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Zeitschrift der überkonfessionellen Bewegung Campus für Christus Schweiz

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Tra u e r n u n d Tr ö s t e n


I N H A L TE trauern und trösten | inhalt

Inhalt JUBILÄUM

ZUM THEMA

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«Mitweinen ist hilfreicher, als viele ahnen»

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Kampf um ein Leben

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Pfarrerin Monika Riwar über die Begleitung von Schwerkranken und Sterbenden

Was hat Billy und Ruth Graham geprägt?

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Auf Besuch bei Billy Graham

«Nathanaël hat uns eine Botschaft hinterlassen»

Kolumne «Farbe bekennen»

KULTUR

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René Bregenzer: Versöhnt sterben

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Durch das Tal der Todesschatten

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Palliativpflege Tabuthema Suizid Jörg Weisshaupt: Wie man mit gefährdeten Menschen und betroffenen Angehörigen reden kann

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Kolumnen «Filmtipp» und «Gedanken zwischen Büchern»

Ruanda und Burundi: Zukunftsperspektiven vermitteln • Manuel Rapolds Berufung zurück zu seinen Wurzeln • Campus für Christus unterstützt einheimische Christen • Innere Heilung für ruandische Frauen • DVD: Wenn wir uns versöhnen

Kolumne «Unterwegs erlebt» Roland Kurth: Übergänge

HINWEISE

Klagen und begraben Pfarrer Jens Kaldewey zum Umgang mit Trauer und Verlust in der Bibel

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CFC International und National Kolumne «Medien» Markus Baumgartner: Der Exodus in die virtuelle Welt

Kolumne «beziehungsweise» Sabine Fürbringer: Von Grabstätten zu Saatbeeten

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Kolumne «von Wegen!» Fredy Staub: Der Fast-Abschied

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Johannes Brahms: Deutsches Requiem

REPORTAGE

Menschen bis zuletzt ein würdiges Leben ermöglichen

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Ein Requiem, das Freude ausstrahlt

Andy Schindler-Walch und Manuela Richard

Francine Smalley und ihre Kinder auf dem Weg der Trauerarbeit

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Aus Anlass des 90. Geburtstages des Jahrhundertevangelisten

Das Wort des Missionsleiters

Wie Pfarrer Daniel Hari, Vorkämpfer für das Thema Heilung, mit der Krankheit und dem Tod seiner Frau umgeht

Ein Vater über seine schlimmsten Stunden und die Monate nach dem Tod seines Sohnes

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C-Leaders Eine Fachschule gut unterwegs

Befreit von Trennungsangst Ein Mann findet Trost und Heilung seiner Kindheitswunde

Kolumne «New Generation»

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Literatur/Agenda/Inserate/Impressum

ZUM SCHLUSS

Andreas Boppart: Loslassen

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«Über die Trauer» Zitate von Clive S. Lewis cz 4|08


EDITORIAL trauern und trösten | editorial

Editorial Novemberzeit mit der vorliegenden Ausgabe eine Hilfe an die Hand geben, die Sie auf diesem Weg begleitet: sei es als Abschiednehmende, als Trauernde oder als Tröstende. Peter Höhn

Trauern und Trösten – zum Thema angeregt hat uns Francine Smalley, die als ehemalige Schweizer Mitarbeiterin von Campus für Christus November – das ist die Zeit, in der kain Süddeutschland lebt. Zehn Jahre ist tholische Mitchristen an Allerheiligen es her, dass sie und ihre drei kleinen und evangelische am Ewigkeitssonntag Kinder von ihrem Ehemann und Vater der Toten gedenken. Die AuseinandersetAbschied nehmen mussten. Joe Smalley, zung mit unserer eigenen Sterblichkeit damals Leiter von Athletes in Action Euroist kein einfaches und angenehmes Thepa, wurde im Alter von 42 Jahren durch ma. Und doch sind wir alle immer wieder einen Hirntudirekt und inmor innert wedirekt vom Tod Wir möchten Ihnen eine Hilfe an niger Monate und Abschieddie Hand geben, die Sie auf dem aus dem Leben nehmen von Weg des Trauerns und Verarbeitens gerissen. Franliebsten Menbegleitet: sei es als Abschiednehcine gibt uns schen betroffen. mende, als Trauernde oder als Trösin einem diffeIch selbst stand tende. renzierten BeiAnfang Jahr trag Einblick in ihren mehrjährigen Weg am Grab eines kostbaren Freundes, der durch das Tal der Trauer – bis heute, wo menschlich gesehen viel zu jung gestorsie sagen kann: «Die Sonne scheint hell; ben war. Nichts erschüttert unser Leben die Zukunft liegt vor den Kindern und so sehr wie der Tod nahestehender Menmir!» und wo sie selbst die Kraft und Auschen und lässt uns gleichzeitig so ohntorität bekommen hat, für viele andere mächtig und sprachlos zurück – sei es Menschen Trösterin zu sein. als Direktbetroffene, sei es als Freunde und Bekannte. Und das nicht nur am Tag des Abschiednehmens, sondern auch auf dem oft langen Weg des Trauerns und Verarbeitens. So möchten wir Ihnen

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Daneben stehen die noch frischen Erfahrungen von Thomas Hanimann – er verlor seinen Sohn durch einen Trekking-

unfall – und Pfarrer Daniel Hari, der selbst als Vorkämpfer im Heilungsdienst von Jesus vorangeht und vor einem halben Jahr von seiner an Krebs erkrankten Frau Abschied nehmen muss­te. Die Zeugnisse dieser Menschen haben mich stark berührt und trotz ihrer harten Realität meinen Glauben aufgebaut. Jesus kommt mit uns durch das Tal der Trauer, und er trägt uns durch. Beeindruckt haben mich auch die Berichte von Anna Martha Kreis, Pfarrerin Monika Riwar und Jörg Weisshaupt, die ohne Berührungsängste betroffenen Menschen beistehen – in der Pflege, im Trösten, im Begleiten. Wo immer wir im Bezug auf Trauern und Trösten stehen: Lassen wir uns darauf ein! Und lassen wir uns und anderen die notwendige Zeit, die Wege der Trauer und ihrer Verarbeitung zu gehen! Denn auch das Licht des Advents kommt erst, wenn wir die «Novemberzeit» bestanden haben. Peter Höhn

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BEGLEITEN «Mitweinen ist hilfreicher, als viele ahnen» Pfarrerin Monika Riwar über die Begleitung von Schwerkranken und Sterbenden Liegt jemand auf dem Sterbebett, fühlen sich viele hilflos und weichen der Situation aus. «Dabei wäre es hilfreich, den Schmerz vor Ort auszuhalten – und mitzuweinen», sagt Pfarrerin Monika Riwar. Sie organisiert Seminare zur Begleitung von Schwerkranken sowie Sterbenden und verantwortet den Bereich Ausbildung im Bildungszentrum für christliche Begleitung und Beratung (bcb) in Oberägeri.

Manfred Kiener Christliches Zeugnis: Frau Riwar, wie sind Sie dazu gekommen, solche Seminare anzubieten? Monika Riwar: Schon aus meiner Tätigkeit im Pfarramt brachte ich diesbezüglich Erfahrungen mit. Zudem ist das Thema «Sterbende begleiten» Teil unserer Ausbildung «Begleitende Seelsorge bcb». Daraus entwickelte sich ein zweitägiges Seminar, das wir zusammen mit CDK Christen im Dienst am Kranken anbieten. Es steht Interessierten als separater Kurs offen. Was erlebten Sie dabei? Solche Begegnungen fielen mir leichter, als ich es mir vorgestellt hatte. Die Begleitung Schwerkranker und Sterbender ist trotz allem Schweren eine bereichernde Erfahrung. In diesem Prozess gibt es aber auch schwierige Fragen: Wie reagieren Angehörige des sterbenden Menschen? Gibt es in dessen Leben Dinge, die noch geklärt und bereinigt werden sollten? 4

Wie stellen wir uns dem Thema Sterben und Tod entspannter? In unserer Ausbildung oder im Seminar hegen viele gemischte Gefühle im Blick auf das Modul «Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben». Wir führen die Leute an das Thema heran. Ich erfahre, dass die Seminarteilnehmenden Sicherheit gewinnen durch die Auseinandersetzung mit Fragen: Was geschieht, wenn jemand stirbt? Welche Prozesse gehören dazu? Wie soll ich mich verhalten? Was ist hilfreich? Wie soll man Menschen nach schlimmer Diagnose, nach einer Hiobsbotschaft begegnen? Die Freunde Hiobs reagieren unglaublich! Sieben Tage lang sitzen sie mit Hiob in seiner zerstörten Lebenswelt, schweigen und trauern mit ihm. Sie versuchen nicht, alles gleich zu ordnen. Das ist hilfreich. Als Begleitende muss ich solche Schwere aushalten lernen, obwohl ich am liebsten sofort etwas Tröstendes oder Beschwichtigendes sagen würde. Doch in einem solchen Augenblick gibt es kei-

ne schnelle Hilfe. Da kann schon der Satz zu viel sein: «Gott wird dir hindurchhelfen ...» Den Schmerz anderer auszuhalten und vor Ort auszuharren ist eine der wichtigsten Qualifikationen eines Seelsorgenden. Im weiteren Verlauf wird es vielleicht möglich, Emotionen auszudrücken, den Schmerz oder die Wut über die Situation. Im ersten Moment sagt jemand als Christ vielleicht: «Gott wird wissen, was er tut.» Doch in der Regel kommt der Zeitpunkt, wo alle Gefühle durcheinandergehen und er vor oder mit Gott streitet und ringt. Für das Umfeld ist diese emotionale Phase herausfordernd. Doch sie gehört zum inneren Weg eines schwer kranken Menschen. Was tun nach einem Unfall oder einem Todesfall? In der Regel sind Trauernde im Schock­ zustand dankbar, wenn ihnen jemand ein Stück Struktur gibt. Als Pfarrerin besuchte ich Familien, in denen je­mand verstorben war. Da war jeweils ein kleines Abschiedsritual am Bett der cz 4|08


trauern und trösten | mitweinen ist hilfreicher …

verstorbenen Person hilfreich. Viele sind in einem solchen Moment aufgeschlossen für eine Glaubenshandlung. So fragte ich zum Beispiel: «Darf ich für Sie oder mit Ihnen beten?» Gemeinsam sprachen wir manchmal das Vaterunser, das sogar Menschen akzeptieren, von denen wir nicht wissen, wie sie im Glauben stehen. Wie vermeiden wir frommen Übereifer? Ein Mensch in Not oder Trauer hat seine Persönlichkeit nicht verloren, sondern bleibt ein Gegenüber. Wenn ich einfach zu beten beginne, verfüge ich vielleicht ungefragt über jemanden. Manchen ist das Gefälle nicht bewusst, das entsteht, wenn sie emotional stabil und gesund auftreten und die andere Person im Bett liegt. Wir dürfen die Bedürftigkeit einer Person nie ausnutzen, sondern sollen ihr mit Achtung begegnen. Ich darf nicht plötzlich so handeln, als hielte ich die Fäden in der Hand. Ich möchte Betroffene nicht bedrängen, sondern behutsam handeln. Wie steigen Sie in ein Gespräch ein? Wenn ich nicht weiss, wo jemand steht, frage ich: Was hilft Ihnen jetzt in dieser Situation? Hilft Ihnen der Glaube irgendwie? Wie halten Sie das überhaupt aus? Was tröstet Sie, oder was gibt Ihnen Kraft? Wäre es Ihnen eine Hilfe, wenn ich für Sie beten würde? Dann warte ich auf die Reaktion. Grundsätzlich ist mir wichtig, davon zu reden, dass Christus uns das Leben schenkt, dass er den Tod für uns überwunden hat oder dass wir in ihm geborgen sind – wir müssen dabei nicht beurteilen, ob die Anwesenden diesem Zeugnis entsprechen. Ich rechne damit, dass Jesus Christus einem Menschen begegnet, und bete im Stillen: Begegne du dieser Person, weck Fragen und lass ein Gespräch entstehen. Ich versuche, authentisch zu bleiben. Menschen spüren, ob ich predige, um sie zu bekehren, oder ob ich von der Hoffnung erzähle, von der ich selber lebe. Ich kann das wie folgt einleiten: Für Sie bedeutet Gott das oder jenes. Für mich ist cz 4|08

«Den Schmerz aushalten und mitweinen.»

es anders: Für mich ist es so und so ... Besser eine Türe sanft öffnen als mit ihr ins Haus fallen. Weshalb ziehen sich Bekannte und Freunde oft zurück? Viele versuchen, ihrer Hilflosigkeit zu begegnen, indem sie der Tragik ausweichen. Aber für Betroffene ist es schwer zu verkraften, wenn sich Freunde und Verwandte zurückziehen. Es ist besser, Kranke oder Trauernde zu besuchen und sich einzugestehen, dass einem die Worte fehlen, als ihnen auszuweichen und nichts von sich hören zu lassen. Wer sich auf eine Begegnung einlässt, stellt oft fest: Es ist nicht so schwierig, wie ich befürchtet habe. Da für manche Schwerkranke Besuche anstrengend sind, ist es manchmal gut, zuerst anzurufen: «Du, ich würde dich gerne besuchen, magst du mich empfangen?» Was soll ich bei einem solchen Besuch sagen? Viele denken, sie müssten bei einem Besuch viel sprechen, und wissen nicht, was

sie sagen sollen. Legen Sie sich kein Programm zurecht, das Sie abspulen wollen. Gehen Sie einfach hin und schauen Sie, was Sie antreffen. In der Regel geht es zuerst nicht ums Sprechen, sondern ums Zuhören. Was hilft in Gesprächen bei einer längeren Begleitung? Menschen, deren Krankheit sich länger hinzieht, wollen nicht immer nur über sich und ihr Leiden sprechen. Manchmal muss jemand ein Thema für sich bewegen, ohne darüber zu sprechen. Zur Vorbereitung eines Krankenbesuches frage ich mich: Was könnte für diese Person sonst von Bedeutung sein? Das Interesse am Ergehen von Freunden und Bekannten erlischt in der Regel nicht. Die Bedürfnisse sind allerdings nicht jeden Tag gleich, das heisst, ich muss hinhören, weil die Gefühlslage wechselt. Fragen Sie einfach: Magst du das oder jenes? Was würde dir guttun? Wenn ich jemanden häufiger sehe, macht die aktuelle Befindlichkeit nur einen kurzen Teil des Gesprächs aus. 5


«Wärst du froh, ich würde dich begleiten?»

Je kraftloser jemand wird, desto weniger mag er oder sie sprechen. Vielleicht können Sie etwas vorlesen, zum Beispiel aus der Zeitung, wenn der Betroffene es hören möchte, oder aus einem Buch oder den Psalmen. Wie gehen Sie mit der Spannung um zwischen der Heilungsverheissung und der Möglichkeit, dass eine Person sterben wird? Wenn Menschen schwer erkranken und darauf vertrauen, dass Gott heilt, führt das tatsächlich oft zu Spannungen. Wird ein Heilungswunsch nicht erfüllt, soll ein Mensch seinen Schmerz darüber ausdrücken dürfen. Die Bibel ermöglicht es uns, wie David in den Psalmen zu klagen. Über Situationen, in denen sich Hoffnungen auf Gottes Eingreifen nicht zu erfüllen scheinen, sprechen wir in der Seelsorgeausbildung häufig. Das auszuhalten und mitzuweinen ist hilfreicher, als die meisten ahnen. Soll ich einer Hoffnung auf Heilung zustimmen? Einmal rechneten wir bei einer Person medizinisch gesehen mit dem Tod. Sie sagte jedoch überzeugt: «Ich vertraue darauf, dass Gott mich heilt!» Ich konnte ihre Gewissheit zwar nicht teilen, wollte ihr dieses Hoffen aber auch nicht nehmen. Ich 6

weiss ja nie, ob Gott in einer Situation nicht doch noch heilt. Ich antwortete: «Das würde ich Ihnen sehr wünschen, dass Gott das tut. Es würde mich sehr freuen, wenn Gott so an Ihnen wirken würde.» Aber ich konnte nicht mit Gewissheit sagen: Gott wird Sie heilen. Vielleicht fragt mich jemand direkt: «Glaubst du das auch?» Darauf antworte ich: «Das kann ich dir nicht beantworten. Wenn du sagst, Gott habe dir das gezeigt, so hat das Gott mit dir abgesprochen. Ich stehe in dieser Hinsicht aussen vor.» In der Regel stirbt die Hoffnung zuletzt. Ich sage deshalb nie: «Gib diese Hoffnung auf!» Ich versuche eher, andere Blickwinkel anzuregen: Welchen Weg könnte Gott sonst noch im Blick haben? Oder: Würde dir der Gedanke, Gott zu begegnen, Angst machen? Ich merke immer wieder, dass der Himmel für viele Christen abstrakt und weit weg ist. Bleibt die Frage: Was, wenn Gott nicht heilt? Ich halte eine Theologie, die sagt, Gott heile in jedem Fall, wenn weder Sünde noch Unglaube im Wege stehen, nicht für richtig. Ich rechne damit, dass Gott mit jemandem einen anderen Weg geht. Der Glaube ist uns nicht einfach gegeben, damit es uns hier und jetzt wohlergeht.

Wir sollen vielmehr in eine Glaubensbeziehung hineinwachsen, die unsere Verbindung mit Christus stärkt – jenseits allen Wohlergehens. Ja, es gibt wunderbare Zeugnisse der Heilung. Doch in der Kirchengeschichte bezeugten Menschen auch, wie sie trotz Leid am Glauben festhielten. Solche Zeugnisse wirken mindestens so evangelistisch wie jene einer Heilung. Einen trotz schweren Leidens glaubensfrohen Menschen zu treffen, beschäftigt die Leute oft mehr als die Geschichte einer Heilung. Jesus ist bei uns bis ans Ende der Zeiten. Bleiben Sie in der Not nicht an der Frage hängen: Weshalb lässt Gott das zu? Sie finden darauf vielleicht keine Antwort. Was uns trägt, ist die Glaubenserfahrung: Christus begleitet uns hindurch. In ihm sind wir aufgehoben mitten in der Not. Was raten Sie im Umgang mit Trauernden? Gefragt ist konkrete Unterstützung, da Trauer ermüdet und Energie kostet. Wer trauert, arbeitet innerlich. Die Kraft für Kontakte fehlt, alltägliche Vorhaben strengen an. Fragen Sie: Wärst du froh, ich würde dich begleiten? Gibt es etwas, das ich für dich tun kann? Nach einem Todesfall bleibt viel zu organisieren mit Behörden und für die Beerdigung. Bieten Sie Ihre Hilfe wiederholt an, weil Trauernde manchmal nicht um Hilfe bitten mögen. Bringen Sie mit kleinen Zeichen zum Ausdruck: Ich denke an dich. Oder besuchen Sie Trauernde kurz, um nachzuschauen, wie es ihnen geht. Manchmal tröstet es jemanden, wenn wir beten. Manchmal mag das jemand, manchmal nicht. Schenken Sie einem Menschen in der ersten Trauer kein dickes Fachbuch, sondern eher eines mit kleineren Abschnitten und Gedanken, aus denen er auswählen kann, was ihm gerade entspricht. Es gibt Menschen, die nach einem Jahr emotional noch intensiv trauern. Andere erleben drei intensive Wochen und leiden später punktueller. Das ist nicht bei jedem gleich. Doch das Trauerjahr macht Sinn, cz 4|08


trauern und trösten | mitweinen ist hilfreicher …

weil darin Trauernde alles zum ersten Mal ohne die verstorbene Person erleben. Was dient unserer inneren Vorbereitung? Es hilft, wenn wir uns mit dem eigenen Sterben auseinandersetzen: «Ich werde sterben» – Wie geht es mir mit diesem Satz? Wie fasse ich meine Hoffnung im Angesicht des Sterbens in Worte? Was bedeutet «Himmel» für mich? Wenn wir als Christen den Satz benutzen «Ich vertraue auf Jesus», ist es gut, wenn wir konkreter sagen können: Was heisst das genau für mich, was mache ich, um Gott mein Vertrauen auszudrücken? Als Christen verwenden wir oft Begriffe oder Sätze, die andere zwar hören, aber inhaltlich nicht füllen können. Deshalb muss ich darlegen können, was sie für mich bedeuten. Wie holen Sie jemanden ab, der anders denkt? Auch für mich als Christin wird es schwierig, wenn die Vorstellungen meines Gegenübers den meinigen nicht entsprechen. Jemand sagt vielleicht: Wenn ich

• Interessierte Teilnehmende am gut besuchten CDK-Seminar «Schwerkranke und Sterbende begleiten». Beachten Sie die Termine 2009 in der Agenda auf Seite 63.

sterbe, löst sich meine Seele auf und kehrt zurück in den Kosmos ... Oder: Ich komme erneut zur Welt in einem neuen Leben. Da stimme ich vom Glauben her nicht zu. Trotzdem habe ich kein Recht, auf diesen Menschen Druck auszuüben. Ich könnte jedoch sagen: Bei diesen Gedanken kommen Sie zur Ruhe angesichts des Sterbens. Bei mir ist das anders: Ich hoffe darauf,

dass Gott mich liebevoll aufnimmt. Also eine offene Gesprächssituation zu erhalten versuchen und darlegen: Worauf setzt die andere Person ihre Hoffnung, und worauf hoffe ich? Innerlich bete ich: Herr, nutze diese Situation, begegne diesem Menschen, weck in ihm Fragen. Letztlich ist es der Geist Gottes, der das Herz eines Menschen berührt.

«Ich denke an dich.»

• Pfarrerin Monika Riwar: «Beim Thema Glauben helfen behutsame Fragen: Was tröstet Sie, oder was gibt Ihnen Kraft? Wäre es Ihnen eine Hilfe, wenn ich für Sie beten würde?» cz 4|08

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T R A U E R N Durch das Tal der Todesschatten Schritte auf dem Weg der Trauerarbeit

• Familie Smalley im Herbst 2007

Am 7. März 1999 musste Francine Smalley von ihrem Mann Joe Abschied nehmen. Er starb 42-jährig an einem Hirntumor. Von ihren drei Kindern war das jüngste erst siebzehn Monate alt. Es begann eine schwere Zeit der Verarbeitung und Neuorientierung für die ganze Familie.

In dieser Zeit setzte sich Francine Smalley intensiv mit dem Thema Tod, Abschied, Trauer auseinander. All die schweren Prozesse sind ihr über die Jahre zu einem Erfahrungsschatz geworden, von dem nicht nur sie selbst und ihre Familie profitieren durften, sondern auch viele an14

dere Menschen, für die sie heute als Beraterin, Referentin und Autorin tätig ist. In der folgenden Dokumentation über Prozesse des Trauerns gibt sie Einblick in fünf Aspekte:

• Meine Geschichte mit Joe • Mein Weg durch die Trauer • Trauerarbeit mit Kindern • Trauern: Facetten und Faktoren • Vorbereitungen zum Abschiednehmen

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trauern und trösten | durch das tal …

Meine Geschichte mit Joe Wir heirateten am 20. September 1986, es war kurz vor meinem 32. Geburtstag. Joe Smalley, ein gut aussehender, sportlicher Amerikaner hatte mich ein halbes Jahr zuvor per Flugzeug nach Paris entführt, wo wir uns unter dem Eiffelturm verlobten!

Francine Smalley Joe war der geborene Romantiker, sehr kreativ und ein starker Leitertyp! Ich fand nicht nur sein Äusseres und die sichtbaren Qualitäten anziehend, sondern auch seine Beziehungsfähigkeit und sein radikaler, lebensfroher und ansteckender Glaube.

Ein Traum wurde wahr Joe und ich hatten uns im Rahmen unserer Arbeit bei Campus für Christus kennengelernt. Ganz im Geheimen hatte ich mir schon immer gewünscht gehabt, dass mein Mann einmal kein Schweizer sein würde. Mit unserer Heirat wurden nun meine Gebete und mein heimlicher Traum wahr. Joe arbeitete in Müllheim, so siedelte ich vor 22 Jahren nach Deutschland um, ins Markgräfler Land. Statt als Theologin in der Studentenseelsorge half ich nun Joe beim Aufbau von Athletes in Action (AiA) in Europa, der internationalen Arbeit von Campus für Christus unter Sportlern, und zwar im Bereich Seelsorge, Mentoring, Coaching, Motivation und Evangelisation. Der Höhepunkt meines Engagements für AiA war 1988 der Einsatz als «Chaplain» («Seelsorgerin und geistliche Betreuerin») während der Olympischen Spiele in Seoul, Korea. 1990 wurde Remy, unser erstes Kind, geboren. Vier Jahre später kam Michèle zur Welt und als totale Überraschung im Oktober 1997 Steven, unser Jüngster.

Diagnose Hirntumor Acht Monate später, im Sommer 1998, traf uns Joes Diagnose aus heiterem Himmel: Hirntumor – mit einer Lebens­ erwartung von nur noch drei bis neun cz 4|08

• Joe Smalley im Sommer 1998 etwa vier Wochen vor der Diagnose.

Monaten. Wir wussten beide sofort, dass Schweres auf uns zukommen würde. Nach intensivsten inneren Kämpfen konnte Joe seinem Tod getrost ins Auge sehen. Er hatte Frieden mit Gott und Loslassen gelernt – sogar uns, seine Familie, seine Kinder, und mich, seine Frau. Die Kinder wussten, dass ihr geliebter Daddy sterben würde. Joe konnte auch ihnen die Angst nehmen, weil er offen mit ihnen darüber sprach, ohne Floskeln und ohne Verdrängen der Gefühle; er lebte uns auf gute Weise seine Hoffnung auf die Ewigkeit bei Gott vor. Mit zitternder Stimme erklärte er uns, wir seien ihm das Liebste und Beste auf der Welt und um nichts wolle er uns hergeben. Aber bei Gott im Himmel zu sein, sei noch besser als alles auf dieser Erde!

Als Joe am 7. März, einem Sonntagmorgen, starb, lautete die Tageslosung der Herrnhuter: «Christus ist mein Leben, und Sterben mein Gewinn!»

Was nun? Wie sollte es für uns nun weitergehen? Für mich wurden die folgenden Monate und Jahre zu einer Zeit harter Arbeit. Echte, verarbeitende Trauer ist Arbeit – wir sagen im Deutschen nicht vergeblich: Trauerarbeit. Vieles, was ich durchlitt, konnte ich erst im Rückblick einordnen. Heute beschreibe ich meinen Weg durch die Trauer gerne mit dem Bild aus Psalm 23,4: «Auch wenn ich wandere im Tal des Todesschattens, fürchte ich kein Unheil, denn du bist bei mir; dein Stecken und dein Stab trösten mich.» 15


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trauern und trösten | durch das tal …

Mein Weg durch die Trauer Trauerarbeit vergleiche ich mit dem Weg durch ein Tal. Tröstlich empfinde ich die kleine Nuance, dass es in der Elberfelder Bibel als «Tal des Todesschattens» übersetzt wird und nicht als «Tal des Todes». Denn wo Schatten ist, gibt es auch Licht.

Francine Smalley Um zum Licht und wieder zum Leben zu finden, müssen wir trauern. Nur wenn der Tod des geliebten Menschen akzeptiert wird und der Verlust verarbeitet ist, können wir einen neuen, veränderten Lebenszugang finden, eine neue Zukunfts- und Lebensperspektive erlangen. Der Verstorbene gehört der Vergangenheit an, er lebt in unseren Erinnerungen, nicht mehr in unserer Gegenwart. Das Jetzt und die Zukunft müssen neu gestaltet werden; der Neuanfang wird damit zur Chance der erneuten Selbstfindung und zu einem Aufbruch zu neuen Horizonten. Deshalb ist es wichtig, zu trauern und das ganze Tal zu durchschreiten.

Der Anfang des Tals Das Tal des Todesschattens hat einen Anfang. Es beginnt mit dem Tod eines Menschen oder – wie es bei mir der Fall war – schon mit dem Moment, in dem man von einer unheilbaren Krankheit hört. Als Joe an jenem 30. Juli morgens um zwei Uhr in unser Schlafzimmer trat und sagte: «Ich habe schlechte Nachricht: Ich habe einen Hirntumor!», da wusste ich sofort, dass er nicht gesund werden, sondern sterben würde. Von diesem Moment an begann unsere Trauerarbeit. Joes langsames Sterben hatte eine segensvolle Seite: Wir konnten uns gemeinsam auf den Abschied vorbereiten. Schockreaktion, innere Erstarrung, Verneinung, Gefühle der körperlichen und seelischen Taubheit sind typische Zeichen dieser ersten Trauerphase. cz 4|08

Mitten im Tal Um ans andere Ende des Tals zu gelangen, muss dieses Tal durchschritten werden. Das Tal in Psalm 23 erinnert uns an eine Schlucht, mit Klippen und Felsvorsprüngen, vielleicht mit Eis und Schnee, die wir durchqueren müssen. In der Dunkelheit der Schlucht sehen wir nicht einmal die Hand vor Augen und wissen nicht, wann und wie wir den Ausgang und das Licht finden. Trotz aller Angst und Not darf man nicht stehen bleiben. Man muss einen Fuss vor den anderen setzen. Schon bald wird klar: «Ich kann das nicht allein!» Gute Freunde und ein fester innerer Halt sind so wichtig wie ein Bergführer auf einer schwierigen Bergwanderung. Während dieser Zeit geht es auch darum, den Verstorbenen loszulassen und den Verlust zu verarbeiten. Deshalb ist sie voller Emotionen und manchmal unerklärlichen Reaktionen; diese reichen von Tränen und Weinkrämpfen über depressive Verstimmungen und körperliche Symptome bis hin zu Schlafstörungen, Esssucht oder Appetitlosigkeit. Wie Wellen brechen diese Trauerreaktionen über einem zusammen – man weiss manchmal gar nicht, wie einem geschieht und was der Auslöser ist. Während der Kerntrauerzeit treffen diese Phasen intensiver und häufiger auf, später weniger heftig und seltener. Diese Schwankungen sind ganz normal und gehören zur Trauer. Oft treffen einen gewisse Gefühle oder schmerzende Erinnerungen wie aus dem Hinterhalt – völlig unvermittelt, unvor-

hersehbar. Es werden Erinnerungen wach; Empfindungen von Verlust und tiefer Einsamkeit kommen hoch. Sie müssen erlebt und verarbeitet werden, auch wenn es sehr unangenehm ist. Freunde und Angehörige können in so einer intensiven Phase überfordert sein – Gott nicht. Er kann mit dem grössten Gefühlsvulkan umgehen. Er weiss ohnehin, was wir zutiefst in unserem Herzen denken und fühlen. Erschrecken kann ihn nichts! Unter den Tisch kehren und verdrängen der Gedanken und Gefühle sind Gift für Körper, Seele und Geist. Auch die berühmte Frage «Warum lässt Gott das zu?» hat Platz! Eine Antwort darauf gibt es oft nicht, und selbst wenn wir eine hätten, wäre unser Schmerz nicht weniger gross. Für mich persönlich war ein nicht gerade sanfter Gefühlsausbruch Gott gegenüber der Wendepunkt in meiner Trauer: Etwa fünf Monate nach Joes Tod war ich am Vortag mit meinen Kindern von Zürich nach Fort Collins in die USA geflogen. Steven wachte schon sehr früh auf und holte mich aus dem für mich so dringend nötigen Tiefschlaf. Mit einem Schlag kam alles in mir hoch: Meine ganze Wut, meine Zweifel und mein Unverständnis schrie ich mir kräftig von der Seele – und durfte dann in meiner Verzweiflung und in meinem allertiefsten Schmerz Zuflucht, Geborgenheit und Trost finden beim liebenden himmlischen Vater. Es war kein billiger Trost, kein Kopf-in-den-Sand-Stecken, kein Verdrängen der Gefühle, sondern eine ehrlich errungene Entscheidung, meinen Trost, meine Hoffnung und meine Kraft trotz allem von Gott zu erhalten. 17


Beim Sortieren der Gefühle und der Erinnerungen sind praktische Arbeiten sehr hilfreich. Einerseits hat das Sich-von-der-SeeleReden-oder-Schreiben in einem Tagebuch therapeutische Wirkung. Die Emotionen erhalten «Namen», werden konkretisiert und dadurch bis zu einem gewissen Grad auch objektiviert. Andererseits hilft das Wegräumen von per­sönlichen Gegenständen und Kleidern des Verstorbenen. Dieses Aussortieren bringt zwar Vergangenes zum Vorschein und löst Emotionen aus, fordert dennoch gleichzeitig eine praktische Lösung in doppelter Hinsicht: Bin ich bereit, mich von diesem Gegenstand zu trennen und zu lösen, und was mache ich damit? So gab ich zum Beispiel ein Paar Schuhe und einen Wintermantel von Joe an Henk, einen seiner «Schüler» (Jünger) weiter. Joe war für Henk ein grosses Vorbild, so wur-

den die Schuhe und der Mantel zu einem «Vermächtnis» an die nächste Generation. Es ist gut, eine Erinnerungsschachtel mit besonders erinnerungsträchtigen und persönlichen Gegenständen zu behalten. Klein ist besser als gross – sie soll kein Museum und keine Gedenkstätte sein. Wichtig sind in dieser Zeit Freunde, die zuhören und einen auffangen können, die einen verstehen, auch wenn man unpassend oder falsch reagiert – sie zum Beispiel wegschickt, auch wenn man sie zutiefst innen so sehr braucht. Geduld, Verständnis und Fingerspitzengefühl sind wichtig, wenn Sie selber eine trauernde Person begleiten. Und nehmen Sie gewisse Gefühlsausbrüche und Worte nicht persönlich. Trauernde Menschen

sind oftmals emotional unberechenbar. Was Trauernde letztlich brauchen, sind Menschen, die sie annehmen, wie sie sind, und ihnen bedingungslos ihre Liebe beweisen: sei es mit einem Blumenstrauss, einem gemeinsamen Spaziergang, indem man ihnen die Kinder einmal abnimmt oder einfach geduldig ist. Es gibt Momente, Tage, sogar Wochen, wo für Trauernde alles absolut schwarz erscheint. Man fragt sich zu Recht, ob dieses Tal jemals aufhören wird. Alles in einem schreit: «Ich werde nie wieder fröhlich sein! Nie wieder werde ich die Sonne sehen!» Während einer solchen Phase half mir das Buch von Verdell Davis mit dem Titel «Let Me Grieve, But Not Forever» («Lass mich trauern, aber nicht für immer»). Es gab mir die neue Perspektive, dass das Tal der Trauer wirklich ein Ende haben wird.

Mitten im«Ich Talwerde nie wieder die Sonne sehen!» Alles in einem schreit:

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trauern und trösten | durch das tal …

Weitergehen heisst, offen werden für Neues. Das Ende deswieder Tals

Das Ende des Tals: Zurück ins Leben Das Ende des Tals bedeutet nichts anderes, als dass die eigentliche Trauer zu einem Abschluss kommt. Der Partner oder das Kind, der Elternteil, der Freund ist gestorben – nicht ich. Man sagt, dass im Durchschnitt die eigentliche Trauerphase nach etwa zwei Jahren abgeschlossen sein soll. Ist das nicht der Fall, spricht man von gestörter oder verzögerter Trauer, die gegebenenfalls professionelle Hilfe erfordert. Weitergehen und ins Leben nach der Trauerzeit einsteigen heisst nun aber nicht: – Dass wir die verstorbene Person vergessen haben – Dass wir nie mehr den tiefen Trauerschmerz empfinden – Dass wir glauben müssen, das Leben sei fair Weitergehen heisst: – Der tiefe Schmerz hat nachgelassen cz 4|08

– Wir freuen uns an den schönen Erinnerungen im Leben mit der geliebten Person – Wir können ganz realistisch die verschiedenen Aspekte unseres Verlustes annehmen – Wir sind offen und bereit, Neues zu wagen und neue Beziehungen zu knüpfen – Wir haben den Tod akzeptiert und den Toten losgelassen – Wir konnten – wo nötig – vergeben – Wir nehmen Freud und Leid als Teil des Lebens an – Wir glauben, dass Gott gut ist, auch wenn das Leben unfair ist

Eines Tages, als ich in meinem Büro sass, betrachtete ich das Foto, das vor mir stand. Zu fünft sitzen wir auf der Treppe vor unserem Haus; es wurde kurz vor Ausbruch von Joes Krankheit aufgenommen. Plötzlich schien etwas nicht mehr zu stimmen. Ich wechselte es aus mit dem Weihnachtsbild von 1999, mit mir und den drei Kindern. Kurz darauf las ich in einem meiner Trauerbücher, dass Bilder – und wie wir damit umgehen – ein deutlicher Indikator für unsere Trauerarbeit darstellten. In meinem Fall ein deutlicher Hinweis auf das Ende des «Tals». Die eigentliche Trauer hatte ihre Macht über mich verloren!

Joe hat einen ganz besonderen Platz in meiner Vergangenheit. Aber er ist weder Teil meiner Gegenwart noch meiner Zukunft. Ich habe viele schöne Erinnerungen, voller Freude und Lachen. Aber ich kann nicht in ihnen leben. Ich muss weitergehen, um meinetwillen und um der Kinder willen.

Natürlich wird es weiterhin Momente der Traurigkeit und der Tränen geben. So stand ich zum Beispiel plötzlich tränenüberströmt vor der Schule nach Remys Einschulung ins Gymnasium. Michèles erster Schultag hatte auch seine emotionalen Momente, einfach weil ich wusste, wie stolz Daddy auf sein kleines Mädchen gewesen wäre. Gewiss wird 19


es später bei den Hochzeiten für alle nicht einfach sein. Dennoch: die dunklen Wolken über meinem Leben sind weggeblasen, das Trauer­ tal liegt hinter mir, die Sonne scheint hell. Die Zukunft steht vor den Kindern und mir; es ist die Zukunft, die Gott für uns geplant hat, gemäss der Verheissung, die er mir gegeben hat, kurz nachdem Joe krank wurde: «Ich weiss, was für Gedanken ich über euch habe, Gedanken des Friedens und nicht des Leides, euch eine Zukunft und eine Hoffnung zu geben» (Jeremia 29,11). Das Leben ist wieder da, obwohl es einen anderen Kurs genommen hat, als ich es mir vorgestellt hatte.

Neue Herausforderungen Eine neue Lebensphase bringt neue Herausforderungen und Möglichkeiten mit sich. Wenn der Ehepartner gestorben ist, fragt man nicht mehr: Was wollen wir tun, wie denken wir darüber? Jetzt heisst es: Was stimmt für mich, was möchte ich? Und das nicht egoistisch gesehen, sondern als Ausdruck der gottgegebenen Verantwortung für die Familie und sich selber. Die «Smalleys in Germany» haben bis heute eine lustige Mischung beibehalten: So wird zum Beispiel jedes Jahr zum ersten Advent schon der Weihnachtsbaum aufgestellt und von den Kindern dekoriert, auch die Eisenbahn darunter darf nicht fehlen. Die Geschenke sind vier

Wochen unter dem Baum, ohne dass auch nur eines der Kinder sich daran «vergreift». Typisch amerikanisch – typisch Joe. Und wir freuen uns daran. Beruf, Arbeitsplatz und Wohnort werden irgendwann einmal zum Thema. Die meisten Trauerexperten raten jedoch, im ersten Jahr keine grossen Entscheidungen zu fällen, doch manchmal zwingen einen finanzielle oder andere wichtige Gründe dazu. Es darf auch die Frage nach einem neuen Partner oder einer neuen Partnerin gestellt werden. Ehrlicherweise muss man dazu sagen, dass Männer in der Regel früher wieder heiraten als Frauen. Es fällt ihnen ganz einfach schwer, «amputiert» zu leben. Und praktische Dinge wie Haushalt und eventuell Kindererziehung sind für einen Mann schwieriger zu bewältigen als umgekehrt: Eine Frau ist der Doppelbelastung Haushalt/Familie und Beruf im Allgemeinen etwas besser gewachsen. Gerade bei der Partnerfrage ist es wichtig, nichts zu überstürzen. Die neue Beziehung soll nicht Ersatz sein für die verlo­ rene. Oft wird durch eine zu schnelle neue Bindung der natürliche Trauerprozess verdrängt – und die Rechnung dafür kommt später. Eine zweite Ehe ist meist komplizierter als die erste. Finanzen, Kinder, Patchworkfamilie, Wohnort, Schulen, Arbeitsplatz müssen aufeinander abgestimmt werden.

We ite r f ü hre nd e L i te ra t u r Smalley, Francine: Freude trotz allem – Wie überlebt man den Verlust eines lieben Menschen? Lahr: Johannis Verlag 2003, ISBN 978-3-501-07123-6. Koch, Wolfgang: Ich habe Freude – Krankheit und Sterben von Joe Smalley. Holzgerlingen: Hänssler 2000, ISBN 978-3-7751-3607-5. Canacakis, Jorgos: Ich begleite dich durch deine Trauer. Stuttgart und Zürich: Verlag Kreuz 2007, ISBN 978-3-7831-2668-6. Finger, Gertraud: Mit Kindern trauern. Stuttgart und Zürich: Verlag Kreuz 2001, ISBN 3-783-120330. 20

Es ist gut, die neue Situation gründlich zu evaluieren, gerade weil so vieles sich verändert hat. Allein sieht man vielleicht «vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr» – Freunde und gute Berater sind auch in dieser Phase wichtig. Ich habe zum Beispiel nach langem Überlegen und Beten beschlossen, als Schweizerin in Deutschland zu bleiben! Wir, die Kinder und ich, fühlen uns in Müllheim daheim – und das ist richtig für die jetzige Zeit. Es gibt Leben, auch nach einem Todesfall. Wichtig ist, dass wir Gott vertrauen. Ein Lied, das Joe während seiner Krankheitszeit immer wieder hören wollte und das mir an seinem Todestag nicht mehr aus dem Kopf ging, fasst dies treffend zusammen: «Unser Gott ist ein mächtiger Gott! Er regiert vom Himmel herab mit Weisheit, Liebe und Kraft, unser Gott ist ein mächtiger Gott.» Zu diesem Gott dürfen wir gehen mit unserem Schmerz, mit unserer Trauer, mit all unseren Fragen. Er wird uns auf seine Arme nehmen und durchtragen. Und das ist mein grosses Anliegen: Es geht nicht nur um Tod und Trauer, sondern auch um Hoffnung und Trost. Jesus selbst sagt: «Ich bin gekommen zu heilen, die zerbrochenen Herzens sind, und zu trösten alle Trauernden.»

Auf Englisch, über www.amazon.com Zonnebelt, Susan, de Vries, Robert: Getting To The Other Side Of Grief: Overcoming The Loss Of A Spouse. O‘Connor, Joey: Heaven‘s Not A Crying Place – Teaching Your Child About Funerals, Death, And The Life Beyond. Verdell, Davis: Let Me Grieve, But Not Forever. A Journey Out Of The Darkness Of Loss. ISBN 978-0-8499-1425-6 cz 4|08


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Jesus sagt: «Ich bin gekommen zu heilen, die zerbrochenen Herzens sind, und zu trösten alle Trauernden.»

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Trauerarbeit mit Kindern Sehr oft sind bei einem Todesfall auf irgendeine Weise Kinder mitbetroffen. Deshalb ist es besonders wichtig, mit ihnen dieses Thema nicht zu tabuisieren oder zu verdrängen.

«Klare Informationen geben den Kindern Gewissheit, auch wenn dieses Wissen schwer zu ertragen ist.» Dieser Satz stand in dem Artikel «Weinen ist nicht feige», der in der «Badischen Zeitung» über die Trauer mit Kindern erschienen ist. Er entspricht genau meiner Erfahrung. Deshalb sollten bildhafte Aussagen vermieden werden, wie zum Beispiel: – Grossvater ist eingeschlafen, oder Grossmutter ist auf eine lange Reise gegangen. – Deine kleine Schwester ist weggegangen, sie ist jetzt ein kleiner Engel. – Dein Vater ruht in Frieden.

• Auch Kinder trauern: Remy Smalley mit seinem Vater.

fs. Richtig mit Kindern trauern ist eine gewaltige Herausforderung für Eltern, Verwandte, Freunde und Lehrer. «Wer Kinder in ihrer Trauer unterstützen möchte, muss selbst trauern können», schreibt Gertraud Finger in «Mit Kindern trauern». 22

Klare Informationen statt Verschleierungen Wir Erwachsenen sind oft selbst so hilflos, reden deshalb um den heissen Brei herum und sagen Dinge, die für das Kind alles nur viel schlimmer machen, weil sie den Sachverhalt des Todes verschleiern.

Besser ist es, dem Tod – und womöglich der Todesursache – einen klaren Namen zu geben: – «Schlimme Krankheit» ist unklar, hingegen sind «Brustkrebs» oder «Hirntumor» deutlich. – Ein «Unfall» ist generell; ein «Autounfall, verursacht durch einen betrunkenen Fahrer», ist klar. – Wenn ein kleiner Junge sagt: «Mein Papa ging heim zum himmlischen Vater», mag das theologisch korrekt sein, doch soll er dies seinen Freunden auf dem Fussballplatz so erzählen? «Mein Vater hatte einen Herzinfarkt» ist viel eindeutiger, verständlicher und einfacher nachzuvollziehen, auch für Kinder. Generell gilt es zu beachten, dass Kinder angesichts des Todes Gefühle und Re­­aktionen haben, die denen der Erwachsenen ähnlich sind, mit denen sie aber alleine nicht umgehen können, so zum Beispiel Wut, Schuldgefühle, Traurigkeit, Angst, Verwirrung, Schlaflosigkeit. cz 4|08


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Deshalb ist es äusserst wichtig, ihnen Nähe und Trost zu schenken und sich Zeit zu nehmen, ihnen gut zuzuhören. Kinder brauchen einen geschützten Rahmen, in dem sie sich äussern können. Um eine offene Atmosphäre zu schaffen, müssen wir Erwachsenen den Kindern signalisieren, dass wir jederzeit zum Gespräch über den Verlust bereit sind. Wenn Kinder denken, sie müssten «Rücksicht nehmen», um niemanden zu verletzen, werden sie sich garantiert nicht öffnen. Oft ergeben sich bei diesen persönlichen, ehrlichen Gesprächen gute Möglichkeiten, über das Leben bei Gott zu sprechen und mit Kindern zu beten. Da dürfen sie ihre Gefühle formulieren und Trost finden – und gemeinsames Weinen ist auch keine Schande! Tränen sind gut und absolut kein Zeichen der Schwachheit.

Kinder trauern unterschiedlich Kinder sind genauso verschieden wie wir Erwachsenen auch, und entsprechend unterschiedlich sind ihre Reaktionen. Sie brauchen deshalb individuelle Zuwendung, um mit ihrem Verlust, mit ihrem Schmerz und ihrer Trauer fertig zu werden. Ich sah das sehr deutlich bei meinen drei Kindern. Remy, mein Ältester, damals neun, heute achtzehn Jahre alt, redet so gut wie nie über seinen Vater und/oder dessen Tod. Ich musste ihn früher liebevoll und gezielt aus der Reserve locken und zum Reden bringen, zum Teil auch mit Hilfe alter Fotos. Michèle ist das Gegenteil von Remy: Sie redet über ihre Gefühle, wann und wo auch immer. Sie konnte weinen und ihren Schmerz verbalisieren, oft sagte sie auch «Ich vermisse meinen Daddy!» und mach­ te Rollenspiele, zum Teil mit Barbie und Ken, wobei Ken gestorben war. Sie spielte allein oder mit Freundinnen, die sehr natürlich mitmachten und so auf eine gesunde Weise mit der Realität des Todes bekannt gemacht wurden. Meist wurde cz 4|08

das Thema auch wirklich gut von den entsprechenden Eltern aufgegriffen und als Chance gesehen. Sie brauchte viel Nähe und Umarmungen und ein offenes Ohr, dann konnte sie schnell wieder fröhlich ihres Weges hüpfen. Heute, mit vierzehn, ist sie ein stabiler Teenager, sucht immer noch den engen Kontakt mit mir und hat eine unerhörte Fähigkeit, Liebe auszudrücken, sei es verbal, via E-Mail oder SMS. Steven war siebzehn Monate alt, als Joe starb. Mir war und ist es im Gespräch mit ihm wichtig, dass er weiss, dass er einen Daddy hat. Der lebt nicht mehr, aber der war dabei, als er auf die Welt kam, und hat ihm sogar das erste Bad gegeben! Zu seinem dritten Geburtstag wollte er ein Buch von mir – mit Bildern von ihm und seinem Daddy! Und vor einigen Jahren, kurz nach dem Todestag, sagte er mir abends vor dem Zubettgehen, er wolle jetzt zum Friedhof gehen und Blumen aufs Grab legen. Völlig von sich aus. Nun, im Pyjama konnten wir nicht hin, aber am nächsten Tag holte ich Blumen und ging mit ihm zum Grab. Stolz trug er den Topf, stellte ihn aufs Grab, schaute sich alles genau an – und rannte davon zum Spielen. Aktive Trauerarbeit! Dass für ihn früher oder später nochmals eine Verarbeitungszeit kommen könnte, ist mir klar. Seine Situation ist ganz anders als die von Remy und Michèle, da er keine aktiven Erinnerungen an seinen Vater hat.

Wie sich Kinder den Tod vorstellen Persönlichkeit und Alter spielen bei Kindern in ihrem Verständnis und Umgangmit Tod und Trauer eine sehr grosse Rolle. Für Vorschulkinder ist Todsein gleichbedeutend mit Fortsein. Wer fort ist, kann wiederkommen. Zwischen fünf und neun Jahren beginnen Kinder zu verstehen, dass der Tod etwas Endgültiges ist, aber es ist noch unpersönlich. Sie können diese Erkenntnis noch nicht mit ihrem Leben in Verbindung bringen. Das ändert sich in der Vorpubertät zwischen zehn und zwölf: Da erst verstehen sie den Tod als eine endgültige, irreversible Realität, die auch sie treffen kann. Teenager selber sind neugierig und können oft abstrakte Fragen über Tod und Ewigkeit stellen. Wenn Trauer verdrängt wird, kommt sie völlig verzerrt und unnachvollziehbar nach Jahren wieder zum Vorschein. Der Umgang damit wird fast zur Unmöglichkeit, weil gewisse Reaktionen nicht einzuordnen sind. Ich selber habe mir vorgenommen, jedes Jahr um den Todestag von Joe das Ganze zu thematisieren, und ich sehe, wie die Reaktionen der Kinder sich mit zunehmendem Alter geändert haben.

Gemeinsames Weinen ist keine Schande

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Was unsere Art zu trauern beeinflusst Folgende Faktoren und Facetten des Lebens spielen in unserer Auseinandersetzung mit dem Tod eine Rolle: Unsere Persönlichkeit

ist. Bei uns herrschen schwarze Kleidung und dezente Ruhe in einem Trauerhaus vor, im Nahen Osten sind es Klageweiber, die den Schmerz um den Verlust laut und öffentlich zur Schau tragen. In der westlichen, leistungsorientierten Welt fällt auf, wie wenig Platz der Trauer noch eingeräumt wird. Alles muss schnell gehen, und man will so bald wie möglich wieder «normal» weiterleben. Trauernde Menschen wirken beklemmend und störend, weil wir verlernt haben zu trauern. Trauer macht uns Angst, und trauernde Menschen sind deshalb oft sich selbst überlassen, isoliert und einsam.

Jeder Mensch erlebt das Leben anders und reagiert auf seine ihm typische Weise. Ein impulsiver Mensch reagiert spontan und sofort, der andere braucht mehr Zeit. Einer zeigt seine Gefühle schnell und offen, ein anderer schliesst Freude wie Leid in sich ein. Genauso unterschiedlich reagieren wir auf die Todesnachricht und gestalten die Zeit der Trauer inhaltlich wie zeitlich einzigartig.

Unser Geschlecht Männer trauern anders als Frauen. Im Allgemeinen haben Frauen ein stärkeres Mitteilungsbedürfnis als Männer und können ihre Gefühle leichter zulassen. Sie fühlen sich nach dem Verlust ihres Ehepartners verlassen und allein. Männer empfinden den Verlust eher als eine Art «Amputation», wie wenn sie einen Teil von sich selber verloren hätten. Männer haben das Bedürfnis, die Dinge unter Kontrolle zu haben, und das «typisch Männliche» steht ihnen oft im Weg, ihre Trauer gesund zu verarbeiten. Trauerwunden heilen daher bei Männern oft sehr langsam, auch wenn sie zum Beispiel sehr schnell wieder heiraten. Es ist besonders für den Mann wichtig, Wege der Verbalisierung zu finden, sei es beim Schreiben eines Tagebuchs, im Gespräch mit einem guten Freund oder durch den Besuch einer Trauer-Selbsthilfegruppe.

Unsere momentane persönliche Lebenssituation Trifft uns ein Todesschlag mitten in eine ohnehin schon stressige Lebensphase, sind unsere Reserven angeschlagen. Wir sind dadurch weniger widerstandsfähig, mit den zusätzlichen Herausforderungen umzugehen, und die «Berge» werden noch höher als sonst. Vielleicht wird durch den aktuellen Todesfall sogar eine nicht ausgeheilte «alte Trauer» wieder wach.

Wie jemand gestorben ist Joe und ich hatten sieben Monate Zeit, uns auf den definitiven Abschied vorzu­ bereiten. Wir konnten noch wichtige Ent­scheidungen zusammen treffen, das Thema Tod ansprechen, die Beerdigung gemeinsam vorbereiten. Die ersten Schritte der Trauer gingen wir «Hand in Hand». Steht jedoch plötzlich ein Polizeifahrzeug vor dem Haus, oder kommt ein Anruf vom Krankenhaus mit der Nachricht

Unsere Kultur Trauer ist universal. Überall auf der Welt gibt es bestimmte Rituale wie auch kulturelle Unterschiede während und nach dem Tod eines Menschen. Es gibt Länder, in denen Weiss die Farbe der Trauer

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über einen Verkehrsunfall oder einen Herzinfarkt, steht man zuerst versteinert da und kann die Nachricht weder fassen noch verstehen oder einordnen. Vor ei­ nem noch grösseren Abgrund stehen die Angehörigen, wenn es sich um einen Tod durch Suizid handelt. Dann kommen zu all den sonstigen emotionalen Sturzbächen meist noch tiefste Schuldgefühle hinzu. Diese sind weder gerechtfertigt noch hilfreich.

Unsere Beziehung zur verstorbenen Person Je näher uns der verlorene Mensch stand, desto tiefer werden der Schmerz und die Trauer sein. Im Falle des Ehepartners spielen viele Faktoren eine Rolle: Wie lange dauerte die Ehe? War sie harmonisch oder herrschte «Kalter Krieg»? Wie gingen die Partner auseinander? Was war das letzte Wort? Gab es ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit oder verzwickte Beziehungen, zum Beispiel aus einer ersten Ehe? Fehlte die Möglichkeit, Altes zu bereinigen, einander Schuld zu vergeben und einen gemeinsamen Neuanfang zu machen? Wenn Sie jemanden verloren haben, sei es Vater, Mutter, Ehepartner, und es gibt Unbereinigtes, gilt die Zusage, dass Gott über der Zeit steht und heilen kann, auch wenn Vergangenes menschlich gesehen nicht rückgängig gemacht werden kann. Im Gespräch und mit vollmächtiger Seelsorge kann Altes aufgearbeitet und bereinigt werden, sodass auch alte Wunden heilen können. Wagen Sie den Schritt zum Gespräch! Und wenn Ihnen jetzt ein Name oder ein Gesicht vor Augen kommt – gehen Sie dem nach.

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Vo r b e reitunge n zum A b s ch ie d n e h me n Sterben und Tod zu thematisieren, braucht Überwindung und viel Mut. Man kann nicht darauf vertrauen, dass das Umfeld «die Sache dann schon regelt». Es hilft der Familie, Freunden, Pflegepersonal und Ärzten enorm, wenn die Wünsche eines Menschen für die letzte Phase seines Lebens bekannt sind. Solche Klarheit in einer verwirrenden und belastenden Situation zu haben, vereinfacht letztlich das Abschiednehmen und das Weiterleben. Die nachfolgende Liste ist eine Art «Sprungbrett» in die praktische Vorbe­ reitung, sie enthält keinen Anspruch auf Vollständigkeit: • Wer sind Ihre Bezugspersonen bzw. vertrauensvollen Ansprechpartner (Ehepartner/-in, Eltern, Geschwister, Kinder, enge Freunde)? • Wurde ein rechtsgültiges Testament gemacht? Wissen Sie um die recht-

• • •

lichen Gegebenheiten der Erbfolge? Ist die Vormundschaft für minderjährige Kinder geregelt, falls beiden Elternteilen etwas zustossen sollte? Hat das überlebende Elternteil das Alleinsorgerecht? Bei Nichtbeachtung wird für die minderjährigen Kinder ein Amtsvormund eingesetzt. Wie ist die Rechtslage im Ausland, wenn jemand einen ausländischen Pass oder Besitz in einem anderen Land hat? Haben Sie eine Patientenverfügung? Wo und wie möchten Sie bestattet werden? Wer soll die Abdankungsfeier gestalten? Wer sind weitere Mitwirkende? Haben Sie einen Lieblingsbibeltext, Gestaltungswünsche für die Todesanzeige, besondere Musik- oder Liederwünsche? Stellen Sie eine Adressliste für die Todesanzeige zusammen, gegebenen-

falls auf Klebeetiketten und zweimal kopiert (auch für die Danksagung). Diese Adressliste kann jederzeit ergänzt und verändert werden. • Bankinformationen, Versicherungspolicen, Passwörter auf Bankkonten, Karten-PINs, Internetzugänge, Online-Angelegenheiten usw. sollten an einem sicheren Ort hinterlegt werden. Weitere Unterlagen und Informationen bekommen Sie hier: • Örtliches Zivilstandesamt • Pro Senectute: www.pro-senectute.ch • Dialog Ethik Zürich (Patientenverfügung): www.dialog-ethik.ch, Telefon: 044 252 42 01 • ETG Verlag, Brunnenwiesenstrasse 20, 8610 Uster, Telefon: 044 994 40 86. Dokumentation zu Sterben, Testament und Patientenverfügung zum Selbstkostenpreis von 20 Franken.

• Abschiednehmen, Loslassen, Trauern – wer sich Zeit nimmt und Zeit lässt dafür, wird am Ende wieder Licht sehen. cz 4|08

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Palliativpflege Menschen bis zuletzt ein würdiges Leben ermöglichen Anna Martha Kreis arbeitete viele Jahre auf der Medizin und der Onkologie. Ihren Beruf hat sie dann zur Berufung erweitert – im Pflegen von unheilbar kranken Menschen und im Begleiten von deren Angehörigen.

Renate Blum Landquart. Tiefblau strahlt der Himmel über den Bergen. In einem heimeligen Haus, umgeben von einem Garten in voller Blumenpracht, empfängt mich Anna Martha Kreis. Eine Sonnenblume hier, eine dort. Mit viel Sinn für das Schöne gestaltet sie ihr Zuhause und schöpft hier neue Kraft für die anspruchsvolle Arbeit im Spital Chur.

Der Tod gehört zum Leben Schon früh sei der Tod für sie eine Selbstverständlichkeit gewesen, die irgendwie zum Leben gehöre, erzählt Anna Martha Kreis. «Auf dem Bauernhof, auf dem ich aufwuchs, erlebte ich schon als Kind, wie wir von meinen Grosseltern Abschied nahmen und sie zu Hause im Familienkreis starben.» Auch während ihrer Ausbildung zur Pflegefachfrau sei sie immer wieder mit Todesfällen auf der Station konfrontiert worden. Heute beschäftige es sie manchmal schon, dass das Thema Tod in der Welt von Computerspielen und Filmen allgegenwärtig sei, andererseits unsere Gesellschaft aber lieber nichts mit dem Tod und dem Sterben zu tun haben wolle. 26

Sie wünscht sich einen offeneren und natürlicheren Umgang mit der Realität des Todes.

Das Ganze sehen Anna Martha Kreis besuchte Weiterbildungen zum Thema Sterbebegleitung, Schmerz, Ethik, Massagen und anderes. Ab Januar 2009 wird sie in Chur die Station für Palliative Medizin aufbauen und leiten. Zuerst werden sechs, später zwölf Plätze zur Verfügung stehen. Von den Möglichkeiten der Palliativpflege (engl. Palliative Care) ist sie begeistert. Der ganzheitliche Ansatz entspricht ihr, weil die physischen, psychischen, sozia­ len und spirituellen Bedürfnisse der Patienten, der Angehörigen und des Behandlungsteams beachtet werden. Auch der Grundsatz, dass der Mensch im Vordergrund steht und das mit viel technischem Aufwand verbundene, medizinisch Machbare im Hintergrund bleibt, überzeugt sie. «Denn jeder Mensch hat eine grundlegende Würde von Beginn seines Lebens bis zum Schluss, weil Gott ihn gewollt hat.» Mit viel Hingabe und Kreativität bemüht sich Anna Martha Kreis, leidenden Menschen Gutes zu tun, damit diese ihr Leben in Würde vollenden können.

Lebensqualität und Hoffnung «Ein Mensch ist nicht einfach unheilbar krank! Es gibt immer auch gesunde Aspekte, die es zu beachten gilt», sagt Anna Martha Kreis. «Ich frage jeweils danach: Was geht noch gut? Was ist noch möglich? Was könnte auch noch sein?» Oft lasse sich mit guter Fachkenntnis und Einfühlungsvermögen mehr zum Wohl eines Patienten ausrichten, als man annehme. Zentral dabei sei die Schmerzlinderung. Es geht darum, die geeigneten Schmerzmittel in der entsprechenden Dosierung anzuwenden. Dabei spielt Morphin eine wichtige Rolle. In der Medizin gilt es als eines der stärksten natürlichen Schmerzmittel. Erstaunliche Erfahrungen macht Anna Martha Kreis mit schmerzlindernden Massageölen. Die Zeit, die sie mit den einzelnen Patienten verbringen kann, ist zwar sehr beschränkt, umso mehr versucht sie aber, ganz präsent zu sein. Für ein paar Momente lässt sie sich auf eine Person ein und fragt sie, was sie möchte. Manchmal massiert sie mit ätherischen Ölen deren Füsse, den Rücken oder die Hände und ist offen, auf heikle Fragen einzugehen. Dabei will sie wahrhaftig und vertrauenswürdig sein und auf die cz 4|08


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Symbolsprache achten. Still betet sie und segnet den Menschen, der vor ihr ist. Manchmal ist es auch möglich, ein persönliches Gespräch zu einem späte­ ren Zeitpunkt zu vereinbaren. Wichtig sei für sie auch, die Angehörigen der Patienten früh in den Prozess der Krankheitsbewältigung einzubeziehen, sie darin zu unterstützen und beim Abschiednehmen zu begleiten.

Hilfreiche Rituale «In der Palliativpflege ist man täglich mit grossen Nöten konfrontiert», erzählt Anna Martha Kreis. Dass sie dort Licht und Erleichterung bringen könne, ermutige sie, sich mit Leib und Seele in ihrem Beruf einzusetzen, der inzwischen zur Berufung geworden sei. Eigentlich wünscht sie sich nichts mehr, als dass alle kranken Menschen geheilt würden. Doch sie sei herausgefordert, mit unerhörten Gebeten umzugehen und die Spannung auszuhalten: «Eine Krankenheilung ist für mich ein grosses Geheimnis, und viele Fragen bleiben offen», sagt sie. «Ich möchte ehrlich damit umgehen, aber auch erwartungsvoll bleiben.» Um persönlich nicht auszubrennen, hat sie ein paar Gewohnheiten entwickelt, die ihr abzuschalten und loszulassen helfen. So spült sie sich zum Beispiel während der Dusche nach der Arbeit gedanklich auch die schwierigen Situationen und Momente des Tages weg.

Gerne bewegt sie sich draussen und geniesst bewusst mit allen Sinnen die Schönheit der Natur. Dass sie mit Gott eine vertrauensvolle und warme Beziehung erleben könne, helfe ihr ausserordentlich. «Das tiefe Wissen, dass Gott alles in seiner Hand hält, begleitet mich», sagt sie. Dankbar ist sie auch für die guten Kontakte im Hauskreis. Mit den Mitarbeitenden im Spital führt sie nach besonders belastenden Ereignissen Abschiedsrituale durch. «Es sind kurze Momente von zehn Minuten, in denen wir uns sammeln. Auf einem blauen Tuch habe ich eine Glasschale mit Wasser und Efeu vorbereitet, daneben Steine und Blütenblätter. Ich lade die Anwesenden ein, einen Stein in die Schale zu legen und damit etwas Belastendes loszulassen. Der Stein sinkt auf den Grund der Schale und ist dort aufgehoben. In einem weiteren Durchgang legen wir ein Blütenblatt aufs Wasser und denken an eine schöne Begebenheit, die wir behalten möchten. Solche Rituale helfen uns, unsere Betroffenheit auszudrücken, aber auch wieder frei zu werden für die Menschen, die auf uns warten.»

PA LLI AT I VP FL E G E Unter Palliativpflege versteht man die ganzheitliche, lindernde Behandlung und Begleitung von Menschen mit unheilbaren Krankheiten und/oder begrenzter Lebenserwartung. Allgemein üblich wird im deutschsprachigen Raum auch die englische Bezeichnung «Palliative Care» verwendet. Er setzt sich zusammen aus: palliare (lat.) = umhüllen pallium (lat.) = Mantel care (engl.) = Sorge, Achtsamkeit, Pflege (Quelle: www.swisscancer.ch)

ANNA MARTHA KREIS

Anna Martha Kreis strahlt für mich Wärme und Hoffnung aus. Feinfühlig und behutsam ist sie darum besorgt, nicht dem Leben mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben zu geben.

• Anna Martha Kreis ist diplomierte Pflegefachfrau mit Zusatzausbildungen in Palliativpflege und Mutter von drei erwachsenen Kindern.

• Rituale helfen, belastende Schicksale zu verarbeiten.

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Tabuthema Suizid Wie man darüber reden kann Am 10. September fand der internationale Suizid-Präventionstag unter dem Motto «Global denken, national planen, lokal handeln» statt. Zum Gedenken an die 1400 Menschen, die in der Schweiz jährlich durch Suizid sterben, wurden ebenso viele Stühle auf dem Bürkliplatz in Zürich aufgestellt. Bei 1000 dieser Menschen hätte der Suizid womöglich verhindert werden können.

Johanna Vollenweider Verena Wegmann hat vor zwei Jahren ihren Partner durch Suizid verloren. Völlig unerwartet ist er aus diesem Leben geschieden. Ein Schock für Verena und ihre beiden Kinder. Sie realisiert, dass sie Hilfe benötigt, und sucht das Gespräch mit einem Pfarrer. «Das Gespräch gab mir Halt, trotzdem fühlte ich mich mausbeinalleine», erinnert sie sich. Wenig später findet sie den Kontakt mit dem «Refugium Verein für Hinterbliebene nach Suizid» in Zürich.

Umgang mit Fragen und Gefühlen Hier trifft sie sich während eines Jahres alle vierzehn Tage mit sechs bis zehn anderen Betroffenen. Im vertraulichen Rahmen leiten Fachpersonen und/oder Hinterbliebene, die sich in diese Aufgabe eingearbeitet haben, die Teilnehmenden in der Trauerverarbeitung an. «Hinterbliebene sind Profis», sagt Jörg Weisshaupt, Verantwortlicher der Fachstelle KIRCHE + JUGEND des Verbandes der Stadtzürcherischen evangelisch-reformierten Kirchgemeinden. Als Leiter der ersten Refugiumgruppe in Zürich weiss 28

er: «Hinterbliebene haben mehr zu sagen als ein Psychologe, denn man kann es erst nachvollziehen, wenn man es selber erlebt hat.» Im ersten halben Jahr bekommt jeder Teilnehmende der Gruppe einen Abend, an dem er seine Geschichte erzählen kann. Im Anschluss redet man gemeinsam über aktuelle Fragen. Für die zweite Jahreshälfte können die Teilnehmenden individuelle Themen aus einer Liste auswählen, über die sie sprechen möchten. Es stehen viele Fragen im Raum. «Warum ist das geschehen?» «Hätte ich den Suizid verhindern können?» «Bin ich mitschuldig?» Viele Hinterbliebene verspüren nach einer ge­ wissen Zeit auch Wut gegenüber dem Menschen, der sie einfach so im Stich gelassen hat. Für solche Gefühle wiederum schämen sie sich. Auch Verena Wegmann schlug sich mit diesen Gefühlen und Fragen herum. Sie erzählt, dass ihr erst im Nachhinein einige Verhaltensweisen und Aussagen ihres Partners aufgefallen seien, «vor dem Suizid wusste ich jedoch schlichtweg nicht, dass dies Symptome einer Suizidgefährdung waren», erklärt sie.

Suizidprävention – einfach und nötig In unserer Gesellschaft ist Suizid ein Tabuthema. Weitverbreitet ist die Angst, man würde eine Person geradezu Richtung Suizid drängen, wenn man sie darauf anspricht, ob sie Suizidgedanken hege. Laut Christian Kistler Thoma, dem ehemaligen Leiter des Kriseninterventionszentrums in Zürich, ist aber genau das Gegenteil der Fall. Er empfiehlt, bei einem Verdacht proaktiv nachzufragen: «Hast du Suizidgedanken?» Wenn die gefragte Person dies bejaht, solle man nachhaken: «Hast du dir bereits überlegt, wie du es machen möchtest? Welche Kleider soll man dir im Sarg anziehen?» Das Wichtigste sei, herauszufinden, an welchem Punkt die Person stehe, erklärt Christian Kistler Thoma, auch wenn einen die Fragen kurios anmuteten. Menschen mit Suizidgedanken würden häufig durch Schuld- und Schamgefühle belastet. Wenn die Wahrheit erst mal ausgesprochen sei, dann fühlten sich diese Personen deutlich entlastet und erkannten auch, welch längerfristiges Leid ein Suizid für Hinterbliebene bedeuten würde. cz 4|08


trauern und trösten | tabuthema suizid

«Im Grunde wollen die wenigsten Menschen, die einen Suizidversuch machen, sterben», so Jörg Weisshaupt, «sie können nur nicht mehr so weiterleben.» Diese Aussage bestätigt auch Dr. Vladeta Ajdacic-Gross anhand einer Studie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Daraus geht hervor, dass bei geeigneter Prävention nur noch einer anstatt vier Menschen durch Suizid sterben müssten. Doch wie geht man dies am besten an? Wie merkt man, wenn eine Person im eigenen Umfeld gefährdet ist, und wie reagiert man darauf? Etwas, das jeder tun kann, ist nachfragen. Dafür hat das Forum für Suizidprävention und Suizidforschung Zürich einen Leitfaden herausgegeben (siehe Kasten).

Keine Schuldzuweisungen Ein Suizid hat auch frappante Auswirkungen auf die fünf bis zehn Hinterbliebenen. Bei ihnen steige die Suizidgefähr­dung während der ersten Tage und Wochen um das Dreissigfache. Ganz bestimmt fehl am Platz sind Anklagen oder Fragen wie: «Hast du denn nichts gemerkt?» «Was mich nach dem Suizid meines Partners am meisten verletzte, waren die Gerüchte und Schuldzuweisungen, die hinter meinem Rücken gemacht wurden», erzählt Verena Wegmann. Oft fühle man sich sehr hilflos in Begegnungen mit Hinterbliebenen. Für Verena Wegmann war und ist jedoch selbst die simple Frage «Wie geht es dir?» angebracht. Ein Bekannter habe sie erst nach einiger Zeit angerufen. Er habe ihr gestanden, er sei völlig hilflos gewesen und habe nicht gewusst, was er ihr sagen sollte, er müsse aber jetzt einfach wissen, was genau passiert sei. Verena Wegmann sagt, damit sei er ihr nicht zu nahe getreten, «im Gegenteil», meint sie, «ich bin dankbar für alle, die mich direkt angesprochen haben.» cz 4|08

Bis heute denkt sie jeden Tag an ihren verstorbenen Partner, doch der Schmerz ist nicht mehr so heftig wie am Anfang. Dennoch gibt es Momente, in denen es ihr nicht gut geht, denn obwohl der Schmerz nachlässt, ist Trauer nicht wie eine Zeit der Krankheit, die vorübergeht. Doch gerade in ihrem Trauerprozess hat sie auch Positives erlebt: «Seit dem Tod meines Partners habe ich mich verändert. Ich habe zum Glauben gefunden. Heute lebe ich viel bewusster», sagt sie abschliessend.

ab dreizehn Jahren, die einen Elternteil durch Suizid verloren haben. Alle zwei Monate treffen sie sich, um sich zu vernetzen und sich gegenseitig Tipps und Anregungen im Umgang mit den Erlebnissen im täglichen Leben zu geben. Nebelmeer hat einen Antiknigge verfasst für den Umgang mit Hinterbliebenen nach einem Suizid. Darin sind Beispiele, wie man sich nicht verhalten soll, welche die Jugendlichen aber tatsächlich in ähnlicher Art erlebt haben. Zu finden auf www.nebelmeer.net/trauer.html.

Vom Glauben her Hoffnung vermitteln

VERHINDERBAR?

Durch die Abdankungsfeier wird oft eine jahrelange Distanz zur Kirche überwunden. Die einfühlsame Betreuung des Notfallseelsorgers und die nachfolgende Begleitung des Pfarrers könnten, so Jörg Weisshaupt, dazu beitragen, dass brennende Fragen nach dem «Warum» oder der Schuld gemeinsam angegangen würden. «Wer, wenn nicht die Bibel, gibt uns Antworten auf diese existenziellen Fragen?», davon ist er überzeugt. Als Gruppenleiter im Refugium oder Nebelmeer versucht er darum, authentisch zu sein und seine Gottesbeziehung dort zu bezeugen, wo danach gefragt wird und wo es ihm hilfreich scheint. Zudem lässt er biblische Personen wie Hiob oder die Psalmisten zu Wort kommen, welche die Sehnsüchte der Hinterbliebenen sehr präzise ausdrücken.

• Drei von vier Suiziden in der Schweiz könnten laut der Studie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich womöglich verhindert werden.

JÖRG WEISSHAUPT

Nebelmeer Jörg Weisshaupt erzählt, wie er in seiner Aufgabe als Master der SMS-Seelsorge immer häufiger mit dem Thema Suizid konfrontiert worden sei. Für die Kinder von Suizidenten habe es bis dahin keine Selbsthilfeangebote gegeben. Die Betreuer hätten sich eher um den zurückbleibenden Elternteil gekümmert. «Deshalb habe ich im Frühjahr 2004 mit dem ‹Nebelmeer› angefangen», berichtet er. Das ist eine Gruppe für junge Menschen

• Jörg Weisshaupt: Das Ansprechen von Suizidgedanken hilft uns, Phantasien und Ängste zu klären – und dem betroffenen Menschen, sich aussprechen zu können. 29


B E G E G N U N G

SUIZIDGEFÄHRDETEN MENSCHEN BEGEGNEN Elf wichtige Hinweise 1 Den eigenen Gefühlen trauen: Vertrauen Sie Ihren eigenen Gefühlen, wenn Sie mit einem Menschen in Kontakt sind, der suizidgefährdet ist. Nehmen Sie Ihre Gefühle ernst, denn sie können Ihnen ein guter Ratgeber sein.

2 Nach Suizidgedanken fragen: Trauen Sie sich! Fragen Sie nach, ob der betroffene Mensch Gedanken hat, seinem Leben ein Ende zu setzen. Es stimmt nicht, dass Menschen durch diese Frage erst recht gefährdet sind. Das Ansprechen von Suizidgedanken hilft uns, Phantasien und Ängste zu klären – und dem betroffenen Menschen, sich aussprechen zu können.

3 Aussagen ernst nehmen: Nehmen Sie suizidale Aussagen ernst! Es stimmt nicht, dass Menschen, die mehrmals von Suizid sprechen, sich nichts antun.

4 Zuhören als wichtigste Hilfe: Erwarten Sie von sich selber keine Wunder! Interessiertes Zuhören ist fast immer die erste und wichtigste Hilfe. Sie ermöglichen so, dass der betroffene Mensch

stützung bei Verwandten oder Freunden suizidgefährdeter Menschen oder bei professionellen Helferinnen und Helfern.

7 Grundhaltung: engagierte Gelassenheit: Erlauben Sie sich nebst dem Engagement und der verständlichen Besorgnis auch Gelassenheit und Zeit. Drängen Sie sich nicht selber dazu, schnell reagieren zu müssen.

8 Stellung beziehen ohne zu (ent-) werten: Beziehen Sie Stellung! Verurteilen und bewerten Sie die Suizidgedanken oder Suizidabsichten nicht! Das könnte etwa so klingen: «Ich verstehe, dass du dich verzweifelt und hoffnungslos fühlst in dieser Situation. Ich sehe, was dich belastet. Ich möchte dir aber helfen, am Leben zu bleiben, damit eine Veränderung überhaupt möglich ist.»

9 Grenzen der eigenen Belastbarkeit: Achten Sie auf die Grenzen Ihrer Belastbarkeit! Kurzfristig ist ein hohes Engagement oft sinnvoll, langfristig jedoch besteht die Gefahr der Überforderung.

erste Entlastung findet.

10 Grenzen der Machbarkeit: Letzt-

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endlich liegt es nicht in Ihrer Hand, den Suizid eines Menschen zu verhindern.

Entlasten – nicht Probleme lösen: Lassen Sie sich nicht dazu verleiten, die Probleme des suizidgefährdeten Menschen lösen zu wollen! Sich aussprechen bringt den Betroffenen Entlastung.

6 Verantwortung teilen: Bürden Sie sich selber nicht zu viel Verantwortung auf! Teilen Sie die Verantwortung mit anderen Personen. Holen Sie sich Unter-

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11 Hilfe durch professionelle Helferinnen und Helfer: Suizidalität hat viele Ursachen. Motivieren Sie die suizidgefährdete Person, sich von Fachleuten helfen zu lassen. Nehmen Sie selber mit Fachleuten Kontakt auf, wenn Sie Fragen haben, sich unsicher fühlen oder dringend Hilfe nötig ist.

Anzeichen Die folgenden Merkmale können Anzeichen für einen geplanten Suizid sein: • Verbale oder schriftliche Hinweise auf Todessehnsucht • Äussern von Sterbensgedanken • Gleichgültigkeit gegenüber Leben und Tod Losgelöste Merkmale: • Selbstverstümmelung • Hoffnungslosigkeit, Abwendung von der Zukunft • Brüche im Verhalten (zum Beispiel in der Schule, am Arbeitsplatz) • Auffällige Zunahme von zwanghaftem Verhalten • Plötzliches Auftreten von Sprunghaftigkeit, Impulsivität • Unerwartetes und grundloses Verschenken von persönlichen Gegenständen • Rückzug von Freunden und sonstigen Aktivitäten • Abneigung, berührt zu werden • Gleichgültigkeit gegenüber äusserem Erscheinungsbild • Weglaufen • Risikoverhalten, Unfallgefährdung • Offensichtliche Zeichen psychischer Erkrankung (Halluzinationen, Wahnvorstellungen; Einschalten von Spezialisten unbedingt sinnvoll) Beachten Sie bitte, dass ein Merkmal allein noch keinen Hinweis auf einen Suizid darstellen muss. Gleichzeitig müssen aber auch nicht alle Merkmale gegeben sein, damit eine suizidale Absicht vorliegt!

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trauern und trösten | tabuthema suizid

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Links zum Thema

KOLUMNE Svon Wegen! T A

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Der Fast-Abschied Nebelmeer, die geführte Selbsthilfegruppe für Jugendliche und junge Erwachsene, die einen Elternteil durch Suizid verloren haben.

www.nebelmeer.ch lifewith, die Selbsthilfegruppe für junge Menschen, die um ein verstorbenes Geschwister trauern.

www.lifewith.ch Refugium, der Verein für Hinterbliebene nach Suizid.

www.verein-refugium.ch Regenbogen, der Verein für Eltern, die um ein verstorbenes Kind trauern.

www.verein-regenbogen.ch Ipsilon, das nationale Fach- und Koordinationszentrum für Suizidverhütung in der Schweiz.

www.ipsilon.ch Forum für Suizidprävention und Suizidforschung Zürich.

www.fssz.ch Schweizerischer Verband «Die dargebotene Hand».

www.143.ch Internet- und SMS-Seelsorge. SOS per SMS

076 333 00 35 www.seelsorge.net

Buch zum Thema Selbstmordgedanken – Mein Freund/ meine Freundin hat ein Problem (von Josh McDowell und Ed Stewart): «Hat das Leben für mich überhaupt noch einen Sinn?» Eine praktische Anleitung für Jugendliche, wie sie Freunde und Kolleginnen in schwierigen Lebensphasen ansprechen und ihnen beistehen können. Weitere Themen dieser Reihe: Ungewollt schwanger, Trennung der Eltern, Sexueller Missbrauch und andere.

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Das Telefon klingelt. Herr Boss meldet sich. «Ich bin am Ende», schnaubt er. «Habe im Casino mein ganzes Vermögen verloren. Mein Lebensmut ist fort.» «Ach», seufze ich irritiert. «Ja, jeder Tag wird schlimmer. Meine Suizidversuche sind gescheitert. Aber jetzt habe ich einen Selbstmord vorbereitet, der sicher zum Tod führt. Ich kann nicht mehr. Heute Abend ist meine Zeit zum Sterben.» Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Meine Stirn wird heiss. Was soll ich nur sagen? Sofort schiessen mir drei Gedanken durch den Kopf: Beziehung. Termin. Seelsorge. «Haben Sie eine Familie?», frage ich. «Ja, bin verheiratet und habe zwei Töchter.» «Denken Sie an Ihre Familie! Ihre Kinder brauchen Sie!» – Stille Sekunden.– Ich frage weiter: «Haben Sie einen Hausarzt?» «Ja.» «Gehen Sie jetzt als Erstes zu Ihrem Hausarzt und sagen Sie ihm, was Sie mir gesagt haben.» – Stille Sekunden. – «Versprechen Sie mir das?», frage ich nach. «Ja.» «Soll ich Sie gleich bei Ihrem Arzt anmelden?» «Nein, mach ich selber.» «Wann?» «Gleich nach dem Telefongespräch mit Ihnen.» «Gut!» – Stille Sekunden. – Ich fahre weiter: «Kennen Sie jemanden, bei dem Sie sich ausführlich seelsorgerlich aussprechen könnten?» In einem etwas längeren Gespräch loten wir die Möglichkeiten aus und einigen uns, dass er noch heute einen Termin vereinbart, mit dem (unserer Meinung nach) optimalen Seelsorger. Herr Boss sagt nicht mehr viel. «Sind Sie noch hier?», frage ich. «Ja!» «Ich bete jeden Tag dreimal für Sie. Ich bin überzeugt, dass Gott Sie aus diesem tiefen Punkt herausführen wird und etwas wunderbar Gutes mit Ihnen vorhat – hier auf dieser Welt! Bei unserem nächsten Telefongespräch werde ich mit Ihnen anschauen, wie Sie sich für Gottes Eingreifen und einen neuen, freudigen Lebensabschnitt öffnen können.» «Hm ...» «Können Sie mich morgen um diese Zeit nochmals anrufen?» «Ja.» «Tun Sie das! – Versprechen Sie es mir?» «Ja.» Eine Woche später: Herr Boss ruft wieder einmal an. Aber diesmal mit einer freudigeren Stimme. In seinem Inneren hat sich Hoffnung ausgebreitet. Wir schauen an, wie ... Ein wertvoller Familien- und Berufsmann ist uns neu geschenkt worden. Wie bin ich Gott dankbar! 31

Pfarrer Fredy Staub erzählt in seiner Kolumne «von Wegen!» wahre Geschichten aus seinem Erleben mit Menschen. Die Namen sind von der Redaktion geändert.


K L A G E N Klagen und begraben Umgang mit Trauer und Verlust in der Bibel Wenn man sich die über 140 Stellen in der Bibel ansieht, in denen der Tod einzelner Menschen unter Nennung ihres Namens berichtet wird, finden wir auffällig häufig zwei Vorgänge: Es wurde geklagt. Und es wurde begraben.

Jens Kaldewey Klagen und begraben – das sind die Marksteine der in der Bibel überlieferten Trauerprozesse.

Es wurde geklagt Einige Beispiele: «Und Sara starb zu Kirjat-Arba, das ist Hebron, im Land Kanaan. Und Abraham ging hin, um über Sara zu klagen und sie zu beweinen» (1. Mose 23,2). «Und sie kamen nach Goren-Atad, das jenseits des Jordan liegt. Dort hielten sie eine sehr grosse und schwere Totenklage; und er veranstaltete für seinen Vater eine Trauerfeier von sieben Tagen» (1. Mose 50,10). «Und als die ganze Gemeinde sah, dass Aaron verschieden war, beweinte das ganze Haus Israel den Aaron dreissig Tage lang» (4. Mose 20,29). «Und die Söhne Israels beweinten Mose in den Ebenen Moabs dreissig Tage lang; dann waren die Tage des Weinens der Trauer um Mose zu Ende» (5. Mose 34,8). «Und sie klagten und weinten und fasteten bis zum Abend um Saul und um seinen Sohn Jonatan und um das Volk des HERRN und um das Haus Israel, weil sie 32

durchs Schwert gefallen waren» (2. Samuel 1,12). «Gottesfürchtige Männer aber bestatteten den Stephanus und stellten eine grosse Klage über ihn an» (Apostelgeschichte 8,2). Dieses Klagen war laut, lange und leidenschaftlich. Von Männern wie von Frauen geübt. Die Trauer blieb nicht im Herzen. Sie konnte und durfte sich im wahrsten Sinn des Wortes ausdrücken. Das Klagen hatte einen festen und wichtigen Platz in der Kultur. So wurden sogar «Klageweiber» als Hilfe beansprucht, die eine Atmosphäre des Klagens und des Jammerns schaffen sollten. Es wurde nach Herzenslust geschrien, geheult, gestöhnt, vor Zorn und Trauer und Verzweiflung – und zwar oft tagelang.

Es wurde begraben «Und danach begrub Abraham seine Frau Sara in der Höhle des Feldes» (1. Mose 23,19). «Und seine Söhne Isaak und Ismael begruben ihn in der Höhle Machpela» (1. Mose 25,9). «Rahel starb und wurde begraben am Weg nach Efrata»(1. Mose 35,6; 48,7). «Und Mose, der Knecht des HERRN, starb

dort im Land Moab nach dem Wort des HERRN. Und er begrub ihn im Tal» (5. Mose 34,6). «Gottesfürchtige Männer aber bestatteten den Stephanus und stellten eine grosse Klage über ihn an» (Apostelgeschichte 8,2). Eine kleine Auswahl vieler Stellen. Interessant ist der Bericht über Rahels Begräbnis: Es wird vom Erzähler zweimal erwähnt, einmal im normalen Fluss der Erzählung, später nochmals im Rückblick von Jakob über sein Leben. Ausdrücklich erzählt er nicht nur ihren Tod, sondern auch ihr Begräbnis und dessen Ort. Warum genügte es nicht, den Tod als solchen zu konstatieren? Damit wäre doch das Wesentliche gesagt. Warum immer noch die regelmässige und doch eigentlich unnötige Feststellung eines Begräbnisses?

Trauer vollenden Ich versuche, zwischen den Zeilen zu lesen, und schlage folgende Antworten vor: Vermutlich war es eine uralte Ordnung, verordnet von Anfang an. Eine Ordnung, die Gottes Gericht am gefallenen Menschen sichtbar macht: «Im Schweisse deines Angesichts wirst du dein Brot essen, cz 4|08


trauern und trösten | klagen und begraben

bis du zurückkehrst zum Erdboden, denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren» (1. Mose 3,19). Das Begräbnis wurde offensichtlich als wichtig, hilfreich und angemessen empfunden. Es förderte den Trauerprozess. Es erleichterte das Abschiednehmen. Es demonstrierte die Endgültigkeit des Todes auf dieser Welt. Der Tod war erst durch das Begräbnis «vollendet», war als solcher öffentlich manifestiert. Begräbnis als unmissverständliches Zeichen, als klarer Schlussstrich, als Schliessen der Tür hinter jemandem, der für immer von uns gegangen ist. Schmerzhaft, schlimm, aber heilsam. Klagen und begraben gehören zu einer «gesunden» Trauer. Klagen heisst: Den brutalen Verlustschmerz nicht verstecken, verdrängen, «versorgen», sondern «entsorgen» – indem man ihn mutig äussert, nach aussen abführt, lange und gründlich genug! Dann aber auch begraben: Ein Ritual veranstalten, das sowohl Wirklichkeit als auch Endgültigkeit des Verlustes drastisch vor Augen führt – und so das Abschiednehmen ermöglicht, das Sichlösen, das Neuanfangen.

Übertragen auf das Leben Diese anhand eines realen leiblichen Todesfalls gewonnenen Erkenntnisse können nun übertragen werden auf andere Verlustsituationen, natürlich mit entsprechender Anpassung: Wie gebe ich meinem Schmerz in einer Verlustsituation «guten» Ausdruck? Wie kann ich «begraben»? Welches begräbnisähnliche Ritual wäre angemessen? Ein bewusst formulierter Abschied vielleicht oder das Segnen und Senden des Partners, der mich verlassen hat? Oder das betende und weinende Verbrennen der Ausbildungsprospekte, die ich jahrelang gesammelt habe – weil ich nun erkenne, dass ich meine Hoffnung auf einen Berufswechsel nun endgültig begraben muss? Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich in der Bibel Trauer äussert, sich verleib­ licht, konkrete Gestalt gewinnt – im Klagen und im Begraben. Hieran müssen sich unsere Trauerprozesse messen. cz 4|08

K O L U M N E Fbeziehungsweise Ü R B R I N G E R

«Als letzter Feind wird der Tod weggetan», sagt Paulus im 1. Korinther 15,26. Ich freue mich auf diesen Tag. Aber bis es so weit ist, hat der Tod offensichtlich noch eine Funktion. Er verschlingt, was in dieser Form sowieso nicht taugt für die Ewigkeit. Paulus nimmt später im gleichen Kapitel das Bild von Jesus auf, als er vom Samenkorn spricht, das in die Erde fallen und sterben muss, damit es Frucht bringen kann: «Es wird gesät in Vergänglichkeit, es wird auferweckt in Unvergänglichkeit. Es wird gesät in Unehre, es wird auferweckt in Herrlichkeit; es wird gesät in Schwachheit, es wird auferweckt in Kraft; es wird gesät ein natürlicher Leib, es wird auferweckt ein geistlicher Leib» (42-44).

und damit zur Lebensspenderin wurde. Mit einem Mal war ich abgeschnitten von Dingen, die mir bis anhin lieb waren. Statt im beruflichen Umfeld mit Menschen in Kontakt zu stehen und meine Begabungen einzubringen, verbrachte ich meine Zeit isoliert zu Hause, fühlte mich müde, unproduktiv und in Kleinigkeiten gefangen. Als Person so reduziert zu werden, schmerzte meine Seele und spülte die wesentlichen Lebensfragen an die Oberfläche: Wer bin ich, wenn ich gesellschaftlich nicht mehr sichtbar bin? Welchen Wert habe ich, wenn ich meine Stärken nicht mehr ausleben kann? Wo ist Gott in alledem? Dieses Sterben hat Leben ermöglicht – meine Kinder haben das vom ersten Moment an widerspiegelt. Doch nicht nur sie leben, auch in mir sind Seiten geweckt oder geläutert worden. Ängste haben ihre Bedrohlichkeit verloren und dem Mut Platz gemacht. Die Motive, meine Begabungen einzubringen, sind nicht mehr die gleichen, weniger selbstzentriert als auch schon. Und am Wesentlichsten ist, dass ich Gott näher kennengelernt habe, eine unverkrampftere und innigere Beziehung mit ihm lebe.

Mein Weg mit Jesus hat mich schon an vielen Grabstätten vorbeigeführt. Es gab Dinge, die ich dankbar habe sterben lassen, weil sie mich geknechtet hatten, und ihr Tod brachte Freiheit in mein Leben. Aber da gab und gibt es auch Dinge, die mir lieb sind, die ich kultivieren möchte, aber ich scheitere – und meine Kapitula­ tion schmerzt. Wenn die versprochene Auferstehung in Form von Frucht dann auch noch auf sich warten lässt, werde ich im besten Fall ungeduldig, eher aber zweifelnd, wütend – oder ich resigniere. Ironischerweise habe ich dieses Sterben ganz intensiv erlebt, als ich Mutter

Auf unseren Friedhöfen gibt es viele gepflegte, blumenbepflanzte Gräber. Bislang habe ich das mit gemischten Gefühlen beobachtet. Hängen da Angehörige noch in der Vergangenheit und vergessen darob, nach vorne zu schauen? Doch ich könnte es ja auch als Ausdruck dafür betrachten, dass erst der Tod neues Leben hervorbringt, sowohl in meinen täglichen kleinen Sterbeprozessen als auch im endgültigen Sterben am Lebensende. Jede Grabstätte in meinem Leben hat das Potenzial, zum Saatbeet zu werden, vorausgesetzt, ich strecke mich nach dem Unvergänglichen aus.

• Sabine Fürbringer ist Psychologin und Familienfrau und arbeitet bei Campus für Christus als Referentin, Autorin und Beraterin.

Von Grabstätten zu Saatbeeten

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H E I L U N G Befreit von Trennungsangst Ein Mann findet Trost und Heilung seiner Kindheitswunde Als Missionarskind musste sich Matthias Langhans früh von seinen Eltern trennen. Von Trennungsängsten geplagt, sucht er als Erwachsener Hilfe bei Gott. Ein langer Prozess der Wiederherstellung beginnt.

Johanna Vollenweider «Wir lebten damals in Japan. Ich war neun Jahre alt, als ich mich von meinen Eltern verabschieden musste, um in Singapur weiter zur Schule zu gehen», erzählt Matthias Langhans. Damit er nicht alleine fortgehen muss, begleitet ihn sein siebenjähriger Bruder Christoph. Der Abschied fällt auch ihren Eltern sehr schwer. Wie gerne hätten sie ihre beiden ältesten Söhne noch bei sich behalten. Doch Matthias hat Mühe an der japanischen Schule im Ort, und der zusätzliche Deutschfernkurs nimmt einen grossen Teil seiner Freizeit in Beschlag.

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Die nächste Deutsche Schule ist tausend Kilometer entfernt. Dass sie ihre Kinder eines Tages in ein Internat geben müssen, ist Matthias‘ Eltern von Anfang an bewusst. Dennoch sind sie davon überzeugt, dass Gott sie auf Hokkaido, die zweitgrösste Insel Japans, geführt hat.

• Matthias und Christoph 1987 auf dem Weg nach Singapur.

Das Gebet einer Mutter Matthias erinnert sich noch gut daran, wie seine Mutter ihm vor einigen Jahren erzählte, was ihr damals den Mut gegeben hatte, ihre Kinder schon früh gehen zu lassen. Bevor sie mit ihrem Mann und

dem zweijährigen Matthias nach Japan ausreiste, redete Gott durch die Geschichte von Hanna und Samuel zu ihr. Hanna hatte versprochen, ihren Sohn in den Tempel zu geben, damit er Gott diene.

• In den Ferien nehmen sich 34

die Eltern viel Zeit für ihre Kinder. Matthias und Christoph sitz en rechts neben ihrem Vat er.

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trauern und trösten | befreit von …

Sie musste den kleinen Jungen loslassen und Gott vertrauen, dass er für ihn sorge. Dorothea Langhans weiss, dass Gott genauso für ihre Kinder sorgen wird. Ihr Glaube und ihre Gebete legen eine Glaubensbasis im Leben von Matthias und seinen Geschwistern. Matthias ist heute davon überzeugt, dass dieses Vertrauen und die täglichen Gebete seiner Mutter und seines Vaters ihn vor vielem bewahrt haben. Das Vertrauen seiner Eltern hat Matthias schon damals eine tiefe Ruhe gegeben. Er sagt: «Meine Eltern sind für mich ein starkes Vorbild darin, was es bedeutet, ganz auf Gott zu vertrauen. Sie waren sogar bereit, uns Kinder herzugeben im Vertrauen auf Gott, genau so, wie Hanna es mit Samuel tat. Ich bin tief davon überzeugt, dass dieses Vertrauen ein Segen für mein Leben war und ist! Für diesen Gehorsam und ihre Treue bin ich ihnen von Herzen dankbar!»

Angst vor dem Abschied In Singapur leben Matthias und sein Bruder Christoph mit zwölf anderen Missionarskindern in einer Grossfamilie. Hier, sechstausend Kilometer weit weg von ihren Eltern, besuchen sie die Deutsche Schule Singapur. Matthias gefällt das Leben mit den vielen Kindern gut. Aber gerade in der ersten Zeit nach dem Abschied weint er sich nachts oft in den Schlaf, weil er seine Eltern sehr vermisst.

Nur dreimal im Jahr kann er sie besuchen, denn der Weg ist weit und das Flugticket sehr teuer. In diesen Ferienzeiten, fern vom Schulalltag, unternehmen Wolfgang und Dorothea Langhans viel mit ihren Kindern, spielen mit ihnen und nehmen sich Zeit für sie. Matthias geniesst die Zeit bei den Eltern. Doch in seinem Bauch spürt er ein dumpfes Gefühl. Wie eine dunkle Wolke hängt der Gedanke an den Abschied über ihm. Trennungen machen ihm Angst. Diese Angst verstärkt sich noch, als seine Grossmutter, die mit ihnen in Japan die Ferien verbringt, ganz plötzlich stirbt. Matthias träumt oft von diesem Erlebnis. Die Angst vor Trennung und Abschied bekommt eine solche Kraft in seinem Leben, dass er immer wieder seine kindliche Leichtigkeit verliert. «Einmal waren die Ängste so stark, dass meine Mutter uns auf dem Weg nach Singapur begleiten musste», erinnert sich Matthias. Was Matthias damals nicht wusste, ist, dass seine Eltern wegen seiner starken Ängste kurz davor waren, in die Heimat zurückzukehren.

und sich mit anderen Charakteren und Kulturen auseinanderzusetzen. Bis heute hat er diese Fähigkeit behalten, und er ist Gott dankbar für seine Gabe. Nachdem er die 10. Klasse beendet hat, geht die ganze Familie für zwei Jahre zurück nach Deutschland. Matthias beginnt eine Lehre als Technischer Zeichner, Christoph besucht das Gymnasium. Als die Eltern wieder nach Japan ausreisen, können Matthias und sein Bruder bei befreundeten Familien in Deutschland bleiben.

«Für mich war es normal» Das Gefühl des Verlassenseins war seit Matthias‘ Kindheit immer wieder gegenwärtig, mal stärker, mal schwächer. Im Nachhinein beschreibt Matthias, dass es wie zu seinem Leben dazugehört habe. Für ihn sei das ganz normal gewesen. Erst nach und nach entdeckt er, dass

Zurück in Deutschland Sieben Jahre geht Matthias in Singapur zur Schule. Durch das Leben in der Grossfamilie entwickelt er ein sehr ausgeprägtes Sozialverhalten. Er lernt, sich immer wieder auf neue Menschen einzustellen

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• Die Familie Langhans 1986.

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diese Angst vor Trennung von den Erlebnissen herrührt, die er in seiner Kindheit gemacht hat. Mit zwanzig Jahren erkennt Matthias, dass er Mühe hat, sich selbst engen Freunden wirklich zu öffnen. Er hat Angst davor, den Menschen innerlich näherzukommen, weil ihn unbewusst das Gefühl beschleicht, er könnte sie gleich wieder verlieren. In einer zweimonatigen Jugendschulung bei «Willow Creek» in den USA beginnt er, seine Gefühle in Worte zu fassen. Es gibt Momente, in denen er alleine ist und plötzlich anfängt zu weinen. Ohne dass er versteht warum, fällt die Einsamkeit auf ihn. «So hat mein Prozess zur Wiederherstellung angefangen», erinnert sich Matthias.

Der Prozess beginnt Drei Jahre später lernt er seine jetzige Frau Barbara kennen. Ist das mit der Einsamkeit nun endlich vorbei? «Während der Zeit unserer Freundschaft fiel ich innerlich immer wieder in ein Loch, nachdem sie sich von mir verabschiedet hatte. Eine unerklärliche Angst stieg in mir hoch, dass ich Barbara verlieren würde», erzählt Matthias. Die Angst vor einer Trennung ist so stark, dass er die Zeit mit Barbara oft nicht richtig geniessen kann. In ihrer Beziehung liegt etwas Schweres, Melancholisches, und die Leichtigkeit fehlt. Das wiederum frustriert Matthias, und er wird über Wochen von depressiven Stimmungen verfolgt. Eines Tages, Matthias hat sich gerade von Barbara verabschiedet, plagen ihn seine Verlassenheitsgefühle und Ängste so stark, dass er in den Wald flieht. Dort schreit er zu Gott: «Ich kann nicht mehr. Wie soll das nur weitergehen? Jetzt habe ich eine Beziehung zu einer Frau, die ich liebe. Es kann doch nicht sein, dass das so in die Brüche geht!» Matthias ist mit 24 Jahren an einem der tiefsten Punkte seines Lebens angekommen. Doch jetzt greift Gott ein. 36

• Matthias und Barbara Langhans mit ihren Söhnen Lian (2) und Noah (1). Matthias leitet das Internetprojekt Gottkennen.com bei Campus für Christus.

«Gott kämpft für mich» Als er aus dem Wald zurückkehrt, hat Matthias den Eindruck, dass er anfangen soll, täglich einen Psalm zu lesen. Schon als Kind hat er viele Bibelverse und Psalmen auswendig gewusst. «Am Anfang habe ich einfach nur gelesen», erklärt Matthias, «dann plötzlich, ab dem 17. oder 18. Psalm, haben die Worte Kraft bekommen.» Die Buchstaben werden für ihn lebendig und Gottes Versprechen: «Ich bin mit dir», «Ich kämpfe für dich» wird real. Gott wird für Matthias zu einem Krieger, der sich vor ihn stellt und anfängt, gegen die Depression und die Gefühle von Abschied und Trennung zu kämpfen. Durch das Lesen in den Psalmen beginnt Matthias die Vaterliebe Gottes nochmals neu zu verstehen. Jeden Abend liest er weiter. Immer wieder bittet er Gott um Hilfe, weil er weiss,

dass er aus eigener Kraft nicht gegen diese schweren Gefühle ankommt. Als er etwa beim 40. Psalm anlangt, spürt und weiss er plötzlich, dass er Gott absolut vertrauen kann. Endlich ist er sich ganz sicher, dass Gott es gut mit ihm meint. Er wird ihn nicht dem Tod oder der Trennung überlassen. Darum braucht er keine Angst zu haben.

«Gott ist mein Arzt» «Das war eigentlich etwas ganz Simples, doch du kannst dir das selbst nicht einreden», erklärt Matthias. «Gott war für mich wie ein Arzt, der mich in meinem komplexen Innern berührt und eines nach dem anderen heilt.» Gott bringt Licht in die Dunkelheit in Matthias‘ Leben und befreit ihn vollständig von der Angst. Auch die Beziehung zu Barbara bekommt neuen Aufwind, Leichtigkeit cz 4|08


trauern und trösten | befreit von …

und Freiheit halten Einzug. Seither hat es immer wieder Momente gegeben, in denen sich Matthias mit Trennung und Tod auseinandersetzen musste. Vor drei Jahren zum Beispiel, als die Mutter seiner Frau an Krebs starb. «Das war eine sehr intensive Zeit, und ich habe ge­merkt, dass dieselben Gefühle in mir hochkommen wollten», berichtet Matthias, «doch Gott hat seine Hand zwischen diese Gefühle und mein Herz gehalten.» Diese starke Realität Gottes habe er seitdem immer in Bezug auf Angst und Trennung erlebt.

K O L U M N E

New B Generation O P

Andreas Boppart ist Eventprediger und Autor und arbeitet im Arbeitszweig campus generation von Campus für Christus.

Loslassen «Ich bin so froh um mein Leben» Mittlerweile hat Matthias schon vielen Leuten von seinem Heilungsprozess erzählt und sie ermutigt, sich dem lebendigen Gott mit Haut und Haaren auszuliefern und ihm zu vertrauen. Er ist davon überzeugt, dass Gott genau weiss, wie gross der Vertrauensschritt ist, den er einem Menschen zumuten kann. «Vertrauen ist etwas, das wächst», erklärt Matthias, «es kann viel geschehen, wenn der Mensch bereit ist, Schritte zu tun.» Er selber hat in den vier Jahren seines Heilungsprozesses eine ganze Menge solcher Schritte getan. Dadurch hat er Gott auf eine neue Art kennengelernt, und das wiederum stärkte sein Vertrauen und bereitete ihn auf den nächsten Schritt vor. Matthias hat durch diesen Prozess somit nicht nur Heilung erlebt, sondern er ist auch im Geist und in seiner Identität als Mensch gewachsen. «Ich bin so froh um mein Leben», sagt Matthias abschliessend und führt aus, er sei reich beschenkt worden. Auch in all den schwierigen Situationen und Herausforderungen. Nie hat er es bereut, dass er als Missionarskind in Singapur und Japan war. «Klar», so meint er, «möchte man schwierigen Situationen aus dem Weg gehen. Doch wenn ich heute die Wahl hätte, könnte ich mir etwas anderes nicht vorstellen, als der zu sein, der ich jetzt bin.» cz 4|08

Wenn wir leben wollen, ist Loslassen wahrscheinlich so ziemlich das Zentral­­ste, was wir zu lernen haben. Und gleichzeitig etwas vom Unangenehmsten. Vielleicht ist es gerade deshalb so unbequem, weil es uns unbarmherzig die nackte Tatsache vor Augen führt, dass wir das Leben im Endeffekt nicht im Griff haben, so fest wir uns auch daran klammern und so gut wir auch alles planen und einfädeln. Aber genau das gilt es zu lernen. Ums Loslassen kommt niemand herum. Die einen sind gezwungen, das schon sehr früh zu lernen, bei anderen setzt es erst später ein. Aber irgendwann findet sich jeder an Punkten wieder, bei denen er nicht mehr anders kann, als seinen Klammergriff zu lösen. Meist beginnt es bei den Träumen. Gerade erst wurde mir bewusst, dass ein geheimer Traum, ein Ideal, mit 21 als ganz junger Vater meine persönliche Geschichte zu schreiben, gar nicht mehr möglich ist, da ich bereits an der 30er-Grenze kratze. Etliche Jugendliche wünschen sich, die erste Beziehung sollte die richtige sein, und viele müssen irgendwann ernüchtert oder gar bitter enttäuscht loslassen. Dazu gehen oft in den Teenagerjahren all die Ideale flöten, die man von Gott, der Welt und vor allem von seinen Eltern hatte. Nach dieser notwendigen Zerbruchphase gilt es, aus den Trümmern der 37

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Ideale mutig die unversehrten Steine herauszupicken und sich an den Wiederaufbau zu machen. Leider ist vielen dieses Aufräumen zu beschwerlich, und sie führen ihr Leben desillusioniert und ziellos in dem geistlichen Steinchaos weiter. Wer jedoch loslässt und nach vorne blickt, wird früher oder später erkennen, wie sein Leben an Weite und Tiefe zugenommen hat. Mit rund 22 habe ich zum ersten Mal erfassen können, was meine Eltern in mich investiert und was sie meinetwegen aufgegeben hatten. Wurde ja auch Zeit, dies endlich mal zu begreifen. Hat aber doch so einige Teenager-Rangeleien und Grenz­austestungen gebraucht. Auf der anderen Seite mussten meine Eltern lernen, loszulassen. Im Titel eines Songs, den ich im Hinblick auf diese Erkenntnis für meine Eltern aus ihrer Sicht geschrieben habe, heisst es: «Ich lass dich los, fang an zu fliegen. Schau dir nach, wäre so gern dabei. Doch das ist deine Reise, dein Flug durch das Leben. Ich lieb dich, flieg mal wieder vorbei!» (CD: *still*; Interpret: foundfree). Loslassen ist schliesslich für alle Be­ teilig­ten der Gewinn des Lebens. Auch wenn es unserem Naturell widerstrebt. Jesus selbst hat gesagt: «Denn wer sein Leben erhalten will, der wird‘s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird‘s finden» (Matthäus 16,25). Letztlich ist es unser Stolz, den wir loslassen müssen: Die geheime Hoffnung, ohne Hilfe – was auch göttliche Hilfe ausschliesst – durchs Leben zu kommen. Aber der grösste Gewinn eines Menschen ist es, wenn er seine eigene vermeintliche Freiheit los- und sich in Gottes Händen fallen lässt – und, so paradox es klingen mag, dort die wahre Freiheit erst richtig entdeckt. Wer aufgibt, gewinnt. Wer loslässt und seinen Klammergriff lockert, wird am Ende mit vollen Händen dastehen.


G R A H A M S

Was hat Billy und Ruth Graham geprägt? Aus Anlass des 90. Geburtstages des Jahrhundertevangelisten Kein Mensch hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Evangelium an mehr Menschen weitergegeben als Billy Graham. Am 7. November ist er neunzig Jahre alt geworden. Von seinem Vorbild und seiner Integrität können künftige Generationen von Leitern und Evangelisten Entscheidendes lernen.

Hanspeter Nüesch

1. Demütige, von Gott abhängige Grundhaltung

Im Rahmen meines Buchprojektes über das Leben von Billy und Ruth Graham ist mir eines klar geworden: Die Grahams sind Menschen wie wir alle; Menschen, die Fehler machten und die oft genug von sich selbst enttäuscht waren. Und trotzdem machten sie einige Dinge gut, ja sogar sehr gut. Ich möchte vom eindrücklichen Vermächtnis ihres Lebens acht Aspekte herausgreifen.

Kein Merkmal prägte das Leben und den Dienst von Billy und Ruth Graham mehr als Demut. Wer immer sie näher kennenlernte, war berührt, wie durch und durch bescheiden sie trotz all ihres äusseren Erfolgs geblieben waren. Billy und Ruth Graham sind geradezu die Personifizierung der biblischen Wahrheit, dass Gott diejenigen erhebt, die von Herzen demütig sind. Gott hat sie zu Ehren gebracht,

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weil sie in allem Gottes Ehre suchten. Ein Leben lang blieben sie lernbereit und korrekturfähig. Als Ausdruck ihrer Abhängigkeit von Gott beteten sie oft ausdrücklich um die Kraft und den Beistand des Heiligen Geistes, im Bewusstsein, dass aller Segen von Gott kommt und ohne das Wirken seines Geistes alle Anstrengungen fruchtlos bleiben würden. Zeitlebens standen sie ehrlich zu ihren Fehlern. Wenn sie kritisiert wurden, nahmen sie das als nötige Demütigung cz 4|08


billy und ruth graham

• Ruth und Billy Graham: links in früheren und oben in späteren Jahren.

und wollten daraus so viel lernen wie nur möglich. Sie waren und sind zutiefst davon überzeugt, dass viele Menschen in Gottes Augen einen höheren Platz einnehmen als sie.

2. Gebet und Bibel als Pfeiler Die Grahams pflegten eine intime Beziehung zu Gott. Die Bibel hatten sie immer geöffnet, auch unterwegs im Hotelzimmer. Immer wieder während des Tages lasen sie darin, manchmal nur ein paar Verse, manchmal ganze Kapitel. Sie lernten bis ins hohe Alter Bibeltexte auswendig. Im Glauben nahmen sie die Bibel als inspiriertes Wort Gottes und gebrauchten es auch so: «The Bible says» («Die Bibel sagt»). Es liege keine Verheissung auf dem menschlichen, sondern auf Gottes Wort. Dieses solle mit Autorität und eindringlich verkündet werden. «Beten ohne Unterlass» war ihre andere Devise. Auf vielfältige Weise schütteten sie ihrem himmlischen Vater im Gebet ihr Herz aus und empfingen Antwort cz 4|08

durch sein Wort. Ruth, die 2007 verstarb, schrieb viele persönliche Briefe an Christus, der auch ihr Seelenarzt war. Unzählige ihrer Gedichte enden mit biblischen Wahrheiten, besonders dort, wo sie in ihnen persönliche Probleme verarbeitete. In Billys Tagebüchern spürt man, wie intim seine Beziehung zu Gott war. Ihm gegenüber musste er nicht diplomatisch sein, ihm konnte er alle seine Freuden und Ängste bringen. Weil Billy und Ruth ihren göttlichen Freund Jesus und sein Wort so gut kannten, liebten sie ihn von Herzen und bemühten sich, seinen Anweisungen zu gehorchen.

3. Fokussierung auf den gottgegebenen Auftrag Billy sah sich als Evangelist, und er liess sich durch nichts von seinem evangelistischen Auftrag abbringen. Er bekam Film- und politische Angebote; man bat ihn, diese und jene Organisation zu präsidieren. Man wollte ihn zum offiziellen Chef der Evangelikalen machen, man

bot ihm Lehrstühle an Universitäten an – selbst die Moderation von Fernsehsendungen. Er lehnte alles ab, weil er seine ganze Energie den Grossevangelisatio­ nen im In- und Ausland widmen wollte. Obwohl Billy Graham alle Kirchen, auch die katholischen und orthodoxen, zur Mitarbeit einlud, war er nie bereit, Kompromisse in Bezug auf den Inhalt der Verkündigung zu machen. Ohne dieses Gegründetsein im Wort Gottes hätte die kirchliche Weite wohl unweigerlich zu einem Verlust des klaren evangelistischen Fokus geführt. Auf eindrückliche Weise verbanden sowohl Billy als auch Ruth ein grosses, weites Herz mit einer tiefen Verwurzelung im Evangelium. Ruth war selber vielseitig begabt und verfasste zahlreiche poetische Bände. Sie war sehr belesen, hatte einen weiten Horizont, war blitzgescheit und sehr humorvoll. Auch ohne Billy hätte sie «das Rennen gemacht». Aber sie stellte all ihre Gaben und persönlichen Bedürfnisse hinter den gemeinsamen Auftrag der 39


Weltevangelisation zurück. Sie war für ihren Mann zeitlebens eine weise Ratgeberin, welche nicht mit ihrer Meinung zurückhielt. Sie erweiterte Billys Horizont. Sie besuchte mit ihrer Familie die örtliche presbyterianische Kirche und blieb trotz wiederholter Bekehrungsversuche von Billys Baptistenfreunden standhaft. «Es geht doch nicht um die kirchliche Etikette.» – das war ihre Haltung. «Jesus Christus kann doch in jeder Kirche gefunden und angebetet werden, auch in den Mainline Churches» («Mainline Churches» sind vergleichbar mit unseren Landeskirchen).

4. Betonung der langfristigen Frucht und der lokalen Gemeinde Ruth Graham war in der lokalen Gemeinde aktiv tätig und leitete jahrelang die Erwachsenensonntagsschule. Billy Graham gründete seine Evangelisationen ganz auf die Mitarbeit der lokalen Gemeinden. Sein Team versuchte möglichst alle Kirchgemeinden zur Mitarbeit zu gewinnen, auch die liberaleren. Engere Gemeinden kritisierten Billy Graham deswegen, obwohl er, was die evangelistische Verkündung betraf, nachweislich keine Abstriche machte. Nachdem das evangelistische Team sein Augenmerk anfänglich noch zu sehr auf die Anzahl Entscheidungen gelegt hatte, verlagerte es das Augenmerk mehr und mehr auf die Anzahl der Menschen, die als Resultat der evangelistischen Feldzüge neu im Jüngerschaftsprozess in lokalen Gemeinden engagiert waren. Mit den Jahren legten sie ein immer grösseres Gewicht auf die Schulung der freien Mitarbeiter und die Weiterführung der Gläubiggewordenen in den lokalen Gemeinden.

Enge Mitarbeitende betonen, dass auch neben der offiziellen Verkündigung sowohl Billy als auch Ruth Graham in persönlichen Begegnungen, sei es mit Staatsoberhäuptern oder mit einfachen Menschen, das Gespräch immer auf Jesus Christus und seine Versöhnungstat am Kreuz zu lenken versuchten. In Fernsehinterviews, deren Texte veröffentlicht wurden, spürt man, wie wichtig es den Grahams war, das Gespräch auf die Mitte des christlichen Glaubens zu lenken: Gottes Liebe und die Rettung durch Jesus Christus. Immer wieder betonten sie, zuerst brauche es eine persönliche Transformation durch den Heiligen Geist, bevor man fähig werde, die Mitmenschen, ja selbst die Feinde zu lieben und die Gesellschaft zu verändern. Ohne die persönliche Lebenshingabe und die dadurch geschenkte neue geistliche Geburt bei vielen einzelnen Menschen würden grundlegende gesellschaftliche Veränderungen unerfüllbare Ideale bleiben. Nachhaltig wirksame Verände• Billy Graham nahm sich jeden Tag ausgedehnt Zeit für das Bibelstudium. rung geschehe nur von innen nach aussen.

Von Evangelisation zu Evangelisation versuchten sie aus den Fehlern zu lernen und die Gemeinden noch früher und noch intensiver miteinzubeziehen. Nicht nur konnte so ein immer grösserer Teil der geistlichen Frucht der Evangelisation zur Reife gelangen, auch viele freie Mitarbeitenden selbst wuchsen in ihrem Glauben und lernten, ihre Gaben für das Reich Gottes einzusetzen.

5. Unmissverständliche, christus zentrierte Botschaft Eine Frage trieb Billy zeitlebens um: «Wie kann ich die wichtigste Nachricht für die heutigen Menschen noch einfacher und verständlicher formulieren, sodass sie das Evangelium in Kopf und Herz aufnehmen können?» Der Evangelist nahm Jesus zum Vorbild, der anhand von Bildern aus dem Alltagsleben geistliche Wahrheiten erklärte. Auch beschloss er schon früh in seinem Dienst, keine evangelistische Botschaft zu halten, ohne auf die Tat Jesu am Kreuz hinzuweisen. Gibt es etwas Grösseres und Wichtigeres, als dass Gott uns so sehr liebt, dass er seinen einzigen Sohn am Kreuz für unsere Sünden sterben liess, damit wir frei sind und ewiges Leben haben?! 40

6. Ganzheitlicher Dienst in Wort und Tat Auch wenn Billys Auftrag in erster Linie die Wortverkündigung war, so brauchte er darüber hinaus seinen Einfluss, um praktische Hilfe möglich zu machen. Von Herzen unterstützte er die Arbeit seines Sohnes Franklin, der neben seinem Evangelisationsdienst im Rahmen der «Billy Graham Evangelistic Association» auch «Samaritan‘s Purse» leitet, eine humanitäre Hilfsorganisation, die vor allem in Katastrophengebieten tätig ist. Ruth war eine durch und durch praktisch veranlagte Frau. Ihr Pastor beschrieb sie als «Religion in Schuhleder». Wenn irgendwo Not herrschte, war sie oft die Erste, die hilfreich zur Stelle war. Sie hatte einen offenen Blick für die Nöte und konnte so viele gebeugte Menschen wieder aufrichten. An Weihnachten rückte jeweils die ganze Familie Graham aus, um die im Laufe des Jahres erhaltenen Geschenke an ärmere Familien der Nachbarschaft weiterzugeben. Nach dem Hurrikan Katrina beherbergten Ruth und Billy Graham eine spanisch sprechende Einwandererfamilie. Dem gefallenen Fernsehevangelisten Jim Bakker reservierten sie einen Platz neben sich in der Kirche und luden ihn anschliessend zu sich nach Hause cz 4|08


billy und ruth graham

ein. Dort bewirteten sie ihn wie einen Fürsten und vermittelten ihm so neue Würde.

7. In allen Bereichen integer und authentisch Trotz der grossen Anerkennung in der Welt sind Billy und Ruth in ihren Herzen einfach und nahbar geblieben. Billy war zu Hause die gleiche Person wie auf der Weltbühne. Das haben mir enge Familienangehörige bestätigt, die lange gar nicht realisiert hatten, dass Daddy Bill (so nennen ihn die Enkel) in den Augen der Menschen etwas Besonderes war und ist. Ein Enkel berichtete mir, wie sich sein Grossvater direkt im Anschluss an ein Telefongespräch mit einem US-Präsidenten mit ganzer Aufmerksamkeit der schwarzen Hausangestellten widmete und sich um ihr Wohlergehen kümmerte. Auch Ruth hatte einen grossen Einfluss im Leben einfacher wie hochgestellter Personen. Ihr Charme, gepaart mit einem unnachahmlichen Schalk, öffnete so manche Herzenstüre. Fast immer hatte sie ihre zerlesene Bibel dabei, um vom Wichtigsten in ihrem Leben zu erzählen, und konnte dabei fromme Dinge auf wohltuend unfromme Weise ausdrücken. Für viele, gerade auch für gestrandete und enttäuschte Personen, wurde sie zu einem Vorbild für eine authentische, unkomplizierte Christin, die jedes vorgefasste christliche Bild sprengte. Nicht nur die Botschaft, auch der Lebensstil der Grahams war einfach: Sie lebten in einem für amerikanische Verhältnisse einfachen Haus: heimelig, aber ohne jeden Prunk.

8. Gegenseitige Rechenschaft anhand von Leitlinien «The Midnight Runner» nannten sie ihn spasseshalber, nachdem Billy Graham in jungen Jahren, damals Mitarbeiter bei Jugend für Christus, fluchtartig ein Haus verlassen hatte und dann kilometerweit gerannt war, weil ihn eine junge Frau hatte sexuell verführen wollen. cz 4|08

• Über sechzig Jahre blieben die Mitglieder des Kernteams treu im gemeinsamen Dienst für Gott. (Von links:) Cliff Barrows, Billy Graham, Bev Shea.

Zwei Jahre später, im November 1948, stellte das Kernteam (Billy Graham, Cliff Barrows, George Beverly «Bev» Shea) im Rahmen einer Evangelisation in Modesto klare Leitlinien auf, um das Menschenmögliche zu unternehmen, damit der Name Gottes und seine Ehre durch sie niemals beschmutzt würde. Sie wollten etwas gegen das damals schlechte Image der Evangelisten tun und mit einem durch und durch integren Leben ihre Botschaft glaubwürdig halten. Zu diesem Zweck stellten sie vier Leitlinien auf, denen sie in Zukunft mit allem Menschenmöglichen nachleben wollten. Dieses «Manifest von Modesto» beinhaltet vier Punkte:

Gleichzeitig verpflichteten sich die Teammitglieder zur gegenseitigen Transparenz und Rechenschaft. Als Billy Graham 2005 in New York seine letzte Evangelisation hielt und Adieu winkte, war Cliff Barrows, der Chorleiter und Gestalter der wöchentlichen Radiosendungen «Stunde der Entscheidung», sowie Bev Shea, der mit seinen Liedern die evangelistische Botschaft umrahmt hatte, immer noch mit von der Partie. Der Älteste von ihnen, Bev Shea, wird am 1. Februar 2009 hundert Jahre alt. Fast sechzig Jahre sind es schliesslich geworden, in denen das Team trotz Kritik von allen Seiten, aber im Segen Gottes und mit Unterstützung ihrer Ehefrauen, der Sache Jesu dienen konnte!

1. Moralische Reinheit – Nie mit einer Frau allein in einem Raum ausser mit der Ehefrau 2. Finanzielle Integrität – Bezug eines festgesetzten Lohnes, der offengelegt wurde 3. Wahrhaftigkeit – Keine Übertreibun­ gen, zum Beispiel von Bekehrtenzahlen 4. Demut – Geschwister höher achten, Verzicht auf Kritik gegenüber Mitchristen.

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Hanspeter Nüesch schreibt gegenwärtig an einem Buch über das zeitlose Vermächtnis von Billy und Ruth Graham. Das Buch wird Ende 2009 im Hänssler-Verlag erscheinen.

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PERSONLICH Auf Besuch bei Billy Graham Das Wort des Missionsleiters Vreni und ich hatten kürzlich die Gelegenheit, Billy Graham persönlich in seinem Wohnhaus in den Bergen North Carolinas zu besuchen. Wir trafen einen Menschen, der zwar von der Parkinson‘schen Krankheit gezeichnet, aber noch hundert Prozent wach im Geist war.

• In diesem Haus hoch über Montreat, North Carolina, wohnt Billy Graham noch heute. Das Blockhaus wurde in den Fünfzigerjahren von Ruth entworfen. Der Ausspruch bei der Eingangstüre trägt Ruth Grahams humorvolle Handschrift: «Gott liebt dich, und ich versuche es.»

Hanspeter Nüesch Billys Stimme ist leise geworden, er hat Mühe, zu gehen; aber sein Interesse an Menschen und an dem, was in der Welt geschieht, ist ungebrochen. Traurig stimmt ihn, dass er keine Menschen mehr zu Jesus führen darf. Über allem steht aber die Freude auf den Himmel, wo er endlich denjenigen von Angesicht zu Angesicht sehen kann, der seinen Lebensinhalt ausmachte: Jesus Christus. Sein Wunsch ist es, als Knecht Jesu befunden zu werden, der seinem Auftrag treu war. Auf meine Frage, was denn Jesus Christus für ihn bedeute, meinte 42

er: «Everything» («Alles»). Als ich ihm mitteilte, dass alles, was ich schriftlich und mündlich über sein Leben und das seiner vor einem Jahr verstorbenen Frau Ruth weitergeben würde, letztlich auf Jesus Christus und auf die Glaubwürdigkeit des Wortes Gottes hinweise, bemerkte er: «Ich bin froh, dass du von Jesus sprichst. Er allein verdient allen Ruhm. Alle Frucht ist sein Verdienst.» Vreni erzählte ihm, welch wichtige Vorbildrolle er und Ruth in unserem Leben und Dienst spielten und dass wir das Gelernte nun an jüngere Leiterpersonen weitergeben wollten. Wir haben ihm

dann noch Ausschnitte vom vergangenen Christustag in Basel mit dem Fahnenaufmarsch gezeigt. Das Fussballstadion voll singender und betender Christen hat ihn an alte Zei­ten erinnert. «Wonderful, wonderful! I congratulate you Swiss.» Ob wir Schweizer nicht mithelfen könnten, einen ähnlichen Christustag in anderen Ländern, zum Beispiel in Georgien, zu organisieren? Er entschuldigte sich, dass er krank im Bett liege und nichts mehr unternehmen könne. Mir wurde erneut bewusst, dass es nun an uns Jüngeren liegt, den Evangelistenstab zu übernehmen und an wieder Jüngere weiterzureichen. cz 4|08


billy und ruth graham

Mir war es ein grosses Bedürfnis, im Gebet Gott für all den gewaltigen Segen zu danken, der durch Billy und Ruth Graham und ihr Team in die Welt hinausgegangen war, einschliesslich des Segens, den ich persönlich erhalten hatte. Dann bat ich Gott für einen speziellen Kraftzufluss angesichts seiner angeschlagenen Gesundheit. Billy Graham zeigte sich sehr dankbar für das Gebet. Er verabschiedete uns herzlich und bat uns um ein baldiges Wiedersehen. Wir wurden dann am folgenden Tag zum gemeinsamen Mittagessen eingeladen, da er sich gesundheitlich besser fühlte. In Anspielung auf die aktuellen Olympischen Spiele erzählte er, wie Präsident Nixon ihm schon in den Achtzigerjahren gesagt hatte, dass er auf China achten solle, weil dort eine kommende Weltmacht am Heranwachsen sei. Nun sei es so weit, meinte Billy Graham.

Billy und Ruth Graham waren zeitlebens ganz auf ihren Auftrag der Evangeliumverkündigung fokussiert und liessen sich durch nichts und niemanden davon abbringen. Als Frucht ihrer Dienstpartnerschaft fanden unzählige Menschen Vergebung ihrer Sünden und neues ewiges Leben.

Noch intensiver als zuvor ist nun mein Gebet: «Herr, tue es noch einmal, auch in Europa! Rüste du Botschafter aus, die gehört werden, weil sie das Wort Gottes vollmächtig verkündigen und ein authentisches Leben mit dir führen!»

Authentische Zeugen Jesu Die persönliche Begegnung mit diesem eindrücklichen Botschafter Gottes hinterliess bei mir bleibende Spuren. Ich kam mir vor, als hätte ich den alten Propheten Elia besucht. Gleichzeitig war es für Vreni und mich ein Abschiednehmen von einem Menschen, den Gott zusammen mit seiner verstorbenen Frau Ruth als Vorbild für ein demütiges, völlig gottgeweihtes Leben in unser Leben gesetzt hatte. Beide haben in beispielhafter Weise Wahrheit und Liebe miteinander «verheiratet», und beide sind zeitlebens ihrem Auftrag treu geblieben, hochgestellten wie ganz einfachen Menschen von Gottes Retterliebe zu erzählen. Und sie haben diese Liebe nicht nur gepredigt, sondern auch im Alltag praktisch vorgelebt. Das haben uns verschiedene Menschen aus ihrem Bekanntenkreis bezeugt. Als ich Tochter Ruth «Bunny» Graham bat, ihre Eltern mit einem Wort zu charakterisieren, sagte sie: «Daddy: Authenticity» («Authentizität – nichts Vorgespieltes»). «Mother was just in love with Jesus» («Mutter war einfach in Jesus verliebt»). cz 4|08

• Auch in hohem Alter ist Billy Graham immer noch die Freundlichkeit in Person: ein wahrer Gentleman – allen gegenüber.

• Hanspeter Nüesch im Gespräch mit Billy Graham am Krankenbett. Links die älteste Tochter Gigi.

• Sinnspruch über dem Spülbecken: «Hier wird Gottesdienst gefeiert ... dreimal täglich.» 43


K U L T U R Ein Requiem, das Freude ausstrahlt Johannes Brahms (1833-1897): Deutsches Requiem ^

Im Schaffen von Johannes Brahms, über den sich der befreundete Komponist (und Christ) Antonín Dvorák mehr als einmal wunderte, weshalb er sich nicht endlich dem Glauben zuwende, nimmt die geistliche Musik einen verhältnismässig kleinen Raum ein. Und doch ist da dieses reife Werk des Vierunddreissigjährigen - das «Deutsche Requiem».

Beat Rink Das Attribut «deutsch» kommt dem Werk einerseits von der (für diese Gattung unüblichen) Singsprache zu; andererseits widerspiegelt es das damals aufkommende nationalstaatliche Bewusstsein. Die Bezeichnung «Requiem» trifft im engeren Sinn nicht zu, weil es gar keine Totenmesse ist, kein Bittgebet für die Verstorbenen, sondern vielmehr tröstende Musik für die Lebenden, die Leid tragen. Bibelworte, musikalisch eindrücklich umgesetzt Zwar fehlt im «Deutschen Requiem» – neben dem «Dies irae», dem Tag des Jüngsten Gerichts – auch der Bezug zu Christi Auferstehung und Erlösung, weshalb man bei der Uraufführung 1868 im Bremer Dom zwischen zwei Sätzen Händels Arie «Ich weiss, dass mein Erlöser lebet» erklingen liess. Und dennoch geben die Texte und ihre musikalische Umsetzung die biblische Botschaft auf beeindruckende Weise wieder. Man mag sich fragen, ob dahinter etwa doch eine – zumindest vorübergehende – Hinwendung zum Glauben steht, ausgelöst durch schmerzliche Erfahrungen des Komponisten wie die Krankheit und der Hinschied des Freundes Robert Schumann, der Tod der eigenen Mutter und die unglückliche Liebe zu Clara Schumann. 44

Trauer und Jubel Das Chorwerk hebt mit dem Jesuwort an: «Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.» Dazu tritt der Psalmtext «Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten». Der Akzent liegt dabei eindeutig auf der Freude. Und wenn auch der zweite Satz düster mit einem dreivierteltaktigen Totenmarsch und den Worten «Denn alles Fleisch ist wie Gras» beginnt, mündet er in einen strahlenden Jubel über die ewige Freude ein. Dieser Wechsel von Trauer, Trost und Freude prägt auch den weiteren Verlauf des Werks. Verbeugung vor Bach Der dritte Satz wird eingeleitet vom Bariton «Herr, lehre mich, dass es ein Ende mit mir haben muss» und gipfelt in einer mitreissenden Chorfuge über die Worte: «Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand, und keine Qual rühret sie an.» Darüber ist ein langer Orgelpunkt aufgetürmt als Symbol der festen Glaubenszuversicht. Diese kunstvolle Fuge mutet wie eine tiefe Verbeugung vor jenem Komponisten an, den Beethoven (von Brahms ebenfalls hochverehrt!) mit dem Meer verglichen hatte: vor Johann Sebastian Bach. «So ein Bach‘sches Meer von Tönen lässt sich doch wohl nicht mit anderen vergleichen», meinte Brahms einmal. Auch der sechste Satz erinnert an Bach: Nach den Worten «Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg» (der mu-

sikalische Akzent liegt auf der bohrenden Frage «Wo?») bricht ein mächtiges Gotteslob los – eben wieder in Form einer Chorfuge. Musikalische Vielfalt Dazwischen hören wir ruhigere und geradezu zarte Passagen, wenn im vierten Satz der Chor von den «lieblichen Wohnungen» und die Sopranstimme im fünften Teil von der Verheissung singt: «Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.» Dass Brahms diesen Satz unmittelbar nach dem Tod seiner Mutter geschrieben hat, verrät vieles. Der Schluss­ teil gilt dem Thema, dem die Gattung «Requiem» den Namen verdankt: Die im Herrn gestorbenen, die seligen Toten, mögen in Frieden ruhen. So klingt das Werk aus, wie es begonnen hat: mit einer ruhigen Seligpreisung. Grosse Wirkung Nach anfänglicher Ratlosigkeit beim Publikum wurde das «Deutsche Requiem» schon bald zum grossen Erfolg. Heute gehört es zu den meistaufgeführten Werken der Musikgeschichte. Schon 1875 erkannte der berühmte Musikkritiker Eduard Hanslick: Jeder, auch wer kein Leid trage, werde die Schönheit dieser Musik geniessen. Der Leidgeprüfte aber werde erfahren, wie «bei den überwältigend rührenden Klängen» das Auge nicht trocken bleibe, und wie «verklärend und stärkend der reinste Ton aus dieser Musik» fliesse. cz 4|08


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AFilmtipp NDY SCHINDLER-WALCH Das Beste kommt zum Schluss – Was im Leben wichtig ist Edward Cole (Jack Nicholson) hat in seinem Leben einen Konzern aufgebaut und ist dabei reich geworden. Doch er hat einen Preis dafür bezahlt: Er ist arrogant und einsam. Als er ins Krankenhaus muss, ist er gezwungen, das Zimmer mit dem pensionierten Automecha­niker Carter Chambers (Morgan Freeman) zu teilen. Dieser einfache Mann ist intelligent und charakterlich das Gegenteil von Edward: freundlich und ein Familienmensch. Die beiden Männer könnten also unterschiedlicher nicht sein. Doch dann ereilt sie das gleiche Schicksal: Beide sind unheilbar an Krebs erkrankt und haben nur noch für eine begrenzte Zeit zu leben.

M A Buchtipp

«Das Beste kommt zum Schluss» erzählt davon, was im Leben wichtig ist, wenn der Tod naht. Der Film regt an, darüber nachzudenken, ob die Werte und Ziele des eigenen Lebens stimmen oder ob man sie ändern sollte.

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Für meine Freundin Karin Ich selber habe keine Ahnung, wie es ist, wenn jemand, den man sehr liebt, plötzlich nicht mehr da ist. Anders ist das bei meiner Freundin Karin. Als sie noch ein Teenager war, verstarb ihre Mutter. Leider habe ich diese fantastische Frau nie kennengelernt. Doch aus den vielen Erzählungen von Karin habe ich trotzdem das Gefühl, sie ein bisschen zu kennen. Oft schon haben wir zusammen geweint; ich kann es nicht verstehen, kann diese Trauer, diesen schmerzlichen Verlust nicht nachempfinden und fühle mich in solchen Situationen auch schrecklich hilflos. Ja, es ist in Ordnung,

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Diese Nachricht trifft besonders Carter hart, hatte er doch zuvor eine Liste verfasst, was er im Leben noch alles tun möchte. Entmutigt wirft er die Liste fort – doch er hat nicht mit Edward gerechnet. Dieser findet die Liste und macht Carter Mut, doch an seinen Wünschen festzuhalten. So fangen die beiden Männer an, die Liste Punkt für Punkt in die Tat umzusetzen. Daraus entsteht eine besondere Freundschaft, die auch Edward verändern wird, denn einige Punkte auf der Liste stammen von ihm ...

Das Beste kommt zum Schluss, USA 2007, 97 Minuten. Der Film ist überall im Handel als DVD erhältlich.

• Andy Schindler-Walch, Filmspezialist und Redaktor bei www.fernsehen.ch.

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auch 18 Jahre nach dem Tod noch zu weinen und eines lieben Menschen zu gedenken. Und ebenfalls in Ordnung ist es, mitzuweinen, selbst wenn man manchmal nicht versteht, warum. Wunderbar ist es, zu sehen, wenn Gott am Werk ist, was daraus entsteht; Karin lebt und liebt ihr Leben. «Trotzdem will ich das Leben lieben» – so auch der Titel des Buches, das ich Ihnen empfehlen kann. Gerald Sittser verliert bei einem Autounfall auf einen Schlag seine Frau, eine Tochter und seine Mutter. Er selbst und drei weitere Kinder überleben. Er beschreibt sehr ehrlich sei-

nen Weg nach diesem tragischen Verlust – mit der tiefen Erkenntnis: «Nicht, was uns von aussen her zustösst, ist wichtig, sondern, was innen geschieht.»

• Manuela Richard kauft immer noch gerne in ihrer Lieblingsbuchhandlung (www.evangelische.ch) ein.

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E P O R TA G E

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Ruanda und Burundi: Zukunftsperspektiven vermitteln Wie einheimische Christen zum Gesunden von Land und Menschen beitragen Seit 2000 arbeiten die einheimischen Teams von Campus für Christus in Ruanda und Burundi in Partnerschaft mit Campus für Christus Schweiz verstärkt auf Versöhnung, Frieden und den Wiederaufbau ihrer geschundenen Länder hin. 46

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reportage | ruanda und burundi

«Du wirst bald nach Ruanda kommen» Manuel Rapolds Berufung zurück zu seinen Wurzeln Manuel Rapold hat bereits als Kind mit seinen Eltern für einige Jahre in Ruanda gelebt. Seit zwei Jahren reist er regelmässig nach Ruanda und Burundi, um Land und Leute zu unterstützen.

• Bild links: 130 gläubige Professoren und Campusmitarbeiter wurden bereits geschult, das Seminar «étudier efficacement» zu leiten. • Bild oben: Manuel mit seiner Verlobten Karine und Studenten.

Johanna Vollenweider Die Zusammenarbeit zwischen Campus für Christus Schweiz und Ruanda entsteht im Rahmen der international vernetzten Explo 2000. Thomas Weber, der französischsprachige Koordinator, hilft dem ruandischen Nationalleiter-Ehepaar Emmanuel und Bibiche Rutunda, die Explo in ihrem Land zu organisieren. Sie wird mit 15 000 Besuchern die grösste der 20 weltweit durchgeführten Explos. Ende 2005 planen die Ruander in eigener Regie eine weitere Explo und laden Hanspeter Nüesch als Referenten ein. Weil dieser weiss, dass Manuel einige Jahre seiner Kindheit in Ruanda verbracht hat, bittet er ihn um Teilnahme an Reise und Veranstaltung.

Zurück in der alten Heimat «Ich wusste, dass ich nach zehn Jahren in der Studierendenarbeit in Lausanne etwas Neues brauchte», erzählt Manuel Rapold. Im Sommer 2005 vor der geplanten Explo reist er mit einem Team aus der französischsprachigen Schweiz für ein Sommerprojekt nach Ruanda. cz 4|08

Zum ersten Mal seit 1991 sieht er Land und Leute wieder. «Diese Reise hat viele Erinnerungen geweckt», so Manuel. Sein erster Eindruck, als er in der Hauptstadt Kigali ankommt: Es hat sich viel verändert. Doch auf dem Land ist das Leben so geblieben wie damals. «Ich habe Leute getroffen, die mich oder meine Eltern von früher kannten. Sie waren sehr berührt, mich zu sehen, und ich bin sehr herzlich aufgenommen worden.» Für einen Gebetsabend während des Sommerprojekts haben die Rutundas mehrere Fürbitter aufgeboten. Diese geben Manuel Rapold prophetische Worte weiter: Er werde bald nach Ruanda kommen, und er habe eine Berufung als Botschafter der Schweiz in Afrika und umgekehrt. «Ich hatte sofort eine innere Antwort auf die prophetischen Worte», erinnert sich Manuel. «Gleichzeitig war ich ruhig und sagte zu mir: ‹Jetzt wartest du einfach mal ab, was daraus wird.›» An der ruandischen Explo 2005 kommt sie schliesslich: die Anfrage, ob Manuel sich längerfristig für Ruanda und Burundi engagieren würde. «Offiziell habe ich im Herbst 2006 angefangen. Ich fühle mich

sehr wohl in diesen Ländern», berichtet Manuel Rapold. Meist wohnt er in der Stadt bei den Familien der Nationalleiter, bei Rutundas in Ruanda und bei Audace Ndayisaba in Burundi.

Stärken der einheimischen Teams Manuel Rapold pflegt eine freundschaftliche Beziehung zu den Leitern und Teams dieser Länder. Er möchte sie fördern und bei ihren Zielen unterstützen. «Wir haben auf den ersten Reisen darüber geredet, welche Bedürfnisse vordringlich sind», erklärt Manuel. So haben sich vier Berei­ che herauskristallisiert, in denen er von der Schweiz aus Unterstützung anbieten kann: Die Studierenden-, die Frauen-, die Jugendarbeit und die Förderung von biblischer Haushalterschaft (siehe nächste Seiten). Manuel Rapold sieht seine Aufgabe in erster Linie als Koordinator. Er sucht nach kompetenten Leuten und lädt sie für Schulungen ein. In zweiter Linie kümmert er sich darum, ergänzendes Material zu beschaffen. Es ist ihm sehr wichtig, dass in jedem dieser vier Bereiche einheimische Teams geschult werden, die die Arbeit weiter aufbauen können. 47


R E P O R T A G E

Eigeninitiative stärken Campus für Christus unterstützt einheimische Christen Die Bedürfnisse in Afrika sind riesig. Deshalb möchten wir unsere Hilfe möglichst gezielt einsetzen. In Absprache mit den Nationalverantwortlichen von Campus für Christus haben wir vier Bereiche identifiziert, auf die wir uns in den nächsten Jahren konzentrieren werden.

Manuel Rapold

1. Arbeit unter Studierenden In allen Bereichen der Gemeinden und der Gesellschaft besteht ein grosses Bedürfnis nach qualifizierten und integren Leitern. Campus für Christus in Ruanda und Burundi arbeitet schon seit über zehn Jahren mit seinen Partnern unter den Studierenden und bringt ihnen durch das Evangelium auch Hilfe zur Entwicklung ihres Charakters, ihrer Persönlichkeit und ihrer Gaben. Wir unterstützen die einheimischen Mitarbeitenden mit erprobten 48

Hilfsmitteln wie dem Film «Wenn wir uns versöhnen» und dem Buch «Fasten und Erweckung» von Bill Bright. Indem wir ihnen Strategien vermitteln, können sie ihre Arbeit ausweiten und noch mehr Studierende erreichen. Einige von diesen werden in Zukunft wichtige Stellungen in ihren Ländern einnehmen. Je mehr sie durch die Werte des Evangeliums geprägt werden, desto besser können sie diese auch weitergeben. Zurzeit liegt unser Schwerpunkt darauf, einheimische Campusmitarbeitende und gläubige Professoren auszubilden, die in

ihren Universitäten die Seminare «Erfolgreich studieren» anbieten können. Durch unsere Schulungskonferenzen in Kigali (2007) und Abidjan (2008) wurden insgesamt 130 einheimische Mitarbeitende und Professoren geschult. Marthe Gueram, eine Mitarbeiterin von Campus für Christus in Mali, erzählt: «Ich freue mich, dass ich das Seminar ‹Erfolgreich studieren› nun auch selbst unterrichten kann. Es ist sehr wichtig, denn es hilft uns, den Studierenden zur Seite zu stehen, wenn es darum geht, Arbeiten zu schreiben, die Zeit richtig einzuteilen oder mit Stress umzugecz 4|08


reportage | ruanda und burundi

hen. Dieses Seminar ist wirklich hervorragend!»

2. Frauenarbeit Die Konflikte der letzten Jahre haben dazu geführt, dass es viele Witwen gibt, die alleine für ihre Familie aufkommen müssen. Die meisten dieser Frauen leiden unter den Nachwirkungen der traumatischen Kriegserfahrungen - nicht wenige wurden vergewaltigt und sind seither HIV-positiv. Unter der Leitung von Bibiche Rutunda ist in Ruanda eine Bewegung entstanden, die viele dieser Frauen in monatlichen Gebetstreffen versammelt und ihnen neue Hoffnung gibt. Die ärmsten der Witwen erhal­ten auch materielle Hilfe in Form einer Ziege. Diese Bewegung fördern wir, indem wir die Teams von Bibiche Rutunda im Bereich von Seelsorge und innerer Heilung schulen. In den meisten Gemeinden ist dieser dringend benötigte Dienst noch unbekannt. Dank der Einsätze von Sabine Fürbringer (siehe Bericht auf der nächsten Seite) und Luise Schwertfeger können nun Teams aufgebaut werden, die aus Frauen bestehen, welche Gottes Heilung in ihrem eigenen Leben erfahren haben. Sie sind sehr motiviert, diesen Segen auch an andere weiterzugeben.

3. Biblische Verwalterschaft Die Konflikte in dieser Region drehen sich auch um die Verteilung der knappen Ressourcen. Viele Menschen haben keine Aussichten, aus der Armut herauszukommen. In Burundi gibt es ein Sprichwort: «Ein richtiger Mann nimmt seinen Anteil und den der anderen auch.» Solche kulturell verankerten falschen Mentalitäten sowie mangelndes Know-how hindern die Menschen oft daran, ihre Chancen zu ergreifen. Mit den eigenen Mitteln verantwortlich umzugehen, lässt sich lernen; und gerade darin liegt die Möglichkeit, eine der Wurzeln der Armut zu bekämpfen und Grundlagen für echten Fortschritt zu legen. Hier setzen wir an mit Seminaren über biblische Verwalterschaft. «Als Entwicklungshelfer und Trainer im Bereich cz 4|08

von Mikrokrediten habe ich durch die Lehre der biblischen Verwalterschaft selbst noch vieles gelernt. Ich habe geistlich, intellektuell und fachlich profitiert. Dies wird mir helfen, die Mitarbeitenden der Turame Community Bank weiter zu schulen», erzählt Ferdinand-Joseph Ruvugana. Er ist Pastor und Trainer der Turame Community Bank.

4. Jugendarbeit Der erwähnte Mangel an Zukunftsperspektiven trifft auch die Jugend. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung dieser Länder ist unter zwanzig Jahre alt. Vielen Kirchen und Gemeinden fehlt es an passenden Ressourcen und Strategien für die Jugendarbeit. Wie es bereits in Europa der Fall ist, beginnt sich auch dort eine Spaltung zwischen den Generationen abzuzeichnen: Die bestehenden Gemeinden haben zunehmend Mühe, die Jugend zu erreichen und zu integrieren. Mit unserer Hilfe organisieren unsere Partner in Burundi deshalb seit zwei Jahren Jugendcamps. Für das Camp im Juli in Mweya versammelten sich 270 Jugendliche aus dem ganzen Land. Lobpreis, Lehre, Sport und Teile unseres Seminars «Erfolgreich studieren» bildeten eine offenbar gelungene Mischung: Viele der Jugendlichen warten schon jetzt auf das nächstjährige Camp! Auch für die kleine Delegation aus der Schweiz war die Reise ein prägendes Erlebnis. Einer der Teilnehmer beschreibt das einheimische Team wie folgt: «Es hat mich besonders beeindruckt, Menschen zu begegnen, die daran glauben, dass Gott ihr Land verändern wird – und dass er sie dazu gebrauchen möchte.»

• Links: Im Juli 2008 konnten wir erstmals für dreissig Pastoren ein intensives einwöchiges Grundlagenseminar über biblische Verwalterschaft anbieten. • Oben: Sport im Jugendcamp in Mweya; das Jugendcamp fand im Juli 2008 mit 270 Teilnehmern statt. • Unten: Die Leiter des Jugendcamps • Lobpreis während des Camps

In allen vier Bereichen wollen wir weiterhin jedes Jahr Schweizer Teams für kurzfristige Einsätze aussenden. Wir sehen ein grosses Potenzial im langfristigen Engagement der Teams vor Ort und punktuellen Einsätzen von Schweizer Teams. Interessenten können sich gerne bei mir melden – ein solcher Einsatz ist ein eindrückliches Erlebnis! 49


R E P O R TA G E

D as Trauma des Genozids verarbeiten Innere Heilung für ruandische Frauen «Was sollten wir als behütete Westeuropäerinnen diesen geschundenen Frauen schon bringen?!» Das war unsere bange Frage, mit der Luise Schwertfeger und ich im Mai 2008 zur Seelsorgekonferenz für ruandische Frauen aufbrachen. Wir waren als Referentinnen eingeladen - und konnten am Schluss nur staunen, wie Gott uns alle überraschte und beschenkte.

Sabine Fürbringer «Ich weiss nicht, wer mein leiblicher Vater ist; mehrere Männer in meinem familiären Umfeld kommen in Frage.» – «Ich wurde immer herumgeschoben in der Verwandtschaft. Weil ich einer ethnisch gemischten Ehe entstamme, hat mich niemand akzeptiert.» – «Ich habe selber ein Kind nach dem andern geboren in der Hoffnung, auf diese Weise dem Schmerz über mein eigenes Unerwünschtsein als Kind zu entkommen. Aber es hat nicht geholfen.» Das nur drei Aussagen aus einer zweistündigen Zeugnisserie im Rahmen unserer Seelsorgeschulung mit Frauen in Kigali, der Hauptstadt Ruandas. Der Genozid vor vierzehn Jahren, Unsicherheit, Flüchtlingsströme, ein überforderter Staat, Ungerechtigkeit und Gewalt, Armut - davon sind die ruandischen Frauen bis heute in einem besonderen Ausmass betroffen. Einerseits sind sie vornehmlich Opfer dieser Katastrophen, andererseits haben sie als Mütter die Schlüsselrolle in der Entwicklung der kommenden Generation inne. Campus für Christus in Ruanda unterstützt und fördert darum gezielt die soziale und geistliche Arbeit unter Frauen, den Hoffnungsträgerinnen und Lebensspenderinnen dieser Nation.

Christus in mir Es war für mich ein Wagnis, als westlich sozialisierte und denkende Frau diese Afrikanerinnen auf einen seelsorger50

lichen Weg mitzunehmen, zumal mein Einsatz mit zehn Tagen zeitlich eng begrenzt war. Im Jahr zuvor hatte ich meine erste Afrikareise überhaupt gemacht und Ruanda und das Schicksal dieses Landes näher kennengelernt. Es war ein Eintauchen in eine gänzlich fremde Welt. In den Begegnungen und Gesprächen erstaunte mich jedoch, trotz der dramatischen und andersartigen Lebensgeschichten ähnliche seelische Ablagerungen in den Frauenleben zu entdecken, wie sie mir auch von der Schweiz her vertraut sind: Minderwert, Angst, Resignation, Aggression das kenne ich nur zu gut aus unzähligen Gesprächen mit Frauen hier. Auch wenn die Auslöser für diese Reaktionen oft verborgener und subtiler daherkommen als im ruandischen Kontext, sind die Langzeitauswirkungen ebenso schädigend. Im Hinblick auf diesen Einsatz war mein Glaube immer wieder herausgefordert: Glaube ich, dass Gott mit diesen Schicksalen fertig wird? Glaube ich, dass seine Verheissung zu heilen, zu befreien und wiederherzustellen auch in diesen «Extremfällen» gilt? Wie kann ich, mit meinem vergleichsweise so behüteten Lebensweg, für diese Frauen überhaupt glaubwürdig sein? In den Vorbereitungen rückte der fachliche Aspekt immer mehr in den Hintergrund. Sicher könnte ich aus meinem Wissens- und Erfahrungsschatz einiges weitergeben. Aber immer wesentlicher wurde, dass der «Christus in mir» mit-

reist. Nicht, dass ich ihn völlig erfasst hätte, aber ich bin ja mit ihm schon 27 Jahre unterwegs. Und es könnte sein, dass ich gerade solche Aspekte seines Wesens entdecken durfte und nun widerspiegeln konnte, die diesen afrikanischen Frauen unbekannt waren. Dieses Bewusstsein hat meine Anspannung gelöst. Der Fokus rückte weg von meinem Können und Tun hin auf das, was er in mir ist. Und das würde auch kulturübergreifend Wirkung zeigen. Zudem reisten und unterrichteten wir als Zweierteam. Christus in Luise, meiner Reise- und Lehrpartnerin, brachte nochmals eine andere Ausgestaltung und berührte andere Aspekte. Was für ein Reichtum! Jesus hatte das sehr gut organisiert, als er die Jünger immer zu zweit aussandte - es kam und kommt so viel mehr an Kraft, Mut, Hoffnung, Glauben, Weisheit und Freude zusammen.

Das innere Haus Innere Heilung ist genau genommen ein Weg zu einer intimeren Art der Gottesbeziehung. Für die Frauen in Ruanda ist das ein unbekanntes Feld, und so ging es darum, sie zuallererst in diese Dimension hineinzuführen. Afrika denkt in Bildern – und so hat uns das Konzept eines inneren Hauses geleitet. Der inwendige Mensch ist wie ein Haus mit vielen Zimmern. Gott möchte, dass wir alle diese Räume bewohnen und so in der Fülle unseres Potenzials laufen. Doch die gefallene Welt, cz 4|08


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• Links: Sabine Fürbringer und Luise Schwertfeger. Oben: Die rund sechzig Teilnehmerinnen der Seelsorgeschulung im Mai 2008.

in der wir leben, führt zu Erlebnissen, die einzelne Zimmer verwüsten und unbewohnbar machen. In der Folge schliessen wir die Türen zu diesen Räumen. Jesus aber möchte mit uns diese Türen wieder öffnen und die Zimmer mit seiner Gegenwart erfüllen, damit Reinigung, Heilung und Wiederherstellung geschehen. Dieses Bild haben die Frauen aufgesogen und tief verstanden. Wir leiteten sie an, sich in Dreiergruppen über einzelne Räume auszutauschen und einander im Gebet zu dienen. Die afrikanischen Organisatorinnen der Konferenz waren zunächst äusserst skeptisch. In der angstbesetzten, verschlossenen Kultur des Landes schien diese neue Form von Offenheit undenkbar. Doch das Wunder geschah: Die Frauen wagten es, einander in ihre Abgründe blicken zu lassen, und erfuhren dabei grosse Erleichterung. Eine Teilnehmerin erzählte, wie sie in der darauffolgenden Nacht mit ihrem Mann, mit dem sie schon bald zwanzig Jahre verheiratet war, zum ersten Mal über solche Herzensthemen ins Gespräch kam. Darauf habe er ihr bisher verschwiegene, cz 4|08

schmerzhafte Dinge aus seiner Kindheit erzählt, und sie seien sich viel näher gekommen. Nicht, dass sie nicht geahnt hätten, dass da etwas im Verborgenen liegt, doch nun wurde das Geheimnis entkräftet. Nur schon das Darübersprechen brachte Erleichterung. Die Kraft Gottes, die dann durch das Gebet wirksam wurde, brachte tiefgreifende Heilung und Befreiung. Insbesondere die Themen Ablehnung und Angst haben wir gründlicher bearbeitet. Wir alle waren wie die Träumenden, die Freude über diese Entdeckung der Liebe Gottes war grenzenlos und setzte ganz neue Hoffnung frei.

Gott zieht in den Herzen ein Wir hatten es an diesen Konferenztagen mit im Glauben gefestigten Frauen zu tun. Zum Teil sind sie schon seit Jahren als Evangelistinnen oder geistliche Leiterinnen unterwegs. Dennoch fehlte ihnen bisher dieser ganz zarte und vertrauensvolle Zugang zum himmlischen Vater. Aber der Boden war bestens vorbereitet, sie konnten ihre Herzen weit öffnen und das neu Gehörte unmittelbar in ihren ei-

genen Erfahrungs- und Wissensschatz integrieren. Aus seelsorgerlichen Gesprächen hier in der Schweiz kenne ich dasselbe Phänomen: Es ist möglich, viel über Gott zu wissen und sich treu an seine Gebote zu halten, ihn mit aller Kraft zu lieben und dennoch nicht wirklich die Fülle des Lebens, das er uns schenken will, zu erfahren. Wir können nicht glauben, dass Jesus es tatsächlich so ernst meint mit seiner Verbindung mit uns, dass er alles, auch die hintersten Winkel unseres Seins, durchdringen will. Wir halten bestimmte Dinge zurück, weil wir uns schämen, weil es zu schmerzhaft wäre oder weil wir einfach nicht glauben können, dass er damit etwas anfangen kann oder sich dafür interessiert. Wir möchten ihm fertige Lösungen und den geheiligten Charakter präsentieren. Doch statt ihn damit zu beeindrucken, halten wir ihn letztlich fern von uns. So bleiben Aspekte unseres Lebens tot. Wenn wir aber ehrlich werden und Jesus in die unfertigen Baustellen unserer Seele hineinlassen, kann er uns seine Fülle schenken. 51


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Das Leben breitet sich aus

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In Ruanda zieht Gottes tiefgreifende Liebe und Erneuerung bereits Kreise. Einerseits waren Teilnehmerinnen aus Burundi und Kongo mit dabei, die diese Nachricht in ihre Heimatländer tragen. Andererseits sind da die Ehemänner, die mit grossem Erstaunen auf die Veränderungen im Leben ihrer Frauen reagieren. Etliche Rückmeldungen von Männern zeugen davon, dass auch hier die Herzen offen sind – auch sie möchten in dieser Art Gott neu begegnen und in eine grössere Freiheit hineinfinden. Für unsere ruandischen Schwestern ist damit neben den evangelistischen und praktisch-diakonischen Vorstössen, die sie bereits unternommen haben, ein

neues Feld des seelsorgerlichen Dienens hinzugekommen. Sie sind mehr als bereit, in dieser Art anderen Frauen zu dienen. Sie sind diejenigen, die die Kultur verstehen, die den Zugang zu den Frauen haben. Wir können ihnen mit Lehre unter die Arme greifen, sie ermutigen und mit unserer Freundschaft ausdrücken, dass Gott sie nicht vergessen hat, sondern innig um sie wirbt. Schliesslich sind wir selber als reich Beschenkte zurückgekehrt. Mein Glaube ist gestärkt und meine Hoffnung erweitert worden: Dass Gott mit Situationen fertig wird, die trostloser nicht sein könnten – wo Tod und Zerstörung, Angst und Resignation wohnten, ist neues Leben in Fülle eingezogen!

• Sabine und die Übersetzerin Jacqueline: Die Teams von Bibiche Matunda werden im Bereich von Seelsorge und innerer Heilung geschult.

WENN WIR UNS VERSÖHNEN Neu: Das Begleitheft zum Film «Wenn wir uns versöhnen» Wenn sich ein Mann aus Ruanda mit dem Mörder seiner Familienangehörigen versöhnen kann, dann sollte es auch für uns möglich sein, unsere Beziehungen in Ordnung zu bringen und auf Versöhnung hin zu arbeiten. Tom Sommer hat in Zusammenarbeit mit Philipp Frei ein Begleitheft zum Film «Wenn wir uns versöhnen» verfasst. «Auf dem Weg zur Versöhnung» wurde erarbeitet für Lehrpersonen und Mitarbeitende sozialer und kirchlicher Einrichtungen, die mit Oberstufenschülerinnen und -schülern oder in einer Weiterbildung das Thema Versöhnung behandeln. Aufgrund verschiedener gesellschaftlicher Aspekte wird deutlich gemacht (auch für Personen ohne explizit christlichen Hintergrund),dass das Thema Versöhnung allgegenwärtig ist. Vorbereitete Arbeitsblätter sind als PDF-Dokument zusammen mit dem Film auf der DVD gespeichert. 52

DVD und Begleitheft können bestellt werden bei Campus für Christus Schweiz: admin@cfc.ch oder Telefon 044 274 84 84. Die UNO hat 2009 zum Jahr der Versöhnung deklariert. Eine gute Gelegenheit,

sich mit dem Thema Versöhnung zu beschäftigen. Ein weiteres Buch zum Thema aus Kambodscha; Himm, Sokreasa. S: Die «Killing Fields» vergeben können? Basel: Brunnen Verlag 2008, ISBN 978-3-7655-4023-3. cz 4|08


reportage | ruanda und burundi

• Oben: Die Teilnehmer des Erfolgreich studieren Seminar, Campus für Christus arbeitet schon seit über 10 Jahren mit seinen Partnern unter den Studierenden in Ruanda. • Unten: Eine Witwe erhält als materielle Unterstützung eine Ziege.

K O L U M N E RUnterwegs O L Aerlebt N D

KU RT H

Übergänge Für die Menschen, denen wir an unseren über vierzehn Standorten dienen, ist der Tod viel näher und alltäglicher, und seine Bedeutung wird dadurch für sie auch viel direkter und normaler spürbar. Viele Christen in diesen Ländern sehen den Tod als einen Übergang in ein neues, schöneres Leben. Aber so eigenartig das klingen mag: Mich verlangte in den letzten zwanzig Jahren nie wirklich danach, diesen Übergang anzutreten. Dabei ist dieser Übergang nur der letzte von vielen Übergängen, die wir schon gemacht haben: Vom Schoss der Mutter treten wir ein in das Leben unter den Menschen. Wenn wir in die Schule kommen, vollziehen wir den Übergang vom Kreis der Familie zum Leben in grösserer Gemeinschaft. Heiraten wir, vollziehen wir den Übergang von einem Leben mit cz 4|08

• Roland Kurth ist Leiter von Agape international und 120 Tage im Jahr in den Einsatzgebieten unterwegs.

vielen Entscheidungsmöglichkeiten zu einem Leben, das an einen Menschen gebunden ist. Nehmen wir Abschied aus unserem Beruf, vollziehen wir den Übergang von einem Leben mit klar umrissenen Aufgaben zu einem Leben, das neue Kreativität und Einsichten fordert. Jeder dieser Übergänge ist ein «Tod», der zu neuem Leben führt. Ich habe mich entschieden, diese Übergänge bewusst zu leben und zu trainieren, um so besser auf meinen letzten Übergang vorbereitet zu sein. 53


N A T I O N A L cfc international

NEWSTICKER «Crescendo Summer Institute of the Arts»: Über Lebens- und Glaubensfragen nachdenken be. Viele junge Musik-, Kunst- und Schauspielstudierenden haben das Bedürfnis, sich während der unterrichtsfreien Zeit im Sommer weiterzubilden. Um dies zu ermöglichen und mit dem Anliegen, über Lebensund Glaubensfragen nachzudenken, organisierte Crescendo internatio­ nal zum fünften Mal das «Crescendo Summer Institute of the Arts». Vom 29. Juli bis 10. August 2008 trafen sich in Sárospatak, Ungarn, rund 180 Künstlerinnen und Künstler (Studierende und junge Berufstätige) sowie Fachleute und Mitarbeitende aus China, Japan, Ost- und Zentraleuropa, Kanada und den USA. Dozierende mit reicher Berufspraxis und mehrheitlich mit christlichem Hintergrund boten Meisterkurse, Orchesterprojekte, ein Theaterprojekt

und Aufführungen an. Eine junge Cellodozentin aus Belgien zum Beispiel brachte drei ihrer Studierenden mit, die sie im «Crescendo Summer Institute of the Arts» weiter unterrichtete. Die von gegenseitiger Wertschätzung geprägte Lernatmosphäre ermöglichte vielen Teilnehmenden, Schritte im Glauben zu tun und Seelsorge oder Gebet in Anspruch zu nehmen. Das «Crescendo Summer Institute of the Arts» findet grosses Echo in der Klassikszene und wurde vom ungarischen Klassikradio zum «Künstler der Woche» erklärt. 2009, im offiziellen Haydn-Jahr, plant Crescendo international für das «Crescendo Summer Institute of the Arts» ein Open Air und eine Opernaufführung.

Crescendo-Jahreskonferenz: Kunst, Kultur und Glaube zusammenbringen be. Neben dem «Crescendo Summer Institute of the Arts» ist die Jahres­ konferenz von Crescendo international das zweitgrösste CrescendoTreffen des Jahres. Rund hundert Musikerinnen und Musiker sowie andere Künstlerinnen und Künstler trafen sich vom 25. bis 28. September 2008 in Strassburg. Unter dem Motto «Zum Künstler berufen» ging es in Vorträgen, Workshops, öffentlichen Konzerten und Gebeten darum, die Teilnehmenden zum Christsein im Spannungsfeld Beruf – Berufung zu motivieren.

Höhepunkt der Konferenz war das evangelistische Konzert am 27. September, das unter dem Thema «Glaube, Liebe, Hoffnung» stand. Mit Musikstücken von Brahms und Mendelssohn sowie Texten aus den Psalmen und dem ersten Korintherbrief wollten die Veranstalter aufzeigen, wie sie den Glauben an Gott, Kultur und Musik zusammenbringen können. Nach dem Konzert kamen die Konzertbesucher beim Apéro mit den Musikerinnen und Künstlern ins angeregte Gespräch.

Sich auf das Gegenüber einlassen be. Viel einfacher und leichter als gedacht kamen in Hamburg drei Mitarbeitende von Campus für Christus Deutschland und vier Teilnehmende einer Evangelisationswoche mit Studierenden der Universität in ein Gespräch über den Glauben. «Diese Offenheit habe ich gar nicht erwartet!», fasst Steffi Baumgärtel, eine Teilnehmerin, ihre Erfahrung zusammen. «Wir argumentierten nicht über den Glauben, sondern versuchten, die ‹Türen› zu nutzen, die Gott öffnete», erklärt Simone aus Halle das Vorgehen.

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Esther Lerrahn und Christoph Dutschke, zwei Jahrespraktikanten der Studentenarbeit von Campus für Christus Deutschland, die vom 14. bis 20. Au­gust 2008 diese Projektwoche organisierten, wollten die Begeisterung aus der Kampagne «Campus meets Berlin», die im vergangenen März lief, ausnutzen und sich selber auch gleich in der Projektorganisation üben. Prinzipiell sucht Campus für Christus Deutschland immer neue Mitarbeitende – auch für das Jahresteam in Hamburg. Was könnte da besser passen, als zu zeigen, dass es Spass macht, den Glauben weiterzugeben? Insgesamt sei es zu etwa zwanzig Gesprächen gekommen.

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C F C - N A Windprojekt von Agape ausgezeichnet Alstom Unternehmensstiftung zeichnet Windprojekt von Agape international in Nordkorea aus

Brigitte Eggmann Zusammen mit zehn weiteren Projekten hat die Alstom Unternehmensstiftung am 17. September 2008 in Paris das Windprojekt in Nordkorea von Agape international ausgezeichnet. Stefan und Anita Burckhardt von Agape international und Mitarbeitende des Alternativenergiezentrums in Pyongyang arbeiten zusammen an der Entwicklung und dem Bau von Kleinwindrädern zur Energiegewinnung in ländlichen Gebieten. Diese Kooperation erfüllt die Zielsetzung der Stiftung, lokale Initiativen im Bereich des nachhaltigen Umweltschutzes zu fördern.

Alstom selektiert die zu unterstützenden Projekte aufgrund von Anträgen aus der eigenen Mitarbeiterschaft. Von 24 einge­ reichten Vorschlägen aus 17 Ländern sind in einem mehrstufigen Verfahren 11 ausgewählt und ausgezeichnet worden. Der in über 70 Ländern tätige Transport- und Energiekonzern will mit der im November 2007 gegründeten Stiftung seine Umwelt- und Sozialverantwortung verstärkt wahrnehmen und stellt dafür jährlich eine Million Euro zur Verfügung.

• Als Christen relevant für die Umweltstiftung Alstom: Anita und Stefan Burckhardt bei der Preisverleihung auf dem Seine-Restaurantschiff

Weitere Infos: www.agape.ch/nordkorea

«Paquebot» in Paris.

25 Jahre Frauenfrühstückstreffen Die Jubiläumsfeier von Frauen für Frauen

Mirjam Fisch

«So schön, dich wieder mal zu sehen!» Strahlende Frauen umarmen sich im festlich geschmückten Saal des Hotels Spirgarten in Zürich. Aus der ganzen Schweiz sind sie angereist, um am 6. September 2008 das 25-Jahr-Jubi­ läum ihrer Bewegung zu feiern. Die Gründerin Barbara Jakob arbeitet heute als Coach und Geschäftsführerin. «Die Liebe wird in vielen erkalten, steht in der Bibel», erklärt sie. Dies erlebe sie in ihrem Umfeld. Sie weist in ihrem Referat auf die Herausforderungen der Frauen im 21. Jahrhundert hin und betont: «Wir dürfen nicht aufhören, Licht und Salz zu sein in unserer Gesellschaft.» Als Zukunftsperspektive für die Frauenfrühstückstreffen (FFT) fasse sie die Bedürfnisse der jungen Mütter ins Auge, die erwerbstätig sind.

Der langjährigen Koordinatorin Marianne Hirzel liegen besonders die Migrantinnen am Herzen, Rita Piguet empfindet stark, dass noch klarer von Jesus Christus als Hauptsache der Frühstückstreffen gesprochen werden müsse. Dies drückt auch die neue Schweizer Leiterin Maja Guidon aus. Hanspeter Nüesch, Leiter von Campus für Christus, lobt die Frauen: «Ihr Frauen habt weniger Angst vor Gesichtsverlust als die Männer», erklärt er. FFF heisse bei ihm nicht Frühstückstreffen von Frauen für Frauen, sondern fromm, fröhlich, frech. «Seid im guten Sinn weiterhin frech in der Verbreitung des Evangeliums, das heisst, auf frauliche, charmante Art mutig!» Dies haben die Anwesenden vor. Sie begründen ihr Engagement für andere Frauen mit der Ermutigung, die sie selber durch die Mitarbeit erfahren haben. Und mit der Beziehung zu Jesus, die viele durch die Angebote der Treffen gefunden haben. «Ich bin der Frau ewig dankbar, die mich damals immer wieder eingeladen hat»,

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stellt Bea Steiner aus Schaffhausen fest. Und Ruth Steiner aus Ebnat-Kappel meint: «Ich wünsche mir, dass noch mehr Frauen, auch Aussteigerinnen wie ich, durch die Frühstückstreffen den Weg zu Jesus finden.»

• Die Jubiläumsfeier motivierte Mitarbeiterinnen aus Appenzell neu, sich weiter dafür einzusetzen, dass Frauen durch die Frühstückstreffen Jesus kennenlernen können.

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A T I O N A L cfc schweiz

Das Genfprojekt

Arabische Touristen mit Jesus bekannt machen

Brigitte Eggmann «Und weil das mir viel bedeutet, bin ich gekommen, um es mit dir zu teilen. Und du antwortest mir auf diese Art?», entgegnete Sameh1 dem Mann, der aufgebracht schimpfte, als er eine Jesus-DVD angeboten bekam. Doch dann meinte dieser betroffen: «Ich sehe, dass du ein besserer Mensch bist als ich. Bitte vergib mir.» Das war nur eine der Reaktionen, welche die Teilnehmenden des 9. Genfprojektes von Agape international mit nach Hause nehmen konnten. Um arabischen Touristen den christlichen Glauben vorzustellen, reisten sie aus den USA, Ägypten und dem Libanon an. Viele nahmen zum wie-

derholten Mal teil und kamen mit der ganzen Familie. Wenn sie arabische Worshiplieder sangen, blieben immer wieder Passanten stehen, hörten zu, liessen sich auf ein Gespräch ein. Der eine oder die andere hatte bereits in früheren Jahren schon einmal ein Neues Testament oder eine Jesus-DVD geschenkt bekommen, setzt sich seither ernsthaft mit Fragen des Glaubens auseinander und sucht Antworten. Wie der junge Mann, der erzählte, er glaubte an das Christentum, hätte aber mit der Dreifaltigkeit und dem Gedanken, dass Gott einen Sohn hätte, Probleme. Eine Nordafrikanerin entschied sich sogar spontan, auf einen Einsatz mitzukommen. Vor vier Jahren hätte sie eine DVD geschenkt bekommen, aber mit dem Inhalt nicht viel anfangen können.

Inzwischen hatte sich ihr Leben so verändert, dass sie nun selbst voller Freude auf arabische Frauen zuging und sie auf den Glauben an Jesus ansprach. 1

Name geändert

• In den letzten Jahren sind zahllose Jesus-DVDs und andere Materialien verteilt worden: Langsam wird die Frucht sichtbar.

Jesus-Film: 95 Sprachen auf 6 DVDs! Die grösste Auswahl in Europa

Johanna Vollenweider

2004 stellten Dieter und Ruth Förster fest, dass es für Videos wohl bald keinen Markt mehr gebe – und begannen, den Jesus-Film in fast 100 Sprachen für DVD aufzubereiten. «Das Bildmaterial war ja immer dasselbe, doch mussten wir uns die Sprachdateien, Titel, Grafiken, das Menü und den Vorspann bei Campus International besorgen», erklärt Dieter Förster. Dabei haben Ruth und Dieter Förster viel Flexibilität bewiesen, wie etwa das Beispiel der finnischen Sprachdatei zeigt: «Weil diese korrumpiert war, musste ich die finnischen Untertitel direkt vor dem Fernseher abschreiben», erzählt Ruth Förster. Den abgeschriebenen Text schick­ te sie zur Korrektur nach Finnland. Sobald die DVD fertiggestellt war, die neben Finnisch noch

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15 weitere nordosteuropäische Sprachen enthält, bestellten die Finnen, vom Resultat begeistert, gleich eine ganze Ladung DVDs, um sie auch in ihren Nachbarländern weiterzugeben. Die letzte DVD mit 24 afrikanischen Sprachen ist im Sommer 2008 fertig geworden. Neu verfügbar in 8 Sprachen ist der Vorspann für Moslems, der in den USA kreiert wurde. Er beginnt bei Adam und Eva, geht weiter zu Abraham und dem Widder als stellvertretendes Opfer für Isaak (bei den Moslems Ismael) und dann zu den Propheten. Nach der Frage «Könnte es nicht sein, dass Jesus dieser Messias ist, der stellvertretend für uns starb?» wird der Zuschauer aufgefordert, sich im anschliessenden Jesus-Film das Leben und Wirken Jesu genauer anzuschauen. Aktuell arbeiten Ruth und Dieter Förster an einer DVD für Touristen. «Switzerland – More than chocolate and cheese» ist eine 30-minütige Dokumentation, die den Touristen die Schweiz

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vorstellt: Landschaft, Kultur, Tradition, Technologie sowie die christlichen Wurzeln unserer Nation, die dann zum Jesus-Film in 32 Sprachen überleiten. «Wir wollen das Interesse der Einwanderer und Touristen an unserem Land nutzen, um ihnen Jesus näherzubringen», erzählt Ruth Förster mit leuchtenden Augen. Die DVD ist ab Ende 2008 lieferbar.

• Ruth und Dieter Förster arbeiten seit acht Jahren für den Jesus-Film-Dienst und haben in dieser Zeit über 55 000 Kopien des Jesus-Films unter die Leute gebracht. Die DVDs haben alle deutsche, französische, italienische und englische Untertitel.


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Jugend-Alphalive-DVD

KOLUMNE Medien BAUMGARTNER Der Exodus in die virtuelle Welt

Johanna Vollenweider

Für die Schweizer Jugend gibt es jetzt eine freakige Alphalive-DVD mit Andreas Boppart, Gisele Zürcher und Mike Zurbrügg.

• Die neue Alphalive-DVD

Locker und humorvoll erzählt das junge Referententeam seinem Publikum die Gute Nachricht von Jesus. «Von März bis Juni 2008 haben wir die Aufnahmen gemacht», erzählt Janine Oesch-Höfliger, Mitarbeiterin bei Campus Generation, und fügt an, es sei europaweit die erste professionelle Alphalive-DVD für Jugendliche. Die Idee entstand aus Rückmeldungen von Pfarrern und älteren Christen: «Wir haben alles zur Verfügung für einen Kurs, doch fehlen uns noch die Referenten.» Oder: «Wir selber sprechen die Jungen einfach nicht an.» Einige Kurse scheiterten gar an diesem Problem. Im Sommer 2007 beschloss das Team von Jugend Alphalive, Alphalive England um grünes Licht für das DVDProjekt zu bitten. «Ja, versucht das», war die Antwort. Die einzige Bedingung war die professionelle Filmqualität. Von der Probeaufnahme, die sie später zugeschickt bekamen, waren sie begeistert: «You Swiss did a phantastic job!» «Am Anfang hatte ich ganz schön Lampenfieber», berichtet Gisele Zürcher, «wenn ich daran dachte, dass

alles festgehalten wird und ich wieder von vorn beginnen muss, wenn ein Patzer passiert. Ich musste mich auch daran gewöhnen, stillzustehen, denn normalerweise rede ich vor Publikum, blicke ich in die Runde, gestikuliere und bewege mich viel mehr.» Neben den Inputs von Gisele und Boppi gibt es auf der DVD einen Experten – Mike Zurbrügg – sowie einige Kinder, die verschiedene Fragen zum jeweiligen Thema beantworten. Seine gute Qualität verdankt die DVD zu einem grossen Teil Benjamin Müller und Matthias Schelker, die als Praktikanten je vier Monate lang das Filmmaterial für die DVD verarbeiteten. Beide hatten kurz zuvor das Gymnasium abgeschlossen und interessierten sich fürs Filmemachen. Noch bevor die Jugend-AlphaliveDVD versandbereit war, hatte Janine Oesch-Höfliger schon rund zwanzig Anfragen erhalten. Als Nächstes ist ein Teilnehmerheft geplant, das genau auf die DVD abgestimmt ist. Weitere Informationen und einen Ausschnitt aus der DVD finden Sie unter

Das Spielen von Videogames auf dem Computer wird zusehends zur gesellschaftlich akzeptierten Normalität. Der Bremer Professor Andreas Hepp und der Trierer Soziologe Waldemar Vogelgesang sehen in den Gewaltorgien von Spielen wie «Counter-Strike» oder «Doom» einen «Befreiungsversuch von den Rationalitätsanforderungen und der Problembeladenheit der modernen Alltagsrealität». Mit anderen Worten: Der Alltag ist so belastend geworden, dass sich Computerspieler ihren eigenen Freiraum einrichten, in dem sie ungestraft ausser Kontrolle geraten dürfen. Das tun mittlerweile schon 37 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren. Damit befindet sich ein wachsender Teil der Menschen auf dem Exodus. Leider nicht ins verheissene Land, sondern immer öfter in die virtuelle Fantasywelt. Allein das Onlinespiel «World of Warcraft» zählt über zehn Millionen Abonnenten. Das sind mehr Menschen, als in der Schweiz oder in Schweden leben. Das starke Wachstum hat auch die Musikindustrie entdeckt, die neue Hits zusammen mit Videospielen lancieren will. Professor Edward Castronova von der US-Universität in Indiana erwartet, dass aufgrund der Videospiele «das 21. Jahrhundert eine grössere gesellschaftliche Umwälzung erleben wird als durch die Erfindung des Automobils, des Radios und des TV zusammen». Wenn ein wachsender Teil der Menschheit sich in virtuelle Welten verabschiedet und in dieser Zeit keinen Beitrag zur realen Welt leistet, wird das nicht ohne Folgen bleiben. Die Wissenschaftler erwarten, dass Computerspiele künftig noch mehr als bisher den Alltag durchdringen und damit auch kulturprägend wirken. Und wie prägen die Kirchen?

www.youthalpha.ch

• Markus Baumgartner ist Kommunikationsberater und Präsi• Boppi bei den Filmaufnahmen 58

dent von cnm (www.cnm.ch). cz 4|08


C-LEADERS leiterschaft

Christliche Leiterinnen und Leiter dienen christlichen Leiterinnen und Leitern C-Leaders Fachschule gut unterwegs

FFeedbacks E E D B A C K S

Als Mitglied des Fachrats habe ich Markus Züger gefragt, welches Fazit er nach drei C-Leaders Jahreskursen zieht.

«Die verschiedenen Themen sind so aufgebaut, dass ein komplexes Verständnis für Leiterschaft und Gemeindebau entsteht. Herz und Intellekt spielen beim Schulleiter so ineinander, dass Vertrauen wächst und Persönlichkeitsentwicklung wirklich möglich wird.» Sabine Aschmann, Pfarrerin

Peter Höhn Peter Höhn: Deine Motivation, C-Leaders zu gründen? Markus Züger: Zuerst mal der selten so klar erhaltene Auftrag von Gott, eine solche Schule zu gründen. Das war am 14. Januar 2004 anlässlich einer meiner persönlichen Stille-Retraiten. Dabei beschäftigen mich die enormen Anforderungen an Leiterinnen und Leiter von heute, gleichzeitig das oft mangelnde Know-how, wie man Mitarbeitende und Gemeinden effektiv und geistgeleitet führt. Zudem habe ich einfach Freude, Leiterinnen und Leiter im Finden ihrer Berufung zu unterstützen und sie beim Entdecken ihrer Potenziale und Möglichkeiten zu begleiten. Die Teilnehmenden? Genau zwanzig Frauen und zwanzig Männer haben die ganze Jahresschule besucht, vierzig Männer und dreissig Frauen haben einzelne oder mehrere Kurstage besucht. Die Hintergründe? Die Teilnehmenden sind zu gleichen Anteilen Pastoren/Pfarrerinnen, Gemeindeleicz 4|08

ter/-älteste, Jugendverantwortliche sowie Leiterinnen aus christlichen Werken. Die Altersspanne geht von dreissig bis sechzig Jahren, der Hauptanteil ist zwischen fünfunddreissig und fünfzig Jahre alt. Einzigartig ist ...? Das Klima der Wertschätzung, Offenheit und gegenseitigen Stärkung; der hohe Praxisbezug; das Verschmelzen von Managementwissen und geistlicher Leiterschaft; das Reflektieren der eigenen Leitungsaufgabe mit einem Coach; das vertiefte Entdecken, wie man seine Potenziale und Gaben besser nutzt; der Verzicht auf eine Diplomarbeit. Selber neu entdeckt hast du ...? Die Vielfalt und Offenheit der Fachreferentinnen und -referenten, von denen auch ich selber immer wieder lernen kann. Mich freut, wie einzelne Denominationen und Werke voneinander lernen und der Leib Jesu dadurch mehr zusammenwächst. Mich motiviert, wie Teilnehmende ermutigt werden, vor Ort ihre Verantwortung noch besser wahrzunehmen.

von Teilnehmenden

«Die Fachschule bietet eine echte lebens- und praxisnahe Orientierungshilfe für Menschen in christlichen Leitungssituationen.» Werner Baumann, El.-Ing. HTL/NDS, leitet mit seiner Frau das «Bait Shalom Hausgemeinde-Netz» «Mich motiviert die fachliche und professionelle Kompetenz verbunden mit geistlichen Inhalten, aber auch Fun und Freude sehr.» Annette Walder, Geschäftsführerin CSI «Die von mir gestellten schriftlichen Ziele beginnen sich konkret zu erfüllen. Die Veränderung auf persönlicher und leiterschaftlicher Ebene ist in vollem Gang.» Roland Laubscher, Leiter Gebetshaus Bartimäus

• Barbara und Peter Höhn im fröhlichen Gespräch mit Markus Züger und Teilnehmenden 59


ZUM THEMA FU ZUM THEMA TRAUERN UND TRÖSTEN Buc ht i p p s un d we ite r f ü h re n d e Lite ra t u r Sittser, Gerald Trotzdem will ich das Leben lieben. Wie ein grosser Verlust zum Segen werden kann – Eine Lebensgeschichte. Giessen: Brunnen Verlag 2006 ISBN 978-3-7655-1922-2.

Risch, Hannelore Gott tröstet. Von der Kraft, die Trauer zu überwinden. Wuppertal: R. Brockhaus 1992 ISBN 3-4172-0331-7, www.antiqbook.de.

Kettling, Siegfried Du gibst mich nicht dem Tode preis. Eine biblisch-theologische Grundlegung und persönliche Erfahrung. Wuppertal: R. Brockhaus/Aussaat.

Burnham, Betsy: Sterben in den besten Jahren. Erwartungen des Kranken, der weiss, dass sein Leiden unheilbar ist. Lahr: Johannis 1994 ISBN 978-3-88002-556-1.

Dunn, Ronald Wenn Gott schweigt. Lahr: Johannis 1996 ISBN 978-3-501-01277-2.

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Elliot, Elisabeth Wege durch das Leiden. Führung in schweren Zeiten. Holzgerlingen: Hänssler 1996 ISBN 3-7751-2594-9.

Wälde, Rainer Bis zur Tür des Himmels. Die letzten 300 Tage mit Bettina. Asslar: Gerth Medien 1999 ISBN 978-3-894-37627-7.

Strobel, Lee Warum? Wie kann ein liebender Gott Leid zulassen. Asslar: Gerth Medien 2006 ISBN: 978-3-86591-830-7.

Scherer, Kurt Mein Gott, mein Gott, warum? Antiquarisch über www.hood.de.

Bowen, Deborah E., Strickler, Susan L. Trösten, wenn die Worte fehlen Trauernde in ihrem Schmerz begleiten. Wuppertal: R. Brockhaus 2004 ISBN 3-417-24872-8.

Renz, Monika Zeugnisse Sterbender Todesnähe als Wandlung und letzte Reifung. Mit Ideenkarteien für Betreuer und Angehörige sowie den 10 häufigsten Fragen zum Thema. Paderborn: Junfermann 2005 ISBN 978-3-87387-622-4.

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«Über die Trauer» von Clive S. Lewis Im April 1956 heiratete Clive S. Lewis, Autor von «Die Chroniken von Narnia» und eingefleischter Junggeselle, die amerikanische Lyrikerin Joy Davidman. Sie bringt ihre zwei kleinen Söhne mit in die Ehe. Nach vier kurzen, aber immens glücklichen Jahren stirbt sie nach einer langen und qualvollen Leidenszeit an Krebs. Um nicht völlig den Verstand zu verlieren, schreibt sich Lewis in den Monaten nach ihrem Tod seinen Schmerz, seine Zweifel und seine Wut von der Seele. Die Zitate auf dieser Seite schildern bruchstückhaft sein Ringen um seinen Glauben an einen «guten» Gott und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens. Im Schreiben findet er ebenfalls seinen Weg zurück ins Leben.

«Niemand hat mir je gesagt, dass das Gefühl der Trauer so sehr dem Gefühl der Angst gleicht. Ich fürchte mich nicht, aber die Empfindung gleicht der Furcht. Das gleiche Flattern im Magen, die gleiche Unrast, Ich muss die ganze Zeit schlucken. Zu anderen Zeiten habe ich das Gefühl leichter Benommenheit. Zwischen mir und der Welt steht eine unsichtbare Wand. Es fällt mir schwer zu verstehen, was die Leute sagen; oder vielleicht, es verstehen zu wollen. Es ist so belanglos. Und doch will ich Menschen um mich haben. Ich scheue den Augenblick, wo das Haus leer steht. Wenn sie bloss untereinander reden wollten und nicht mit mir.»

«Warum gebe ich im Geist solchem Schmutz und Unsinn Raum? Hoffe ich, weniger zu fühlen, wenn sich das Gefühl als Denken verkleidet? Sind all diese Aufzeichnungen nicht das sinnlose Sich-Winden eines Mannes, der die Tatsache nicht wahrhaben will, dass sich mit Leid nichts anders tun lässt, als es eben leiden? Der noch immer meint, es müsse ein Mittel geben (könnte er es bloss finden!), aus Schmerz Nicht-Schmerz zu machen.»

«Etwas ganz Unerwartetes ist geschehen. Heute früh. Aus verschiedenen Gründen, die überhaupt nichts Geheimnisvolles an sich haben, war mir leichter ums Herz als seit Wochen. Erstens erhole ich mich einfach von körperlicher Erschöpfung. Und am Tag zuvor habe ich zwölf sehr ermüdende, aber sehr gesunde Stunden verbracht und nachts besser geschlafen; und nach zehn Tagen tiefhängenden grauen Himmels und warmer, feuchter Windstille schien die Sonne, und es wehte ein Lüftchen. Und in dem Augenblick wo ich um H. die bisher mindeste Trauer empfand, erinnerte ich mich ihrer plötzlich am klarsten. Ja, es war (beinahe) besser als blosse Erinnerung; ein augenblicklicher, unbestreitbarer Eindruck. Es eine Begegnung zu nennen ginge zu weit. Und doch war daran etwas, was einem dieses Wort auf die Zunge legt. Es war, als hebe sich mit der Aufhellung des Kummers eine Schranke.» Zusammengestellt von Brigitte Eggmann, Nachdruck aus «Über die Trauer» von Clive. S. Lewis, insel taschenbuch, Patmos Verlag.


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