Basler Frauenstimmrecht. Der lange Weg zur politischen Gleichberechtigung von 1966

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Georg Kreis (Hg.)

Kreis ( Hg. )

Mit Textbeiträgen von Fabienne Amlinger, Noëmi Crain Merz, Anita Fetz, Ursa Krattiger, Georg Kreis, Andrea Maihofer und Regina Wecker sowie ­einem Bildessay von Esther Baur und Sabine Strebel.

Beiträge zur Basler Geschichte

Das Basler Frauenstimmrecht

Fünfzig Jahre ist es her, dass sich in Basel-Stadt eine Männermehrheit für die Einführung des Frauenstimmrechts aussprach – nach jahrzehntelangem Ringen. Damit war Basel der erste deutschsprachige Kanton der Schweiz, der noch vor der gesamtschweizerischen Einführung 1971 diesen Schritt zustande brachte. Die Publikation rekonstruiert die Abstimmungsrunden, die nötig waren, analysiert die Argumente gegen die politische Gleichstellung der Frau, die unterschiedlichen Haltungen der Parteien und die Gründe für den Wandel, der sich in den 1950erund 1960er-Jahren abzeichnete. Die Abstimmungsdebatten werden verstanden als Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse und das Frauenstimmrecht als ein Mittel, um gleichgestellt mitzureden und spezifische Fraueninteressen einzubringen. Ausblicke auf die Zeit nach 1966 und 1971 zeigen, dass dieser Kampf weiterging und noch nicht abgeschlossen ist.

Beiträge zur Basler Geschichte

Das Basler Frauenstimmrecht www.merianverlag.ch

ISBN 978-3-85616-818-6

Der lange Weg zur politischen Gleichberechtigung von 1966

Christoph Merian Verlag

Abbildung Umschlagvorderseite : Warteschlange vor dem Wahllokal Gewerbemuseum Basel (« Überfremdungsinitiative », 1974), jetzt mit Frauen und Männern.



Beiträge zur Basler Geschichte


Georg Kreis ( Hg. )

Das Basler Frauenstimmrecht Der lange Weg zur politischen Gleichberechtigung von 1966 Beiträge von Fabienne Amlinger, Esther Baur, Noëmi Crain Merz, Anita Fetz, Ursa Krattiger, Georg Kreis, Andrea Maihofer, Sabine Strebel und Regina Wecker

Christoph Merian Verlag


Diese Publikation wurde ermöglicht durch Beiträge der Christoph Merian Stiftung, der Bürgergemeinde der Stadt Basel, der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft und des Vereins ‹ 50 Jahre Frauenstimmrecht ›.

Gedruckt mit Unterstützung der Berta Hess-Cohn-Stiftung.

1. Auflage Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:   /    /  dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 Christoph Merian Verlag Alle Rechte vorbehalten; kein Teil dieses Werkes darf in irgendeiner Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Lektorat  : Rosmarie Anzenberger, Basel Gestaltung und Satz  : icona basel Lithos  : LAC AG, Basel Druck und Bindung  : Kösel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell Papier  : Lessebo Design Smooth natural 115 g  /  m2 ISBN 978-3-85616-818-6 www.merianverlag.ch


Inhalt

Sibylle von Heydebrand

7 Grusswort Georg Kreis

10 Einleitung  : Frauenrechte in Basel Georg Kreis

13 Fünf Anläufe zum Basler Frauenstimmrecht, 1916–1966 Regina Wecker

127 «  Der Staat bin Ich  ! Was geht das die Frauen an  ?  » Plakate in der Auseinandersetzung um das Frauenstimmrecht im Kanton Basel-Stadt Esther Baur und Sabine Strebel

149 Fotos machen Geschichte Zum Kampf um das Frauenstimmrecht von 1954 bis 1971 Noëmi Crain Merz und Andrea Maihofer

175 «  Endlich  ! Ihr habt auch lange gebraucht  !  » Gespräche zum Frauenstimmrecht mit Zeitzeuginnen aus Basel Fabienne Amlinger

203 Den politischen ‹  Rückstand  › aufholen oder die Politik verändern  ? Frauen in der eidgenössischen Politik nach der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 5


Inhalt

Ursa Krattiger

223 Kämpfen für statt kämpfen gegen Sehr persönliche Erinnerungen aus zwanzig Jahren Frauenbewegung und Frauenpolitik, 1971–1991 Anita Fetz

247 Wir wollten alles und haben viel bewegt Ein persönlicher Rückblick auf die Neue Frauenbewegung in Basel Andrea Maihofer

279 Nachwort 287 Anhang Biografischer Hintergrund des Herausgebers Autorinnenverzeichnis Bildnachweis

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Grusswort

Das Spannungsfeld von Erinnern und Vergessen ist für die abendländische Ideengeschichte seit der Antike prägend. Erinnern und Vergessen öffnen oder schliessen Räume der Vergangenheit für die Gegenwart. Geschichtsschreibung will erinnern. Die Erinnerung soll jedoch nicht Selbstzweck sein, sondern sich in den Dienst der Gegenwart stellen.1 Geschichte soll uns Orientierung für unsere Gegenwart bieten, um eine Basis für zukünftiges Handeln zu schaffen.2 Genauer  : Geschichte existiert eigentlich nur im Verhältnis zu den Fragen, die wir heute an sie richten.3 Doch Fragen können wir nur an eine Geschichte richten, die der Erinnerungskultur verpflichtet ist und deshalb einen aktiven Umgang mit der Vergangenheit pflegt. Was in Vergessenheit geraten ist, kann uns keine Orientierung für die Gegenwart bieten. Aber wer bestimmt, woran wir uns erinnern sollen  ? Der Aufbau des kollektiven historischen Gedächtnisses beruht wesentlich auf der Arbeit von Historikerinnen und Historikern. Und  : Jubiläen brauchen Geschichte. So bietet das 50-Jahr-Jubiläum der Einführung des Basler Frauenstimmrechts Anlass, dessen Geschichte aufzuarbeiten, damit sie Eingang ins allgemeine Geschichtsbewusstsein finden kann. Denn Fakt ist, dass der Kampf um das Frauenstimmrecht weder im kollektiven historischen Gedächtnis der Schweiz noch in dem der Baslerinnen und Basler verankert ist. Wenn Geschichte nur im Verhältnis zu aktuellen Fragen existiert, welche Bedeutung hat die Geschichte des Frauenstimmrechts für Fragen der Gegenwart  ? Der lange Weg zur politischen Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Kanton Basel-Stadt zeigt exemplarisch auf, wie ein fundamentaler gesellschaftlicher Wandel herbeigeführt werden kann. Die Analyse der Schritte, die zur Einführung des Basler Frauenstimmrechts führten, erlaubt eine Auslegeordnung der Taktiken und Strategien für künftige Änderungen der Rechtsordnung. 7


Das Basler Frauenstimmrecht

Komplexer wird die Frage nach der Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart, wenn im Prinzip die rechtlichen Grundlagen geschaffen sind, die Realität jedoch hinterherhinkt. Fünfzig Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts im Kanton Basel-Stadt stellen wir fest, dass die politische Gleichberechtigung von Frauen und Männern prima vista erreicht ist. Frauen sind jedoch auf allen politischen Ebenen untervertreten. Um die tatsächliche gleichberechtigte Teilhabe der Frauen in der Politik zu erreichen, bedarf es der Erkenntnis der politischen Parteien, dass hier Handlungsbedarf besteht und ihnen dabei eine Schlüsselrolle zukommt. Viele Diskriminierungen aufgrund des Geschlechtes sind in den letzten Jahrzehnten beseitigt worden. Die materielle Gleichberechtigung ist jedoch nicht erreicht. Ungleichheiten mit wirtschaftlich negativen Konsequenzen für Frauen erweisen sich als hartnäckig  : So fordern Frauen seit über hundert Jahren gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, erstmals 1873, am Ersten Schweizer Arbeiter­ kongress. Seit 35 Jahren (  1981  ) ist diese Forderung explizit in der Bundesverfassung verankert. Seit Jahrzehnten lautet der Tenor, dass es sich mit dem Gerechtigkeitsempfinden nicht vereinbaren lasse, Frauen für gleiche oder gleichwertige Arbeit schlechter zu bezahlen.4 Die tieferen Frauenlöhne haben existenzielle Folgen  ; so sind Frauen viel öfter von Altersarmut betroffen und Alleinerziehende überdurchschnittlich häufig auf Sozialhilfe angewiesen. Die Gleichstellung der Geschlechter mit ihrer politischen und materiellen Gleichberechtigung ist ein Gebot der Gerechtigkeit. Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Kinderbetreuung mit Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub, gerechte Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit, wirtschaftliche Gleichstellung in Altersvorsorge und Ehescheidung, paritätische Vertretung der Geschlechter in Politik und Wirtschaft, gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit – diese Postulate sind nicht sogenannte Frauenanliegen, sondern tangieren die ganze Gesellschaft. Das Werk ‹  Das Basler Frauenstimmrecht. Der lange Weg zur politischen Gleichberechtigung von 1966  › ist ein Beitrag zur Verankerung eines bedeutenden Kapitels der Basler Geschichte des 20. Jahrhunderts im kollektiven Gedächtnis. Es ermutigt uns alle, Frauen genauso wie Männer, uns für Forderungen der

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Grusswort

Gegenwart rund um das Leben in einer gleichberechtigten Gesellschaft einzusetzen – und damit schliesslich für Gerechtigkeit. Arlesheim, im Juni 2016 Sibylle von Heydebrand Präsidentin Jubiläum 50 Jahre Frauenstimmrecht im Kanton Basel-Stadt

1

Friedrich Nietzsche  : Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, 1874.

2

Walter Benjamin  : Über den Begriff der Geschichte, 1940.

3 Paul Veyne  : Die Originalität des Unbekannten. Für eine andere Geschichtsschreibung (  orig. 1976  : L’Inventaire des différences  ). Frankfurt a. M. 1988. 4

Siehe beispielsweise Bundesblatt 1956 II, S. 893 oder 1980, S. 649 ff.

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Einleitung  : Frauenrechte in Basel

Bisher hat es niemanden gelockt und hat es niemand für nötig befunden, dem Basler Kampf um das Frauenstimmrecht eine monografische Untersuchung zu widmen. Das soll nun 2016 nachgeholt werden, es wurde aber nicht einfach so zum Programm. Es brauchte ein Jubiläum, damit dies zustande kam – ein Jubiläum in Kombination mit gleich mehreren Jubiläen. 2016 wurde für die Gleichstellungsfrage zu einem kumulierten Jubiläumsjahr  : Die Medien erinnerten uns, obwohl keine runde Zahl dafür zur Verfügung stand, im Februar 2016 an das vor 45 Jahren eingeführte Frauenstimmrecht auf Bundesebene.1 Bereits etwas runder waren zwei weitere Gedenkanlässe  : die beiden 25-Jahr-Jubiläen zur im Mai 1991 – nach einem entsprechenden Bundesgerichtsentscheid – erstmals unter Einschluss der Frauen durchgeführten ­Innerrhoder Landsgemeinde und zu dem am 14. Juni 1991 landesweit durchgeführten Frauenstreik. Im Juni 2016 kam das 50-Jahr-Jubiläum zur Einführung des Basler Frauenstimmrechts hinzu, das den Hauptanlass für dieses Buch bildet, dies in Verbindung mit dem wirklich runden Jubiläum der 1916, also vor hundert Jahren, erfolgten Gründung der Basler Sektion des Schweizerischen Verbands für Frauenrechte. Abrundend hinweisen kann man auf das 15-Jahr-Jubiläum des 2001 gegründeten Zentrums Gender Studies der Universität Basel. Jubiläen über Jubiläen  : Vor zwanzig Jahren kamen die Spice Girls mit ihrem Girl-PowerSong ‹  Wannabe  › heraus. Im Remake von 2016 stellen junge Frauen aus aller Welt feministische Forderungen wie ein Verbot der Kinderehe, Zugang zu Bildung, gleicher Lohn für gleiche Arbeit usw., dies im Rahmen der UN-Initiative ‹  Global Goals  ›.2 Jubiläen kann man aber auch verstreichen lassen und man kann sie unterschiedlich intensiv begehen. Jedenfalls verwirklichen sie sich nicht von allein, sie werden aus einer gegebenen Disposition, einem der Gegenwart entspringen10


Das Basler Frauenstimmrecht

den Bedürfnis heraus gemacht. Dieses Bedürfnis beschränkt sich in unserem Fall nicht darauf, mit Genugtuung der Beseitigung der politischen Diskriminierung zu gedenken. Es möchte, ausgehend vom zu schnell und leichthin in Vergessenheit geratenen Widerstand gegen die heute als selbstverständlich erscheinende Gleichstellung, daran erinnern, dass mit den überfälligen Bereinigungen von 1966 und 1971 ‹  die Sache  › nicht einfach in Ordnung kam, sondern Benachteiligungen aus der älteren Zeit durchaus weiterbestehen. Dieses Buch hat das Frauenstimmrecht zum Ausgangspunkt. Mit einigen Beiträgen zeigt es aber auch, dass es neben diesem essenziellen Stimmrecht weitere, für die Praxis der gesellschaftlichen Gleichstellung wichtige Umstände gibt. Das Stimmrecht beschränkt sich nicht auf das Recht, einen Zettel in die Urne zu legen oder am Korrespondenzverfahren teilzunehmen, zu ihm gehört auch zentral die vorgängig stattfindende Debatte und die breiter angelegte Mitwirkung in der politischen Gestaltung der Lebensverhältnisse. Mit dem Stimmrecht wird die Gleichstellung der Stimmberechtigten auch symbolisch zum Ausdruck gebracht, der Einschluss wie der Ausschluss, der heute vor allem die Gesellschaftsangehörigen ohne schweizerische Staatsbürgerschaft betrifft. Der erste, vom Herausgeber verfasste Beitrag der vorliegenden Publikation rekonstruiert die fünf Abstimmungsrunden, die es in Basel bis zum Durchbruch von 1966 brauchte. Er analysiert die heute schwer nachvollziehbaren Argumente gegen die politische Gleichstellung der Frau, die unterschiedlichen Haltungen der Parteien und insbesondere die Gründe für den in den 1950er / 60er-Jahren allmählich eintretenden Wandel. Die Abstimmungsdebatten werden als Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse verstanden und der Abstimmungsgegenstand, das Frauenstimmrecht, als Mittel, um in allen politischen Geschäften gleich­ gestellt mitzureden und für die spezifischen Interessen einzutreten, die sich aus der ‹  condition féminine  › ergeben. Der historische Teil wurde erfreulicherweise um weitere wertvolle Beiträge zu dieser Geschichte sowie um eine Heranführung an die Gegenwart und einen Ausblick in die Zukunft ergänzt. Regina Wecker analysiert die in dieser Zeit eingesetzten Abstimmungsplakate und fragt dabei nach den damals reproduzierten Frauenbildern  ; Noëmi Crain Merz und Andrea Maihofer erkundigen sich bei Zeitzeuginnen nach den damaligen Haltungen und Erfahrungen im Kampf 11


Das Basler Frauenstimmrecht

um die politische Gleichstellung der Frauen  ; Esther Baur und Sabine Strebel präsentieren bisher kaum bekanntes Bildmaterial zum Thema aus dem Basler Staatsarchiv  ; Fabienne Amlinger geht der Frage nach, welchen Platz die Frauen nach 1971 auf Bundesebene in der Parteipolitik eingenommen – erlangt und erhalten – haben. Ursa Krattiger berichtet über ihre Erfahrungen als junge Journalistin in den 1970er-Jahren und schildert, wie sie diese bewegte Zeit erlebt hat. Anita Fetz zeigt auf, dass und wie der Kampf um Frauenrechte auch nach 1966 und nach 1971 weitergeführt werden musste. Andrea Maihofer beschliesst den Band mit Gedanken zur weiteren Entwicklung. 1966 / 71 wurden wichtige Meilensteine gesetzt, aber bei Weitem nicht alle Ziele erreicht  ; die Bemühungen um die Beseitigung der Benachteiligung von Frauen gingen weiter und müssen noch immer weitergehen. Damit wird auch ein Beitrag an die Sensibilisierung gegen Diskriminierung jeglicher Art geleistet. Nichts veraltet so schnell wie ein naturgemäss auf einen Zeitpunkt beschränktes Jubiläum. Dieses Buch hat zwar ein Jubiläum zum Anlass, es möchte aber darüber hinaus wirken und Bestand haben. Viele haben zum Gelingen dieses Buches beigetragen. Ihnen sei hier wärmstens gedankt  : den Kolleginnen für ihre wertvollen Beiträge, der Christoph ­Merian Stiftung und dem Team des Christoph Merian Verlags, den an der Buchproduktion Beteiligten (  der Lektorin Rosmarie Anzenberger und Katharina ­Marti von icona basel  ) und schliesslich den grosszügigen Sponsoren (  neben der CMS, der Berta Hess-Cohn-Stiftung, der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft und dem Verein 50 Jahre Frauenstimmrecht im Kanton Basel-Stadt  ). Basel, August 2016

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G. K.

Unter dem Titel ‹  Warum konnten die Frauen in der Schweiz erst ab 1971 abstimmen, wählen und gewählt werden  ?  › hat die Bundeskanzlei anlässlich der Eidg. Wahlen vom Herbst 2015 ohne weitere Erklärung einen guten Überblick zur Verfügung gestellt  : https  ://www.ch.ch / de / wahlen2015 / zum50-mal / warum-konnten-die-frauen-in-der-schweiz-erst-ab-1971-abstimm /  (  letzter Zugriff  : 07.07.2016  ).

2 URL: www.youtube.com/watch? v = sZQ2RUFd54o (  letzter Zugriff  : 07.07.2016  ).

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Fünf Anläufe zum Basler Frauenstimmrecht, 1916–1966

Georg Kreis

Den 9141 Basler Stimmbürgern gewidmet, die im Juni 1966 gegen das Frauenstimmrecht gestimmt und eine ablehnende Minderheit von immerhin vierzig Prozent gebildet haben.1


1.

Der Durchbruch nach fünfzig Jahren

«  Basel darf stolz darauf sein, als erster Deutschschweizer Kanton seine Treue zu den Idealen der Demokratie unter Beweis gestellt zu haben.  » Dies erklärte der freisinnige Basler Ständerat Eugen Dietschi nach dem positiven Ausgang der Basler Abstimmung von 26. Juni 1966.2 Aus Zürich kam prompt die Anerkennung  : Diese Leistung sei dem Kanton hoch anzurechnen, das gute Beispiel werde in den nächsten Jahren sicher Schule machen.3 Die liberal-konservativen ‹  Basler Nachrichten (  BN  )  › waren in ihrem Abstimmungskommentar etwas zurückhaltender. Sie würdigten zwar das unermüdliche Beharren der Frauenstimmrechtsbefürworter und beglückwünschten die Sieger. Aus Rücksicht auf die Frauenstimmrechtsgegner in ihrer Leserschaft rekapitulierten sie aber auch die bei den Liberalen stark verbreitete Meinung, die Haltung in dieser Frage beruhe auf persönlicher Überzeugung und nicht «  auf sachlicher Logik  ».4 Deutlich begeisterter war, wie gesagt, der von Eugen Dietschi verfasste und bereits teilweise zitierte Kommentar  : «  Wieder einmal hat Basel-Stadt das Eis gebrochen und dem Fortschritt eine Gasse geöffnet.  »5 Auch Fritz Grieder, Stadtchronist und ebenfalls Mitglied der Radikaldemokraten (  heute FDP  ), ordnete das Resultat hochgestimmt in eine Fortschrittsperspektive ein und zog eine direkte Linie von den früher auf wenige privilegierte Bürgerfamilien beschränkten Rechten über die Erlangung des allgemeinen Wahl- und Stimmrechts der Männer bis jetzt zur Ausdehnung auch auf den weiblichen Teil der Bevölkerung.6 Die Stimmbeteiligung betrug bloss 34,5 Prozent. Das wurde als dem historischen Vorgang keineswegs angemessen beurteilt. Die ‹  National-Zeitung (  NZ  )  › bezeichnete die schwache Beteiligung als nicht sehr erhebend, dies spreche nicht für ein «  waches politisches Interesse der männlichen Stimmbürger  ».7 Und die ‹  Neue Zürcher Zeitung  › erklärte, die Frauen dürften sich die «  vielgerügte 14


Fünf Anläufe zum Basler Frauenstimmrecht, 1916–1966

Basler Nachrichten Nr. 253 vom 18./19. Juni 1966. 15


Fünf Anläufe zum Basler Frauenstimmrecht, 1916–1966

Basler Nachrichten Nr. 259 vom 22. Juni 1966.

Laxheit der Männer  » nicht zum Vorbild nehmen.8 Andererseits wurde die ­geringe Mobilisierbarkeit, die übrigens ein allgemeineres Phänomen der 1960er-Jahre war, auch als Indiz für die breite Akzeptanz des sich abzeichnenden Entscheids gewertet. Ein positiver Ausgang war im Vorfeld erwartet worden, keine Partei hatte sich dagegen ausgesprochen. Die früheren Abstimmungen in gleicher ­Sache waren deutlich stärker umstritten und hatten entsprechend mehr mobilisiert. In den Tagen vor der Abstimmung wurden immerhin auch mit Inseraten Pro- und Contra-Kampagnen geführt. Bemerkenswert ist, dass die Gegner 1966 noch nicht aufgegeben hatten. Mit einer sechsteiligen Serie argumentierten sie mit teils sonderbaren Alternativen gegen das Frauenstimmrecht  : 1. einzelne Frauen vermehrt in Ausschüsse und Kommissionen, berufen (  !  ), statt alle Frauen «  in den politischen Kampf  » hineinziehen  ; 2. mehr Möglichkeiten in Kirchen-, Sozial- und Schulwesen als im politischen Kampf  ; 3. Gleichheit oder Berücksichtigung von Sonderbestimmungen  ; 4. mehr demagogische Wahlkampfmethoden als Folge des Frauenstimmrechts  ; 5. nicht zur Befriedigung des Ehrgeizes weniger Frauen allen Frauen «  wesensfremde Pflichten  » aufbürden  ; und 6. natürlich trotz des eindeutigen Resultats von 1954 das Argument  : den Frauen aufdrängen, was Frauen gar nicht wünschen. 16


Der Durchbruch nach fünfzig Jahren

Im Laufe der 1960er-Jahre dürfte sich die Zustimmung zum Frauenstimmrecht verstärkt haben. Um wie viel und warum  ? Im Kapitel ‹  Umstände und Faktoren  › wird auf diese Frage näher eingegangen. Schon hier sei gesagt, dass der in den 1960er-Jahren vor der Basler Abstimmung eingetretene Fortschritt nicht überschätzt werden sollte. Die zur geplanten ‹  Gulliver  ›-Umfrage der Landes­austellung Expo 64 im Jahr 1962 durchgeführte Vorstudie (  eine Repräsentativumfrage bei rund 1300 Personen  ) zu sehr verschiedenen Fragen ergab bezüglich des Frauenstimmrechts Werte, die zeigten, wie wenig weit die gesamtschweizerische Durchschnittshaltung in dieser Sache seit der Volksabstimmung von 1959 fortgeschritten war  : Die Männer sprachen sich mit 240  :  221 Stimmen dagegen aus und die Frauen mit 238  :  237 nur knapp dafür.9 Die in der Expo selbst neben anderen eingesetzte Frage  : «  Was würde die Stellung der Schweizerfrau im günstigen Sinn ändern  ?  » thematisierte ebenfalls das fehlende Frauenstimmrecht. Zu dieser Befragung gibt es keinen Schluss­ bericht, aber nach sechs Wochen Ausstellungsbetrieb eine Zwischenbilanz zu den 134 255 eingegangenen Antworten, von denen 38,3 Prozent von Frauen stammten. Da die Einzelauswertung in dieser Phase noch nicht nach Geschlecht unterschied, können zum Frauenstimmrecht nur die Gesamtreaktionen genannt werden  : Für 43,7 Prozent war das fehlende Frauenstimmrecht kein Problem. Diese Gruppe setzte sich zusammen aus  : 24,5 Prozent mit der Meinung, dass die aktuellen Verhältnisse der Natur der Frauen entsprächen, und 19,2 Prozent mit der Meinung, dass die Frauen gegenüber den Männern nicht benachteiligt seien. Nur 19,1 Prozent sahen im Frauenstimmrecht eine Verbesserung der ‹  condition de la femme  ›. Die verbleibenden 35,5 Prozent sprachen sich statt fürs Frauenstimmrecht (  als ob dies Alternativen wären  ) für die folgenden Verbesserungen aus  : Chancengleichheit im Beruf (  16,1 Prozent  ), Lohngleichheit (  10,1 Prozent  ), Geburtenkontrolle (  7 Prozent  ), Militärdienstpflicht (  1,5 Prozent  ) und leichtere Scheidungsverfahren (  0,9 Prozent  ).10 Der bundesrätliche Delegierte, der dem ganzen Befragungsspiel ablehnend gegenüberstand, bemerkte zur Frage nach dem Frauenstimmrecht, es sei dem Schweizervolk nicht zuzumuten, «  dass es aus seiner Haut fahre  »  ; zudem seien es die Frauen selber, die ihre Diskriminierung duldeten oder guthiessen. Von dieser Haltung wird in einer späteren Studie zutreffend gesagt, dass sie die 17


Fünf Anläufe zum Basler Frauenstimmrecht, 1916–1966

Kritik an der gesellschaftlichen Benachteiligung von Frauen zu einer Kritik an den Frauen selbst verdreht habe.11 In den Eidgenössischen Räten könnte die Befürwortung des Frauenstimmrechts verglichen mit den 1958 eingenommenen Haltungen nach der Ablehnung von 1959 eher wieder zurückgegangen sein.12 Die Reaktionen auf die verschiedenen, erneut vorgenommenen Vorstösse zeigen, dass die Gegner, die es weiterhin gab, zwar nicht mehr so recht daran glaubten, dass sich das Frauenstimmrecht für immer verhindern liesse. Sie wollten seine Einführung aber so lange wie möglich hinauszögern und taten Versuche, die Reform erneut anzugehen, als «  Zwängerei  » ab. In der Vorberatung von 1958 zur ersten gesamtschweizerischen Abstimmung hatten die ‹  bekehrten  › Befürworter, die sich zum Teil als frühere Gegner bekannten, im Parlament noch den Ton angegeben.13 Jetzt aber hatten wiederum die Unentschlossenen und Vorsichtigen Auftrieb. Viele von ihnen waren der Meinung, man müsse sich Zeit lassen, dürfe sich auf keinen Fall ein zweites Nein leisten und solle auf die Entwicklung in den Kantonen abstellen. In diesem Kontext wurde im Herbst 1966 im Nationalrat kurz auf das Ja im Kanton Basel-Stadt hingewiesen, aber in Kombination mit einem Negativbefund, der erklärte, dass in der deutschsprachigen Schweiz bisher «  noch kein einziger Kanton, sondern lediglich der Halbkanton Basel-Stadt  » das Frauenstimmrecht eingeführt habe.14 In den 1960er-Jahren finden wir verschiedene Fixpunkte, die einen Einblick in den Diskussionsstand der nun schon seit Jahrzehnten erörterten Frage geben. Der 1967 angeschobene Prozess zur Durchführung einer Totalrevision der Bundesverfassung verlieh auch der Frauenstimmrechtsfrage weitere Schubkraft, obwohl diese für die auslösenden Akteure nicht im Vordergrund stand. Der Basler Nationalrat und BN-Chefredaktor Peter Dürrenmatt (  LDP  ) ging in seiner Motionsbegründung davon aus, dass es für diese spezifische Frage zwei Zukunftsszenarien gebe  : Entweder würde das «  Problem  » gelöst, indem die Mehrzahl der Kantone das Frauenstimmrecht einführe, so dass sich seine Einführung auch auf eidgenössischer Ebene «  nicht mehr revolutionär  » ausnähme  ; oder man müsse «  dieses Problem  » dann gesondert behandeln. Offenbar wollte er die ­Totalrevision nicht mit der «  emotionell geladenen  » Frauenstimmrechtsfrage ­belasten.15 18


Der Durchbruch nach fünfzig Jahren

In der Ausarbeitung einer gemeinsamen Basler Verfassung im Hinblick auf eine Wiedervereinigung der beiden Halbkantone spielte die Frage, ob das Frauen­stimmrecht vorgesehen werden solle, ebenfalls eine Rolle. Dies führte zur paradoxen Situation, dass Befürworter der Wiedervereinigung das Frauenstimmrecht nicht vorsehen wollten, um das Gesamtprojekt nicht zu belasten – nicht «  Totengräber der eigenen Arbeit  » zu werden. Dagegen hätten konservative Gegner einer Wiedervereinigung, die eigentlich keine Befürworter des Frauenstimmrechts waren, dieses ganz gerne im Entwurf gehabt, weil dies die Chancen einer Ablehnung erhöht hätte. Landschreiber Dr.  Gustav Schmied (  FDP  /  Frenkendorf  ) erklärte  : «  Wenn schon eine moderne Verfassung, dann mit Frauenstimmrecht  !  » Dies trug ihm dann allerdings den Vorwurf seines Kollegen R. Huber (  SP / Binningen  ) ein, damit die Wiedervereinigung hintertreiben zu wollen.16 In einer Vorberatung vom November 1962 wurde das integrale Frauenstimmrecht unter Namensaufruf mit 97  : 32 deutlich abgelehnt.17 Um das Frauenstimmrecht zu einem späteren Zeitpunkt nicht über eine schwerfällige Verfassungs­ revision (  mit obligatorischem Referendum  ) einführen zu müssen, schlug der Basler Grossrat Albin Breitenmoser (  CVP  ) eine Regelung vor, die für eine solche Einführung eine Gesetzesänderung als ausreichend bezeichnete. Sie wurde mit 50  : 11 Stimmen angenommen. Breitenmoser bemerkte  : «  Man darf die Suppe nicht versalzen, sonst wird sie nicht gegessen.  »18 Die Ablehnung wurde auch damit gerechtfertigt, dass dieser umstrittene Reformschritt nicht zur Erarbeitung einer gemeinsamen Verfassung gehöre und eine «  Umgehung  » des Auftrags bedeutet hätte. In Anbetracht der in Stadt und Land wachsenden Zustimmung zur Einführung des Frauenstimmrechts bestand theoretisch die Möglichkeit, dass die neue Basler Verfassung zwar kein Frauenstimmrecht vorsah, aber einer der beiden Halbkantone oder gar beide inzwischen das Frauenstimmrecht auf ihrem Territorium bereits eingeführt haben würde. Der Vorschlag, gleich beiden Halbkantonen das Stimmrecht zu geben, wenn inzwischen nur einer das Frauenstimmrecht eingeführt hatte, wurde zunächst gutgeheissen, dann aber wieder abgelehnt, weil ein Halbkanton nicht dem anderen seinen Willen aufzwingen dürfe. Andererseits wäre es schwer vorstellbar gewesen, einem der beiden Halbkantone das einmal errungene Frauenstimmrecht (  wie 1966 in Basel-Stadt  ) wieder zu 19


Fünf Anläufe zum Basler Frauenstimmrecht, 1916–1966

entziehen.19 Man einigte sich, wie gesagt, auf eine erleichterte Anpassung an die späteren Verhältnisse über eine allfällige Gesetzesreform. Diese Lösung und andere Regelungen wurden jedoch hinfällig, als die Wiedervereinigung im Dezember 1969 nicht die nötige Zustimmung erhielt. Dazu gehörte die auf ­Antrag von Prof. Adolf Gasser (  FDP  ) beschlossene Bestimmung, dass die Frauen in alle Behörden gewählt werden dürften, ausser in den Kantonsrat, Regierungsrat, Ständerat, Gemeinderat, in das Gemeindeparlament und die Gemeindekommissionen. Der Staatsrechtsprofessor Max Imboden, 1962 Präsident des Basler Verfassungsrats und Mitglied der für die Totalrevision der Bundesverfassung eingesetzten ‹  Kommission Wahlen  ›, war, wie zum Beispiel eine Pressekolumne aus dem Jahr 1960 zeigt, selbstverständlich ein entschiedener Befürworter des Frauenstimmrechts. Er beklagte, dass der Staat «  mit harter Hand  » Hunderttausenden das Stimmrecht vorenthalte.20 In seiner sehr beachteten Schrift von 1964 zum ‹  Helvetischen Malaise  › bekräftigte er seine Position und bemerkte, «  dass wir unser helvetisches Männerprivileg, an dessen innere Berechtigung wir ja selbst nicht mehr glauben und für das uns niemand mehr auf der Welt Verständnis entgegenbringt, möglichst lautlos und möglichst rasch beseitigen sollten  ». Weil es ihm entgegenkam, schenkte er der Tatsache, dass «  bereits  » drei Kantone das Frauenstimmrecht hatten, ein überbewertendes Gewicht, indem er beifügte  : «  Es widerspricht schon einem bundesstaatlichen Ordnungsprinzip, dass ein Teil der schweizerischen Kantone den Frauen das Stimmrecht gibt und die anderen es ihnen vorenthalten.  »21 Dass wegen der geringeren Stimmbeteiligung der Frauen, wie sie offenbar in den drei Kantonen beobachtet werden konnte, die ohnehin schon tiefen Durchschnittswerte der Stimmbeteiligung weiter sinken könnten, nahm er in Kauf  ; ihm war wichtiger, dass die absolute Zahl der Wählenden und Abstimmenden zunehme, weil diese jetzt auf zu wenige Schultern verteilt sei.

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