Aline Kominsky-Crumb und Robert Crumb

Page 1



Aline Kominsky-Crumb &Â Robert Crumb Drawn Together


Aline Kominsky-­ Crumb & Robert Crumb


Cartoonmuseum Basel Anette Gehrig (Hg./ed.) Christoph Merian Verlag

Drawn Together


004 Aline &   Robert Aline & Robert Parlez-moi d’amour! 2009


005 Anette Gehrig Seit über vierzig Jahren arbeiten Aline Kominsky-­ Crumb und Robert Crumb an ‹ Aline & Bob ›, ­einem gezeichneten, satirischen, bisweilen absurden, immer expliziten Beziehungs- und Fa­mi­lien­comic. Das bekannte Underground-­Comic­zeich­ner-Duo aus den Vereinigten Staaten ist ein Paar – im Leben und im Comic. Es kommen aber nicht nur beide in ‹ Aline & Bob › vor, sondern sie texten und zeichnen den Strip auch gemeinsam – ein Unikum in der Comicwelt. Noch nicht lange zusammen und im Status einer offenen Beziehung, beginnen Aline Kominsky und Robert Crumb 1972 einen gemeinsamen Comic. Robert hat schon in seiner Jugend zusammen mit seinem im Jahr 1993 verstorbenen B ­ ruder Charles einen Comic gezeichnet und bringt die wegen ­eines mehrfachen Beinbruchs ans Haus gefesselte Aline dazu, mit ihm ei­nen weiteren Versuch zu ­unternehmen. Seitdem haben die beiden das gemeinsame Erzählen und Zeichnen nie aufgegeben, sondern vielfach weitergesponnen, um ihre Tochter Sophie er­weitert und immer wieder gewandelt. ‹ Aline & Bob › ist weder eine absehbare, harmlose Familiengeschichte noch ein tiefschürfendes Drama. In erster Linie ist das Gemeinschaftswerk der beiden ein freches, humorvolles Kammer­ spiel zwischen einem betont unterschied­lich veranlagten Paar, das sich keinen Deut um Konventionen schert. Kein Wunder, denn der C ­ omic lebt nicht von harmonisch verschmolzenen Zeichenstilen, sondern hier treffen zwei völlig verschiedene Persönlichkeiten und Handschriften aufein­ ander: die meist eher einfach, manchmal gewollt primitiv gezeichnete Aline von Aline Kominsky-­ Crumb und der lebendig und körperhaft getroffene Bob alias Robert Crumb. Dieser Bruch, der im Comic auch immer wie­der thematisiert wird, ist das auffallendste äussere Merkmal des sich in Einzelgeschichten entwickelnden Comics mit autobiografischem Boden. Dieser spielt aber nicht nur an der Oberfläche mit den Erwartungen des Publikums, er zertrümmert auch inhaltlich Gewohn- und Gewissheiten. Vor der auf den ersten Blick banalen Folie häuslichen Alltagslebens werden wir Zeugen der permanenten und schonungslos offenen Selbstreflexion und Ausein­ andersetzung der beiden Hauptfiguren und sind inmitten rasend komischer Ausbrüche in fan­ tasiehaft übersteigerte Abenteuer. Dazu kommt, dass Aline und Robert in ‹ Aline & Bob › andauernd aus dem Off daran erinnern, dass sie es sind, die die gezeichneten Figuren wie Marionetten tanzen lassen, indem sie zum Beispiel die Leserschaft s ­ eparat ansprechen und dem Comic aus dieser Metaposition eine weitere, humorvolle Ebene des Dialogs hinzufügen. ‹ Aline & Bob › ist gleich­

zei­tig die Geschichte einer trotz aller zelebrierten Obsessionen und Ängste funktionalen F ­ amilie und eine extrem persönliche, selbstbe­wusste Antwort auf gesellschaftliche Entwick­lungen und ­Erwartungen, wohltuend weitab vom Mainstream. Die in diesem Sammelband vertretenen Auto­ren werfen aus verschiedensten Perspektiven ei­ nen Blick auf die Arbeit von Aline Kominsky-­ Crumb und Robert Crumb. Im zweiten Teil sind her­ausragende Episoden und die neuesten, ­bislang im deutschsprachigen Raum noch un­ veröffentlichten Geschichten der beiden ver­ sammelt. Ich w ­ ünsche Ihnen viel Vergnügen mit ‹ Aline & Bob ›! For over forty years, Aline Ko­ minsky-Crumb and Robert Crumb have been working on “Aline & Bob”, a drawn, satiri­cal, sometimes absurd, always explicit, relationship and family comic. This famous duo of underground comics artists from the USA are a couple – in real life, as well as in the co­mic. However, not only do they both appear in “Aline & Bob”, they also write and draw the strip collaboratively, which is unique in the world of comics. In 1972, when they had not yet been together long and were in an open relationship, Aline Kominsky and Robert Crumb began a collaborative comic. In his youth, Robert had already drawn a comic together with his brother Charles, who would die in 1993. While Aline was forced to stay at home due to a multiple leg frac­ ture, Robert persuaded her to embark on another attempt with him. Since then, this collective telling and drawing of stories is something that the pair have never stopped do­ing, in fact they have taken it ­further many times over, added their daughter Sophie and repeatedly transformed it. “Aline & Bob” is neither a predictable harmless family story nor a profound drama. The pair’s collaborative work is primarily a bold humorous chamber play between two people who have markedly different dispositions and who don’t care about conventions in the slightest. It is no surprise that this comic does not depend on a harmonious blend of drawing styles, but that instead, two completely different personalities and stylistic approaches collide here: Aline Kominsky-­ Crumb’s usually rather simple, sometimes intentionally primitively drawn Aline and the

­ ividly, corporeally affected v Bob, alias Robert Crumb. This ­inconsistency, which is also ­repeatedly thematized in the comic, is the most noticeable external feature of this autobiographically based comic, which evolves as a series of individual stories. However, rather than merely playing with the audience’s expectations on the surface, it also destroys conventions and certainties with regard to content. Against what initially seems to be a banal backdrop of domestic everyday life, we witness the two main characters’ incessant, brutally honest self-reflection and altercations, and we find ourselves in the midst of hilarious eruptions into fantastically exaggerated adventures. On top of this, in “Aline & Bob”, Aline and Robert provide constant off-stage reminders (for instance by separately addressing the readers) that they are the ones who make the drawn characters dance like puppets, and from this meta-position, they add an additional humorous layer of dialog to the comic. “Aline & Bob” is the story of a (despite all the celebrated obsessions and anxieties) functional family and, at the same time, an extremely personal, self-conscious response to societal developments and expectations, refreshingly far removed from the mainstream. The authors represented in this anthology take a look at the work of Aline Kominsky-­ Crumb and Robert Crumb from a wide range of different perspectives. The second part comprises a collection of outstanding episodes and the pair’s latest stories, which have never been published before in the German-speaking world. I hope you find “Aline & Bob” highly enjoyable.


006 Aline &   Robert Everyday Funnies 1981


007 Aline Robert 1987


008 Robert Aline 1973


009 Aline  & Robert Let’s Have a Little Talk 1974


010 Aline &   Robert The Crumb Family 1985


011 Inhalt Index 013 Michael Freund Die Wurzeln eines ameri­k anischen Psychogramms The Roots of an American Psychogram 049 Anette Gehrig Aline Kominsky-Crumb: Wegbereiterin des autobiografischen Comics Trailblazer for the Autobiographical Comic 069 Joost Swarte The Independents 097 Paul Morris My True Inner Self 161 SÊbastien Gokalp Die Kunst, ein Paar zu sein The Art of Being a Couple 180 Anhang Appendix


012 Aline & Robert Aline and Bob’s Dirty Laundry 1977


013 Michael Freund

Die Wurzeln  eines amerikanischen Psycho gramms Frühe Entfremdung plus ­radikale Ehrlichkeit plus Borscht Belt plus harte Arbeit oder: Wie Robert und Aline zueinandergefunden haben

The Roots of an American Psycho­ gram Early alienation plus radical honesty plus Borscht Belt plus hard work or: How Robert and Aline found common ground


014 Die Wurzeln eines amerikanischen Psychogramms Frühe Entfremdung plus radikale Ehrlichkeit plus Borscht Belt plus harte Arbeit oder: Wie Robert und Aline ­zueinandergefunden haben Ein grösseres Eigenheim, möglichst jedes Jahr ein neues Auto und der Glaube, so stark wie noch nie, in Gottes eigenem Land zu leben: Es waren die Nachkriegsjahre und die Fifties in Amerika, die Eisenhower-Ära, es war das Versprechen von immer mehr Wohlstand inmitten einer konformen, sauberen, in Gut und Böse, Weiss und Schwarz geteilten Gesellschaft. Das konnte nur unter sehr viel Anpassungsdruck erkauft werden. Manche, die damals aufwuchsen, litten unter dem Missklang zwischen der angestrebten materiellen Opulenz und einer ‹­ geistigen Leere › – so nannte es ein 1960 erschienenes Buch über jene Zeit, das den bezeichnenden ­Titel ‹ Growing Up Absurd  › trug. Robert Dennis Crumb und Aline Goldsmith waren noch Kinder, als sie solche Spannungen ­bereits spürten, auf ihre je eigene Art. Unbewusst und unverstanden zunächst, war dieses Gefühl der Kern, aus dem ihre Identitäten wuchsen. So unterschiedlich ihre familiären Hintergründe und die Strategien, mit ihnen umzugehen, ge­ wesen sein mögen, das Gefühl der Entfremdung einte sie. Diese Gemeinsamkeit, aber auch die kulturellen und sozialen Unterschiede zwischen ihnen, die einander ergänzten, machten ihre einzigartige Zusammenarbeit möglich. Frühe Abneigung 1943 geboren, wuchs Robert mit vier Geschwistern in einem autoritären Haushalt in Phila­ delphia, später in einem kleinen Ort in Delaware auf. Der Vater war ein US Marine und danach Ausbilder beim Militär, die Mutter Hausfrau. Die Vorfahren der Eltern waren Protestanten gewesen, doch zum Katholizismus konvertiert. Deswegen und weil der Vater viel auf Disziplin hielt, besuchte Robert bis zur siebten Klassenstufe eine von Nonnen geleitete Privatschule. Sie war für den bebrillten, schwächlichen Aussenseiter mit Zahnlücke eine ständige Qual. Folgt man seinen Erinnerungen und seinen zahlreichen retrospektiven Zeichnungen, waren ­Comics das Einzige, was ihn wirklich interessierte. Schon als Fünfjähriger sei er « von Bugs

­ unny sexuell erregt worden », und nicht viel B später hielt ihn sein älterer Bruder Charles, ein obsessiver Fan von Bildergeschichten, dazu an, mit ihm regelmässig Comics zu zeichnen. Er erfand eigene Figuren und Abenteuer, « sieben oder acht Jahre lang zeichnete ich Hunderte von Comics über Brombo the Panda ». Die damals populären Disney-Geschichten, insbesondere die Duck-Abenteuer aus der Feder des ‹ ­guten Künstlers › Carl Barks (den damals niemand namentlich kannte), auch Pogo, Little Lulu, Paul Terry’s Comics: Sie alle beeinflussten Roberts Stil, ­jahrelang übte er die Darstellung von Bewegungen, Gesichtsausdrücken, Gesten bis ins ­kleins­te Detail. Dass er sich an solchen Klassikern schulte, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es erklärt, warum Crumb bei allen späteren ­Eskapaden einer äusserst präzisen Zeichen­ sprache huldigte und damit aus der Schar der ­Underground- und späterer Comickünstler hervorstach. Es ging Hand in Hand mit der wachsenden ­Abneigung, die er gegenüber der Alltagskultur seiner Altersgenossen verspürte. Die Unter­ haltungsmusik war ihm zu aufdringlich, die Häuser in den sich ausbreitenden Vorstädten zu ­banal, die Comics in den Fifties wurden in seinen Augen immer schlechter. Dass sie jedenfalls ­langweiliger wurden, ist eine gut belegte Tatsache und zurückzuführen auf die Aktivitäten des Kreuzzüglers gegen Kriminalität Senator Estes Kefauver und seines ‹ Senate Subcommittee on Juvenile Delinquency › ab 1953. Dieses ­Komitee stellte Bildergeschichten, egal, wie ­simpel oder raffiniert sie waren, und vor allem, wenn sie in irgendeiner Weise explizit wurden, unter den Generalverdacht, auf die schiefe Bahn zu führen. In deutschsprachigen Ländern begann bald danach eine vergleichbare Kampagne gegen ‹ Schmutz und Schund ›.1 Die Folge, die Robert schmerzlich erlebte, war, dass die Comics nicht nur zahm wurden, sondern praktisch von der kulturellen Bildfläche verschwanden. Das sollte er ein knappes Jahrzehnt später ­ändern, doch das konnte er sich noch über­haupt nicht vorstellen. Als Halbwüchsiger suchte er vielmehr nach den Resten von dem, was vor seinen Augen verschüttging, und fand es in der Kultur der Vorkriegszeit, auch bei den Schwarzen « on the wrong side of the tracks ». Neben dem Horten ­alter Hefte begann er, systematisch Schel­lacks ­alter Country- und Blues-Musik aufzutreiben. Die ‹ 78er › (d. h. Umdrehungen pro Minute auf dem Plattenteller) sind bis heute sein ­stolzester Besitz.2


015 Erst als er die Highschool beendete, aus seinem Elternhaus auszog, in Cleveland Arbeit als ­Zeichner bei der Greeting Cards Company fand und Freunde unter Studenten, politisch Radi­ kalen und späten Beatniks hatte, bekam er ein Gefühl dafür, etwas mit seinem Leben an­fangen zu können. military instructor. His mother

was a waitress and housewife. The Roots of an American Psychogram His parents’ ancestors were

Early alienation plus radical honesty plus Borscht Belt plus hard work or: How Robert and Aline found common ground A larger home, a new car every year if possible and a stronger belief than ever before that one lives in God’s Own Country: it was the post-war years and the 1950s in America, the Eisenhower era, it was the promise of more and more prosperity amid a compliant, clean society divided into good and bad, white and black. To achieve this, living under intense pressure to conform was the price that had to be paid. Some of those growing up at the time suffered under the ­discord between the pur­sued m ­ aterial opulence and a “ spiritual emptiness ”, as it was called in a book about the era, released in 1960 under the ­telling title “ Growing Up ­Absurd  ”. Robert Dennis Crumb and Aline Goldsmith already sensed such tensions, each in their own way, when they were still children. Although they initially were unaware of it and did not understand it, this feeling formed the core from which their identities grew. Despite how different their respective family backgrounds and strategies for coping with them were, the feeling of alienation united them. It was this common ground, but also the ­cultural and social differences between them, which sup­ plemented each other, that made their unique collaboration possible. Early Aversion Born in 1943, Robert grew up with four siblings in an au­ thoritarian household in Philadelphia and later in a small town in Delaware. His father was a US Marine and later a

Protestants, but had converted to Catholicism. For this reason, and because his father val­ued discipline highly, Robert attended a private school, run by nuns, until seventh grade. This was a source of constant torment for the bespecta­cled, feeble outsider with a gap in his teeth. His memoirs and his numer­ous retrospective drawings sug­gest that comics were the only thing that really interested him. He was apparently “ sexually aroused by Bugs Bunny ” at the age of just five and, not long afterward, his older brother Charles, an obsessive fan of comic strips, encouraged him to draw comics with him on a regular basis. He invented his own characters and ad­ ventures: “ for seven or eight years, I drew hundreds of comics about Brombo the Panda. ” The Disney stories that were popular at the time, espe­cially the duck adventures drawn by the “ Good Duck Artist ” Carl Barks (whom nobody knew by name back then), as well as Pogo, Little Lulu and Paul ­Terry’s Comics all in­fluenced Robert’s style. For years, he practiced the depiction of movements, facial expressions and gestures, down to the ­finest detail. The significance of the fact that he taught himself on the basis of such classics can­not be overestimated. It explains why Crumb, despite all his later escapades, devoted himself to a highly precise drawn language and thus stood out from the crowd of “ underground ” artists and later ­comics artists. This went hand-in-hand with his growing sense of aver­sion toward the everyday culture of his peers. He found popular music too flashy and the houses in the sprawling suburbs too tacky. In his view, comics were getting worse and worse in the 1950s. At any rate, they were getting more

boring, which is a well-documented fact that can be attributed to the activities of anti-­ crime crusader Senator Estes Kefauver and his Senate ­Subcommittee on Juvenile ­Delinquency from 1953 on­ward. This subcommittee generally suspected that comics led to delinquency, no matter how simple or sophisticated they were, and especially if they were explicit in any way 1 (in German-speaking countries, a similar campaign against “ Schmutz und Schund ” [filth and trash] began shortly ­afterward). The result, which ­Robert found painful, was that comics not only became tame, but practically dis­ appeared from the cultural scene. He would go on to change that about a decade later, but this was something that he simply could not imagine at the time.

As an adolescent, he instead sought the remains of what had vanished before his very eyes and found it in pre-­ war culture, as well as among the African American peo­ple “ on the wrong side of the tracks ”. In addition to hoarding old comics, he also be­gan to systematically dig up old country and blues gramophone ­records. These “ 78s ” (the number refers the num­ber of revolutions per minute on the turntable) are his most prized possessions to this day.2 It was not until he gradu­­ated from high school, moved out of his parents’ house, found work as an artist at the American Greetings Corpo­ ration in Cleveland, and had friends who were students, ­political radicals and late beatniks, that he felt he could start to do something with his life.

Prägung durch Selbstironie Aline, fünf Jahre nach Robert geboren, wuchs, ‹ global › gesehen, in einer ähnlichen Zeit auf, aber unter sehr anderen Umständen, in einem überwiegend jüdischen Teil von Queens, New York. Ihren Werdegang hat Anette Gehrig auf Seite 049 genauer beschrieben. Hier soll ­ergänzend auf den Hintergrund eingegangen werden, der ihre Entwicklung prägte. Anders als Robert war sie als Kind durchaus eine Hoffnungsträgerin der Familie, sie war gut in der Schule und sollte später mal, dem ame­ rikanisch-jüdischen Klischee entsprechend, einen Anwalt oder Arzt oder wenigstens einen Zahnarzt heiraten. Dass es ein anderes Leben als das in ihrer krank machenden Familienkonstellation geben könn­­te, wurde ihr einerseits durch die Kunst bewusst – die, welche sie selber kreierte, und die in New York präsente: Einen Besuch im Mu­se­um of Modern Art als Fünfzehnjährige schil­derte sie als prägendes Erlebnis. Eine weitere Erfahrung war aber ebenso stark und prägend: die jüdischen Komiker, zu denen ihr Grossvater sie mitnahm. Stars wie Joey ­Bishop, Mel Brooks, Sid Caesar, Zero Mostel oder Jackie Mason waren damals allgegenwärtig in den Hotels im ‹ Borscht Belt › – in den Catskills nördlich von New York – und in den Comedy Clubs der Stadt, und sie saugte ihren Wortwitz auf wie ein Schwamm. Der Humor der Besten in dieser Tradition war geprägt von Selbstironie


016 und Schlagfertigkeit, sie konnten melancholisch sein und zugleich zum Schreien komisch. Es war wohl kein Zufall, dass es nicht ihre dem amerikanischen Traum hinterherlaufenden ­El­tern waren, die sie mit diesem Milieu bekannt machten, sondern ihr Grossvater. Er hatte noch einen unmittelbareren Bezug zu den Wurzeln dieses Wortwitzes: die Skepsis, die die Einwanderer aus der Alten Welt mitgebracht hatten, das subver­ sive Ertragen von Widrigkeiten und Autoritäten. Ernstes lächerlich zu machen, war eine Waffe, mit der Aline umzugehen lernte. Sie war auch ein Erfolg auf dem Markt. Die Komiker feierten ab den Fünfzigerjahren nicht nur in ­Hotelsälen, sondern in Film und Fernsehen Erfolge. Das halbe Land lachte über sie und mit ­ihnen – ‹ The Yiddishization of American Humor › nannte es der Autor Wallace Markfield in einem Artikel in ‹ Esquire › im Oktober 1965. Alines Schlagfertigkeit und ihre Leichtigkeit mit Pointen wurden sicher beeinflusst durch jene frühen Besuche. Für Robert sind sie bis heute ein wesentlicher Beitrag zu ihrer gemeinsamen Arbeit. Er selber machte damals gerade erste Erfah­­ rung­en mit einem vergleichbaren urbanen, kritischen Milieu. Tatsächlich hätten sie sich bereits Mitte der Sechzigerjahre in New York über den Weg laufen können. Es war die Zeit, als Aline in eine Subkultur von Exzentrikern flüchtete und schliesslich das Elternhaus in Richtung East Village in Manhattan verliess, zu Männern und zu Drogen.3 created herself and the art that was present in New York: she has described a visit to the Museum of Modern Art Aline, born five years after Robert, grew up in an era that when she was fifteen as a formative experience. was similar from a “ global ” However, another experience perspective, but under very was equally strong and influ­ different conditions, in a largely Jewish part of Queens, ential: seeing the Jewish stand-­ up comedians, to whom her New York. Her history is grandfather took her. Stars like ­described in more detail by Joey Bishop, Mel Brooks, Sid Anette Gehrig in the article “ Drawn Together ” on page Caesar, Zero Mostel and Jackie 049 of this book. To supple­Mason were ever-present at ­ment that article, the backthe time in the hotels of the ground that shaped her “ Borscht Belt ” (in the Catskills, develop­ment is expanded north of New York), as well as on here. in the city’s comedy clubs, and Unlike Robert, she was defishe absorbed their wordplay nitely someone on whom the like a sponge. The humor of hopes of her family were the best representatives of this pinned as a child, she was good tradition was characterized by self-mockery and ready wit: in school and, in keeping with they could be melancholy the Jewish-American cliché, it was supposed that she and screamingly funny at the would later marry a lawyer, a same time. doctor or at least a dentist. It was probably no matter of One thing that made her aware chance that she was not introof the possibility of a life duced to this milieu by her that differed from the one in parents, who were pursuing her sickening family environthe American dream, but ment was art – the art that she by her grandfather. He still Characterized by Self-Mockery

had a direct connection to the roots of this humor, the skepticism that the immigrants from the Old World had brought with them, the subversive tolerance of adversi­ties and authorities. The ridicul­ing of serious things was a weapon that Aline learned how to handle. It was also a suc­cess on the market. From the 1950s onward, these comedians were successful not only in ­hotel ballrooms, but also in film and television. Half the country laughed about them and with them: the author Wallace Markfield called it “ The Yiddishization of American Humor ” in an “ Esquire ” article in

October 1965. Aline’s ready wit and her ease with punch lines were certainly influenced by these early visits. To this day, Robert sees them as a major contribution to their col­ laborative work. At the time, he was just hav­ing his first experiences with a similar urban critical milieu. In fact, they could have already crossed each other’s paths in New York in the mid-1960s. That was the time when Aline sought refuge in a subcul­ture of oddballs and ultimately left her parents’ house for the East Village in Manhat­tan, which led her to men and drugs.3

Gelockerte Schrauben Robert hatte 1964 Dana Morgan geheiratet – wie sein Vater prophezeit hatte: das erste ­Mädchen, das ihm über den Weg laufen würde. Im Jahr darauf fuhr er von Cleveland nach ­ New York, um für den grossen Harvey Kurtzman zu arbeiten, was allerdings nicht von Dauer war. Er hatte den Schöpfer der Magazine ‹ Hum­ bug ›, ‹ MAD › und ‹ Help › schon in der Schule ­verehrt – deren Covers an den Kiosken zu sehen, zählt er bis heute zu den einschneidenden Er­ fahrungen seines jungen Lebens. Insbesondere das längerlebige ‹ MAD › war einer der weni­gen Stacheln im Fleisch des selbstzufriedenen und ­konsumbesessenen Amerika. Wo sonst gab es Parodien auf Werbung, die nicht nur witzig waren, sondern auch aufklärten? Wo sonst be­kamen bombastische Hollywood-Filme eins aufs Dach in Form von Comics? Robert fand es aber auch ernüchternd zu sehen, wie sehr Kurtzman durch seine Arbeit für H ­ efners ‹ Playboy › – er zeichnete dort den ‹ Little ­Annie Fanny ›-Strip – ausgelaugt und eingeengt wurde. Nie, nahm er sich vor, würde er sich für viel Geld seine kreative Freiheit nehmen lassen. Angesichts der Perspektive, weiter in Cleveland als braver Grusskartenzeichner zu arbeiten, und ohne sich viel dabei zu denken, tat Robert den vielleicht folgenreichsten Schritt seiner Karriere: Er nahm LSD. Das Psychedelikum lockerte in ­seinem Kopf so viele Schrauben, setzte so viele Bilder, Fantasien, Ängste und Gedanken frei, dass er – je nachdem, wo er selbst die Grenzen zur ‹ Normalität › zog – noch Monate bzw. mehrere Jahrzehnte lang unter dem Einfluss der ­Substanz stand. Die meisten Figuren, für die ­Robert Crumb berühmt wurde, entstanden ­damals vor seinem inneren Auge, und auch die


017 Entscheidung, über Nacht und ohne Dana zu benachrichtigen, nach San Francisco zu fahren, dürfte in diesem Zustand gefallen sein. Die Westküste wurde damals ja zum Mekka für viele junge Amerikaner, die dem ‹ System › entrinnen ­wollten, und es war kein Wunder, dass Aline eben­ falls dorthin ziehen würde. Die letzte Grenze Wenn man heute liest, dass die Immobilienpreise in San Francisco höher sind als in New York, dann kann man sich nur mehr schwer vorstellen, wofür die Stadt an der Westküste vor noch nicht einmal fünfzig Jahren stand. Wer ‹ von allem › weit weg wollte, für den war San Francisco erste Wahl. Weiter ging’s nicht, hier war das Ende der Frontier, das Ziel für Aussenseiter, Suchende, Freaks schon lange vor dem Medienhype um die Hippies. Bereits in den Fünfzigerjahren hatte sich hier eine Subkultur etabliert, nach von der Jazzwelt übernommenen Ausdrücken ‹ Beats › und ‹ Hipsters › genannt (nicht zu verwechseln mit dem, was heute in bourgeoisen Boheme-Vierteln unter diesem Namen firmiert). Die vor allem ­literarische Szene um Allen Ginsberg (dessen ‹ Howl › 1956 erschien), Jack Kerouac (‹ On the Road ›, 1957), William Burroughs (‹ Naked Lunch ›, 1959) und anderen wurde zum Mythos, der über die Jahre anhielt. Vergleichbar auf der anderen Seite des Kontinents waren am ehesten Greenwich Village und das East Village. Doch San Francisco war erschwinglicher, die dortigen Viertel – North Beach, Mission, später Haight-Ashbury – lagen in einer weniger hektischen Umgebung. « New York », wie die Grateful Dead in ‹ Truckin’ › 4 sangen, « (has) got the ways and means, but just won’t let you be, oh no ». San Francisco hingegen galt als ‹ mellow › – der quintessentielle Ausdruck für das angestrebte Lebensgefühl an der Westküste. Die sexuellen und ethnischen Grenzen wurden weniger eng gezogen als anderswo auf dem ­Kontinent, Drogen waren nicht nur in den Subkulturen verbreitet, sondern teilweise sogar ­legal – vor allem LSD bis 1966.5 zines “ Humbug ”, “ MAD ” and “ Help ” – to this day, he deRobert had married Dana scribes seeing their covers on ­Morgan in 1964 – as his father newsstands as one of the in­ had predicted: the first girl cisive experiences of his early who came along. In the follow- life. In particular, the long-­ ing year, he travelled from running “MAD ” was one of the Cleveland to New York, in orfew thorns in the side of self– der to work for the great satisfied, consumption-­ obsessed America. Where else ­Harvey Kurtzman, although were there parodies of ad­ this proved to be a short-­ lived situation. Already in vertising that were not only school, he had admired Kurtz- witty, but also enlighten­man, creator of the maga­ing? Where else did bombas­Loosened Screws

tic ­Hollywood films get a roast- from “ it all ”, San Francisco ing in comic form? was the place of choice. It was However, Robert also found it impossible to go any further – it sobering to see the extent to was the end of the frontier, which Kurtzman was worn out the destination for outsiders, and restricted by his work addicts and freaks, already for Hefner’s “ Playboy ”, where long before the media hype surhe drew the “ Little Annie rounding the hippies. A sub­ Fanny ” strip. He decided that culture had already established itself here in the 1950s, he would never give up his named after terms borrowed ­creative freedom for a large from the world of jazz: “ beats ” sum of money. In view of the prospect of con- and “ hipsters ” (not to be tinuing to work as a dutiful ­confused with those who opergreeting card artist in Cleveate under this name today in land, and without thinking bourgeois bohemian quarters). much of it, Robert made perThe primarily literary scene haps the most momentous surrounding Allen Ginsberg step in his career: he took LSD. (whose “ Howl ” appeared in This psychedelic drug loosened 1956), Jack Kerouac (“ On the so many screws in his head, Road ”, 1957), William Bur­releasing so many images, fan- roughs (“ Naked Lunch ”, 1959) tasies, fears and ideas, that and others became a mythos he remained under the influ­that would continue throughence of the substance for out the years. months, or several decades, On the other side of the con­ depending on where he himself tinent, the closest comparison draws the boundaries of “ norcould be drawn with Greenmality ”. Most of the charac­ters wich Village and the East Vilfor whom R. Crumb became lage. However, San Francisco was more affordable. The ­famous emerged before his mind’s eye at that time. The de­- neighborhoods there ( North cision to travel to San FranBeach, Mission and later cisco overnight without inform- Haight-Ashbury) were situ­ing Dana was probably also ated in a less hectic envi­made in this state. Back then, ronment. “ New York ”, as the Grateful Dead sang in the West Coast was becoming a Mecca for many young “ Truckin’ ”,4 “ ( has) got the ways and means, but just won’t ­Americans who wanted to escape the “ system ” and it is let you be, oh no. ” In contrast, hardly surprising that Aline San Francisco was seen as would also move there. “ mellow ” – the quintessential term to describe the sought-­ The Final Boundary after West Coast attitude to life. The sexual and ethnic Today, upon reading that real estate prices are higher in San boundaries were not drawn as Francisco than in New York, strictly as elsewhere on the it is hard to imagine what this continent. Drugs were not only West Coast city represented widespread in the subcultures, less than 50 years ago. For but some were even legal – those who wanted to get away most notably, LSD until 1966.5

Magnetische Anziehung Robert kam im Januar 1967 in San Francisco an. Er stürzte sich in die Arbeit, was zuvorderst bedeutete, dass er seine überreichlichen Bilder im Kopf zu Papier brachte. Neben den Schöpfern Acid-inspirierter Konzertposters wie Stanley Mouse, Mati Klarwein, Rick Griffin oder Victor Moscoso 6 wurde er innerhalb weniger Monate zum wichtigsten Künstler der aufblühenden Alternativszene. Damals entstanden die Figuren und die Strips, für die er am bekanntesten ­werden sollte.7 Als Aline, mittlerweile geschiedene Kominsky, auf dem Umweg über Arizona und angezogen durch Roberts wirklich erstaunli­-


018 chen Strip über ‹ Honey Bunch Kaminski › 8 1971 nach San Francisco kam, war Roberts Leben ziemlich aus dem Lot. Er konnte weder mit seinem Ruhm umgehen noch mit seiner aus dem Lot geratenen Ehe oder seinen zahlreichen Freundinnen und der Tatsache, dass die Crumbs mittlerweile einen Sohn hatten. Aline schien ­zunächst nur eine weitere Beziehung für Robert im lockeren sozialen und sexuellen Geflecht von Haight-Ashbury zu sein. Doch sehr bald merk­ten die beiden, dass sie magnetisch voneinander angezogen waren und einander mehr als nur vorübergehend ergänzten. Ihre individuellen und ab 1972 auch g ­ emeinsamen Arbeiten werden an anderen Stellen in diesem Katalog ausführlich gewürdigt. Hier möchte ich auf einige Aspekte hinweisen, die sich nicht aus dem Œuvre selbst ergeben, aber sein Zustandekommen erklären helfen. Da ist zunächst eine dem ‹ Kaminski / Kominsky ›-­ Phänomen vergleichbare erstaunliche Verkettung von Umständen, die zu den ersten gemeinsamen Strips (den ersten dieser Art überhaupt in der Geschichte der Comics) geführt hat. Aline und Robert hatten San Francisco 1972 verlassen und wohnten mit Roberts Exfrau Dana, dem Sohn Jesse und noch einigen Freunden im Norden Kaliforniens. Als eine frühere Freundin Roberts ebenfalls einziehen wollte, stürm­te Aline wütend aus dem Haus, brach sich prompt ein Bein, war ans Zuhause gefesselt, und als eine Art Beschäftigungstherapie began­nen die beiden, sich und einander bis zur völli­gen physischen und psychischen Entblössung in ­Geschichten darzustellen. Als ihr Freund Terry Zwigoff   9 dies sah, sagte er, das sei ja wie Schmutzwäsche aufhängen und jeder könn­te sie sehen. Damit war der Name einer produktiven Zusammenarbeit geboren. Magnetic Attraction Robert arrived in San Francis­co in January 1967. He immersed himself in work, which meant, first and foremost, that he put down on paper the overflowing images in his head. Alongside creators of acid-­ inspired concert posters, such as Stanley Mouse, Mati Klarwein, Rick Griffin and Victor Moscoso,6 he became the leading artist in the thriving al­ ternative scene in just a few months. That was when the characters and strips for which he would become most widely known came into being.7 When Aline Kominsky, who had d ­ ivorced by then, came to San Francisco on an indirect route via Arizona in 1971,

­ ttracted by Robert’s really a ­astonishing strip about “­ Honey Bunch Kaminski ”,8 ­Robert’s life was quite out of kilter. He was not able to deal with his fame, nor with his marriage (which had gone awry), nor with his numerous girlfriends, nor with the fact that the Crumbs now had a son. At first, Aline seemed to represent just another one of Robert’s relationships within the easygoing social and sexual network in Haight-Ashbury. Very soon though, the pair ­noticed that they were magnetically attracted to each other and complemented each other in more than just a temporary sense. To a great extent, tribute is paid to their individual and

(from 1972 onward) collabo­ rative works elsewhere in this catalog. Here, I would like to refer to a number of aspects that do not arise from the oeuvre itself, but help to explain how it came about. Firstly, much like the “ Kaminski  /  ­Kominsky ” phenomenon, there is an astonishing chain of circumstances that led to their first collaborative strips (the very first of this kind in the history of comics). Aline and Robert left San Francisco in 1972 and lived in Northern California with Robert’s exwife Dana, son Jesse and a number of friends. When an

ex-­girlfriend of Robert’s also wanted to move in, Aline furiously stormed out of the trailer and promptly broke her foot, which meant she was forced to stay at home. As a kind of occupational ther­apy, the pair began to depict themselves and each other in strips, to the point of complete exposure, both physi­cally and psychologically. When their friend Terry Zwigoff  9 saw this, he said it was like hanging up their dirty laundry for everyone to see – thus, the name of a productive collaboration was born.

Ethnische Wurzeln Tiefer liegend besteht zwischen den beiden eine dynamische Spannung, die sie beschäftigt, seit sie sich kennen bzw. eigentlich sogar schon ­vorher. Wie bereits gesagt, wuchs Aline in einem fast ausschliesslich jüdischen Milieu auf. Sie schreibt, dass sie erst mit fünfzehn « Goyim entdeckte und harte italienische Jungs, und sie schienen auf mich zu stehen ».10 Robert seinerseits lernte Juden erst in Cleveland kennen, als er achtzehn war. Ihre Geschichte als Volk ohne Staat, sagt er, interessierte ihn als Aussenseiter, er konnte sich mit diesem Schicksal ­identifizieren. Zudem fand er die jüdischen Freunde in Cleveland spannend und intellektuell ­fordernd. Und schliesslich merkte er, dass jüdische Mädchen von ihm angezogen waren – Dana und Aline seien dafür zwei Beispiele. Aline war in der Tat von ihm angezogen, sie dachte allerdings, er müsse Jude sein, sozusagen von den äusseren Daten her. Viele Jahre später drückte sie es so aus: « Er ist kein Jude, aber er hat eine grosse Nase, eine schlechte Haltung, er sieht schlecht, und jammern und nörgeln kann er besser als ich! » 11 Sie sah in ihm eine Mischung von Vertrautem und Kuriosem. Auf den zweiten Blick erkannte sie, dass der meisterhafte Chronist des Untergrunds in Wirklichkeit ein Skeptiker war, der dem verrückten Treiben, das ihn umgab, wenig abgewinnen konnte und mit Spott reagierte. Das kam ihr bekannt vor. Für Robert andererseits war Aline nicht nur äusserlich eine fleischgewordene Wunschvorstellung. Es faszinierten ihn an ihr auch die jüdischen Wurzeln, ihre Selbstironie gepaart mit Chuzpe und eine Wortgewandtheit, die er an sich vermisste.12 Es war eine Anziehung, die einherging mit dem Wissen ums Anderssein, das er – wie ­alles, was ihn beschäftigte – zeichnerisch verar-


019 beitete. So fantasierte er sich gelegentlich in die Rolle eines ‹ jüdisch › aussehenden Alter Ego, firmierte in Cartoons schon mal als ‹ Krumberg ›, lässt Mr. Natural « The whole shtick! » ausrufen. In der letzten Nummer des gemeinsam her­ ausgegebenen Magazins ‹ Weirdo › (Nr. 28, 1993)13 ging Robert einen grossen und für viele problematischen Schritt weiter. In der drei Seiten ­langen Geschichte « (Oh I’m telling you people, there’s gonna be hell to pay …) When the ­Niggers Take Over America! » und erst recht auf den ­darauffolgenden zwei Seiten – « When the Goddamn Jews Take Over America! » – ­versammelte er alle gängigen rassistischen und antisemi­tischen Klischees zu paranoiden Albträumen. ­Gegen ­Applaus von der falschen Seite konnte er sich nicht wehren – weisse R ­ assis­ten reichten die Strips weiter, ignorierten allerdings die letzte Seite des Strips, auf der ein weisser Ritter im Namen des Herrn Jesus Christus die Erde atomar zerstört, um sie zu r­ etten. Seine Freunde und Kollegen Art Spiegelman, Terry Zwigoff und Bill Griffith, so erzählt Robert, nahmen ihm den Strip übel: Man würde die ­Satire nicht verstehen, zu nahe sei sie an gesellschaftlichen Wirklichkeiten, an die man besser nicht rühren sollte. Doch genau diese radikale Nähe ist Teil seines Projekts und auch Ziel der gemeinsamen Arbeit von Aline und Robert. Immer wieder loten sie aus, was Anziehung und Abstossung ausmacht, wie man zum Aussenseiter wird, wie sexuelle, ­soziale und ethnische Kräfte sich auf das Zusammenleben auswirken. Im Grunde produzieren sie auf ungeheuer spannende Weise ein Psychogramm Amerikas, in dem sie sich selber als ­Fallstudien präsentieren. Auch auf dem Cover des Magazins ‹ Heeb ›, Frühjahr 2007, karikieren sich die beiden wie so oft selbst. In kleinen Hinweisen steckt Robert ihre Verschiedenheiten ab. Bei ihm steht: « Ancestors were farmers »,14 bei ihr: « Ancestors sold shmattes. » 15 Dazu kreierte Aline die schöne Addition: « Jew + Goy = Joy ». Diese Zusammenführung allein garantiert ­allerdings noch keinen Erfolg, dazu gibt es zu viele Gegenbeispiele. Die alinesche Formel ­bedarf daher vielleicht einiger Ergänzungen und Präzi­sierungen: frühes Leid an Familie, Umgebung und Massenkultur, der Vorsatz, sich und anderen nichts vorzumachen, Elemente des Borscht Belt und viel gemeinsamer Fleiss, ohne den es keinen Preis gibt. Das ergibt dann: « Early Alienation + Radical Honesty + Jewish Humor + Hard Work with a Goy = More Joy ». So möge es bleiben.

Ethnic Roots On a deeper level, there is a dynamic tension between the two of them that has occupied them ever since they met, or actually since even earlier. As already mentioned, Aline grew up in an almost exclusively Jewish milieu. She writes that it was not until she was 15 that she “ discovered goys and tough Italian boys, and they seemed to go for me. ” In turn, Robert did not meet any Jews until he was in Cleveland, at the age of 18. He says that their history as a stateless people interested him as an outsider – he could identify with their fate. Moreover, he found his Jewish friends in Cleveland fascinating and intellectually challenging. ­Eventually, he noticed that Jewish girls were attracted to him – Dana and Aline being two cases in point. Although Aline certainly was attracted to him, she thought he must be Jewish, based on the external data, so to speak. Many years later, she put it this way: “ He’s not Jewish, but he has a big nose, bad posture an’ bad eyesight, plus he can whine and kvetch better than me! ” In him, she saw a mixture of the known and the pecu­liar. On taking a second look, she realized that this master­ful chronicler of the under­ground was in fact a skeptic, who could not get much out of the crazy goings-on around him and who responded to them with derision. She found that familiar. For Robert, on the other hand, Aline was a dream come true, not only on the outside. He was also fascinated by her Jewish roots, her self-mockery combined with chutzpah and an eloquence that he lacked himself.10 It was an attraction, combined with the knowl­edge of being different, that he ­processed (like everything else on his mind) by draw­ing. For instance, he has occasionally imagined himself in the role of a “ Jewish-looking ” alter ego, has signed c ­ artoons as “ Krumberg ” and gets Mr. Natural to exclaim “ The whole shtick! ” In the final issue of the collectively produced magazine “ Weirdo ” (no. 28, 1993),11 Robert went a step further – a big step, which many found problematic. In the three-page strip

“ (Oh I’m telling you people, there’s gonna be hell to pay…) When the Niggers Take Over America! ” and even more so on the next two pages in “ When the Goddamn Jews Take Over America! ”, he combined all the current racist and anti-­ ­Semitic clichés to form paranoid ­nightmares. He could do nothing against the applause he ­received from the wrong side: white racists passed the strips around, albeit ignor­ing the ­final page, where a white knight, in or­der to save the Earth, destroys the planet with a nuclear explosion in the name of Lord J ­ esus Christ. Robert says that his friends and colleagues Art Spiegelman, Terry Zwigoff and Bill Griffith took offence at the strip, claiming that the satire was not ­understood b ­ ecause it was too close to societal realities that were best left alone. However, this very same radical close-to-home aspect is part of his project and also a goal of the collective work by Aline and Robert. They repeatedly explore what de­fines attraction and repulsion, how one becomes an outcast, and how sexual, social and ethnic forces affect coexistence. Basically, in an extremely ­fascinating way, they produce a psychogram of America, in which they present themselves as case studies. On the spring 2007 cover of the magazine “ Heeb ”, the pair again caricature themselves, and Robert outlines their ­differences in small pointers – next to him are the words: “ Ancestors were farmers ”,12 and next to her: “ Ances­tors sold shmattes. ” 13 Aline also created the nice addition: “ Jew + Goy = Joy ”. However, this combination alone is no guarantee of ­success; too many counter-­ examples demonstrate that. Perhaps Aline’s formula ­requires some additions and refinements then: early suffer­ing caused by family, environment and mainstream cul­ture; a resolution not to ­deceive oneself or others; elements of the Borscht Belt; and lots of collaborative diligence, without which there is no reward. This amounts to: “ Early Alienation + Radical Honesty +  Jewish Humor + Hard Work with a Goy = More Joy ”. May it stay that way.


020 1 Es war der amerikanische Psychiater Fredric Wertham, 1895 in München als Friedrich Wertheimer geboren, der die pseudowissenschaftliche Basis für die Kampagne lieferte. ‹ Seduction of the Innocent › hiess sein bekanntestes Buch. Seinen Studien zufolge waren unter späteren Kriminellen die frühen Comicleser überrepräsentiert. Doch nicht nur stellte sich heraus, dass er seine Daten zurechtbog. Die Logik wurde auch ad absurdum geführt, als einer seiner Kritiker feststellte, dass die Kriminellen auch alle früher Milch tranken. 2 Eines der Lieder auf der CD ‹ World Musette ›, die er 1999 mit den französischen ‹ Primitifs du Futur › aufnahm, ‹ Portrait d’un 78 tard ›, beginnt mit seinen Worten: « Excusez-moi, Monsieur, est-ce que vous avez des disques soixante-dix-huit tours? » 3 Ohne den Vergleich allzu sehr strapazieren zu wollen: Das Abweichen eines begabten Mädchens vom geplanten Lebenslauf, der Verlust der Popularität in der Highschool, die Flucht in eine Subkultur von Aussenseitern, dieses ‹ growing up absurd › – das beschreibt auch die frühen Jahre von Janis Joplin in Port Arthur, Texas. « I need a man to love », sang sie damals schon; ‹ Need More Love › nannte Aline ihr wunderbares ­graphic memoir. Sie sollte die Sängerin nicht mehr kennenlernen – als sie nach San Francisco kam, war Janis bereits tot. Doch Robert kannte sie, mochte sie (im Unterschied zu ihrer Musik) und zeichnete für sie das legendäre ‹ Cheap Thrills ›­­Cover. Gilbert Shelton, der Comickünstler, den Janis in Austin kennengelernt hatte, gehörte zu diesem Freun­deskreis und seine spätere Frau Lora Fountain ebenfalls. Die beiden leben heute wie die Crumbs in Frankreich, Lora ist seit vielen Jahren die Literaturagentin der beiden weltweit: ein beein­ druckendes Beispiel von der Bedeutung wirklich s ­ ozialer Netzwerke, viele Jahre vor Facebook. 4 Ihr Lied erschien 1970 und wurde 27 Jahre später von der US Library of Congress zum ‹ National Treasure › erhoben. Der ­Titel ist eine Referenz auf und Reverenz an Robert Crumbs berühmt gewordenen Strip ‹ Keep on Truckin’ › (1968), der dem Urheber aufgrund einer ihm aufgehalsten Copyright-Streiterei vor allem jahrelanges Kopfweh beschert hat. 5 Tom Wolfe beschreibt die sozio(sub)kulturellen Geschehnisse in der Bay Area in ‹ The Electric Kool-Aid Acid Test › (1968). Es geht darin um die Subkulturen, die Hunderttausende anzogen und vor denen Aline und Robert schliesslich flohen: die Musik, die Drogen, die Spinner und die Hustlers, und im Zentrum der Schriftsteller und LSD -Aktivist Ken Kesey mit seiner Spasstruppe. « The (Merry) Pranksters represented », so Tom Wolfe, « something wilder and weirder out on the road. » 6 Griffin und Moscoso waren auch Kollegen von Crumb in der Szene der Underground-Comics. 7 Neben den ‹ Zap ›-Comics und ihren Ablegern ist Robert Crumb vielen Fans auch wegen ‹ Fritz the Cat › ein Begriff, doch das eher wegen des Films und daher eines Missverständnisses. Er zeichnete die Katergeschichten bereits 1964, und nach langem Zö­gern gab er dem Regisseur Ralph Bakshi sein Einverständnis zur Verfilmung – eine Entscheidung, die er bis heute bereut. 8 Details siehe im Beitrag von Anette Gehrig, Seite 052. 9 Zwigoff drehte 21 Jahre später den aufsehenerregenden Dokumentarfilm ‹ Crumb ›. 10 « … discovered goys and tough Italian boys, and they seemed to go for me. » 11 « He’s not Jewish, but he has a big nose, bad posture an’ bad eyesight, plus he can whine and kvetch better than me! » 12 Es gab in der Werbeagenturszene in New York eine Art Faustregel, dass ein jüdischer Texter und ein italienischer Art Director eine ausgezeichnete Kombination sind. Nun ist Robert zwar kein Italiener, aber er wäre, wenn er sich verkauft hätte, mit seiner Begabung und seinem Training ein brillanter Art Director geworden; er betont auch immer wieder, dass ihn das Zeichnen mehr interessiert, als sich Geschichten aus­ zudenken. Bei Aline war es lange Zeit umgekehrt, die Worte und Geschichten waren ihr wichtiger, auch wenn sie sich über die Jahre zu einer sehr aktiven Malerin entwickelt hat. 13 Sie nannten dieses Heft, da sie schon länger in Frankreich produzierten, wortspielerisch ‹ Verre d’Eau ›. 14 « Die Vorfahren waren Bauern. » Roberts Vorfahren väterlicherseits waren Farmer in Minnesota. Einen Besuch bei Verwandten dort haben die Crumbs und ihre Tochter Sophie als Comic­strip im ‹ New Yorker ›, 3. November 2008, dokumentiert. 15 « Die Vorfahren haben Schmattes verkauft. » Schmattes, aus dem polnischen Wort ‹ szmata ›: jiddisch für Fetzen, alte Stoffe; im wienerischen Jiddisch auch: Trinkgeld.

1 Fredric Wertham, born as Fried­rich Wertheimer in 1895 in ­Munich, provided the pseudo-­ scientific basis for this campaign. His most famous book was called “ Seduction of the Innocent ”. According to his studies, those who read comics in early life were over-represented among those who became criminals later. However, not only did it emerge that he manipulated his data to suit him, but his logic was also mocked when one of his critics noted that all the criminals also drank milk ear­lier in life. 2 “ Portrait d’un 78 tard ”, one of the songs on the CD “ World ­Musette ”, which he recorded in 1999 with the French group Les Primitifs du Futur, begins with his words: “ Excusez moi, Monsieur, est-ce que vous avez des disques soixante- ­­dix-huit tours? ” 3 Without wanting to stress the comparison too much: A talented girl’s deviation from her planned course of life, the loss of high-school popularity, the ­seeking of refuge in a subculture of outsiders and this “ growing up absurd ” – Janis Joplin’s early years in Port Arthur, Texas, could also be described this way. Back then, Janis was already singing “ I Need a Man to Love ”; Aline called her wonderful graphic memoir “ Need More Love ”. She would never meet the singer: when she arrived in San Fran­cisco, Janis was already dead. However, Robert knew her, liked her (albeit not her music) and drew the legendary ­cover of “ Cheap Thrills ” for her. Gilbert Shelton, a comics artist whom Janis had met in Austin, belonged to this circle of friends, as did his later wife, Lora Fountain. Today, these two live in France like the Crumbs, for whom Lora has worked for many years as their literary agent worldwide: an impressive example of the significance of truly social networks, many years before facebook. 4 Their song was released in 1970 and recognized as a “ national treasure ” by the US Library of Congress 27 years later. The title is a reference and reverence to R. Crumb’s 1968 strip “ Keep on Truckin’ ”, which had become famous and which primarily caused its creator a headache that lasted years because of copyright disputes that he was saddled with.

5 Tom Wolfe describes the socio-­ (sub)cultural occurrences in the Bay Area in “ The Electric KoolAid Acid Test ” (1968). The book is about the subcultures that ­attracted hundreds of thousands, and from which Aline and Robert eventually fled: the music, the drugs, the weirdos and the hustlers, and at the center of it all, the writer and LSD activist Ken Kesey with his group of Merry Pranksters. As Wolfe puts it, “ the thing was fantastic, a freaking mindblower, thousands of high-loving heads out there messing up the minds of the cops and everybody else in a ­fiesta of love and euphoria. ” 6 Griffin and Moscoso were also Crumb’s colleagues in the underground comics scene. 7 In addition to the “ Zap ” comics and their spin-offs, R. Crumb is also a household name for many fans because of “ Fritz the Cat ”, but this is more due to the film and thus a misunderstanding. He drew the cat strips back in 1964 and, after much hesitation, he eventually agreed to let director Ralph Bakshi make a film version – a decision that he regrets to this day. 8 For details, see the article by Anette Gehrig, page 052. 9 Zwigoff made the sensational documentary film “ Crumb ” 21 years later. 10 In the New York advertising agency scene, there was a rule of thumb that said a Jewish copywriter and an Italian art director were a winning team. Although Robert is not Italian, with his talent and training, he would have become a brilliant art director if he had sold out; he also repeatedly points out that he is more interested in drawing than in conceiving stories. For Aline, it was the other way around for a long time: the words and stories were more important to her, even though she has become a very active painter over the years. 11 As a play on words, they called this issue “ Verre d’Eau ” because they had been producing it in France for some time. 12 Robert’s ancestors on his father’s side were farmers in Minnesota. The Crumbs and their daughter Sophie documented a visit to relatives there in a comic strip in “ The New Yorker ”, November 3rd, 2008. 13 Shmattes, from the Polish word “ szmata ”: Yiddish for rags, old fabrics; in Viennese Yiddish also: tips at restaurants.


021 Aline  & Robert Aline & R. Crumb: Jew + Goy = Joy 2006


022 Aline Bunch’s Parents 1985


023 Charles  & Robert Sketchbook 1961–1964


024 Robert Honey Bunch Kaminski 1968


025 Robert Dale Steinberger: The Jewish Cowgirl 1969


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.