Respighi - Opernbroschüre

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Ottorino Respighi Drei Opernempfehlungen

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Ottorino Respighi Drei Opernempfehlungen

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Sehr geehrte Damen und Herren Intendanten, Operndirektoren, Dramaturgen und Dirigenten! Liebe Theaterschaffende!

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espighi verdankt seine interna­ tionale Reputation vor allem den programmatischen Orchesterwer­ ken, die sich bis heute fest im Konzert­ leben etabliert haben. Für die meisten ist Ottorino Respighi – 1879 in Bologna geboren, 1936 in Rom gestorben – der Komponist der Römischen Trilogie, deren einzelne Teile Fontane di Roma, Pini di Roma und Feste romane zusammen mit seinen Antiche danze ed arie nach wie vor häufig und weltweit ihren Platz in den Sinfoniekonzert-Programmen finden und zu seinen bekanntesten Werken zählen. In dieser Hinsicht ist Respighi sicher mit einer der erfolgreichsten und populärsten Komponisten seiner Generation.

nicht nur seine instrumentale Tonsprache beeinflusst: In dieser Zeit komponierte Respighi auch zahlreiche Lieder, zudem entstanden bis 1931 fünf Ballette. Und wer weiß schon, dass Respighi zwischen 1904 und 1935 nicht weniger als zehn abend­ füllende Opern geschrieben hat?

Auch wenn Respighis Kunst in der Tradi­ tion des 19. Jahrhunderts wurzelt, nahm er doch viele Anregungen seiner Zeit schöpferisch auf. Sein Interesse für die Musik früherer Jahrhunderte setzte er ebenfalls kompositorisch um. Beeinflusst hat ihn außerdem die virtuose Orchestra­ tionstechnik des Komponisten Nikolai Rimsky-Korsakow, den er um 1900 wäh­ rend seines Aufenthalts in St. Petersburg kennenlernte, wo er eine Spielzeit lang als Bratschist am Opernhaus arbeitete. Diese Erfahrung hat ganz offensichtlich jedoch

Mit drei beispielhaft ausgewählten Werken wollen wir belegen, dass sich Respighis Opernkompositionen in jeder Hinsicht auch heute zu entdecken lohnen. Im Folgenden werden wir Ihnen die Opern Semirâma, La bella dormente nel bosco (Dornröschen, nach Charles Perrault) und La campana sommersa (Die versunkene Glocke, nach Gerhart Hauptmann) näher vorstellen.

Dass die Opern Respighis von seinen Zeit­ genossen nicht in dem Maße gewürdigt wurden, wie sie es verdienen, mag daran liegen, dass Respighi als Hauptvertreter des musikalischen Impressionismus in Italien dem aufkommenden neuen Stil des Verismo eines Pietro Mascagni nicht folgen wollte. Das eben ließ ihn für viele nicht mehr en vogue erscheinen.

Ihr Ricordi Berlin-Team

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Semirâma 1910 Poema tragico in drei Akten

TEXT Alessandro Cerè BESETZUNG 4Sop, Ten, Bar, 2B – Frauenchor, Männerchor ORCHESTERBESETZUNG 3.2.Eh.3Kl.Bkl.2.Kfg – 6.3.3.1 – Timp.Perc.Cel.Xyl.Hrf.Org – Str

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ie Oper hat Respighi im Babylon vorchristlicher Zeit angesiedelt. Sehnsüchtig erwartet Königin Semirâma die sieg­reiche Heimkehr der Soldaten. Vor allem der mutige Merôdach hat ihr Interesse geweckt. Doch hat sie bereits einen anderen Liebhaber: den assy­ rischen Tetrarchen Falâsar. Er hatte einst ihren Mann getötet und dafür gesorgt, dass ihr Sohn Ninya verbannt wurde. Merôdach und die chaldäische Prinzessin Susiâna, die als Sklavin in Babylon lebt, kennen sich seit Langem und sind sich zärtlich zugetan. Gemeinsam schwelgen sie in Erinnerungen, doch Semirâmas besitzergreifende Leidenschaft hängt über ihnen wie ein Damoklesschwert. Semirâma erklärt Falâsar, dass sie beab­ sichtige, Merôdach zu heiraten. Falâsar versucht sie davon zu überzeugen, dass Merôdach ihr eigener, aus dem Exil zurückgekehrter Sohn Ninya sei.

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URAUFFÜHRUNG 20. November 1910 Teatro Comunale di Bologna LÄNGE Ca. 2 Stunden

Semirâma glaubt ihm nicht und heira­ tet Merôdach. Falâsar klärt auch Susiâna da­­rüber auf, dass Merôdach Semirâmas Sohn ist, was sie diesem sogleich erzählt. Merôdach allerdings glaubt weiter an eine Verleumdung und will Falâsar töten. In der Dunkelheit ermordet er jedoch versehent­ lich seine eigene Mutter Semirâma. Semirâma ist Respighis erste publizierte und gespielte Oper überhaupt. Die Urauf­ führung am 20. November 1910 in Bologna wurde von der Kritik wie von Komponisten­kollegen positiv aufgenommen. Thema­ tisch ist die Oper eine Art Mix zwischen Rossinis gleichnamiger Oper und Verdis Aida. Sie ist eine wirkliche Neuheit in dem damals vom Verismo bestimmten Opern-Panorama.

Vielfarbigkeit der Orchestrierung, die in ihrer Dichte an deutsche Vorbilder erin­ nert, aber auch Puccini nicht verleugnet: Liebliche instrumentale Passagen reichert Respighi durch gewagte harmonische Ideen und archaische gregorianische Ele­ mente an. Ein wahrhaft großer Wurf, der den frühen Opern von Richard Strauss sicher näher steht als den gleichnamigen Opern von Rossini und Meyerbeer.

Während die wahre Meisterhaftigkeit der Orchestration den Einfluss von Respighis Lehrer Rimsky-Korsakow erkennen lässt – der unzweifelhaft hinter der entzückenden Danza dell’aurora steht, einem ätherisch anmutenden Intermezzo aus dem dunk­ len 2. Akt –, ist der wahre Prüfstein von Semirâmas äußerst moderner theatraler wie musikalischer Konzeption der Kom­ ponist Richard Strauss, der im Jahr zuvor in Dresden seine Elektra vorgestellt hatte. »Die erste Strauss-Oper, von einem Italie­ ner komponiert« – so hieß es damals über Semirâma. Die Brutalität der Leidenschaf­ ten findet ihren Ausdruck vor allem in der

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La bella dormente nel bosco (Dornröschen) 1916 – 1921; 1933 Musikalische Fabel in drei Akten

TEXT Gian Bistolfi, u. a. nach dem Märchen La Belle au bois dormant (1697) von Charles Perrault BESETZUNG 3Sop, 5Msop, Ten, 3Bar – 2Spr, 2Schsp – Chor, Knabenchor – Tänzer (Ballette im 1. und 3. Akt) ORCHESTERBESETZUNG 2.1.1.2.Tsax.Bsax – 2.3.3.0. – Perc.Cel.Klav – Str Bühnenmusik: Glocken in a und d‘

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in Gesandter des Königs ist auf der Suche nach den guten Feen – sie sollen die Patenschaft für seine eben geborene Tochter übernehmen. Auf einem Fest im Schloss überreichen sie ihre Talismane, die dem Kind eine glückliche Zukunft sichern sollen. Nicht eingeladen war die grüne Fee. Sie kommt dennoch und rächt sich, indem sie das Baby mit einem Zauber belegt: In ihrem 20. Lebens­ jahr soll sich das Mädchen an einer Spindel stechen und in ewigen Schlaf versinken. Es geschieht wie prophezeit. Kein Arzt kann helfen. Die gesamte Hofgesellschaft wird von der blauen Fee eingefroren.

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URAUFFÜHRUNG 13. April 1922, Puppenspiel Teatro Odescalchi, Rom 9. April 1934, 2. Fassung für große Bühne Teatro di Torino LÄNGE Ca. 2 Stunden

Der Zauber soll solange andauern, bis die Prinzessin durch den Kuss der Liebe wieder aufgeweckt werde. Spinnen über­ ziehen das erstarrte Leben mit einem Netz aus Silber. Jahrhunderte später. Eine Party-Gesellschaft mit Fürst Aprile an der Spitze hat sich auf einer Schnitzel­ jagd verirrt. Ein Holzfäller erzählt ihnen von dem verwunschenen Schloss. Dort besiegt Aprile die Riesenspinne, die ihr Netz bewacht, und findet die schlafende Prinzessin. Er küsst sie wach. Die blaue Fee erweckt alle Verzauberten wieder zu neuem Leben. Die Jagdgesellschaft von heute und die Hofgesellschaft des 17. Jahrhunderts vereinen sich im Tanz, was sich auch im Mix aus altertümlichen (»Minuetto«) und modernen Tänzen (»Foxtrott«, »Twist«) niederschlägt. Kurz nach Beendigung der sinfonischen Dichtung Fontane di Roma (1916) unter­ brach Respighi seine Arbeit an der Oper Belfagor (1923) und widmete sich der Ver­ tonung des Dornröschenstoffs. Die erste Fassung, die komplett verloren gegangen ist, komponierte er für Vittorio Podreccas berühmtes Marionettentheater. Das Werk wurde begeistert aufgenommen und auf einer Tournee über zwanzig Jahre lang in Europa, aber auch in Ägypten, Australien, Kanada und Japan aufgeführt. Aufgrund des großen Erfolgs dieser Fassung für Puppentheater entwickelte Respighi 1934 daraus eine zweite Version für die »kon­ ventionelle« Opernbühne. Im Vergleich zu den Dornröschen-Kompositionen von Tschaikowsky (Ballett) und Humperdinck (Oper) richtet sich Respighis Vertonung des Märchens jedoch eher an ein junges Publikum.

La bella dormente nel bosco ist ein wichtiges Dokument für die Erneuerungstendenzen in der italienischen Musik zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Unter dem Deckman­ tel des scheinbar naiven Märchens ver­ birgt sich ein künstlerisches Credo. Von der veristischen Oper verabschiedet sich Respighi hier in doppelter Hinsicht: zum einen mit dem Sujet, zum anderen auch mit dem Orchesterklang, der mit seiner Besetzung Distanz zum Verismo schafft und an vorklassische Ensembles erinnert, gemischt mit Ingredienzien von Busonis »junger Klassizität«. Eine deklamatorische Behandlung und mehrere Sprechrollen kommen hinzu, die sich jede auf ihre Weise von tradi­ tionellem Opernmelos lösen. Im Libretto erkennt man ganz deutlich die Kritik an Wagner und Richard Strauss. Wagnersche Bühnensituationen werden parodiert, so – zum Beispiel – im Kampf zwischen Fürst Aprile (alias Siegfried) und der Spinne (alias Fafner) sowie in der Szene, als die Prinzessin (alias Brünnhilde) wachge­ küsst wird. Dazu werden allegorische Entgegensetzungen auskomponiert: Der guten Fee ist als Farbe das mediterrane azurne Blau, der bösen Fee die Farbe des »deutschen Waldes« zugeordnet. Welche musikalischen Verweise und Parodien man auch entdecken mag: In jedem Fall ist Resphigis Dornröschen nicht nur für den gestandenen Musikfan und Opernkenner ein Muss – die Oper ist ein zauber­haftes musikalisches Märchen für die Familie.

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La campana sommersa (Die versunkene Glocke) 1925 – 1926 Oper in vier Akten

TEXT Claudio Guastalla nach Gerhart Hauptmanns Versdrama Die versunkene Glocke. Ein deutsches Märchendrama (1896) BESETZUNG 4Sop, 3Msop, 3Ten, 2Bar,B – 3Spr – Frauenchor, Knabenchor

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ie Silberweide, auf der die gute Waldhexe, die Elfe Rautendelein, der Nickelmann, der Waldschrat, Nymphen und Wichtel leben, wird von allen Seiten durch das Eindringen der Menschen bedroht. Die Talbewohner wol­ len in den Bergen ein neues Gotteshaus mit einem großen Glockenturm errichten. Beim Transport der Glocke sorgt der Wald­ schrat dafür, dass ein Rad des Wagens bricht. Der Schmied Heinrich verun­ glückt schwer, als er vergeblich versucht, die Glocke vor dem Versinken im See zu retten. Die neugierige Rautendelein hat sich in die Welt der Menschen begeben und sich in den schwerverletzten Hein­ rich verliebt. Als sie ihm die Augen küsst, eröffnet sich ihm eine neue und fantasti­ sche Welt. Er gewinnt neue Lebenskraft, verlässt seine Frau Magda und seine Kin­ der und zieht sich mit Rautendelein in die Berge zurück. Dort widmet er sich

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ORCHESTERBESETZUNG 4.2.Eh.2.Bkl.2.Kfg – 4.3.3.1. – Timp.Perc.Xyl.Cel.Org.Hrf – Str Bühnenmusik: Glockenspiel URAUFFÜHRUNG 18. November 1927 Stadttheater Hamburg LÄNGE Ca. 2 Stunden 30 Minuten

einem titanischen Werk, der Errichtung eines gigantischen Sonnentempels mit einem gewaltigen Glockenturm. Der Pfar­ rer beschuldigt Heinrich der Ketzerei und der Unzucht mit Rautendelein. Heinrich behauptet, eher werde die Glocke auf dem Grund des Sees läuten, als dass er Rau­ tendelein verlässt. Magda verzweifelt und nimmt sich das Leben, sie ertrinkt im See. Das Grabgeläute der darin versunkenen Glocke erschüttert Heinrich. Er verstößt Rautendelein und ruft Gott um Verge­ bung an. Doch kann er ohne seine Elfe nicht mehr leben, seine Rufe nach ihr ver­ hallen jedoch ungehört. Er erfährt, dass sein Bauwerk in Flammen aufgegangen und, gleich ihm, unrettbar verloren sei. Bevor Rautendelein, die sich inzwischen mit dem Nickelmann vermählt hat, in ihr Wasserreich hinabsteigt, steht sie Hein­ rich in seinem Todeskampf bei.

Eindeutige Anspielungen zu Siegfried – die Welt der Schmiede – finden sich ebenso wie solche zu den Nornen der Götter­dämmerung – die drei klagenden Elfen –, zum Untergang Walhalls oder der Wieder­erlangung des Rings durch die Rheintöchter. Respighi hat äußerst kunstvoll ein Netz aus motivischen Remini­szenzen gefloch­ ten, wobei er nirgends am Primat des Klanglichen rührt. Die Uraufführung fand im November 1927 in Anwesenheit von Gerhart Hauptmann und Ottorino Respighi in Hamburg statt. Bis zum Zweiten Weltkrieg schmückte das Werk in schöner Regelmäßigkeit die interna­ tionalen Spielpläne, danach verschwand es mehr oder weniger von den Bühnen: Zeit für eine Renaissance mindestens dieses Respighi-Werks.

Die Kernaussage der Oper ist der Kon­ flikt zwischen dem Magischen und dem Menschlichen, zwischen dem Heiligen und dem Profanen – ein Widerstreit, der den Menschen in Schuld verstrickt. Eine der gelungensten Figuren der Oper ist Magda. Ihr Gesang steht stilistisch Giacomo Puccini nicht allzu fern. In der Charakterisierung Rautendeleins betonte Respighi vor allem die mädchenhaften Züge. Ihr Gezänk mit dem aufdringlichen Waldschrat zu Beginn der Oper bot ihm ebenso eine willkommene Gelegenheit zu facettenreicher klanglicher Charakterisie­ rung wie ihr heiteres Liedlein »Glimmer­ funken in der Asche«, das sie bei der Zu­bereitung des Zaubertranks für Heinrich singt. Beabsichtigt und unverkennbar sind auch hier in den beiden letzten Akten die Bezüge zu Wagners Musikdramen.

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Herausgeber G. Ricordi & Co. Bühnen- und Musikverlag GmbH Part of Universal Music Publishing Classical Stralauer Allee 1, D-10245 Berlin E-Mail: umpg.classical@umusic.com Tel.: +49 (0) 30 52007-1323 www.ricordi.de Facebook: www.facebook.com/ricordi.umpc Twitter: twitter.com/Casa_Ricordi © Universal Music Publishing Germany, 2017 Gestaltung: Eps51 graphic design studio Redaktion: Daniela Brendel, Felicitas Böhm Original-Illustrationen: Daniel Egnéus


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