Campus Dreispitz - Bauten für die Hochschule für Gestaltung und Kunst

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Campus Dreispitz Bauten für die Hochschule für Gestaltung und Kunst

Christoph Merian Verlag  2





Campus Dreispitz Bauten für die Hochschule für Gestaltung und Kunst

Bau- und Verkehrsdepartement des Kantons Basel-Stadt, Städtebau & Architektur, Hochbauamt (Hg.) Christoph Merian Verlag



Christiane Gabler

Ein Campus als Pionierprojekt

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Basels urbaner Paradigmenwechsel ‹Vision Dreispitz› Initialprojekt ‹Campus des Bildes›   Wettbewerb für das ‹Kunstfreilager›

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Neubau einer Landmarke

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Ein Hochhaus als städtebaulicher Solitär Robuste Gefässe für ein Kunst-Schul-Labor Fassaden als geschichtete Struktur

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Transformation eines Lagerhauses

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Das ehemalige Basler Zollfreilager Umnutzung eines Baudenkmals Treppenbäume und Böden mit Patina Verbundene Innen- und Aussenräume

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Stadträume einer Kunsthochschule

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Ein Platz als urbaner Freiraum Pocket Park und Gleishof

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Gespräche zur Eröffnung des Campus Dreispitz

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Fritz Schumacher

«Was wir machen, ist eine Operation am offenen Herzen»

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Kirsten Merete Langkilde

«Das Homogene ist nicht das Ziel, es geht um eine Zusammenarbeit auf Grundlage der eigenen Stärken»

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Peter Schmid-Scheibler

«Unser Land hat unglaubliche Angst vor gescheiten Leuten»

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Bauherrschaft und Generalplanerteams Campus Dreispitz

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Auswahlbibliografie

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Bildnachweis

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Ein Campus als Pionierprojekt

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Der als Industrie- und Gewerbeareal seit Beginn des 20. Jahrhunderts gewachsene Dreispitz im Süden von Basel befindet sich im Umbruch: Aus der ‹verbotenen Stadt› soll ein urbanes Quartier werden. Mit dem Einzug der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW (HGK) begann ein wichtiges Kapitel dieses Transformations­prozesses. Basels urbaner Paradigmenwechsel «Folgt den Baukränen!» titelte die in Basel erscheinende ‹Tageswoche› im Februar 2014 – eine Einladung zu einem Stadtspaziergang der besonderen Art, denn Basel verändert sich massgeblich. Wurde die Stadt am Rhein in den 1980er-Jahren und bis Mitte der 1990er-Jahre noch durch behutsame punktuelle Eingriffe in den gewachsenen Stadtorganismus weitergebaut, dominiert spätestens seit der Jahr­tausendwende der grosse Massstab in der Entwicklung der zweitgrössten Stadt der Schweiz. Der urbanistische Paradigmenwechsel, der langfristig angelegte städtebauliche Leitbilder durch medienwirksame Leuchtturmprojekte und projektbezogene Strategien ersetzt, hat auch auf das Stadtbild Basels grosse Auswirkungen: Prägend sind beispiels­weise die beiden seit einigen Jahren laufenden Arealentwicklungen der in Basel ansässigen Pharmakonzerne Roche und Novartis. Während Novartis mit der Idee des ‹Campus des Wissens› in Zusammenarbeit mit namhaften internationalen Architekturbüros einem Bild des traditionellen urbanen Quartiers folgt, arbeitet Roche bereits seit mehreren Jahren mit dem Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron zusammen. Deren 175 Meter hohes Bürohochhaus für das Pharma­unter­nehmen wird bei seiner Eröffnung 2015 das höchste Gebäude der Schweiz sein und die Stadtsilhouette Basels prägen. Der zuvor offene und vom Hochhaus des Messeturms dominierte Messeplatz in der Basler Innenstadt wird seit 2013 vom neuen Messegebäude mit seinen gewaltigen Ausmassen – ebenfalls ein Entwurf von Herzog & de Meuron – optisch geschlossen. Die Basler Christoph Merian Stiftung arbeitete ebenfalls mit den Pritzker-Preis­ trägern zusammen, um ihr bedeutendstes städtebauliches Projekt, das Drei­ spitz­ areal, zu lancieren: 2001 beauftragte sie Herzog & de Meuron mit einer städtebaulichen Studie zum Dreispitzareal am südlichen Stadtrand von Basel, das sich im Besitz dieser grössten gemeinnützigen Stiftung der Rheinstadt befindet. Für das 50 Hektaren grosse, historisch gewachsene Gewerbegebiet entwickelten die Architekten erste Konzepte für ein langfristig angelegtes Umnutzungsszenario. ‹Vision Dreispitz› Helsinki, Oslo, Florenz – die Strassen im Dreispitz tragen Namen grosser europäischer Städte. Sie verweisen auf das Logistik- und Lagerhaltungsgewerbe, das die bauliche Struktur von ‹Basels Estrich und Keller› im letzten Jahrhundert nachhaltig prägte. Die Ausrichtung der Eisenbahngleise und der parallel dazu geführten An­ lieferungsstrassen definierten im Dreispitz ein dichtes Netz schmaler, lang gestreckter Grundstücke, auf denen sich Lagerhallen und Industriegebäude aneinanderreihen. Der dortige Stadtraum entwickelte sich allein über die pragmatische Erfüllung seiner Funktionen. Er ist somit völlig autonom und kaum mit dem Stadt­gefüge Basels und seiner Nachbargemeinde Münchenstein vernetzt. Diese ein­zig­artige Struktur ist das Ergebnis eines stetigen Wandels, der seit jeher zur Ge­schichte des Dreispitzareals gehört. Der Stiftungsgründer Christoph Merian (1800–1858) erwarb das damalige 5


Zollfreilagerareal, 1925.

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Campus Dreispitz, 2014.

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Landwirtschaftsgebiet ab 1840 Stück für Stück. Die agrarische Nutzung der Flächen hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts an Bedeutung verloren, nachdem sich das Areal allmählich zu Basels wichtigstem Materiallagerplatz entwickelt hatte. Die barackenartigen, provisorisch wirkenden Holzbauten der Anfangs­zeit wurden vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg durch mehrstöckige massive Lagerhäuser und Fabriken ersetzt. Die Ansiedlungsbedingungen für die Unternehmen waren bis zum Schluss optimal, denn die vom Kanton Basel-Stadt eingesetzte Dreispitzverwaltung kümmerte sich um die Bereitstellung und Pflege der Infrastruktur, die Unternehmen zahlten als Unterbaurechtsnehmer einen entsprechenden Baurechtszins dafür. Mehr als 380 Firmen mit rund viertausend Arbeitsplätzen sind heute im Dreispitz ansässig. Lange waren grosse Teile des Areals umzäunt und galten als ‹verbotene Stadt›. Doch nachdem der Sperrbezirk des ebenfalls im Dreispitz angesiedelten Basler Zollfreilagers seit dem Jahr 1994 nach und nach aufgehoben wurde, erhielten die traditionell hier ansässigen Gewer­bebetriebe und Logistikfirmen eine Reihe neuartiger Nachbarn. Kreative und Kulturschaffende entdeckten den Dreispitz zunehmend für sich. Sein rauer industrieller Charme ist in Basel einzigartig, gibt es doch im Stadtkanton – im Vergleich zu anderen Schweizer Städten – verhältnismässig wenige traditionelle Industriegebiete. Als 2003 das Schaulager der Laurenz-Stiftung in unmittelbarer Nachbarschaft zum Dreispitzareal eröffnet wurde, wirkte das Gebäude von Herzog & de Meuron inmitten der pragmatischen Industriebauten, Containerstapel und Güterwaggons noch wie ein futuristischer Paradiesvogel. Doch nicht nur der sich nun langsam ankündigende Strukturwandel war Anlass für die Christoph Merian Stiftung, sich von der eher passiven Rolle des Land­ eigentümers zu verabschieden. Die Veröffentlichung der städtebaulichen Studie ‹Vision Dreispitz› im gleichen Jahr zielte auch darauf, im Dreispitz künftig eine höhere Bodenrendite zu erwirtschaften, da die Stiftung ihre umfangreichen sozialen, kulturellen und ökologischen Unterstützungen vor allem über den eigenen Grund­ besitz finanziert. Neben den Untersuchungen zu neuen Erschliessungsstrukturen und Verdichtungsmöglichkeiten zeichnet die Studie ein Zukunftsbild des Quartiers, das mit dessen Monokultur bricht. In einer Festschrift von 1951 – verfasst zum 50-jährigen Jubiläum des 1901 in Betrieb genommenen ‹Kantonalen Industrie- und Lagerbahnhofs auf dem Dreispitz› – wird die Trennung von Wohn- und Arbeitsstätten noch als eine der wichtigsten Forderungen an die moderne Stadtplanung angemahnt. Dieses Bild ist noch heute tief verwurzelt, sodass das Ziel, den ehemals abgeschotteten Stadtteil zu einem urbanen Arbeits-, Kultur- und Wohnort zu entwickeln, auch auf eine gewisse Skepsis stiess. Die Voraussetzungen für einen Aufbruch in eine neue Ära sind aber ideal, denn das Quartier ist gut erschlossen. Zudem hat es eine wichtige Scharnierfunktion zur Agglomeration, da sich ein Teil des Gebiets bereits auf dem Boden des Basler Landkantons erstreckt. Die ‹Vision Dreispitz› von 2003 sah für die weitere Ent­ wicklung dieses Areals gezielt platzierte Initialprojekte vor, die geeignet waren, dem Stadtteil zu einer ‹Adresse› zu verhelfen. Diese ‹Vision› gab den Startschuss für einen der derzeit spannendsten urbanen Transformationsprozesse in der Schweiz.

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Initialprojekt ‹Campus des Bildes› In der Folge fungierten die beiden Basler Kantone, die Christoph Merian Stiftung und die Gemeinde Münchenstein als Planungspartner. Gemeinsam unternahmen sie bis 2008 die Weiterentwicklung der ‹Vision Dreispitz› in einem aufwendigen und kommunikativ sehr anspruchsvollen Verfahren. Diese Ergebnisse flossen in einen städtebaulichen Rahmenvertrag von 2008, der die Entwicklungsziele nun näher bezifferte. Neben einer Verdopplung der Bruttogeschossfläche auf 800 000 Qua­drat­ meter und der Ansiedlung zusätzlicher Arbeitsplätze sieht die ‹Genera­tio­ns­aufgabe›, wie die Christoph Merian Stiftung die Transformation bezeichnet, den Bau von etwa tausend Wohnungen und die Anlage von ca. 70 000 Quadratmetern Grün­­fläche auf der bis dahin zu 95 Prozent versiegelten Fläche vor. In diesem Vertrag wurde bekräftigt, dass die Entwicklung des Areals als langfristiger Transformationsprozess verstanden und behandelt werden muss und Gestal­ tungs­möglichkeiten für zukünftige Entwicklungen offenlässt. Als Ziel wurde eine Planung formuliert, die partnerschaftlich, grenzüberschreitend, interkommunal und interkantonal erfolgen soll. Als Initialprojekt definierte die Christoph Merian Stiftung das Areal des ehemaligen Zollfreilagers Basel. Bereits in der Studie ‹Vision Drei­spitz› wurde das Gebiet unweit des Schaulagers durch die ursprüngliche Bezeich­nung ‹Campus des Bildes› mit einem Kunst- und Studienort assoziiert. Davon ausgehend entwickelte die Stiftung das Leitbild eines urbanen, kunstorientierten Quartiers. Erfahrungsgemäss eignet sich die Ansiedlung einer öffentlichen Nutzung gut als Impulsgeber für städtische Transformationsprozesse. Auf dem in der Folge ‹Kunst­freilager› (jetzt ‹Campus Dreispitz›) genannten Areal sollten alle Institute der Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGK) ihren gemeinsamen neuen Standort finden. Die Plan­ungspart­ner erhofften sich davon einerseits eine hohe Belebung des öffentlichen Raums durch die Studenten und Dozenten, andererseits – durch die inhaltliche Nähe zu den anderen gewünschten Nutzungen, wie Atelierwohnungen oder Ausstellungs- und Veran­staltungsräume – einen regen inhaltlichen Austausch. Die HGK setzte ihrerseits ebenfalls auf eine Ausstrahlung des Ortes auf die zukünftige Nutzung, denn sie war zu diesem Zeitpunkt eher ein verwaltungstechnisches Kon­strukt als eine auch visuell präsente Institution. Bisher verteilt auf sieben zum Teil örtlich weit auseinander­liegende Standorte in der Nordwestschweiz bildet die Fach­­­hochschule Designer, Künstler und Lehrer für Gestaltung und Kunst aus. Sie umfasst zehn Institute: Industrial Design, Ästhetische Praxis und Theorie, Designund Kunst­ forschung, Integrative Gestaltung /Masterstudio Design, Mode-Design, Kunst, Visuelle Kommunikation, HyperWerk, Innenarchitektur und Szenografie sowie die Lehrerausbildung. Bereits 1796 als Zeichenschule gegründet, erfolgte später die Umbenennung in Gewerbe- und schliesslich in Kunstgewerbeschule. Seit 1997 bietet sie Fachhochschulstudiengänge an und ist seit der Jahrtausendwende Departe­­ment der Fachhochschule beider Basel, die inzwischen in Fachhochschule Nord­ westschweiz umbenannt wurde.

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Wettbewerb für das ‹Kunstfreilager› Der Startschuss zum damals ‹Kunstfreilager› genannten Projekt fiel im Jahr 2006 mit der Auslobung eines Wettbewerbs, den die Christoph Merian Stiftung gemeinsam mit dem Baudepartement des Kantons Basel-Stadt initiierte. Für das zweistufige Verfahren luden die Veranstalter 26 Planungsteams ein. Die erste Phase des Wett­ bewerbs diente zunächst dazu, neben den Räumlichkeiten der Hochschule die gewünschte Nutzungsvielfalt aus Wohnungen, Kunst- und Dienstleistungsangeboten und Gastronomie innerhalb des Perimeters zu definieren. Die primäre Aufgabe für die Architekten bestand in der Herausbildung einer unverwechselbaren Struktur. Diese sollte in der Lage sein, die vorhandene identitätsstiftende Bausubstanz zu integrieren und sie in einen spannenden Dialog mit neuen städtebaulichen Elementen treten zu lassen. Bereits in der Wettbewerbsauslobung war auch die Anlage eines öffentlichen Platzes vorgegeben. Die 35 Personen umfassende Jury bewertete die eingereichten Arbeiten, um aus ihnen für die Weiterbearbeitung der zweiten Stufe des Wettbewerbs sechs Büros auszuwählen. Bereits in dieser Phase unterschied sich das Projekt der Basler Architekten Morger + Dettli, einem der führenden Architekturbüros der Schweiz, wesentlich von den anderen Einreichungen: Ihr Entwurf ging von einer auf ein Minimum reduzierten Intervention aus. Die Architekten hatten erkannt, dass es dem Gelände mit einer homogenen Gebäudehöhe von rund zwanzig Metern an archi­ tektonischer Akzentuierung mangelte, um es als markantes Zeichen im Stadtkörper zu fixieren. Mit der Platzierung eines Hochhauses am Freilager-Platz 1 und an der Emil FreyStrasse, dem einzigen Neubau, gelang den Architekten eine präzise Antwort auf die gestellten Anforderungen. Die Suche nach klaren prägnanten Formen ist eines der zentralen Motive in ihrer Arbeit. Der Solitär auf fast quadratischem Grundriss schliesst das Areal zur stark befahrenen Strasse ab. Der ehemalige LKW-Parkplatz daneben wird baulich gefasst und als öffentlicher Raum im Zentrum der Anlage definiert. Das Hochhaus wendet sich sowohl der Strasse als auch dem Platz zu. Mit den ihn umgebenden Altbauten bildet es eine kompositorische Einheit. Das ebenfalls grossmassstäblich lang gestreckte Gebäude des ehemaligen Transitlagers erhält hierdurch ein gleichwertiges Gegenüber. Beide Gebäude bilden eine Torsituation für den Zugang zum Campus. Überzeugend meistert das Projekt von Morger + Dettli ebenfalls die Strukturierung der Nutzungen. In dem in der zweiten Phase des Wett­bewerbs verlangten Projekt für die Nutzungen der Fachhochschule schlagen die Architekten einen Dialog von zwei Gebäuden vor. Mit Ausnahme der Werkstätten und Ateliers siedeln sie sämtliche Institute der Hochschule im Hochhaus an; das 47 Meter hohe Gebäude definieren sie als urbanen Schul-Organismus. Durch die räumliche Zusammenfassung vielfältiger Nutzungen und Aktivitäten verhilft es der Fachhochschule zu Lebendigkeit und ermöglicht regen Austausch. Die HGK erhält durch dieses Gebäude die lang vermisste Adressierung im öffentlichen Raum und zugleich ideale Voraussetzungen für die institutsübergreifende Zusammenarbeit. Die Werkstätten und Ateliers der Hochschule fanden auch schon im Wett­be­werbs­ beitrag von Morger + Dettli ihren Platz im prägnanten Altbau des ehemaligen Zoll­ freilagers. Seine rationale industrielle Struktur kam diesem Nutzungsvor­ schlag ent­gegen. Das alte Lager erhält die Bedeutung eines öffentlichen Gebäudes und bindet die Hochschule geschickt in die Geschichte des Ortes ein.

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Performance ‹anders landen› im ehemaligen Zollfreilagergebäude, Cornelia Huber, 2009.

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Neubau einer Landmarke

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Hochhaus von Morger + Dettli Architekten, eröffnet im Oktober 2014.

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Blick von der Br端glinger Ebene auf die neue Landmarke am Rande des Dreispitzareals.

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Der Solit채r im st채dtebaulichen Dialog mit den Bauten an der Oslo-Strasse.

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Chromnickelstahl-Bahnen wickeln sich um das Volumen des Hochhauses.

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White Cube im 8. Obergeschoss des Neubaus.



White Cube mit vier unterschiedlich tiefen Raum足 schichten.



Black Box im 2. Obergeschoss.


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