Leseprobe Der schockierende Jesus - ISBN 978-3-7655-0897-4

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David Instone-Brewer

Der schockierende Jesus

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Titel der englischen Originalausgabe: The Jesus Scandals: Why he shocked his Contemporaries (and still shocks today) Text Copyright © 2012 by David Instone-Brewer. Original edition published in English in 2012 under the title The Jesus Scandals by Monarch Books (a publishing imprint of Lion Hudson plc, Oxford, England).

Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Friedemann Lux Bibelzitate folgen, wo nicht anders angegeben, der Hoffnung für alle®. Copyright 1983, 1996, 2002 by Biblica Inc.™. Verwendet mit freundlicher Genehmigung von `fontis – Brunnen Verlag Basel. Alle weiteren Rechte weltweit vorbehalten. Weitere verwendete Übersetzungen sind wie folgt gekennzeichnet: L – Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Auflage in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. RE – Revidierte Elberfelder Bibel (Rev. 26), © 1985/1991/2008 SCM R. Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten. GNB – Gute Nachricht Bibel, © 1997 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

© Brunnen Verlag 2014 www.brunnen-verlag.de Umschlaggestaltung: Ralf Simon Umschlagmotiv: shutterstock Satz: DTP Brunnen Herstellung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN 978-3-7655-0897-4


David Instone-Brewer Der schockierende Jesus 192 Seiten, gebunden, 14 x 21 cm Erscheinungsdatum: 01.08.2014 ISBN 978-3-7655-0897-4 Bestell-Nr. 190897 EUR 14,99 (D) / SFr *22,50 / EUR 15,50 (A) * unverbindliche Preisempfehlung des Verlags



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Inhalt Der schockierende Jesus

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Danke! 8 Einleitung 9 Warum Skandale untersuchen?

11

Teil 1: Skandale im Leben Jesu

17

Zweifelhafte Herkunft

19

Als Heiratskandidat ungeeignet

25

Fragw端rdige Wunder

29

Schlechte Tischmanieren

35

Alkoholismus 40 Unruhestiftung durch Anbetung

45

Finanzskandal im Tempel

50

Ein Passahmahl eigener Art

55

Selbstmordgedanken 60 Zensierte Anklageschrift

65

Schmachvolle Hinrichtung

70

Peinliche Auferstehung

75

Teil 2: Skandale unter den Freunden Jesu

81

Voll verr端ckt: Maria Magdalena

83

Verr辰terisch: Judas Iskariot

88

Nieten in Sandalen: Die J端nger

93


6

Die Nicht-Erwählten

102

Die Fluchbeladenen

106

Prostituierte 111

Teil 3: Skandalöses in der Verkündigung Jesu

117

Kindesmissbrauch 119 Scheinheiligkeit 123 Polygamie 127 Scheidung ohne Schuldige

133

Eheliche Grausamkeit

140

Geldanlagen und Wucherzinsen

147

Flüche und Verwünschungen

153

Bitterkeit und Hass

157

Glück gehabt – Pech gehabt?

162

Katastrophen – von Gott geschickt?

167

Gotteslästerung 172 Ewige Qual

177

Anmerkungen

183


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Fragwürdige Wunder Eine Woche nach einem Heilungsbittgottesdienst in unserer Ge­ meinde kam eine ältere Dame nach vorne, um ihr Zeugnis zu geben. Mit sehr lauter Stimme, als habe sie Angst, das Mikrofon sei kaputt, und strahlender Miene verkündete sie: „Meine Hä­ morrhoiden sind weg!“ Und sie fing an, uns alle Einzelheiten zu erzählen. Es gelang mir, ihr so höflich, wie es nur ging, das Mik­ rofon wegzunehmen. Wir dankten Gott pflichtschuldigst für die Heilung, und ich grübelte über meine Reaktion auf die unappetit­ lichen Details nach: Dass so viele Christen meinten, die Zeit der Wunderheilungen sei vorbei, lag es nicht vielleicht mit daran, dass wir oft schlicht nicht darüber reden? Wir trauen uns nicht, unserem Hausarzt zu sagen, dass unsere Gemeinde für unsere ­Allergie betet. Oder unseren Kollegen, dass wir um ein besseres Betriebsklima beten. Und wenn dann unsere Gebete erhört wer­ den, scheint es uns irgendwie nicht angebracht zu sein, darüber zu reden. In der Bibel scheint es pausenlos die erstaunlichsten Wunder zu geben – bis man sich die Mühe macht, sie zu zählen und die Sum­ me durch ein paar tausend Jahre zu teilen. Die einzige Person in der Bibel, deren Leben wirklich voller Wunder ist, ist Jesus. Die drei Jahre seines öffentlichen Wirkens enthalten mehr Heilungs­ wunder (manche an vielen Kranken gleichzeitig) als der ganze Rest der Bibel.4 Der Gedanke liegt nahe, dass die Evangelisten deswegen so viele Wunder Jesu berichten, weil dies seine Glaub­ würdigkeit erhöhte und es das war, was die Menschen hören wollten – aber es war genau umgekehrt. Heilungswunder waren im 1. Jahrhundert n. Chr. ein Reiz­ thema. Wunder waren sozusagen nicht salonfähig. Gebildete Leute betrachteten sie als Schwindel, den man den Leichtgläubi­


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gen auftischte; als etwas, das man inszenierte, um eine neue Reli­ gion zu gründen und auf die Schnelle reich zu werden. Im 2. Jahr­ hundert untersuchten die griechischen Schriftsteller Oenomaus und Lukian einige sogenannte Wunder. Sie fanden u. a. heraus, dass die „sprechenden Statuen“ einer bestimmten Religion schlicht mit geschickt kaschierten Sprechrohren versehen waren, durch die man sie von außen zum „Reden“ bringen konnte. Als Josephus in seinem Werk Jüdische Altertümer das Alte Testament für römische Leser des 1. Jahrhunderts adaptierte, ließ er die meisten Heilungswunder aus, weil besagte Leser sie für unecht gehalten hätten. An Wunderheiler zu glauben war damals nicht in Mode; dazu hatten zu viele Scharlatane ihr Unwesen getrieben, die nur sich selber vermarkten wollten. Auch den Juden waren Wunder nicht geheuer. Als der jüdische Autor Philo von Alexandrien im 1. Jahrhundert n. Chr. seinen Kommentar zum Alten Testament verfasste, deutete er die Wun­ der „philosophisch“, d. h. nicht als tatsächlich geschehene Ereig­ nisse. Viele Juden sahen das Thema noch weniger gnädig. Dass seine Feinde Jesus beschuldigten, er tue seine Wunder durch die Kraft des Teufels, zeigt, wie gering sie von Wundern dachten. Die jüdische politische Elite (die Sadduzäer) glaubte nicht an überna­ türliche Ereignisse, während die religiösen Führer (die Pharisäer) zwar an Wunder glaubten, aber nur, wenn sie genügend weit zu­ rücklagen. Wunder – das war etwas aus den „guten alten Zeiten“ des Alten Testaments … Doch im Laufe der nächsten fünf Jahrhunderte wurden Wun­ der nach und nach wieder gesellschaftsfähig. Die Menschen glaubten wieder daran (böse Zungen würden sagen, sie ließen sich leichter manipulieren).5 Damals kamen Berichte über Wun­ dertaten durch einzelne Rabbis zur Zeit Jesu in Umlauf. Zwei von ihnen, Honi und Hanina, waren besonders berühmt, obwohl die frühen Schilderungen ihrer Wunder nicht besonders bemer­ kenswert sind. Honi betete einmal erfolgreich um Regen, Hanina gelegentlich um die Heilung von Kranken.6 Beide waren unter ihren Kollegen nicht besonders hoch angesehen.7


Fragwürdige Wunder

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Kurz und gut: Mit Wundern konnte Jesus bei den meisten Juden seiner Zeit nicht punkten – eher im Gegenteil. Vielleicht hängte er sie deswegen nicht an die große Glocke. Er benutzte sie im Allge­ meinen auch nicht, um seine Vollmacht zu beweisen, ganz anders als etwa Elia, der das ganze Volk zu dem Gottesurteil auf dem Karmel zusammenrief, oder Mose, der vor aller Augen seinen Hir­ tenstab zur Schlange werden ließ oder mit ihm das Rote Meer teil­ te. Jesus wies viele der von ihm Geheilten an, ihre Heilung für sich zu behalten. Die meisten seiner Wunder tat er im Verborgenen oder wenn die Menge sich verlaufen hatte (s. z. B. Matthäus 8,14-16). Sehr wahrscheinlich hat er noch viel mehr Heilungen vollbracht als die, von denen die Bibel berichtet. Selbst die Speisung der Fünftausend geschah gleichsam nur mit halber Lautstärke. Jesus zauberte nicht eins, zwei, drei einen Rie­ senberg Lebensmittel herbei. Er sorgte nur dafür, dass der Provi­ ant nicht weniger wurde. Das eine Wunder, das von dem allge­ meinen Muster abweicht, ist die Auferweckung des Lazarus; sie geschah vor einer großen Menschenmenge und (anders als fast alle anderen Wunder Jesu) in der Nähe einer großen Stadt. Und die Reaktion darauf? War das, was Jesus wohl erwartet hatte: Seine Feinde beschlossen, ihn zu töten (Johannes 11,46-50). Die Evangelien geben als Grund dafür, dass Jesus wunderhaft wirkte, sein „Mitleid“ bzw. „Erbarmen“ an. Diese Worte sind eine ziemlich zahme Übersetzung eines ungewöhnlichen griechi­ schen Wortes (splagchnizomai). Die beste moderne Entsprechung dafür dürfte das Wort „herzzerreißend“ sein. Es war der einzige Ausdruck, den die Evangelisten finden konnten, um die extreme Reaktion Jesu auf menschliches Leiden zu beschreiben. Wenn er mit Krankheit, Hunger und dämonischer Angst konfrontiert wurde, ging ihm das so nahe, dass er einfach etwas tun musste, auch wenn dies ihn selbst in Gefahr brachte. Auch die frühen Kirchenlehrer und Kirchenväter machten we­ nig Aufhebens um die Wunder Jesu, denen noch immer etwas Skandalöses anhaftete. Sie konzentrierten sich stattdessen auf sei­ ne Ethik und Selbsthingabe. Das waren Themen, mit denen man


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damals bei Nichtgläubigen viel mehr Punkte machen konnte. Im frühen 2. Jahrhundert erwähnt Justin der Märtyrer mehrere der Heilungen in den Evangelien, aber nur, um die Behauptung zu widerlegen, dass der heidnische Gott Äskulap genauso viele Kranke heilte wie Jesus.8 Der sehr populäre Äskulapkult war eine Ausnahme von der Regel – eine Heilungsreligion, die salonfähig war. Man pilgerte zu den Äskulaptempeln, um sich rituell zu reinigen, Opfer darzu­ bringen und dann zu übernachten. Angeblich wurden viele ge­ heilt, obwohl ein moderner Statistiker die Schultern gezuckt hät­ te. Die wenigen Geheilten wurden angehalten, Gedenktafeln oder Ähnliches fertigen zu lassen, sodass die Erfolgsgeschichten betont wurden – aber es gab keine Gedenktafeln für die vielen, vielen Nichtgeheilten, und wer dem Tode nahe schien, musste den Tem­ pel schnellstens verlassen, da dieser durch Todesfälle „verunrei­ nigt“ worden wäre (was die Erfolgsstatistik natürlich schönte). In modernen medizinischen Wirksamkeitstests vergleicht man normalerweise das neue Medikament mit einem sogenannten Placebo, also einem Scheinmedikament, das keinerlei Wirkstoffe enthält. Statistisch hat ein Placebo 20 Prozent der Wirksamkeit des „richtigen“ Medikaments – ein Beweis dafür, welchen Ein­ fluss die Macht der Suggestion oder die Heilungserwartung auf die Selbstheilungskräfte des Körpers hat. Eine Nacht im Äskulap­ tempel muss bei den Kranken sehr starke Hoffnungen auf Hei­ lung geweckt haben; man konnte also eine gewisse „Heilungs­ quote“ erwarten. Doch die Wunder Jesu waren nicht wegzudiskutieren. Es war so unmöglich, sie zu widerlegen, dass seine Gegner sie schließlich für Teufelswerk erklärten – sogar (man höre und staune) seine Dämonenaustreibungen (Matthäus 12,24-26)! In den jüdischen Akten über den Prozess gegen Jesus, die in antiken Texten erhal­ ten geblieben sind (s. das Kapitel „Zensierte Anklageschrift“), wird Jesus der „Zauberei“ beschuldigt. Und das bedeutet, dass seine Ankläger seine Wunder für echt hielten, denn die damaligen Juden unterschieden zwischen bloßer „Magie“ (die mit Tricks


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und Illusion arbeitete) und „Zauberei“, also echten Wunder­ taten, für die man dämonische Mächte benötigte.9 Jesus war völlig anders als die alten und modernen „Wunderhei­ ler“, die ihre wenigen Erfolge laut hinausposaunen. Er scheute das Rampenlicht, und nichts deutet darauf hin, dass ihm je eine Hei­ lung nicht gelang. Er erwartete keine Vorleistungen von den Men­ schen, die er heilte. Keinen starken Glauben; schon ein kleiner Senfkornglaube reichte ihm. Auch keine Reinheit; wenn nötig, ver­ gab er zunächst die Sünden des Kranken (Markus 2,1-12). Das einzige Motiv für seine Heilungen, das die Evangelien erwähnt, ist sein Erbarmen. Er liebte die Menschen so sehr, dass er es nicht er­ trug, sie leiden sehen zu müssen. Auch nach der Himmelfahrt Jesu gab es noch Wunder, aber nur gelegentlich. Wir finden in den Evangelien keinen Menschen, der Jesus um Heilung bat und nicht geheilt wurde. Doch dies änderte sich nach seiner Himmelfahrt. Jetzt waren Wunder eher die Ausnahme. In der Alten Kirche beteten Kranke und Verletzte um Heilung, aber sie sahen dies nicht als Selbstverständlichkeit; sie wussten, dass Wunder selten waren. Als in Apostelgeschichte 20,9-10 Eutychus seinen tödlichen Fenstersturz hat und Paulus ihn ins Leben zurückholt, sind die Umstehenden erstaunt. Und als Paulus’ Mitarbeiter Epaphroditus erkrankt, gibt es keine Wunderheilung; seine Heimatgemeinde und Paulus sind sehr be­ stürzt und freuen sich umso mehr, als er durch Gottes Gnade wieder gesund wird (Philipper 2,25-27). Von Paulus selbst wissen wir, dass er eine Krankheit hatte (wohl ein Augenleiden, also mit das Schlimmste, was einem Gelehrten passieren konnte), für die er Gott wiederholt um Heilung bat – vergeblich (2. Korinther 12,7-9; Galater 4,15). Auch heute geschehen noch Wunder im Namen Jesu, und weil das auf der ganzen Welt der Fall ist, sind es wahrscheinlich mehr, als er selbst während seines Wirkens auf der Erde tat. Doch mein persönlicher Eindruck ist, dass die meisten echten Wunder „hin­ ter den Kulissen“ geschehen. Wenn Teleevangelisten, die als Wunderheiler gelten, um medizinische Belege für ihre Wunder


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gebeten werden, murmeln sie auf einmal etwas von Datenschutz oder bedauern, dass es keine Unterlagen gibt. Dagegen stehen die zahlreichen Gebetserhörungen im stillen Kämmerlein, wo die Ärzte die Welt nicht mehr verstehen und niemand vor die Kame­ ras tritt. Entscheidet Gott denn willkürlich, wen er heilt und wen nicht? Warum hört man aus der Dritten Welt besonders viel von Kran­ kenheilungen? Weil die Not dort größer ist? Oder weil die Men­ schen leichtgläubiger sind? Erleben manche Gemeinden des­wegen mehr Wunder, weil sie mehr beten, oder weil sie halt das sehen, was sie sehen wollen? Es ist heute genauso leicht, skeptisch zu sein, wie in den Tagen Jesu. Aber selbst die größten Skeptiker des 1. Jahrhunderts konnten nicht leugnen, dass Jesus tatsächlich Wunder gewirkt hat. Manchmal hat der Skeptiker lediglich ver­ gessen, die Fakten zu prüfen.


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