Giuliano Pedrettis Reiseskizzen
Ulrich Suter
Entstandenen: Es geht um Blätter, die en
route, ausserhalb des Ateliers angefertigt
wurden. Sie zeigen, was der Bildhauer fern der gewohnten Umgebung zeichnet, wenn
er nicht an Entwürfen für Skulpturen oder
Kompositionszeichnungen für Sgraffiti arbeitet.
2
Die ‹Autobiografischen Notizen› , in denen der Künstler wiederholt auf seine Reisen
zu sprechen kommt, Briefauszüge und per-
sönliche Gespräche bilden die Quellen für
dieses stichwortartige, nicht abschliessende Itinerarium. 1
2
Übers.: «Die Erinnerung in ihren Varianten in Abhängigkeit der Momente.» Pedretti, Giuliano: Autobiografische Notizen. In: Suter, Ulrich (Hg.): Giuliano Pedretti. Eine Monografie. Basel 2004, S. 11–24.
I Erinnerung und Moment
Giuliano Pedretti verfügt über eine stupen-
II Schlüsselerlebnisse
Am Anfang von Pedrettis zeichnerischer
de Kenntnis der abendländischen Kunstge-
Weltaneignung steht ein grüner Elefant. In
– zu den Ahnen der Künstlerfamilie gehört
der Künstler ein Erlebnis aus der Primar-
schichte. Er verdankt sie dem Elternhaus
der Basler Antistes Jakob Burckhardt –,
seinen Lehrern an der Kunstgewerbeschule Zürich und der eigenen Anschauung in
Städten, Kirchen und unzähligen Museen.
Pedretti hat weite Teile Europas bereist.
Was er einmal gesehen hat, prägt sich sei-
den ‹Autobiografischen Notizen› schildert
schule, das für jede Interpretation der später entstehenden farbigen Werke essenziell
ist.
«Die Schiefertafel faszinierte mich: Man
konnte darauf zeichnen und es wieder aus-
wischen und so fort. Mein Banknachbar
nem ausgezeichneten Gedächtnis unver-
P. D. konnte zeichnen wie ein Gott. Kühe,
Wenn einer eine Reise tut, so kann er was
sonders gut gelungenes Pferdchen kratzte
lierbar ein.
Pferde und auch sonst alles. Ein ganz be-
erzählen, wusste schon Matthias Claudi-
er sogar tief in die Tafel ein, um es bei jeder
zu zeigen. Das war bei Dürer so und ist bei
steckte die ganze Klasse an. ... In diesen
us. Wenn ein Maler reist, hat er auch was
Pedretti nicht anders. In der Tradition des
Künstlers und Malers, der reist, um daraus
Inspiration zu schöpfen, hält Pedretti in jedem noch so kleinen Notat Erinnerungen
fest: «L’algord in sias variantas in depen1
Gelegenheit neu entstehen zu lassen. Er
ersten Schuljahren sah ich auch meinen ersten Film: ‹Wilde Fracht› (1931). Diese
sich bewegenden Bilder waren ein Wun-
der. Das Einfangen von lebenden Elefanten – durch Hagenbeck – war imposant.
denza dals mumaints» , nennt er das Ge-
Am Tag darauf mussten wir eine Szene aus
Die folgenden Hinweise auf seine Reise-
ten, in verschiedenen Grössen mit hübsch
füge von Erinnerung und Moment einmal.
dem Film zeichnen. Ich zeichnete Elefan-
skizzen ergänzen die repräsentative Aus-
eingerollten Rüsseln. Dann wurden sie be-
dieses Buches um den Aspekt des zufällig
Schreiben auf der Tafel war diese nicht
wahl der Zeichnungen im Abteilungsteil
malt, mit farbigen Kreiden. Durch das viele
40 | 41
mehr glatt. Viele kleine Kanülen zogen sich
wie ein Netz über die ganze Fläche. Beim
Bemalen blieben diese, weil sie tiefer waren,
Zur wichtigen Erfahrung wird dem Knaben der häufige Wechsel von der ‹Wildnis›
des Engadins in die ‹Zivilisation› der Stadt.
ohne Farbe. Die Wirkung war vollkommen;
Nach Besuchen im Naturhistorischen Mu-
haut. Ich war sehr stolz auf diese unerwar-
völkerkundlichen Objekten oder von Tie-
zeigte mein ‹Werk›, vielleicht etwas vorlaut,
faszinieren.
sie simulierten die Falten in der Elefantentete und naturgetreue Erscheinung und
seum in Basel entstehen Zeichnungen von ren und Skeletten, die Pedretti zeitlebens 4
dem Lehrer. Dieser machte aber zu meiner
Den folgenreichsten Ausflug seiner Ado-
schimpfte er, was ich da für einen Blödsinn
«Noch war Krieg (1943). Ich musste in die
sagte er, und ich verstand nicht, was er da-
meine Eltern für mich etwas ganz speziell
Überraschung ein finsteres Gesicht. Dann
mache. Ein Elefant sei doch nicht grün,
mit meinte. Meine Elefanten waren doch
wie echt, echter könnte ich sie beim besten
Willen nicht machen. Um seine Entdeckung
zu untermauern, hob der Lehrer die Schie-
fertafel hoch in die Luft und zeigte sie der
ganzen Klasse. Ein schallendes Gelächter erfüllte das Schulzimmer. Man lachte mich aus, und ich wusste nicht, warum.
Ein grüner Elefant! Wie sollte ich dies ver-
leszenz unternimmt Giuliano nach Maloja.
Rekrutenschule. Im grossen Urlaub wollten
Schönes machen. Ich war im Militärdienst
nicht besonders glücklich. Also gingen wir
beim herrlichsten Sonnenschein den Ober-
engadiner Seen entlang, nach Maloja zu
Mutter Giacometti. Alberto ... trafen wir bei
der Post. Dies war meine erste Begegnung
mit ihm. Er machte einen tiefen Eindruck
auf mich; sein unheimlicher Blick, seine 5
Haare, sein Hinken.» Darauf gingen sie ins
stehen? Warum sprach man von Grün? Die
Atelier von Vater Giovanni Giacometti, wo
Ich sah mich einer Masse gegenüber, die
dem Wagen
Elefanten waren wie echt und damit basta! fremd und anders dachte. Ich fing an zu zweifeln, wurde misstrauisch und fühlte
mich sehr einsam.
Zu Hause zeigte ich die Tafel meinem Vater. Er sagte: ‹Schön!›, sah mich an und ging zu
Alberto gerade an der Gipsskulptur Frau auf 6
, seinem ersten grossen, figürli-
chen Werk arbeitete.
Acht Jahre später, am 21. Januar 1951, verschüttet eine Lawine das Elternhaus mit seinen Bewohnern. Giuliano liegt über eine
Stunde unter den Schneemassen, bis er, be-
meiner Mutter. Auch sie schaute interes-
wusstlos, geborgen wird. Dem Arzt Mario
die Eltern leise zusammen. Ich verstand
Jugendwerk ist zerstört. Das existenzielle
vater› (mütterlicherseits). Mein Vater stellte
nere Reise – gibt dem jungen Künstler die
siert auf mein Gemälde, und dann sprachen
nicht alles, nur ‹farbenblind› und ‹Grossmir viele Fragen über die bunten Farbkrei-
den, und ich merkte, dass ich Verwechslungen machte bei den Bezeichnungen;
Clavuot gelingt es, ihn zu reanimieren. Das
Erlebnis – eine nicht nachvollziehbare in-
Kraft und den Willen, im neu geschenkten Leben Bleibendes zu leisten.
alles ging durcheinander. Am anderen Tag
III Itiner arium
dann die Farbenblindheit feststellte. Rot-
Ein Studentenaustausch ermöglicht es
fuhren wir nach Chur zum Augenarzt, der Grün, Grün-Braun.»
3
Holl and (1946)
Giuliano, im Sommer 1946 nach Holland
S t r a nd be i S c he v e ninge n,
1946 Bleistift auf Papier, 21 x 29,5 cm
3 4
5
6
7
8
Pedretti, Giuliano: a.a.O., S. 12. Pedretti, Giuliano: a.a.O., S. 12. Pedretti, Giuliano: a.a.O., S. 16. Heute im Lehmbruck Museum Duisburg. Die Gipsskulptur wurde im Mai 2009 geröntgt. Das Röntgenbild zeigte, dass Giacometti für die Armierung eine Feile, einen Handbohrer, Draht und ein Brett verwendet hatte. Pedretti, Giuliano: a.a.O., S. 17. Suter, Ulrich (Hg.): Giuliano Pedretti. Eine Monografie. Basel 2004, S. 38.
zu reisen. «Ich fuhr durch eine zerschosse-
die Zeichnung, zusammen mit einer Baum-
Brücken, auch per Camion, nach Den Haag.
Kenner der italienischen Futuristen, wuss-
Zürich, H.B., und zusammen sahen wir
moderne Welt mit ihrer Mechanik und den
ne Welt, über provisorische, schwankende
Dort traf ich einen Schulkameraden aus
uns die noch übrig gebliebenen Museen,
allee am Horizont. Pedretti, ein intimer te, dass schon diese versucht hatten, die
grossen Rhythmen einzufangen. In den
Kirchen und Sehenswürdigkeiten an. Ein
Jahren um 1945 übte auch der spanische Re-
Trümmern Rotterdams, dem Ghetto in
einen wichtigen Einfluss auf ihn aus.
Reichtum ohnegleichen, umgeben von den
Amsterdam.»
7
Von dieser ersten Auslandsreise nach dem
alismus des Bildhauers Manolo (1872–1945) 8
Rom (1949)
Krieg sind rund zwei Dutzend Zeichnun-
Die ersten Nachkriegsjahre erlebt Pedret-
(bei Scheveningen), Ährenfelder und Hei-
Boden unter den Füssen» kämpft er gegen
gehöfte mit Kühen (vom Segelschiff aus),
Bildhauerei. Umso mehr geniesst er die
gen erhalten. Pedretti zeichnet die Küste
delandschaften (bei Hilversum), Bauern-
ti als schwierig. Bedrückt und «noch ohne
die ihm zuwiderlaufende akademische
Flusslandschaften mit Feldwegen oder
Aufbruchstimmung, die ihn 1949 in Rom
terdam). Auf zwei Blättern ist sein Studi-
Svizzero in der Villa Maraini erfasst. Rom
Stadtansichten in der Dämmerung (Ams-
enkollege Hans Bosshardt (1922–2009) zu sehen, auch er zeichnend.
Das Meer fasziniert den jungen Bildhauer aus den Bergen. Ein Augenmerk hat er für
den weiten Himmel mit den sich türmenden
‹Ruisdael-Wolken›.
Bauerngehöfte
hinter Bäumen erinnern an Landschaften
Emil Noldes. Aber auch Strommasten, Zeichen des Fortschritts, setzt er in einer farbigen Landschaftsskizze perspektivisch
wirkungsvoll ins Bild. Sie rhythmisieren
während eines Aufenthalts am Istituto prägt sich ihm, wie er später sagt, als ein
grosses Dorf ein.
«Im Jahre 1949 durfte ich, dank eines Stipendiums, drei Monate in Rom weilen. Bei
grösster Hitze unternahm ich, mit dem
Baedeker in der Hand, Entdeckungsreisen in die Vergangenheit. Auch eine kleine
Reise über Caserta, Neapel, Pompeji und
die Tempel von Paestum hat tiefe Eindrücke hinterlassen. Ebenso war ich 1951, nach
der Lawinenkatastrophe, in Italien. Flo-
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1949 Bleistift auf Papier, 28 x 38 cm
Im F orum R om a num,
renz, Arezzo, dann Siena und, als Krönung,
grosse Komposition. Mehrere Skizzen fer-
Pisanofiguren im Battistero – bleiben mir
an. Hierhin reiste er zusammen mit Mau-
Italien und seine Kultur habe ich durch und
Genfer Malers Alexandre Blanchet.
Pisa – mit den von Gubler viel gepriesenen in unvergesslicher Erinnerung.
durch tief erlebt – auch wenn ich noch längst
nicht alles kenne. Das Schönste an italieni-
scher Malerei sah ich später in London.»
9
Die Quartiere der Stadt und die umliegende
tigt er am Nemisee in den Albaner Bergen
rice Blanchet (1915–1978), dem Sohn des
Paris (1953; 1954; 1956)
«In Paris fühlte ich mich wie daheim. Systematisch wurde alles besucht und be10
Campagna erkundet er mit jugendlichem
staunt.» Eine lang ersehnte erste Reise
römischen Erfahrungen Rechenschaft ab.
des wachen Pedretti. Wissbegierig besucht
Elan. 25 Zeichnungen legen von seinen
Das Forum Romanum, die Thermen von Caracalla, farbige Episoden aus Trastevere
(Musikanten, Bajazzo, ein Boxkampf mit
nach Paris 1953 erfüllt alle Erwartungen
er den Louvre, Rodin, die Impressionisten, Chartres. In Alberto Giacomettis Atelier
fühlt er sich wie in einem «Galvanobad»;
dem Quartierhelden und Freund Mario
der sensible Pedretti spürt, welch künstle-
Einsegnung im Petersdom, Gebäude und
setzt. Alberto stellt ihm Braque, Miró und
Bottini, nächtliche Feststimmung), eine
Pinien auf dem Pincio oder die Aussicht vom Istituto Svizzero auf die Dächer des
«dörflichen» Roms bringt er zu Papier, immer mit Blick für das Helldunkel und die
risches Fluidum sein Landsmann hier umCalder vor. Balthus lernt er ebenfalls ken-
nen.
Auf seinen Streifzügen durch die Stadt skizziert Pedretti die nächtliche Place de la
undatiert (1953/54) Bleistift auf Papier, 24,4 x 31,5 cm
P l ac e de l a C onc or de ,
9
Pedretti, Giuliano: a.a.O., S. 18 f.
10 Pedretti, Giuliano: a.a.O., S. 20.
P l ac e de l a C onc or de ,
Fotografie
Concorde, asiatische Skulpturen im Musée
2009
bleiben. Alberto setzte sich vorne neben
Giumet, Eindrücke von einer unterirdi-
den Chauffeur. Ich ahnte nicht, was kom-
Saint Martin mit Triumphbogen, Autos,
lösten sich die Figuren durch das Rütteln
schen Metrostation, eine Strassenszene bei
Fisch- und Gemüsemarkt. Diese Zeichnung setzte er später als Linolschnitt um.
An den ersten Aufenthalt in Paris schliesst
men sollte. Kaum hatte die Fahrt begonnen,
aus ihren Fesseln. Es war grauenhaft. Ich
sass mitten in der Plattform. Mit Händen
und Füssen versuchte ich, die immer mehr
sich ein Jahr später eine Reise durch ganz
sich lösenden Figuren zu halten und zu stüt-
Côte d’A zur. Wieder weilt er für längere Zeit
sich die andere. Das Ganze steigerte sich
«In Paris half ich Alberto seine Ausstellung
Lärm.
Frankreich an, in die Provence und an die in Paris bei Alberto und Diego Giacometti.
bei Maeght einzurichten. Unvergesslich
bleibt der Transport der Skulpturen und
Bilder vom Atelier zur Galerie. Der Camion war ein elendes Vehikel, und auch das
geringste Verpackungsmaterial fehlte. Mir
zen. Hatte ich die eine ‹beruhigt›, bewegte
zu einem makabren Tanz mit frenetischem
Ich war in Schweiss gebadet. Die Figuren
begannen mit den Köpfen aneinander zu
schlagen. Ich sah alles schon in Stücke
zerbrochen, arbeitete mich nach vorn, um
beim Führersitz nach Hilfe zu rufen. Doch
blieb nichts anderes übrig, als die Figuren
der Lärm war so gross, dass niemand mich
festigen. Alle, die grossen wie die kleinen,
geradeaus auf die nicht enden wollende
anerbot mich, als Wächter bei ihnen zu
wo dieser Höllentanz immer wilder wurde.
den Wänden entlang an Schnüren zu bestanden gefesselt nebeneinander da. Ich
hörte. Ich sah die beiden, doch sie schauten
Strasse. So musste ich zurück, ins Dunkel,
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Drohend schwankten die Tänzer jetzt über meinem Kopf. Und so ging das noch durch
ganz Paris. Ich war erschöpft und hielt
schon drei der Ausreisser in einer Hand,
nungen von dieser Reise sind nicht vorhanden.
Ägypten (1963)
während ich wieder andere Tänzer an die
Zu den intensivsten Reiseerlebnissen zählt
standen alle seine Figuren, so, wie er sie
Ägypten im Jahr 1963. Er hat die Ehre, die
rem Platz. Er bemerkte nichts, und ich sagte
Thausing (1905–1997) in das Land der Pha-
schehen – in die Galerie hinauf. Alberto war
Reise nach Ägypten und hinauf zum Sudan
Wand drückte. Als Alberto die Plane hob, kreiert hatte, artig und unbeweglich an ih-
auch nichts und trug sie – als wäre nichts genur erstaunt, dass ich die Figuren schon los-
gebunden hatte.»
11
Diese und weitere Passagen aus den Notizen zeigen – über den kunsthistorischen Er-
Giuliano Pedretti einen Aufenthalt in
erblindete Wiener Ägyptologin Gertrud raonen zu begleiten und zu führen. «Eine
1963 war ein Erlebnis ohnegleichen. Ich
war ununterbrochen in einer solch euphorischen Erregung, dass ich zuletzt gar krank
wurde. Es fehlen mir auch heute noch
kenntnisgewinn seiner Pariser Erlebnisse
Worte, um diese Wunderwelt zu beschrei-
Erzähler ist.
Vergangenheit, die oft noch ‹blank neu› da-
London (1956; 1971)
Die anderen Masse, von denen man nicht
hinaus –, dass Pedretti auch ein begnadeter
ben. All jene riesigen Zeugen einer grossen
stehen; die Landschaft und die Menschen.
Von der Reise, die Giuliano 1956 zusammen
errechnen konnte, woher sie kommen. Das
mit seiner Schwester Ladina und seinem
Tal der Könige, Abu Simbel und Karnak,
Hauptstadt unternimmt, sind keine Zeich-
türlich. Es war erschlagend.
Freund Hans Bosshardt in die britische
Edfu, Kom Ombo. Und die Pyramiden na-
nungen erhalten. Auf der Rückreise besucht
Als ich in Karnak an der Widdersphinx-
maine Richier und junge Künstler. – 1971
immensen göttlichen Tieren, erinnerte ich
er in Paris wieder Alberto Giacometti, Gerweilt er zweimal in London.
Allee vorbeiging, beeindruckt von diesen
mich, dass ich in meiner Jugend einmal einen Widderkopf aus Tuffstein gehauen hat-
Griechenl and (1960)
te, lange bevor ich Bildhauer werden wollte.
«Im August ging ein alter Wunsch in Er-
Nach dieser Reise hatte ich grosse Mühe mit
Minuten nach Betreten dieses herrlichen
mir kleinlich und spekulativ.» – Zeichnun-
füllung. Griechenland! Schon zwanzig
Landes war mir klar, dass alles, was wir so über Griechenland aus den Büchern
gelernt hatten, auf einer Wahnidee beruhte. Dieses marmorweiss Humanistische
der abendländischen Kultur. Alles erschien 13
gen sind nicht vorhanden.
In einer Notiz vom 26. Januar 1965 umreisst der Künstler nach diesen Studienreisen in die Herkunftsgebiete der abendländischen
fand ich nicht – eher einen Ausdruck von
Kultur seine künstlerische Position wie
dass die griechische Plastik nicht topogra-
«Ein Gegenstand kann sein: gross, klein, in
lebensvoller Kraft und Wildheit. Ich sah,
fisch-anatomisch richtig, sondern visionär 12
ist. Rodin hat dies ja untersucht.» – Zeich-
folgt:
Relation von ..., in Proportion von ..., aber wie [weit] entfernt ist er von mir? Wie viel
1967 Bleistift auf Papier, 90 x 91 cm
Im A nf l ug auf Abid ja n,
11 Pedretti, Giuliano: a.a.O., S. 20 ff. 12 Pedretti, Giuliano: a.a.O., S. 22 f. 13 Pedretti, Giuliano: a.a.O., S. 23.
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Raum ist zwischen mir und dem Gegen-
Kultur entstand. Dieses Wilde, Ursprüngli-
wird? Wenn ich auch einsehe, dass das Prob-
so laut, dass man den Widerhall in meinen
stand, der in diesem Moment ein Subjekt
lem der Distanz von eminenter Wichtigkeit
che spürte ich in den Adern, und es rauschte letzten Werken hört und spürt.»
15
ist, ist es doch nicht mein Problem. Wahr- Vier grossformatige Zeichnungen fertigt
scheinlich ist es ein wissenschaftliches Mo-
Pedretti, der Bewunderer afrikanischer
Was mich beschäftigt, ist die Zerstörung
Sie zeigen den Ausblick aus dem Flugzeug
ment und nicht spezifisch künstlerisch.
der physischen Form zugunsten einer
Visionsform.»
14
Stammeskunst, nach dieser Afrikareise an:
im Anflug auf Abidjan, exotisch-fantastisch verdichtet.
Spanien (1964)
Berlin (1984)
Im Prado und in Toledo studiert Pedretti
Michael Roemer, Professor für Filmästhe-
wühlen. – Zeichnungen sind nicht vorhan-
ano Pedretti an die Berlinale ein. – Zeich-
Werke von Goya und El Greco, die ihn aufden.
tik an der Yale University, USA, lädt Giuli-
nungen sind nicht vorhanden.
Burgund (1966)
Ne w York (1985)
Die Reise nach Autun zu den Werken von
Auf offener Strasse in New York bricht
und Tournus wird hier nicht wegen allfälli-
Pedretti verarbeitet das Erlebnis in der
der Kathedralskulpturen, die Pedretti aufs
gen sind nicht vorhanden.
Gislebertus, nach Cluny, Paray-le-Monial
ger Zeichnungen erwähnt, sondern wegen
ein Bekannter des Künstlers zusammen.
Bronzeplastik
Zusammenbruch.
– Zeichnun-
Tiefste beeindrucken. Mehr als vierzig Jah-
Jahre später wird er in Tamins Augenzeuge
ein lebensgrosses Pendant
gier. Auch diese Begebenheit setzt er ohne
re danach erschafft er 2008 in der Plastik Kathedralfigur
von überzeitlicher Anmutung. Sie ist von
oben nach unten aus freistehenden, einzelnen Elementen aufgebaut. Diese sind an einer senkrechten Platte montiert.
Elfenbeinküste, Senegal, Marokko; Afrik a (1967)
«Pierre Schmit nahm mich mit nach Afrika, an die Elfenbeinküste, nach Senegal,
Marokko. Meine alte Liebe zur Negerkunst blühte dadurch vehement wieder auf. Ich
eines Unfalls. Ein Zug erfasst einen Passa-
Vorzeichnung direkt als Plastik um (Erschrockener, 1992).
Südfr ankreich (2001 und früher)
Besuch bei Cézanne: In einem Pinienwald bei Gigaro, umgeben von «absoluter Stille», schreibt Giuliano Pedretti seinem
Bruder Gian am 29. Dezember 2001 einen 16
Brief. Der Künstler reflektiert darin die Er-
lebnisse einer Reise in Südfrankreich. Zu-
sammen mit seiner Frau hatte Giuliano drei
war begeistert von den Museen in Abidjan
Tage zuvor das Atelier Paul Cézannes in
wunderbaren Menschen aus dem Urwald.
sen «professionell konzipierten» Raum
und Dakar, und nicht zuletzt von diesen
Ja, ich glaube, den Neger in mir gefunden zu haben, jenes ganz Tiefe, aus dem später die
Aix en Provence besucht. Er schildert diein allen Details. Das Licht lasse sich «auf
den Millimeter» genau regulieren. Die Staf-
14 Suter, Ulrich (Hg.): Giuliano Pedretti.
Eine Monografie. Basel, 2004, S. 65. 15 Pedretti, Giuliano: a.a.O., S. 24. 16 Der hier kursorisch zusammengefasste Brief ist im rätoromanischen Originaltext publiziert in: Suter, Ulrich (Hg.): a. a.O., S. 25 f. 17 Brief an Gian (rätoromanischer Originaltext), in: Suter, Ulrich (Hg.): a. a.O., S. 25 f.
felei könne ebenso leicht in der Höhe ver-
stellt, wie auch nach hinten und vorne ge-
überhaupt stets auch den grossen Bildhauer
sieht.
neigt werden. Indes: Cézanne als Persönlich- Vorwiegend kritisch begegnet er dem «gikeit sei im Atelier nicht spürbar gewesen.
Die Provence biete in ihrer Harmonie kei-
gantesken» Léger-Museum in Biot. Dann
Besuch der Villa Renoirs in Cagnes-sur-
ne eigentlichen «Motive», sinniert Pedretti
Mer, die Pedretti schon fünfzig Jahre zuvor
Gefahr, ins Konventionelle zu fallen ... Au-
de-Vence zur Fondation Maeght. Alberto
Gian auf, dass Cézannes Meisterwerke in
er, während andere Werke, die einem nach
über Cézannes Heimat. Dies entschärfe die
genzwinkernd zeigt Pedretti seinem Bruder
besucht hatte, und weiter nach Saint-Paul-
Giacomettis «Platz» bleibe grandios, urteilt
einer solch grandiosen Landschaft und mit
dem Krieg Eindruck gemacht hätten, heu-
Wo sich «vor der Natur» keine perspekti-
Maeght entdeckt er einen Bonnard, «gross-
diesem Licht einfach gelingen mussten.
vischen Probleme stellten, sei es möglich,
direkt von der Linie zur Farbe zu gelangen.
te nicht mehr zu berühren vermögen. Bei
artig, aber verloren und unerwartet. Durch und durch gobelin.»
Und weiter analysiert Pedretti den Arbeits-
Die Tagestour endet im Picasso-Museum
der Leinwand den ersten Strich oder Punkt
Porträts des Spaniers, sie seien, ohne «spe-
prozess des Meisters: Cézannes Furcht, auf
zu setzen, begründet er mit dem Licht. Das
in Antibes. Hier notiert Pedretti zu den
kulativ» zu sein, von einer anderen Welt:
Licht im Weiss der Leinwand oder des Pa- «Absolute Freiheit und dennoch gebunden piers bedinge mit jedem Pinselstrich einen
Schatten (oder valeur). Die Skala bis zum
dunkelsten Punkt sei freilich schwierig
an einen unbekannten Code.»
17
L anz arote (nach 2000)
zu setzen. Daher die Scheu, etwas festzu-
Wiederholte Aufenthalte auf Lanzarote
Cézanne erreiche dies, indem er weisse
ler unter anderem zur Bronzeplastik Frau im
machen. Alles soll in Bewegung bleiben.
Stellen ausspare. Sie zu «schliessen» riskie-
(Kanarische Inseln) inspirieren den KünstWind.
– Zeichnungen von der Bucht Famara
re er gewöhnlich nicht – weil sie das Licht
entstehen.
mente «fertig», folgert Pedretti scharfsin-
IV Imaginierte Orte und:
das Engadin mit den «aggressiven» Formen
Zu den oben aufgeführten physischen Rei-
darstellen. Somit seien Cézannes Fragnig und fügt an, dass eine Landschaft wie
der Berge und dem Licht zu anderen Resultaten führe, die Munch und Kirchner vor-
weggenommen hätten.
Die skizzenhaften Porträts im Matisse-Museum in Nizza machen ihm bewusst, dass
Matisse – wie Cézanne, aber aus anderen
Gründen – Offenes nicht «schliesst», der
Niemandsl and
sen Giuliano Pedrettis kommen die imaginären.
Eine solche liegt im Zyklus
Kafka in Prag
von 1991 vor (S. 112–114). Pedretti war
nie in Prag, zeichnete jedoch eine bedrän-
gende Vision der Stadt Kafkas.
Im Dickicht
der Städte (Prag) heisst eines der vier Blätter
Spontaneität und Frische wegen. Der Weg
– eine Zeichnung wie ein Schrei. Fussstap-
druckt ihn, wie Pedretti im Maler Matisse
Gasse; kein Ausweg in Sicht, nirgends. Der
Matisses zu den papiers découpés beein-
fen im Schnee verlieren sich in der engen
48 | 49
Im Dic k ic h t de r S tä d t e (Prag), 1991 Bleistift auf Papier, 29,7 x 41,7 cm
Zürcher Rechtsanwalt und Lyriker Peter
«Durch die Gassen gehend, deren Tempo,
zweiten Mal nach Prag flog, diese Zeich-
Schritte offenbart haben, eröffnet sich die
Uhlmann kannte, als er im Winter 1993 zum
nung nicht. Dennoch liest sich der Kommentar, den er zu seinen Prager Gedichten publiziert hat, wie eine Beschreibung von
Pedrettis imaginierter Stadtdarstellung:
«... Schrei der Sehnsucht ... bei der Lan-
Schritte sich Kafka als das Tempo seiner Stadt mit ihrer Sprache.» Steht das Pferd bereit zum Ritt in den Tag über Wiesen und Hügel
dung in der Abenddämmerung sehe ich am
durch Schluchten Birkenhaine
Hasen über das schneebedeckte Feld da-
zwischen Hund und Wolf
die Türme, die Giebel: märchenhafte Sil-
der sinkenden Sonne
Rand der Piste zwei aufgescheuchte weisse
vonhoppeln. ... Nebelschleier umhüllen houetten. ... Im Schneefall glimmen in den
Gassen die alten Laternen und der Prager
Fussgänger hinterlässt seine Spuren wie
eine Schnur von schwarzen Perlen.» Subtil
spürt Uhlmann «der Textur der Stadt» nach.
Zum Ritt in den Rausch 19
in die Umnachtung Peter Uhlmann
18
18 Uhlmann, Peter: Im Schatten
19
20 21
22
der Laterna Magika. Prager Impressionen. Wien 1997, s.p. Aus dem Gedicht von Peter Uhlmann: ‹Schwarzer Schimmel›. Im grossen Ausstellungssaal des Rudolfinum in Prag. In: Uhlmann, Peter: a.a.O., s.p. Uhlmann, Peter: a. a.O., s.p. Uhlmann, Peter: a. a.O., s.p. Suter, Ulrich (Hg.): a.a.O., S. 118 f.
Ein anderes Blatt aus dem Kafka-Zyklus von 1991: Angst
II, Männlicher Kopf von vorn
mit Kathedrale von Prag.
Der Blick des dar-
gestellten Mannes (eine nie gesehene Innenschau) ist wie die Kathedrale im Hin-
Frühzeit bis Giacometti, vor mir – mit der Feststellung, dass grosso modo alles auf
der ‹Vertikalen› beruhte. ... Da passierte der entscheidende Augenblick ... ich
merkte, dass mit zwei Schrägen eine Figur
tergrund Ausdruck Stein gewordener Zeit:
wieder ‹steht›. Es braucht also eine Schrä-
dete Zukunft; sie kann nochmals trefflich
eine Schräge nach rückwärts. Gelingt dies,
Die Zeichnung als Metapher für abgewenmit einem Zitat Peter Uhlmanns kommentiert werden. «Steinsein Zeitlos altern», 20
heisst es im Gedicht ‹Prag, eine Collage› .
«Prag lässt längst verschüttete Bilder auf-
ge zum Beispiel nach links und zugleich
steht die Figur nicht mehr im realen Raum,
sondern in einem irrealen Raum, schwerelos schwebend. Das war eine atemberaubende Entdeckung und passioniert machte
scheinen und vor die Augen treten: sich in
ich mich auf, in dieses Niemandsland vor-
Träume erkennen sich im Augenblick die
Aus der Betroffenheit über das Elend des
Bomben.
rie schwarz-weisser Malereien, welche das
der Linse spiegeln. ... mit den Augen der 21
Dinge ...» Später fallen in Uhlmanns Prag Im Grunde gehört das visionäre Vortasten ins Niemandsland zu den täglichen
Herausforderungen
der
künstlerischen
zudringen.»
22
Jugoslawienkriegs entsteht 1998 eine SeDrama dieses – und jedweden – mit Gewalt
ausgetragenen Konflikts offenlegt, der Totentanz
(S. 2–8). Mit diesem grafischen
Arbeit. Akkurat beschreibt Pedretti den
Meisterwerk statuiert Pedretti, der das Zeit-
ersten schrägen Figur, Mann
Exempel gegen die Drangsal unserer Welt.
Moment, als ihm der epochale Schritt zur auf Stuhl,
1988
gelingt. Eine farbige Gouache, die seinen
Schwiegervater, auf einem Stuhl sitzend,
geschehen stets aufmerksam verfolgt, ein Schminke ist da keine. Als Künstler (und
mit der Beherztheit desjenigen, der unter
von schräg oben gesehen darstellt, bildete
der Lawine das Bewusstsein verlor) setzt
komplexe räumliche Umsetzung. «Es war
und Haar der Gefährdung aus: damit ande-
die zweidimensionale Grundlage für die
vor Weihnachten 1988, ich sass auf meinem kleinen Kanapee und ... sah imaginär
sich Pedretti in seinen Bildern mit Haut re die Abgründe der Existenz erkennen.
die ganze Plastik-Entwicklung, von der
50 | 51
52 | 53
zeichnungen
römische ruinen
Giuliano Pedretti gehörte 1949 zu den ersten Stipendiaten des Istituto Svizzero di Roma in der Villa Maraini. Contessa Carolina MarainiSommaruga, Witwe des Luganeser Zuckerfabrikanten Emilio Maraini, schenkte die repräsentative Villa auf dem Pincio nach dem Zweiten Weltkrieg der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Seit 1948 finden Künstler und Wissenschaftler
hier ein Arbeitsdomizil auf Zeit an schönster Lage. Der junge Pedretti erkundet die Stadt während seines mehrmonatigen Aufenthalts. Mit Blick für die Helldunkelverhältnisse und Gespür für die grosse Komposition zeichnet er das Forum Romanum mit Severusbogen, SS. Martina e Luca und Kurie. Auf anderen Blättern hält er Episoden aus dem römischen Alltagsleben fest.
F orum R om a num mi t K up p e l e ine r K ir c he ,
Bleistift auf Papier, 28 x 38 cm
1949
F orum R om a num mi t K ir c he nfa s s a de ,
Bleistift auf Papier, 28 x 38 cm
1949
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F orum R om a num, im Hin t e rgrund e in K ir c h t urm,
Bleistift auf Papier, 28 x 38 cm
1949
1949 Bleistift auf Papier, 28 x 38 cm
Im F orum R om a num,
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aktstudien
Unter dem Einfluss von Ernst Gubler setzt die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Akt schon 1942—43 an der Kunstgewerbeschule ein. Er weist Pedretti den Weg, Figuren und Raum von einfachen Volumenvorstellungen her zu entwickeln. Dadurch erscheint die leere Fläche des Papiers selbst raumhaltig. Pedretti zeichnet nicht Körper, sondern, in Anlehnung an Lehmbruck und Meyer-Amden, Körpervorstellungen, die sich aus dem Verhältnis von optisch Vorhandenem und ganzheitlichem Erschliessen von körperlichen Motiven und Gestalt ergeben.
1954 Bleistift auf Papier, 36,2 x 27,3 cm
F r aue n a k t v on r ec h t s,
F r aue n a k t, Dr e i v ie r t e l f igur , v on r ec h t s,
Bleistift auf Papier, 36,2 x 27,3 cm
1954
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S t e he nde r F r aue n a k t, Dr e i v ie r t e l f igur , v on r ec h t s,
Bleistift auf Papier, 28,6 x 20 cm
1957
1957 Bleistift auf Papier, 28,8 x 20,1 cm
Si t ze nde r F r aue n a k t v on v or n,
60 | 61
S t e he nde r K n a be n a k t im Pr of il v on r ec h t s,
Bleistift auf Papier, 48,5 x 40 cm
um 1958
Z w e i s t e he nde K n a be n a k t e v on v or n,
Bleistift auf Papier, 48,5 x 40 cm
1958
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Si t ze nde r K n a be n a k t im Pr of il v on r ec h t s,
Bleistift auf Papier, 48,5 x 40 cm
um 1958
S t e he nde r K n a be n a k t v on hin t e n,
Bleistift auf Papier, 48,5 x 40 cm
1958
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studien im zusammenhang mit skulpturen
Die umfangreiche Gruppe der S t udie n zur Sk ul p t ur Empfa nge nde r
sind im Zusammenhang mit einem Wettbewerb für die Kantonsschule Chur entstanden. Die Figur mit den erhobenen Armen verkörpert das Empfangen von Wissen, aber auch die Gabe und die Begabung, empfangenes Wissen weiterzugeben. Das Denkmal wurde nicht realisiert. Der Wettbewerbsentwurf datiert von 1956. Eine ähnliche Thematik behandelt die Skulptur De r w il de M a nn v on A r o s a . Pedretti schreibt dazu: «Der Wilde Mann trägt symbolisch das Sonnenlicht in Händen.» Die Skulptur aus gegossenem Gips steht in Arosa. Der Anspruch auf eine darstellbare Ganzheit entfällt. Pedretti kommt in seinen Beschreibungen immer wieder auf diesen Sachverhalt zu sprechen: «So füge ich Teile und Teilansichten aneinander. Das Gebilde wird zur Summe der Aspekte.» Denn, wie der Bildhauer weiter ausführt, «das Ganze ist eigentlich unser Wunsch – wir können aber nur Teile sehen.» Jüngl ing
S t udie zur Sk ul p t ur Emp fa nge nde r Jüngl ing I,
Pinsel in Schwarz auf Papier, 29,6 x 21 cm
1957
S t udie zur Sk ul p t ur Empfa nge nde r J端ngl ing II,
Pinsel in Schwarz auf Papier, 29,6 x 21 cm
1957
66 | 67
S t udie zur Sk ul p t ur Empfa nge nde r J端ngl ing III,
Pinsel in Schwarz auf Papier, 29,6 x 21 cm
1957
S t udie zur Sk ul p t ur Empfa nge nde r J端ngl ing IV,
Pinsel in Schwarz auf Papier, 29,6 x 21 cm
1957
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S t udie zur Sk ul p t ur Empfa nge nde r J端ngl ing V,
Pinsel in Schwarz auf Papier, 29,6 x 21 cm
1957
S t udie zur Sk ul p t ur Empfa nge nde r J端ngl ing VI,
Pinsel in Schwarz auf Papier, 29,6 x 21 cm
1957
S t udie zur Sk ul p t ur Empfa nge nde r J端ngl ing VII,
Pinsel in Schwarz auf Papier, 29,6 x 21 cm
1957
70 | 71
S t udie n ac h de r Sk ul p t ur W e ibl ic he r T or s o I,
Bleistift auf Papier, 48,8 x 39,8 cm
1957
S t udie n ac h de r Sk ul p t ur W e ibl ic he r T or s o II,
Bleistift auf Papier, 48,8 x 39,8 cm
1957
72 | 73
S t udie n ac h de r Sk ul p t ur W e ibl ic he r T or s o III,
Bleistift auf Papier, 48,8 x 39,8 cm
1958
S t udie zur Sk ul p t ur F igur e I, 1958 Bleistift auf Papier, 48,5 x 40 cm
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S t udie zur Sk ul p t ur De r W il de M a nn v on A r o s a ,
Bleistift auf Papier, 30 x 40 cm
1961
S t udie n ac h de r Sk ul p t ur e ine s F r aue nkop f s,
Bleistift auf Papier, 48,8 x 40 cm
1957
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S t udie zu e ine r Sk ul p t ur e ine s F r aue nkop f s
Bleistift auf Papier, 49 x 40 cm
(Giulianos Schwester), 1957
F r aue n a k t in Be w egung, 1959 Bleistift auf Papier, 43,2 x 30,6 cm
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bildnis- und tierstudien
In seiner ‹Hymne an den Humus› beschreibt Pedretti das Dorfleben im Engadin. Der Primarlehrer erzählt die Geschichte von Robinson Crusoe, er macht vor, wie man mit einfachstem Jagdwerkzeug Fische fängt und erfolgreich von der Jagd zurückkehrt. Namenlose Bauarbeiter, Handwerker und Dorforiginale treten auf. In besonderer Zuneigung gedenkt der Künstler der Frauen, die einem Haus vorstehen und Macht haben, und die ihre Familie oft allein durchbringen. Nicht wegzudenken sind die Tiere: Pferd, Kuh und Hund. «Sie gehören zum Dorfbild wie die Menschen mit ihren Festen und Begräbnissen.» Sein Künstlersinn begleitet ihn auf die Hochwildjagd, wo Hirsche und Gämsen vor seinem Auge vorbeiziehen. In schlichten Zeichnungen, die eine charakteristische Bewegung oder Stellung festhalten, legt Pedretti, dem man beim Zeichnen im Atelier zusehen kann, Zeugnis von diesem Humus ab. Das Zeichnen nach diesen Dingen bildet die Basis, die ihm Kraft gibt, um ins Abstrakte zu klettern, «den Gedanken nach bis zum fast nicht mehr Möglichen».
(Selbstbildnis), 1958 Bleistift auf Papier, 48,8 x 39,8 cm
Ze ic hne r im At el ier
Ko s t 체mier t er K u t sc he r mi t
1957 Bleistift auf Papier, 29,7 x 20,9 cm
aufge s t 체 t z t em Kopf,
Kopf s t udien, F r 채ul ein L ore l iege nd,
Bleistift auf Papier, 49 x 39,8 cm
um 1958
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Hunde s t udien, 1958 Bleistift auf Papier, 48,9 x 39,9 cm
1977 Bleistift auf Papier, 43,2 x 30,5 cm
Kopf e ine r Gemse ,
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Landschaften
Entschiedener als in den Figuren- und Tierstudien gibt sich das Suchen nach einem eigenständigen Sehen in Pedrettis Landschaftszeichnungen zu erkennen. Zunächst fällt hier die Bewegung ins Auge, nicht die gegenständliche Bewegung der Bäume oder des fliessenden Gewässers, vielmehr das dynamische Zusammenspiel von Licht- und Schattenbahnen, das sich unmittelbar auf den Betrachter überträgt. Spielte sich der Licht-Schatten-Konflikt bei den Figuren noch in den Binnenformen des Körpers ab, so wird er in den Landschaften über die Grenze des Gegenstandes in den offenen Raum hinausgetragen. Das Zeichnen wird jetzt immer mehr eine Kunst des Entgrenzens von Licht und Materie, dergestalt, dass die formgebenden Kräfte dort am klarsten und auch am wirkungsmächtigsten zur Geltung kommen, wo sich die Gegensätze durchdringen: im sonnendurchfluteten Inneren einer Waldlichtung ebenso wie an der Oberfläche eines schattendurchfurchten Hangs. Die Ambivalenz von Bildung und Auflösung landschaftlicher Vorstellungsinhalte liegt ganz in der Intention dieses Zeichnens.
1958 Bleistift auf Papier, 39,7 x 49,1 cm
Mor t e r at sc h-Gl e t sc he r,
1959 Bleistift auf Papier, 30,7 x 43,2 cm
Wa l dl ic h t ung,
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