schrieb Eisler gemeinsam mit Theodor W. Adorno das Buch Komposition für den Film. Es wurde im Wesentlichen 1944 fertiggestellt, erschien aber erst 1947 in englischer Übersetzung bei der Oxford University Press. Kurz vor der Drucklegung zog Adorno seine Koautorschaft zurück, um nicht ebenfalls ins Visier des House Committee on Un-American Activities zu geraten. In der Studie werden die beiden Gegenstände – das Buch Komposition für den Film und die Filmmusik zu Hangmen Also Die – im Detail untersucht und aufeinander bezogen. Die Betrachtungen zu Adornos und Eislers Buch befassen sich mit der komplexen Textgeschichte, der Problematik der doppelten Autorschaft sowie den wesentlichen Darlegungen und Thesen nicht zuletzt im Hinblick auf den Aspekt der „Komposition für den Hollywoodfilm“. Im Fokus des Teils zur Filmmusik von Hangmen Also Die steht vor allem deren umfassende Analyse. Die Studie stützt sich auf ausgedehnte Archivrecherchen und leistet einen Beitrag nicht nur zur Erforschung von Eislers Leben und Werk, sondern auch zur Adorno- und Brecht- sowie zur allgemeinen Exilmusik- und Filmmusikforschung.

Johannes C. Gall

Hanns Eisler Goes Hollywood Das Buch Komposition für den Film und die Filmmusik zu Hangmen Also Die

Eisler-Studien

Band 5

Breitkopf & Härtel

ISBN 978-3-7651-0385-8

9 783765 103858 BV 385


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.