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Anatomie in der Ausbildung

„Lange Zeit war künstlerisches Talent eine wesentliche Voraussetzung für den Beruf.“

Michael Sommersell, Experte für Malergeschichte

TEIL 9 HISTORISCHES HANDWERKSZEUG

FRÜHER UND HEUTE

Anatomie in der Ausbildung

Die Schwabacher Schrift wurde seit dem 15. Jahrhundert verwendet – Malerinnen und Maler mussten sie perfekt beherrschen. Sie zeichnet sich durch eine starke Rundung der Buchstaben aus

Das Malerhandwerk verändert sich. Statt mit dem Zollstock werden Räume heute schnell und genau per Laserscanner vermessen. Und ob im Lager noch Spezialpinsel oder Malerkrepp liegen, verrät die App. Wie neue Materialien, Techniken und Werkzeuge die Arbeitswelt umgekrempelt haben, wird deutlich, wenn man die historischen Schriften und Zeichenblöcke in den Glasvitrinen des Deutschen Maler und Lackierermuseums in Hamburg betrachtet. Die Kolleginnen und Kollegen zu jener Zeit mussten ganz andere Dinge beherrschen als heute. Ganz entscheidend hat sich das Berufsbild vor rund 200 Jahren verändert. Experte Michael Sommersell erklärt: „Im 19. Jahrhundert trennte sich die Malerei in die akademische Kunstmalerei und den handwerklichen Zweig. Davor haben Maler auch Wände getüncht, aber vor allem kunstvolle Bilder gemalt.“

Präzision und Proportion Bei der Ausbildung stand jahrhundertelang die menschliche Anatomie im Vordergrund. In Vorlagenbüchern studierte der Nachwuchs Darstellungen von Körpern und zeichnete sie anschließend nach. „Die Werke ähneln medizinischen Lehrbüchern, es fehlen nur die lateinischen Begriffe“, so der Experte. Diese Detailtreue setzte künstlerisches Können voraus. Talent galt also als wesentliche Voraussetzung für den Beruf. Schließlich sollten Porträts oder Szenen von der Jagd lebensecht auf die Wand. Für den Nachwuchs hieß das: üben, üben, üben. „Weil das so umfangreich war, hat die Ausbildung damals bis zu sechs Jahre gedauert“, schildert Michael Sommersell. An dieser künstlerischen Tradition hielt das Handwerk lange fest, bis in die 1950erJahre wurden in der Meisterprüfung figürliche Darstellungen verlangt. Damals wie heute sind aber Kenntnisse von Schriften gefragt, denn Malerprofis sorgen noch immer dafür, dass Text mit gekonntem Pinselstrich auf die Wand kommt. Mit einem Unterschied: Kein Auszubildender muss alle Schriften auswendig lernen – dafür gibt es das Internet.

Mensch und Maschine In der Zukunft kommen wieder andere Anforderungen hinzu. Laut neuer Ausbildungsordnung von 2021 müssen Fachkräfte heute zusätzlich zum kreativen Gestalten fit sein in Sachen Energiewende. Denn Fassaden sollen gut aussehen, aber auch die Wärme im Haus halten. Auch künftig wird sich der Beruf verändern. Derzeit wird an Robotern getüftelt, die Farbe auf die Wand bringen. Ersetzen können smarte Technologien handwerkliches Können aber nicht. Schließlich ist der Mensch bei Erfahrung und Geschick den Algorithmen meilenweit voraus. Unser Experte

Michael Sommersell, 62, ist Maler und (ö. b. u. v.) Sachverständiger in Hamburg und bewahrt im Deutschen Maler- und Lackierermuseum die Geschichte des Handwerks malermuseum.de

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