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Einer für alle, alle für einen

„Es ist bemerkenswert, zu welch frühem Zeitpunkt die Handwerker das Thema soziale Sicherung angepackt haben.“

Michael Sommersell, Experte für Malergeschichte

TEIL 8 HISTORISCHES HANDWERKSZEUG

SOZIALE SICHERUNG

Einer für alle, alle für einen

Ob Krankengeld, Meisterprüfungen oder Preise: Alle Entscheidungen und Ehrungen wurden in den Büchern detailliert festgehalten, die in kunstvollen Truhen – den Zunftladen – aufbewahrt wurden

Schwere Farbeimer schleppen, auf hohen Leitern stehen, über Kopf streichen: Jeder Arbeitstag hat seine Tücken und manchmal laufen Dinge schief oder die immer gleiche Bewegung fordert ihren Tribut. Und dann geht plötzlich nichts mehr – zumindest zeitweise oder auch für lange Zeit. Gegen die Widrigkeiten des Berufslebens schützen seit dem späten 19. Jahrhundert die Sozialversicherungen. Aber auch im Mittelalter, also lange vor Einführung der ersten Sozialgesetze durch Otto von Bismarck, konnten Handwerker auf die Gemeinschaft vertrauen. Denn eine Krankheit oder ein Unfall sollten nicht zur persönlichen Tragödie werden. Zusammenstehen und sich unterstützen – diese Idee haben schon die Zünfte verfolgt.

Zur Kasse, bitte Ab dem 12. Jahrhundert gründeten Handwerker in den Städten Zünfte. Die erste bekannte Vereinigung von Malern auf deutschem Gebiet hat sich 1196 in Magdeburg zusammengetan. Sie nannten sich Schilderer, weil sie vor allem Ritterschilde mit Wappen bemalten. Das Geld der Zunftmitglieder für die Unterstützung von Kranken und Witwen wurde sicher verwahrt, im Malermuseum Hamburg lassen sich heute Kassetten und Kassen bestaunen. Über das Geld wachten die Vorsteher der Zünfte – Ältermänner genannt. Michael Sommersell vom Malermuseum erklärt: „Es ist sehr bemerkenswert, zu welch frühem Zeitpunkt die Handwerker das Thema soziale Sicherung angepackt haben. Die Zünfte hatten sehr große Macht bis weit ins Private. Wenn zum Beispiel ein Malermeister gestorben ist, suchte in der Regel die Zunft nach einem Nachfolger, der den Betrieb weiterführte und auch die Familie des Verstorbenen versorgte.“ Wer in einer Stadt sein Handwerk ausüben durfte, war ebenfalls Sache der Zünfte – genauso wie die Organisation von Ausbildungen, die Abnahme von Prüfungen oder die Regulierung des Marktes. Alle Entscheidungen wurden akribisch protokolliert.

Einmalig: die Malerkasse Die Gewerbefreiheit markierte schließlich das Ende der einst mächtigen Zünfte. Heute kann – fachliche Qualifikation vorausgesetzt – jeder Mensch sein Handwerk ausüben, ohne vom Wohlwollen einer Zunft abhängig zu sein, soziale Absicherung inklusive. Eine Besonderheit gibt es dennoch im jahrhundertealten Malerhandwerk bis heute – nämlich die Malerkasse. Die bundesweite Einrichtung bietet den Malern und Stuckateuren eine Absicherung im Alter zusätzlich zur gesetzlichen Rente. Außerdem sorgt sie über eine branchenweite Umlage dafür, dass Beschäftigte ihren Urlaubsanspruch behalten, auch wenn sie den Betrieb wechseln. Die Maler des Mittelalters konnten von Urlaub vermutlich nur träumen, die WorkLifeBalance hatten die Zünfte noch nicht auf der Tagesordnung. Unser Experte

Michael Sommersell, 62, ist Maler und (ö. b. u. v.) Sachverständiger in Hamburg und bewahrt im Deutschen Maler- und Lackierermuseum die Geschichte des Handwerks malermuseum.de

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