
4 minute read
Wenn Gehörlose singen
Hörende und Nichthörende singen neuerdings gemeinsam in Freiburg. Der Verein Zeug & Quer möchte mit dem Gebärdenchor „Singende Hände“ Brücken bauen. Die ersten zwei Auftritte sind geglückt. Doch der Weg dahin war intensiv. Für Teilnehmende ist das Angebot ein bisher nie Dagewesenes.
Zwei Frauen aus Freiburg bauen eine Gesangsgruppe auf, die wohl ihresgleichen sucht: Sophia Kirstein (hörend) und Stephanie MündelMöhr (taub) leiten gemeinsam den inklusiven Chor „Singende Hände“. 20 Menschen machen mit – 10 haben ein Hör-Handicap, die anderen nicht.
Advertisement
Die Idee kam Kirstein während des Lehramtstudiums an der Musikhochschule Freiburg. Dort wollte die 28-Jährige für ein pädagogisch-künstlerisches Projekt Chormusik und Gebärdenpoesie verbinden. Letzteres ist eine Kunstform der Gebärdensprache. „Sie arbeitet viel mit sowas wie Laut und Leise, aber dann in großen und kleinen oder langsamen und schnellen Bewegungen. Oder auch mit Reimen, die mit bestimmten Bewegungen oder Buchstaben ausgedrückt werden“, erklärt Kirstein.
Über den Gehörlosenbund Breisgauperle kam sie an ihre Kollegin Mündel-Möhr. Die war „Feuer und Flamme“. Die Aufgaben teilt sich das Duo auf: Kirstein übt Singen mit den Hörenden. Mündel-Möhr übernimmt das Üben der Gebärdenpoesie mit den Gehörlosen. Dann bringen sie mit der Gruppe beides zusammen. „Das Ziel ist, dass man nicht mehr erkennt, wer von denen auf der Bühne hörend oder gehör - los ist“, erklärt Kirstein. Die Nichthörenden machen dabei zumindest Lippenbewegungen. so, als würde man eine Sprache sprechen und gleichzeitig in einer anderen singen.
Geglückt ist das bereits zweimal: Die Gruppe stand im Mai beim inklusiven Spieletag im Quartier Vauban auf der Bühne und auf dem Platz der Alten Synagoge beim Inklusionstag Freiburg. Drei Stücke hat das Ensemble drauf: ein alemannisches Volkslied, einen Kanon von Beethoven und ein Stück des finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara.
„Es ist eine Menge Arbeit“, erklärt Mündel-Möhr. Das Kernteam treffe sich, um die Lieder vorzubereiten. Dabei wird der Text in Gebärdensprache übersetzt. Dann wiederum in Gedichtform, also Gebärdenpoesie. „Zuletzt müssen wir sehen, ob die Gebärden zum Rhythmus der Lieder passen“, erklärt die Chorleiterin. Die Krux dabei: „Wir müssen einen Weg finden, beides miteinander zu verbinden.“ Das sei
Für die Deaf-Performerin (deaf = taub) und Schauspielerin MündelMöhr kann der Chor Teilhabe ermöglichen: „Zu oft werden taube Leute isoliert und von Veranstaltungen und dem täglichen Leben ausgeschlossen.“ Gebärdensprache könne durch das Projekt bekannter werden. Und Menschen, die bisher keine Erfahrung mit Musik machen konnten, tauchen in eine neue Welt ein. Kirstein berichtet vom für sie schönsten Feedback: „Die meisten Nichthörenden sagen, in der Schule hätten sie nie irgendwas mit Musik gemacht oder gelernt. Auf einmal hätten sie hier das Gefühl, sie könnten singen.“
Ihres Wissens gibt es in Deutschland keinen zweiten Chor in diesem Format, der so kontinuierlich am Start ist. Kirsteins Vision: den Chor in der Kulturszene zu etablieren und in größeren Sälen aufzutreten. Beispielsweise im Konzerthaus.

BEACH BLUES BEACH BLUES (EP) Alternative-Rock


... zur Hölle
Die Freiburger Geschmackspolizei ermittelt schon seit fast 20 Jahren gegen Geschmacksverbrechen – nicht nur, aber vor allem in der Musik. Für die cultur.zeit verhaftet Ralf Welteroth in jeder Ausgabe geschmacklose Werke von Künstlern, die das geschmackliche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich beeinträchtigen.
Retro-Vibe
(pl). Classic Rock, Surf Rock, Blues, Funk, eine Prise Soul – die Einflüsse auf der Debüt-EP des Freiburger Trios Beach Blues sind breit gefächert. Vielen dürften die Musiker aus der sechsköpfigen Band Cosmic Mints bekannt sein. Nachdem die Anfang des Jahres ihre neue EP vorgelegt haben, ziehen Beach Blues jetzt nach.
Die drei Songs überzeugen mit Abwechslung und coolem Retro-Vibe. Highlight der Platte ist „Drunkhead’s Tale“. Sänger und Bassist Niclas Soddemann drückt dem Song mit flehender Reibeisenstimme seinen Stempel auf, musikalisch erinnert die bluesgetränkte Nummer an den US-amerikanischen Musiker Tom Waits. In dem verrucht klingenden Song geht’s mit Zeilen wie „And though it feels already like the end I’ll stick to you, my liquid friend“ um den Umgang mit Alkohol.
„Communicate with the Damned“ lässt mit düsterem Sound an die Doors denken – auch wenn bei den Freiburgern leider keine Orgel zu hören ist. Mit „Out of the Blue“ schlägt das Trio ruhige Töne an, der von Attilio Ferrareses Akustik-Gitarre geprägte Titel kommt folkig daher. Aufs Schlagzeug muss Sven Maurer hier verzichten.
Im Gespräch verraten Soddemann und Ferrarese, dass sie eine zweite EP in der Pipeline haben. Hoffentlich hält die das hohe Niveau des Erstlings.
In der Schwebe
(tln). Der Freiburger Rapper Lence hat drei EPs veröffentlicht. Jetzt droppt „sir.lencelot“ mit „Sag einfach du“ eine Single mit Video made im Breisgau. Der Newcomer setzt auf deutsche Texte, Kopfnickbeats und Storytelling. So auch im Song rund um seine Zukunftsplanung. Er ist fertig mit dem Studium und muss sich entscheiden, wie es weitergeht.

Der Mann mit der nach hinten gedrehten Cap kommt mit ZickzackFlow auf einem funkigen Basslauf daher. „Nix ist so schlimm wie Gefühle, die ab und an da sind und dann sich meiner Wahrnehmung wieder entziehen“, rappt er sich den Schwebezustand von der Seele. Trotz der rollenden Reime kommt das entspannt. Und erhält mit Synthies im Refrain eine extra druckvolle Note.
Gut produziert ist das und hörenswert. Auch wenn der ein oder andere Überraschungsmoment fehlt. Das Video dazu ist in Kooperation mit dem Jugendhilfswerk Freiburg und dem Projekt „Soundcheck“ entstanden. Die Qualität der Aufnahmen fällt etwas ab. Da hätte sich ein größeres Budget lohnen können.
Denn die Musik hat Potenzial. Auch dank detailverliebter Breaks im Beat von koloro. Ein Duo, das mit erfrischendem Sound daherkommt – und mit soulig-cleanem HipHop fast schon etwas retro klingt.
SAU tot. Das gleichnamige Jagdsignal ist nicht wirklich ein musikalischer Leckerbissen, aber solide, schlicht, eindeutig, funktional und mit einer Länge von 30 Sekunden durchaus im Rahmen des zeitlich Erträglichen. Wir geben grünes Licht.
Wogegen wir allerdings vehement vorgehen müssen, ist das Oeuvre von Kim Merz. Nie gehört? Gut so. Der Mann war in den frühen 80ern einigermaßen bekannt als Sänger der Band Wallenstein. Unangenehmer Rock der Sorte Nomen est schlechtes Omen.
Danach machte er solo weiter und dabei wurde es erst so richtig kriminell: Mit „SAUmäßig stark“ oder auch „Der Typ neben ihr“, aus dem exemplarisch hier zitiert werden muss.
„Sie sieht sehr gut aus, doch sie ist nicht allein, und der Typ neben ihr trinkt lässig sein Bier. Alles gäb ich dafür her, wirklich alles gäb ich dafür her, wär ich nur der Typ neben ihr, oder noch viel besser, käm die Kleine gleich mit zu mir …“
Noch Fragen? Die Pointe zum Schluss: „Wahnsinn“ von Wolfgang Petry hat wer wohl für diesen geschrieben? Genau. Die Hölle, Hölle, Hölle ist immer nur einen 4/4-Takt entfernt.
Diabolisch grüßt für Ihre Geschmackspolizei Ralf Welteroth