FLORIAN GR AF Out & About 1
Christoph Merian Verlag
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F L ORI AN GRAF Out & About
FLOR IA N G RA F OU T & ABOU T M
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T E X T B E I T R Ä G E N VON / WITH TEXTS Ines Goldbach, Markus Krajewski, Daniela Settelen-Trees
Christoph Merian Verlag
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VORWORT *** A
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HUMUS D
E KREATIVITÄT Ines Goldbach
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Wann sind Sie eigentlich das letzte Mal durch die Natur gelustwandelt? In Ihrem Garten vielleicht – diesem kleinen, oft hart umkämpften Paradies, in welchem so manchem tierischen Eindringling jäh der Garaus gemacht wurde? Ja, das Hacken und Pflügen, das Stutzen und Züchten, mit dem wir uns oftmals dieses definierte Territorium anzueignen versuchen. Wussten Sie, dass der Begriff des Hortus conclusus vom umzäunten und damit geschützten Gärtchen kommt? Das mag uns an so manchen scheinbar perfekt gestalteten Vorgarten erinnern, an eine Stadtbegrünung, die mitten im Betonierten ein bisschen Wildnis erlauben möchte und doch nicht von der harten urbanen Realität abzulenken vermag. Wo und wie also lassen wir unserer Sehnsucht nach einem idealen, naturverbundenen Sein freien Lauf? Mapprach könnte so ein Ort sein – vor allem in den nächsten Wochen und Monaten. Denn wenn Sie diese Publikation in den Händen halten, hat sich dort schon ein Lebewesen eingenistet, das dem historisch gewachsenen Hofgut etwas Besonderes einverleiben wird: der Künstler Florian Graf. Eine perfekte Wahl. Statt der kultivierten Natur rund um das Gut mit seiner eingezäunten, wildromantischen Weiheranlage und der weiter oben am Berg befindlichen Schirmhütte ein bisschen Kunst zur Seite zu stellen, ist sein Werk Prozess, geplant und unvorhersehbar zugleich. Seine künstlerischen Interventionen werden uns an die Hand nehmen, durch die Landschaft begleiten und den Blick auch auf das scheinbar Unwesentliche lenken. Oder sind Sie bei einem Ihrer Spaziergänge durch die Natur schon einmal auf eine Gedenktafel für einen Schmetterling gestossen, der hier oder dort flatternd durch die Lüfte zog? Und mittendrin der Künstler selbst. Nicht als der, der ein künstlerisches Statement setzt und schon alles wissend an den Ort geht. Gerade für ihn endet das Projekt nicht, wenn die Ausstellung eröffnet und die Skulpturen und Werke gesetzt sind. Ein bisschen mag er sein Revier damit abgesteckt und seine künstlerischen Wegbegleiter positioniert haben. Nun aber wird er selbst im kleinen Holzpavillon (Schirmhütte) oberhalb des Gutes als Eremit wohnen, sich über Besuch, Gespräche und vielleicht auch Geschenke freuen – und wird vor allem zuhören. Zuhören, was
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die Natur zu sagen hat. Das ist nicht der lustige Gärtner im Künstlergewand, kein zeitgenössischer Hofnarr, der dem Ganzen noch das Skurril-Amüsante einhaucht. Vielmehr gibt uns der Künstler mit seiner Anwesenheit und seinem Mitleben und Miterleben eine Idee davon, wie das eigentlich mit der Natur und unserem Aufenthalt in ihr gemeint sein könnte. Gerade den Künstler Florian Graf hierher einzuladen, hätte die Kunsthistorikerin Daniela Settelen-Trees – verantwortlich für das gesamte Projekt – kaum besser wählen können. Und auch die vorliegende Publikation, die als Brevier durch diesen Humus an Kreativität führen wird, ergänzt und begleitet das Projekt richtungsweisend. Ein kulturwissenschaftlich fundierter und poetisch tiefgründiger Text von Markus Krajewski, Professor an der Universität Basel, und ein Gespräch zwischen dem Künstler und der Kuratorin führen uns noch weiter in die Gedankenklause von Natur und Kultur ein. Man könnte sich gut mit diesem schriftlichen Begleiter unter einen schattigen Baum am Weiher setzen, lesen, hören, schwelgen, verstehen, beobachten. Oder aber Sie lassen für einmal alles hinter sich, legen alles aus der Hand und machen sich auf, um durch diese kultivierte und nun durch Florian Graf künstlerisch aktivierte Landschaft zu lustwandeln – wie heisst es so schön bei dem amerikanischen Schriftsteller Henry David Thoreau, der Mitte des 19. Jahrhunderts für zwei Jahre in die Wälder zog, um zu lesen, zu schreiben, nachzudenken und die Natur zu erkunden: «Der Mensch ist umso reicher, je mehr er liegen lassen kann.»
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Eine Giesskanne begiesst sich selbst und scheint sich mit ihrem Inhalt zu füllen – ein vermeintliches Perpetuum mobile, das in vielerlei Hinsicht mit uns in Verbindung steht. Es heisst, jeder sei seines eigenen Glückes Schmied und somit für seine Erfüllung selbst verantwortlich. Gleichzeitig ahnt man, dass die viel propagierte Selbstverwirklichung – das deutsche Wort für self-fulfilment – in einen geschlossenen Kreislauf mündet, der nur noch sich selbst genügt. ‹Self Fulfillment› lässt die Gedanken und die Augen kreisen. Sie geraten in einen fliessenden Loop, in eine schwungvolle Achterbahnfahrt. Und der Gärtner? Der wurde unterdessen überflüssig. Sein Werkzeug wurde zum Protagonisten.
‹SELF FULFILLMENT› 2018
The watering can waters itself and seems to be filling itself with its own content – a matter of perpetual motion that has much to do with ourselves. They say we are the architects of our own fortune and therefore responsible for our own fulfilment. At the same time something tells us that highly touted selffulfilment is self-perpetuating, serving only itself. Self Fulfillment makes thoughts and eyes turn round in circles. They end up in a flowing loop, in a buoyant roller coaster ride. And the gardener? He has become superfluous. Instead, his tool has become the protagonist.
Inschriften haben eine lange Tradition in Gärten, und Gedenktafeln zur Erinnerung an die Wohn- oder Geburtsstätte einer Persönlichkeit finden sich an Häusern in den meisten Städten. Die ‹Blue Plaque› Serie bringt solche urbanen Tafeln in den Landschaftsgarten und gedenkt unterschiedlicher Parkbewohner. Der Baum wird so zum Wohnhaus eines Spechtes, die junge Vogelbeere zur für unsere Verhältnisse kurzweiligen Wohnstätte eines Schmetterlings, oder der Boden zum über hundert Jahre langen Wohnort eines Baumes. Wie benennen wir Tiere und Pflanzen? Wie erinnern wir uns an sie? Hat die Namensgebung mit der Beziehung zu ihnen zu tun? Hier lebten Nutztiere, Zierpflanzen, wilde Tiere und Bäume, und gleichzeitig auch Wesen wie das Glück, das einen unsteten Lebenswandel zu führen scheint, immer irgendwie out & about lebt.
‹BLUE PLAQUES› (ABIES PINSAPO, CH 120.1199.1996.2, DONKEY MIRO, FLORIAN GRAF, GOOD IDEA, HAPPINESS, NARCISSUS, PEACOCK BUTTERFLY, WOOD PECKER) 2018
Inscriptions are venerable features of gardens, and memorial plaques on the homes or birthplaces of important personalities can be seen on buildings in practically every city. The Blue Plaque series locates such plaques in the landscape garden to commemorate various residents of the park. The tree becomes the home of a woodpecker, the young rowan a butterfly’s short-term abode, and the earth a tree’s centuries-old place of residence. How do we name animals and plants? How do we remember them? Does their naming affect our relationship with them? Domestic animals, decorative plants, wild animals and trees live here and at the same time such creatures as happiness, which seems to lead a rather unsteady life and is somehow always out & about.
Wenn eine Krücke frei da steht, dann hat sie sich offensichtlich emanzipiert. Sie ist nicht mehr nur das stützende Hilfsmittel, das dem Heilungsprozess nach einem Beinbruch dienlich ist. Jetzt steht sie aufrecht und ist selbständig. Wenn sie aber selbst im Gips geht, dann scheint sie einen Heilungsprozess zu durchleben. Das passive Objekt wurde zum aktiven Subjekt. Das war natürlich ohne einen Bruch und gewisse Schmerzen nicht möglich …
‹THE BOTANY OF HEALING› 2018
The sight of a freestanding crutch unmistakably indicates that it has emancipated itself. It is no longer just a support that assists in the healing process after breaking a leg. There it stands, upright and independent. But since it is out and about in plaster, it seems to be going through a healing process itself. The passive object has become an active subject. Of course, that was not possible without a rupture and a certain amount of pain …