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«Die Ketten der Gewohnheit sind so schwach, dass man sie kaum bemerkt — bis sie zu stark geworden sind, um gesprengt zu werden.» Samuel Johnsons
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Wenn die Gewohnheiten und Marotten überhand nehmen, zu groß und zu mächtig werden, dann ist Marotte zum Zwang geworden, der das Leben bestimmt und viel Zeit und Kraft kostet. Alles dreht sich um einen bestimmten Gedanken oder ein bestimmtes Bild. Es wiederholt sich immer und immer wieder. Es bricht wie eine Lawine über einen herein. Mit diesem Gedanken geht die Angst einher. Immer wiederkehrende Gedanken und Ängste kreisen im Kopf und lassen einem keine Ruhe mehr. Um einem inneren Chaos zu entkommen wird außen alles pedantisch geordnet. Jedes Teil hat seinen Platz oder alles wird eine exakt festgelegte Anzahl wiederholt. Jede noch so kleine Handlung ist in ein kompliziertes Netz aus strikten Regeln und festen Abläufen eingebettet. Die Verhaltensmuster halten einen fest gefangen, bieten keine Möglichkeit zum Ausbruch, und werden immer kleinteiliger, einengender und belastender.
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1
12 14 16 18 20
ein bisschen zwang steckt in jedem ursachen symptome zwangsgedanken zwangshandlungen
2
24 26 30 32 36 40 44 48 52 56 60
die verschiedenen gesichter des zwangs der reinliche waschzwang waschzwang ein teufelskreis der kontrollierer kontrollzwang der wiederholer wiederholzwänge der sammler sammelzwänge der ordentliche ordnungszwänge der langsame zwanghafte langsamkeit der denker denkzwänge der grübler grübelzwänge spezifische funktionen der zwänge
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64 66 70 72 74
die kr ankheit des zweifelns ein zwang entsteht erfinden von regeln kinder & jugendliche abgrenzung gegenüber anderen störungen
4
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fakten
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92 94 96 98 102 104
schicksal schicksal schicksal schicksal schicksal berühmte
kontrollzwang zählzwang zwangsgedanken/zählzwang waschzwang zwanghafte langsamkeit persönlichkeiten
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zwänge
ein bisschen zwang steckt in jedem
Unsere Tage verlaufen in einem festen Rhythmus. Immer wiederkehrende Handlungen strukturieren unsere Zeit. Doch wenn der Automatismus überhand nimmt, können Rituale auch zum Zwang werden. Wenn dann die geregelten Handlungsschlaufen aus irgendeinem Grund unterbrochen oder gestört werden, reagieren die Betroffenen mit großer Angst – so, als ob durch die Abweichung etwas Heiliges verunglimpft würde.
Das Ritual ist absolut rational, während zwangsneurotisches Verhalten eindeutig irrational ist.
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Der Unterschied zwischen Ritual und Zwang scheint kein qualitativer, sondern eher ein gradueller zu sein. Sigmund Freud behauptete, dass eine eindeutige Unterscheidung zwischen Ritual und Zwang gar nicht getroffen werden könne: «Zu Zwangshandlungen im weiteren Sinne können alle beliebigen Tätigkeiten werden, wenn sie durch kleine Zutaten verziert, durch Pausen und rhythmiert werden. Eine scharfe Abgrenzung des ‹Zeremoniells› von den ‹Zwangshandlungen› wird man nicht finden könne.» ∞ Die Grenze zwischen Ritual und Zwang ist also unscharf – doch es gibt sie. Während zwangsneurotisches Verhalten jeglichen Sinn vermissen und zudem alltägliche Abläufe zu höchst zeitaufwendigen und kaum lösbaren Aufgaben werden lässt, ist unser Alltag im Großen und Ganzen von durchaus sinnvollen, das heißt das Leben erleichternden Ritualen geprägt. Dass wir uns waschen, frische Luft ins Zimmer lassen und uns um den folgenden Tag sorgen, ist nicht zwangsneurotisch, sondern durch und durch pragmatisch. Und dass wir diese Vorgänge ritualisieren, also mehr oder weniger automatisch vollziehen, ist ebenfalls von Vorteil, da nicht jeder Schritt von Neuem überlegt werden muss. ∞ Wenn wir unseren Alltag auf diese Weise leben, wissen wir immer, was wir als nächstes tun werden – und das ist nicht nur effizient, sondern auch beruhigend. Die Zeit dehnt sich nicht wie ein zäher Kaugummi, sondern reiht sich Punkt für Punkt aneinander, und auf dieser Linie rasen wir dahin, jede einzelne Station eilig abhakend, weil schon die nächste wartet. Dass unsere Fahrt durch den Tag eine reibungslose und umso produktivere ist, wird gewährleistet durch die automatisierende Kraft des Rituals. Jeder Griff sitzt, alles hat seinen Platz und funktioniert wie von selbst.
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Zwangsstörungen treten also in vielen verschiedenen Formen auf. Fachleute unterscheiden zwischen Zwangshandlungen, Zwangsimpulsen und Zwangsgedanken. Meist treten sie kombiniert auf, oft bleiben sie unerkannt. Die Gründe: Viele Zwänge werden als Übereifer oder Macke belächelt. Die Betroffenen verdrängen ihr Problem, entwickeln Kontrollmechanismen oder leben in Isolation – aus Furcht, als verrückt zu gelten. ∞ Beispiele für zwanghaftes Verhalten wurden bereits von Euripides in der antiken Literatur angeführt. Verschiedene bedeutende Persönlichkeiten waren in der Vergangenheit von dieser Störung betroffen, zum Beispiel Martin Luther und Charles Darwin. Die Fremdheit der Zwänge wurde in der christlichen Welt durch das Wirken des Teufels erklärt, was sich erst im 19. Jahrhundert änderte. Eine einigermaßen zutreffende Beschreibung der Zwangsstörung erfolgte erstmals 1838 von dem französischen Psychiater Esquirol, der die Störung als die «Krankheit des Zweifels» bezeichnete. In den folgenden Jahrzehnten wurden Zwangssymptome meistens als Ausdruck einer Depression angesehen. Westphal schlug bereits 1878 vor, Zwänge wegen ihrer Unterschiede gegenüber Angststörungen und Depressionen als eigenständige Krankheit zu betrachten. 1894 beschrieb Sigmund Freud die Zwangsneurose und entwickelte dazu ein psychoanalytisches Erklärungsmodell. ∞ Die Häufigkeit von Zwangserkrankungen – auch Zwangsstörungen genannt – ist lange Zeit unterschätzt worden. In der Zwischenzeit hat sich herausgestellt, dass 1 bis 2 Prozent der Deutschen Bevölkerung irgendwann im Leben unter ausgeprägten Zwängen leiden. Betroffen sind in etwa gleich viele Männer wie Frauen. Statistisch gesehen leiden Frauen häufiger unter so genannten Waschzwängen, Männer dagegen unter Kontrollzwängen. Die Störung beginnt meist im frühen Erwachsenenalter, oft nach einem belastenden Ereignis wie
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familiären Konflikten oder Problemen am Arbeitsplatz. Bei 85 Prozent der Zwangserkrankten sind die Symptome vor dem 35. Lebensjahr voll ausgeprägt. Viele der Betroffenen haben sich zudem bereits in ihrer Kindheit zwanghaft verhalten. ∞ So ist ein dunkler Raum für Patienten mit Kontrollzwang noch lange kein Beweis, dass das Licht nicht brennt. Erst bei wiederholtem An- und Ausschalten sind sie überzeugt. Manche Patienten mit Waschzwang verbringen täglich zehn Stunden damit, ihre Hände, Kleider, Haare zu reinigen; die Familie muss sich permanent desinfizieren. Zwanghafte Sammler können in ihrer Wohnung kaum noch hausen. Keine Möglichkeit bleibt ungenutzt, um wer-weiss-was zu stapeln. ∞ Zwangsstörungen sind für die Umwelt rätselhaft, unverständlich: Warum tut der/die das? Ist einer Frau, die nur noch die Wohnung putzt, nichts anderes mehr wichtig? Tickt jemand nicht richtig, der sich täglich Dutzende von Malen die Hände wäscht? Sie können nicht anders, weil sie sich der Eigendynamik ihrer Rituale ausgeliefert fühlen. Zwangskranke würden gern normal leben, können es aber nicht. Da die Familie zudem oft in die bizarren Rituale eingebunden wird und selbst Strategien entwickelt, um nichts nach aussen dringen zu lassen, wird auch für sie der Alltag zum Albtraum. Eine Zwangsstörung gilt als heimliche Krankheit und wird oft jahrelang geheim gehalten. Oft sogar vor den engsten Angehörigen. Zwangsstörungen gehören zu den am meisten belastenden und am schwierigsten zu behandelnden psychischen Erkrankungen. /
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der reinliche
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der kontrollierer
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der wiederholer
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der sammler
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der ordentliche
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der langsame
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!? der denker
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der grübler
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zwänge
fakten
Vorkommnisse von Zwangserkrankungen pro 100.000 Einwohner über 120
112,5 - 120
67,5 - 75
60 - 67,5
45 - 52,5
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zwänge
fakten
anzahl der betroffenen auf 200 personen
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fakten
zwänge
55%
45%
frauen
männer
männer haben eher kontrollzwänge. frauen haben eher waschzwänge.
beginn der erkrankung
06.—15. Lebensjahr
20.—29. Lebensjahr
aller betroffenen haben keinen festen partner
erkrankung vor dem 30. lebensjahr davon 1/3 vor dem lebensjahr
15.
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erst nach durchschnittlich 7,5 jahren wird eine behandlung begonnen. Verlauf ohne behandlung
75%
chronischer verlauf
25%
kein chronischer verlauf
davon
15%
mit massiVen zuständen z.b. stupor und mutismus (bewegungslosigkeit und verlust der sprechfähigkeit) mit behandlung
55%
95%
besserung der symptome
keine besserung der symptome
5% völlig symptomfrei
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45% behalten symptome
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zwänge
fakten
zwangsgedanken und -handlungen
69%
zwangsgedanken & zwangshandlungen
25%
zwangsgedanken
6%
zwangshandlungen
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zwangsarten
50%
waschzwänge
15%
reine zwangsgedanken
35%
kontrollzwänge
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zwänge
inhalte Von zwangsgedanken
fakten
32,9% schmutz
20,2% andere
8,5%
perfektionismus
16,6% aggression
6,2%
6,3%
eigener körper
religiös
4%
sammeln
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inhalte Von zwangshandlungen
28,1%
kontrollieren
25,9%
waschen/putzen
12,4% andere
11,5%
11%
wiederholen
mental
5,3% ordnen
3,2%
sammeln
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2,6% zählen
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zwänge
schicksale
zwangsgedanken / zählzwang
Angefangen hat das mit kleinen Dingen: Die Mahlzeit nicht fertig essen zu können, immer etwas beiseite lassen zu müssen oder abzuzählen, wie viele Kartoffeln Max kochen darf. Das war am Anfang einfach lästig. Da hat er sich geärgert und es nicht mehr gemacht, dann doch wieder. Mit der Zeit wurde es immer schlimmer und immer mehr Handlungen waren davon betroffen. Manchmal war da ein sehr stärker Ärger gegen dieses zwanghafte Geschehen. Und als es dann ganz schlimm war und Max den ganzen Tag irgendetwas Zwanghaftes tat, jede Handlung mit Zwängen verbunden war, da hatte er das Gefühl: Ich kann das gar nicht mehr aushalten. «Unwillkürlich ging ich auf einer bestimmen Seite an Straßenpfosten, Laternenpfählen und Randsteinritzen vorbei. An der Seite, die sich kleiner, niedriger anfühlt. Ging ich auf der falschen, der ‹höheren› Seite vorbei, fühlte ich mich großspurig und überheblich, gleichzeitig geriet ich in Angstzustände. In einer Überschätzung der Macht meiner Gedanken und Handlungen befürchtete ich, es könnte dem Vater etwas zustoßen, wenn ich auf der ‹höheren› Seite vorüberging. Ich mied ganze Straßenzüge und ich nahm Umwege in Kauf.» Max hat nicht nur die Angst, sich selbst etwas anzutun. Er war besessen von dem Gedanken, durch irgendetwas, das er denkt oder tut, könnte der Vater zu Tode kommen. Aus Angst über diesen Gedanken quält er sich damit, etwas dagegen tun zu müssen. Jeden Zehenzwischenraum siebenmal säubern, fünfmal den Gullideckel umkurven, die Zahl vier vermeiden – denn sie könnte bedeuten, dass er den Vater aus der fünfköpfigen Familie entfernt. Im Schwimmbad niemals acht Bahnen schwimmen, denn das wäre zwei mal vier. Siebenmal plus fünfmal plus zweimal unter der Dusche die Füße bespritzen, indem er jedes Mal den Wasserhahn zudreht und anschließend wieder aufdreht. Einen Fehler bedeutet: alles von vorne. Führt er die Rituale nicht aus, werden Ängste und Schuldgefühle unerträglich: «Um ein Honigbrot essen zu können, musste ich zuerst etwas Butter auf der Brotscheibe verteilen, dann mit dem Messer sieben plus fünf plus zweimal kräftig darüber fahren und jedes Mal die daran hängen gebliebene Butter wieder auf das Butterstück streichen. Anschließend verfuhr ich mit dem Honig in entsprechender Weise.» /
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