Basler Stadtbuch 2013

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B a s e l: in–out

C h r i s t o p h M e r i a n S t i f t u n g (Hg.) C h r i s t o p h M e r i a n Ve r l a g

Basler Stadt buch

Po l i t i k u n d Gesellschaft

Wi r t s c h a f t und Region

Stadtentwicklung u n d ­A r c h i t e k t u r

Bildung und Umwelt

2013

Ku l t u r u n d Geschichte

Alltag und Freizeit


www.baslerstadtbuch.ch www.baslerchronik.ch

Bas Stadt

201


1 3 4 .  J a h r / Au s g a b e 2 0 1 4 C h r i s t o p h M e r i a n St i f t u n g (Hg.) C h r i s t o p h M e r i a n Ve r l a g

sler tbuch

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E d it oria l

Basel : in – out Stellen Sie sich vor  : Etwa um das Jahr 1220 steht Bischof Heinrich von Thun hinter dem Münster auf der Pfalz, schaut hinüber auf die zwei Dörfer Ober- und Niederbasel – das heutige Kleinbasel – und überlegt sich, wie er den durch die Zähringer erlittenen Machtverlust im Breisgau und im Schwarzwald wiedergutmachen könnte. Diese Zähringer, die ihn und seine Familie immer wieder gedemütigt haben und die sich bei Rheinfelden mit dem Bau einer Brücke über den Fluss, auf den er gerade hinabblickt, einen grossen strategischen Vorteil verschafft haben. Vielleicht fehlt Basel eine Brücke ? Nun, wie wir alle wissen, kam es zum Bau des Rheinübergangs – der heutigen Mittleren Brücke –, der seither Grossbasel und Kleinbasel verbindet. Wenn auch die ursprünglich geplante Expansion Richtung Schwarzwald /Breisgau und damit in das Herrschaftsgebiet der Zähringer gescheitert sein mag, so stand dieser Brückenschlag doch für die Zukunft Basels als bedeutender Handels- und Umschlagplatz. Die Stadt nutzte und profitierte jahrhundertelang von ihrer Lage an einer der wichtigsten europäischen Nord-Süd-Achsen. Auch die Grenzlage und die Nähe zu Frankreich und Deutschland haben Basel zum Einfalls- und Ausfallstor der Schweiz gemacht und brachten neben allen positiven Aspekten auch grosse Belastungen mannigfaltiger Art. Diesen Entwicklungen verdankt unsere Stadt ihre heutige Bedeutung, sie sind zentrale Themen des Schwerpunktkapitels. Der ‹ neudeutsche › Stadtbuchtitel ‹ Basel : in – out › mag auf den ersten Blick leicht befremdlich wirken, doch er steht einerseits für das Schwerpunktthema – die Logistik und ihre Bedeutung für den Kanton – und entspricht andererseits in seiner Mehrdeutigkeit dem diesjährigen Stadtbuch : Geht es doch auch ums Ein- und Ausatmen, sprich um unsere Luft und ihre Qualität, und ums Wasser beziehungsweise Abwasser im ewigen Kreislauf, Basiselemente für unser Leben. Dazu werden Lagerung und Verteilung betrachtet, Lebensmittel und ihre Produktion ( so auch um den grössten Schlachthof der Schweiz ), der Verbrauch und der täglich entstehende Abfall und die Möglichkeit, aus Müll Energie zu gewinnen. Ein Beitrag zur Energiefrage ( ‹ Wie Basel zu Strom kommt › ) schliesst den Schwerpunkt ab, thematisch überleitend zum Kapitel ‹Politik und Gesellschaft›, dessen erster Text den Fokus nicht auf die aktuelle Energieproduktion, sondern auf die Chancen der Energiewende und ihr Ziel ‹ 100 Prozent erneuerbar › richtet. Die Bewegung von ‹ in – out › behandeln auch die Beiträge zum Basler Fundbüro, in dem täglich zum Teil skurrile Objekte ( vermissen Sie Ihr Gebiss ? ) abgegeben werden jedoch längst nicht alles abgeholt wird, und zum ‹ kriminalgeografischen Raum › Dreiländereck, der es Kriminellen jedweder Couleur erleichtert, hier Beute zu machen und schnell wieder über die Grenze zu verschwinden. 5


‹ Wirtschaft und Region › greift zum Auftakt wieder das Thema Logistik auf und geht im ersten Artikel der Frage nach, wo angesichts des Planungsdrucks Gewerbebetriebe und Güterumschlagsfirmen im Stadtraum noch ihren Platz finden. Die Gemüter bewegt haben in den letzten Monaten auch die Ereignisse im Zusammenhang mit der Basler Kantonalbank : Kann eine neue Leitung das Traditionshaus in ruhigere Gewässer führen ? Und falls Sie es ungewöhnlich finden, den FC Basel im Wirtschaftsteil des Stadtbuchs zu finden : Der FCB ist mehr als ein Sportverein, sein Geschäftsmodell verdient Beachtung und Betrachtung. Selbstverständlich bekommt zudem das Baselbiet seinen Platz, nicht nur wegen der Diskussion um die Fusionsinitiative, sondern auch im Zusammenhang mit der Frage, was in den letzten Jahren die interkantonale Zusammenarbeit eher erschwert hat. Im Teil ‹ Stadtentwicklung und Architektur › wird Rückschau gehalten auf die Debatte um den Claraturm und den Verlauf der Abstimmungskampagne. Weiter : Was geschieht mit den frei werdenden Flächen, die durch die Umstrukturierung der Basler Häfen entstehen werden ( hier taucht auch das Thema des Brückenbaus wieder auf ), wo entsteht welcher Wohnraum für wen und was hat es mit der seltsamen Wand an der Türkheimerstrasse auf sich ? ‹ Bildung und Umwelt › zeigt unter anderem auf, welche logistischen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Harmos-Konkordat anstehen : Eine Reihe von Schulhäusern muss für eine gewisse Zeit geräumt und umgebaut werden, Schülerinnen und Schüler beziehen speziell entwickelte Provisorien, die jedoch von beeindruckender Qualität sind. Zum Glück ‹ out › im übertragenen Sinn ist die Heiratsstrafe für Lehrerinnen : Folgende Posse, die aus einer gewissen Zeitdistanz nur noch Kopfschütteln auslöst, aber eigentlich Grund zu Empörung ist, findet sich im Beitrag zum 200 -Jahr-Jubiläum der ehemaligen Töchterschule : « Eine der letzten Lehrerinnen, die diese Klausel noch betraf, war Luciana Thordai-Schweizer. Die einstige Schülerin am Mädchengymnasium hatte Geisteswissenschaften studiert und war vom damaligen Rektor Paul Gessler zurück an die Schule geholt worden. Der nächste Rektor entliess sie jedoch nach ihrer Hochzeit im Dezember 1966 , um sie am folgenden Tag zu einem geringeren Gehalt wieder einzustellen. Mit der Rückstufung war auch die Pensionskasse dahin. » Und noch einmal in diesem Kapitel das ‹ in – out › : Die Buche geht, der Zürgelbaum kommt, und in den Langen Erlen muss der Wapitihirsch weichen, dafür bekommt der Wisent seinen Platz. Ein heikles Thema wird zu Beginn von ‹ Kultur und Geschichte › angegangen : die verborgenen Verstrickungen von Basler Forschern mit dem Kolonialismus. Weiter zurück in die Geschichte führen uns die Keltenfunde in der ehemaligen Siedlung im Rheinhafen, die Anfang 2013 mit modernster Technik untersucht und durchleuchtet wurden. Einen Beitrag wert war uns auch Bettingen, das vor fünfhundert Jahren zu Basel kam und interessanterweise nach der Kantonstrennung bei Basel 6


blieb. Erst hundert Jahre sind hingegen seit dem Färberstreik von 1913 vergangen : Sind angesichts der aktuellen Wirtschaftsentwicklung soziale Unruhen und Streiks auch heute wieder denkbar oder sind sie Geschichte ? ‹ Alltag und Freizeit › : Man kommt in den letzten Jahren im Schlussteil des Stadtbuchs einfach nicht um den FCB herum ! Im Jahrgang 2013 wird der Rücktritt von Alex frei gewürdigt, eines ‹ Eigenwilligen der Extraklasse ›, dazu das Wirken von Josef Zindel, des langjährigen Kommunikationschefs des FCB. Am Ende dieses Kapitels und des ganzen Jahrbuchs steht ein Beitrag zum 150 -jährigen Bestehen des Schweizer Alpen Clubs SAC, dem die Gründung der Basler Sektion um zwei Tage vorausging. Und auch hier schildert ein separater Kastentext schräge Gegebenheiten, die an das oben erwähnte Heiratsverbot für Lehrerinnen erinnern – aber lesen Sie selbst ! In allen sieben Stadtbuchkapiteln gibt es selbstverständlich noch weitere Beiträge zu entdecken : Wir wünschen Ihnen viele vergnügliche und spannende Lesemomente und danken Ihnen für Ihre Treue. Herzlich danken möchte ich auch allen Autorinnen und Autoren, die an diesem Stadtbuch-Jahrgang mitgearbeitet haben, sowie den Stadtbuch-Beraterinnen und -beratern. Ebenso herzlich danke ich der Lektorin Rosmarie Anzenberger und Kathrin Schulthess, der Fotografin : Sie haben mit ihrer Arbeit dieses Stadtbuch massgeblich mitgestaltet und mich mit ihrer ruhigen und überlegten Art und mit vielen Anregungen auch in diesem Jahr in hohem Mass unterstützt. Mein Dank geht auch an das Gestaltungsteam von Groenlandbasel, Dorothea Weishaupt und Sheena Czorniczek, an den Lithografen Andreas Muster, an die Druckerei Schwabe AG und an den Christoph Merian Verlag sowie seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ihm insbesondere für das wiederholte Vertrauen. Lukas Hartmann, Redaktor

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Bas in –


sel:  out B a se l: in  –   o ut


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Inhalt 12

Pie t e r Pold e rva a rt

DIE V ER MESSUNG DER LUF T

Daniela Pf eil

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DIE ENERGIE DES MÜLLS – BASLER ABFALLBERGE IN DER KVA

In den letzten zwanzig Jahren ist die Luft in der Nordwestschweiz stetig sauberer geworden. Doch temporär und an gewissen Die heutige Abfallbewirtschaftung Orten bleiben Feinstaub, Stickoxid ist ein komplexer Prozess, und Ozon ein Problem. Und in dessen Brennpunkt die Nachhaltigkeit steht: mit der geplanten Energiewende Energie­gewinnung, Recycling dürfte der Stickoxid- und und Wiederverwertung von Feinstaub-­Ausstoss wieder Rohstoffen. zunehmen. 16

Da vid Tré fá s

TR INKWASSER FÜR ALLE

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LOGISTIK MIT NEUEM SCHUB

In der EU ist die Privatisierung der Wasserversorgung vom Tisch. In Basel zeigt die Geschichte der Wasserversorgung, dass der hier verfolgte Mittelweg zwischen Privatisierung und Verstaatlichung die Balance zwischen Unternehmertum und Service public zu halten weiss. 20

Pieter Poldervaart

Drei Milliarden Franken Wertschöpfung pro Jahr generiert die Logistik in der Nordwestschweiz. Doch bisher fristete die Branche in der öffentlichen Wahrnehmung ein Mauerblümchendasein. Im Rahmen der Plattform ‹  Logistikcluster Region Basel  › will man sich nun ein Gesicht geben. Gleichzeitig gilt es, sich für das prognostizierte starke Wachstum im Transportwesen zu wappnen.

C h ris t of Wa mis t e r

VON DER KLOAKENFR AGE ZU DEN MIKROV ER­ UNR EINIGUNGEN Das Verschwinden der klassischen chemischen Industrie hat die Basler Abwassersituation völlig verändert. 10


M a rk us Bä r

Und ein Zentrum der Lebensmittelverarbeitung ist Basel auch nicht. Dennoch: Hier wird mehr gebauert, geschlachtet, gewurstet, gebacken, geröstet und gebraut, als man gemeinhin annimmt.

W IE DIE WAR EN STRÖMEN Aufgrund seiner verkehrs­ günstigen Lage ist Basel zum bedeutendsten Logistik­ standort der Schweiz aufgestiegen. Mehr als vierzig Prozent des grenzüberschreitenden Schweizer Warenverkehrs werden in und um Basel abgewickelt. Was ­kommt und geht hier auf welchen Wegen und in welchen Mengen? 41

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W IE BASEL ZU STROM KOM MT Ein Anti-akw-Entscheid des Basler Stimmvolks erwies sich 1974 als richtungweisend für eine nachhaltige Energiepolitik von Basel-Stadt. Inzwischen stellen die Energiewende und die Liberalisierung des Strommarktes die iwb vor neue Heraus­forde­rungen.

S i m o n Ba ur

SYMBOLE FÜR WÄR ME UND BROT – TANK­L AGER UND SILOS Im unteren Kleinbasel und im St. Johann waren sie früher nicht zu übersehen: die Tanklager und Silotürme. Hat tatsächlich ein Abbau stattgefunden oder nur eine Standortverlagerung? 44

David Tréf ás

M a rk us Bä r

FLEISCH, BROT UND BIER – DIE PRODUKTION VON LEBENS ­ MIT TELN IN BASEL Ein Stadtkanton kann kein Landwirtschaftskanton sein. 11

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Im Auftrag des Lufthygieneamts kunstvoll besprayt : Messstation beim St. Johanns-Tor

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DIE VERMESSUNG DER LUFT In den letzten zwanzig Jahren ist die Luft in der Nordwestschweiz stetig sauberer ­geworden. Doch temporär und an gewissen Orten bleiben Feinstaub, Stickoxid und Ozon ein Problem. Und mit der geplanten Energiewende dürfte der Stickoxid- und Feinstaub-Ausstoss wieder zunehmen.

Dass politische Grenzen zunehmend an Bedeutung verlieren, zeigt sich bei der Luftreinhaltung besonders deutlich : Je nach Schadstoff zwischen dreissig und fünfzig Prozent der Frachten werden von ausserhalb in den Basler Luftraum eingetragen. Deshalb war es nur logisch, dass sich im Jahr 1985 die beiden Basel offiziell zusammentaten und das Lufthygieneamt beider Basel ( LHA ) gründeten. Bis anhin hatte das Amt für Lufthygiene Basel-Landschaft Aufgaben für den Stadtkanton wahrgenommen, indem der Amtsleiter zur Hälfte für Basel-Stadt tätig war und ein gemeinsames Messnetz betrieben wurde. Untergebracht ist das grenzübergreifende Amt in einer Jugendstilvilla an der Rheinstrasse in Liestal. Die Kooperation habe sich gelohnt, meint Andrea von Känel, Leiter des LHA . Denn das Zusammengehen mache es möglich, die Messungen über ein grösseres Gebiet zu erheben, die Ergebnisse sinnvoll zu vergleichen und den Vollzug in beiden Kantonen

gleichartig wahrzunehmen, was überregional tätige Unternehmen sehr schätzten. Heute, an einem warmen Herbsttag, liegen die Konzentrationen der Leitschadstoffe Ozon, Feinstaub und Stickoxid an sämtlichen sieben Messstationen im grünen Bereich. Das ist nicht immer so. Während im Sommer regelmässig zu hohe Ozonwerte festgestellt werden, steigt im Winter – bedingt durch das kalte Wetter und die zusätzlichen Emissionen aus Heizungen – die Belastung durch Feinstaub auf teilweise gesundheitsgefährdende Werte. Industrie und Gewerbe reduzieren ­Lösemittel Ozon wird unter Sonneneinstrahlung durch chemische Umwandlungen gebildet und benötigt als Vorläufersubstanzen Stickoxid und flüchtige organische Kohlenwasserstoffe ( VOC  ). Es kann die Atemwege reizen und zu Kopfschmerzen führen. Je nach Standort der Messstation wird der zuläs13

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Pie t e r Pold e rva a rt


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sige Maximalwert von Ozon immer noch hundert- bis dreihundertmal pro Jahr überschritten – Ziel ist, dass dies in Zukunft nur noch während einer Stunde pro Jahr der Fall sein soll. Immerhin sank die Zahl der Überschreitungen in den letzten Jahren kontinuierlich, ebenso die Höhe der absoluten Belastung. Die Gründe für den Rückgang des Ozons sind vielfältig. So haben in den letzten zwanzig Jahren die Stickoxid-Emissionen in beiden Kantonen um über die Hälfte abgenommen – vor allem wegen der Einführung des Katalysators und moderner Heizungen. Die VOC-Emissionen sanken gar um drei Viertel. Gemäss von Känel ist dies den grossen Anstrengungen von Industrie und Gewerbe zu verdanken – von der Tankstelle über Maler und Lackierer bis zu den grossen Chemie- und Pharmafirmen. Mit der Druckereibranche etwa existiert eine freiwillige Vereinbarung, die beteiligten Firmen auf den aktuellen Stand der Technik zu bringen. Sie hat den Lösemittelverbrauch in den Druckereien um fast achtzig Prozent vermindert. Im Gegenzug beachten die beiden Basel bei der Beschaffung von Drucksachen, ob ein Betrieb bei dieser Branchenvereinbarung mitmacht. An der Messstation an der Basler Feldbergstrasse übrigens, einer besonders belasteten Örtlichkeit, wird der maximal zulässige Stundenwert nie erreicht. Diese verblüf­ fende Tatsache basiert auf dem Abgascocktail der Kleinbasler Luft : Das vom Verkehr ausgestossene Stickstoffmonoxid lässt das Ozon fortwährend zu Sauerstoff reagieren – für einmal eine positive Nebenwirkung der Autoabgase. Während Ozon vor allem im Sommer zum Problem wird, ist Feinstaub ein Winter­ phänomen. Dabei handelt es sich um so­ genannte PM 10, also Partikel mit einem Durchmesser von weniger als zehn Tausendstel-Millimeter. Aus gesundheitlicher Sicht stellt Feinstaub im Bereich Luft eines

der gravierendsten Probleme dar und sorgt vor allem in Form des Wintersmogs für Schlagzeilen. Dieser bringt erhebliche Überschreitungen des Tagesgrenzwerts mit sich. Von Känel erinnert an den Winter 2006 : «Damals war es über längere Zeit sehr kalt und windarm. Wir hatten eine Inversionslage, sodass der Feinstaub in Bodennähe blieb – die Konzentration stieg bis über das Doppelte des Grenzwerts.» Seither trat unter anderem der bundesrätliche ‹ Aktionsplan Feinstaub › in Kraft. Dazu gehören Partikelfilter für Baumaschinen und eine verschärfte Abluftreinigung bei Holzfeuerungen. «Aber auch in Zukunft sind Smog­ episoden nicht auszuschliessen», gibt von Känel zu bedenken. Immerhin liegen die Jahresmittelwerte selbst bei der am stärksten belasteten Messstation an der Feldbergstrasse heute noch rund zwanzig Prozent über dem Grenzwert von zwanzig Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Dank den fortgesetzten Bemühungen dürfte der Rückgang anhalten. Der Verkehr trägt zwar nur einen Drittel zur Feinstaubbelastung bei, doch gehört Russ aus Dieselmotoren zum Ultrafeinstaub, der gesundheitlich besonders kritisch ist. Er dringt bis in die feinsten Verzweigungen der Lunge und ist krebserregend. Neben den Lastwagen und Baumaschinen, die mit wirkungsvollen Russfiltern ausgerüstet werden können, sind je nach Region Holzfeuerungen für bis zu einen Drittel der Gesamtemissionen verantwortlich. Auch hier gibt es für grössere Anlagen wirksame Technologien. Das Problem der Cheminées ist dagegen weiterhin ungelöst, weil bisher keine wirkungsvollen Partikelabscheider verfügbar sind und die Verbrennung im Cheminée sehr hohe Russ­ emissionen verursacht. Das Stickstoffdioxid hat sich in der Nordwestschweiz seit 1990 trotz des wachsenden Verkehrs halbiert. In den nächsten Jahren dürfte der Stickoxid-Ausstoss des Verkehrs aufgrund des wachsenden Anteils von Die14


tone », so von Känel. Dabei täte Kooperation not : Je nach Schadstoff und Region wird ein Drittel bis die Hälfte der Belastung von ausserhalb der Kantonsgrenzen eingetragen respektive wieder nach aussen verfrachtet. Ob hausgemacht oder nicht, die bei Ozon­ spitzen oder Wintersmog häufig geforderten Temporeduktionen etwa haben kaum nachweisbare Auswirkungen auf die Luftqualität. Solche Feuerwehrübungen bei der Lufthygiene bezeichnet von Känel als kontraproduktiv: «Wirkungsvoller ist es, konsequent auf die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte und auf die weitere Ver­minderung der Emissionen hinzuarbeiten.»

Langfristig denken statt Feuerwehr spielen Die überkantonale Überwachung der Luftqualität beschränkt sich übrigens nicht mehr nur auf die beiden Basler Halbkantone. Seit 2004 arbeitet das LHA mit dem Kanton Solothurn zusammen ; beim Teilen von Infrastruktur und Personal können Synergien genutzt werden. Durch diese Kooperation wird die jährliche Berichterstattung vereinheitlicht und führt zu aussagekräftigeren Datenreihen und einer besseren Vergleichbarkeit. Im Jahr 2013 kam auch eine Zusammenarbeit mit dem Kanton Aargau zustande. Doch punkto Vollzug und Massnahmen regiert weiterhin der Föderalismus. «Wie Betriebe kontrolliert und welche Massnahmen bei Grenzwertüberschreitungen getroffen werden, bleibt Sache der Kan15

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selfahrzeugen allerdings wieder leicht zunehmen. «Erst mit der flächendeckenden Einführung von Dieselkatalysatoren wird diese Belastung signifikant zurückgehen», prognostiziert von Känel. Dennoch hoffe man, bis 2020 den Grenzwert fast überall in den beiden Kantonen einhalten zu können. Neuralgische Punkte wie die Feldbergstrasse werden allerdings bestehen bleiben. Den Lufthygienikern einen vorläufigen Strich durch die Rechnung machen könnte ausgerechnet der Klimaschutz und der Ausstieg aus der Atomkraft. Denn mit der von der Energiewende angestrebten Förderung der erneuerbaren Energien – insbesondere Holz- und Biomasseverwertung – steigt die Emission von Stickoxiden und Feinstaub. Eine Holzheizung emittiert mehr als das Doppelte an Stickoxiden und je nachdem weit über das Hundertfache an Russ gegenüber einer Öl- oder Gasheizung. Neben privaten Hausfeuerungen gilt dies auch für Wärmeverbünde. Das Holzkraftwerk Basel ist diesbezüglich allerdings vorbildlich und erreicht dank fortschrittlicher Technologie bereits heute tiefe Emissionswerte.


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D a vid Tréf ás

TRINKWASSER FÜR ALLE In der EU ist die Privatisierung der Wasserversorgung vom Tisch. In Basel zeigt die Geschichte der Wasserversorgung, dass der hier verfolgte Mittelweg zwischen Privatisierung und Verstaatlichung die ­Balance zwischen Unternehmertum und Service public zu halten weiss.

In den letzten Jahren arbeitete die EU -Kommission an einer Vorlage zur einheitlichen Regelung der Vergabe von Konzessionen, die zu einer Privatisierung der Trinkwasserversorgung in der EU geführt hätte. Dann überraschte sie im Juni 2013 mit der Mitteilung, diese umstrittene Massnahme nicht weiter verfolgen zu wollen. Zuvor hatten in einer beispiellosen Aktion eineinhalb Millionen EU -Bürger in sieben Mitgliedsländern eine Bürgerinitiative unterzeichnet, welche verlangte, dass im Regelfall die Kommunen ihre Wasserversorgung öffentlichen Betrieben anvertrauen sollten und die Wasserversorgung nicht an private Unternehmen vergeben werden dürfe. Obschon die Schweiz nicht EU -Mitglied ist, hätte sich die Privatisierung der Wasserversorgung wohl auch auf unser Land ausgewirkt. Die Frage, ob Wasser besser von öffentlichen oder von privaten Unternehmen zu fördern und bereitzustellen sei, wird seit der Einführung der modernen Wasserver-

sorgung im 19. Jahrhundert diskutiert. Sie widerspiegelt Grundfragen der Aufgaben des Staates. Auch in Basel gab es, je nach gerade vorherrschendem Wirtschaftsmodell, unterschiedliche Antworten. Die Ära der privaten Trinkwasser­ver­sorgung im 19. Jahrhundert Trinkwasser ist ein Produkt, das eine aufwendige Infrastruktur voraussetzt. Dabei muss unterschieden werden zwischen der Produktion, der Zuführung und der Abführung. Diese Versorgungskette war zur Zeit der Versorgung der Stadt mittels Brunnen und Brunnenwerken noch weitgehend unproblematisch. In Sod- und Ziehbrunnen wurde Grundwasser gewonnen, Loch- und Stockbrunnen zapften unterschiedliche, auch höher gelegene Quellen an. Acht Brunnwerke, deren Quellen in der weiteren Umgebung Basels lagen, versorgten die Stadt. Spätestens mit der Schleifung der Stadtmauern nach 1859 konnten diese Wer16


Politiker jener Zeit und Leiter des Sani­täts­­wesens, bemühte sich nach der gerade ausgestandenen Choleraepidemie von 1855 um eine deutliche Verbesserung der Hygiene. Noch aber war die Zeit nicht reif für eine grundsätzliche Modernisierung. Basel wurde noch gut fünfzehn Jahre, also bis 1875, von konservativen Familien und Zünften beherrscht, welche ihre Interessen als Hauseigentümer und Inhaber industrieller Unternehmen wahrten. So ist es nicht verwunderlich, dass die neue Wasserversorgung nicht vom Staat selbst übernom-

Trinkwasserfassung im Hardwald : im Jahr 2013 wegen möglicher Grundwasserverschmutzung im Fokus

ein Abbild der neuen gesellschaftlichen Realitäten wurde. Die Öffnung der Stadt ab der Mitte des 19. Jahrhunderts stand auch im Zeichen des gestiegenen Bedürfnisses für « wohlfeilere und zugleich luftigere und bequemere Wohnungen », wie es im Gesetzesentwurf zur ­Erweiterung der Stadt von 1859 heisst.* * Um den ehemaligen Festungsgürtel wurden Grünflächen angelegt, und Karl Sara­sin, der vielleicht umtriebigste Basler

men, sondern im Jahr 1863 der privaten Gesellschaft für Wasserversorgung der Stadt Basel für dreissig Jahre überlassen wurde. Basels Regierung hatte sich für die Form eines konzessionierten Privatbetriebes mit Rückkaufrecht entschieden. Die Gesellschaft fasste im Januar 1865 Quellen in Grellingen und begann mit dem Bau des ­Reservoirs auf dem Bruderholz. Am 12. April 1866 nahm die Wasserversorgung ihren Betrieb auf. Schon sehr bald zeigte sich 17

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ke den Wasserbedarf des sich ausdehnenden Siedlungsgebiets jedoch nicht mehr decken. Wasserverlust durch undichte Leitungen und steigender Wasserbedarf aufgrund der Zunahme der Bevölkerung war die eine Unzulänglichkeit; die andere war, dass ungefähr vierundvierzig Prozent der Gesamtwassermenge vom reichen Basler Bürgertum beansprucht wurden, das seine Wasserrechte in den sogenannten Brunnbriefen schützte.* Die Brunnwerke spiegelten die damalige Standesgesellschaft wider, während die moderne Wasserversorgung


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­jedoch, dass die Gesellschaft zwar lebhaftes Interesse am Verkauf ihrer Dienstleistung hatte, nicht aber an der Gewährleistung der Wasserqualität und auch nicht an der geordneten Abführung des Wassers. Zum einen wurden nur die wohlhabenden Quartiere reichlich mit Wasser versorgt, weil hier höhere Einkünfte zu erwarten waren als in Arbeiterquartieren. Zum anderen liessen die wiederkehrenden Cholera- und Typhus­ epidemien in der dicht besiedelten Altstadt die Einsicht reifen, dass die Einrichtung einer modernen Kanalisation nicht

heiten abhängig sind, zeigte sich im Jahr 1875, als die neue Kantonsverfassung in Kraft gesetzt und ein neues Parlament gewählt wurde. Noch das alte Parlament hatte die Zeichen der Zeit erkannt und als letztes Geschäft seiner Amtszeit beschlossen, die Wasserversorgung in die eigene Hand zu nehmen. Wenige Wochen später entschied der neu zusammengesetzte Grosse Rat, sich auch der drängenden Probleme der Wasserqualität und der Kanalisation anzunehmen. Die Idee, neue Trinkwasserquellen zu erfassen, führte zu ersten Probebohrungen in den Langen Erlen, wo Wiese-Grundwasser gewonnen werden konnte. Sowohl Qualität als auch Quantität entsprachen den Anforderungen, und 1882 nahm das Pumpwerk Lange Erlen schrittweise seinen Betrieb auf. In den 1890er-Jahren wurde das Leitungssystem wesentlich verbessert, was zu einer grösseren Versorgungssicherheit führte. Die folgenden Jahre bis zum Ersten Weltkrieg waren geprägt von steigendem Wasserbedarf, vor allem aufgrund des Ausbaus der Kanalisation und der Versorgungskapazitäten. In den Langen Erlen wurde eine Schutzzone geschaffen, um die Verunreinigung des Wassers durch landwirtschaftliche Nutzung zu verhindern. Bedarfsdeckung Der stetig wachsende Wasserverbrauch erzwang nach dem Zweiten Weltkrieg die erneute Suche nach Wasserquellen. Im Jahr 1950 begann man mit der systematischen Untersuchung der Grundwasserverhältnisse in der Hard. Zusammen mit dem Kanton Basel-Landschaft wurde 1954 die Hardwasser AG für den Bau und Betrieb von Trinkwasseranlagen in der Hard gegründet, sie nahm 1962 den regelmässigen Pumpbetrieb auf. Gleichzeitig musste wegen der zunehmenden Gewässerverschmutzung die Fassung von Rheinwasser verworfen werden. Gefiltertes Rheinwasser wird lediglich

Der 1926 fertiggestellte Wasserturm stellte die Versorgung des wachsenden Quartiers auf dem Bruderholz sicher

mehr länger auf sich warten lassen dürfe. Da diese den Wasserbedarf schlagartig verdoppelt hätte ( ganz abgesehen von den Kosten für Stadt und Hausbesitzer ), nahm sich die konservative Regierung dieser Probleme nur sehr zögerlich an. Die Verstaatlichung der Wasserversorgung Dass Ausbau und Qualität der Infrastruktur in hohem Masse von politischen Gegeben18


den Wirkungsbereich des Tiefbauamtes fällt und nicht die Rechnung der IWB belastet. So erreichten die IWB im Jahr 2012 in der Sparte Wasser einen Ergebnisbeitrag von 19,5 Millionen Franken. Weder Privatisierung noch Verstaatlichung Die Geschichte der Basler Trinkwasserversorgung illustriert, wie eng auch eine reine Infrastrukturaufgabe mit der herrschenden Gesellschaftsordnung vernetzt ist. Hatte die vormoderne Stadt noch auf eine private Versorgung gesetzt, die vor allem jene privilegierte, die es sich leisten konnten, so wurde mit der Demokratisierung der städtischen Gesellschaft um 1875 eine Versorgungsart gewählt, die alle Bevölkerungsschichten gleich behandelt. Seither bürgt der Kanton sowohl für die Produktion und die Qualität als auch für die Abführung von Wasser. Die Anbindung der IWB als öffentlichrechtliche Anstalt an das Gemeinwesen garantiert zum einen, dass Infrastruktur und Qualität der Trinkwasserversorgung auf einem hohen Stand bleiben, dass aber auch zum anderen unternehmerische Kooperationen mit anderen Wasserwerken möglich sind. Eine reine Privatisierung, wie es die letztlich zurückgezogene EU-Richt­ linie vorsah, hätte diese wertvolle Balance gefährdet. *

*  *

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David Tréfás  /  C hristoph Manasse  : Vernetzt, versorgt, verbunden. Die Geschichte der Basler Energieund Wasserversorgung. Basel 2006 , S. 105–107. David Tréfás : Die Kaserne in Basel. Der Bau und seine Geschichte. Basel 2012 , Kap. 1 , bes. S. 25 .

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für die künstliche Überflutung der bewaldeten Wässerstellen in den Langen Erlen genutzt. Stattdessen gab es Ideen, Basel mit Aare­wasser oder mit der Herleitung von See­wasser aus dem Vierwaldstättersee zu versorgen. Überlegungen für den Bau eines Grundwasserwerkes bei Möhlin waren bereits fortgeschritten. Auch der Aufbau eines Brauchwassernetzes mit minderer Wasserqualität wurde erwogen und wieder fallengelassen, weil zu dieser Zeit grosse Industriebetriebe bereits ihre eigenen Brauchwassernetze aufbauten. In den Sechzigerjahren ging man, gestützt auf die jahrzehntelange Entwicklung, von einer weiteren Zunahme des Wasserbedarfs aus. Aber dann trat 1971 eine Trendwende ein: Der Wasserverbrauch nahm kontinuierlich ab und sank bis 1991 auf den Stand von 1956. In der Folge wurde die Quellwasserversorgung, die aus Grellingen noch immer in die Stadt geleitet wurde, 2003 eingestellt. Zeitweise füllte die IWB dieses Quellwasser in Flaschen ab und verkaufte es als ‹ Basler Trinkwasser › erfolgreich an Restaurants und Läden. Eine weitere Folge des rückläufigen Wasserbedarfs war die Ausdehnung der Kooperation mit den umliegenden Gemeinden. Über die Hardwasser AG besteht eine Verbindung zu den Gemeinden Allschwil, Binningen, Birsfelden, Reinach, Muttenz, Münchenstein und zum Verbund Aesch, Dornach und Pfeffingen. Zudem ist Binningen in das reguläre Basler Trinkwassernetz eingebunden. Wegen dieses Wasserverbunds beendete Basel als einer der letzten Kantone im Jahr 2003 die Beimischung von Fluor zur Zahnmedikation. Dass die IWB mit der Trinkwasserversorgung auch Gewinne erzielen, gründet einerseits darin, dass seit der Ausgliederung der IWB aus der kantonalen Verwaltung auf den 1. Januar 2010 die Trinkwassernetze sehr tief bewertet werden, und dass andererseits die Abführung des verbrauchten Wassers in


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C h ris t of W amister

VON DER KLOAKENFRAGE ZU DEN MIKRO­­­VER­U NREINIGUNGEN Das Verschwinden der klassischen chemischen Industrie hat die Basler ­Abwassersituation völlig verändert.

Gegen Ende von ‹ Les Misérables › schiebt Victor Hugo ein ganzes Kapitel über die Geschichte der Abwasserentsorgung ein – am Beispiel der Pariser Kanalisation, in die sein Held Jean Valjean einsteigt, um sich vor seinen Feinden zu retten. « Paris wirft alljährlich 25 Millionen ( Francs ) ins Wasser », heisst es zu Beginn. Hugo meint damit den Umstand, dass durch die Schwemmkanalisation die menschlichen Ausscheidungen nicht mehr für die Düngung der Felder verwendet, sondern einfach in die Seine gespült wurden. Dabei sei doch erwiesen, dass es sich bei den Exkrementen um den fruchtbarsten Dünger handle, und im Unterschied zu den Europäern hätten dies die Chinesen nicht vergessen. Auch wenn sich die Pariser Kanalisation um 1860 noch auf einem vormodernen Niveau befand, hatte Hugo damit ein Thema angesprochen, das um die Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Basel aktuell war, wie einer Masterarbeit  * von 2011 zu entnehmen ist.

Nach einer verheerenden Choleraepidemie im Jahr 1855, die vor allem die ärmere Bevölkerungsschicht traf, wuchs bei der Basler Regierung die Einsicht, dass die katastrophalen Abwasserverhältnisse saniert werden mussten. Das Bild des offenen und dreckigen Birsig, der mitten durch die Stadt floss, ist heute noch allgemein bekannt. Allerdings stand das Wissen um den Choleraerreger ( Filippo Pacini 1854, Robert Koch 1883 ) damals noch in den Anfängen. Man vermutete ihn in der Luft, im Boden oder richtiger : in den Fäkalien, die damals noch regelmässig abtransportiert und von den Bauern auf den Feldern ausgebracht wurden. Deutlich wurde auf jeden Fall, dass die Schmutzstoffe nicht in die Trinkwasserquellen gelangen durften. Die Verantwortlichen entscheiden sich für das System einer Schwemmkanalisation mit Anschluss in allen Haushalten, stiessen dabei aber auf den Widerstand der Stadtbevölkerung. Sowohl die Einführung der

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Gasfabrik beim Rheinhafen. Die Abwässer von Chemie und Stadt werden in zwei getrennten Anlagen mehrstufig gereinigt. Das saubere Wasser wird in den Rhein geleitet, die festen Rückstände werden verbrannt. Betrieben wird die ARA von der ProRheno AG, die im Besitz der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft ( Aktienmehrheit von 51 Prozent ) und der chemischpharmazeutischen Industrie steht. In der Folge verschoben sich die Diskussionen um die Umweltverschmutzung durch die chemische Industrie weitgehend auf die Altlasten, wobei hier durchaus historische Zusammenhänge bestehen, wie Forter aufzeigt. Empfindlich beim Trinkwasser

Neue Gefahren für die Gesundheit

« Beim Trinkwasser sind die Leute extrem empfindlich », sagt Heinz Frömelt, Geschäftsführer und Betriebsleiter der Pro­ Rheno AG. Er bezieht sich auf ein neues ­Phänomen, welches die Gewässerschutzfachleute beschäftigt und den Bund aktiv werden liess : die Mikroverunreinigung der Gewässer mit chemisch-pharmazeutischen Substanzen. Diese stammen jedoch nicht aus den Abwässern der Industrie, sondern aus den kommunalen Abwässern : Reste von Medikamenten ( Schmerzmittel, Hormone etc. ), welche der Mensch konsumiert und ausgeschieden hat. Sie lassen sich heute auch im Nanobereich nachweisen, und die Forschung hat begonnen, sich mit möglichen Auswirkungen zu befassen. So konnten etwa Veränderungen an den ­Geschlechtsmerkmalen von Fischen nach­ gewiesen werden. In den Fliessgewässern schwimmt laut Frömelt ein « munterer Cocktail von Me­ dikamenten und anderen Substanzen wie Koffein oder Kokain in sehr tiefen Konzentrationen ». Für die Trinkwassergewinnung werde das Wasser aufwendig gefiltert, um minime Spuren zu entfernen, da man ihre langfristigen Wirkungen noch nicht kenne.

Dieser erwuchsen allerdings ab Ende des 19. Jahrhunderts neue Gefahren, denn die aufkommende chemische Industrie leitete ihre Abwässer ebenso wie feste Abfälle praktisch unkontrolliert in den Rhein. Der Umweltgeograf Martin Forter hat die Umweltnutzung der Basler chemischen Industrie in seinem Buch ‹ Farbenspiel ›* * ausführlich dargestellt. Auch Basels kommunale Abwässer flossen ungereinigt in den ‹ Vorfluter › Rhein. Zum Problem wurde dies schon in der Zwischenkriegszeit mit dem Bau der Staustufe bei Kembs: « Ab den 1930er Jahren verkommt das Kembser Staubecken immer mehr zu einem Absatzbecken für das Abwasser der Stadt Basel mit ihrer Industrie. Indem die Firmen ihre festen Abfälle nicht mehr dem Rhein übergeben, sondern in die ausgebeuteten Kiesgruben im Boden der Region umlagern, entschärfen sie den akut werdenden Gewässerschutzkonflikt graduell, um auch weiterhin ihre flüssigen Abwässer dem Rhein übergeben zu können. » Dieser Zustand änderte sich erst 1982 mit dem Bau der Abwasserreinigungsanlage ( A RA ) auf dem Gelände einer ehemaligen 21

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Kanalisation als auch die Korrektion des Birsig wurden in Referendumsabstimmungen ( 1876 und 1881 ) vorerst abgelehnt. Die Hausbesitzer fürchteten wohl auch die damit verbundenen Kosten. Die Behörden liessen sich aber nicht beirren und setzten ihre Projekte in Etappen um. Einzelne Experten, welche die Verschwendung von bis anhin genutzten Ressourcen wie dem Dünger aus Ausscheidungen bedauerten, blieben mit ihrer Meinung in der Minderheit, und nach Ansicht heutiger Umwelthistoriker wurde mit der Einführung der Schwemmkanalisation auch eine der Grundlagen der Wegwerfgesellschaft gelegt. Doch es ist einsehbar, dass man der öffentlichen Gesundheit den Vorrang gab.


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Die Abwasserreinigungsanlagen können hier ihren Beitrag leisten, wenn sie für die Eliminierung der organischen Spurenstoffe aufgerüstet werden. Der Bund hat sich zum Ziel gesetzt, diese Spurenstoffe um die Hälfte zu reduzieren, weshalb man sich vorerst auf die Kläranlagen mit einem Einzugsbereich von mehr als achtzigtausend Einwohnern konzentrieren will. Die ProRheno AG und ihre Aufsichtsbehörde, das baselstädtische Amt für Umwelt und Energie ( AUE ), reagieren auf diese Vorgaben mit einem Projekt für den Ausbau der ARA im Umfang von über zweihundert Millionen Franken. Die Regierung hat den Ratschlag für die Projektierungskosten im vergangenen Jahr an den Grossen Rat geleitet. Vorgesehen ist auch eine zusätzliche Reinigungsstufe für Stickstoffverbindungen. In der Basler ARA wurden bis jetzt nur die Kohlenstoffverbindungen eliminiert, womit sie nicht mehr auf der Höhe der heutigen Verfahrenstechnik steht. Zu den Stickstoffverbindungen gehört Ammonium, das als Fischgift gilt, weil es für seinen chemischen Abbau Sauerstoff benötigt. Das soll nun nicht mehr in den Gewässern geschehen, sondern bereits in der Kläranlage. Neunzigtausend Kubikmeter pro Tag Pro Tag fliessen über neunzigtausend Kubikmeter ( 1 m3 = 1000 l ) kommunale Abwässer aus Haushalten und Gewerbebetrieben in die ARA . Angesichts des prognostizierten geringen Bevölkerungsanstiegs rechnen die Verantwortlichen mit einer leichten Zunahme, auch wenn sich der Trinkwasserverbrauch pro Kopf auf hohem Niveau ( 130 Liter pro Tag ) stabilisiert hat. Die wesentlich konzentrierteren Abwässer der chemisch-pharmazeutischen Industrie nehmen sich dagegen bescheiden aus : 3500 Kubikmeter pro Tag. Gegenüber den Anfängen der Basler Grosskläranlage haben sich die Mengen praktisch halbiert. Heinz Frömelt nennt dafür zwei

Gründe: Zum einen hat die Chemie die Verfahren zur Reduktion der Abwasserfrachten optimiert – oder wie es ein Chemiemanager formulieren würde: « Wir verkaufen unsere Substanzen lieber, als sie in der Kläranlage zu entsorgen. » Zum anderen wurde die Produktion in Basel heruntergefahren oder verlagert. Die seinerzeit für die Sandoz errichtete Kläranlage in Huningue schloss Ende 2012, die Abwässer von BASF Huningue, Novartis Huningue und dem Novartis-Campus werden jetzt in einer doppelwandigen Leitung durch den Energieleitungsdüker bei der Dreirosenbrücke zur ARA-Chemie geleitet. Doch die De-Industrialisierung geht weiter. BASF hat seine Produktion im Werk­ areal Klybeck eingestellt, und Ende 2013 legte Huntsman seine Produktion von Textilfarbstoffen still. Die seinerzeit in der ARA eingerichtete Reinigungsstufe für Textilfarbstoffe wird dann nicht mehr benötigt werden. Damit endet auch ein Kapitel Wirtschaftsgeschichte: Aus der Chemiestadt Basel wird definitiv eine Pharmastadt. Doch die geplanten Grossinvestitionen sind ein deutliches Indiz dafür, dass der ProRheno mit ihren beiden Abwasserreinigungsanlagen die Arbeit nicht ausgehen wird. *

Tobias Suter: Die Kloakenfrage in der Diskussion der Basler Behörden im 19 .  Jahrhundert, Masterarbeit Phil.-   H ist. Fakultät der Univ. Basel, 2011 . ** Martin Forter: Farbenspiel. Ein Jahr­ hundert Umweltnutzung durch die Basler chemische Industrie. Zürich 2000 .

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Dieser Ofen in der ARA hilft beim Verbrennen des Klärschlamms

Die letzte Stufe eines komplizierten Reinigungsprozesses : bakterielle Reinigung vor dem Auslauf in den Rhein

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So sieht das Abwasser aus, wenn es in die Basler ARA kommt


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Trotz jahrelanger Aufklärungskampagnen: ‹Entsorgung› auf dem Trottoir auch im Jahr 2013

Der brennbare Teil des Hausmülls in einer kleinen Ausstellung im Besucherzentrum der KVA

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DIE ENERGIE DES MÜLLS – BASLER ­ABFALLBERGE IN DER KVA Die heutige Abfallbewirtschaftung ist ein komplexer Prozess, in dessen Brennpunkt die Nachhaltigkeit steht: Energie­gewinnung, Recycling und Wiederverwertung von ­Rohstoffen.

An kühlen Tagen sieht man, aus der Ferne nach Basel kommend, weissen Rauch aus zwei Kaminen aufsteigen, und abends blinken an diesen Betonsäulen Warnlampen. Die weissen und roten Zeichen werden zum Orientierungspunkt und haben Signalwirkung. Tritt man näher heran, wirkt die Kehrichtverbrennungsanlage ( K VA ) wie ein ausserirdischer Koloss, der im Nordwesten das Bild des Stadtrands prägt. Was geht hier vor ? Für den Bürger still und unbemerkt, verschlingt dieses Urviech jährlich ungefähr 226 500 Tonnen Müll aus städtischen und umliegenden Privathaushalten, Geschäften und Institutionen. Das ist die Abfallmenge von ungefähr 700 000 Einwohnern und 300 000 Arbeitsplätzen. Ein knappes Fünftel des Kehrichts bleibt als unbrennbare Schlacke zurück, dazu Flugasche und andere Rückstände aus der Rauchgasreinigung. Diese Verbrennungsrückstände werden in Deponien in Basel und der Region endgültig und kontrolliert

abgelagert. Die heutige KVA wurde speziell für die Verbrennung von Siedlungsabfällen errichtet und in ihrem heutigen Erscheinungsbild im Jahr 1999 in Betrieb genommen. Es ist bereits die dritte Anlage an diesem Standort. Grundsätzlich ist Kehricht ein Energieträger. Aus dem Verbrennungsprozess lassen sich ressourcen- und umweltschonende Energien in Form von Dampf, Fernwärme und Strom ( 420 GWh Heisswasser, 58 GWh Prozessdampf, 45 GWh Strom ) gewinnen. Diese Werte machen die KVA zu einem interessanten Energielieferanten und zur Hauptstütze der städtischen Fernwärmeversorgung. Tatsächlich verfügt die Stadt Basel mit zweihundert Kilometern schweizweit über das längste Fernwärmenetz. Dessen Anfänge reichen zurück zum Bau der ersten KVA im Jahr 1942, als die erste Fernwärmeleitung zum Basler Bürgerspital ihren Betrieb aufnahm. Zusätzlich werden verschiedene Grossbetriebe der Umgebung

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