Leseprobe Wunder der Weihnacht - ISBN 978-3-7655-0909-4

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Ursula Berg

Wunder der

Weihnacht Kleine Geschichten

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Ursula Berg Wunder der Weihnacht Kleine Geschichten 96 Seiten, gebunden, 10,5 x 17cm Erscheinungsdatum: 06.08.2014 ISBN 978-3-7655-0909-4 Bestell-Nr. 190909 EUR 8,99 (D) / SFr *13,50 / EUR 9,30 (A) * unverbindliche Preisempfehlung des Verlags

© 2014 Brunnen Verlag Gießen www.brunnen-verlag.de Lektorat: Eva-Maria Busch Umschlagfoto: Getty Images Satz: DTP Brunnen Druck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm ISBN 978-3-7655-0909-4


Inhalt Das Lächeln eines Kindes 7 Sensation im Internet 9 Wer glaubt schon an Engel? 12 Gedächtnisstütze 18 Ein merkwürdiges Weihnachtsgeschenk 23 Josef gehört in die erste Reihe 27 Weihnachtswunder 34 Engelsgeduld 42 Ohne Licht 47 Weihnachtliches Chaos 49 Nächtliche Störung 57 Eine Weihnachtseinladung besonderer Art 59 Gelungene Überraschung 66 Schneeballschlacht 69 Großmutter, der Computerfreak 72 Ein Herz für Kinder 78 Mit Mann und Wagen 86 5



Das Lächeln eines Kindes Grußlos hatte jeder von ihnen den Warteraum des Flughafens betreten. Der englische Geschäftsmann, der sofort hinter dem Wirtschaftsteil seiner Zeitung verschwand, der gepiercte Punk, der sich Kaugummi kauend über sein ­Smartphone beugte, eine junge Französin mit mächtigem Rucksack und MP3-Player, ein älterer Afrikaner und eine junge Frau mit einem schlafenden Kind. Sie alle wollten heute am Heiligen Abend bei ihren Familien sein. Doch bedrückend lange warteten sie hier auf den Abflug ihrer Maschine. Der Start wurde immer wieder verschoben. Noch keine Landeerlaubnis am Zielflughafen, hieß es. Inzwischen war es schon dunkel geworden und die Ungeduld der Reisenden wuchs sichtbar. Jeder starrte verdrossen und finster vor sich hin. Manche trommelten penetrant mit den Fingern auf die Fensterbank, andere gingen unruhig auf und ab. Irgendwann wachte das kleine Mädchen auf, schälte sich aus seinem Umhang und fing munter an zu plappern und rutschte vorsichtig vom 7


Schoß der Mutter. Unbefangen trödelte es von einem zum anderen und lachte die Menschen an. Die ersten lächelten zurück und nickten der Kleinen freundlich zu. Der Afrikaner antwortete mit einem leisen Singsang. Ohne Scheu blieb die Kleine stehen. Mit einem Mal begann die junge Französin zu singen: „Petit Papa Noël“. Sie reichte dem Kind die Hand und hüpfte mit ihm zwischen den Stühlen herum. Und alle Augen nahmen daran teil. Als endlich der Aufruf zum Start der ­Maschine kam, verabschiedete sich das Kind mit Handschlag von jedem. Die Erwachsenen taten es ihm gleich und wünschten sich gegenseitig: Frohe Weihnachten, Merry Christmas, Joyeux Noël. Und einen Flügelschlag lang ahnte man hier den Frieden auf Erden zwischen Menschen, die guten Willens sind. Es ist nicht das Feuer, es sind nicht die Kerzen, was diese Welt wärmt, sind brennende Herzen. Ursula Berg

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Sensation im Internet Ein jugendlicher Spaßvogel verhalf ungewollt einem kleinen Jungen zur größten Weihnachts­ freude seines jungen Lebens. Und das kam so: Tausende von Sportfans in aller Welt jubelten, als im Dezember im Internet zu lesen war, dass eine weltbekannte Sportartikelfirma alte gegen neue Turnschuhe kostenlos umtauschen wolle. Leider war dies nur ein übler Scherz. Aber die Flut von alten, ausgelatschten, stinkenden Turn­ schuhen der Nobelmarke, die aus allen Teilen der Welt hereinstürzte, war nicht mehr zu stoppen. Der Konzern kam in große Bedrängnis. Denn neben dem aktuellen Weihnachtsgeschäft muss­ ten nun Erklärungsschreiben an alle enttäuschten Einsender verschickt werden. Schließlich hatte die Firma einen Ruf zu verlieren. Im Trubel dieser turbulenten Tage blieb irgend­ wo ein kleines unscheinbar gekrickeltes Briefchen liegen. Nur der Umsicht einer Sekretärin war es zu verdanken, dass dieses Schreiben persönlich der Geschäftsleitung zugeleitet wurde. Als der Direktor kurz vor Weihnachten die großen un­ 9


gelenk geschriebenen Zeilen las, lächelte er und bedankte sich bei seiner tüchtigen Mitarbeiterin. Der Brief stammte von einem kleinen Jungen aus Brasilien. Er schrieb: Liebe Firma, unser Turnlehrer hat uns erzählt, dass ihr alte gegen neue Turnschuhe eintauscht. Leider habe ich noch nie so tolle Turnschuhe besessen. Wir sind sechs K ­ inder und da reicht es nicht für solche schönen Sachen. Aber sicher habt ihr jetzt viele alte Turnschuhe. Könnt ihr mir nicht davon ein Paar schicken? Ich würde sie sauber machen und hätte einmal richtige Superschuhe wie die der Nationalmannschaft. Sebastiao Nachdenklich legte der Direktor das Schrei­ ben zur Seite und führte anschließend mehrere Tele­fongespräche. So kam es, dass am Heiligen Abend ein riesiges Paket mit nagelneuen Turn­ schuhen für den kleinen Briefschreiber und alle seine Geschwister in Brasilien eintraf. Dazu noch eine Einladung für Sebastiao zum nächsten Trai­ ning der Nationalmannschaft.

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Ich w端nsche dir, ein Schenkender zu werden, und doch ein Reicher zu bleiben. Afrikanischer Bischof

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Weihnachtswunder Wütend schlug Christoph die Tür hinter sich zu, durchquerte mit riesigen Schritten die Schalter­ halle der Bank und stieß zornig die Eingangstür auf, ohne auf seine Umgebung zu achten. So also sah eine langjährige Freundschaft aus! Mit Joachim, dem Bankdirektor, war er aufge­ wachsen. Sie hatten dieselbe Schule besucht, dieselben Streiche ausgeheckt und waren zu­ sammen durch dick und dünn gegangen. Nach ihrem Studium waren sie hier zu ihren Wurzeln zurückgekehrt und hatten sich eine solide Exis­ tenz aufgebaut. Im ganzen Ort waren sie geach­ tet, respektiert und wohl gelitten. Sie brachten ihre Ideen im Gemeinderat ein, wurden eine musikalische Stütze des Kirchenchors und or­ ganisierten gemeinsam das Sommerfest und den Weihnachtsbasar. Und jetzt so etwas … Christoph blieb kopf­ schüttelnd stehen. Er konnte es noch immer nicht glauben. Sein bester Freund Joachim kün­ digte ihm den Kredit für sein Haus. „Es tut mir leid, es geht nicht mehr“, erklärte 34


ihm der feine Herr Bankdirektor. „Zweimal habe ich dir schon Aufschub gewährt und die Zinsen gestundet. Aber der Vorstand hat entschieden, dass bei der heutigen Finanzlage keine Ausnah­ men mehr gemacht werden können. Das be­ deutet, dass dein Haus versteigert werden muss, wenn du deinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen kannst.“ Christoph war im Verzug mit den Raten. Aber das war doch nicht seine Schuld. Er war Bau­ ingenieur und hatte eine gute Position bei einer Tiefbaufirma gehabt. Die Aufträge sprudelten und Arbeit gab es mehr, als zu bewältigen war. In dieser prosperierenden Phase baute Chris­ toph für sich und seine Familie ein schönes Haus am Ortsrand. Niemand konnte damals ahnen, dass sich die wirtschaftliche Situation einmal schlagartig verändern würde. Eines Tages hieß es, die Firma werde von ei­ nem Investor übernommen, und vielen flatterten die Entlassungsbriefe ins Haus. Wehren, strei­ ken, betteln – nichts half. „Gräme dich nicht“, sagte seine Frau Elisabeth. „Du bist ein guter Bauingenieur und ein hart ar­ beitender Mann. Du wirst bald wieder eine neue 35


Stelle finden.“ Doch alles Hoffen und Bewerben war bisher vergeblich gewesen. Christoph war der Verzweiflung nahe und der Besuch bei seinem Freund Joachim gab ihm den Rest. Wenn er das Haus verlor, verlor er alles, wo­ für er gearbeitet hatte. Nach Abzug der Schulden blieb ihm nichts mehr. Ach, wie sollte er das alles seiner Frau erklären? Sie wartete zu Hause und hoffte auf eine gute Nachricht nach diesem Besuch bei der Bank. Sie war eine so tapfere Frau. Was hatte er nur falsch gemacht, dass ihn so ein Schicksalsschlag traf? Und wie sollte alles weitergehen? Ihm graute vor dem morgigen Tag. Er konnte nicht unbefan­ gen mit Joachim plaudern – und schon gar nicht könnte er bei der Probe des Kirchenchors neben ihm stehen und das große Halleluja anstimmen. Schweren Schrittes betrat Christoph sein Haus. Elisabeth kam ihm in der Diele entgegen. Ein Blick in sein Gesicht genügte ihr. Ohne ein Wort nahm sie ihren Mann in die Arme und fuhr ihm zärtlich durchs Haar. „Nicht traurig sein“, murmelte sie beschwö­ rend. „Wir werden das zusammen durchstehen.“ Sie gingen ins Wohnzimmer und er ließ sich 36


müde in einen Sessel fallen. Welch anheimeln­ de Atmosphäre empfing ihn dort. Der Weih­ nachtsbaum war schon geschmückt, die Krippe da­runter aufgebaut und im ganzen Haus duftete es herrlich nach Zimt und Vanille. Aber dieses Wohlgefühl bedrückte und be­ schwerte sein Herz nur noch mehr. Er empfand eine grenzenlose Wut auf den Mann, der an all seinem Elend schuld war – Joachim. Christoph ballte seine Hände zu Fäusten. Er konnte nicht länger untätig zu Hause sitzen. Er musste raus aus dem Haus, das ihm bald nicht mehr gehören würde. Raus aus dem trügerischen Bild der Harmonie und raus aus der fürsorg­lichen Vertrautheit seiner Familie. Das alles würde bald wie ein Kartenhaus einstürzen. Es hatte wieder angefangen zu schneien. Stür­ misch trieb der Wind die Flocken wie weiße Wirbel vor sich her. Christoph registrierte es kaum. Wie ein Dampfhammer bahnte er sich ei­ nen Weg durch die weihnachtlich geschmückte Hauptstraße, mitten durch viele bekannte Ge­ sichter. „Feiner Freund!“, murmelte er immer wieder. Was hatte Joachim letztes Jahr bei der Eröffnung 37


des Adventsbasars lautstark verkündet: „Wir wol­ len immer daran denken, dass Weihnachten das Fest der Liebe ist. Ein Fest, an dem jeder, der es im Leben gut hat, denen helfen sollte, die Hilfe brauchen …“ Pah, alles leere Worthülsen! Inzwischen war Christoph am Ende des Dor­ fes angelangt, überquerte hastig die Straße und hielt erst hier – am Anfang des Waldes – inne. Krause, verzweifelte und wirre Gedanken wir­ belten ihm durch den Kopf. Mit einem Mal war ihm bewusst, dass es einen Ausweg gab. Einen, bei dem seiner Frau und seinen Kindern geholfen wäre. Wenn er nicht mehr leben würde, dann wä­ ren sie nicht mit der Bürde des Versagers belastet, sondern bekämen als Leidtragende das Mitge­ fühl aller zu spüren. Erschöpft lehnte sich Christoph an einen Stamm. Schnee wehte ihm ins Gesicht, doch er fühlte nichts. Verzweifelt versuchte er nachzu­ denken, einen klaren Gedanken zu fassen, um dann eine Entscheidung zu treffen. Einige Zeit starrte er reglos in den grau ver­ schneiten Himmel. Irgendein Geräusch irritierte ihn. Da war etwas, das nicht zu der Stille hier draußen passte. Er lauschte, drehte den Kopf, 38


ging vorsichtig ein paar Schritte, blieb wie­ der stehen und vernahm so etwas wie ein leises Wimmern oder Schluchzen. „Hallo“, rief er laut. Ein weinerliches „Mama“ antwortete. Chris­ toph stapfte los und stand wenig später vor ei­ nem kleinen, im Schnee kauernden Jungen, der jämmerlich nach seiner Mama rief. Seine Hose war am Knie aufgerissen und blutverschmiert. ­Merkwürdig schief hing sein Bein. Das Kind zit­ terte am ganzen Körper. „Was um alles in der Welt macht so ein Knirps wie du allein im Wald?“ „Papa hat gesagt, dass ich dieses Jahr nichts vom Christkind bekomme, weil ich nicht artig war und Mamas teure Vase zerbrochen habe. Ich wollte das Christkind suchen und ihm alles erklä­ ren. Aber dann bin ich gestolpert und hingefal­ len. Und als ich wieder aufstehen wollte, hat mein Fuß ganz furchtbar wehgetan.“ Ohne zu zögern, zog Christoph seinen Mantel aus, wickelte den Kleinen so vorsichtig wie mög­ lich hinein, nahm ihn auf den Arm und lief so schnell er konnte mit ihm nach Hause. Elisabeth, die vor Sorge fast verrückt gewor­ den war, erfasste die Situation sofort. Sie rief den 39


Notarzt an, kochte heißen Tee und gab ihn dem Jungen zu trinken. Der schnell eintreffende Arzt wollte nach der Erstversorgung den Namen des Kindes wissen. „Felix Weber“, piepste das Kind. Christoph stutzte, sah seine Frau an. Die nick­ te. „Ich wusste es im ersten Augenblick.“ Christoph schaute sie irritiert an. „Du meinst, das ist der kleine Felix, der Sohn von Monika?“ Elisabeth nickte. „Dann ist das der Enkel von Joachim.“ Sein Gesicht verhärtete sich. „Wenn ich das gewusst hätte …“ „Was dann? Hättest du das Kind im Wald er­ frieren lassen?“ „Nein, natürlich nicht“, gab Christoph kleinlaut zurück. „Aber merkwürdig ist die Sache schon.“ „Daran ist nichts merkwürdig. Als du so lan­ ge nicht nach Hause kamst, habe ich ganz innig gebetet, dass Gott dich beschützen möge und du keine Dummheit machst. Ich bin so froh und dankbar, dass er mein Gebet erhört hat.“ Nachdenklich antwortete Christoph: „Der Kleine … Er hat mich tatsächlich gerettet.“ Elisabeth drückte seine Hand: „Ich würde sa­ 40


gen: Der Große da oben – der hat dich gerettet durch dieses Kind.“ Die Chorprobe am nächsten Tag fiel ziemlich dürftig aus, denn zwei tragende Stimmen fehlten. Christoph und Joachim saßen zusammen und hat­ ten viel zu bereden. Joachim war gekommen, um sich bei Christoph überschwänglich für die Ret­ tung seines Enkels zu bedanken. Außerdem er­ öffnete er seinem Freund, dass er eine persön­liche Bürgschaft für ihn übernommen hatte, s­odass Christoph und seine Familie fürs Erste gerettet waren. Tief gerührt bedankten sich die beiden. In einem kleinen Ort macht so eine Geschich­ te schnell die Runde. Viele lobten den Wert der Freundschaft, andere den der Hilfsbereitschaft. Und man beteuerte sich gegenseitig, dass Mitleid und Mitgefühl doch die höchsten menschlichen Tugenden seien. Elisabeth aber wusste es besser. Still saß sie in der Kirche, hörte den jubelnden Gesang und dankte Gott von Herzen. Denn für sie war das alles ein Wunder, ein wirkliches Weihnachts­ wunder. Und das gemeinsame Stille Nacht sang sie aus übervollem Herzen mit.

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