www.merianverlag.ch ISBN 978-3-85616-643-4
9 783856 166434
ARCHITEK TEN DES KL ASSIZISMUS UND HISTORISMUS
Die politischen, technischen und wirtschaft lichen Umwälzungen zwischen 1780 und 1880 hinterl iessen in Stadtstrukturen und Bauten deutliche Spuren. Zunehmend orientierten sich die Architekten an Vorbildern aus früheren Stilepochen, traten aus dem anonymen Bau meisterd asein heraus und schufen neben bedeutsamen öffentl ichen Bauten eind rückliche Privathäuser. Das mit zahlreichen Fotos und Grundrissen ausgestattete Buch stellt die Geb äude der einflussreichsten Architekten in Basel vor: Melchior Berri, Amadeus Merian, Christoph Riggenbach und Johann Jakob Stehlin d. J. sowie einige ihrer weniger bekann ten B erufsgenossen. Die Kunsthistorikerin Rose Marie Schulz-Rehberg hat vollständige Werkkataloge zusammenget ragen und fasst erstmals Architekten und Bauherren dieser Epoche in einem Band zusammen. Übersichtliche Stadtpläne machen das Buch zu einem wertvollen Instrument für alle, die sich für die Architektur des Klassiz ismus und Historism us interessieren.
ROSE MARIE SCHULZ-REHBERG
ARCHITEKTEN DES KLASSIZISMUS UND HISTORISMUS BAUEN IN BASEL 1780–1880
CHRISTOPH MERIAN VERLAG
ROSE MARIE SCHULZ-REHBERG
ARCHITEKTEN DES KLASSIZISMUS UND HISTORISMUS BAUEN IN BASEL 1780–1880
CHRISTOPH MERIAN VERLAG
BAUGESCHEHEN IN BASEL ZWISCHEN KLASSIZISMUS UND ANTIKLASSIK . . . . . . . . . . 7 STADTPLAN VON BASEL . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 DIE ARCHITEKTEN JOHANN ULRICH BÜCHEL . . . . . . . FRIEDRICH UND ACHILLES HUBER . JOHANN JAKOB HEIMLICHER . . . . . MELCHIOR BERRI . . . . . . . . . . . . . JOHANN JAKOB STEHLIN D. Ä. . . . . AMADEUS MERIAN . . . . . . . . . . . . CHRISTOPH RIGGENBACH . . . . . . MATHIAS OSWALD . . . . . . . . . . . . JOHANN JAKOB A WENGEN . . . . . . JOHANN JAKOB STEHLIN D. J. . . . . . LUDWIG MARING . . . . . . . . . . . . . HERMANN GAUSS . . . . . . . . . . . . PAUL REBER . . . . . . . . . . . . . . . . .
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BAUGESCHEHEN IN BASEL ZWISCHEN K LASSIZISMUS UND ANTIKLASSIK Das Zeitalter der Aufklärung bewirkte im Laufe des 18. Jahrhunderts geistesgeschichtlich und politisch grosse Umbrüche. Die Herrschaftssysteme des Ancien Régime wurden hinterfragt und Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu den normativen Forderungen, welche die Menschen aus der Verstrickung in die Machtsysteme des absolutistischen Staates und der Kirche herauslösen sollten. Mit Rückgriffen auf ein religiös begründetes Naturrecht und mit der Hinwendung zu den Naturwissenschaften wurde die Vernunft zur Leitidee einer Lebensgestaltung, die jedem Menschen ungeachtet seiner Herkunft die gleichen Rechte zugestand. Blinder Glaube und die Unterwerfung unter eine gottgegebene Obrigkeit sollten überwunden werden. Diese Ideen führten – mit den Revolutionen in den Vereinigten Staaten und in Frankreich als Katalysatoren – im 19. Jahrhundert schliesslich fast überall in Europa zu Verfassungsstaaten. Die attische Demokratie und die römische Republik erschienen als Vorbilder für die Verwirklichung dieser neuen Werte. Die Ausgrabungen in Herculaneum und Pompeji lieferten das passende Anschauungsmaterial zur neu verstandenen Antike und erweckten im gebildeten Bürger tum ein entsprechendes Stilempfinden. Anders als im Barock und R okoko suchte man nun die geradlinige Schlichtheit. Besonders in der Baukunst wurde die aus dem Zweck entwickelte Form, wie sie Vitruv mit firmitas, utilitas und venustas gefordert hatte, zum Leitbild. Dieses war auch schon im Aufgreifen antiker Stilmittel in der italienischen Renaissance des 15. Jahrhunderts verfolgt worden. Ganz wesentlich wurde das Antikenverständnis durch die Protagonisten des Klassizismus gedankens geprägt, durch Johann Joachim Winckelmann mit seiner Auffassung von ‹ edler Einfalt und stiller Grösse › der antiken Kunst, aber auch durch Piranesis1 und Le Roys2 (1 ) Giovanni Battista Piranesi: populäre Veröffentlichungen.
Le Antichità Romane. Rom 1756. (2 ) Julien-David Le Roy: Les ruines des plus beaux monuments de la Grèce. Paris 1758.
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Neben dem Klassizismus, der nur eine – die vernunftbestimmte – Richtung hin zum aufgeklärten, seiner selbst bewussten und verantwortlichen Menschen darstellte, entwickelte sich eine antagonistische Strömung. Wahrheit und Schönheit fand man in ihr im Sinne Jean- Jacques Rousseaus auf dem Weg zurück zum Ursprung der Dinge, in ihrer Natürlichkeit, man entdeckte die Authentizität des Gefühls als Erkenntnisquelle. Als ein davon nochmals unterschiedener Rückgriff in die Historie entwickelte sich eine Verklärung des Mittelalters als Sehnsuchtsepoche einer zuweilen religiösen und national gefärbten Neubestimmung, die sich in den neugotischen Bauten zeigen sollte. Ein diesbezüglich programmatisches Schlüsselwerk veröffent lichte 1753 der französische Architekturtheoretiker Abbé Marc-Antoine Laugier mit seinem ‹ Essai sur l’architecture ›, in dem er die Rückkehr zu den funktionalen Urelementen des Bauens, nämlich Säule, Gebälk und Dach forderte.3 Der englische Gartenarchitekt Batty Langley4 wagte den kühnen Versuch, klassische und gotische Architekturelemente miteinander zu verbinden. Neben viel Spott erreichte er damit eine grosse Breitenwirkung und trug wesentlich zum Phänomen des Gothic Revival in England bei, dessen früher Höhepunkt die Architekturfantasie des Landsitzes Strawberry Hill von Horace Walpole ( ab 1749 ) bildete. In der Gestalt der wie natürlich entstandenen englischen Gärten, die oft mit künstlichen, meist gotischen Ruinen angereichert wurden, verbanden sich diese antiklassischen Tendenzen der Naturund der Mittelalterverehrung. In der schweizerischen Eidgenossenschaft verkörperte sich dieses neue Denken beispielhaft in den Persönlichkeiten des Berner Naturforschers Albrecht von Haller und des Zürcher Dichters und Malers Salomon Gessner. Beide waren tief berührt von der Schönheit und Ursprünglichkeit der Natur ganz allgemein und der Alpenwelt mit ihrer für die Schweiz existenziellen Bedeutung im Besonderen, in der sie eine mächtige Manifestation des Göttlichen sahen. Die naturwissenschaftliche Erforschung und Erkundung dieser Gebirge nahm damals ihren Anfang, woraus sich eine Form nationaler Selbstvergewisserung entwickelte. Zum zentralen Ausdruck dessen wurde 1761 die Gründung der überkonfessionellen Helvetischen Gesellschaft durch Gessner und weitere fortschrittliche Bürger und Aristokraten. Zu ihren Idealen gehörten die Entfaltung eines nationalen Selbstbewusstseins in einem zugleich grenzüberschreitenden Freundschaftsbund, die Entwicklung republikanischer Tugenden und die Verbesserung des Erziehungswesens.
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So wurde auch Basel von den Gedanken der Aufklärung erfasst. Bis zu den Umwälzungen im Zusammenhang mit den napoleonischen Kriegen hatte die Stadt mit ihren rund 15 000 Einwohnern unter dem Ancien Régime ein recht beschauliches Dasein geführt. Die Macht lag in den Händen der wirtschaftlich potenten alten Familien von Handelsherren, Bankiers, Seidenbandfabrikanten und Zunftmeistern, die seit Jahrhunderten die Ratsherren stellten. Sowohl Handelsbeziehungen als auch die Basler Militärs in Frankreichs Diensten vermittelten dessen Lebensart und Sprache. Unter anderem ist diese kulturelle Verbindung am Stil der nach Jacob Burckhardt « stets gut gelaunten » Repräsentationsarchitektur der barocken Stadthäuser deutlich ablesbar. Es formierten sich jedoch Kreise fortschrittlich Gesinnter in Opposition zu diesen Verhältnissen, die sich für das Gemeinwohl und damit auch für die ärmeren Schichten, vor allem für deren Bildung, verantwortlich fühlten. Ein Exponent dieses philanthropischen Denkens war der Ratsschreiber Isaak Iselin, der Sohn einer geschiedenen Frau aus gutem Hause und einer der Mitbegründer der Helvetischen Gesellschaft. 1777 gründete er zusammen mit dem Seidenbandfabrikanten Rudolf Forcart-Weiss und fünf weiteren Gesinnungsfreunden die Gesellschaft zur Aufmunterung und Beförderung des Guten und Gemeinnützigen ( GGG ) und 1787 die Basler Lesegesellschaft. Iselin mahnte eindringlich zu Bescheidenheit und « allgemeiner bürgerlicher Mässigung in Gebäuden und Mobilien »5. Bis zu einem gewissen Grad stand ihm die ganze bildende Kunst, ihre Ausübung und Sammlung, unter dem Generalverdacht eines dem Gemeinwohl abträglichen Luxus. Das mündete im Postulat einer Formenreduktion der Bauten, derer sich später selbst das Bauhaus kaum zu schämen gehabt hätte, vergleichbar auch den reduktionistischen Schöpfungen der sogenannten Revolu tionsarchitekten in Frankreich. Die Antike in Basel erhielt durch die in der nahen Römerstadt Augusta Raurica gemachten Funde ganz aktuell einen neuen Stellenwert. Sie wurde gleichsam als helvetisches Pompeji empfunden. Durch die 1751 veröffentlichte ‹ Alsatia illustrata › des Johann Daniel Schoepflin und mehr noch durch Daniel Bruckners ‹ Merkwürdigkeiten der Landschaft Basel › von 1763 wandte sich das Interesse der gebildeten Kreise diesen lokalen antiken Hinterlassenschaften zu. Man schreckte auch nicht davor zurück, Fundstätten zu plündern, um den eigenen Gartenpark mit antiken Hinterlassenschaften zu schmücken. Über den Kupferstecher, Verleger (3 ) Laugier (1989 ). und Kunsthändler Christian von Mechel
(4 ) Langley (1747 ). (5 ) Isaak Iselin: Palaemon, oder von der Ueppigkeit. Zürich 1769.
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fanden die antikisierenden Kunstströmungen ebenfalls ganz wesentlich ihren Eingang nach Basel. 1767 hatte er sich in Rom mit Winckelmann angefreundet, der ihm regelmässig Nachschub an Kunstgegenständen aus Italien verschaffte. Mit seiner Kunstsammlung, seiner Kupferstecherakademie und Kennerschaft spielte von Mechel im europäischen Kulturleben eine nicht unbedeutende Rolle. Über die Jahre gaben sich illustre und gebildete Besucher aus ganz Europa in seinem Haus die Klinke in die Hand – der Besuch bei ihm war ein Muss. 1775 besuchte ihn Goethe, 1779 sogar gemeinsam mit Herzog Carl August. Es bestand eine direkte Verbindung zum Hof des Markgrafen an der Hebel strasse. Von Mechel wurde gar vom österreichischen Kaiser Joseph II. aufgesucht, für den er 1779 bis 1784 die kaiserliche Sammlung im Schloss Belvedere in Wien nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten neu ordnete, wie er das bereits in der kurfürstlichen Galerie ( nach dem Konzept von Wilhelm Lambert Krahe ) in Düsseldorf durchgeführt hatte. Zum Dank für diese Arbeit erhielt er 1776 vom Kurfürsten Carl Theodor von der Pfalz für sein Haus in der St. Johanns-Vorstadt 15 ein wohl aus der Hand seines Architekten Nicolas de Pigage stammendes klassizistisches Portal, das zum ersten Mal in Basel von diesem Stil kündete. Durch seine Freundschaft mit diesem war von Mechel aus erster Hand auch über das zeitgenössische Bauen am Oberrhein orientiert und war als Berater in Pierre Michel d’Ixnards gigantisches Projekt des Neubaus der Abtei von St. Blasien, des wohl modernsten Bauwerks jener Zeit in dieser Gegend, involviert. Von Mechels Klassizismusverständnis gründete sich in erster Linie auf eine durch die Renaissance umgeformte Antike. Diese Haltung mani festierte sich auch bei seinem Protégé, dem jungen Architekten Johann Ulrich Büchel, dessen klassizistischer Kirschgarten viel eher italienische Profanarchitektur wie den Palazzo Farnese als antike Architektur spiegelt. Über von Mechel fanden auch Strömungen der Frühromantik und der Neugotik Eingang nach Basel. Sein jahrelanger freundschaftlicher Austausch mit dem ebenfalls international vernetzten Zürcher Pfarrer und Gelehrten Johann Caspar Lavater dürfte massgeblich dazu beigetragen haben. Lavater hatte über seinen Kontakt mit dem Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, dem er unter anderem den Ankauf einer beachtlichen Sammlung an Schweizer Glasgemälden vermittelt hatte, dessen ‹ Gotisches Haus › in Wörlitz im ersten Landschaftsgarten auf dem Kontinent kennengelernt und war zutiefst davon beeindruckt. Von seiner Reise nach England mit seinem Vertrauten, dem
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Architekten Friedrich von Erdmannsdorff, hatte der Fürst nicht nur Anregungen zur Anlage seines Dessau-Wörlitzer Gartenreichs mitgebracht, sondern auch seine Bewunderung für das Gothic Revival, wie er es in Horace Walpoles Strawberry Hill von 1749 beispielhaft vorgefunden hatte und das im Bau des Gotischen Hauses seinen Niederschlag fand. Lavaters Anregungen trugen zweifellos dazu bei, dass bei dem von Friedrich Huber entworfenen Neubau des hinteren Rathaustraktes und beim Umbau des Kapitelhauses für die Allgemeine Lesegesellschaft ebenfalls Formulierungen des Gothic Revivals aufgegriffen wurden. Von Haller, Gessner, von Mechel, Lavater, auch Fürst Franz und nicht zu vergessen Isaak Iselin sind nur einige der Exponenten in einem internationalen Wissenschafts- und Freundschaftsbund, der in einem europa weiten Kulturaustausch die Gedanken der Aufklärung beförderte. Fast durchgängig lässt sich beobachten, dass das Herz fast aller damaligen Architekten sowohl für die klassizistische wie auch für die romantische Richtung schlug. In nicht wenigen ihrer Zeichnungen ergingen sich von Mechel wie auch Büchel in neugotischen Ruinenlandschaften und Naturdarstellungen. Melchior Berri, der bedeutendste Architekt des Klassizismus in der Schweiz, entwarf zwei ‹ gotische Zimmer ›, und Christoph Riggenbach, der Schöpfer der stimmungsvollsten spätklassizistischen Privathäuser, begann seine Laufbahn mit dem Treppenhaus der neugotischen Lesegesellschaft und beschloss sein Leben mitten in seinem Wirken als Bauleiter der neugotischen Elisabethenkirche. So wölbte sich ein weiter Bogen zwischen Klassik und Antiklassik, zwischen Vernunft und Gefühl und umspannte Gedankenwelten von sozialer und politischer Tragweite. ÖFFENTLICHE BAUTEN Die wirtschaftliche Stagnation in Folge der Napoleonischen Kriege und der Kontinentalsperre hatte die Bautätigkeit in Basel auf ein Mindestmass reduziert. Nur allmählich signalisierte die Zunahme öffentlicher Bauten einen Umschwung. Die Reorganisation des Bildungs- und Schulwesens und der systematische Aufbau der Armen- und Wohlfahrtspflege sowie des Gemeinschaftslebens bewirkten wichtige Bauvorhaben, oft tatkräftig unterstützt durch die GGG. Einen Anfang machte 1822 / 23 das erste, eigens gebaute Schulhaus für Knaben und Mädchen am Steinenberg. Ab 1854 wurde die Töchterschule am Totengässlein erweitert und ausgebaut. Ein früher architektonischer Höhepunkt war der Bau des Stadt casinos durch Melchior Berri in den Jahren 1822 bis 1824. Fast gleichzeitig erhielt der rückwärtige Trakt des Rathauses seine neugotische
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Gestalt, und kurz darauf baute Berri das erste Theater. Nach den Wirren der Kantonstrennung von 1833 konnte der Plan des ersten öffentlichen Museumsbaus der Schweiz, mit dem sich die Stadt ein Stück ihres angeschlagenen Selbstbewusstseins zurückholte, erst in den 1840er-Jahren verwirklicht werden. Die Nutzung des Neubaus geschah gemeinsam mit der Universität, deren Unteres Kollegium am Rheinsprung auch bald erweitert wurde. Später folgte am Steinenberg die Anlage eines Kulturzentrums mit einem grösseren Theater, der Kunsthalle und dem Musiksaal, ein Grossprojekt zur Förderung von Bildung und Geselligkeit. Weitere bedeutsame Bauvorhaben im öffentlichen Sektor wurden oft unter Umnutzung früherer Klosterareale durchgeführt. Grosses Gewicht hatte der Bau eines Bürgerspitals auf dem Gelände des Markgräflerhofes. Neue Bauten wie Gericht und Strafanstalt erhielt auch die Justizbehörde. Durch den Stadterweiterungsbeschluss von 1859 trug man dem stark anwachsenden Platzbedarf mit der Niederlegung des Mauerrings Rechnung. Nur drei Stadttore und ein Stück Wehrmauer im St. Albantal wurden auf Drängen denkmalschützerisch gesinnter Kreise stehen gelassen. Damit verdoppelte sich das Stadtgebiet, und die Grundlage für ein neues Verkehrssystem wurde geschaffen. Von verkehrstechnisch grosser Bedeutung waren die Einrichtung der ersten Bahnlinien und die Errichtung von Bahnhöfen, 1845 wurde der St. Johann-Bahnhof, 1860 der Centralbahnhof in Betrieb genommen, 1859 bis 1862 folgte der Badische Bahnhof am Riehenring. Zur Entlastung der mittelalterlichen Brücke richtete man ab 1853 Fähren ein. Anlässlich der Übernahme des Postrechts durch die Eidgenossenschaft baute man im selben Jahr die Hauptpost anstelle des alten Kaufhauses an der Freien Strasse. Schon 1851 waren eidgenössische Zollhäuser am Lysbüchel, in Burgfelden, am Horn und bei der Wiesenbrücke eingerichtet worden. Für die eidgenössischen Truppen wurde 1860 eine Kaserne errichtet. Ab 1859 erhielt der Rhein Promenaden unterhalb des Seidenhofes und im Kleinbasel. Die Langen Erlen wurden zu einem Naherholungsgebiet und zur Wassergewinnzone ausgebaut. Grosse Areale im Kannenfeld und auf dem Wolf ersetzten die alten Friedhöfe. Neue Sakralgebäude entstanden erst in der zweiten Jahrhundert hälfte: 1865 die evangelisch-reformierte Elisabethenkirche durch Ferdinand Stadler mit Christoph Riggenbach, nur wenig später die von Hermann Gauss entworfene Synagoge und 1883 bis 1886 die katholische Marienkirche Paul Rebers.
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PRIVATBAUTEN Von privater Seite wurden in erster Linie grosszügige Stadthäuser und Familiensitze sowie etliche Fabrikgebäude errichtet, erst von der Jahrhundertmitte an entstanden gelegentlich auch Mehrfamilienhäuser. Innerhalb der damaligen Entwicklung war das klassizistische Palais Zum Kirschgarten ein Markstein – End- und Anfangspunkt zugleich. Es stand am Ende der Reihe üppiger Kaufmannssitze und war zugleich der aufwendigste von ihnen, erstellt in einem Stil, der zum ersten Mal in diesem Ausmass in Basel in Erscheinung trat. Danach stagnierte die private Bautätigkeit durch den wirtschaftlichen Stillstand während der politischen Umwälzungen der folgenden Jahre fast vollständig. Nur wenige, deutlich schlichtere Villen entstanden ab 1820, vor allem im nahen Umland. Erst ab 1840 – vor allem am Münsterplatz und in der St. Alban- Vorstadt – wurden wieder vermehrt grössere Stadthäuser gebaut. Im Laufe der 1850 er-Jahre intensivierte sich mit der Industrialisierung und dem Aufblühen der Wirtschaft die private Bautätigkeit weiter. Die neu erschlossenen Zonen am Stadtrand wurden zur Errichtung zahlreicher stattlicher Familiensitze genutzt, oft verbunden mit der Anlage eines englischen Gartens. Charakteristisch dafür sind die Entwicklungen der Garten- und der St. Jakobs-Strasse sowie der St. Alban-Anlage und der Gellertstrasse, wo sich vor allem viele Industrielle aus der Textilbranche, Grosskaufleute und Bankiers grosszügige Villen leisteten. Anders als bei den viel zurückhaltender instrumentierten Bauten vor der Jahrhundertmitte, die – neben den selteneren neugotischen Schöpfungen – meist zwischen klassizistischer Geradlinigkeit und einem leicht orientalisierenden Rundbogenstil oszillierten, wurden danach von den Auftraggebern wie Architekten in zunehmendem Masse Elemente unterschiedlicher Stile verwendet, um ihr Selbstgefühl und Repräsentationsbedürfnis auszudrücken. Auf der Welle des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts fühlten sie sich in zunehmendem Masse als Herren der Geschichte. Diese als Historismus bezeichnete Vorgehensweise hat einen ihrer frühen Vertreter im Architekten Heinrich Hübsch mit seiner programmatischen Schrift ‹ In welchem Style sollen wir bauen? ›. Besonders prägnant war der Bezug auf den französisch geprägten Neubarock, der von Johann Jakob Stehlin d. J. stark propagiert wurde. Aber selbst dieser war der Verwendung von beispielsweise Renais sanceelementen zugänglich und importierte auf Wunsch sogar ein Tudorschlösschen an die Gellertstrasse.
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Das Berufsbild des Architekten war damals noch nicht klar umrissen. Abgesehen von Hermann Gauss stammen alle hier vorgestellten Architekten aus Basler Familien. Manche unter ihnen wie Ulrich Büchel, Johann Jakob Heimlicher, Amadeus Merian und die beiden Stehlins hatten bereits einen familiären Hintergrund als Baumeister, Zimmermeister oder Steinmetzen und begannen ihre Ausbildung in der väterlichen Werkstatt. In der Regel schloss sich daran eine Weiterbildung an. Da erst seit der Gründung der ETH als Polytechnikum in Zürich im Jahr 1855 in der Eidgenossenschaft ein adäquater Ausbildungsort zur Verfügung stand, verschafften sich die Baumeister ihr Rüstzeug vorwiegend durch eine Ausbildung im Ausland, vorzugsweise in Deutschland, etwa auf den Bauakademien von München oder Berlin oder einem Polytechnikum wie in Karlsruhe und seltener – wie Berri und Stehlin d. J. – in Paris. Dies wurde ergänzt durch ausgiebige Bildungsreisen durch andere Länder – in der Tradition der Grand Tour stand Italien als Inspi rationsquelle an erster Stelle auf dem Programm, aber auch Deutschland, Frankreich und England wurden ausgiebig bereist. Oft wirkten die Baumeister als Bauunternehmer und planende Architekten zugleich. Das galt auch für Melchior Berri, der wie Friedrich und A chilles Huber einer Pfarrersfamilie entstammte. Hubers Neffe Christoph Riggenbach hingegen war der erste nur entwerfende und baubegleitende Architekt in Basel, ebenso wie später Paul Reber. Sie alle waren es, die Basel im Laufe des 19. Jahrhunderts ein charakteristisches Gesicht verliehen, von dem sich trotz aller Verluste immer noch bedeutende Zeugnisse erhalten haben, und die den Geist der Stadt in dieser Umwertungs- und Aufbruchszeit zum Ausdruck bringen.
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JOHANN ULRICH BÜCHEL
Johann Ulrich Büchel-Fatio (1753 –1792 ) wurde als zweites von sechs Kindern des Steinmetzen Daniel Büchel-Wagner (1726 – 1786 ) und seiner Frau Judith (1725 –1809 ) in Basel geboren; der Zeichner und Topograf Emanuel Büchel (1705 –1775 ) war sein Grossonkel. Seine Ausbildung ist kaum dokumentiert; jedoch existiert im Schülerverzeichnis der École publique de dessin der Kupferstecher Pierre und Henri Haldenwanger in Strassburg von 1761 bis 1768 ein Eintrag über einen evangelischen Johann Jacob ( sic ) Büchel als einen der besten Absolventen. Gewiss ist, dass Büchel von 1766 bis 1771 eine Steinmetzlehre, wohl im Baugeschäft seines Vaters in der Aeschenvorstadt 34, durchlief und 1772 in die Zunft zu Spinnwettern aufgenommen wurde. Eine Ausbildung zum Steinmetz beschränkte sich keineswegs nur auf das Erstellen von Werkstücken, sondern schloss weitere Aufgaben mit ein, wie das Ausarbeiten der Pläne, Kenntnisse der Statik und Kostenberechnung, die durchaus der Spezialisierung zum Architekten entsprachen. Der Vater war auch als Bauführer für den Architekten Samuel Werenfels tätig. Die Baufirma Büchel betrieben dann Vater und Sohn
gemeinsam. Bereits im Alter von 22 Jahren wurde Büchel Meister in der Spinnwetternzunft. 1780 ist in den Zunftunterlagen dokumentiert, dass er einen Lehrling aus Strassburg hatte. Beim Kupferstecher, Verleger und Kunsthändler Christian von Mechel in der St. Johanns-Vorstadt, der eine akademische Zeichenschule leitete, dürfte Büchel ausserdem das Radieren erlernt haben. Das Jahr 1775 brachte viel Bewegung. Das Baugeschäft der Büchels modernisierte die Eingangshalle des Goldenen Löwen, und als Mitglied im Vorstand der Vorstadt gesellschaft zum Rupf wurde Büchel dort mit Johann Rudolf Burckhardt-Rohner bekannt und erhielt von diesem reichen Seidenbandfabrikanten und Handelsherrn den Auftrag, für ihn in Basel ein Stadtpalais zu bauen, das Haus Zum Kirschgarten. Büchel wurde damals als Experte zur Beurteilung des Zustands der Mittleren Brücke eingesetzt und entwarf im Auftrag der Stadt nach dem Brand der Zeughäuser 1775 Pläne für die Neugestaltung des Petersplatzes. Die heutige symme trische Anlage dürfte diesem Entwurf noch entsprechen. 1777 heiratete Büchel
22 Anna Maria Fatio (1759 –1828 ), die nach seinem frühen Tod die Gemahlin des Malers Marquard Wocher wurde. 1781 erreichte ihn der ehrenvolle Auftrag aus Winterthur, das dortige Rathaus zu bauen. In der Zunft hatte Büchel mehre re Ämter inne: 1779 wurde er zum ‹ Kalch messer › gewählt, bis 1783 war er Gesellen- Bottmeister und von 1783 bis 1789 Fünfermeister. 1789 wurde Büchel zu einem der Sechser – dem Vorstand – der Spinnwet ternzunft gewählt und damit Mitglied des Grossen Rates der Stadt. Seine militärische Karriere krönte er 1792 mit seiner Ernennung zum Oberstwachtmeister. Einen weiteren anspruchsvollen Auftrag erhielt Büchel 1787 von dem Textilindustriellen Niklaus Reber-Passavant aus Mülhausen, um dessen Landsitz am Rhein durch einen Pavillon zu bereichern. Aus Bemerkungen in Achilles H ubers Skizzenbuch von 1793 geht hervor, dass dieser seine ersten Unterweisungen durch Büchel erhalten hatte. Allerdings verhinderte Büchels früher Tod den Aufbau einer Werkstatttradition, obwohl sein moderner Stil einen deutlichen Umbruch in der lokalen Stilentwicklung markierte.
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Rückblickend fällt auf, dass mehrere dieser mit Büchel verbundenen Exponenten des Gross- und Bildungsbürgertums auf die Dauer nicht sehr glücklich blieben und wesentliche existenzielle Einschränkungen erlebten: J. R. Burckhardt hatte nicht nur die Untreue seiner ersten Frau, die zum Stadtgespräch wurde, zu ertragen. Man verdächtigte ihn auch des Verrats zugunsten der österreichischen Truppen und nahm ihn in Haft, woraufhin er sich 1798 verbittert auf seinen Land sitz Erndhalden bei Gelterkinden zurückzog. Seine Kunstsammlung wurde versteigert, ein Teil davon ging in die Hände Marquard Wochers über. Niklaus Reber- Passavant wiederum machte aufgrund der 1806 von Napoleon verfügten Kontinentalsperre Konkurs und musste seine etwa tausend Werke umfassende Kunstsammlung 1810 veräussern. Trotz seines internationalen Rufs und seiner ausgewiesenen Kunstkennerschaft konnte sich Christian von Mechel nach der Französischen Revolution ebenfalls nicht mehr lange halten und verliess Basel in prekären finanziellen Verhältnissen in Richtung Berlin, wo er sein letztes Domizil fand.1
WERK 1775 erhielt der Baumeister Daniel Büchel zusammen mit seinem Sohn Johann Ulrich von den Geschwistern Gertrud und Niclaus Le Grand, den Besitzern des um 1740 gebauten Goldenen Löwen, den Auftrag, die Eingangshalle des Hauses in der Aeschenvorstadt 4 zu modernisieren. Mit ihrer Säulengliederung hatte sie stilistisch grosse Ähnlichkeit mit der Eingangshalle des Hauses Zum (1 ) Immerhin wurde er als Connaisseur Kirschgarten.2 hochgeschätzt und durch die Aufnahme in Das überrascht nicht, denn schon die Akademie der bildenden Künste 1774 hatte der junge Büchel damit begon- in Berlin geehrt. nen, das Haus ZUM KIRSCHGARTEN an (2 ) Der Goldene Löwen wurde 1953 abgebrochen und nur als Fassade in der St. Alban-Vorstadt wieder aufgebaut.
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der ELISABETHENSTRASSE 27 für den Seidenfabrikanten und Handels herrn Johann Rudolf Burckhardt-Rohner zu entwerfen. Dieses wurde ein Stadtpalais, wie es in Basel bisher noch nie gesehen worden war, und gab Anlass zu viel Gerede über so hemmungslose Selbstdarstellung. 1775 erfolgte die Grundsteinlegung, 1780 war ein Teil der Innengestaltung soweit vollendet, dass der Bau bewohnbar war. 1782 dürften auch die Aussenanlagen mit dem dreieckigen Garten Form angenommen haben. Ganz vollendet wurde das ambitiöse Unterfangen jedoch nicht, noch 1814 fehlte in zwei Räumen des Hauses die Dekoration. Die etwa dreissig Meter lange Fassade des dreigeschossigen, in die Strassenflucht eingefügten Hauses erstreckt sich über neun Achsen, von denen die mittlere mit dem Portal etwas mehr Platz einnimmt. Flache Lisenen an den Gebäudekanten rahmen den Baukörper. Die Behandlung der hochrechteckigen Fenster des Hauptbaus unterscheidet sich in jeder Etage: Im Erdgeschoss sind sie glatt in die Bandrustikazone eingeschnitten, im 1. Obergeschoss erheben sie sich über einem stark akzentuierten durchlaufenden Gesims und werden von prominenten mit Zahnschnitt ausgezeichneten Verdachungen auf Konsolen überhöht, im obersten Geschoss sitzen sie auf einem verkröpften Gesims auf und werden durch gesimsartig durchlaufende verkröpfte feinere Verdachungen verbunden. Ein von monumentalen Zahnschnittkonsolen getragenes Gebälk bildet den oberen Fassadenabschluss. Der Höhepunkt der ganz in rotem Sandstein gehaltenen Fassade ist fraglos die Gestaltung der Eingangspartie, ein von vier Säulenpaaren gerahmter Portikus mit rechteckig eingeschnittenem Portal, dessen Sturz das Relief einer Löwenhaut, wie Herkules sie trug, auszeichnet. Darüber verläuft ein schmaler Scheinbalkon mit einer von Balustern getragenen Brüstung auf der Höhe der Fenstersimse, der die drei Achsen des Salons im Piano Nobile optisch verklammert. Zur Linken befindet sich, dem unregelmässigen Grundriss geschuldet, ein eingeschossiger Anbau mit einem Seiteneingang, dessen Fenster mit einem halbrunden Blendbogen überhöht ist. Die Seiten des Gebäudes und die Gartenfassade sind nur verputzt. Dafür ziert an der Gartenseite die Mitte der 1. Etage ein Balkon mit einem kunstreichen schmiedeeisernen Gitter, das von einem Meister seines Fachs, Jean- Baptiste Pertois aus Strassburg, gestaltet wurde. Er verfertigte auch die Geländer des Treppenaufganges. Die Säulen an der Fassade widersprechen dem üblichen Kanon für Bürgerhäuser in Basel, ebenso die reiche Innendisposition, in der sogar das Kontor in das Nebengebäude verbannt worden war. Büchel und
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Burckhardt haben mit der bis dahin herrschenden bürgerlichen Zurückhaltung gebrochen: Es manifestiert sich hier das neue Selbstverständnis des Grosshändlers und Fabrikanten. Kein Wunder, dass die Allgemeinheit an dieser ungewöhnlichen Haltung damals Anstoss nahm. Eine Hypothese geht von einer Manifestation damals hochaktueller freimaurerischer Gedanken aus, indem hier auf den Bau des Salomonischen Tempels angespielt werden sollte.3 Im Innern setzt sich das spektakuläre Moment des Portikus in einer von ionischen Säulen gegliederten dreischiffigen Einfahrt fort, von der aus eine verschwenderisch angelegte dreiläufige Treppe zum oberen Stockwerk emporsteigt, wo die zuerst vorgesehenen kleineren Zimmer schliesslich fünf grossen repräsentativen Räumen weichen mussten. Erst im 2. Obergeschoss wird die Struktur der Räume intimer. Über hundert Baurisse und Pläne zeugen von den zahlreichen Meta morphosen auch der Innenausstattung. Sie wurde durchwegs mit Elementen im Louis-XVI-Stil orchestriert. 1780 schloss der Mannheimer kurfürstliche Hoftheatermaler Matthias Klotz die Ausmalung des Rosen boudoirs im 2. Obergeschoss ab. Klotz hatte wie Büchel bis 1766 in Strassburg die Zeichenschule der Haldenwanger besucht. Mit dieser aufwendigen Ausgestaltung nicht genug: Zeitgenössische Quellen erwähnen ein ‹ Cabinet d’estampes choisies & precieuses ›4 und ein ‹ Gypsmuseum › mit elf Abgüssen aus der Hinterlassenschaft des Deutsch römers Anton Raphael Mengs, die Burckhardt 1813 der Basler Künstlergesellschaft schenkte.5 Von den repräsentativen Bauten in Basel aus der Mitte des 18. Jahrhunderts wie dem Wildt’schen, dem Blauen oder Weissen Haus unterscheidet sich der Kirschgarten nicht nur durch seine Grösse und die Hausteinfassade. Ein modernes Charakteristikum ist der Verzicht auf einen zentralen Dreiecksgiebel. Gleichzeitig verlaufen alle Linien der Architektur in einem orthogonalen System mit einer starken Betonung der Horizontale, ähnlich wie beim Palazzo Farnese in Rom. Den ‹ goût à l’antique › paraphrasierte Büchel nämlich nach den von antiker Baukunst inspirierten Renaissancebauten. Ausserdem zeigt sich hier auch eine Verbindung nach Strassburg. Dort war im ganzen 18. Jahrhundert das in die Strassenflucht eingebaute Hôtel gang und gäbe. Auch die Strenge der Rhythmisierung und die Reduktion der Gestaltungsmittel sind Charakteristika jener Bauten. Der 1782 vollendete Tribu des Marchands 6 von Pierre Michel d’Ixnard steht mit seinem Architekturdekor und der Proportionierung der (3 ) Roda (1995 ), S. 113. Fenster dem Kirschgarten auffällig nahe. (4 ) Boerlin (1995 ), S. 224. (5 ) Vgl. Lochman (1995 ), S. 185. (6 ) 5 Rue Gutenberg, Strassburg.
ZUM KIRSCHGARTEN, 1775–1780 ELISABETHENSTRASSE 27
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ST. CHRISTOFFEL, 1776 ST. JOHANNS- VORSTADT 15 PORTAL VON NICOLAS DE PIGAGE
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E R D G E S C H O S S 5m
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Es war d’Ixnard, der als erster das Element des geraden Portikus beim Dom von St. Blasien, den er seit 1768 baute, einführte. Er wurde, vermittelt durch den Basler Kupferstecher und Kunsthändler Christian von Mechel, vom kurpfälzischen Architekt und Gartendirektor Nicolas de Pigage dabei beratend unterstützt. So scheint sich hier in den Personen Büchel, von Mechel, de Pigage, d’Ixnard sowie dem Maler Klotz und dem Kunstschlosser Jean-Baptiste Pertois ein deutliches Beziehungsgeflecht zwischen Basel, Strassburg und Mannheim abzuzeichnen. 1784 erwarb von Mechel den neben seinem bisherigen mittelalterlichen Wohnsitz Zum St. Christoffel gelegenen Erlacherhof an der St. Johanns-Vorstadt 17. Das PORTAL des ZUM ST. CHRISTOFFEL war ihm 1776 vom Kurfürsten Carl Theodor von der Pfalz zum Dank für seine Mitarbeit bei der Neuordnung seiner Gemäldegalerie in Düsseldorf und das über diese 1778 herausgebrachte virtuose Stichwerk, den ‹ Catalogue raisonné ›, geschenkt worden.7 Das Portal stammt von de Pigage, mit dem von Mechel eine enge Freundschaft verband. Dieses fein durchgestaltete Kleinod war gleichsam der erste Markstein des Klassizismus in Basel. Für die Neugestaltung des Inneren des neu erworbenen Erlacherhofes engagierte von Mechel den jungen Architekten des Kirschgartens. Dieses wurde jedoch bei der Modernisierung der Fassade in den 1820er- Jahren weitgehend überformt, wobei unklar ist, wie viel vom früheren Zustand übernommen wurde. Nachdem von Mechel in diesem Haus über die Jahre von aller Welt aufgesucht worden war, liessen die Umwälzungen in der Folge der Französischen Revolution und der Helvetik das Interesse an Kunst auf ein Mindestmass schrumpfen. Von Mechel entschloss sich 1803, Basel unwiderruflich zu verlassen. Der preussische König Friedrich Wilhelm II. nahm ihn ehrenvoll in Berlin auf, wo er 1817 verstarb. 1785 wurde Büchel mit dem Bau eines Pavillons am Rheinufer unterhalb der Stadt betraut. Obschon das Gebäude nur in einer alten Ansicht der Stadt, auf wenigen Fotos um 1900 und in Plänen und Aufrissen überliefert ist, kann es im schmalen Werk Büchels nicht übergangen werden. Niklaus Reber-Passavant, der in Mülhausen eine Textilfirma betrieb, hatte 1787 das LANDGUT BELLEVUE an der ELSÄSSERSTRASSE 12 von Johann Rudolf Burckhardt erworben. Er war leidenschaftlicher Kunstsammler, der die Gunst der Stunde zu nutzen wusste; in seinem Basler Stadthaus, dem Spiesshof, befanden sich gegen tausend Gemälde, die er zu einem grossen Teil (7 ) Nicolas de Pigage: La Galerie Electorale während der Revolutionskriege aus Emi de Dusseldorff ou catalogue raisonné et figuré de ses tableaux. Basel: Du Mechel 1778.
4 EGLISE GOTIQUE, 1785 SEPIALAVIERUNG
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3 PAVILLON, 1785 ELSÄSSERSTRASSE 12 AUFRISS
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grantenbesitz und königlichem Nachlass zusammengekauft hatte.8 Offenbar animierte Burckhardts Kirschgarten Reber, Büchel seinerseits für den Bau eines Lusthauses zu engagieren. Der queroktogonale Pavillon des Reber’schen Gutes stand am Ende einer Kastanienallee zwischen dem Haupthaus und dem Rhein. Auf beiden Langseiten führten Treppenstufen zu einem zierlichen Portikus mit einem von ionischen Säulen getragenen Segmentgiebel vor den Eingängen. Der ovale Innenraum bot Platz für einen Tisch für 20 Personen, das kegelförmige Dach war von einem kleinen Obelisken gekrönt und seitlich mit zwei grossen Prunkvasen geschmückt. In diesem Pavillon wurde 1795 die Tochter Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes, die Prinzessin Marie Thérèse Charlotte, gegen französische Parlamentarier, die in österreichische Gefangenschaft geraten waren, eingetauscht. Pavillons waren im 18. Jahrhundert europaweit hochaktuell. In zahlreichen Publikationen erscheinen sie als unverzichtbare Bestandteile von Gartenanlagen. Nach 1792 errichtete beispielsweise Aubert Joseph Parent im Garten des Württembergerhofes für dessen Besitzer Jean Rudolf Forcart-Weiss einen bunt gefassten chinesischen Pavillon, dessen Aufbau mit demjenigen Büchels durchaus Ähnlichkeiten aufweist. Das Reber’sche Landgut musste um 1900 der Erweiterung des Schlachthofes weichen. Adolf Visscher van Gaasbeek plante dann, den Pavillon an anderer Stelle wieder zu errichten, jedoch blieb es bei diesem schönen Gedanken. Büchel war stark geprägt durch französische Einflüsse, auch seine Pläne beschriftete er zumeist auf Französisch. Frankophone Tendenzen waren in diesen Jahren in Basel sehr verbreitet, sie hatten ihren Weg hierher nicht nur über die elsässische Nachbarschaft und hohe Basler Militärs in französischen Diensten, sondern auch über Literatur und Architekturtraktate gefunden. Neben seinen wenigen Bauten – dazu gehört auch das Rathaus in Winterthur – hinterliess der überaus vielseitig talentierte Büchel Aquarelle, eine grosse Anzahl von Federzeichnungen und Radierungen von Landschaften und Architekturen sowie Entwürfe zu Bühnenbildern. Diese Arbeiten lassen erkennen, dass der früheste Architekt des Klassizismus in Basel neben den Bezügen zur Antike auch der romantisch-gotischen Formenwelt zugewandt war: Er schuf nicht nur Bilder mit gotischen Kircheninterieurs, sondern wählte zum Beispiel für sein Ex libris eine gotische Ruine. Mit dieser Zweipolig keit ist er ein typischer Vertreter des Antagonismus zwischen der Hinwendung zur antikisierenden Formenwelt einerseits und zur mittelalterlich romantischen Antiklassik andererseits. (8 ) Wüthrich (1956 ), S. 255.
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Der in Basel geborene Ludwig Rudolf Maring (-Wierz)-Hess (1820 –1893 ) durchlief zuerst eine Lehre als Zimmermann. Danach bildete er sich in Frankreich, Belgien und Deutschland im Bahnhofbau aus. 1853 heiratete er Elisabeth Wierz (1819 – 1880 ) und wohnte mit ihr am Gerbergässlein im Haus zum Mannenbad, ab 1862 an der Freien Strasse 70, was bis 1880 nachgewiesen ist. 1854 war er zum Direktionsarchitekten der 1853 gegründeten Schweizerischen Centralbahn berufen worden. In dieser Funktion, die er bis 1861 innehatte, war er für die Hochbauten der Bahn zuständig und entwarf nach dem hölzernen Provisorium an der Langen Gasse den ersten Centralbahnhof in Basel. Er arbeitete dabei mit Oberingenieur Friedrich Wilhelm Pressel aus Stuttgart zusammen, mit dem er für zentrale Strecken eine Typenreihe von Bahnhofsbauten konzipier te. Als Ausgangspunkt für Stil und Material der Hochbauten wurde die ortsübliche Bauweise gewählt, sodass viele Gebäude im Schweizer Holzbaustil entstanden. Auch sämtliche Nebenanlagen wie Drehscheiben und Wasserkräne fielen in sein Ressort. 1857 schuf er einen ‹ Generalplan
zur Erweiterung der Stadt Basel ›, auf den noch manche der späteren Entwicklungen zurückgehen sollten. 1860 kaufte er einen Teil des Schilthofs, wo er sein Büro unterbrachte. In der Zeit seiner Selbstständigkeit seit 1861 entstanden mehrere Privatbauten. Maring verfasste 1862 eine Abhandlung über die Wassergewinnung für Basel. Mit Paul Reber errichtete er 1875 die Festhalle für das Sängerfest. Zwei Jahre später opponierten die beiden Architekten – gemeinsam mit Stehlin d. J. – gegen ein vorgeschlagenes Brückenprojekt am sogenannten Harzgraben ( die heutige Wettsteinbrücke ). 1882 arbeiteten sie gemeinsam ein Konzept zur Überwölbung des Birsigs aus. Ausserdem war Maring seit 1877, zusammen mit dem Ingenieur Emil Mertz, mit der ‹ Maschinenconstructionsfirma Maring und Mertz › an der Weidengasse 5 eingetragen. Hier dürften unter anderem die zwei von ihm unter dem Firmennamen Louis Maring & Co. 1887 und 1888 angemeldeten Patente für einen ‹ Apparat für Ausspühlzwecke › und einen ‹ Automatischen Kühlapparat zum Kühlen von Zimmern › entstanden sein.
174 Maring war eine wichtige Person des öffentlichen Lebens. Von 1859 bis 1887 gehörte er dem Grossen Rat an. Ausserdem war er 1877 Mitbegründer der Basler Sektion des SIA, deren Präsidium er bis 1885
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innehatte. 1893 starb Maring an einem Schlaganfall, kurz nach der Heirat mit seiner zweiten Frau, Christina Barbara Hess (*1858 ), mit der er die damals achtjährige Tochter Helena Rosalie hatte.
WERK Im Zuge der Gründung der Schweizerischen Centralbahn Gesellschaft wurde Ludwig Maring 1853 als Direktionsarchitekt eingestellt, für die bahntechnischen Fragen war der in Paris geschulte Eisenbahningenieur Carl von Etzel aus Heilbronn zuständig. 1854 baute Maring zum Beginn des Bahnbetriebs am 19. Dezember 1854 an der Langen Gasse / Engelgasse ein Holzprovisorium für ein Bahnhofsgebäude. Nach längerem Vorlauf für die anspruchsvolle Planung der definitiven Anlage des SCHWEIZERISCHEN CENTRALBAHNHOFS , eines mit der französischen Bahn gemeinsam geplanten lang gestreckten Durchgangsbahnhofes, der aber gleichwohl für beide Seiten weitgehend als Kopfbahnhof funktionierte, errichtete Maring die Hochbauten in Zusammenarbeit mit Oberingenieur Friedrich Wilhelm Pressel aus Stuttgart. Dazu gehörten sowohl ein repräsentatives Eingangsgebäude, flankiert von jeweils zwei Zwischenbauten und Seitenpavillons, sowie zwei dahinterliegende Perronhallen. Das Hauptgebäude wurde 1907 durch den aktuellen Bahnhof ersetzt, eine der Hallen wurde nach einer Zwischennutzung als Lagerschuppen in Olten wieder identifiziert und findet seit 2015 restauriert und klassiert als Baudenkmal von nationaler Bedeutung in Bauma als Unterstand für die historischen Lokomotiven des Dampfbahn-Vereins Zürcher Oberland Verwendung. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Gebäuden konnten nicht grösser sein: Während die Hauptfassade aus reinem Haustein bestand, handelte es sich bei den Hallen um hölzerne, teilweise mit Gusseisen verbundene Fachwerkkonstruktionen, die mit einem offenen Satteldach gedeckt waren. Auch stilistisch unterschieden sie sich fundamental. Das steinerne Empfangsgebäude war ein Neorenaissancebau, die Hallen wurden in sogenannter Schweizer Laubsäge- oder Holzbau architektur ausgeführt und standen damit in der Tradition der lokalen Holzbauweise. Maring bediente sich bei der Fassadengestaltung des Empfangsgebäudes eines früh verbreiteten Topos, der den Bahnhof als Torsituation auffasst. Zwischen zwei massiven Risaliten, die jeweils mit einer Uhr versehen und von einer Skulpturengruppe gekrönt waren, entwickelte
89 CENTRALBAHNHOF SCB, 1859/60 PERRONHALLE (SEIT 2015 IN BAUMA)
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sich auf hohen Säulen mit Kompositkapitellen eine fünfbogige Arkadenhalle. In den Zwickeln waren vier Medaillons mit Porträtbüsten der Naturwissenschaftler Isaac Newton, Alexander von Humboldt, Leonhard Euler und Pierre-Simon Laplace angebracht. Die Skulpturengruppen stammten von Heinrich Rudolf Meili aus Binningen und stellten Allegorien des Handels, dominiert von Merkur, und der Industrie dar. Das Motiv des Rundbogens wurde in den Seitentrakten schlichter und in kleinerem Massstab weitergeführt. Das Hauptgebäude teilten sich die Schweizerische Centralbahn links und die Französische Ostbahn (FOB) auf der rechten Seite. Im zentralen Trakt waren – neben der Kasse in der Mitte – die Gepäckannahmen für beide Bahnen sowie die Räume für die Polizei und den Portier um den grossen Empfangsraum gruppiert. In den Zwischentrakten befanden sich die Wartesäle und die Restauration der I. bis III. Klasse. Links schloss sich ein Komplex mit dem Telegrafenbüro, den Räumen für Souschef, Fahrpersonal und Stationsvorstand sowie das ‹ Damencabinet › an. Das Gegenstück rechts ist ähnlich organisiert, nur kommt noch ein Räumchen für den Eidgenössischen Zoll dazu. Das Empfangsgebäude steht weitgehend in der Tradition deutscher Bahnhofsanlagen wie der frühen Bahnhöfe in Leipzig von 1842 und 1855 oder in München von 1847, bei denen bevorzugt das Formenvokabular der Frührenaissance Anwendung fand. Die Fachwerkhallen mit ihren an den Giebelseiten angebrachten orientalisierend durchbrochenen Rautenplatten entsprechen noch ganz den frühen Holzkonstruktionen vor dem Siegeszug der alles überfangenden Gusseisenanlagen und sind dem 1862 entstandenen Bahnhof in Metz eng verwandt. Zwischen 1856 und 1860 war Maring auch sonst sehr aktiv: Er baute nicht nur diverse Bahnhofgebäude im Kanton Bern, er beteiligte sich ebenfalls an den Wettbewerben um das Gerichtsgebäude und um die Elisabethenkirche. Damals konzipierte er auch den ‹ Generalplan zur Erweiterung der Stadt Basel ›, der mehrere Brücken vorsah, um die Verbindung zwischen Gross- und Kleinbasel und den Bahnhöfen zu verbessern, sowie einen langen Grüngürtel mit abwechslungsreich angelegten Quartieren. Der Plan wurde in dieser Form zwar nicht umgesetzt, hinterliess aber doch seine Spuren in der späteren Stadtplanung bei der Anlage der Brücken und der die Stadt einfassenden ‹ grünen Lunge ›. Später führte Maring auch Privataufträge aus, so 1865 das GRANDHOTEL EULER für Abraham Euler-Brunner an der Ecke CENTRALBAHNPLATZ 14 , eines der ersten Häuser am Platz. Der heutige Bau bietet in seiner jetzigen Form nur einen schwachen Abglanz der ehe-
92 GESCHÄFTS- UND WOHNHAUS, 1865/66 STEINENBERG 19
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91 HOTEL EULER, 1865 CENTRALBAHNPLATZ 14
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maligen Vornehmheit, da sowohl das Mansarddach mit Traufgesims, die Binnengliederung sowie die Fensterunterteilungen verloren gingen. Maring wählte als Stil den Neubarock, dessen charakteristisches Element, der Stichbogen mit Kartusche, enge Parallelen zu gleichzeitigen Bauten in Paris zeigt,1 aber auch auf die lokale auf Frankreich bezogene Bautradition zurückgreift. In Basel erscheint dieses Element hier seit dem Barock wieder zum ersten Mal. Von Paris und Haussmanns Überbauungen inspiriert war auch das Ensemble am STEINENBERG 19 –29 zwischen der Steinenvorstadt und der Theaterstrasse, das er 1865 / 66 für und mit Baumeister Johann Plattner-Hosch und Zimmermeister Franz Xaver Merke anstelle der mittelalterlichen Bebauung als ganzen Block viergeschossiger Mietshäuser mit vereinheitlichter Fassadenstruktur mit Ladengeschäften und Restaurants anlegte. Am Eckhaus zur Theaterstrasse hat sich in den oberen Geschossen heute noch ein grosser Teil der originalen Gestaltung erhalten, besonders spektakulär die monumentale, mit Früchten und Blumen angereicherte Schmuckkonsole an der Ecke. Maring wandte sich in seiner wenig dokumentierten Schaffenszeit nach seinem Rückgriff auf die Frührenaissance bald der lokalen Bautradition des 18. Jahrhunderts zu, indem er seit 1862 das Element des Stichbogens mit einer Kartusche aufgriff. Mit dem Gebäudekomplex am Steinenberg hat er – zusammen mit den Bauten Stehlins d. J. – einen grossstädtischen Hauch Paris nach Basel gebracht. Die Stadt, die immer noch von seinem Generalplan zehrt, hat ihn weitgehend vergessen. (1 ) Vgl. Daly (1864 ), Exemple G 1, Pl. 1.