Leseprobe Frühling, Sommer, Herbst und Winter - ISBN 978-3-7655-1686-3

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Ulrike Str채tling Petra Ottkowski

F체r Menschen mit Demenz

, r e m m o S , g n i l h Fr체 Herbst und Winter m Vorlesen

Jahreszeitengeschichten zu

BRUNNEN



Ulrike Str채tling Petra Ottkowski

Fr체hling, Sommer, Herbst und Winter Jahreszeitengeschichten zum Vorlesen f체r Menschen mit Demenz



Frühling Der alte Hut ........................................................... 7 Der neue Rasenmäher .......................................... 8 Die träumende Amalie ...................................... 10 Pfarrer Fietje predigt auf dem Meer ................ 13 Tanz der Tiere in den Mai ................................. 14

Das bisschen Haushalt ....................................... Die schönste Sandburg ...................................... Freude schenken ................................................. Ein Schlammbad .................................................

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Herbst Der extra große Pfannkuchen ........................... 30 Die kluge Maus beugt vor ................................. 32 Ein Sack voller Eicheln und Kastanien ............. 35

Winter Der Schneeopa ..................................................... Pfarrer Tillmann spielt Detektiv ....................... Ein Mann, ein Buch ............................................ Ein alter Kochtopf erzählt .................................

INHALT

Sommer

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Der Frühling war da. Mit seinen wunderbaren Düften ließ er uns wissen, dass eine neue Jahreszeit begonnen hatte. Die Bäume bekamen zarte, grüne Blätter, die Hyazinthen dufteten um die Wette und überall zwitscherten munter die Vögel. Die Welt war bunt und fröhlich. Adele stand vor ihrem Kleiderschrank und begutachtete ihre Frühjahrsgarderobe. Ihr Blick fiel auf einen Hut. Es war der einzige Hut, den sie besaß, und er war schon ganz alt. Sie hatte ihn vor vielen, vielen Jahren in der Stadt gekauft. Adele setzte sich den Hut auf den Kopf und blickte in den Spiegel. Sie bekam einen Schreck. „O weh, der Hut ist ja völlig unmodern. Ich brauche dringend einen neuen! Aber was mache ich mit dem alten?“ Adele wusste, dass ihr Mann sehr sparsam war. Er würde bestimmt schimpfen, wenn sie den alten Hut einfach in die Mülltonne warf. In diesem Moment klingelte es an der Haustür. Draußen stand eine Frau. Sie hielt Adele bettelnd die Hände entgegen und bat um etwas Brot oder Geld. Da kam Adele eine Idee. Schnell holte sie ihren alten Hut, legte ein Geldstück hinein und schenkte beides der Frau. Adele freute sich, dass sie ihren Hut so einfach losgeworden war. „Morgen kaufe ich mir einen neuen Hut“, sagte sie.

FRÜHLING

Der alte Hut

Da klingelte es wieder an der Tür. Der Hausmeister stand davor und hielt Adeles alten Hut in der Hand. „Den habe ich im Hausflur gefunden“, sagte er, „sicher haben Sie ihn verloren!“ Was sollte Adele tun? Sie bedankte sich beim Hausmeister und nahm den Hut an sich. Am nächsten Tag ging Adele in ein Café. Ihren alten Hut hängte sie an die Garderobe. Sie nahm sich vor, ihn später absichtlich zu vergessen. Doch als Adele das Café verlassen wollte, lief ihr die Kellnerin hinterher. „Gnädige Frau, Sie haben Ihren Hut vergessen“, sagte die freundliche Frau. Adele zuckte zusammen. „Danke sehr“, sagte sie und runzelte die Stirn. So schwierig hatte sie sich das nicht vorgestellt. „Lieber Gott, ist es denn so schwer, ein altes Hütchen loszuwerden?“, murmelte sie leise. „Hilf mir doch ein bisschen!“ Der Heimweg führte Adele an einem See vorbei. Sie schaute auf den See und hatte plötzlich eine Idee.

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In hohem Bogen warf sie ihren alten Hut in den See. Da schwamm er nun. Es dauerte nur zwei Minuten, bis Adele eine laute Stimme hörte: „Hilfe! Zu Hilfe! Da treibt jemand im Wasser!“ Tatü, tata! Da rückte auch schon die Feuerwehr an, um den Ertrinkenden zu retten. Adeles alter Hut wurde aus dem Wasser gefischt. Zaghaft ging Adele zur Feuerwehr und gestand, dass sie den Hut in den See geworfen hatte. „Machen Sie das bloß nicht wieder!“, sagte ein Feuerwehrmann. Er gab ihr den nassen Hut zurück. Zerknirscht lief Adele nach Hause. Dort legte sie den Hut auf den Küchentisch. Sie sagte: „Ist ja schon gut, lieber Gott, dann behalte ich ihn eben! Ich werde ihn tragen, bis ich uralt bin. Denn wie ein Deckel auf den Topf, so passt dieser Hut auf meinen Kopf!“

Der neue Rasenmäher Es war Mitte April. Der Frühling zeigte sich von seiner schönsten Seite. Tulpen, Narzissen und Hyazinthen blühten und dufteten um die Wette. Egon studierte täglich die Prospekte der Gartencenter und Baumärkte. Alle Arten von Pflanzen, Dünger und Blumenerde wurden angepriesen. Am meisten interessierte er sich jedoch für die elektrischen Rasenmäher. Bald hatte er sein Traummodell gefunden. Am Montagmorgen fuhr Egon voller Freude in den Baumarkt. Dort gab es den allerneuesten Rasenmäher, einen „Super Power Max“. Punkt zehn Uhr betrat Egon den Baumarkt und lief zielstrebig zur Gartenabteilung. Schon von Weitem sah er den wunderbaren Rasenmäher. Auf einem großen Schild stand: „Super Power Max – supergünstig!“ Na ja, supergünstig war er nicht gerade. Egon lief um den Rasenmäher herum. Er war rot – das würde seiner Frau gefallen. Egon strich mit den Händen über das Gehäuse. So ein elektrischer Rasenmäher war schon immer sein Traum gewesen. Er besaß einen Auffangbehälter für das abgeschnittene Gras, vier stabile Räder und eine bequeme Lenkstange. Alles war rot, herrlich! Ein Verkäufer fragte: „Darf ich behilflich sein? Ich erkläre Ihnen das Gerät gern.“ ...



Pfarrer Tillmann spielt Detektiv An langen Winterabenden denkt Pfarrer Tillmann gerne an alte Zeiten. Wenn es draußen schneit und bitterkalt ist, fühlt er sich im Haus mit einem heißen Kakao am Ofen genau richtig. Warm und gemütlich in eine Decke gehüllt, denkt er gern an seine Kindheit zurück. Eigentlich wollte Pfarrer Tillmann gar kein Pfarrer werden. Er hatte immer davon geträumt, ein guter Detektiv zu sein. So wie Sherlock Holmes wollte er alle Verbrecher auf der Erde jagen. Doch letztendlich ist er Pfarrer geworden, denn die Liebe zu Gott war stärker als der Wunsch, Verbrecher zu fangen. Nun verkündet er Gottes Wort und konnte auch schon so manchen Spitzbuben wieder auf den rechten Weg bringen. In seiner Freizeit liest der Pfarrer leidenschaftlich gern spannende Kriminalromane. Am liebsten würde er sich dann immer selbst auf den Weg machen, um den Mörder zu finden. Aber das weiß nur der liebe Gott. Ja, der Pfarrer ist ein Mann mit vielen Träumen. Aber das weiß der liebe Gott auch … Nun begab es sich am ersten Weihnachtstag nach dem Gottesdienst, dass Pfarrer Tillmann noch einmal durch die Kirche ging. Zufrieden blickte er in die Runde. Er ließ seinen Blick über die weihnachtliche Krippe schweifen. Er war sehr stolz darauf. Doch plötzlich erschrak er. Da stimmte doch

etwas nicht. Er trat näher an die Krippe heran. „Um Himmels willen!“, rief er. „Wo ist … das Jesuskind?“ Vorhin hatte es noch lieblich in seiner Krippe gelegen. Und nun war es fort. Sofort erwachte in Pfarrer Tillmann der detektivische Spürsinn. In Gedanken ging er noch einmal den Gottesdienst durch. Festlich hatte die Krippe unter dem großen Weihnachtsstern geleuchtet. Pfarrer Tillmann konnte sich an nichts Ungewöhnliches erinnern. Eins war ganz gewiss: Er brauchte das Jesuskind für den nächsten Gottesdienst. Und der war gleich am nächsten Tag, am zweiten Weihnachtstag. Ratlos schüttelte Pfarrer Tillmann den Kopf. Er musste dringend nachdenken. Am nächsten Morgen, es war der zweite Weihnachtstag, war Pfarrer Tillmann schon früh in der Kirche. Er versteckte sich hinter einer dicken Säule. Vielleicht kam der Dieb ja noch einmal? Schon kurz darauf öffnete sich knarrend die Kirchentür. Dann waren leise Schritte zu hören. Plötzlich raschelte etwas. Der Pfarrer lugte hinter der Säule hervor und sah einen kleinen Jungen. Der legte gerade ein Bündel in die Krippe, dann strich er das Laken glatt und zupfte das Stroh zurecht. Pfarrer Tillmann traute seinen Augen kaum. Da lag doch tatsächlich das Jesuskind wieder in seiner Krippe. Und es lächelte so lieblich, als wäre nichts geschehen. Er kam aus seinem Versteck heraus und ging auf das Kind zu. Der Junge war vielleicht sechs Jahre alt und schaute den Pfarrer mit ängstlichen Augen an. „Was hast du mit dem Jesuskind gemacht?“, fragte Pfarrer Tillmann.

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Das bisschen Haushalt Es war Sommer. Die Sonne schien heiß vom Himmel. Sie meinte es gut, zu gut, denn es hatte seit Tagen nicht geregnet. Die Erde war staubig und trocken und die Menschen schwitzten. Auch Frau Müller rann der Schweiß von der Stirn. Sie hatte den ganzen Morgen geputzt und

SOMMER

Wäsche gewaschen. Nun trank sie ein großes Glas Wasser und überlegte, was noch alles zu tun war. Als Erstes musste sie das Mittagessen vorbereiten. Ihr Mann konnte es nämlich nicht leiden, wenn sie nicht pünktlich zu Mittag aßen. Mit Mühe und Not schaffte sie es, dass um Punkt zwölf Uhr das Essen auf dem Tisch stand. Erschöpft nahm Frau Müller Platz. Sie hatte noch die Schürze umgebunden und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Herr Müller schaute sie kritisch an. „Wie siehst du denn aus?“, fragte er. „Ich hatte so viel zu tun, da blieb keine Zeit mehr, mich umzuziehen“, meinte Frau Müller und reichte ihrem Mann die Kartoffeln. „Das bisschen Haushalt kann so schlimm nicht sein. Es ist mir unbegreiflich, wie du dich beklagen kannst“, sagte Herr Müller. „Da fehlt Salz an den Kartoffeln.“ Frau Müller reichte ihrem Mann den Salzstreuer. „Ich habe den ganzen Vormittag geputzt und Wäsche gewaschen“, sagte sie. „Das bisschen Wäsche kann so schlimm nicht

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sein. Das macht doch die Waschmaschine. Heute haben die Frauen es leicht“, sagte ihr Mann und aß von dem Rosenkohl. „Da fehlt Muskat.“ „Ich hole jetzt kein Muskat. Geh selbst! Ich muss heute auch noch die Blumen gießen und den Rasen mähen“, sagte Frau Müller. „Rasen mähen ist gut für den Kreislauf“, meinte ihr Mann und schnitt sich ein Stück vom Schnitzel ab. „Da fehlt auch Salz.“ „Wenn Rasen mähen so gut für die Gesundheit ist, dann mach es doch selbst. Deinem Kreislauf wird es nicht schaden und deinem dicken Bauch auch nicht“, meinte Frau Müller. „Ich kann nicht begreifen warum du dich beklagst. Ich muss tagein, tagaus in die Firma. Und meine Frau Gemahlin kann sich zu Hause ausruhen. Du solltest Gott auf Knien danken, dass du es so gut hast“, meinte Herr Müller. „Du musst es ja wissen. Bügeln muss ich heute auch noch“, sagte Frau Müller mürrisch. „Das bisschen Bügeln geht doch ganz von allein. Das schafft man nebenher. Genauso wie den Abwasch und den ganzen Rest. Es ist mir ein Rätsel, warum du dich beklagst.“ Er schüttelte den Kopf.

Frau Müller konnte kaum glauben, was sie gehört hatte. „Nun, wenn das so ist, dann kannst du ja mal alles selber machen. So ganz nebenher, und vielleicht erledigt es sich auch von allein. Ich fahre ein paar Wochen zu meiner Schwester und ruhe mich aus. Ich werde Gott danken, dass ich so einen lieben Mann habe, der tagein, tagaus in die Firma geht“, sagte Frau Müller. Und ehe Herr Müller begreifen konnte, was seine Frau meinte, hatte sie schon einen Koffer gepackt. Dann war sie weg. Ob Herr Müller mit dem bisschen Haushalt wohl allein zurechtgekommen ist?


Die schönste Sandburg Sommerzeit ist Urlaubszeit. Wenn die Sonne hoch oben am Himmel lacht, zieht es viele Menschen hinaus in die Ferne. So war es auch bei Herrn und Frau Rottmann. Das Thermometer zeigte traumhafte sechsundzwanzig Grad an, als die beiden in den wohlverdienten Urlaub fuhren. Ihr Ziel lag an der Ostsee. In einer kleinen Pension hatten die Rottmanns ein Zimmer gebucht. Übernachtung mit Frühstück, recht preiswert und ganz in der Nähe vom Strand. Fünf Minuten Fußmarsch, und sie waren an der Ostsee. Gleich nach dem Kofferauspacken machten sie sich auf den Weg ans Meer. Dort wehte eine frische Brise. „Herrlich“, jubelte Frau Rottmann und zog sich sogleich die Schuhe aus. Herr Rottmann wollte das auch tun, doch in dem Moment entdeckte er ein großes Plakat. Und was dort auf dem Plakat stand, das interessierte ihn. Er las: „Sandburgenwettbewerb. Die schönste Sandburg erhält einen Preis.“ Herr Rottmann dachte kurz nach und rief dann: „Da mache ich mit!“ Frau Rottmann musste lachen. „Du? Mit deinem Rheuma wird das wohl eher nichts!“ Er widersprach: „Hier habe ich kein Rheuma. Früher habe ich die schönsten Sandburgen gebaut. Mit Fähnchen obenauf!“ Herr Rottmann geriet ins

Schwärmen. „Das ist gut und gerne sechzig Jahre her, du Angeber“, meinte Frau Rottmann und breitete ein Handtuch aus. Sie machte es sich bequem. „Herrlich!“, sagte sie und zog ihre Sonnenbrille auf. Sie genoss die warmen Sonnenstrahlen und die leichte Brise, die von der Ostsee herüberwehte. Der Sandburgenwettbewerb war am nächsten Morgen. Schon um sechs Uhr in der Frühe machte sich Herr Rottmann auf den Weg. Frau Rottmann begleitete ihren Mann. Sie wollte unbedingt sehen, wie ihr von Rheuma gequälter Mann eine Sandburg bauen wollte. Herr Rottmann war mit Schaufel und Harke, einem Eimer, einer Gießkanne und allerlei Küchenlöffeln aus der Pension ausgerüstet. „Darf ich dir helfen?“, fragte Frau Rottmann. „Auf keinen Fall! Das ist meine Sache“, antwortete Herr Rottmann bestimmt. Dann begann er zu schaufeln. Um acht Uhr war der Sandberg hoch genug, sodass er mit dem Formen einer Burg beginnen konnte. Um neun Uhr war bereits zu erkennen, wo die Türme entstehen sollten. Herr Rottmann arbeitete mit Löffeln, einem Messer und einem Pfannenheber aus der Pensionsküche. Damit konnte er die Zinnen und Schießscharten gut formen. Zwischendurch schleppte er Wasser aus der Ostsee heran. Der trockene Sand musste mit etwas Wasser angefeuchtet werden, dann ließ er sich besser verarbeiten. Um elf Uhr sah die Burg schon ganz ansehnlich aus. Das musste sogar die staunende Frau Rottmann zugeben. Unermüdlich arbeitete Herr

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Rottmann und vergaß das Essen und Trinken. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und es war sehr heiß. Wenn Frau Rottmann ihrem Mann nicht ab und zu eine Wasserflasche gereicht hätte, wäre er sicher verdurstet. Am Nachmittag um sechzehn Uhr war die Sandburg fertig. Obenauf steckte ein buntes Fähnchen, das Frau Rottmann aus einem Schaschlikspieß und einer bunten Papierserviette gebastelt hatte.

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Herr Rottmann war sehr stolz auf sein Bauwerk. Insgesamt standen am Strand nun fünfzehn Burgen mit ihren stolzen Burgherren. Dann nahte das Unglück. Ein frei laufender Hund rannte auf Herrn Rottmanns Burg zu. Erst hob er sein Bein und pieselte die Burg an. Dann scharrte er mit seinen Hinterbeinen den Sand darauf. Schließlich sprang er auch noch in die Burg hinein und wälzte sich genüsslich. Dann lief er kläffend davon.


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Herr Rottmann erstarrte. Der Angriff hatte seine komplette Burg zerstört. Nun war es eine Burgruine, so wie sie überall zu sehen sind. „Das darf doch nicht wahr sein!“, schimpfte er. „Fünfzehn Burgen stehen hier – und ausgerechnet meine sucht sich der Köter aus!“

Um siebzehn Uhr wurde der Gewinner bekannt gegeben. Und siehe da, Herr Rottmann gewann einen Trostpreis: eine Kühltasche. Der Trostpreis war für die schönste Burgruine vergeben worden. Herr Rottmann meinte: „Es war trotzdem schön. Dabei sein ist alles!“


HERBST 30

Der extra große Pfannkuchen Im Herbst werden die Äpfel reif. Auch der Apfelbaum bei Familie Unterbauer hing voller roter Früchte. Der Baum stand mitten im Garten und die Äpfel leuchteten in der warmen Herbstsonne. In der letzten Nacht hatte jedoch ein kräftiger Wind

geblasen. Viele Äpfel waren heruntergefallen. Anton und Heidi Unterbauer gingen morgens in den Garten, um die Äpfel von der Wiese aufzusammeln. „Wollen wir heute Apfelpfannkuchen backen?“, schlug Anton vor.


„Gerne, aber nur, wenn du mir dabei hilfst“, antwortete seine Frau. „Gut! Du machst den Teig, ich schneide die Äpfel klein und backe die Pfannkuchen“, sagte er fröhlich. „Schön!“, sagte Heidi. Sie war eine kleine zierliche Frau, die immer ein freundliches Wort auf den Lippen hatte. Sie aß sehr gerne – und am liebsten mochte sie die leckeren Apfelpfannkuchen. Da konnte sie auf keinen Fall Nein sagen. Darum lief sie auch gleich in die Küche. Anton kam hinterher und gemeinsam machten sie sich an die Arbeit. Heidi bereitete einen Teig aus Mehl, Milch, Zucker und Eiern zu. Ruckzuck war der Teig fertig. Anton hatte in der Zwischenzeit einige Äpfel geschält und in Scheiben geschnitten. Nun holte er die große Pfanne aus dem Küchenschrank. Heidi sah aus dem Fenster. Es hatte angefangen zu regnen. Der Wind war wieder stärker geworden und so prasselten die Regentropfen gegen das Küchenfenster. „Bei so einem Wetter sind Pfannkuchen genau richtig“, sagte sie. „Ach, Anton, was haben wir es doch gut hier!“, schwärmte sie. Anton hatte schon etwas Fett in der Pfanne zerlassen und meinte: „Ich backe jetzt einen extra großen Pfannkuchen für uns beide. Den essen wir dann zusammen auf. Jeder fängt an einer Seite an. Das wird ein Spaß!“ Heidi füllte extra viel Teig in die Pfanne und meinte: „So ein dicker Pfannkuchen … wenn das mal gut geht!“ Anton legte die Apfelscheiben auf den Teig. Sie versanken sogleich darin. Nach wenigen Minuten stockte der Teig.

„Jetzt wende ich den Riesenpfannkuchen“, kündigte Anton an. Er griff nach der Pfanne, trat einige Schritte vom Herd weg und holte Schwung. Eins, zwei, drei – und der Pfannkuchen flog in die Luft. Beide schauten hinterher. Eigentlich sollte der Pfannkuchen umgekehrt wieder in der Pfanne landen, doch er kam nicht wieder. Wo war er geblieben? „O nein!“, rief Heidi. „O leider doch“, sagte Anton. Der Pfannkuchen klebte an der Küchendecke. Natürlich blieb er dort nicht hängen. Langsam, Stückchen für Stückchen löste er sich. Dann machte es „platsch!“ und der Pfannkuchen hing über der Küchenlampe. Einige Apfelstücke fielen herunter, doch der Rest blieb oben auf dem Lampenschirm. „Was nun?“, jammerte Heidi. „Ich hab doch gleich geahnt, dass es nicht gut geht!“ „Jetzt backen wir erst mal einen neuen“, sagte Anton. „Es reicht zwar nur noch für einen kleinen Pfannkuchen, aber den teilen wir uns brüderlich. Und den da oben“, er zeigte mit dem Finger zur Lampe, „den hole ich später runter.“ „Aber diesmal drehe ich ihn um“, meinte Heidi. Etwas später saßen sie gemeinsam am Küchentisch und genossen ihren goldgelben Apfelpfannkuchen. Draußen stürmte es immer noch und auch der Regen wollte nicht aufhören. „Wir haben Herbst“, meinte Heidi. „Und morgen backe ich einen Apfelkuchen.“

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Pfarrer Tillmann spielt Detektiv An langen Winterabenden denkt Pfarrer Tillmann gerne an alte Zeiten. Wenn es draußen schneit und bitterkalt ist, fühlt er sich im Haus mit einem heißen Kakao am Ofen genau richtig. Warm und gemütlich in eine Decke gehüllt, denkt er gern an seine Kindheit zurück. Eigentlich wollte Pfarrer Tillmann gar kein Pfarrer werden. Er hatte immer davon geträumt, ein guter Detektiv zu sein. So wie Sherlock Holmes wollte er alle Verbrecher auf der Erde jagen. Doch letztendlich ist er Pfarrer geworden, denn die Liebe zu Gott war stärker als der Wunsch, Verbrecher zu fangen. Nun verkündet er Gottes Wort und konnte auch schon so manchen Spitzbuben wieder auf den rechten Weg bringen. In seiner Freizeit liest der Pfarrer leidenschaftlich gern spannende Kriminalromane. Am liebsten würde er sich dann immer selbst auf den Weg machen, um den Mörder zu finden. Aber das weiß nur der liebe Gott. Ja, der Pfarrer ist ein Mann mit vielen Träumen. Aber das weiß der liebe Gott auch … Nun begab es sich am ersten Weihnachtstag nach dem Gottesdienst, dass Pfarrer Tillmann noch einmal durch die Kirche ging. Zufrieden blickte er in die Runde. Er ließ seinen Blick über die weihnachtliche Krippe schweifen. Er war sehr stolz darauf. Doch plötzlich erschrak er. Da stimmte doch

etwas nicht. Er trat näher an die Krippe heran. „Um Himmels willen!“, rief er. „Wo ist … das Jesuskind?“ Vorhin hatte es noch lieblich in seiner Krippe gelegen. Und nun war es fort. Sofort erwachte in Pfarrer Tillmann der detektivische Spürsinn. In Gedanken ging er noch einmal den Gottesdienst durch. Festlich hatte die Krippe unter dem großen Weihnachtsstern geleuchtet. Pfarrer Tillmann konnte sich an nichts Ungewöhnliches erinnern. Eins war ganz gewiss: Er brauchte das Jesuskind für den nächsten Gottesdienst. Und der war gleich am nächsten Tag, am zweiten Weihnachtstag. Ratlos schüttelte Pfarrer Tillmann den Kopf. Er musste dringend nachdenken. Am nächsten Morgen, es war der zweite Weihnachtstag, war Pfarrer Tillmann schon früh in der Kirche. Er versteckte sich hinter einer dicken Säule. Vielleicht kam der Dieb ja noch einmal? Schon kurz darauf öffnete sich knarrend die Kirchentür. Dann waren leise Schritte zu hören. Plötzlich raschelte etwas. Der Pfarrer lugte hinter der Säule hervor und sah einen kleinen Jungen. Der legte gerade ein Bündel in die Krippe, dann strich er das Laken glatt und zupfte das Stroh zurecht. Pfarrer Tillmann traute seinen Augen kaum. Da lag doch tatsächlich das Jesuskind wieder in seiner Krippe. Und es lächelte so lieblich, als wäre nichts geschehen. Er kam aus seinem Versteck heraus und ging auf das Kind zu. Der Junge war vielleicht sechs Jahre alt und schaute den Pfarrer mit ängstlichen Augen an. „Was hast du mit dem Jesuskind gemacht?“, fragte Pfarrer Tillmann.

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Es hatte die ganze Nacht geschneit. Als Herr Heinemann am nächsten Morgen aus dem Fenster schaute, war alles von Schnee bedeckt. Alles war weiß, so weit das Auge reichte. Nur die Menschen, die durch den Schnee liefen, waren bunt. Ihre farbigen Mützen und Schals hoben sich von dem weißen Untergrund ab. Der Schnee glitzerte im Schein der Morgensonne. Herr Heinemann genoss diesen Anblick. Das war ein richtiger Winter, so wie er ihn liebte. Kälte, Schnee und eine Sonne, die alles erstrahlen ließ. Herrn Heinemann kam eine Idee. Der Hügel am Rande des kleinen Dorfes wäre jetzt ideal zum Rodeln. Schon als Kind war er dort immer mit dem Schlitten heruntergefahren. Warum sollte er es nicht noch einmal probieren? Er würde Florian, seinen Enkel, mitnehmen. Warm angezogen, mit Mütze und Schal, Handschuhen und Winterstiefeln, holte er seinen alten Schlitten aus dem Keller. Dann machte er sich auf den Weg, um Florian abzuholen. Gemeinsam gingen sie zum Rodelberg. Als die beiden ankamen, war dort schon eine Menge los. Viele Kinder rodelten jauchzend den Hügel hinunter. Opa Heinemann setzte sich hinten auf den Schlitten und Florian saß vorne. „Auf geht’s!“, rief Herr Heinemann und nahm einen ordentlichen Anlauf. In sausender Fahrt ging es den Hügel hinunter.

WINTER

Der Schneeopa

„Das war erst eine Probefahrt“, meinte Opa Heinemann, „bei der nächsten Abfahrt geht es richtig los.“ Sie stiegen schnaufend den Hügel hinauf. Der Opa setzte sich wieder nach hinten und sein Enkel nach vorne. Diesmal legte Herr Heinemann alle Kraft in den Start. Der Schlitten kam ins Rutschen und dann sauste er los. Doch plötzlich verlor der Opa das Gleichgewicht und fiel rückwärts vom Schlitten. Florian sauste alleine weiter. Opa Heinemann rollte den Hügel hinunter. Der Schnee war schon ganz glatt von den vielen Schlitten, die dort gefahren waren. Er rollte und rollte, und dabei blieb immer mehr Schnee an ihm hängen. Beim Rollen wurde die Schneekugel immer dicker. Als Opa Heinemann unten im Tal angekommen war, sah er aus wie ein richtiger Schneemann. Nur noch sein Kopf guckte oben aus der Schneekugel heraus. Alle Kinder lachten. Florian rief: „Ein Schneeopa! Jetzt habe ich einen Schneeopa!“ Da musste Herr Heinemann auch lachen. Er meinte: „Wenn ihr mir noch ein paar Knöpfe an den Bauch steckt und einen Topf auf den Kopf setzt, dann bin ich perfekt.“ Die Kinder rannten nach Hause und holten alles herbei. Und am nächsten Tag war ein Bild von ihm in der Zeitung – mit der Überschrift: Der Schneeopa.

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Impressum © 2014 Brunnen Verlag, Gießen www.brunnen-verlag.de © Text: Ulrike Strätling © Illustrationen: Petra Ottkowski Covergestaltung, Innenlayout: Ralf Simon Druck: Rotolito, Italien ISBN 978-3-7655-1686-3


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