St. Gallen-Appenzell
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Nachbarn
Solidarisch sein J채hrlich setzen Menschen in der Schweiz 체ber eine halbe Milliarde Stunden ihrer Freizeit f체r das Gemeinwohl ein und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zu einer solidarischen Schweiz
Inhalt
Inhalt Editorial
Von Dr Josef Fässler Präsident
Kurz & bĂźndig
News aus dem Caritas-Netz PersĂśnlich
Eine gute Tat am Tag Sechs Antworten
Regional
Solidarisch sein heisst Verantwortung zu ßbernehmen – in vielerlei Hinsicht Fßr Christian Wick ist Solidarität ein Pfeiler unserer Gesellschaft.
Solidarität ist die Basis eines harmonischen Zusammenlebens in der Gemeinscha
Schwerpunkt
Wie viel man mit Solidarität bewirken kann, hat Pius Schäfler schon in jungen Jahren erfahren.
Solidarisch sein Solidarität muss nicht spektakulär sein, es nicht in eine Schlagzeile oder an eine Hauswand schaen. Doch ist sie mehr als nur eine Worthßlse. Solidarität ist spßr- und erlebbar, vor allem in der Freiwilligenarbeit. Jährlich leisten 1,5 Millionen Menschen in der Schweiz ßber 600 Millionen Stunden unentgeltlich zum Wohle unserer Gesellschaft. Zwei davon sind Petra Felder und Gabi Holenstein. Die beiden Frauen erzählen, wie und weshalb sie sich fßr Familien engagieren, denen es schlechter geht. Und sie machen deutlich, dass jeder von uns einen Beitrag zu einer solidarischen Schweiz leisten kann.
Geben macht Freude
Solidarität ist keine Frage des Geldes Dass auch geben kann, wer selbst nichts hat, das lebt Sonja Kßnzle eindrßcklich vor.
Helfen wo und wie man kann Spenden ist gut. Sich fĂźr andere einzusetzen, findet Hanspeter von Rotz noch wichtiger.
Kiosk
ÂŤWie kann ich mich fĂźr Armutsbetroffene engagieren?Âť Gedankenstrich
ÂŤDas bin ichÂť
ab Seite
Nachbarn /
Editorial
Liebe Leserin lieber Leser Das Wort Solidarität wird im Alltag unterschiedlich interpretiert, teilweise ßberstrapaziert oder gar missbraucht. Fßr mich bedeutet Solidarität das Besinnen auf Werte wie Zuwendung, Schutz von Schwachen und Nächstenliebe. Es sind Grundwerte unserer christlichen Kultur. Formal werden diese Werte von allen Gesellschaftsschichten und politischen Exponenten anerkannt. Dennoch ist es offensichtlich, dass die FlßchtlingsstrÜme, ausgelÜst durch Kriege und Gräueltaten in aller Welt, das Umfeld fßr Asylsuchende verhärten. Das wirkt sich generell auf armutsbetroffene Menschen aus. Deshalb wollen wir einen Kontrapunkt setzen. Jede Form von Solidarität muss in einer empathischen Haltung grßnden, soll sie nicht als sozialtechnische Unterstßtzung abgewertet werden. Ein aufmunterndes Lächeln, eine trÜstende Umarmung, eine Mahlzeit teilen oder einem Kind ein Paar Wanderschuhe besorgen, damit es am Jugendlager teilnehmen kann – Solidarität ist der Kitt unserer Gesellschaft. Es freut uns sehr, dass wir Ihnen auf den nächsten Seiten, stellvertretend fßr viele andere, Menschen vorstellen dßrfen, denen solidarisches Handeln ein Anliegen ist. Um unsere Finanzen zu sanieren und damit unsere Tätigkeit sicherzustellen, mussten wir im Sommer leider einen Stellenabbau vornehmen. Zudem haben wir den Rebau-Markt geschlossen und unsere Zeitschrift Punkt eingestellt. Wichtiges ßber die Caritas St. Gallen-Appenzell erfahren Sie in Zukunft in diesem Magazin. Wir setzen alles daran, Ihr Vertrauen in unsere Arbeit zu rechtfertigen. Danke, dass Sie uns bei unseren Aufgaben ideell und materiell unterstßtzen. Herzlich Josef Fässler
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Dr Josef Fässler Präsident Caritas St Gallen-Appenzell
Nachbarn das Magazin der regionalen Caritas-Organisationen erscheint zweimal jährlich Gesamtauage Ex Auage SG Ex Redaktion Susanna Heckendorn Caritas St Gallen-Appenzell Bojan Josifovic national Gestaltung und Produktion Urs Oderma Cyrille Massaux Druck Stämpi AG Bern Caritas St Gallen-Appenzell Zßrcherstrasse St Gallen Tel www caritas-stgallen ch PC - -
Kurz & bündig
Verantwortungsvoll haushalten
EnergiesparCheck Für Haushalte mit knappem Budget lanciert Caritas Aargau ein neues Projekt. Freiwillige EnergiesparCoachs machen kostenlose Hausbesuche. Mit dem Energiespar-Check verhilft Caritas Aargau Menschen mit wenig Einkommen zu einer Energieberatung. Sie lernen, wie sie ökologisch sinnvoll lüften, stromsparend kochen und sorgsam mit Wasser umgehen können. Der Energiespar-Check läuft in einer Pilotphase von 2015 bis 2017 im Bezirk Baden und versteht sich vor allem als Bildungsprojekt. Die betroffenen Haushalte leisten einen wichtigen Beitrag zur Schonung unserer Umwelt und entlasten gleichzeitig ihren Geldbeutel. Die wichtigsten Projektpartner sind Freiwillige, die vorgängig eine Schulung durchlaufen. Als Energiespar-Coachs nehmen sie Stromrechnungen, Haushaltsgeräte und Heizungen unter die Lupe, geben Tipps und montieren Soforthilfen wie Sparlampen und wassersparende Duschbrausen. Das Projekt wird mit Beiträgen von Bund, Kanton, der Stadt Baden, der Umweltarena Spreitenbach, der ABB und den Elektrizitätswerken der Region unterstützt. www caritas-aargau ch/ energiesparcheck
Neue Wege in der Arbeitsmarktintegration
Caritas scha Perspektiven Im Kanton Bern sollen Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene rascher in den Arbeitsmarkt integriert werden. Caritas Bern hat den Zuschlag für ein entsprechendes Pilotprojekt erhalten. Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene (VAs) werden im Kanton Bern nur unzureichend in den Arbeitsmarkt integriert. Auf Initiative der Privatwirtschaft hat deshalb die Kantonsregierung ein Pilotprojekt lanciert, das von Caritas Bern nun umgesetzt wird und den Namen «Caritas Perspektive» trägt. Ziel: Die Flüchtlinge und VAs sollen schneller in den ersten Arbeitsmarkt gelangen. Dies, indem man die betroffenen Personen direkt im Arbeitsmarkt platziert und sie mittels eines Job-Coachings begleitet, welches über die reine Einarbeitungsphase hinausgeht. Dabei lässt Caritas Bern die eigene langjährige Erfahrung im Bereich der Arbeitsintegration einfliessen und berücksichtigt die Bedürfnisse der Arbeitgeber. Das Besondere an «Caritas Perspektive» ist, dass der Kanton Bern die Ziele vorgibt sowie misst, das Pilotprojekt aber von der Privatwirtschaft finanziert und von Caritas Bern umgesetzt wird. Werden die Ziele erfüllt, profitieren alle Beteiligten. Im anderen Fall müssen die Geldgeber und Caritas Bern mit einem begrenzten Kapitalverlust rechnen. Claudia Babst, Geschäftsleiterin von Caritas Bern: «Eine solche Finanzierungsvereinbarung ist ein Novum für uns. Wir zeigen damit aber, dass uns das Projekt und dessen Ziele ernst sind.» www caritas-bern ch
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Kurz & bĂźndig
Stellenabbau bei Caritas Luzern
Asylau rag verloren Der Kanton Luzern hat der Caritas Luzern den Asylauftrag auf Ende 2015 gekĂźndigt. Das hat fĂźr das Hilfswerk einschneidende Folgen. 30 Jahre lang war die Caritas Luzern fĂźr die Unterbringung und Betreuung von Asylsuchenden zuständig. Ab 2016 Ăźbernimmt dies der Kanton Luzern in Eigenregie und kĂźndigte deshalb den bisher an Caritas Luzern vergebenen Asylauftrag. Das Hilfswerk muss in der Folge 54 Mitarbeitenden kĂźndigen und aufs kommende Jahr hin die Organisation um einen Viertel verkleinern. Caritas Luzern hot, dass die zum Teil langjährigen Mitarbeitenden mit ihrem Fachwissen und ihrer grossen Erfahrung im Umgang mit Asylsuchenden beim Kanton eine Anstellung ďŹ nden. Integration bleibt ein Schwerpunkt-Thema bei der Caritas Luzern. Auch in Zukunft setzt sie sich fĂźr die beruiche und soziale Integration von Armutsbetroenen, Stellensuchenden und die MigrationsbevĂślkerung ein. Dank ihrer GrĂśsse, guter Vernetzung und viel Erfahrung kann sie diese Aufgaben auch wahrnehmen. So bleibt sie im FlĂźchtlingsauftrag tätig, fĂźhrt den Dolmetschdienst Zentralschweiz und engagiert sich in weiteren Integrationsprojekten. Ebenso verfĂźgt Caritas Luzern Ăźber eine Sozial- und Schuldenberatung und betreibt Hilfsprojekte fĂźr Armutsbetroene, Bildungsangebote zur Begleitung in der letzten Lebensphase und eine Fachstelle fĂźr Freiwilligenarbeit. Nicht zuletzt bietet sie eine breite Palette von Programmen zur beruichen und sozialen Integration von versicherten Erwerbslosen und Personen mit wirtschaftlicher Sozialhilfe. Mehr Infos im Online-Jahresbericht: www caritas-luzern-jb ch
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NEWS KulturLegi fĂźr den Kanton Thurgau Die KulturLegi soll neu auch den Thurgauerinnen und Thurgauern den Zugang zu verbilligten Angeboten im Bereich Bildung und Kultur ermĂśglichen Bereits konnten Partner/innen gefunden werden aus Bereichen wie Kino Theater Bibliotheken oder Fitnessstudios Ebenfalls haben einige Supporter/innen die ďŹ nanzielle UnterstĂźtzung zugesichert Zum jetzigen Zeitpunkt werden weitere Partner und Supporter gesucht Das Ziel ist der Start der KulturLegi Thurgau im FrĂźhjahr www caritas-thurgau ch
Finanzielle Bildung durch Caritas Schweiz Caritas Schweiz hat fĂźr Lehrpersonen Hilfsmi el zum Thema Budget entwickelt Dabei erfreuen sich die Materialien zu den ÂŤ goldenen Regeln im Umgang mit GeldÂť einer hohen Nachfrage Caritas wird bei der Verbreitung der Hilfsmi el unterstĂźtzt durch den Berner Bildungsverlag hep sowie durch iconomix das Lehrangebot der Schweizerischen Nationalbank SNB Die Mi el kĂśnnen hier kostenlos heruntergeladen werden www caritas ch/ďŹ nanzkompetenz
mit mir bei Caritas Solothurn Neu gibt es das Patenscha sprojekt mit mir auch bei Caritas Solothurn Das Projekt soll freiwillige Patinnen und Paten mit Kindern aus belasteten Familien zusammenbringen Das Projekt fÜrdert die soziale Integration und entlastet armutsbetroene Familien im Alltag www caritas-solothurn ch/patenscha
Neues Angebot Zßrich unbezahlbar Zßrich zählt zwar zu den teuersten Orten der Welt doch bietet die Stadt erstaunlich Vieles umsonst KulturLegi Kanton Zßrich lanciert den Online-Stadtfßhrer Zßrich unbezahlbar Dieser bßndelt kostenlose Kultur- Sport- und Freizeitangebote beispielsweise Freibäder Openair-Konzerte Lesungen Leihfahrräder Stadtfßhrungen Freilu kinos oder Ausstellungen Damit wird Menschen mit knappem Budget der Zugang zu abwechslungsreichen Aktivitäten ermÜglicht www zuerichunbezahlbar ch
Rubrik
Solidarität heisst Hilfesuchenden unter die Arme zu greifen damit sie bald wieder auf eigenen Beinen stehen können
Ein Leben in Armut bringt Eltern an den Rand der Verzweiflung und lässt Kinderträume platzen
Schwerpunkt
Solidarität zwei Frauen ein Anliegen Sich solidarisch zeigen durch Handeln: Wir haben mit Petra Felder und Gabi Holenstein zwei Frauen getroffen, die freiwillig bei Caritas mitarbeiten. Wir wollten von ihnen wissen, wie sie sich von den tiefen Einblicken in das Leben anderer abgrenzen und was Solidarität im Alltag für sie bedeutet. Text Karin Rechsteiner Bilder Zoe Tempest in Zusammenarbeit mit Barbara Rusterholz
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ls wir an diesem Montag in Escholzmatt ankommen, läuten die Kirchenglocken und ein warmer Sommerabend bricht an. Pünktlich fährt der Zug weiter, es bleibt die ländliche Stille. Zu sehen sind einzig zwei Syrer, die sich leise unterhalten, während in der Schweiz hitzig darüber debattiert wird, was man mit diesen Menschen, den Flüchtlingen, tun soll. Petra Felder ist 42 Jahre alt und Lehrerin von Beruf. Sie arbeitet Teilzeit und wohnt mit den beiden Kindern und ihrem Mann in Escholzmatt. Für sie ist klar: Diesen Menschen soll man helfen. Und das sagt sie nicht nur, sie tut es auch.
Alltag statt Ausnahmezustand Seit fast zwei Jahren begleitet Petra für Caritas eine vierköpfige Flüchtlingsfamilie aus Syrien. Der Anfang war streng, gibt Petra offen zu. Während Vater Hakim* bereits sehr gut Deutsch konnte, sprach die Mutter Alima* nur gebrochen, der Austausch fiel schwer. Pet-
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ra gab nicht auf und hielt an den wöchentlichen Treffen fest. Sie versuchte ihr neues Engagement und ihren Umgang mit der syrischen Familie so natürlich wie möglich zu gestalten und in ihren Alltag zu integrieren. Der gegenseitige Respekt, sich zu achten und zu unterstützen, ist ihr wichtig – denn das ist es, was Petra unter Solidarität versteht. Und so kommen Alima und ihre beiden Söhne einfach mit, wenn Petra mit ihren Kindern in die Bibliothek geht. Sie hilft den dreien beim Lesen und bei der Bücherauswahl, erzählt und erklärt, wie die Bibliothek und die Schweiz funktionieren. Am Wochenende besuchen die beiden Familien manchmal gemeinsam die Fussballturniere der Kinder. Sie sind für Hakim und Alima eine Chance, neue Kontakte zu knüpfen.
Wenn Unwissen schmerzt Die beiden Söhne von Alima und Hakim sind im Dorf integriert. Sie kommen in der Schule mit, lernen fleissig Deutsch und spielen im Fussballclub mit. Etwas schwerer fällt es den Eltern. Hakim arbeitet 80 Pro-
Schwerpunkt
zent, aber die Arbeitszeiten sind unregelmässig, der Arbeitsweg ist lang. Ihn unterstßtzt Petra bei der kräftezehrenden Suche nach einer Vollzeitstelle in der Nähe. Alima versucht ebenfalls neue Leute kennenzulernen und ihr Deutsch zu verbessern. Sie geht zum Beispiel regelmässig in den Damenturnverein. Ihre Eltern und Brßder, die Menschen, die ihr am nächsten wären, leben jedoch in Syrien. Manchmal hat sie tagelang keinen Kontakt zu ihnen. Das ist nicht einfach auszuhalten – auch fßr Petra nicht. Ich muss mich abgrenzen, sagt sie. Ich wertschätze jetzt unser Leben bewusster, obwohl ich auf frßheren Reisen schon vieles gesehen habe. Wir diskutieren in der Familie darßber und ich hoe, ich kann meinen Kindern etwas mitgeben. Ist sie sich bewusst, dass sie solidarisch handelt? Am Anfang ja, aber das ist inzwischen in den Hintergrund gerßckt. Aus einer Aufgabe, verbunden
mit einem leisen PichtgefĂźhl, wurde eine Freundschaft. Und es ergaben sich viele gute Gespräche im Zusammenhang mit ihrem freiwilligen Engagement, denn sie entschied sich bewusst, Ăźber ihre Erfahrungen zu sprechen. ÂŤAuch als Lehrerin mĂśchte ich meine SchĂźler teilhaben lassen. Ich stelle immer wieder fest, dass wir nicht aufgeklärt sind. Viele denken, die FlĂźchtlinge seien faul, und vergessen dabei, dass sie oftmals gar nicht arbeiten dĂźrfen, dass sie von einem Ort zum nächsten geschoben werden.Âť Die gemeinsame Zeit mit der syrischen Familie empďŹ ndet sie als schĂśn und lehrreich. Und empfehlen wĂźrde sie einen solchen Einsatz ohne Vorbehalt jedem.
Vom Schreibtisch in den Verkauf Wir treen Gabi Holenstein am Bahnhof Bern, quasi auf der Durchreise. Denn die 77-Jährige war am Tag zu-
Wir alle geraten in Situationen in denen wir auf Hilfe angewiesen sind Gut wenn wir auf hilfsbereite Menschen zählen dßrfen
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Schwerpunkt
vor an der Expo in Mailand, und morgen geht’s nach ZĂźrich, wo sie eine krebskranke Freundin besucht. Gabi Holenstein wurde 1938 in Ostpreussen als Tochter von Auslandschweizern geboren. Die Familie ßchtete am Ende des Zweiten Weltkrieges in die Schweiz, wo Gabi Holenstein als ältestes von acht Kindern aufwuchs. Zuletzt arbeitete sie als PersonalcheďŹ n in einem Bundesbetrieb. Seit 16 Jahren ist sie pensioniert und hat heute mehr zu tun als damals, als sie noch berufstätig war. Gabi Holenstein lief im Dezember 2006 zufällig am Caritas-Markt in Bern vorbei und dachte zuerst, es sei ein neues Tearoom, schliesslich stand da ein einladender Tisch draussen. Sie betrat neugierig den Laden und fragte spontan, ob sie mithelfen kĂśnne. Seither arbeitet sie zwei Mal im Monat mit. Solidarität bedeutet fĂźr sie, dass man sich fĂźr andere einsetzt, sie mitträgt, fĂźr sie da ist. Deshalb fĂźllt sie im Caritas-Markt Regale auf, packt Backwaren in Plastiksäcke ab, räumt um und ein, bĂźschelt das GemĂźse, putzt.
Kein Markt der unbeschränkten MĂśglichkeiten Gabi Holenstein erhält Einblicke in fremde Leben und Kulturen. Ihre Kunden kommen nicht nur aus der Schweiz, sondern aus der ganzen Welt. ÂŤDie meisten sind sehr herzlich und offen. Wenn ich länger nicht da war, fragen sie, wo ich war, wie es mir geht.Âť Und wenn aus der Kaeepause eine Deutschstunde wird, gerade wenn die Mitarbeitenden aus dem Arbeitsintegrationsprogramm da sind, gibt es viel zu lachen. Aber nicht nur. Wer im Caritas-Markt einkauft, kämpft mit ďŹ nanziellen Problemen. Dazu gehĂśren BezĂźgerinnen und BezĂźger von Ergänzungsleistungen, Arbeitssuchende oder Working Poor. Ăœber die jeweiligen Lebensumstände wird nicht viel gesprochen. Manches schmerzt aber auch ohne Worte. Es fällt schwer, zu sehen, wie Kunden ihr Geld genau abzählen – und auch mal Einkäufe wieder zurĂźcklegen. ÂŤDas holt mich auf den Boden der Realität zurĂźck und es tut mir Leid. Ich versuche jedoch, mich abzugrenzen und die Erlebnisse nach Feierabend im Laden zu lassen.Âť Warum aber macht sie das, sie, die zeit ihres Lebens berufstätig war? MĂśchte sie sich nicht einfach entspannen? ÂŤEs geht mir gut und dafĂźr bin ich dankbar. Und solange ich noch kann, mĂśchte ich mich denen gegenĂźber solidarisch zeigen, die meine Hilfe brauchen kĂśnnen. Die Zeit totschlagen kann ich später.Âť
ORTE DER MENSCHENLIEBE Ich setze meine eigenen BedĂźrfnisse vor die meiner Mitmenschen Bin ich deshalb ein schlechter Mensch? Ăœberhaupt nicht denn es heisst ja immer noch ÂŤLiebe deinen Nächsten wie dich selbst Âť Auf die BedĂźrfnisse anderer einzugehen trägt in sich die grosse Gefahr sich selber auszubeuten andere abhängig oder mit der Hilfe ProďŹ t zu machen Erst durch das Au anken eigener Energie wird es mĂśglich diese Kra weiterzugeben Auch ich kenne Zeiten in denen ich mich zurĂźckziehen muss um auf mich zu schauen und innezuhalten bevor ich wieder auf andere zugehe und meine Hilfe anbiete
Unser Alltag ist geprägt von Abhängigkeiten. Unser Leben ist geprägt von We bewerb Kommt da die Gemeinscha zu kurz? Ob in der Schule bei der Arbeit oder auf dem Fussballplatz Menschen schaen Räume wo zwar We bewerb entsteht aber auch gemeinscha liches Leben erst mÜglich wird Unser Alltag ist nicht nur von We bewerb sondern vor allem von Abhängigkeiten geprägt Wir leben eine Freiheit in Bezogenheit Diese Bezogenheit aufeinander formt unsere Gemeinscha und lässt Orte von Menschenliebe entstehen Jeder von uns kann einen Beitrag zu einer solidarischen Schweiz leisten indem wir uns darauf besinnen dass unser uneigennßtziger Einsatz fßr die Allgemeinheit notwendig ist Welchen Stellenwert hat die diakonische Arbeit in der Schweiz? Mit ihren Räumen an bester Lage sind Kirchen Orte der Gastfreundscha und des Schutzes fßr Flßchtlinge Benachteiligte und Hilfesuchende Mit ihren Freiwilligen in der Schweiz stellen Kirchgemeinden und Pfarreien ein Reservoir zivilgesellscha licher Kra dar ohne die das Pegen von Betagten und Benachteiligten sowie das Hegen von Kultur und Natur gar nicht mÜglich wären
Christoph Sigrist ist Pfarrer am Grossmßnster Zßrich und Dozent fßr Diakoniewissenscha an der theologischen Fakultät der Universität Bern
* Namen zum Schutz der Personen geändert
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Schwerpunkt
Gelebte Solidarität Jährlich setzen Menschen in der Schweiz über eine halbe Milliarde Stunden ihrer Freizeit für das Gemeinwohl ein. Auch aus eigennützigen Interessen. Text Theres Arnet-Vanoni Präsidentin BENEVOL Schweiz Illustration Achilles Greminger
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er Begriff «Solidarität» bezeichnet das starke Gefühl von Menschen, zusammenzugehören, sei es als Familie, als Gemeinde oder gar als Nation. Das solidarische Zusammenleben ist in der Schweizer Gesellschaft tief verankert und besonders in der Freiwilligenarbeit spürbar, wo sich Bürgerinnen und Bürger unentgeltlich für ihre Mitmenschen einsetzen. Dabei gestaltet sich deren freiwilliges Engagement sowohl vom Umfang als auch von der Art her so vielfältig, wie es unsere Gesellschaft ist. Es gibt keine «typischen
Freiwilligen». Die Bandbreite reicht vom Studenten, der via Internet kostenlose Aufgabenhilfe leistet, über die Mutter, die sich im Sportverein des Sohnes engagiert, bis hin zum Versicherungsfachmann, der Geld für den Tierschutz spendet, und zur jungen Frau, die sich für Kinder in Armut starkmacht.
Grundpfeiler unserer Gesellschaft Wir unterscheiden zwischen zwei Formen des freiwilligen Engagements: Geld- und Zeitspenden. Gemäss Bundesamt für Statistik spenden fast 75 Prozent der
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Schwerpunkt
Wunschkerze Schweizer Bevölkerung Geld oder Naturalien. Noch eindrücklicher: Jährlich leisten 1,5 Millionen Menschen in der Schweiz 665 Millionen Stunden freiwillig und unentgeltlich zum Wohle unserer Gesellschaft. Dies entspricht etwa der Anzahl Stunden, die in der Landwirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung jährlich gearbeitet werden. Zum einen engagieren sich die Personen durchschnittlich 13 Stunden pro Monat für formelle, institutionalisierte Freiwilligenarbeit in Bereichen wie Sport, Kultur, Bildung oder Politik, in kirchlichen oder sozialen Projekten. Zum anderen erbringen sie nochmals so viele Stunden für Hilfeleistungen an Nachbarn, Freunde und Bekannte. Die Freiwilligenarbeit hat in der Schweiz folglich einen hohen Stellenwert. Sie bietet den Freiwilligen eine Plattform, sich für die Gemeinschaft einzubringen und diese mitzugestalten. Diverse empirische Studien belegen zudem, dass das freiwillige Engagement der Bürgerinnen und Bürger die Armut reduziert, die Gesundheit und das subjektive Wohlbefinden verbessert, die ökonomische Produktivität erhöht und die politische Partizipation fördert.
Zunehmende Professionalisierung Seit fünf Jahren nimmt das ehrenamtliche Engagement der Menschen in der Schweiz stetig zu. Gleichzeitig sind auch die Ansprüche an die Organisationen, Projekte oder Vereine gestiegen. Basierte früher die Motivation der Freiwilligen auf Selbstlosigkeit oder Pflichtgefühl, treten heute verstärkt auch eigene Interessen in den Vordergrund: Die freiwillige Tätigkeit soll Spass machen, Sinn stiften, Kontakte mit Menschen und individuelle Weiterentwicklung ermöglichen. Einsatzorganisationen sind zunehmend gefordert, die Freiwilligenbegleitung zu professionalisieren, um das Potenzial der Freiwilligen auszuschöpfen. Dies bringt für alle Beteiligten Vorteile. So entwickeln Organisationen Angebote, deren Reichweite sie mithilfe von Freiwilligen multiplizieren. Ein konkretes Beispiel: Caritas betreibt seit einigen Jahren das Patenschaftsprojekt «mit mir». Die Führung des Projekts liegt bei Caritas, doch sind es die zahlreichen Freiwilligen, die letztlich benachteiligten Kindern Zeit und Aufmerksamkeit schenken. Caritas kann auf motivierte Freiwillige zählen; diese wiederum profitieren von sinnvollen Engagements und die betroffenen Familien von solidarischer Unterstützung.
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Am Samstag, 12. Dezember 2015, bringen wir die Schweiz zum Leuchten. Im Rahmen der Aktion «Eine Million Sterne» lassen wir Plätze, Brücken und Gebäude an vielen Orten der Schweiz im Kerzenmeer erstrahlen. Gross und Klein findet zusammen, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Jede Kerze ist ein Bekenntnis für eine Schweiz, die sich für Schwache und Benachteiligte einsetzt.
Ihr persönlicher Wunsch Auf www.wunschkerze.ch erzählen ab November Armutsbetroffene und Freiwillige, die sich für benachteiligte Menschen einsetzen, von ihrem Alltag, ihren Herausforderungen und Wünschen. Weiter können Sie direkt auf der Webseite Ihren Liebsten einen persönlichen Wunsch hinterlassen. Diesen schreiben wir auf eine Wunschkerze und stellen diese dann am 12. Dezember an einem von Ihnen ausgewählten «Eine-Million-Sterne»Veranstaltungsort auf.
Weiterführende Informationen «Eine Million Sterne» Tausende Kerzen leuchten am Dezember als Zeichen für eine solidarische Schweiz Veranstaltungsorte in Ihrer Nähe www einemillionsterne ch BENEVOL BENEVOL Schweiz und die regionalen Fachstellen stehen für Qualität in der Freiwilligenarbeit ein definieren Standards und bieten Beratung im Bereich Freiwilligenarbeit an www benevol ch
PersĂśnlich
Nihada aus Winterthur Ich fahre gerne Inlineskates Vor ein paar Wochen hat mir ein Mädchen dabei zugeschaut wie ich meine Runden drehe Nach einiger Zeit habe ich sie gefragt ob sie auch fahren will Sie ha e aber keine eigenen Inlineskates Also habe ich ihr meine geliehen Sie war sehr glßcklich Das hat mich irgendwie auch frÜhlich gemacht 
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Persönlich
«Eine gute Tat am Tag» lautet das Credo der Pfadfinder Was war Ihre letzte gute Tat? Antworten von Passantinnen und Passanten aus der Deutschschweiz.
Kim Mai Nangsa Mangtshang, Sechstklässlerin, Zürich Ein paar Buben aus meiner Klasse hänselten gestern auf dem Pausenplatz ein Mädchen aus der 1. Klasse, das eine Behinderung an den Händen hat. Das fand ich so fies. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen sofort damit aufhören, und habe das Mädchen dann getröstet. Sie hat sich bei mir bedankt und mich angelächelt.
Beate Brodkorb, ehemalige Finanzangestellte, Faulensee Ein sehr guter Freund hatte schwere Bandscheibenprobleme und musste sich deswegen mehrmals operieren lassen. Dann hat sich sein Gesundheitszustand massiv verschlechtert und er befand sich während mehrerer Tage in Lebensgefahr. Ich bin in dieser Zeit seiner Frau zur Seite gestanden und habe sie stark unterstützt.
Gabi Mayer, Pflegefachfrau, Herisau Ich war eine Woche als Küchenhilfe in einem Blauring/Jungwacht-Lager. Weil dort nicht die Erwachsenen den Takt vorgaben, entstand ein organisiertes Chaos. Mich hat beeindruckt, wie selbstverständlich die Grossen die Kleinen unterstützt haben und wie zwanglos die verschiedenen Altersgruppen miteinander umgegangen sind. Es war ein Privileg, dabei zu sein.
Rebar Muhamad, Hilfswerkvertreter, Kreuzlingen Ich habe Kleider aus einer Sammelaktion der Caritas Thurgau erhalten und sie zum Empfangsund Verfahrenszentrum Kreuzlingen gebracht. Die Leute haben sich sehr darüber gefreut. Ich setze mich dort auch für Minderjährige ein, sobald ich sehe, dass sie unzureichend betreut werden. Anderen zu helfen, gibt mir ein gutes Gefühl und ebensolches Gewissen.
Dominik Portmann, Treuhänder, Lohn-Ammannsegg Ich führe unter anderem für gemeinnützige Stiftungen die Buchhaltung. Nebenbei bin ich Präsident eines Fussballvereins. Aufgrund dieser beiden Tätigkeiten habe ich vor kurzem ein Mitglied unseres Vereins, welches sich in einer Notlage befand, an eine dieser Stiftungen weitergeleitet, wo sein Problem professionell angegangen und ihm geholfen wurde.
Noel Wartmann, Schüler, Emmenbrücke In meiner Nachbarschaft wohnt eine ältere Frau, die nicht mehr gut laufen kann. Einmal in der Woche gehe ich zu ihr, dann kaufen wir zusammen ein. Ich schaue, dass sie nichts vergisst und helfe ihr beim Tragen. Und manchmal essen wir auch ein Zvieri zusammen, da erzählt sie mir dann von damls, als sie selbst noch in die Schule ging.
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Caritas St Gallen-Appenzell
Solidarisch sein heisst, Verantwortung zu übernehmen – in vielerlei Hinsicht Mit Solidarität befasst sich Christian Wick beruflich wie auch privat. Sie hat für ihn einen grossen Stellenwert. Text Susanna Heckendorn Bild Peter Dotzauer
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m Alltag ist Christian Wick, Leiter Region Ost der Implenia Schweiz AG, oft mit dem Thema Solidarität konfrontiert. Jedoch nicht in karitativer Form, sondern mit Solidarhaftung. Dabei geht es darum, dass ein Generalunternehmen dafür verantwortlich ist, dass alle von ihm beauftragten Subunternehmen sowie deren Subunternehmen unter anderem auch die Lohn- und Arbeitsbedingungen einhalten. Auch wenn die Solidarhaftung ein juristisches Konstrukt ist, der Grundgedanke basiert auf Solidarität.
Solidarität als Pfeiler unserer Gesellschaft «Solidarität ist wichtig für das Funktionieren einer Gesellschaft», davon ist Christian Wick überzeugt. Gelebte Solidarität ist für ihn ein Merkmal für die Qualität des Zusammenlebens und zeigt sich im Übernehmen von Verantwortung, nicht nur monetär, son-
dern auch ideell also darin, sich für jemanden einzusetzen und für seine eigenen Werte einzustehen, selbst wenn man sich damit exponieren könnte.
Viele Möglichkeiten, solidarisch zu sein Anstelle von Kundengeschenken spendet die Region Ost von Implenia jährlich einen Beitrag an eine soziale und/oder karitative Organisation. Privat arbeitet Christian Wick seit vielen Jahren ehrenamtlich in der Stiftung für Kinderund Jugendarbeit St. Georgen. Als Mitglied des Rotary-Clubs ist er ebenfalls in zahlreichen sozialen Projekten engagiert. Auch selber durfte er schon Solidarität erfahren. Nicht nur im privaten Umfeld, sondern auch im Geschäft, als er eine schwierige Entscheidung zu treffen hatte. «Es hat mir sehr viel bedeutet, dass die Mitarbeitenden mein Handeln verstanden und mitgetragen haben.»
Spendenbox Letztes Jahr lancierte der Vorstand bei Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Kultur eine grosse Spendenaktion für die Caritas St Gallen-Appenzell Die Summe von über Franken zeigt eindrücklich die grosse Solidarität mit Armutsbetroffenen Franken oder mehr gespendet haben Auto Welt von Rotz AG Wil Bernet Holding AG St Gallen Brühwiler AG Oberbüren Helbling Architektur GmbH Engelburg Implenia Schweiz AG St Gallen Kantonale st gallische Winkelriedstiftung St Gallen Alex Kaufmann Sti ung St Gallen PricewaterhouseCoopers AG St Gallen Pius Schäfler AG Gossau Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellscha Wil sowie zahlreiche weitere Persönlichkeiten die ungenannt bleiben wollen Vorstand Geschä sleitung und Mitarbeitende sind beeindruckt von dieser Grosszügigkeit Sie werden alles daran setzen die anvertrauten Mi el sorgfältig und sinnvoll für Armutsbetroffene einzusetzen Herzlichen Dank! Dr Josef Fässler
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Caritas St Gallen-Appenzell
Geben macht Freude Pius Schäfler gehört zu den Menschen, die lieber geben als nehmen. Geben, wenn man kann, und sich für andere einsetzen, wenn man die Möglichkeit hat, dünkt ihn wichtig. Er ist dankbar, dass er dazu in der Lage ist. Text Susanna Heckendorn Bild Peter Dotzauer
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chon während seiner Lehrzeit engagierte sich Pius Schäfler in der Jugendarbeit. Seinen Job brauchte er vor allem zum Überleben. Weil ihm ein eigenes Geschäft mehr Zeit lassen würde für seine Freiwilligenarbeit, wagte er vor 50 Jahren den Schritt in die Selbständigkeit. Er hatte nicht viel mehr als seinen starken Glauben, grosse Zuversicht und den unbändigen Willen, es zu etwas zu bringen. Heute beschäftigt die Firma rund 80 Mitarbeitende und ist erfolgreich im Bereich Büroeinrichtungen und -geräte. Auch sechs Papeterien in der Ostschweiz gehören zum Unternehmen.
Geben zu dürfen, macht zufrieden In seiner Zeit als Gemeinderat, wo er – wenig erstaunlich – für das Sozialwesen zuständig war, sei er oft auf die Solidarität seiner Kollegen angewiesen gewesen. «Ich brauch-
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te ihre Unterstützung, damit meine Projekte eine Mehrheit fanden.» Seit er vor ein paar Jahren sein Amt als Präsident des Kirchenverwaltungsrats abgab, ist er Mitglied des Kollegienrats. Caritas liegt ihm sehr am Herzen; deshalb hat er sich auch für ihre Sanierung starkgemacht.
Mehr als üblich Das Credo seiner Firma «Mehr als üblich …» zieht sich durch das ganze Leben von Pius Schäfler und zeigt sich auch in seinen vielen freiwilligen Engagements. Als leidenschaftlicher Hobby-Holzer betreut er drei Feuerstellen und sorgt dafür, dass immer genug Brennholz bereitliegt. Besondere Freude machen ihm Aufgaben, bei denen er selbst Hand anlegen kann, am liebsten mit ein paar Gleichgesinnten. Gemeinsam etwas erschaffen, die Freude darüber teilen, das sei ein toller Lohn und schmiede Freundschaften fürs Leben. Regelmässig im Einsatz ist
er denn auch im Friedegg-Treff in Gossau, wo sich Menschen verschiedener Kulturen und sozialer Schichten treffen, um sich auszutauschen oder Rat zu holen.
Starthilfe fürs Leben Auch im Unternehmen von Pius Schäfler hat Solidarität einen hohen Stellenwert. Schon viele junge Menschen aus schwierigen Verhältnissen oder in problematischen Lebensumständen haben in seinem Betrieb eine Lehrstelle gefunden. Nicht überall wurde sein Engagement goutiert. Einmal verlor er gar einen Auftrag, weil der Kunde seine Geräte nicht von einem dunkelhäutigen Mann reparieren lassen wollte. Dennoch überwiegt das Positive: «Wenn ein junger Mensch auch unter schwierigen Voraussetzungen seine Lehre erfolgreich abschliesst und gut ins Berufsleben startet, macht mich das dankbar und zufrieden.»
Caritas St Gallen-Appenzell
Solidarität ist keine Frage des Geldes Als Caritas-Klientin weiss Sonja Künzle nur allzu gut, was es heisst, auf der Scha enseite des Lebens zu stehen. Obwohl sie sich nach vielen Tiefschlägen wieder ins Leben zurückkämpfen musste, lebt sie Solidarität auf beeindruckende Weise. Text Susanna Heckendorn Bild Peter Dotzauer
wenn die Rechnungen bezahlt sind, liegt unter dem Existenzmininum. Dennoch will sie unter gar keinen Umständen nochmals Sozialhilfe beanspruchen.
Zurück ins Leben Beruflich hat Sonja Künzle seit vielen Jahren regelmässig mit der Caritas zu tun. Dennoch zögerte sie lange, sich selbst dort zu melden. Jetzt ist sie erleichtert, dass sie sich überwinden konnte. Gross ist die Freude über die Möglichkeiten, welche die Kultur Legi eröffnet. Endlich hilft ihr jemand, sich eine genaue Übersicht über ihre finanzielle Situation zu verschaffen. «Ich wechsle vom Überlebensmodus wieder in den Lebensmodus», zeigt sich Sonja Künzle optimistisch, «und ich will schuldenfrei leben können.»
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ach einem schweren Autounfall vor acht Jahren ging es im Leben von Sonja Künzle rapide bergab. Vom Kaderjob führte ihr Weg aufs Sozialamt. Die Versicherungen stritten sich um die Kostenübernahme, bald hatte Sonja Künzle Schulden. Unter fast unerträglichen Schmerzen, mit starkem Schwindel und Tinnitus versuchte sie, ihren Alltag zu bewältigen. Die grössere der beiden Töchter, damals erst zehnjährig, unterstützte ihre Mutter, wo sie nur konnte, auch bei der Betreuung der zweijährigen Schwester. «Das ist kein Leben, das man einer Zehnjährigen wünscht», sagt Sonja Künzle.
Der alltägliche Kampf ums Überleben Die Auseinandersetzungen mit den Versicherungen wuchsen Sonja Künzle über den Kopf. Immer wieder hatte sie mit Rückschlägen zu kämpfen. Es dauerte lange, bis sie beim Sozialamt vorstellig wurde. Obwohl sie sich ungerecht behandelt fühlte, hatte sie keine Kraft, sich zu wehren. Ständig präsent war die Angst, man könnte ihr ihre mittlerweile drei Mädchen wegnehmen. Seit ein paar Jahren arbeitet Sonja Künzle wieder Teilzeit. Mehr als einen 40-Prozent-Job kann sie im Moment noch nicht bewältigen. Seit sie umgezogen ist und wieder arbeiten kann, versucht sie, sich und ihre drei Töchter irgendwie selbst durchzubringen. Was bleibt,
Für andere da sein Im Solidaritätsnetz Ostschweiz engagiert sich Sonja Künzle für Flüchtlinge und Asylsuchende. Für 60 Menschen ist sie Anlaufstelle, begleitet sie bei Behördengängen und hilft in Notfällen. Ausserdem hat sie kurzerhand einen eigenen Verein gegründet und startet Projekte, wo Solidarität gelebt wird. Ihre eigene Geschichte ist für sie Motivation und Triebkraft. Auch wer kein Geld habe, könne etwas beitragen, sagt sie. «Solidarität», zitiert sie Che Guevara, «ist die Zärtlichkeit der Völker.» Und das lebt sie.
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Helfen, wo und wie man kann Wer Not und Armut kenne, wer selbst Solidarität erleben durfte, der sei eher bereit, zu geben, davon ist Hanspeter von Rotz überzeugt. Leider mache sich in unserer Wohlstandsgesellschaft Neid breit. Und Neid lässt keine Solidarität zu. Text Susanna Heckendorn Bild Peter Dotzauer
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penden sei eine gute Sache, findet Hanspeter von Rotz. Solidarität misst sich für ihn aber nicht allein am Geld. Viel wichtiger sei es, im Leben ein stilles Netzwerk zu haben; Menschen, die für andere hinstehen und sich für deren Anliegen starkmachen. Ohne dass man das an die grosse Glocke hängen müsse. Am liebsten hilft er direkt dort, wo es nötig ist. Als Arbeiter aus Rumänien das Gewächshaus der Klinik in Wil abbauten, um es zuhause bei einem Kinderspital wieder aufzubauen, erlitt deren Auto einen Totalschaden. Eine Reparatur lohnte sich nicht mehr und für ein Ersatzfahrzeug fehlte verständlicherweise das Geld. Als Hanspeter von Rotz davon erfuhr, wandte er sich an den Importeur und überzeugte ihn davon, sich ebenfalls an einem geeigneten Auto für das Kinderspital zu beteiligen. Nicht nur die Beschenkten freuten sich riesig, als das nigelnagelneue, geländegängige Fahrzeug wieder Richtung Rumänien losfuhr.
Von Kindsbeinen an Seine Mutter, sagt Hanspeter von Rotz, habe Solidarität vorgelebt. Obwohl sie, früh verwitwet, eine grosse Kinderschar durchzubringen hatte, zweigte sie ein Zehntel des hart Ersparten ab und spendete ihn für wohltätige Zwecke. Auch bei seiner Berufswahl zeigte sich seine Mutter mit ihm solidarisch. Gross war der Druck der Verwandtschaft, er solle Pfarrer werden, als Missionar nach Afrika gehen oder zumindest ein paar Jahre bei der
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Schweizergarde in Rom dienen. Seine Mutter unterstützte ihn jedoch und bekräftigte ihn in seinem Entschluss, eine Automechanikerlehre zu machen. Mit Zielstrebigkeit, Fleiss und Bescheidenheit brachte es Hanspeter von Rotz bald zum eigenen Geschäft, das mittlerweile 60 Mitarbeitende beschäftigt. Auch seine drei Kinder arbeiten im Betrieb mit, die Nachfolgeregelung ist bereits im Gange.
durfte. Der Weg zurück in ein selbständiges Leben war lang, mühsam und schmerzhaft. Er ist glücklich, dass er nicht mehr im Rollstuhl sitzt, braucht aber immer noch regelmässig Therapien. «Ein so einschneidendes Erlebnis macht einen enorm dankbar und zufrieden», sagt Hanspeter von Rotz. Und ist davon überzeugt, dass er in seinem Leben wohl noch die eine oder andere wichtige Aufgabe zu erledigen hat.
Unterstützung erfahren Nach einem schweren Unfall in Kanada vor vier Jahren schwebte Hanspeter von Rotz tagelang zwischen Leben und Tod. Noch heute ist er tief bewegt, wenn er sich daran erinnert, auf welch vielfältige Weise er damals Hilfe erfahren
Kiosk
Liebe Caritas, wie kann ich mich als Freiwillige/r fßr Armutsbetroene engagieren?
AGENDA ÂŤEine Million SterneÂť
Vielen Dank, dass Sie uns bei unserem Einsatz fßr armutsbetroffene Menschen in der Schweiz unterstßtzen wollen. Grundsätzlich gibt es drei MÜglichkeiten, wie Sie diesen Menschen direkt oder indirekt helfen kÜnnen:
Am Dezember ist es wieder so weit In der ganzen Schweiz werden als Zeichen der Solidarität Tausende Kerzen leuchten Jedes Licht ist ein Bekenntnis fßr eine Schweiz die Schwache stßtzt und in Not Geratenen hil
1. Engagieren Sie sich freiwillig fßr Familien, die besonders auf Hilfe angewiesen sind. Schenken Sie ihnen Zeit und Aufmerksamkeit. Sie erhalten Einblicke in andere Lebenswelten und erfahren Wertschätzung fßr Ihr Engagement. Je nach CaritasOrganisation gestalten sich die Einsätze fßr Freiwillige unterschiedlich: vom punktuellen Anpacken an Anlässen ßber eine Patenschaft im Rahmen des Projekts mit mir bis zur regelmässigen Aushilfe im Caritas-Markt. Mehr dazu erfahren Sie auf der Webseite der Caritas-Organisation in Ihrer Region.
CAS ÂŤDiakonieanimationÂť
2. Oder unterstßtzen Sie uns mit einer Spende. Diese iesst in Hilfsprojekte, mit denen wir Armutsbetroenen unter die Arme greifen. Mit Ihrer Spende ermÜglichen Sie uns, Familien auf dem Weg aus der Armut zu begleiten und die Lebensbedingungen aller Familienmitglieder dauerhaft zu verbessern.
Der CAS ÂŤDiakonieanimationÂť ist eine praxisnahe Weiterbildung zugunsten der konkreten Arbeit im kirchlichen Kontext und vermi elt Methoden wie Sozialraumanalyse Projektmanagement Empowerment usw
3. An mehreren Standorten in der Schweiz betreibt Caritas Secondhand-Läden und Caritas-Märkte. Ihre Kleider-, Sachoder auch Warenspenden nehmen wir gerne entgegen. In welcher Form wir diese benÜtigen, wie wir sie weiterverwenden und wem sie letztlich zugutekommen, erfahren Sie auf www caritas-markt ch oder auf der Webseite der CaritasOrganisation in Ihrem Kanton.
Als Kooperation der FHS St Gallen der Caritas St Gallen und der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St Gallen wird der Lehrgang bereits zum zweiten Mal als ZertiďŹ katslehrgang durchgefĂźhrt Er richtet sich an kirchliche Mitarbeitende Fachpersonen der Sozialen Arbeit die im kirchlichen Umfeld tätig sind sowie Ehrenamtliche und Freiwillige die in einem Diakonie-Projekt engagiert sind
Haben Sie eine Frage an uns? Senden Sie diese per E-Mail an nachbarn@caritas-zuerich ch Gerne beantworten wir diese in der nächsten Ausgabe
Wichtiger Bestandteil der diakonischen Arbeit sind Freiwilligenprojekte Allerdings werden die Anforderungen und Erwartungen an solche Projekte immer grĂśsser Deshalb ist die Animation und professionelle Begleitung wichtig Diakonieanimatorinnen und -animatoren wecken neues Engagement oder begleiten bestehende Gruppen
Der nächste CAS Diakonieanimation startet im April www sg ch
Hinterlassen Sie Honung und Perspektiven Mit einem Legat an Caritas St Gallen-Appenzell kÜnnen Sie die Lebensperspektiven armutsbetroener Familien in der Region grundlegend verändern und tun ßber das Leben hinaus Gutes Bestimmen Sie noch zu Lebzeiten wem Ihr Vermächtnis zugutekommt Gerne berät Sie Fredy Bihler stv Geschä sleiter unverbindlich in einem persÜnlichen Gespräch Tel www caritas-stgallen ch
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Gedankenstrich
Das bin auch ich A
rnold Schwarzenegger färbt sein ProďŹ lbild auf Facebook in Regenbogenfarben ein, die PaziďŹ stin Simone Weil geht 1936 in den Spanischen BĂźrgerkrieg, um fĂźr die kämpfenden Franco-Gegner zu kochen, Menschen reisen ans Mittelmeer, um Frontex zu Ăźberwachen, andere zĂźnden auf dem Bundesplatz Kerzen an, um sich mit den ermordeten Mitarbeitenden von ÂŤCharlie HebdoÂť zu solidarisieren. Aber was heisst das genau: sich solidarisieren? FĂźr mich hat es immer bedeutet, sich neben jemanden zu stellen, an ihre oder seine Seite, jemanden oder einander zu stärken. Nicht aus PichtgefĂźhl oder Erbarmen, sondern aus einer gleichberechtigten Verwandtschaft heraus, im Sinne einer ZusammengehĂśrigkeit, die letztlich mit jedem fĂźhlenden Wesen empfunden werden kann. Manchmal ist diese ZusammengehĂśrigkeit deutlicher: Solidarität mit dem streikenden Supermarktpersonal, Solidarität mit Menschen, die wegen ihres Geschlechts diskriminiert werden, Solidarität mit von Ausschaffung bedrohten Nachbarn. Aber auch, wenn die Nähe hinsichtlich GeograďŹ e und Lebenssituation geringer
ist, kann man ZusammengehÜrigkeit fßhlen: Solidarität mit den zu Tode Verurteilten in den USA, mit den kolumbianischen Blumenarbeiterinnen, den Wohnungslosen in Griechenland, mit den Inuit, denen der Lebensraum wegschmilzt. Solidarität muss nicht spektakulär sein, es nicht in eine Schlagzeile oder an eine Hauswand schaen. Ich war erst ein paar Monate an einer Arbeitsstelle, da bemerkte ich, dass es der Firma schlecht ging, dass LÜhne zurßckgehalten und Beiträge an die beruiche Vorsorge nicht eingezahlt wurden. Nachdem ich den Chef damit konfrontiert hatte, begann er mich zu schikanieren, bis hin zum Vorwurf, ich hätte ihn bestohlen, und schliesslich der Drohung mit Kßndigung. Meine beiden Kolleginnen stellten sich – trotz der unsicheren Lage – hinter mich. Wenn sie gehen muss, gehen wir auch. Wir blieben alle nicht mehr lange, aber diese Erfahrung hat mich weit ßber die Situation hinaus gestärkt. Es ist nicht leicht, Solidarität abzugrenzen von Nächstenliebe und Mitgefßhl oder von Protektion, Seilschaft, Interessengemeinschaft. Aber man kann sie fßhlen. Sie sagt: Das kÜnnte ich sein. Das bin auch ich.
Ulrike Ulrich lebt als freie Schri stellerin in ZĂźrich Nach den Romanen ÂŤfern bleibenÂť und ÂŤHinter den AugenÂť ist im Sommer ihr erster Erzählband ÂŤDraussen um diese Zeit“ erschienen Sie ist Mitherausgeberin der Anthologie ÂŤ Jahre Menschenrechte – literarische TexteÂť und engagiert sich fĂźr Schri steller/innen die staatlichen Repressionen ausgesetzt sind www ulrikeulrich ch
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Die etwas andere Kantine In unserer Cantinas arbeiten junge Erwachsene, die sich auf einen Berufseinstieg vorbereiten. In der offenen Küche bereiten wir täglich zwei vollwertige frische Menüs vor und stellen Brot, Suppe, Dessert und Gebäck selber her. Wir freuen uns auf Ihren Besuch.
Wir liefern auch zu Ihnen nach Hause. Zudem können Sie unseren Service und unsere Räumlichkeiten für Veranstaltungen, Bankette oder Workshops buchen. Zürcherstrasse 45, 9000 St. Gallen, Mo–Fr: 12–14 Uhr Kontakt: 071 220 89 09, cantinas@caritas-stgallen.ch
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