EINLEITUNG
INTRODUCTION
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EIN LAND GEHT BADEN – UND DIE WELT MACHT MIT Barbara Buser, Andreas Ruby, Yuma Shinohara
A COUNTRY GOES SWIMMING – AND THE WORLD JOINS IN Barbara Buser, Andreas Ruby, Yuma Shinohara
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ALLES IM FLUSS
EVERYTHING IN FLUX
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DIE GESCHICHTE DES BADENS IN DER SCHWEIZ Stéphanie Sonnette
A HISTORY OF SWIMMING IN SWITZERLAND Stéphanie Sonnette
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ZWISCHEN SPASS UND SICHERHEIT Philipp Binaghi
BALANCING BETWEEN FUN AND SAFETY Philipp Binaghi
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FLUSSGESCHICHTEN
RIVER STORIES
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BASEL: VOM FLUSS GETRAGEN Aline Wanner PROFIL
BASEL: CARRIED BY THE RIVER Aline Wanner PROFILE
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BERN: FÜNFZEHNKOMMAZWEI GRAD Christof Gertsch PROFIL
BERN: FIFTEEN-POINT-TWO DEGREES Christof Gertsch PROFILE
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ZÜRICH: SO SCHÖN, ES TUT WEH ! Nina Kunz PROFIL
ZURICH: SO BEAUTIFUL THAT IT HURTS ! Nina Kunz PROFILE
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GENF: KÄSEKUCHEN Kathinka Salzmann PROFIL
GENEVA: CHEESECAKE Kathinka Salzmann PROFILE
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RAHMENBEDINGUNGEN DES FLUSSSCHWIMMENS
PREREQUISITES FOR RIVER SWIMMING
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ES FLIESST WEITER
IT FLOWS ON
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SCHWIMMEN IM HAFEN Interview mit Tina Saaby
A HARBOUR TO SWIM IN Interview with Tina Saaby
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INTERNATIONALE PROJEKTE: BERLIN, Deutschland: Flussbad Berlin BRÜSSEL, Belgien : POOL IS COOL LONDON, Grossbritannien : Thames Baths PARIS, Frankreich : Ilot Vert BOSTON, USA : Charles River Swimming Initiative NEW YORK, USA : +POOL
INTERNATIONAL PROJECTS: BERLIN, Germany : Flussbad Berlin BRUSSELS, Belgium : POOL IS COOL LONDON, UK : Thames Baths PARIS, France : Ilot Vert BOSTON, US : Charles River Swimming Initiative NEW YORK, US : +POOL
180 186 190 194 198 202
ANHANG
APPENDIX
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Kurzbiografien Dank Impressum
Contributors Acknowledgements Imprint
212 216 218
66
96
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EINLEI-
TUNG
INTRO
BARBARA BUSER, ANDREAS RUBY, YUMA SHINOHARA
EIN LAND GEHT
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MACHT MIT
A COUNTRY GOES
DIE WELT
SWIMMING – AND
BADEN – UND
THE WORLD JOINS IN
FLUSSSCHWIMMEN IN DER SCHWEIZ
All over the world, people are rediscovering the rivers, harbours and canals in their own cities as spaces for leisure and socialising. In cities such as London, New York, Berlin and Paris, young designers and activists are proposing daring interventions and staging actions in public space in a bid to reclaim urban waterways as spaces for people. Despite enduring obstacles such as suboptimal water quality, inflexible regulations, aloof politics or a sceptical public, urban river swimming has become a movement that continues to gather pace. In many respects, Switzerland can be seen as a pioneer of this movement. Over the last few decades, cities such as Basel, Bern, Zurich and Geneva have successfully reclaimed their rivers as natural and public resources within the built environment. Today, waterways that were once reserved for industry are being used as everyday recreation areas, situated in the middle of the city and constituting an integral part of residentsʼ daily lives. Nowhere does the notion of the ‘right to the city’ find more meaningful expression than in these Swiss rivers : people taking a quick dip in the river during their lunch breaks are just as central to the image of the modern Swiss city as many a famous building. Yet what appears so natural today is in fact the result of a long history of consensus-building between citizens, institutions and the government, often initiated from the grassroots. Urban swimming in Switzerland is not a unified national movement, but rather emerged in different cities relatively independently of one another. Here, each place established its own local tradition, often influenced by the specific topographical and cultural characteristics of the city. In Bern, the tradition of swimming in the Aare has been able to develop uninterrupted for centuries, and features a river with a relatively fast current and a rather cold water temperature. In Zurich, swimming in the Limmat is often organised around bathhouses with showers and changing rooms, like those at open-air swimming pools. In Basel, on the other hand, people swim for almost two kilometres in the open river, taking their clothes with them in waterproof bags. Finally, in Geneva, swimming in the Rhone has developed only recently, as an urban echo of the swimming traditions in Lake Geneva, which have a far longer history. What all four places have in common is the fact that daily swimming has made the river an important public space that is now an inextricable part of not only how these cities see themselves, but also how they are perceived.
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Das urbane Schwimmen in der Schweiz ist keine einheitliche nationale Bewegung, sondern in verschiedenen Städten relativ unabhängig voneinander entstanden. Jeder Ort hat dabei seine eigene lokale Tradition begründet, die oft von den jeweiligen topografischen und kulturellen Besonderheiten der Stadt geprägt ist. In Bern gibt es eine seit Jahrhunderten ununterbrochene Tradition des Schwimmens in der Aare. In Zürich ist das Schwimmen in der Limmat oft über Badehäuser mit Duschen und Umkleidekabinen organisiert, wie man sie von Freibädern kennt. In Basel dagegen schwimmt man fast zwei Kilometer lang im offenen Fluss und führt seine Kleider in einem wasserdichten Kleidersack mit sich mit. In Genf schliesslich hat sich das Schwimmen in der Rhone erst seit kurzer Zeit entwickelt als ein urbanes Echo auf das schon viel länger etablierte Baden im Genfersee. Was alle vier Orte gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass der Fluss durch das alltägliche Schwimmen zu einem wichtigen öffentlichen Raum wurde, der aus dem Selbstverständnis, aber auch der Wahrnehmung dieser Städte nicht mehr wegzudenken ist.
RIVER SWIMMING IN SWITZERLAND
Überall auf der Welt entdecken die Menschen die Flüsse, Häfen und Kanäle in ihren eigenen Städten als Freizeit- und Sozialräume. In Städten wie London, New York, Berlin und Paris schlagen junge Designer und Aktivisten Interventionen vor und inszenieren Aktionen im öffentlichen Raum, um urbane Wasserwege als Räume für Menschen zurückzugewinnen. Auch wenn es oft noch Hindernisse gibt wie suboptimale Wasserqualität, technokratische Vorschriften, eine reservierte Politik oder eine skeptische Öffentlichkeit : Das urbane Flussschwimmen ist zu einer Bewegung geworden, die immer mehr Fahrt aufnimmt. Die Schweiz kann in vielerlei Hinsicht als Pionierin dieser Bewegung angesehen werden. In den letzten Jahrzehnten haben Städte wie Basel, Bern, Zürich und Genf ihre Flüsse als natürliche und öffentliche Ressource innerhalb der gebauten Umwelt erfolgreich zurückgewonnen. Einst für die Industrie reservierte Wasserstrassen werden heute als alltägliche Erholungsgebiete genutzt. Sie liegen mitten in der Stadt und bilden einen festen Bestandteil im Alltag ihrer Bewohner. Nirgends findet die Vorstellung des ‹Rechts auf die Stadt› einen sinnfälligeren Ausdruck als in den Flüssen der Schweiz : Menschen, die in den Mittagspausen kurz in den Fluss eintauchen, sind für das Bild der modernen Schweizer Stadt ebenso wichtig wie viele berühmte Gebäude. Aber was heute so selbstverständlich erscheint, ist in Wirklichkeit das Ergebnis einer langen Geschichte der Konsensbildung zwischen Bürgern, Institutionen und der Regierung, die oft von der Basis aus initiiert wurde.
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Dass man heute so selbstverständlich in den Flüssen der Schweizer Städte schwimmen kann, hat konkrete Gründe. Ein wesentlicher ist eine pragmatische rechtliche Risikobetrachtung. In der Schweiz ist das Schwimmen im bewegten Wasser grundsätzlich gesetzlich erlaubt, auch wenn es an bestimmten Orten Badeverbote gibt. Schwimmen im Fliesswasser ist riskant, das bestreitet selbst in der Schweiz niemand. Aber während in anderen Ländern dieses Risiko durch Verbote ausgeschlossen wird, wird es in der Schweiz vergesellschaftlicht. Grundsätzlich traut die Schweiz ihren Bürgern zu, ihre individuellen Schwimmfähigkeiten realistisch einzuschätzen und das konkrete Risiko abwägen zu können. Dafür wird die Öffentlichkeit über die spezifischen Anforderungen und Gefahren des Flussschwimmens aufgeklärt und eine Infrastruktur zur Verfügung gestellt, die das gefahrlose Ein- und Aussteigen an den Flüssen gewährleistet. Diese Kultur des demokratisierten Risikos wäre unmöglich ohne die politische Kultur des Schweizer Gemeinwesens, in der viele gesamtgesellschaftlich relevante Entscheidungen nicht top-down von der Politik getroffen, sondern in einem Dialog mit der Bevölkerung entwickelt werden. So gab es in den 1930er-Jahren politische Bestrebungen, das Schwimmen in Flüssen aus Sicherheitsbedenken polizeilich zu verbieten. Dies mobilisierte den Widerstand von tausenden Schwimmbegeisterten. Wenn die Sicherheit das Problem sei, werde man dieses lösen, sagten sie und gründeten die Schweizerische Lebensrettungs-Gesellschaft ( SLRG ), die seitdem über das sichere Schwimmen in den Schweizer Gewässern, und damit auch den Flüssen, wacht. Eine mindestens ebenso wichtige Voraussetzung für das Flussschwimmen in der Schweiz ist die aussergewöhnliche Wasserqualität der Flüsse. Diese ist zum einen geografisch bedingt, weil viele der Schweizer Flüsse im Land selbst entspringen, das Wasser in der Regel also nur wenige hundert Kilometer geflossen ist, wenn es in einer Stadt ankommt. Zum anderen gilt Wasser im ‹Wasserschloss› Schweiz als eine besonders wertvolle natürliche Ressource. Daraus resultiert ein hohes Verantwortungsbewusstsein, die Flüsse vor Verschmutzung zu schützen. Oft kam der Impuls dazu von der Zivilgesellschaft – wie zum Beispiel das erfolgreiche Volksbegehren zum ‹Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung› von 1967, das 1971 in Form eines verstärkten Gewässerschutzgesetzes formalisiert wurde. Als Folge dieses Gesetzes wurden überall in der Schweiz moderne Kläranlagen installiert : Wo 1965 nur 14 Prozent der Bevölkerung an eine zentrale Kläranlage angeschlossen waren, stand der Prozentsatz 2005 bei 97 Prozent. 1 Dies führte zum
There are specific reasons why swimming in the river is such a natural part of the modern Swiss city. One key reason is a pragmatic legal approach to risk. In Switzerland, swimming in moving water is generally allowed by law, despite specific bans on swimming at certain locations. Swimming in moving water is risky – nobody disputes that, not even in Switzerland. However, while in other countries the approach to this risk has been to ban the practice outright, the Swiss strategy has been to collectivise the risk. Basically, Switzerland considers its citizens capable of realistically assessing their individual swimming abilities and determining the specific risk at hand. To this end, the public is informed about the specific requirements and dangers of swimming, and an infrastructure is provided to guarantee that people can get in and out of the water safely. This culture of democratised risk would be impossible were it not for the dominant political culture in Switzerland, where many decisions of relevance to society as a whole are not made in a top-down manner by politicians, but are developed in dialogue with the population. In the 1930s, for instance, there were political efforts to make it illegal to swim in rivers, out of concerns for safety. This provoked resistance from thousands of swimming enthusiasts. They said that if safety was the problem, they would solve it, and founded the Swiss Lifesaving Society ( SLRG ), which has been supervising safe swimming in Swiss waters – including the rivers – ever since. Another prerequisite of at least equal importance for river swimming in Switzerland is the extraordinary water quality of the local rivers. The country has, firstly, its geography to thank for this : because many Swiss rivers have their sources in the country itself, the water has generally only been flowing for a few hundred kilometres by the time it reaches a city. Secondly, in Switzerland, which is often likened to a giant ‘water reservoir’, water is considered a particularly valuable natural resource. As a result, there is a strong sense of responsibility to protect the rivers against pollution. This is something that has often been driven by civil society, one example being the successful 1967 referendum to ‘protect the waters against contamination’, which was formalised as a stricter water protection act in 1971. One consequence of this act was that modern sewage treatment plants were installed all over Switzerland : where only 14 per cent of the population were connected to a central sewage treatment plant in 1965, this figure had risen to 97 per cent by 2005. 1 This has led to a
DIE INTERNATIONALE SZENE
spectacular improvement of water quality in the Rhine in Basel for instance, and the situation was similar in other cities as well. Another one of the conditions allowing for river swimming in Switzerland is the efficiency and thoroughness of the public administration, as well as civil society’s consensus on solving problems together with everyone who is involved. Urban waterways are complex and call for considerable coordination between very different actors, such as police, industry, city council, cantonal government and, last but not least, the population itself. In the 1980s, for example, the Basel branch of the SLRG brought together various actors with interests in the Rhine to draw up the first edition of the river-swimming map ‘dr Bach ab’. In Geneva, the ARVe ( Association pour la Reconversion Vivante des espaces ) acts as an interface between the cantonal and municipal governments in order to harmonise their different visions for the river. Currently, it is mediating between multiple stakeholders towards the implementation of a park along a section of the Rhone that is popular among swimmers. In many cities, one finds both formal and informal associations involved in advancing knowledge about water and its risks. For instance, the annual Basel swimming event Rheinschwimmen was originally meant to allow for experienced Rhine swimmers to pass on their knowledge to people who had not yet gone swimming in the river. In Bern, the SLRG worked closely with the city council to launch the campaign ‘Aare You Safe ?’, which informs visitors about the river’s dangers, but also encourages locals to watch out for people in need of help. What the Swiss have been enjoying in their cities for decades, people all over Europe and beyond are now rediscovering for themselves. The gradual migration of heavy industry from urban centres in the 1980s and 1990s has led to urban waterways becoming, once again, a contested space in many cities. Residents of more and more cities are recognising the advantages of swimmable urban waterways and are campaigning to get this topic onto the political agenda and thus incorporated into urban development plans. In this way, Copenhagen’s harbour has been gradually transformed over the last few decades from an industrial area into a recreational zone. The mayor of Paris, Anne Hidalgo, has set a goal of making the Seine swimmable again in time for the 2024 Olympic Games. Other projects are coming about elsewhere via bottom-up ini-
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Was die Schweizer seit Jahrzehnten in ihren Städten geniessen, entdecken Menschen in ganz Europa und darüber hinaus jetzt für sich. Mit der Abwanderung der Schwerindustrie aus den städtischen Zentren in den 1980er- und 1990er-Jahren ist der urbane Wasserraum in vielen Städten wieder ein ‹umkämpfter Raum› geworden. Die Bürger von immer mehr Städten erkennen die Vorteile von schwimmbaren städtischen Gewässern und setzen sich dafür ein, dieses Thema auf die politische Agenda zu setzen, damit es in die Stadtentwicklung einfliesst. Auf diese Weise ist in Kopenhagen in den letzten Jahrzehnten aus dem Hafenbereich, der bis dahin in erster Linie für Industriefunktionen genutzt wurde, ein Erholungsraum entstanden. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat sich zum Ziel gesetzt, das Wasser der Seine bis zu den Olympischen Spielen 2024 so zu reinigen, dass die Bürger im Fluss der Stadt
THE INTERNATIONAL SCENE
Beispiel in Basel zu einer eklatanten Verbesserung der Wasserqualität des Rheins – Ähnliches gilt auch für andere Städte. Ein weiteres Atout des Schweizer Flussschwimmens sind die Effizienz und Gründlichkeit der öffentlichen Verwaltung und der zivilgesellschaftliche Konsens, Probleme mit allen Beteiligten gemeinsam zu lösen. Die städtischen Gewässer sind komplex und erfordern viel Koordination zwischen verschiedensten Akteuren wie Polizei, Industrie, Stadt- und Kantonsregierung und nicht zuletzt natürlich der Bevölkerung selbst. So brachte die Basler SLRG zum Beispiel verschiedene Akteure mit Interessen am Rhein an einen Tisch, um die Flussschwimm-Karte ‹dr Bach ab› in den 1980er-Jahren zusammenzustellen. In Genf funktioniert der Verein ARVe ( Association pour la Reconversion Vivante des espaces ) als Schnittstelle zwischen den kantonalen und kommunalen Regierungen, um ihre unterschiedlichen Visionen für den Flussraum in Einklang zu bringen. Er vermittelt zwischen mehreren Interessengruppen bei der Realisation eines Parks an einem bei Schwimmern beliebten Abschnitt der Rhone. In vielen Städten gibt es sowohl formelle wie informelle Vereinigungen, die sich dafür engagieren, das Wissen über das Wasser und seine Risiken zu fördern. So entstand das jährlich stattfindende Basler Rheinschwimmen mit dem Ziel, dass erfahrene Rheinschwimmer ihr Wissen an die Menschen weitergeben, die bis dahin noch nicht im Fluss geschwommen sind. In Bern lancierte die SLRG in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung die Aufklärungskampagne ‹Aare You Safe?›, um einerseits Besucher der Stadt für die Gefahren des Flusses zu sensibilisieren, aber andererseits auch die Einheimischen anzuregen, auf diejenigen zu achten, die Hilfe benötigen.
DIE POLITISCHE RELEVANZ DES URBANEN FLUSSSCHWIMMENS
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Denn letztlich geht es beim urbanen Flussschwimmen nicht nur um Erholung. Seine tiefere Bedeutung liegt in der Neuerfindung des öffentlichen Raums, und zwar in einem historischen Moment, in dem er aufgrund zuneh-
THE POLITICAL RELEVANCE OF URBAN RIVER SWIMMING
schwimmen können. In anderen Städten entstehen solche Projekte durch Bottom-up-Initiativen, so zum Beispiel das Flussbad Berlin, das 1997 von den Künstlern und Architekten Jan und Tim Edler initiiert, mittlerweile parteiübergreifend unterstützt und von der deutschen Bundesregierung sowie dem Senat von Berlin als Leuchtturmprojekt der aktuellen Stadtentwicklung gefördert wird. In Brüssel kritisiert die von Architekten, Designern, Planern, Ökonomen und Soziologen gestartete Initiative POOL IS COOL die Tatsache, dass es in der Stadt kein öffentliches Freibad gibt, und ruft mit urbanen Performances die Bevölkerung dazu auf, Orte für das Schwimmen im öffentlichen Raum einzufordern. In New York haben vier junge Designer mit +POOL, einem schwebenden Schwimmbad mitten im Fluss, auf das Paradox aufmerksam gemacht, dass die New Yorker zum Baden im Freien weit fahren müssen, obwohl sie allseits von Wasser umgeben sind. Interessant sind alle diese Initiativen nicht nur wegen der Projekte an sich, sondern auch der unkonventionellen Formen ihrer Realisierung. Sie sind in der Regel von Architekten geplant, funktionieren aber anders als gewöhnliche Architekturprojekte, weil sie oft keinen direkten Bauherrn haben, sondern von einer Gruppe von Interessierten in Gang gesetzt werden – mit Hilfe von innovativen PR-Kampagnen, Crowd-Funding-Aufrufen, Machbarkeitsstudien, Vereinsgründungen und nicht zuletzt einem ausgefeilten Lobbying bei der lokalen Politik und Wirtschaft. Bei all ihrer Verschiedenheit offenbaren die Projekte, wie komplex das Unterfangen, urbane Flüsse schwimmbar zu machen, tatsächlich ist. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen vorher eine ganze Reihe anderer Fragen geklärt werden : Was passiert mit den bisherigen – industriellen – Funktionen der Flüsse wie Abwasserentsorgung und Schifffahrt ? Wie viel begleitende Infrastruktur ist nötig, um das Schwimmen zu ermöglichen ? Welche Rolle soll die Stadt spielen in der Planung, welche Aufgaben können die Nutzer im Eigeninteresse übernehmen ? Welche Sicherheitsvorkehrungen und -systeme sind nötig, um bei Badeunfällen effektiv eingreifen zu können ? Und wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Anwohnern und Schwimmern ? Projekte zum urbanen Schwimmen werden rasch zu einer Herausforderung für die Initiatoren. Denn diese realisieren bald, dass sie zwar den Anstoss geben können, aber für die Realisierung den konzertierten Goodwill von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Bevölkerung brauchen.
tiatives, such as the river swimming project Flussbad Berlin : initiated in 1997 by the artists and architects Jan and Tim Edler, the project now enjoys broad political support as well as financial backing from the federal government in Germany and the Senate of Berlin as an exemplary project for urban development. In Brussels, the initiative POOL IS COOL, launched by a collective of architects, planners, designers, economists and sociologists, critiques the absence of open-air swimming pools in the city and – through urban interventions – calls on the population to demand places for swimming in public space. With +POOL, a floating swimming pool in the middle of the river in New York, four young designers have drawn attention to a paradox : the fact that New Yorkers have to travel a long way to swim outdoors despite being surrounded by water on all sides. All of these initiatives are interesting not just because of the projects themselves, but also because of the unconventional ways in which they have come to be. They are generally planned by architects, but function differently from normal architectural projects, as they often have no direct client and are instead set in motion by a group of interested parties – with the aid of innovative PR campaigns, crowdfunding appeals, feasibility studies, the founding of associations and, last but not least, sophisticated lobbying of local politics and business. In all their differences, the projects show how complex a task it really is to make urban rivers swimmable. In order to achieve this goal, a whole array of different questions first have to be answered : What happens to pre-existing industrial functions of the rivers such as shipping and transport ? How much auxiliary infrastructure is needed to make swimming possible ? What role should the city play in the planning, and which tasks can the users take on of their own initiative ? What safety precautions and systems are necessary to enable effective intervention in the event of swimming accidents ? What is the relationship between waterside residents and swimmers ? Urban swimming projects quickly become a challenge for the initiators, who soon realise that although they can get things started, implementation requires the concerted goodwill of politicians, authorities, businesspeople and the public. This is because urban river swimming is ultimately not just about recreation. Its deeper significance resides in the re-invention of public space at a historic moment – a moment when its existence is
subject to increasing pressure from the growing commercialisation of city centres. At a time when rising land prices mean that cities represent increasingly lucrative territory for capital growth, public space soon proves to be an obstacle to profit – land that is used publicly cannot be exploited economically, after all. Exceptions, such as the profit-driven conversion of city squares into pay-to-use ( and therefore sealed-off ) public viewing areas during commercial sports events such as the World Cup, serve to prove the rule. Ultimately, public spaces today are the last enclaves of a community-oriented logic whereby a space’s practical value to society is rated higher than its privately exploitable exchange value. This anomaly forms the basis of river swimming’s political significance. The use of the river for swimming provides society with the opportunity to recognise the special value of this space. Anyone who experiences the city from the river understands the meaning of this water for the city : it is liquid public space. This space simultaneously belongs to nobody and to everybody. The most important open space in Basel, for example, is without a doubt the Rhine, both in terms of its dimensions and how it is used. There is no other place in the city where ( during the warm part of the year ) so many people, and such different people, come together and experience being part of the same urban society. Likewise, it is impossible to imagine Bern without collective swimming in the Aare, which, through its deeply carved valley, represents a double caesura in the body of the city. Thanks to Flussbad Berlin, the Museum Island area – predominantly used for commemorative and touristic purposes today – will be interwoven with the rest of the city in a completely new way, bringing more residents to this central location again. The same certainly also applies to Paris, London, New York and many other cities. Swimming in a city’s river is never just about leisure. It is much more than a swim in an open-air bathing pool. It is a city’s sovereigns taking in the city with all of their senses, engaging in a symbolic act of spatial identification. In this respect, the Swiss tradition of urban river swimming provides democratic societies with a vital cultural technique for the cultivation and celebration of their values and qualities. To no small extent, that explains the sustained popularity of this phenomenon abroad. In recent years, all booming cities have had to grapple with the problem of their residents being forced out to the periphery as a result of the city centre’s growing commercial appeal. In order
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mender Kommerzialisierung der Innenstädte unter einen immer stärkeren Druck gerät. Wenn Städte angesichts steigender Bodenpreise ein immer lukrativeres Territorium zur Kapitalvermehrung darstellen, erweist sich öffentlicher Raum schnell als Gewinnhindernis, weil sich der Grund und Boden, der öffentlich genutzt wird, nicht direkt ökonomisch verwerten lässt – Ausnahmen wie die ökonomische Verwandlung von städtischen Plätzen zu zahlungspflichtigen und deswegen abgesperrten Public-Viewing-Bereichen während kommerzieller Sportereignisse wie Fussballweltmeisterschaften bestätigen die Regel. Letztlich sind öffentliche Räume heute die letzten Enklaven eines Gemeininteresses, das den gesellschaftlichen Gebrauchswert eines Raumes höher als seinen privat verwertbaren Tauschwert stellt. Diese Anomalie begründet die politische Bedeutung des Flussschwimmens, und die Nutzung des Flusses zum Schwimmen eröffnet der Gesellschaft eine Möglichkeit, den besonderen Wert dieses Raums zu erfahren. Wer die Stadt vom Fluss aus erlebt, spürt die Bedeutung dieses Wassers für die Stadt : Er ist flüssiger öffentlicher Raum. Der Raum gehört niemandem und allen gleichzeitig. So ist der wichtigste Freiraum Basels ganz ohne Zweifel der Rhein, sowohl von der Ausdehnung als auch seiner Ausnützung her gesehen. Es gibt keinen anderen Ort in der Stadt, in der während der warmen Jahreszeit so viele und so unterschiedliche Menschen zusammenkommen und sich als Teil derselben Stadtgesellschaft erfahren. Genauso ist Bern undenkbar ohne das kollektive Schwimmen in der Aare, die in ihrem tief ausgeschnittenen Tal eine doppelte Zäsur im Stadtkörper darstellt. Das Flussbad Berlin wird den Raum der Museumsinsel, die jetzt überwiegend repräsentativ und touristisch genutzt wird, völlig neu mit der Stadtgesellschaft verweben und die Bewohner wieder stärker an diesen zentralen Ort holen. Dasselbe trifft sicherlich auch für Paris, London, New York und viele andere Städte zu. Das Schwimmen im Fluss einer Stadt ist nie nur praktische Freizeitbeschäftigung. Es ist viel mehr als das Baden in einem Freibad. Es ist die sinnliche Einnahme der Stadt durch ihren Souverän und insofern auch ein symbolischer Akt der räumlichen Identifikation. Insofern stellt die Schweizer Tradition des urbanen Flussschwimmens den demokratischen Gesellschaften der Gegenwart eine vitale Kulturtechnik zur Verfügung, ihre Werte und Qualitäten zu pflegen und zu zelebrieren. Dies erklärt nicht zuletzt die anhaltende Popularität dieses Phänomens im Ausland, weil alle boomenden Grossstädte seit einigen Jahren mit dem strukturellen Problem kämpfen, dass aufgrund der wachsenden kommerziellen Attraktivität ihrer Innenstädte ihre Bewohner zunehmend an den Rand gedrängt werden. Um
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B Schwimmende beim Zürcher Grendeltor um 1770. Kupferstich von Johann Balthasar Bullinger. © Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv. C Die Badehäuser auf der Rhone an der Pont de la Machine in Genf, gebaut 1889 und abgerissen 1918. © Bibliothèque de Genève. D Das Flussbad Unterer Letten auf der Limmat in Zürich. Gebaut in Holzbauweise im Jahr 1896, erfreut es sich auch heute noch grosser Beliebtheit. © Stadt Zürich. E Der Vidy-Strand, inspiriert von den Theorien des Arztes Auguste Rollier, ist für den Kuraufenthalt gesundheitsbeeinträchtigter Kinder während der Sommerferien bestimmt. © coll. Musée historique Lausanne. F Der Andrang in den damals neuen Bains des Pâquis in Genf um 1932, Ansicht der Männerbad-Seite. © Bibliothèque de Genève.
B Swimmers near Zurichʼs Grendel Gate, c. 1770. Copper engraving by Johann Balthasar Bullinger. © Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv. C The bathhouses on the Rhone at Pont de la Machine in Geneva, built in 1889 and demolished in 1918. © Bibliothèque de Genève. D The Unterer Letten river-swimming facility on the Limmat in Zurich. Built as a wooden structure in 1896, it is still highly popular to this day. © Stadt Zürich. E Vidy Beach, inspired by physician Auguste Rollierʼs theories, was designed for health-impaired children staying at a health resort during the summer holidays. © coll. Musée historique Lausanne. F In 1932, Genevaʼs new Bains des Pâquis drew the crowds. View of the side reserved for male swimmers. © Bibliothèque de Genève.
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G Postkarte mit Ansicht des Wellenbads in der ‹Ka-We-De›, Bern-Dahlhölzli, im Jahr 1933. © Staatsarchiv des Kantons Bern, T. A Bern: Sportanlagen 3. Photoglob-Wehrli & Vouga Co. H Das Flussbad Oberer Letten auf der Limmat in Zürich wurde 1952 in Beton konstruiert und 2012 vollständig saniert. © Walter Mair.
G Postcard with view of the Ka-We-De wave pool, Dahlhölzli, Bern, 1933. © Staatsarchiv des Kantons Bern, T. A Bern: Sportanlagen 3. Photoglob-Wehrli & Vouga Co. H The Oberer Letten river-swimming facility on the Limmat in Zurich was constructed in concrete in 1952 and fully renovated in 2012. © Walter Mair.
PROFIL BASEL
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A Rheinbad Breite B Solitude-Park C Rote Bojen D Wettsteinbrücke E Mittlere Brücke F Rheinpromenade und Kasernen-Buvette (>S. 44) G Johanniterbrücke H Rheinbad St. Johann I Letzter Ausstieg vor dem Hafen (>S. 46) J Dreirosenbrücke K Rheinhafen
A Rheinbad Breite B Solitude Park C Red buoys D Wettstein Bridge E Middle Bridge F Rhine Promenade and Buvette Kaserne (>p. 45) G Johanniter Bridge H Rheinbad St. Johann I Last exit before the port (>p. 47) J Dreirosen Bridge K Port of Basel
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PROFIL BERN
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PROFILE BERN
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A Eichholz camping ground B Dählhölzli Zoo and Ka-We-De (>p. 27) C Schönau Bridge D Marzili baths E Federal Palace F Dam G Promenade at Bärenpark Zoo H Historic centre I Lorraine baths
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A Campingplatz Eichholz B Tierpark Dählhölzli und Ka-We-De (>S. 27) C Schönausteg D Marzilibad E Bundeshaus F Wehr G Promenade am Bärenpark H Altstadt I Lorrainebad
+POOL aims to bring river swimming back to New York City by installing a floating pool in one of the rivers around Manhattan. The structure acts like a giant water filter, preventing debris, contaminants and odours from entering through its walls and thus ensuring consistent water quality within the pool. Its plus-shaped form allows it to be subdivided into four separate pools ( a kids’ pool, a sports pool, a lap pool and a lounge pool ) or combined to form larger pools according to demand. The project originates from a 2010 idea by the four friends and designers Oana Stanescu, DongPing Wong, Archie Lee Coates IV and Jeff Franklin. Following two rounds of successful crowdfunding that raised over 300,000 USD and funded initial research and development, the project team founded a non-profit organisation, Friends of +POOL, in 2015 to fund the final design, development and construction of the project and sustain long-term operations focused on the community it serves. The non-profit form – which had been successfully adopted by another urban-design initiative in New York, the Friends of the High Line – allows the project to cultivate personal and corporate connections and develop a body of expertise through its board. At the same time, this form has also allowed the project to expand its activities beyond simple realisation, allocating funds towards supporting initiatives such as a learn-to-swim programme for low-income families, in-school education regarding water quality and environmental art programmes. After undertaking a feasibility study and proving the effectiveness of the proposed filtering system in the river, the project has begun negotiations with local government agencies to define a site for the pool. Thanks to its striking visuals, simple concept and savvy use of social media and branding, the project has managed to grow an impressive community of supporters. As an initiative that takes its online presence very seriously, networks horizontally with professionals in related fields and uses this presence to leverage change in real life, +POOL represents a new way of thinking about how architects and designers can become actively involved in social and urban transformation.
Ort / Location : Idee / Idea : Tätig / Active :
New York, US Oana Stanescu & Dong-Ping Wong ( Family New York ), Archie Lee Coates IV & Jeff Franklin ( PlayLab, Inc. ) 2010 – ( Konzept / Concept ), 2015 – ( Organisation ) www.pluspool.org @pluspoolny ( Facebook, Twitter, Instagram )
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+POOL möchte mit einem schwimmenden Pool in einem der Flüsse um Manhattan das Flussschwimmen in New York City wieder etablieren. Die Anlage funktioniert wie ein gigantischer Wasserfilter, der verhindert, dass grosse Partikel, Schadstoffe und Gerüche durch die Wände eindringen. Dadurch wird eine gleichbleibend hohe Wasserqualität im Pool gewährleistet. Das Design in Form eines grossen Plus-Zeichens kann in vier separate Pools unterteilt werden – ein Kinderbecken, ein Sportbecken, ein Becken zum Bahnenschwimmen und ein Lounge-Becken. Die einzelnen Bereiche lassen sich bei Bedarf auch zusammenschliessen. Die Idee für das Projekt hatten die vier befreundeten Designer Oana Stanescu, Dong-Ping Wong, Archie Lee Coates IV und Jeff Franklin im Jahr 2010. Nach zwei erfolgreichen Crowdfunding-Runden, bei denen über 300 000 US-Dollar zusammenkamen, mit denen erste Forschungs- und Entwicklungsaufgaben finanziert werden konnten, gründete das Projektteam 2015 die Non-Profit-Organisation ‹Friends of +POOL›. Ziel dieser Gesellschaft ist es, das finale Design, die Entwicklung und Konstruktion des Projekts zu finanzieren und den langfristigen Betrieb für die Bewohner zu garantieren. Dank der gemeinnützigen Rechtsform, die sich bei den ‹Friends of the High Line›, einer anderen New Yorker Initiative für urbanes Design, als erfolgreiches Modell erwiesen hat, kann die Organisation den Kontakt mit Privatpersonen und Unternehmen pflegen und Experten in ihren Vorstand einbinden. Gleichzeitig konnten die Aktivitäten über die Verwirklichung hinaus ausgeweitet werden : Es wurden Mittel zur Unterstützung von Initiativen bereitgestellt, wie ein Schwimmkurs für einkommensschwache Familien, ein schulisches Informationsprogramm zur Wasserqualität sowie Programme zum Thema Umweltkunst. Nach einer Machbarkeitsstudie und dem Nachweis, dass das vorgeschlagene Filtersystem im Fluss funktioniert, hat das Projektteam Verhandlungen mit lokalen Behörden aufgenommen, um einen Standort für den Pool zu finden. Dank seines auffälligen Designs, des einfachen Konzepts und der smarten Nutzung von sozialen Medien und Branding konnte das Projekt bereits eine beeindruckende Unterstützer-Community aufbauen. Die Initiative nimmt ihre Online-Präsenz sehr ernst, vernetzt sich auf breiter Ebene mit Experten aus verwandten Bereichen und setzt diese Präsenz ein, um im echten Leben etwas zu verändern. +POOL steht für eine neue Denkweise, wenn es darum geht, wie sich Architekten und Designer aktiv in die gesellschaftliche und städtische Gestaltung einbringen können.
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