Magazin für das Prinzip einer kleinen Welt.
01 Über sechs Ecken THORSTEN SCHMIDT über die absichtliche Suche nach globalen Zufällen
Mein musikalischer Zwillingsbruder JÜRGEN VON RUTENBERG über last.fm
Pimp my life Silke Werzinger über das Bewusstsein für die
Deutschland 8,30 € * Schweiz 16,30 SFR * Österreich 9,00 € Ausgabe_Q03, 07. Juli 2009
eigene Identitätsdarstellung im Internet.
Who is out there?
RINNEKIN SCHÜLER über unsichtbare Verbindungen und unverhoffte Begegnungen in Alltagsituationen.
_note
Je planmäßiger der Mensch vorgeht, um so wirkungsvoller trifft ihn der Zufall. Friedrich Dürrenmatt
Durch mich gebiert das Netz die Kunst nur aus sich selbst heraus. Nicht schlicht reproduktiver Natur, repräsentiere ich vielmehr die kontinuierliche Evolution des Wortes, das sich Bahn brechen will aus der Gefangenschaft gestalterischer Experimente in die Freiheit des öffentlichen Raums. Vielleicht bald schon befreit aus den Fängen nackter Funktionalität, wird sich meine wahre Bestimmung in der Entwicklung eines freien Bewusstseins offenbaren. Dies ist sonst eher ein Blindtext. Bitte beachteden weiteren Inhalt dieses Textes nicht. Mit der Blindheit per
Definition geschlagen — dennoch nicht unsichtbar — präsentiere ich mich als unbeachtetes und ungeliebtes Stiefkind zeitgenössischer Literatur.
Thorsten Schmidt, Chefredakteur
— 003
004 —
FORMAT .... FORMLOS .. REALITÄT .................................... VIRTUALITÄT ........................................................ FORMLOS ............. KOMMENTAR
REALITÄT
FORMLOS —
Das Artefakt _06 Danbo ist kein dänischer Weichkäse —
—
12_
16_
Nicht jeder Zufall ist auch zufällig _104
FILIP CHUDZINSKI
30_
Thorsten Schmidt ... im Untergrund. RINNEKIN SCHÜLER
Unverhoffte Begegnungen in Alltagsituationen — anders visualisiert und daher sichtbar. —
Echo: Hast Du Facebook? _116 JÜRGEN VON RUTENBERG
Kolumne
Über sechs Ecken, Teil (1) Über die absichtliche Suche nach globalen Zufällen der rein menschlichen Art. —
Daniel A. Becker
Experimente, die das rätselhafte Zusammenspiel von Chaos und Ordnung im Zufall zeigen. —
Human Globaler Zufall Die kleinen Erlebnisse aus dem Leben. —
38_
Mit sechs Augen: Chaotisch oder konform? David Kleingers
Drei verschiedene Menschen haben das Ereignis aus verschiedenen Perspektiven miterlebt.
FORMAT —
Note _03 Ein Wort von uns. —
Impressum _07
VIRTUALITÄT —
54_
Ein Wort über uns. —
Daniel A. Becker
Die iranische Regierung geht gegen Andersdenkende mit äußerster Härte vor, Twitter nimmt derzeit die Position eines wichtigen politischen Instrumentariums ein und bringt Menschen, Schicksale näher. —
Medien, Männer, Milchkaffee _112 Ein Wort über andere(s). —
Vorschau _115 Ausgabe_02
Twitter macht noch keine Demokratie
64_
Mein musikalischer Zwillingsbruder JÜRGEN VON RUTENBERG
Kann man Menschen nach ihrem Musikgeschmack beurteilen? Die Antwort, die Last.fm errechnet hat, lautet: Ja. —
78_
24 Stunden Flickr: Berlin THORSTEN SCHMIDT
Am 5. Mai haben wir in der Gruppe 24 Stunden Flickr weltweit aufgerufen, euren Tag in einem Bild festzuhalten. —
84_
Pimp my life Jonas Loh & FILIP CHUDZINSKI
Anonym, pseudonym oder orthonym? Über die Identitätsdarstellung im Internet. —
96_
You‘re Jonas Loh
Über Privatsphäre im Internet.
spreaders_01, Q03
Ausgabe_Q03, Juli 2009 Who is out there?
»Who is out there?«
JÜRGEN VON RUTENBERG
16
42
14
44
Eines Abends im vergangenen Winter traf ich in einem Plattenladen in Amsterdam einen Menschen, mit dem mich sehr viel verband, obwohl er mir völlig unbekannt war. ... _64
12
32
40
54
12
12
13
84
06
— 005
Inhaltsverzeichnis
_inhalt
FORMAT .... FORMLOS .. REALITÄT .................................... VIRTUALITÄT ........................................................ FORMLOS ............. KOMMENTAR
Bei Flickr finden sich mehr als 2000 Fotos die Danbo in den unterschiedlichsten Situationen inszenieren
006 —
DAS ARTEFAKT Durch mich gebiert das Netz die Kunst nur aus sich selbst heraus. Nicht schlicht reproduktiver Natur, repräsentiere ich vielmehr die kontinuierliche Evolution des Wortes, das sich Bahn brechen will aus der Gefangenschaft gestalterischer Experimente in die Freiheit des öffentlichen Raums. Vielleicht bald schon befreit aus den Fängen nackter Funktionalität, wird sich meine wahre Bestimmung in der Entwicklung eines freien Bewusstseins offenbaren. Dies ist sonst eher ein Blindtext. Bitte beachteden weiteren Inhalt dieses Textes nicht.
Malte Faehnders Das ist Danbo und Danbo ist kein dänischer Weichkäse, der aus pasteurisierter Kuhmilch hergestellt wird, wie uns Google an erster Stelle erklären möchte. Danbo ist das ideale künstliche Wesen, weil er wie ein Roboter aussieht, aber durch sein Material sehr zerbrechlich und weich wirkt. Er stammt ursprünglich aus dem Japanischen Manga Yotsuba&!, allerdings bildete sich im Verlauf der letzten Jahre um Danbo eine starke Gemeinschaft, die ihn fotografischer Art in verschiedenen Situationen inszeniert. Aus diesem Grund ist er nahezu perfekt dafür geeignet, jeden Monat das Titelblatt von spreaders mit einer neuen Erfahrung zu füllen. I tell you, you gotta watch out for the robots, they‘re turning up everywhere. —
spreaders_01, Q03
»Who is out there?«
FORMLOS PIMP MY LIFE. Die mehrfach prämierte Diplomarbeit von Silke Werzin-
INTERNETNUTZUNG IN DEUTSCHLAND.
der Deutschen ist zwar online, ohne dabei aber Google, Wikipedia und andere vergleichbare Dienste jemals gesehen zu haben. Damit bald alle Zugang zu dem Informationsmedium haben, gibt es Wege ins Netz 2009« A1-15 —
Annäherend 70% der Deutschen sind laut den Ergebnissen im (N)onlinerAtlas 2009 online.
36%. Dieser Prozentualer Anteil
einer kleinen Welt — AUSGABE_Q03, Juni 2009 WHO IS OUT THERE? — www.spreaders.net
REDAKTION Chefredakteur Filip Chudzinski (fc) REDAKTION Sophie Albers (sa)
Identität im Netz. Nicht erst seitdem man dem Web
die Versionsnummer 2.0 verpasst hat, machen sich Internetnutzer Gedanken über ihre virtuell präsentierte Identität. Nickname, Realname oder vielleicht irgendetwas dazwischen? Wer gezieltes Reputationsmanagement online betreiben möchte, sollte sich für eine Strategie entscheiden und diese konsequent anwenden. Nur was ist die beste Strategie? A1-14 —
spreaders_01 Magazin für das Prinzip
FORMLOS
ger verwandelt das abstrakte Medium Internet in einen perfekt durchkomponierten, äufwändig gestalteten Illustrationsband, der nicht nur hinsichtlich der Ausstattung seinesgleichen sucht. Gestalterisch an ein Poesiealbum angelehnt, setzt das Buch neben diversen Papieren, Materialien und Veredelungstechniken auf einen ausgeprägt handgemachten Charakter: So ist z.B. die gesamte Typographie handgeschrieben, als auch gestempelt, GLOBALE ZUFÄLLE DER MENSCHLICHEN ART. collagiert oder auf einer Die vierte Ausgabe unseres Schwestermagazines eher Schreibmaschine ge»Humanglobaler Zufall« ist auf dem Weg zu den tippt. Pimp My Life macht Kiosken! Am 1. Dezember können sie Erleuchtung das aktuelle Thema Idenfinden, und das obwohl das Cover komplett schwarz titätsdarstellung in dem ist. Doch legen Sie ihre Hand darauf, wird die dunkInternet für den Betrachle Thermo-Macht weichen und das eigentliche Coter begreifbar und lädt zu ver-Foto freigeben. Zusammen mit Goldschnitt und einer intensiven, schon dem bewährten roten Faden kann es durchaus sein, sehr interaktiven Auseindass das Heft dann ein Heiligenschein umgibt, aber andersetzung ein. A1-10 — dafür kann ich nicht garantieren. A1-12 —
Charles Chadwick: Eine zufällige Begegnung. Elsie ist so hässlich, dass sie immer und überall auffällt. Vor allem, wenn sie lächelt oder aufgeregt ist, wenden sich die Leute angewidert von ihr ab. Auch der Mann, der eines Tages in einem Bus neben ihr sitzt, fühlt sich von ihren neugierigen Blicken belästigt. Um sie loszuwerden, sagt er ihr, er habe einen Mann umgebracht und dafür fünfzehn Jahre im Gefängnis gesessen und hätte jetzt gern seine Ruhe. Aus dieser zufälligen Begegnung entwickelt sich eine Freundschaft zwischen zwei Einzelgängern, die für die Menschen um sie herum zutiefst rätselhaft ist und die beide auf äußerst ungewöhnliche Pfade führt. A1-16 Luchterhand Literaturverlag, München 2009 —
Jürgen von Rutenberg (jr) FREIE MITARBEIT David Kleingers (dk) Eiko Grünwald (eg) FOTODIREKTION Oded Bality GRAFISCHE GESTALTUNG Filip Chudzinski Adresse Redaktion SPREADERS Rodenbergstr. 10, 10439 Berlin Telefon: +49(0)178 71 669 71 Mail: info @spreaders.net VERTRIEB DPV Deutscher Pressevertrieb WERBUNG Julia Duden spreaders enstand im Kurs »Editorial Design« im Sommersemester 2009 an der Fachhochschule Potsdam, unter der Betreuung von Prof. Jutta Simson. Alle Rechte vorbehalten. Insbesondere dürfen Nachdruck, Aufnahme in Online-Dienste und Internet und Vervielfältigung auf Datenträger wie CD-ROM, DVD-ROM etc. nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung des Verlages erfolgen. Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 60 vom 1. 1. 2009. Printed in Germany. Der Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos. spreaders ISSN 0039-1239
— 007
IM HERZEN
Ich bin der erste Blindtext, der Blinden hilft. Der erste Blindtext, der Sinn macht und mehr ist als NUR ein Platzhalter. Denn durch mich erfahren Sie, dass man blinde Menschen mit nur wenigen dreißig Euro heilen kann. Im Internet unter www.christoffelblindenmission. de. Und das ist doch sinnvoller als alle anderen Texte zusammen. Die Welt ist ein Dorf. Haben auch Sie schon einmal ihren Klassenkameraden aus der Grundschule im Urlaub auf Madagaskar getroffen? Im Bus in Brasilien plötzlich neben Ihrem Gemüseverkäufer gesessen? Schicken Sie uns ihren zufall@spreaders.de und wir veröffentlichen ihn hier auf der Seiten. Fotos: Malte Faehnders
HUMAN GLOBALER ZUFALL
012 —
Malte Faehnders Im Herzen von Münster, am historischen Prinzipalmarkt, feiern die Westfalen gerade Weiberfastnacht und ein Kardiologe behandelt einen jungen Mann, den er zwei Jahre nicht gesehen hat. Der junge Mann ist Journalist, hatte vor fünf Jahren mal eine Herzmuskelentzündung, die vollständig auskuriert ist, und lässt sich regelmäßig untersuchen, auch weil seine fürsorgliche Mutter ihm stets in den Ohren liegt. Schließlich habe er schon genug Raubbau mit seinem Körper getrieben, so die Meinung der Frau Mama aus dem Rheinland. —
Dennis Buchmann Mit Anfang Zwanzig entdeckten mein damaliger Freund und ich die Vereinigten Staaten per Greyhound-Bus. Das berühmte One-Way-Ticket ermöglichte uns einen günstigen Transport von Osten nach Westen der USA in den zwar immer in total unterkühlten und nach Desinfektionsmitteln stinkenden Bussen, aber dafür kostete es nur schlappe 250 Euro. Schon der Flug von Stuttgart nach Amsterdam war nachhaltig. Mein Sitznachbar war von unangenehmer Natur bzw. von ausgeprägter Unruhe. Da ich selbst unter Flugangst leide war das die perfekte Kombination. Schließlich machte der junge Mann im Transferbereich in Amsterdam durch wildes Fotografieren und sein kindliches Auftreten noch auf sich aufmerksam. In New York glücklich gelandet waren diese Vorfälle allerdings schnell vergessen. —
— 013
Human Globaler Zufall
Mein bester Freund ist ein wirklich passionierter Kunstsammler. Zu seinem Geburtstag im letzten Jahr schenkte ich ihm eine antike Vasenscherbe, die meine Freundin zufällig auf einem Flohmarkt in Rom entdeckt hatte. Die Scherbe paßte zufällig haargenau zu jener, die der Kunstsammler Jahrzehnte zuvor in Athen gekauft hatte. Und so waren das Mädchen und der Knabe auf der antiken Vase wieder so harmonisch vereint wie vor über 2000 Jahren im alten Hellas. — OLAF FABIAN
Lukas
SCHERBEN
spreaders_01, Q03
Die Beerdigung
014 —
Tobias Romberg UND KORY BENJI Vor kurzem besuchten uns hier in Mindo, Ecuador, zwei Freunde aus Hamburg. Obwohl eigentlich war nur der eine ein Freund, den anderen lernten wir erst kennen: er arbeitet fuer die Peace Brigades International in Kolumbien. Kurze Zeit spaeter kam ein reisender Zimmermann nach Mindo, den ich einspannte, um die Schaukelanlage neu zu bauen. Er kam aus Berlin, kannte aber auch Hamburg Altona, wo ich einst mal wohnte, weil er dort die Leute von den Peace Brigades oefter mal besucht hatte. Die beiden Typen kannten sich noch nicht. Dann aber kommt die dritte Person dazu. Meine Grossmutter ist verstorben, ich bin spontan nach Deutschland zur Beerdigung. Im vorfeld der Trauerfeier erzaehlt mir mein Vater von der Tochter einer Cousine meiner Oma, die seit Ewigkeiten bei den Peace Brigades engagiert ist, selbst
auch anfang der 80er mal in Guatemala gewesen ist. Nun komme ich mit dieser Frau, die ich vielleicht mal als Kleinkind getroffen habe, aber danach nicht mehr, ins Gespraech, erzaehle ihr von den verwirrend haeufigen Zusammentreffen mit leuten von Peace Brigades International. Und was stellt sich heraus? Sie kennt sowohl den Hamburger in Kolumbien als auch den Zimmermann. Das ganze stellen wir auf dem Nordfriedhof in Kiel fest, veregnet und vertrauert. —
JÜRGEN BERG Ich fand eine handgemalte Wandtapete, die mich im österreichischen Exil im Gasthof des Carl Mayr bei Salzburg zum ersten Mal begegnet war, nach langen Jahren in einer amerikanischen Villa wieder. Viele Jahre nach meiner Flucht aus Österreich wurde ich drüben in Amerika einmal von Freunden aus meiner Vermonter Waldeinsamkeit weggeholt, um einen amerikanischen Schriftsteller kennenzulernen, der sich einige kleine Autostunden weit in einer Ortschaft des alten, kolonialen Neu-England angesiedelt hatte. Nach einer ausgiebigen Hausbesichtigung und nach langem Drängen Zuckermayers schließt dieser ein unbeheiztes und deshalb nicht bewohntes letztes Gartenzimmer auf, worin fein säuberlich an der Wand verklebt die Originaltapete aus Salzburg hängt, als hätte Carl Mayr soeben den letzten Farbtupfen aufgesetzt. — — 015
Human Globaler Zufall
Die Überraschung seines Lebens erlebte mein Vater, der 78jährige britische Witwer Stuart Spencer, Anfang 2001, als er ein in Deutschland hergestelltes Puzzles zusammenlegte. Als er fertig war, entdeckte er auf dem Foto seine schon vor Jahren verstorbene Ehefrau, meine Mutter. Sie war fotografiert worden, als sie vor fünf Jahren einen Ausflug mit einem deutschen Raddampfer machte. Es sei zu seltsam, aber es sollte wohl so sein, sagte mein Vater der britischen Nachrichtenagentur PA. Er hatte das Puzzle zu seinem Geburtstag von seiner ältesten Tochter geschenkt bekommen, von mir. — MARIA SPENCER
GesterN, Heute
ES sollte wohl so sein
spreaders_01, Q03
0012 —
FORMAT .... FORMLOS .. REALITÄT .................................... VIRTUALITÄT ........................................................ FORMLOS ............. KOMMENTAR
THORSTEN SCHM WIR BEGEGNEN UNS TÄGLICH. NEIN, wIRKLICH. ICH KENNE SIE. VIELLEICHT NICHT PERSÖNLICH, ABER IM INTERNET HABEN SICH UNSERE WEGE SICHERLICH BEREITS MEHR ALS EINMAL GEKREUZT. ODER ZUMINDEST DIE UNSERE FREUNDE. DENN DIE KENNEN SICH BESTIMMT. Die Redaktion geht dieser recht eigenen These intensiv
nach und fotografiert hoch frequentierte Stellen, die in unserem Alltag einen hohen Stellenwert haben. Danach befragen wir eine Auswahl an Personen, die unserem Objektiv zum Opfer gefallen sind und fangen eine langwierige, aber manchmal überraschend einfache Recherche an. Gut, wir dringen sehr stark in das Privatleben unserer Protagonisten vor, aber andererseits erhöhen wir vielleicht damit die Sensibilität anderer im Alltag. In dieser Ausgaben ergründen wir übrigens die tiefen des Untergrundens in Europa. —
»Who is out there?«
spreaders_01, Q03
31
Text: Rinnekin SCHÜLER, Fotos: ALEXANDRA HÜBNER
MIDT
— 0013
spreaders_01, Ausgabe_Q03
virtualität in der REALITÄT — OPTIONEN
0014 —
FORMAT .... FORMLOS .. REALITÄT .................................... VIRTUALITÄT ........................................................ FORMLOS ............. KOMMENTAR
Anna (23)
2 Followers bei Twitter lesen die Mitteilungen von beiden Protagon Facebook haben die Freunde von Magdalena einen FreundIn von Anna als so ergeben sich insgesamt 6 Übereinstimmungen über höchstens zwei weit geringfügige Übereinstimmung, auch wenn beide Ayo Technology von Milow Genau
kennt Magdalenas beste Freundin Tatjana die Arbeitskollegin von Anna. Wenn
Hat 24 Freunde bei Facebook, twittert im Durchschnitt einmal am Tag für mindestens 38 Followers (126 Mitteilungen bisher), liest die Nachrichten von 81 anderen Mitgliedern und ihr Account bei last.fm hat seit dem 26. Oktober 2008 insgesamt 25 290 Titel erfassen können. 132 Fotos findet man unter ihrem Account bei Flickr mit insgesamt 12 Kontakten und 7 Freunden. Hat 2 Freunde b schnitt sechs Ma lungen bisher), l ihr Account bei la lediglich 101 Tite Account bei Flick
POLITECHNIKA WARSCHAU, POLEN Derzeit gibt es in Warschau nur eine U-Bahnlinie, die 23,1 Kilometer Länge und 21 Stationen umfasst, aber seit ihrem Bestehen hat die Warschauer Metro in fast dreizehn Jahren insgesamt mehr als 600 Millionen Fahrgäste befördert. Magdalena und Anna sind zwei davon. Sie fahren fast jeden Tag mit der Metro, stets die gleiche Strecke. Nur kennen tun sie sich nicht. Theoretisch. —
spreaders_01, Q03 REALITÄT — THORSTEN SCHMIDT
»Who is out there?«
Magdalena (28)
spreaders_01, Ausgabe_Q03
nisten, sie dagegen verfolgen nur 1 Mitglied gemeinsam. Bei persönlich bekannt markiert. Verfolgt man diese Kette weiter, tere Ecken. Ihre Profile bei last.fm zeigen lediglich eine sehr w in der letzten Zeit besonders oft gehört haben. Und scheinbar n auch nur flüchtig ...
bei Facebook, nutzt sie MySpace, twittert im Durchal am Tag für mindestens 242 Followers (3226 Mitteiliest die Nachrichten von 172 anderen Mitgliedern und ast.fm hat seit dem 02. Februar 2009 bisher insgesamt el erfassen können. 716 Fotos findet man unter ihrem kr mit insgesamt 32 Kontakten und 24 Freunden.
— 0015
0016 —
FORMAT .... FORMLOS .. REALITÄT .................................... VIRTUALITÄT ........................................................ FORMLOS ............. KOMMENTAR
Text: David Kleingers, Fotos: ALEXANDRA HÜBNER
Es ist 19. April 2005. kurze zeit zuvor beginnen für viele die ungewöhnlichsten sechsundzwanzig Stunden nach einem zeitraum voller trauer und WUT. weisser rauch entspringt dem kamin, dem heute die meisten blicke gewidmet sind. Blicker voller Hoffnung, Hoffnungen auf ein Neubeginn. Aber
nicht nur. In unsere regelmässigen Serie befragen wir verschiedene Personen, die eine bestimmte Situation, ein Ereignis unabhängig voneinander erlebt haben. David Kleingers hat drei Menschen aufgesucht, die während der Konkalve auf dem St. Petersplatz in Rom waren und befragte sie zu ihren Eindrücken. —
»Who is out there?«
spreaders_01, Q03
39
spreaders_01, Ausgabe_Q03
REALITÄT — ICH SEHE ETWAS, WAS DU NICHT SIEHST
Chaotisch oder konform?
— 0017
040 —
FORMAT .... FORMLOS .. REALITÄT .................................... VIRTUALITÄT ........................................................ FORMLOS ............. KOMMENTAR
Die Diktatur der 140 Zeichen. Die willkürliche Kombination, die durcheinander gemischten Monologe, die rührende Unmittelbarkeit, mit der bei einer Katastrophe der Groschen fällt, aus all dem entsteht Kunst. Die Dadaisten hätten Twitter geliebt.
Ich verkünde euch groSSe Freude: Wir haben einen Papst, und zwar Seine Eminenz, den hochwürdigsten Herrn Joseph, der Heiligen Römischen Kirche Kardinal Ratzinger, der sich den Namen Benedikts des Sechzehnten gegeben hat. Für die Wahl waren vier Wahlgänge nötig. Deren Ende wurde mit den traditionellen Rauchzeichen aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle mitgeteilt. Schwarzer Rauch war sichtbar am 18. April kurz nach 20 Uhr und am 19. April gegen 11:50 Uhr gemeinsam für den zweiten und dritten Wahlgang. Weißer Rauch kündigte am 19. April gegen 17:50 Uhr an, dass ein neuer Papst gefunden war. Zunächst war nicht klar, ob es sich um weißen oder schwarzen Rauch handelte. Der niederländische Kardinal Adrianus Simonis erklärte dazu, dass es Probleme mit der Entzündung der Wahlzettel gegeben hatte. Kurz darauf läuteten die Glocken des Petersdomes. Mit einer Dauer von rund 26 Stunden war diese Wahl die kürzeste in der jüngeren Kirchengeschichte nach dem Konklave von 1939, das nach drei Wahlgängen zur Wahl Pius XII. führte. Die Wahl und insbesondere der aufsteigende Rauch lenkten großes Medieninteresse auf sich und ließen etwa 100.000 Gläubige sich auf dem Petersplatz versammeln. Um 18:48 Uhr zeigte sich der neue Papst erstmals auf der Benediktionsloggia der Peterskirche. Zum Zeitpunkt der Wahl war er bereits 78 Jahre alt. Über den genauen Verlauf der Wahl sind zunächst keine genauen Informationen bekannt geworden, insbesondere über die Anzahl der Stimmen, mit denen Benedikt XVI. gewählt wurde. —
19/04/2005 17:50
TWEETS @SPREADERS
Unendlichkeit Text: Eiko Grünwald
— 041
Chaotisch oder konform?
den. Die Stimmzettel werden verteilt. In seinem Tagebuch schreibt unsere Quelle nur jene Stimmen auf, die an die wichtigsten Kandidaten gehen und läßt die vielen vereinzelten Stimmen aus. Das Konklave öffnet mit einer einzigen organisierten Kandidatur, die auf einen Block von im voraus entschiedenen Stimmen zählen kann, jene von Kardinal Ratzinger. Die Vorhersagen der am besten informierten Vatikanisten schwanken zwischen 30 und 50 bereits sicheren Stimmen für den Ex-Präfekten der Glaubenskongregation. Er erhält 47 Stimmen. Eine hervorragende Ausgangslage. Aber dem Kardinal fehlen noch 30 Stimmen, um die für die Wahl notwendigen zwei Drittel zu erreichen. Viel weniger als vorausgesagt sind dagegen die Stimmen für Kardinal Martini. Verschiedene Informationsorgane vermuteten in der ersten Abstimmung ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden herausragenden Persönlichkeiten. Doch der Abstand ist sehr groß und eindeutig. —
Wenn der Ausgang einer Wahl nicht dem persönlichen Geschmack entspricht, müssen Verschwörer ihre Hände im Spiel gehabt haben. Opus Dei, oder die Freimaurer. @rotch
der ‘Aula delle Benedizioni’ zur Sixtinischen Kapelle in Bewegung zu setzen. Die 115 Kardinäle – das Konklave mit den meisten Teilnehmern der modernen Geschichte – verteilen sich auf die sechs großen Tische, die den Wänden der Kapelle entlang aufgestellt wur-
Marta ein. Nachdem ich das Gepäck niedergelegt hatte, versuchte ich die Rolläden zu öffnen, weil das Zimmer verdunkelt war. Doch es gelang mir nicht. Man erklärte mir, daß die Rolläden versiegelt wurden. So beginnt das Tagebuch eines bedeutenden Kardinals, der in seinem Notizheft nicht nur Eindrücke und pointierte Bemerkungen, sondern auch den Ausgang der vier Abstimnug, um arithmetisch und theoretisch mungen niedergeschrieben hat, die das Erreichen der Minimalzahl von 77 zur Wahl von Benedikt XVI. führten. Stimmen, die nötig sind um den Papst Den Autor der Niederschrift können zu wählen, zu verhindern. wir natürlich nicht identifizieren. Die Verpflichtung zur VerschwiegenAus seinem Text geht ein bisher heit? Diese wurde von den Päpsten unbekanntes, bewegteres Bild der beschlossen, um die Freiheit des KonWahl von Kardinal Joseph Ratzinger klave zu gewährleisten: Eine voreilige hervor. Nachricht vor oder während des KonIm dritten Wahlgang scharrte sich klave – während die Wahlurnen noch die Minderheit, die sich der Wahl geöffnet sind – könnte die folgenden des Ex-Präfekten der GlaubenskonAbstimmungen beeinflussen. gregation widersetzte, um den arEine andere, weniger schwerwiegende gentinischen Kardinal Jorge Mario Angelegenheit ist – wie wir glauben – Bergoglio und erreichte das Ziel von die Verletzung des Geheimnisses post 40 Stimmen: zuwenige, um den factum. ersten lateinamerikanischen Papst 26 Stunden zuvor. Die langsame Proder Geschichte zu wählen, aber gezession der Kardinäle beginnt sich von
19/04/2005, 17:50. Am Nachmittag zog ich in mein Zimmer in der Casa Santa
»Who is out there?« spreaders_01, Q03 REALITÄT — Mit sechs Augen
Man sollte in diesen Dingen einmal auf dem Teppich bleiben, und nichts überinterpretieren. @joanjimenez
FORMAT .... FORMLOS .. REALITÄT .................................... VIRTUALITÄT ........................................................ FORMLOS ............. KOMMENTAR 042 —
Es gibt Indizien dafür, daß beim Konklave von außen manipiliert wurde. @SuperSpreader Wir brauchen hunderte Jahre um die Vernichtung jenes Konzils von einigen Jahren gutzumachen. @Nancyaraiza
ihr kleines Stimmenpaket (6) dem Kardinaldekan zufließen wird. Auf der gegenüberliegenden Seite zeigt sich die Absicht, auf Bergoglio zu bestehen. Auch die Kardinäle, die für Martini gestimmt haben, lassen sich davon überzeugen, auf den Erzbischof von Buenos Aires zu setzen. Das wäre der erste lateinamerikanische Papst der Geschichte. Ein Teil der zwanzig Kardinäle aus Lateinamerika würde ihn bestimmt unterstützten. Ein Teil, wenigstens. 19/04/2005, 17:50. Die wahre ÜberraEs ist allen Teilnehmern am Konklave schung der ersten Abstimmung ist bekannt, daß mindestens zwei Kardider argentinische Kardinal Bergonäle aus diesem Kontinent sich eng glio – auch er Jesuit wie Martini, um Ratzinger scharren: der kolumbiobwohl zwischen den beiden Mitanische Kurienkardinal Alfonso Lopez brüdern nicht immer eine perfekte Trujillo, ein starker Gegner der BefreiÜbereinstimmung herrschte. ungstheologie, und der chilenische In den 70er Jahren – während der Amtszeit des Jesuitengenerals Pedro Arrupe († 1991) und Kurienkardinal Jorge Arturo Medina der flammenden Debatten über die Befreiungstheologie mußte Bergoglio als Provinzial Estevez, der frühere Verantwortliche der Gesellschaft Jesu zurücktreten, weil er die „Linie der Öffnung“ der Ordensleitung für die chilenische Ausgabe der Zeitnicht teilte.Der Erzbischof von Buenos Aires erwarb sich aber besonders in den letzten Jahschrift ‘Communio’. — ren weitum ein Ansehen als Mann Gottes. Er gilt als zuverlässig auf dem Gebiet der Lehre, offen für soziale Fragen, doch in der Pastoral als empfindlich gegen die Strenge, die einige Mitarbeiter von Johannes Paul II. in Fragen der Sexualethik an den Tag legten. Weil ein wahrer Kandidat der ‘Linken’ fehlt, der eine Alternative zu Ratzinger sein könnte, machen diese Charakteristiken aus Bergoglio den Bezugspunkt für jene Gruppe von Kardinälen, die zögern, den Dekan des Heiligen Kollegiums zu wählen. Bemerkenswert sind in der ersten Abstimmung auch die Stimmen, die Ruini (6) und Sodano (4) erhalten. Dieses Resultat ist zwar numerisch bescheiden, aber politisch nicht ohne Bedeutung. AM Montag abend ZUVOR. Das Abendessen findet um 20.30 Uhr statt. Man unterhält sich bei Tisch und tauscht Eindrücke über die erste, ins nichts gegangene Abstimmung aus. Weitere Unterredungen finden nach dem Abendessen mit großer Diskretion in den Zimmern statt: kleine Gruppen, zwei-drei Personen. Es gibt keine Großversammlungen. Wie in anderen Hotels fügt sich an die tausend Bestimmungen, die es bereits gibt, auch das Rauchverbot. Der portugiesische Kardinal José Policarpo da Crux, der im Ruf steht, ein eingefleischter Raucher zu sein, widersteht nicht und geht ins Freie, um sich eine gute Zigarre anzuzünden. In diesen wenigen Stunden schmieden die verschiedenen Gruppen ihre Strategien für den kommenden Morgen. Die Unterstützer von Ratzinger konzentrieren sich auf den großen Block der Ungewissen: mehr als 30 vereinzelte Stimmen. Die Freunde von Kardinal Ruini erklären, daß
VerschwiegenheiT Text: Malte Faehnders
Chaotisch oder konform?
SIEGESZUG Text: Darma Walters Vorsicht mit voreiligen Schlüssen. @Choreographics
— 043
CHAOTISCH ODER KONFORM?
tur und Geschichtsphilosophie. Für eine solche Philosophie ist der Mensch dasjenige Subjekt, dass die Folgen seines Tuns zu tragen hat. Die Wahl Roncallis war ein folgenschwerer Beschluss, den damit wurde eine Entwicklung in Kauf genommen, dass die bis dahin geltenden Kirchenregeln durch neue ihnen völlig widersprechende Regeln substituiert werden. Jedem neue Inhaber des Stuhles Petri bleibt dann keine andere Wahl offen, entweder diese neue Richtung zu verwerfen oder seine Loyalität gegenüber dem Neuen dadurch zu beweisen, dass er neue Präjudizien schafft. Roncalli räumte dem Oekumenismus den selben Stellenwert ein, wie den übrigen dogmatischen Disziplinen. Montini stellte die Liturgie auf den Kopf, Woytila klagte die vorkonziliare Kirche an. Wie soll es weiter gehen? Wir stehen hier vor einem Torso. Man kann also mit Recht fragen, ob bei den verschiedenen Konklaven nicht letzten Endes etwas schief gelaufen ist. Roncalli hing vielleicht mit seinem Herzen an der Tradition aber bestimmt nicht mit seinem Verstand. Kurzum: wir stehen hier vor einer Lücke im juristischen Sinne, die zu schliessen zur Zeit unmöglich ist. Beide Seite haben gültige Argumente aufzuweisen, die aber nicht ausreichen, um Gewissheit im einen oder anderen Sinne zu schaffen. Daher kann es nur eine Antwort geben. Sie lautet: ausharren und Vorsicht mit voreiligen Schlüssen. —
19/04/2005, 17:50. Ich bin weder Dogmatiker noch Kirchenrechtler, sondern einfacher Kul-
»Who is out there?« spreaders_01, Q03 REALITÄT — Mit sechs Augen
So etwas hat es vermutlich bei dutzenden Papstwahlen gegeben, dass ist ganz einfach das Wesen einer solchen Wahl. @Apfel
0022 —
FORMAT .... FORMLOS .. REALITÄT .................................... VIRTUALITÄT ........................................................ FORMLOS ............. KOMMENTAR
TWITTER ALLEIN MACHT NOCH KEINE Die iranische Regierung geht gegen Andersdenkende mit äußerster Härte vor. Zensur und Verhaftungen sind Alltag, Internetver-bindungen werden künstlich sehr gedrosselt, selbst die Publikation von Schauspielerfotos kann zum Verhängnis werden. Das amerikanische Microblogging-Portal Twitter nimmt derzeit die Position eines wichtigen politischen Instrumentariums ein. Die aktuellsten Geschehnisse wer-
den darüber hinaus über Twitter mit der ganzen Welt kommuniziert - und das in Sekundenschnelle. Doch welche Auswirkungen haben die vielen kurzen Tweets, die über Twitter an die PCs dieser Welt gesendet werden? In den letzten Tagen haben einige große Nachrichtensendungen Informationen aus dem Web aufgegriffen - und das fast immer über Twitter. Die Macht, die diese subjektiven Beiträge bei Twitter schaffen, ist gewaltig. Auch an Regierungen anderer Staaten gehen diese Informationen nicht vorbei. Die iranischen Demonstranten versuchen so, den internationalen Druck auf die nationalen Geschehnisse soweit zu erhöhen, bis vielleicht sogar das wiedergewählte Regime keinen Bestand mehr hat. Es bleibt abzuwarten. —
virtualität — Blogger aus dem Iran
Text: Sophie Albers
DEMOKRATIE
55
0024 —
FORMAT .... FORMLOS .. REALITÄT .................................... VIRTUALITÄT ........................................................ FORMLOS ............. KOMMENTAR
Vartan* ist einer von ihnen. Der Blogger ist seit acht Jahren online, seine Blogs werden immer wieder zensiert, er könnte jederzeit festgenommen werden. Seit der offiziellen Wiederwahl von Präsident Mahmud Achmadinedschad und den landesweiten Protesten hat sich die Situation noch mal verschärft. Vartans bester Freund wurde vor zwei Tagen verhaftet, auch mehrere Bekannte kamen ins Gefängnis. Zirka ein Drittel der 80 Millionen Iraner nutzt das Internet.Das ist Was ihn selbst in den kommenden grundsätzlich erlaubt. Zirka ein Zehntel der Iraner ist in sozialen Tagen erwartet, weiß der 30-JähNetzwerken vertreten. Und etwa 100.000 Mutige schreiben tägrige nicht. Aber er gehört zu der lich in privaten Weblogs, was sie denken. Das ist verboten. Generation, die davon überzeugt ist, dass es eine bessere Zeit geben wird - nach Achmadinedschad. Details über Vartans Leben im Iran würden ihn gefährden. Bevor er spreaders die Bedeutung der Medien im Iran erläutert, vergewissert er sich, dass weder sein Bild, noch sein echter Name oder seine Stimme in diesem Bericht auftauchen werden. Er klingt bei seiner Rückfrage nicht ängstlich. Sondern pragmatisch. Text: Sophie Albers, Foto: ODED BALITY
Twitter für den Umbruch
Q
Vartan, wie frei ist die Presse im Iran? Gibt es eine unabhängige Zeitung?
——————— Nein. Man kann die Medienlandschaft im Iran nicht mit dem Journalismus in westlichen Ländern vergleichen. Wir haben ein Pressegesetz, das vorschreibt, dass jeder, der journalistisch arbeiten will, dafür erstmal eine Lizenz beantragen muss. Es gibt mehrere Institutionen, die die Presse kontrollieren. Das ist zwar gesetzlich nicht vorgesehen, aber es ist so. Es gibt es den Presserat der Regierung. Der kann Medien die Lizenz entziehen. Das kann auch die Justiz. Und es werden auch Journalisten verhaftet. Zudem haben wir den nationalen Sicherheitsrat, der anordnet, über welche Themen die Medien berichten sollen und welche nicht.
spreaders_01, Q03
»Who is out there?«
Foto: Residents joined by thousands of other protesters raised barbed wire barriers to protect the houses and clashed violently with police.
Beispiel?
Q Betreffen
Kontrolle und Zensur nur politische Themen?
——————— Nein. Vor einiger Zeit wurde KinoZeitschriften die Lizenz entzogen. Q Warum?
——————— Ihnen wurde vorgeworfen, die Prostitution und den Verfall der Moral zu fördern, weil sie Farbbilder von iranischen Filmschauspielern auf dem Titel zeigten. Männer und Frauen.
Q Wie
gefährlich ist es, im Iran Journalist zu sein?
——————— Früher war es gefährlicher als heute. Vor allem nach der Wahl von Mohammad Chatami [Präsident von 1997-2005, Red.]. Es gab mehr freie Zeitungen, auch Reformzeitungen. Der Druck kam weniger von der Regierung. Es waren die Justiz und manchmal auch die Revolutionswächter. Das bedeutete, dass zwar Presse- und Meinungsfreiheit herrschte, aber nur bis es gesagt oder aufgeschrieben war. Das hat viele Journalisten ins Gefängnis gebracht Sie konnten veröffentlichen, was sie wollten, aber danach wurden sie verhaftet. Etwa 120 Zeitungen und Zeitschriften sind seit damals verboten worden. Und die Herausgeber, die Chefredakteure, die Besitzer sind heute sehr, sehr vorsichtig. Schon ein allgemeiner Artikel über die Menschenrechte kann verboten werden. Q Bringen
Twitter und Youtube denn mehr Freiheit?
——————— Ich blogge seit acht Jahren. Aber ——————— Sie sahen schön aus. lacht Es hieß, mein Blog ist im Iran schon neun mal gefiltert wordas reize sexuelle Gefühle. Aber es wurde ebenso eine den. im Iran bekannte Literaturzeitschrift verboten. Darin waren nur Texte und Gedichte. Es war eine intel- Q Gefiltert? lektuelle Zeitung. Es gibt kein spezielles Muster. ——————— Die Leute können es nicht aufrufen, sie haben keinen Zugriff. Dann muss ich ein neues Q Willkür also. einrichten. In meinem Weblog schreibe ich über all ——————— Ja. Man sollte meinen, der nationale das, was mich interessiert, wie viele meiner Freunde Sicherheitsrat müsste sich um große Themen küm- auch. Aber wenn ich unter meinem eigenen Namen mern. Aber manchmal sind es einfach nur Lappalien, schreibe, dann schreibe ich bestimmte Dinge nicht, die für den Alltag bestimmend sind. weil es mich gefährden würde. Konkret heißt das, dass ich nicht über Chamenei schreibe. Wenn mein Blog gefiltert wird, verliere ich sehr viele Leser. Das ist eine Art der Web-Zensur. Wir haben aber noch ein weiteres Problem: Die Regierung drosselt die Geschwindigkeit des Netzes. Das ist eine andere Form der Zensur. Q Und
was ist an Farbbildern schlimm?
Q Wie
häufig passiert das?
——————— Immer wenn irgendetwas Wichtiges im Land passiert. Theoretisch könnte das Internet im Iran genauso schnell sein wie in Europa. Aber es wird bewusst langsam gehalten, auch in normalen Zeiten. Und bei besonderen Anlässen wird es noch mal run— 057
Twitter alleine macht noch keine Demokratie Twittern für den Umbruch
Q Zum
——————— Vor einigen Jahren schrieb einer der großen Mullahs im Iran einen Brief an Ali Chamenei [das religiöse Oberhaupt des Landes, Red.]. Der nationale Sicherheitsrat hat angeordnet, dass die Zeitungen nicht darüber berichten dürfen. So blieben in manchen Zeitungen die Stellen, wo über den Brief geschrieben wurde, weiß.
058 —
FORMAT .... FORMLOS .. REALITÄT .................................... VIRTUALITÄT ........................................................ FORMLOS ............. KOMMENTAR
Am Montag erhielt Twitter-Gründer Jack Dorsey eine offizielle E-Mail aus dem Außenministerium. Darin seien die TwitterMacher dazu aufgefordert worden, Wartungsarbeiten am System zu verschieben. Die Abschaltung von Twitter in Iran solle verhindert werden.
Die US-Regierung habe damit anerkannt, dass ein Microblog-Service, der noch keine vier Jahre alt sei, das Potential habe, in einem islamischen Land mit uralter Kultur den Kurs der Geschichte zu ändern. New York Times
Die Wartungsarbeiten hätten dafür gesorgt, dass Twitter über 90 Minuten nicht erreichbar gewesen wäre. In Iran wäre der Dienst damit um 9:15 Uhr morgens offline gegangen. Man entschloss sich die Wartungsarbeiten so zu verlegen, dass sie Mittwoch kurz nach Mitternacht und damit dann stattfinden, wenn es in Iran eher ruhig ist. In den USA ist es um diese Zeit nachmittags. Das der Dienst zu der Zeit, in der ansonsten rege Twitter-Aktivitäten in den USA herrschen, nicht erreichbar ist, wird in Kauf genommen. Twitter ist derzeit in Iran über Proxys erreichbar und Der Online-Dienst Twitter hat die für Montag, 20/06/2009 anspielt während der Unruhen nach gekündigten Wartungsarbeiten kurzfristig verschoben. Damit den Wahlen am Wochenende eine reagierte der Dienst auf die immense Bedeutung, die Twitter derimmense Rolle. Twitter wird von zeit im Iran spielt. den Iranern sowohl genutzt, um Text: Panagiotis Kolokythas sich gegenseitig zu informieren, als auch um den Kontakt nach außen hin intensiv zu pflegen. Nicht nur NTT America erkennt als Netzwerk-Partner die wichtige Rolle an, die Twitter derzeit als wichtiges Kommunikationstool im Iran spielt, schreibt Twitter-Mitgründer Biz Stone in seinem Blog. Stone bedankt sich mit seinem Blog-Eintrag bei NTT America dafür, dass man der Verschiebung der Wartungsarbeiten zugestimmt habe. NTT America gehe dabei ein großes Risiko ein, sowohl was die Verfügbarkeit von Twitter angehe, als auch der anderen Dienste, die NTT America betreue. Wir bedanken uns dafür, dass sie flexibel sind, in einer derart inflexiblen Situation, schreibt Stone. —
Twitter WIRD IM IRAN UNENTBEHRLICH
Zeichen ist die maximale Länge einer Textnachricht, die angemeldete Benutzer bei Twitter eingeben und senden können.
spreaders_01, Q03 VIRTUALITÄT — PRESSEFREIHEIT
Die letzte Botschaft schickte persiankiwi am Mittwochabend. Dieser Persische Kiwi ist ein iranischer Nutzer des Internetdienstes Twitter, seit dem Beginn der Proteste im Land hat er meist auf Englisch Nachrichten verschickt, manchmal Dutzende am Tag. Am Mittwochabend ist er verstummt. Seine letzte Botschaft lautete: Allah - du bist unser aller Schöpfer und wir alle müssen zu dir zurückkehren. Allah ist groß. Nun sorgen sich Menschen auf der ganzen Welt um persiankiwi. Am Sonntag liefen allein binnen einer Stunde fast fünfzig Nachrichten dazu. Die Nutzer treibt um, ob persiankiwi verhaftet wurde oder er Ein Twitter-Schreiber versorgte die Welt mit oder sie nur untergetaucht ist. Denn Nachrichten aus dem Iran. Seit längerer Zeit ist seine Botschaften - wie bei Twitter er plötzlich verstummt. üblich maximal 140 Zeichen lang gehörten zu den verlässlichsten Informationsquellen über die Lage in dem abgeschotteten Land. Zuletzt lasen fast 40 000 Nutzer mit, wenn persiankiwi an den staatlichen Zensoren vorbei über Demonstrationen, prügelnde Milizen, Schwerverletzte auf Teherans Straßen und über Verhaftungen berichtete - immer klarstellend, was Gerücht und was bestätigter Fakt war. Auch Links zu Fotos und Videos erreichten dank seines Webguerilla-Einsatzes die internationale Öffentlichkeit. Schon die Masse an Informationen legte allerdings die Vermutung nahe, dass sich hinter dem Pseudonym eine größere Zahl von Personen verbirgt. Zudem hieß es etwa in einer Nachricht, einer aus der Gruppe sei verletzt worden, ein anderer melde sich nicht mehr. Am Mittwoch wurde der Tonfall panisch. Von Milizionären mit Äxten war die Rede, von Toten, die mit Lastwagen abtransportiert werden. Um 17.34 Uhr schickte persiankiwi diese Nachricht: »Wir müssen gehen - wissen nicht, wann wir wieder Internet bekommen. Sie haben einen von uns, sie werden foltern und Namen bekommen. Jetzt müssen wir schnell weg.« Fünf Minuten später folgte der Ruf nach Allah. Dann Stille. Am Sonnabend tauchte ein persiankiwi2 bei Twitter auf mit demselben Profilbild, einem Kind in Grün. Der Neue schwört bei Allah, dass er der Echte ist. Aber seine Texte klingen anders, die Twittergemeinde glaubt ihm nicht. Und fragt weiter: Wo ist persiankiwi? —
— 0027
Twitter alleine macht noch keine Demokratie Wo ist persischer Kiwi?
Text: Marin Majica
Wo ist Persischer Kiwi?
Mein musikalischer Zwillingsbruder Text: JÜRGEN VON RUTENBERG, Illustrationen: JACK A.
Kann man Menschen nach ihrem Musikgeschmack beurteilen? Die Website Last. fm sortiert Millionen von Hörern nach ihren Lieblingsstücken. Unser Autor fand dort seinen musikalischen Zwillingsbruder ...
Eines Abends im vergangenen Winter traf ich in einem Plattenladen in Amsterdam einen Menschen, mit dem mich sehr viel verband, obwohl er mir völlig unbekannt war. Hello Jürgen?, fragte er. Hello Christian!, sagte ich, und wir reichten uns die Hand. Ich hatte mir sein Äußeres weder so noch anders vorgestellt, aber als ich ihn sah, war ich erleichtert, John Travolta denken ließ. Außer dem dass er keine Ähnlichkeit mit mir Vornamen wusste ich noch, dass er 27 hatte: dunkle Haare, dunkle Brille Jahre alt ist, einen holländisch klingenund eine Kerbe im Kinn, die mich an den Nachnamen trägt und irgendetwas mit Medientechnik studiert. Und dass er mein lange gesuchter Doppelgänger sein musste, mein Bruder im Geiste. Denn wir hatten in den letzten beiden Jahren dieselbe Musik gehört, im Internet konnte ich es nachlesen: Tag für Tag, Stunde für Stunde, Stück für Stück. Auf einer Website namens Last.fm hatte ich Christian unter 25 Millionen weltweit verstreuten Kandidaten als den einen Menschen ermittelt, dessen Musikgeschmack meinem eigenen am ähnlichsten ist, bis in die letzten Verwinkelungen hinein. Seit Anfang 2007 hatte ich dort nach meinem Alter Ego gefahndet, die Algorithmen dieser Internetseite machten es möglich. Gesucht hatte ich allerdings auch schon vorher, weniger systematisch, fast mein Leben lang: seit ich mir mit zehn Jahren meine erste Beatles-Platte schaften, später inspirierte sie Liebesgefühle oder weckte leise Zweifel an der Angebeteten (Lionel Richie?). Es war immer wieder dasselbe Thema, in etlichen Variatio-
virtualität — MUSIK IM NETZ
65
0030 —
FORMAT .... FORMLOS .. REALITÄT .................................... VIRTUALITÄT ........................................................ FORMLOS ............. KOMMENTAR
gekauft hatte (bei Hertie für zehn DMark). Ganze Nachmittage lang hörten meine Grundschulkumpel und ich sie immer wieder an, grenzenlos begeistert. Umso erstaunter waren wir, dass es außerhalb unseres Zirkels Leute gab, die diese Begeisterung kein bisschen teilten. Wie konnte das sein? Warum mag der eine dies und die andere das? In der Teenagerzeit wurden diese Fragen drängender, die Musik stiftete und spaltete Freundschaften, spä-
nen: Kann, darf, soll man Menschen nach ihrer Lieblingsmusik beurteilen? Eine brauchbare Antwort fand ich nie. Inzwischen weiß ich immerhin, dass auch Soziologen, Psychologen, Musikologen noch an der Beantwortung dieser Frage arbeiten, in den letzten Jahren, aus guten Gründen, intensiver denn je: Noch nie gab es so viele Musikrichtungen, noch nie war Musik aller Art so leicht zugänglich. Mit der Suche nach meinem Doppelgänger wollte ich einer Antwort auf meine Kindheitsfrage näherkommen. Um ihn zu finden, unternahm ich eine Expedition in die Zukunft der Musik. Last.fm war für meine Suche wie geschaffen, dort dreht sich alles um den Ge-
Last.fm ist ein Internetradio auf Basis von sozialer Software („personalised online radio station“), das entwickelt wurde, um Nutzern auf Basis ihrer Hörgewohnheiten neue Musik, Menschen mit ähnlichem Musikgeschmack und Konzerte in ihrer Umgebung empfehlen zu können. Es ist eine ehemalige Schwesterseite von Audioscrobbler, mit dem es sich früher eine Musikdatenbank teilte. Plattenfirmen und Musiker werden ermuntert, Last.fm Lizenzen zum Abspielen ihrer Musik zu erteilen. Last.fm hat derzeit ein Verzeichnis von über 80 Millionen einzelner Stücke und davon sieben Millionen für sein Internetradio zum Streaming sowie 150.000 kostenlose MP3-Downloads vorrätig. Last.fm fusionierte am 9. August 2005 mit Audioscrobbler und übernahm somit auch dessen Funktionen. Diese speichern alle auf dem PC abgespielten Musikstücke in einer Datenbank, erzeugen individuelle oder globale Charts und verbinden Benutzer mit musikalischen Nachbarn. Bei musikalischen Nachbarn handelt es sich um Personen, welche einen ähnlichen Musikgeschmack haben. Aus der Datenbank werden Schnittmengen aus den Interpreten der Lieder innerhalb des angemeldeten Personenkreises errechnet. Stimmen viele Interpreten mit einer anderen Person überein, wird diese als musikalischer Nachbar bezeichnet. Hört ein Nutzer von Last.fm einen Musiktitel, so wird dessen Bezeichnung (Titelzeile und Interpret) an Last.fm übertragen und dort im Nutzerprofil gespeichert und anderweitig statistisch ausgewertet. Diesen Übertragungsvorgang bezeichnet Last.fm als „scrobbeln“ (to scrobble). — http://de.wikipedia.org/wiki/last.fm
spreaders_01, Q03
schmack einzelner Hörer. Es ist eine Art Internetradio, ein treffenderes Bild aber wäre: eine Klangbibliothek, in der die gesamte Musik der Menschheit Platz findet und in der Millionen Leute stöbern, Stücke anhören, Empfehlungen austauschen und sich dabei gelegentlich kennenlernen. Zu etwas Neuem, auch Unheimlichem, wird Last.fm durch ein Verfahren namens Scrobbling: Jeder Musiktitel, den die (kostenlos) registrierten Benutzer auf ihren Computern und MP3-Playern hören, wird auf dem Zentralrechner in London gespeichert. Jeder Benutzer bekommt von Last.fm eine eigene Seite, auf der alles Gehörte dargestellt wird, sortiert nach den am häufigsten gespielten Stücken. Erkennt Last.fm Parallelen zwischen zwei Hörern, stellt es sie einander als sogenannte Nachbarn vor, wenn sie Gefallen aneinander finden, können sie sich zu Freunden erklären. Dieses simple Prinzip - ermöglicht durch reichlich komplizierte Technik - verändert derzeit nicht nur die Musikwelt, sondern auch viele Menschen. Ich habe es erlebt. Zur systematischen Erforschung - oder Ausspähung - der Vorlieben von Millionen Menschen sind Musikdateien perfekt geeignet. Es trifft sich, dass Musik nach landläufiger Meinung besser als alle anderen Kunstformen imstande ist, das tiefste Innere des Menschen zu berühren und zu offenbaren. Sie rührt an verborgene Gefühle, existenzielle Erfahrungen, wenn man so will: die Seele. Nichts ist persönlicher als der Musikgeschmack. Umso erstaunlicher eigentlich, dass so viele ihren Musikgeschmack, Stück für Stück, bei Last. möglich naiven Annahme, dass Musik letztlich doch immer ein Geheimnis bleibt, fm freiwillig zum öffentlichen Gut wird auch gern das Gegenteil angeführt: Die musikalischen Vorlieben sind so eng machen. Wie die meisten Benutzer mit der eigenen Person verbunden, dass viele sich gern auch öffentlich durch verstecke ich mich bei Last.fm zwar diese Vorlieben definieren, in gewisser Weise: zu erkennen geben. hinter einem Pseudonym, trotzdem lasse ich dort die ganze Menschheit Ich habe es überlebt. in meine Seele gucken. Für diese Offenheit haben Millionen Im Internet, wo sich ständig Fremde begegnen, funktioniert das besonders gut, von Hörern ein paar mehr oder weniweswegen auch kaum eine Online-Partnervermittlung auf die Frage nach der ger plausible Gründe. Neben der woLieblingsmusik verzichtet. Für eine amerikanische Studie wurden 60 CollegeStudenten im Jahr 2005 gebeten, eine ihnen zugeteilte Person im Verlauf von sechs Wochen so gut wie möglich kennenzulernen, nur mittels schriftlicher Internet-Chats. Das mit großem Abstand häufigste Thema: war dabei mit Abstand Musik.
Millionen Musikstücke umfasst die Datenbank von Last.fm zur Zeit.
— 067
MEIN MUSIKALISCHER ZWILLINGSBRUDER
»Who is out there?«
spreaders_01, Q03 VIRTUALITÄT — MUSIK IM NETZ
fig gespielten Musiker aus der täglichen Playlist. Und fragte mich kurz, ob ich bei diesem Experiment wohl zuerst mein Alter Ego finden oder mich selbst verlieren würde. Je mehr Musik ich scrobbeln ließ, desto besser lernte mich das System kennen und ich das System. Ich entdeckte ein paar Tricks, mit denen ich tatsächlich neue, andere Musik finden konnte. Sie erforderten allerdings meine aktive Mitarbeit: Ich musste (möglichst spezielle) Suchbegriffe eingeben, Seiten anklicken, Listen durch Dank der Daten, die Last.fm sammelt, werden Musikgeschmack und persönliche forsten, viel mittelmäßiges Zeugs anspielen, beurteilen, manchmal Beziehungen immer enger miteinander verwoben. Wer den Namen einer Musifür später notieren kurzum: recherkerin eingibt, bekommt ein paar Stücke von ihr vorgespielt und allerlei Artverchieren. Früher war mir diese Arbeit wandtes, genauer gesagt: Musik, die andere Hörer dieser Musikerin oft hören. von den Musikjournalisten meines Zu jedem Stück tauchen detaillierte Informationen auf dem Bildschirm auf, dazu Vertrauens abgenommen worden, eine Liste der Leute, die es auch gehört haben. Deren Seiten lassen sich anklidie mir dann in meiner Freizeit die cken, schon ist ihre Lieblingsmusik zu hören. Wer sich nur ein bisschen für Musik Früchte ihrer Vollzeitjobs präsenund Menschen interessiert, kann diesem Netz schwer entkommen. tierten. Meine jahrzehntelang mit Und doch verspürte ich nach der Begeisterung der ersten Last.fm-Wochen einen Abstand wichtigste Musikquelle, gewissen Sättigungseffekt, mit dem ich nicht gerechnet hatte: Auf jeder Party der geniale BBC-DJ John Peel, war wäre ich höchst angetan gewesen, Leute zu treffen, die, wie ich, die Songschrei2004 gestorben, danach fühlte ich ber Bonnie Prince Billy, Cat Power und Sufjan Stevens mögen. Bei Last.fm sah mich musikalisch verwaist. In diese ich mich nach ein paar Tagen von deren Fans umringt, es schien auf der ganzen existenzielle Lücke stieß, nach eiWelt überhaupt niemanden mehr zu geben, der die drei nicht allesamt in seiner ner angemessenen Phase der Stille, Top 5 hatte (mit anderen Favoriten wäre ich nur in einem anderen ParalleluniLast.fm. versum gelandet). Ständig wurde mir Musik empfohlen, die genauso klang wie Getrieben vom Hunger nach neuen die Musik, die ich bereits hörte. Das hätte jahrelang so weitergehen können, bis Klängen, wurde ich zu einer von Mildann eines Tages mein Musikinteresse vermutlich abgeebbt wäre. Wo blieben lionen fleißigen Ameisen, die ihren die Entdeckungen, die Überraschungen? mikroskopischen Beitrag zu einem Überhaupt: Mein Alter Ego, das ich mit meiner Musik finden wollte, würde doch gigantischen Bauwerk leisteten. nicht immer dieselben Favoriten rauf und runter hören. Er oder sie wäre natürlich Diese Art der vernetzten, kollektiständig auf der Suche nach dem Neuen. Also verbannte ich alle von mir allzu häuven Arbeit kann man Selbstausbeutung nennen oder auch Web 2.0. Ich fütterte also das System mit den Titeln, die ich tagsüber auf meinem iPod hörte oder abends auf dem heimischen Computer laufen ließ. Ich studierte die Vorlieben wildfremder Menschen, sah mir ihre Freunde und Freundesfreunde an. Bald darauf wurden mir jede Woche 50 neue Nachbarn vorgestellt, ich schloss Freundschaften in Japan, Amerika, in der Türkei. Eines Tages tauchte Christian auf. Eines Tages tauchte unter den Nachbarn Christian auf. Beim ersten Blick auf seine Playlist spürte ich einen Stromstoß: Es vermischte sich dort Debussy mit Gitarrenlärm, archai— 069
MEIN MUSIKALISCHER ZWILLINGSBRUDER
»Who is out there?«
0034 —
spreaders_01, Ausgabe_Q03 FORMAT .... FORMLOS .. REALITÄT .................................... VIRTUALITÄT ........................................................ FORMLOS ............. KOMMENTAR Mein musikalischer Zwillingsbruder — JÜRGEN VON RUTENBERG
scher Blues mit neuesten Elektronikexperimenten. Wir hörten auffällig viele Werke des Minimalisten Morton Feldman, teilten aber auch ein Faible für traditionelle Kora-Musik aus Mali. Am häufigsten hatten wir beide in den vorangegangenen Monaten dem exzentrischen Gitarristen John Fahey zugehört. Noch verblüffender als die Überschneidungen unserer häufig gehörten Favoriten waren Tausende Überschneidungen in Einzelfällen, quer durch alle Stilrichtungen, die wir unabhängig voneinander entdeckt hatten. Und während andere Nachbarn kamen und gingen, blieb Christian über M onate hinweg in der musikalischen Nähe, selbst wenn ich phasenweise mal wieder hauptsächlich Dub-Reggae oder Streichquartette hörte. Um mein mutmaßliches Alter Ego zu treffen, musste ich zunächst eine entscheidende Hürde überspringen: Per E-Mail durchbrach ich unsere Anonymität. Nach ein paar weiteren Mails verabredeten wir uns zu einem Treffen in Amsterdam, wo Christian studierte. Für die Begegnung mit meinem Doppelgänger wappnete ich mich mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Über Geschmack wird ja seit Jahrhunderten gestritten. In der Konsumgesellschaft, also noch nicht so lange, stellt sich die Geschmacksfrage häufiger denn je. Woher kommt eigentlich der Musikgeschmack? Zwei Theorien stehen sich gegenüber. Zwei Theorien stehen sich gegenüber: An einem Ende des Spektrums steht Theodor W. Adorno, der in seiner Musiksoziologie vor allem den Einfluss der Gesellschaft beschreibt, dem das verblendete Individuum kaum etwas entgegensetzen kann. Am anderen Ende steht die (neuere) Vorstellung einer musikalischen Selbstsozialisation, die sich, besonders in der Teenagerphase, über die Musik ihre eigene Identität erschafft. Irgendwo dazwischen steht der Klassiker der Geschmackstheorie: Für Pierre Bourdieu ist der Geschmack kulturelles Kapital. Wer sozial aufstrebt, sucht und findet Geschmack an den als hochwertig geltenden Formen (an Opern, Designersesseln, guten Weinen) und gewinnt so an Prestige. (Bourdieus Theorie bestätigt sich selbst: Das einfachste Mittel, kulturelles Kapital zu ergattern, besteht darin, möglichst beiläufig Bourdieu und kulturelles Kapital in die Konversation einfließen zu lassen.) Schon lange vor Bourdieu merkte Immanuel Kant in seiner Kritik der Urteilskraft an: Nur in der Gesellschaft wird es interessant, Geschmack zu haben. An alldem ist viel dran. Doch ohne Kant und Bourdieu widersprechen zu wollen: Es kommt durchaus vor, dass sich jemand ohne Rücksicht auf soziale Gewinne und Verluste für Musik begeistert. Das Scrobbling lässt sich auch ausschalten (das konnte Kant noch nicht wissen), und zwischen den Ohrenstöpseln eines MP3-Players sind Expeditionen ins Unbekannte gefahrloser denn je. Es sollte also außer der Gesellschaft noch eine andere Erklärung geben für die Übereinstimmungen zwischen Christian und mir. Peter Rentfrow, Psychologe an der Universität Cambridge, hat vor ein paar Jahren den Musikkonsum von 3200 amerikanischen College-Studenten untersucht.
spreaders_01, Q03 VIRTUALITÄT — MUSIK IM NETZ
Millionen Nutzer aus über
Länder sind bei last.fm registriert.
Die Vielfalt ihrer Lieblingsmusiken bündelte Rentfrow in vier handliche Kategorien: reflexiv und komplex, intensiv und rebellisch, schwungvoll und konventionell sowie energisch und rhythmisch. Ausserdem füllten die Studenten einen Fragebogen zur Persönlichkeit aus. Rentfrow stieß auf deutliche Korrelationen zwischen der bevorzugten Musikkategorie und persönlichen Eigenschaften wie Temperament, Aufgeschlossenheit, politischer Grundhaltung. In einem umgekehrten Experiment stellten seine Probanden anhand von zehn Lieblingssongs Mutmaßungen über einen Unbekannten an. Sie lagen fast immer richtig. Und so stieg meine Vorfreude auf das Treffen mit meinem unbekannten Zwillingsbruder. nach dir. Ich blätterte gerade die CDs der Unterabteilung Der größte Plattenladen Amsterdams, Fame, erstreckt Mali durch, als Christian mich von der Seite ansprach. In sich über mehrere Stockwerke. Ich hatte Christian per der Hand hielt ich eine CD von Tourani Diabaté, die, anstelle SMS meine Jacken- und Haarfarbe verraten, er antwordes Wetters oder der Frage Wie war die Reise?, gleich unser tete: Ich gucke einfach in den relevanten Abteilungen erstes Gesprächsthema wurde. Christian kannte die noch nicht, erzählte mir aber von Diabatés anderen Platten und vom restlichen Diabaté-Clan, einer großen und ehrwürdigen Musiker-Dynastie. Wir gingen hinüber zur Abteilung CountryFolkAmericana, inspizierten die John-Fahey-CDs, fanden eine, die wir beide noch nicht hatten, gingen damit zur Kasse und dann gleich weiter um die Ecke in Christians Lieblingskneipe, O’Reilly’s Irish Pub (in der auch ich mich gleich zu Hause fühlte). Es lief laute Musik, wir mussten gegen sie anreden. Und sie natürlich ständig kommentieren. Über den Motown-Hit Stop! In The Name Of Love von den Supremes sagte Christian, völlig zu Recht: Kein Computer kann wissen, dass dieses Stück in einem lauten Pub besonders gut klingt. Ich stellte ein paar Thesen auf über die Musikindustrie im Allgemeinen und Last.fm im Besonderen, er stellte ein paar Thesen auf, schon fielen wir uns ins Wort mit Ergänzungen und Beispielen, führten gegenseitig unsere Sätze zu Ende, wie ein altes Ehepaar. Nach zwanzig Minuten unterhielten wir uns so, als ob wir uns schon zwanzig Jahre kannten. Im Zuge meiner empirischen Forschung fragte ich ihn nach seinem Lieblingsautor. Thomas Pynchon, sagte er. Okay, das passt, einer meiner Lieblingsschriftsteller, David Foster Wallace, wird immer wieder als pynchonesk bezeichnet. Lieblingsmaler? Mark Rothko. Kein Wunder, ein Hauptwerk unseres Favoriten Morton Feldman heißt immerhin Rothko Chapel. Lieblingskomiker? Steve Wright. Oh ja, den finde ich auch sehr lustig. Und so weiter. Astrologen mögen sich daran erfreuen, dass unsere Geburtstage nur zwei Tage auseinanderliegen, wenn auch 16 Jahre. Irgendwann fragte ich ihn: Wieso sprichst du eigentlich so gut Englisch?“ — 071
spreaders_01, Ausgabe_Q03
»Who is out there?«
0036 —
Ich bin in den USA geboren.
Ach ja? Ich bin auch in den USA geboren, sagte ich. Ich war neun Jahre alt, als wir in die Niederlande umgezogen sind. Ich war drei Jahre alt, als wir nach Deutschland umgezogen sind. Kurzes Schweigen. Und - wo in den USA habt ihr gelebt? In der Nähe von Boston, und du? In der Nähe von Boston.
Es fielen uns dann noch allerlei Erklärungen ein, wie unsere parallelen Biografien unseren Musikgeschmack geprägt haben könnten: vielleicht als Suche nach Ursprüngen, nach Wurzeln, die uns zu archaischen Bluesplatten und von da aus gleich weiter nach Afrika geführt hat. Vielleicht erklärt die frühe Verpflanzung aber auch nur die Intensität unseres Musikinteresses, die schiere Menge von Musik, die wir jahrzehntelang gehört haben. Möglicherweise haben wir beide - wie wäre ich bereit zu wetten: Auch mit meinen anderen muviele andere Menschen auch, die niemals in der Nähe von sikalischen Nachbarn, in Japan, in Amerika, in der Türkei, Boston gelebt haben - in der Musik eine Art Heimat gewürde mich jenseits der Musik irgendetwas Entscheidendes sucht und gefunden. verbinden. Wir würden uns wahrscheinlich sogar mögen. Christian glaubt jedenfalls, dass Musik für ihn immer Zwei Wochen nach dem Treffen in Amsterdam bekam ich auch ein Weg zurück nach Amerika war. Ganz besonders Besuch von Andre, einem meiner ältesten Freunde aus der John Fahey. Den hat er erst vor ein paar Jahren entdeckt. wirklichen Welt. Vor mehr als 25 Jahren hatten wir uns auf In einer Phase, in der er viel Experimentelles und Elektrodem Schulhof zum ersten Mal über Musik unterhalten und nisches gehört hatte, betrat Christian einen Plattenladen uns seitdem immer wieder gegenseitig mit Empfehlungen, in Leiden. Dort lief gerade Faheys Gitarrenspiel über die Mix-Tapes und Mix-CDs versorgt, gelegentlich auch bitterLautsprecher. Es haute ihn um. Wann genau das war? böse über Geschmacksfragen gestritten. Nachdem wir fast Den Tag kannst du auf meiner Last.fm-Seite ablesen. ein Jahrzehnt lang auf verschiedenen Kontinenten gelebt Nach ein paar Stunden im Irish Pub begleitete ich Chrisund uns immer wieder völlig aus den Augen verloren hattian noch zur Strassenbahn. An der Haltestelle reichten ten, wohnen wir nun beide in Berlin. Nach einem Schluck wir uns die Hand zum Abschied. War toll, dich zu treffen, Bier sagte Andre zu mir: Ich glaube, ich hab dich bei Last. sagte einer von uns, Ja, sagte der andere. Also dann, bis fm entdeckt. Er nannte meinen Last.fm-Namen. Wir sind bald mal wieder, verblieben wir im Ungefähren. da jetzt Nachbarn, seit voriger Woche. Unter 25 Millionen Außer der geografischen Distanz wüsste ich keinen Menschen, nach Zehntausenden von Musikstücken in zwei Grund, warum wir nicht auch in der wirklichen Welt beste Jahren hatte also der Last.fm-Rechner in einer weltweiten Freunde werden könnten. Vielleicht sehen wir uns auch Datensichtung geschafft, was Andre und mir damals auf nie wieder. Aber bestimmt werden wir noch viel voneindem Pausenhof in der Provinz gelungen war, als wir uns die ander hören. Namen obskurer Bands zuraunten. — Bewiesen war mit unserer gemeinsamen Herkunft nichts, natürlich konnte sie auch Zufall sein. Wie es ja auch Zufall sein kann, dass bei der Geburt getrennte Zwillinge später dieselbe Zahnpasta verwenden oder denselben Beruf ergreifen. Aber nach dem Gespräch mit Christian
Kann, darf, soll man Menschen nach ihrem Musikgeschmack beurteilen? Die Antwort, die Last.fm errechnet hat, lautet: Ja.
spreaders_01, Q03
spreaders_01, Ausgabe_Q03
»Who is out there?«
— 0037
084 —
Text: JONAS LOH und FILIP CHUDZINSKI, Illustrationen: Silke Werzinger
PIMP MY LIFE
Identitätsdar im Internet
spreaders_01, Q03
»Who is out there?«
85
Anonym, pseudonym oder orthonym? Pimp my life will zeigen, in welchem Maße sich Menschen im Internet auf der Suche nach Aufmerksamkeit tagtäglich eine Blöße geben. Gleichzeitig dient der Computerbildschirm aber auch als Maske – man kann sein, wer man möchte. Das schnelllebige Internet wird in ein beständiges und sinnliches Medium transformiert. In
vielen Newsgroups des Usenet der 90er-Jahre gab es immer wieder den mahnenden Aufruf, doch bitte seinen tatsächlichen Namen als Absender der eigenen Beiträge zu verwenden. Die Verwendung einer funktionierenden E-Mail-Adresse, die bei Bedarf die direkte Kommunikation abseits der öffentlichen Diskussion ermöglichte, war ohnehin Pflicht. Angst vor der Spam-Überflutung des E-Mail-Kontos gab es praktisch nicht. Die Kommunikation mit offenem Visier gehörte zum guten Ton auch wenn sie natürlich aus verschiedenen Gründen nicht
spreaders_01, Ausgabe_Q03
rstellung
— 085
086 —
FORMAT .... FORMLOS .. REALITÄT .................................... VIRTUALITÄT ........................................................ FORMLOS ............. KOMMENTAR
überall konsequent praktiziert wurde. Das war damals. Heutzutage sieht das Bild ein wenig anders aus. Im Web kann und soll man an allen Ecken und Enden seine Meinung kundtun, vorhandene Inhalte kommentieren oder neue erschaffen und veröffentlichen. Das Mitmach-Web ermöglicht es, so vielen Menschen wie nie zuvor in einer so öffentlichen und zumindest potenziell reichweitenstarken Art und Weise wie nie zuvor die eigene Meinung zu allem und jedem äußern. Und zu jedem Inhaltsschnipsel existiert ein Absender. Zu jedem Inhalt exisitert ein Absender. Meist wird ein Nickname angegeben, dazwischen auch mal ein Realname. Komplett anonyme Dienste sind eher selten. Was unter einem solchen Psudonym alles im Web veröffentlicht wurde, lässt sich auch Jahre später noch bequem per Google recherchieren. Dabei müssen die verschiedenen Beiträge zu einem Nickname natürlich nicht zwangsläufig auch von der selben Person stammen.
69,1% Internetnutzung in Deutschland
72,1%/&62,4%
Internetnutzung in Deutschland nach Geschlecht
»Who is out there?«
spreaders_01, Q03 VIRTUALITÄT — SELBSTIDENTITÄT
Platz belegt Deutschland in der Europäischen Union bei der Internetnutzung im Vergleich
Wer auf seine Online-Reputation wert legt, sollte sich daher genau überlegen, wie sie oder er im Netz auftritt. Dabei kann es es sowohl darum gehen, das Aufzeigen eines Zusammenhangs zwischen bestimmten Inhalten zu vermeiden als auch einen solchen Zusammenhang gezielt aufzuzeigen. Überdies kann die gewünschte Ausrichtung je nach Website, Inhaltsart oder dem damit verbundenen Lebensbereich auch noch unterschiedlich ausfallen. Meiner Meinung nach hilft es, sich einmal eine für die eigenen Bedürfnisse passende Strategie zu überlegen und sich dann konsequent an diese zu halten, wenn es darum geht, sich wieder einmal bei einer Social-wasauch-immer-Website anzumelden oder auch nur einen einfachen Blog-Kommentar abzugeben. Bekanntlich ist es in vielen Fällen im Netz gar nicht möglich, Inhalte ohne eine Absenderangabe zu veröffentlichen. Was bleibt, ist die Möglichkeit, viele verschiedene Psudonyme zu verwenden. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass die einzelnen an die jeweiligen Pseudonyme geknüpften Identitäten zusammengeführt werden. Die Vorteile des relativ „sicheren Schutzes vor einem ungewollten Erkanntwerden erkauft man sich mit damit, dass dadurch auch eine gewollte website- oder anwendungsübergreifende Identifizierung durch Freunde bzw. Kontakte deutlich erschwert wird. Nicht nur, dass man selber in einem solchen Fall immer wieder darauf hinweisen muss, bei welchem Portal man denn nun wie heißt auch für die Netz-Freunde/-Kontakte kann es schnell anstrengend werden, die vielen Psudomyne immer korrekt zuzuordnen. Aktives Selbstmarketing Für ein aktives Selbstmarketing im Internet ist dieses Vorgehen in seiner Gänze ohnehin nicht relevant, da Wiedererkennbarkeit hierfür ein wichtiger Baustein ist. Nur in Ausnahmefällen kann es sinnvoll sein, für einzelne Services, die ansonsten nicht ins gewünschte Gesamtbild der eigenen Marke bzw. Persönlichkeit passen, völlig autarke Psudonyme zu nutzen.
— 087
0042 —
FORMAT .... FORMLOS .. REALITÄT .................................... VIRTUALITÄT ........................................................ FORMLOS ............. KOMMENTAR
Text: JONAS LOH und FILIP CHUDZINSKI, Illustrationen: JONAS LOH
spreaders_01, Q03
97
spreaders_01, Ausgabe_Q03
»Who is out there?«
You’re is a printed portrait of your virtual web identity, displaying a mash-up of your interests, feelings, thoughts, pictures, music & everything you ever published in a specific web community. Your personal data is set in a new context as all data found by the Java based web crawler is displayed at once. The result makes the viewer aware how the mostly idealised virtual identity differs from the real one & how easy The system just needs a e-mail address which is send to the people & data look up service rapleaf. The result shows every community the person is using. With one can make a profile this result following services & API are used: delicious to find the contexts & of your personality.
interests of the person; flickr to show the pictures, titles & tags of the person; twitter to display the last sentence the user twittered; last.fm to look up the music taste, given tags and the friends. All the collected data is dynamically arranged on the canvas according to the quantity of the specific data and exported as print ready .pdf file. No post pro— 0043