Beiträge zur Basler Geschichte
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Johann Ludwig Burckhardt Sheikh Ibrahim
Beiträge zur Basler Geschichte Leonhard Burckhardt Lucas Burkart Jan Loop Rolf Stucky (Hgg./eds.)
Burckhardt / Burkart / Loop / Stucky
Das Leben des Orientreisenden Johann Ludwig Burckhardt ( 1784–1817 ) alias Sheikh Ibrahim fasziniert bis heute. Aus « gutem Basler Haus », entfloh er 1800 der Helvetischen Republik zum Studium nach Leipzig. Auf der Suche nach einer diplomatischen Anstellung kam er 1805 nach London, wo sich ihm die Gelegenheit bot, im Dienste der ‹ Association for the Discovery of the Interior Parts of Africa › den Weg von Kairo nach Timbuktu und die Quellen des Niger zu erkunden. Trotz minutiöser Vorbereitung sollte das Unternehmen nicht zustande kommen. Stattdessen bereiste er von 1809 bis zu seinem Tod Syrien, den Hijaz, die Levante, Ägypten und den Sudan. Dabei entdeckte und beschrieb er auch die Nabatäerstadt Petra und den nubischen Tempel von Abu Simbel. Seine regelmässig verfassten Rechenschaftsberichte sowie Briefe an die Familie dokumentieren sein Leben im Orient und bieten eine mit der Region engvertraute und zugleich erstaunlich wertfreie Sicht: die Erfahrungen eines Orientreisenden vor dem Orientalismus.
ISBN 978-3-85616-890-2
Johann Ludwig Burckhardt Sheikh Ibrahim Entdeckungen im Orient um 1800 Discoveries in the Orient around 1800 Christoph Merian Verlag
Abbildung Umschlagvorderseite : Porträtbüse des Johann Ludwig Burckhardt, 1857, Gipsbüste von Ferdinand Schlöth, Historisches Museum Basel INV. 1947.108.
Johann Ludwig Burckhardt Sheikh Ibrahim
Autor
Beiträge zur Basler Geschichte
Leonhard Burckhardt, Lucas Burkart, Jan Loop, Rolf Stucky ( Hgg. / eds. )
Johann Ludwig Burckhardt Sheikh Ibrahim Entdeckungen im Orient um 1800 Discoveries in the Orient around 1800
Christoph Merian Verlag
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1. Auflage Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http : / / dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 Christoph Merian Verlag Alle Rechte vorbehalten ; kein Teil dieses Werkes darf in irgendeiner Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Lektorat : Doris Tranter, Basel Gestaltung und Satz : icona basel Lithos : LAC AG, Basel Druck und Bindung : Kösel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell Papier : Lessebo Design Smooth natural 115 g / m2 ISBN 978-3-85616-890-2 www.merianverlag.ch
Inhalt / Contents
Herausgeber / Editors
11 Vorwort Antonio Loprieno
13 Johann Ludwig Burckhardt at the Origins of Orientalism
I Burckhardts Werdegang / Burckhardt's Career Beat von Wartburg
26 Zwischen Revolution und Restauration Johann Ludwig Burckhardt und Basel
Catherine Ansorge
45 Burckhardt in Cambridge Study and Dialogue
Rolf A. Stucky und Hartwig Isernhagen
64 Vertrag zwischen der ‹African Association› und Johann Ludwig Burckhardt
II Burckhardt als Reisender / Burckhardt the Traveller Jan Loop
82 Maskerade in der Wüste? Sheikh Ibrahims Reisemethode im Kontext seiner Zeit
Inhalt
Marcel Kurpershoek
101 Burckhardt’s Quest for Bedouin Purity Arabic Antecedents and European Followers Stephanie Zehnle
110 River of Storytellers Burckhardt’s Mental Exploration of the Niger and Sub-Saharan Africa Nelly Hanna
126 Burckhardt in Cairo
III Burckhardt und die Wissenschaften / Burckhardt and Scholarship Rolf A. Stucky
136 Johann Ludwig Burckhardt und die Archäologie seiner Zeit « The treasures of this country are not beneath the earth ; they come from God, and are on the surface of the earth » Tobias Mörike
152 Mit Wörterbuch und Kompass Johann Ludwig Burckhardt als Kartograf Giovanni Bonacina
162 Der philosophische Hintergrund Niebuhr, Seetzen und Burckhardt
Inhalt
Maurus Reinkowski
183 Burckhardt als Orientalist Michael Ledger-Lomas
200 Burckhardt and the Prophets in Nineteenth-Century Britain Yasmin Faghihi
215 Burckhardts Sammlung arabischer Handschriften Ein Schatz der ‹ Cambridge University Library ›
Anhang /Appendix 238 Bildnachweis / Image Credits
Allgemeine Bibliografie / General Bibliography
Burckhardt, John L. / Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa ( ed. ) : Arabic Proverbs or the Manners and Customs of the Modern Egyptians Illustrated from their Proverbial Sayings at Cairo. London 1830. Burckhardt, John L. / Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa ( ed. ) : Travels in Nubia. London 1819. Burckhardt, John L. / Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa ( ed. ) : Travels in Syria and the Holy Land. London 1822. Burckhardt, John L. / Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa ( ed. ) : Travels in Arabia. Comprehending an Account of those Territories in Hedjaz which Mohammedans Regard as Sacred. London 1829. Burckhardt, John L. / Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa ( ed. ) : Notes on the Bedouins and Wahabys. Collected During his Travels in the East. London 1830. Burckhardt, Johann L. / Burckhardt-Sarasin, Carl ; Schwabe-Burckhardt, Hansrudolf ( Hgg. ) : Scheik Ibrahim ( Johann Ludwig Burckhardt ). Briefe an Eltern und Geschwister. Basel 1956.
9
Vorwort
« Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterland und in seinem Hause » – diese Worte, die der Evangelist Matthäus Christus in den Mund gelegt hat, treffen auch für den zum Islam konvertierten Johann Ludwig Burckhardt zu : In der Heimat stehen seine Schriften im Schatten der beiden Namensvettern Jacob und Carl Jacob und unter den Orientreisenden des 18. und frühen 19. Jahrhunderts überstrahlten bisher die Publikationen Carsten Niebuhrs und Jasper Ulrich Seetzens sein wissenschaftliches Werk. Der 200. Todestag Sheikh Ibrahims bot den richtigen Zeitpunkt, seiner in Basel in angemessenem Rahmen zu gedenken. Dem genius loci seines Auftraggebers entsprechend, der British Association for the Discovery of the Interior Parts of Africa, entstand der Plan eines internationalen Kolloquiums mit dem Ziel, den Werdegang und das Werk Burckhardts aus unterschiedlichen Gesichtspunkten neu zu beleuchten ; diese Idee selbst entstand jedoch nicht in Burckhardts Heimatstadt, sondern in London – im Hof der British Library. Den beiden Initianten, Jan Loop von der Universität Kent und Rolf A. Stucky, schlossen sich die beiden Basler Historiker Leonhard Burckhardt und Lucas Burkart für die Organisation, die Durchführung der Tagung und für die Drucklegung der Tagungsakten spontan an. In der Universität Basel teilten am 19. und 20. Oktober 2017 Referentinnen und Referenten aus dem In- und Ausland ihre Ideen und Ansichten zu Burckhardt und seinen Studien mit einem interessierten Publikum. In einem von der Burckhardt’schen Familienstiftung in der Alten Aula organisierten Abendvortrag mit anschliessendem Empfang stellte Jan Loop den Jubilar eindrücklich in den weiten Rahmen gleichzeitiger Orientforscher und analysierte die Gemeinsamkeiten dieser Reisenden ebenso wie das Spezifische im Werk John Lewis Burckhardts. Der Empfang im historischen Ambiente des Museums der Kulturen, an dem nicht nur Angehörige der Familie Burckhardt, sondern 11
Vorwort
auch zahlreiche ‹ Fans › von Sheikh Ibrahim teilnahmen, wird allen in lebendigster Erinnerung bleiben – Sheikh Ibrahim resurrexit. Das Historische Museum Basel hatte seinerseits die Chance ergriffen, des 200. Todestages eines seiner bedeutendsten Bewohner zu gedenken, war doch der Bauherr des Hauses zum Kirschgarten , das heute zu den Standorten des Museums zählt, Johann Rudolf Burckhardt, der Vater des späteren Orientreisenden. In einer Kabinettschau wurden die wenigen Erinnerungsstücke an Johann Ludwig Burckhardt, darunter auch ein Konvolut bisher unveröffentlichter Briefe an die Familien im sogenannten Freundschaftstempel des Kirschgartens vorgestellt. Ohne die grosszügige Unterstützung der UBS Kulturstiftung sowie der Max Geldner-Stiftung und der Freien Akademischen Gesellschaft in Basel ; ohne den Goodwill der Vereinigung der Freunde Antiker Kunst wäre die Durchführung der Tagung nicht möglich gewesen. Der Burckhardt-Stiftung verdanken wir den festlichen Rahmen der Abendveranstaltung. Allen Institutionen gilt unser ausdrücklicher, tiefer Dank. Danken möchten wir zudem den Mitarbeitenden des Departements Altertumswissenschaften der Universität Basel, die sich schon Monate vor der Tagung und noch lange danach intensiv für den Erfolg des Projekts engagiert haben ; namentlich genannt seien Ricarda Berthold, Lucia D’Ambrosio, Delia Sieber und insbesondere Ruth Zillhardt. Bei der nicht eben einfachen Suche nach einem passenden Raum für die Tagung und bei der Reglung finanzieller Fragen im Rahmen von Departement und Fakultät war Frank Faessler eine grosse Hilfe. Der Christoph Merian Verlag hatte schon während des Kolloquiums Interesse an der Publikation der Tagungsakten gezeigt – ein Angebot, das die Herausgeber mit Dank annahmen. Für die Betreuung des Manuskripts seitens des Verlags danken wir Claus Donau und Doris Tranter. Bei der Christoph Merian Stiftung und der Bürgergemeinde der Stadt Basel bedanken wir uns für die finanzielle Unterstützung der Drucklegung. Die Redaktion der englischsprachigen Beiträge lag in der Hand Jan Loops, jene der deutschsprachigen in der Hand Lucas Burkarts, dem die beiden anderen Mitherausgeber als Lektoren zur Seite standen ; die Einrichtung der Manuskripte hat Aline Vonwiller übernommen. Die Herausgeber 12
Autor
I
Burckhardts Werdegang / Burckhardt's Career
Zwischen Revolution und Restauration Johann Ludwig Burckhardt und Basel Beat von Wartburg
Bereits mit fünfzehn Jahren verlässt Johann Ludwig Burckhardt seine Vaterstadt Basel zunächst für Internats- und Studienjahre, dann nach einem kurzen Aufenthalt in Basel 1805 für immer. Er ist fortan so etwas wie ein korrespondierendes Mitglied seiner Familie und der Basler Gesellschaft. Der nachfolgende Beitrag versucht, den zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext – sozusagen die Rahmenhandlung – zu Johann Ludwig Burckhardts kurzem Leben zu beschreiben. Dies auch in der Hoffnung, den Motiven für sein Fortgehen, sein Leben in der Ferne, für seine Reise- und Entdeckerlust näherzukommen. Es wird dabei – nolens volens – viel um die prägende Welt des Vaters gehen müssen. Und : Es wird ein Ritt im Galopp durch eine Zeitenwende. I. Ancien Régime Zwischen klassizistischem Stadtpalais und bukolischem Gutshof Mit fünfzehntausend Einwohnern war die Stadt Basel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die grösste Stadt der Alten Eidgenossenschaft und dank der Seidenbandfabrikation und den Marchand-Banquiers wohlhabend. So weltoffen die Stadt in ökonomischer Hinsicht war, so in sich gekehrt zeigte sie sich in gesellschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht. In seiner Basler Geschichte beschrieb der Aufklärer und Staatsmann Peter Ochs das Ancien Régime als ereignisarmen « Zeitraum des Wohlstandes » 1. Wichtigste politische Themen waren das französisch-schweizerische Bündnis von 1777, die Fruchtteuerung, die Begrüssung von Königin Marie Antoinette in Strassburg durch eine Basler Delegation, das Auswanderungsverbot, der Inkognito-Besuch des Kaisers Joseph in Basel, Ämterbesetzungen und Streitereien über Wahlkompetenzen der Zünfte. So sah es der Basler Binnenblick. Von einer « Agonie des Ancien Régime » 2 kann keine Rede sein – im Gegenteil : Die 26
Zwischen Revolution und Restauration
kleine Welt schien unverrückbar zu sein, war stabil, friedlich, wohlhabend, reformresistent. Und wie wurde Basel von aussen wahrgenommen ? Die norddeutschen Gelehrten Joachim Heinrich Campe, Christian Gottlieb Schmidt und Christian Cajus Lorenz Hirschfeld hatten Basel zwischen 1783 und 1786 besucht und ihre Beobachtungen im Stile der damals modischen Reiseliteratur publiziert. Basel sei für seine « Größe … wenig bevölkert. Die Lebhaftigkeit, die man auf den Gassen » wahrnehme, rühre « mehr von der großen Anzahl der Reisenden …, als von der Volksmenge der Stadt her ».3 Das Stadtbild sei, so Campe, mittelalterlich geprägt, « die Häuser größtentheils von alter geschmackloser Bauart ».4 Hirschfeld schrieb : « Der Geschmack scheint sich hier in den schönen Kabinetten von Gemälden, Kupferstichen und Zeichnungen, wodurch Basel berühmt ist, zu verschliessen ; in den öffentlichen Gegenständen, die dem Volke so nahe vor dem Auge liegen, ist er wenigstens nicht sichtbar. » « Inzwischen » hätten allerdings « einige Männer von Vermögen und Kenntniß den Anfang gemacht, Basel mit neuen Gebäuden zu verschönern. Diesen Verdienst haben sich besonders die Herren Sarrasin und Burcard ein Freund und Beförderer der schönen Künste, erworben … » 5 Die Bautätigkeit werde allerdings stark durch die Prachtgesetze behindert, wobei gleichzeitig zu beobachten sei, dass die Prachtliebe da am ausgeprägtesten sei, wo die Aufwandgesetze am strengsten seien. Früher sei Basel « die Heimat der Wissenschaften und die Wiege grosser Gelehrter gewesen … », schrieb Campe. Doch heute sei die Universität so unbedeutend, weshalb man sich fragen müsse, « warum man sie nicht schon längst » habe eingehen lassen. Man streite da über Fragen wie : ob man « seine Vernunft auch in Glaubenssachen gebrauchen dürfe ». Daran sehe man, dass die « Aufklärung über Dinge dieser Art hier noch keine sonderlichen Fortschritte gemacht haben » könne.6 Basel sei eine « Handelsstadt, die so sehr an dem Herkommen » hänge, dass « Verbesserungen des Alten nicht so leicht zu erwarten » seien, schrieb Hirschfeld.7 Der « Genuß wichtiger Privatvortheile » stehe im Vordergrund. Man habe sich hier in der « Behaglichkeit an einem guten Weideplatz, wo nichts Fremdes grasen darf », eingerichtet. Es gebe zwar « keine hervorstechende Verachtung der Ausländer … sondern fast nur pflegmatische Nichtachtung des Auswärtigen … » Eine Folge der mangelnden Zuwanderung sei, dass « bald alle 27
Burckhardts Werdegang
miteinander verwandt und verbunden werden ». « Der ganze Staat oder die Stadt macht gleichsam Eine einzige große Familie aus, die durch nähere oder entferntere Gelenke zusammenhängt … In einem solchen Zirkel enger und immer in sich selbst verschlossener Familien gibt es nicht leicht eine wohlthätige Ebbe und Fluth, wie in offenen und vermischten Gesellschaften, sondern das Gewässer steht und versiegt in sich selbst. » 8 Zwei Persönlichkeiten, beinahe gleich alt, der eine 1750 geboren, der andere 1752, wollten sich nicht der gemütlich-saturierten Mediokrität in Basel beugen. Vieles verband sie, vieles trennte sie, sie waren nie Freunde, ab 1796 sogar erbitterte Feinde : Johann Rudolf Burckhardt, Johann Ludwigs Vater, und Peter Ochs. Der eine wurde zum Revolutionär, der andere zum Reaktionär. Beide aus sehr wohlhabenden Familien stammend, gebildet, ehrgeizig, vielgereist und europäisch vernetzt, standen sie zu ihrem Reichtum und den Möglichkeiten, den er ihnen bot. Liess der eine im Alter von erst fünfundzwanzig Jahren durch den ebenfalls erst zweiundzwanzigjährigen Johann Ulrich Büchel ein für Basel völlig neuartiges klassizistisches Stadtpalais an prominenter Lage errichten, den Kirschgarten, so baute der andere den neobarocken Holsteinerhof als Kulisse für diplomatische Empfänge aus. Als junge Eheleute kollidierten beide wiederholt mit den Luxusgesetzen, die sie als Ausdruck von biederem Zunftregiment und orthodoxem Protestantismus ablehnten, als pseudoegalitäre und verlogene Vorschriften, die ohnehin von allen und leicht umgangen werden könnten.9 Während sich Peter Ochs unter dem Einfluss des Popularphilosophen Isaak Iselin ganz dem aufklärerischen Gedankengut widmete, eine politische Laufbahn anstrebte, sich mit dem Staat und seiner Geschichte auseinandersetzte, 1782 Ratsschreiber wurde, sich in der Aufmunterungsgesellschaft und in der Lesegesellschaft engagierte, im ersten Band seiner Basler Geschichte ein aufklärerisches Glaubens- und Wertecredo verfasste und mit reformorientierten Mitgliedern der bürgerlichen Eliten in der Schweiz und in Frankreich korrespondierte, suchte Johann Rudolf Burckhardt den wirtschaftlichen Erfolg und förderte Kunst im privaten Rahmen. Es gelang ihm, die ererbte Seidenbandfabrikation und die Speditionstätigkeit zur wirtschaftlichen Blüte zu bringen und zu einem der vermögendsten Basler zu werden ( Abb. 1 ). Bereits mit einundzwanzig Jahren wurde er zu einem der Direktoren der Basler Kaufmannschaft gewählt. 28
Zwischen Revolution und Restauration
Abb. 1 Anton Graff, Bildnis des sitzenden Vaters Johann Rudolf Burckhardt,
Öl auf Leinwand, um 1786
29
Burckhardts Werdegang
Er orientierte sich mehrheitlich an der deutschen, österreichischen und englischen Kultur sowie am Freimaurertum und war mit der aristokratisch-konservativen, geistigen, politischen und militärischen Elite der Schweiz verbunden. Er sammelte Gemälde, Bücher, Zeichnungen, Stiche und Gipsabgüsse griechischer Statuen und er war Auftraggeber verschiedener Maler. Auf einer der wiederkehrenden Reisen von Johann Rudolf Burckhardt zu den Lausanner Freunden kam Johann Ludwig am 25. November 1784 zur Welt. Er war das siebte von acht Kindern von Johann Rudolf Burckhardt, das dritte aus der zweiten Ehe mit Sara Rohner. Johann Ludwig wuchs behütet im 1780 fertiggestellten « im ächt griechischen Geschmack » gebauten Palais auf, dem Kirschgarten mit seiner « mäiestetischen Kolonnade », den « marmornen Treppen », den « schönen Malereien » und all der « fürstlichen Pracht des Hauses », wie es Christian Gottlieb Schmidt in seinem Reisejournal 1787 beschrieben hatte.10 Der kleine Johann Ludwig genoss Unterricht bei einem Hauslehrer und erhielt bereits als Siebenjähriger ein Pianoforte aus Mahagoniholz, das der Vater aus London kommen liess. II. Revolution Wider den « Raßenden Partheygeist » Johann Ludwig Burckhardt war fünf Jahre alt, als das Donnergrollen der Französischen Revolution Basel erreichte. In seiner Basler Geschichte schrieb Ratsschreiber Peter Ochs : « Die Pariser Begebenheiten hatten auf der Landschaft bey den meisten Unterthanen, wie ein schnelles Lauffeuer, starken Eindruck gemacht … »11 Die Handwerker bangten um das Zunftsystem und -monopol, die Elite sorgte sich um ihre Privilegien und ihre Partikularinteressen und die Stadt um ihre Herrschaft auf der Landschaft Basel, wo die Bewohnerinnen und Bewohner rechtlich immer noch Leibeigene seien.12 Angesichts des Drucks auf das Ancien Régime konnte plötzlich Wirklichkeit werden, wovon Aufklärer und Popularphilosophen geträumt hatten. Ochs war begeistert : « Il ne sera plus seulement permis, mais ordonné de croire à l’égalité des droits de l’homme, aux titres exclusifs du mérite, à l’imprescriptibilité des loix du bien public … » 13 Johann Rudolf Burckhardt hingegen lehnte die Französische Revolution rundum ab, nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen. Mit seiner Familie zog 30
Abb. 2 Felix Maria Diog, Peter Ochs als Direktor der Helvetischen Republik,
Ölgemälde, ca. 1799
er sich immer öfter aufs Land zurück. In einem Brief schrieb er : In der Stadt « kann ichs kaum mehr außhalten und so nahm ich den entschluß mir eine Hütte – Ja Hütte im gantzen Verstand – anzubauen ».14 Während in Paris die Jakobiner ihre Schreckensherrschaft ausübten, kaufte Burckhardt 1794 ein Landgut bei Gelterkinden, den Gutshof Erndthalde, den er im Stil eines Emmentaler Bauernhauses umbauen liess. Gleichzeitig suchte er für seine Kinder einen Hauslehrer, der – wie er sich Lavater gegenüber äusserte – an Gott und nicht an Robespierre glaube.15 Später sollte sich Johann Ludwig in seinen Briefen immer wieder der Zeit seiner unbeschwerten Kindheit und der bukolischen Idylle des Landlebens auf dem Erndthalde-Gutshof erinnern.16 Peter Ochs wiederum bewegte sich immer mehr auf dem internationalen Parkett ( Abb. 2 ). Durch seine Vermittlung kam es 1795 in seinem Haus zur Unterzeichnung des Friedens von Basel. Die beiden Friedensschlüsse mit Preussen 31
Burckhardts Werdegang
und Spanien erlaubten Frankreich, den Krieg gegen das Kaiserreich zu intensivieren. Dadurch kam es wieder zu Kampfhandlungen rund um Basel. Ochs – seit 1796 Oberstzunftmeister – vertrat die kompromisslose Neutralität, auch wenn er persönlich alles andere als neutral war. Auch Johann Rudolf Burckhardt machte keinen Hehl aus seinen politischen Überzeugungen und daraus, dass er intensive Kontakte zu französischen Emigranten, den Kaiserlichen und dem englischen Gesandten William Wickham hatte. Er pflegte auch den Austausch mit den Zuzügern der konservativen Kantone. Seine « parteyische Gesinnung », notierte Daniel Burckhardt-Wildt in sein Tagebuch, sei « genugsam bekant » 17. Als Ende November 1796 kaiserliche Truppen über Basler Territorium französische Einheiten angriffen und damit eidgenössische Grenzen verletzten, fiel der Verdacht, dies geduldet, ja ermöglicht zu haben, sofort auf Jägerhauptmann Johann Rudolf Burckhardt. Das französische Direktorium verlangte daraufhin seine strenge Bestrafung. Am 26. Dezember wurde Johann Rudolf Burckhardt verhaftet.18 Nachdem Burckhardt das Gefängnis im Januar vorerst verlassen konnte, forderte Peter Ochs im Kleinen Rat eine harte Bestrafung.19 Der Kleine Rat aber beschloss lediglich die Absetzung als Hauptmann und die Suspendierung seines Grossratmandats. Tief gekränkt verliess Burckhardt daraufhin die Stadt und zog sich auf die Erndthalde zurück. Seinen Gegnern warf er « Bubenmäßigen » und « raßenden Partheygeist » vor. 20 Doch die Sache war damit noch nicht ausgestanden. Nach dem Friedensschluss von Campoformio im Oktober 1797 vertrauten die Vertreter der Ancien Régimes auf eine Sicherung des status quo durch den anberaumten Rastatter Kongress, die Revolutionsfreunde wiederum sahen die letzte Chance kommen, durch Napoleon die Eidgenossenschaft zu reformieren. Während Peter Ochs in Paris mit dem Direktorium verhandelte, kam es – nicht zuletzt von ihm orchestriert – zur unblutigen Revolution in Basel. Johann Rudolf Burckhardt entschied sich daraufhin, seine Firma den beiden Söhnen Johann und Gedeon abzutreten und Basel endgültig zu verlassen. Wenig später marschierten französische Truppen in die Schweiz ein. Burckhardt schloss sich einem Zürcher Kontingent an und kämpfte auf Seiten der Berner gegen die Franzosen. Nach der Niederlage bei Neuenegg flüchtete er nach München, wo er andere Altgesinnte traf und mit ihnen ein Emigrantenkomitee gründete. 32
Zwischen Revolution und Restauration
Gemeinsam reisten sie mit österreichischen Papieren weiter nach Wien. Ab März 1799 kämpfte Burckhardt im zweiten Koalitionskrieg in einem durch die Engländer gegründeten Emigrantenheer, wo er den Rang eines Obersten erhielt.21 Im August 1799 stand er mit dem Heer des Erzherzogs Karl vor Zürich. Auch Sohn Gedeon verliess nach einer Befehlsverweigerung Basel und schloss sich dem Regiment seines Vaters an.22 Unter dem Druck Frankreichs wurde der Prozess gegen Johann Rudolf Burckhardt Anfang 1798 erneut aufgenommen. Das Basler Criminalgericht schrieb Burckhardt zur Fahndung aus und sein Vermögen wurde Ende September von der neuen helvetischen Regierung, dem Direktorium unter dem Präsidium von Peter Ochs provisorisch mit Sequester belegt. Burckhardts Ehefrau sowie die drei minderjährigen Kinder, darunter Johann Ludwig, wurden anschliessend unter Vormundschaft gestellt. Angesichts der politischen Lage beschloss die Familie, dass Johann Ludwig nicht in Basel das Gymnasium besuchen soll, sondern ab Frühling 1799 ein Internat im preussischen Neuchâtel. In Abwesenheit des Vaters übernahm Johann Ludwigs Halbbruder und Pate Johann Burckhardt die Verantwortung für ihn. An Johann richtete er nun auch seine Briefe, in denen er den strengen Schulalltag beschrieb und über seine Studienpläne und Lektüren berichtete. Bereits zwei Jahre später verliess er Neuchâtel wieder, um nicht in Basel, sondern in Deutschland zu studieren. Im November 1800 traf er erstmals seinen Vater wieder und reiste mit ihm nach Leipzig, wo ihn dieser dank seines Netzwerkes in die Gesellschaft einführte. Mit dem Vater, dem er « Gehorsam, Dank und Vergeltung » 23 schulde, war er sich einig, dass er hier zum Geschäfts- und Staatsmann ausgebildet werden sollte. Sein Bruder, von dem er rechtlich und finanziell abhängig war, drängte hingegen zum Rechtsstudium. Johann Ludwig folgte diesem Wunsch, studierte allerdings nicht bloss Rechtswissenschaften, sondern auch Sprachen, Statistik, Geschichte, Mathematik und er verlor sich zeitweise in seinem Studentenleben und verschuldete sich dabei. Er sei « auf einen unrechten Weg » geraten und habe « überhäufte Dépensen verschiedene Schulden » 24 gemacht, schrieb er seiner Schwägerin und er hoffe, dass ihn sein Bruder Johann unterstützen würde. Den Vater wollte Johann Ludwig nicht angehen, da er fürchtete, dieser würde ihn zurückrufen. Schliesslich war es dann 33
Burckhardts Werdegang
Abb. 3  Richard Westall, Bleistiftzeichnung von Johann Ludwig Burckhardt, um 1808
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Zwischen Revolution und Restauration
aber doch der Vater, der 1803 die Schulden beglich. Johann Ludwig war beschämt.25 Gleichzeitig gestand er, dass er noch nicht wisse, wo er seine « Welt » und seinen « Wirkungskreis » finden werde.26 Immerhin drängte Johann Ludwig auf einen Wechsel nach Göttingen, um sich dort in Geschichte und Diplomatie weiterzubilden. Nach anfänglichen Bedenken, dass Frankreich auch Göttingen besetzen könnte, stimmte der Vater dem Wechsel zu.27 So wechselte Johann Ludwig im Herbst 1804 nach Göttingen, wo er aber – wohl aus Kostengründen – nur noch ein Jahr blieb ( Abb. 3 ). III. Restauration Freiheit dank England Dem Einheitsstaat der Helvetischen Republik war keine lange Existenz vergönnt, obwohl die Helvetik bleibende Werte wie die Gewaltentrennung, das Zweikammersystem, die Kollegialregierung und nationale Institutionen sowie eine nationale Währung und einheitliche Masse eingeführt hatte. Und schon 1799 war die steile Karriere ihres geistigen Vaters, Peter Ochs, zu Ende. Er verlor nicht nur sein Amt als helvetischer Direktor, sondern auch seine Reputation und sein Vermögen. Als Folge der Auseinandersetzungen zwischen Unitariern, Föderalisten und Altgesinnten kam es im November 1801 zu einer allgemeinen Amnestie, von der auch Johann Rudolf Burckhardt profitierte : Die Beschlagnahmung seines Vermögens wurde aufgehoben. Auch Gedeon konnte nach Basel zurückkehren und mit Bruder Johann die Firma wieder übernehmen. Mit der Konsulta in Paris und der anschliessenden föderalen Mediationsverfassung von 1803 hatte Napoleon die Schweiz stabilisiert, aber auch dauerhaft gefügig gemacht. Die neuen Kantone der ehemaligen Untertanengebiete wurden zwar belassen, in vielen Ständen übernahmen aber wieder Altgesinnte die Macht, so auch in Basel. Die Schweiz war fest ins französische Hegemonial- und Kontinentalsystem eingebunden. Mit der eigenen Kaiserkrönung im Dezember 1804 beendete Bonaparte die Französische Revolution und Republik endgültig. Noch brodelte es aber in der Schweiz. Als sich die Zürcher Landschaft im März 1804 gegen die Wiederherstellung der städtischen Herrschaft wehrte und es zum Aufstand kam, dem Bockenkrieg, war Johann Ludwig Burckhardts Urteil 35
Burckhardts Werdegang
über seine Heimat nicht gerade schmeichelhaft. Aus Göttingen schrieb er : « Ich nehme immer lebhaften Antheil an allen Vorfällen der Schweiz und es schmerzt mich, daß ich in dieser noch nicht thätig seyn kann. Die letzten kriegerischen Vorfälle aber interessierten mich nur in so weit, als sie einen Beytrag zu Verirrungen des menschlichen Verstandes liefern ; denn mit Narren kann man kein Mitleid haben. Noch glaube ich, hat mein Vaterland die Geißel des Unglücks nicht genug gefühlt. Ich sollte beynahe glauben, es würde dann erst glücklich werden, wenn es jahrelang den eisernen Szepter eines Despoten gefühlt und durch Gehorchen erst frei zu seyn gelernt hätte. » Allerdings bemerkte er, dass ihm ein Urteil eigentlich nicht zustehe, da er die Schweiz gar nicht kenne und « ihren jetzigen Zustand nur aus öffentlichen Blättern und hin und wieder aufgefangenen Bemerkungen von Landsleuten und Reisenden abstrahiere ».28 Der Briefausschnitt zeigt, dass Johann Ludwig die konservativen Ansichten seines Vaters in keiner Weise in Frage stellte. Im Gegenteil : Auch in seinen späteren Briefen aus dem Nahen Osten sollte er immer eine antifranzösische und restaurative Haltung vertreten. Im Frühling 1805 kehrte Johann Ludwig aus Göttingen nach Basel zurück, wo er ein Jahr blieb. Leider ist über seine Aktivitäten in dieser Zeit nichts Näheres bekannt. Johann Ludwig bemerkte Ende 1806 in einem Brief lediglich : « Das letzte Jahr ist durch meine Schuld, durch Johanns Tod, durch unsere Trennung zu einem trüben Jahr geworden … » 29 Gleichzeitig herrschte 1805 in Europa Krieg : In der Schlacht von Ulm kapitulierte die österreichische Armee, bei Trafalgar siegten die Briten und in der Schlacht von Austerlitz kam Napoleon zu seinem grössten Sieg ( Abb. 4 ). Die Familie Burckhardt aber setzte weiterhin auf jene Macht, die bisher als einzige Frankreich widerstehen konnte : Grossbritannien. Dahin zog es Johann Ludwig Burckhardt. Bereits im Juni machte er sich auf den Weg über Frankfurt und Hamburg nach London – ausgerüstet mit Empfehlungsschreiben zuhanden von Sir Joseph Banks, Präsident der Königlichen Akademie der Wissenschaften, und zuhanden des ehemaligen Botschafters in der Schweiz, William Wickham. Doch die Stellensuche gestaltete sich schwieriger als angenommen, es brauchte Geduld, auch jene des Vaters. « Es gehört Geld und Zeit dazu, um sein Glück hier zu machen », versuchte Johann Ludwig seinem Vater, der ihn weiterhin unterstützte, verständlich zu 36
Zwischen Revolution und Restauration
Abb. 4 James Gillray, The Plumb-Pudding in Danger – or State Epicures Taking
un Petit Souper, Handkolorierte Radierung, 1805
machen.30 Und er beschwor ihn, ihm beides zu gewähren : Zeit und Geld denn, so schrieb er : « … ich muß es wagen, und zwar in einem Lande, das ich liebe und das mehr als kein anderes für mich gemacht. In meinem Vaterlande bietet sich leider hiezu kein Weg. » 31 Und nach der Schlacht von Jena, als auch Preussen sich Napoleon unterwerfen musste, schrieb Johann Ludwig : « Europa ist unwiederbringlich zu Bonaparte’s Füßen ; England allein, wer weiß wie lange und ob es ihm widerstehen wird … Möchte doch die arme ausgesaugte Schweiz wenigstens dem Schicksal aller Nachbarn entgehen. » 32 England sei zwar « weit davon entfernt, idealisch regiert zu werden »,33 aber so wörtlich Johann Ludwig : « wenn jemand einmal fühlt, was Freiheit ist ( und dieses Gefühl ist in meine Brust gepflanzt ) so kann man in unserer Zeit nur in diesem Lande frei athmen. » 34 Sein Leben in England war allerdings nicht immer einfach, denn die 37
Burckhardts Werdegang
napoleonische Kontinentalsperre verhinderte oftmals die finanziellen Überweisungen des Vaters, was ihn zu « größter Öconomie » 35 und Fasten zwang. Im Februar 1808 konnte Johann Ludwig seinen Eltern das Ende der Durststrecke vermelden : « Ich habe einen neuen Plan im Werke, der nicht ganz unausführbar, mit Gefahr, aber auch mit großem Nutzen, nicht sowohl für mich als für England, und ich darf sagen für die Menschheit, verbunden ist. » 36 Johann Ludwig Burckhardt hatte eine Anstellung bei der ‹ African Association › erhalten, welche ihm zwei Jahre Studium im arabischen Raum sowie sechs Jahre für die Expeditionen zusicherte. Er reiste via Malta nach Aleppo, ohne elterliche Briefe erhalten zu haben. Erst zweieinhalb Jahre später, im Januar 1811, trafen Briefe ein, welche im Juni und September des Vorjahres 1810 aufgegeben worden waren. Von seiner Zeit im arabischen Raum sind nur wenige Briefe an die Familie erhalten.37 Allerdings war die Korrespondenz auch nicht sehr intensiv, da der Postweg unsicher und unzuverlässig war. Johann Ludwig nahm in dieser Zeit zwar immer Anteil am Schicksal der Familie und seiner Vaterstadt, aber der Kontakt wurde dennoch lockerer. Drei bis fünf Briefe pro Jahr erreichten Basel, aus dem Jahr 1814 ist gar keiner überliefert. Aus der Ferne musste Johann Ludwig die Schicksalsschläge und den finanziellen Niedergang der Familie, aber auch die allgemein prekären Verhältnisse in seiner Vaterstadt miterleben. Die Kontinentalsperre und die hohen französischen Zölle setzten der Basler Seidenbandindustrie hart zu. Während sich andere Basler Firmen durch Umgehung der Kontinentalsperre und Schmuggel über Wasser halten konnten, wurde es für die Burckhardt’sche Firma, die nach Johanns Tod von Gedeon Burckhardt allein geführt worden war, eng. Noch zu Lebzeiten des Kirschgartenerbauers sah sich dessen Sohn Gedeon gezwungen, einen Käufer für das Stadtpalais zu suchen. Nach dem Tod des Vaters im Juli 1813 und der Erbteilung musste Gedeon die Firma und den Kirschgarten verkaufen.38 Er verliess Basel, um nach Amerika auszuwandern. Dies alles fand während turbulenten Tagen in Basel statt : Ende 1813 marschierten achtzigtausend alliierte Soldaten durch Basel in Richtung Frankreich, im Januar 1814 trafen sich hier der österreichische Kaiser, der preussische König und der russische Zar. Die Stadt ächzte unter den Lasten und die fremden Truppen hatten überdies in der Stadt eine Typhusepidemie ausgelöst. Nach dem Sieg der 38
Zwischen Revolution und Restauration
Alliierten führte Basel unverzüglich eine restaurative Verfassung mit Zensuswahlrecht ein. Im Frühling 1815 versetzte aber Napoleons Rückkehr die Stadt noch einmal in Angst und Schrecken. Gegen den Widerstand der ehemaligen Helvetiker schloss sich Basel den Alliierten an. Österreichische Truppen zogen wieder durch die Stadt und schlossen die elsässische Festung Hüningen ein, die ihrerseits die Stadt Basel beschoss. Ende August war der Spuk vorbei. Basel feierte den Frieden und Erzherzog Johann. Doch von all dem, was zwischen 1813 und 1815 geschehen war, erfuhr Johann Ludwig erst im Sommer 1815. Auf den Tod seines Vaters reagierte er mit wortreicher, aber doch verhaltener Trauer. Der Vater habe ihm eine Erziehung und das Exempel eines rechtschaffenen Wandels und ehrlicher Grundsätze gegeben. Dies sei wichtiger als Kisten von Gold. Deshalb habe er « nie Ärger gefühlt », dass dessen « Vermögen so sehr geschmolzen » sei.39 Gleichzeitig liess er seine Mutter wissen, dass er zu ihren Gunsten auf seinen Erbanteil verzichte. Er stehe jetzt auf eigenen Füssen und sie hätte das Geld nötiger als er. Deshalb riet er ihr auch, die Erndthalde zu verkaufen. « Seine kindliche Liebe », gestand er ihr, sei zu ihr « stets inniger gewesen », als jene, welche er seinem geliebten Vater gezollt habe.40 Mit Freude hatte Johann Ludwig auch zur Kenntnis genommen, « daß die Schweiz diesmal offen sich gegen den allgemeinen Feind erklärt und ein beträchtliches Truppen-Corps ins Feld » 41 gestellt habe. Gleichzeitig zeigte er Verständnis gegenüber seinem Bruder, der Basel verlassen wollte, denn : « … vielleicht ist unsere Vaterstadt eine der reichsten Städte von Europa und wahrscheinlich der ärmsten an glücklichen Individuen. Man versteht durch unverdrossene Bemühungen die Kassen zu füllen, aber nur wenige Personen sind mir bekannt, die es der Mühe werth halten, zu versuchen auf richtigem Wege das wahre Glück zu finden. » 42 Zwar habe sich « der Geist in der Schweiz » 43 gebessert, doch gebe es auch da noch « so manche böse Köpfe », die dem « Erzteufel noch treu » seien, so wie Peter Ochs in Basel noch seine Anhänger habe.44 In seinen Briefen an die Familie rückte nun immer mehr seine eigene Berufung in den Vordergrund : Zu schön sei sein Ziel, schrieb er seiner Mutter, um ihm nicht jedes Opfer zu bringen, dessen er fähig sei.45 « Ich habe nun alles erlangt, wonach ich seit 9 Jahren … gestrebt habe : Euch Beweise zu geben, daß 39
Burckhardts Werdegang
jugendlicher Übermuth die Gefühle von Rechtschaffenheit und Ehre in meiner Brust nicht gänzlich austilgen konnte. Die Hoffnungen, dieses Ziel zu erreichen – ich darf es Dir nun wohl gestehen – waren die Hauptgründe, die mich zu dieser Reise bewogen. » 46 Die « Kirsgarten Familie, die einst so schön » geblüht habe, sei « fast gänzlich zerstört und gefallen ! » Vielleicht glücke es ihm, den Namen Burckhardt « einst wieder zu erheben und ihn über seine Feinde, die nun spotten » würden, triumphieren zu lassen.47 Er müsse « sein Glück in der Welt » 48 suchen und er sprach von seinem Ehrgeiz und seiner Begierde, Ruhm zu erwerben, sich « in einer ehrenvollen und nützlichen Laufbahn » auszuzeichnen.49 Ein letztes Mal, kurz vor seinem Tod, gedachte Johann Ludwig noch einmal seiner Heimat. Die Not in der Schweiz, von der ihm seine Mutter berichtet habe, sei ihm sehr zu Herzen gegangen. Ja der Mangel, der in der Schweiz herrsche, sei selbst in Ägypten zu spüren, denn die Schweiz kaufe hier grosse Mengen an Getreide ein. Er selbst habe zurzeit mehr Geld als er brauche, deshalb sehe er es als seine Pflicht an, zu helfen. Und so schickte er seiner Mutter mit seinem letzten Brief einen Wechsel mit der Bitte, die Summe « unter den Armen und Nothleidenen Schweizern, von welchem Kanton sie nur sein mögen, zu vertheilen ».50 Johann Ludwig Burckhardt hatte in seiner provinziellen Vaterstadt mit ihrer ebenso provinziellen Universität keine Perspektive gesehen. Er erlebte, wie der Vater und der Halbbruder emigrierten, er selbst musste aus politischen Gründen ins preussische Neuchâtel ins Internat, fürs Studium nach Leipzig, Göttingen und auf Stellensuche nach London. Das bonapartistisch beherrschte Europa war nicht sein Europa. Das kleinmütige und finanziell darbende Basel der Mediationszeit nicht sein Basel, der Glanz seiner Familie verblichen. Aus politischen Gründen musste er Basel nicht fern bleiben, denn in Basel herrschte die Restauration und ökonomisch hätte es in Basel sicher auch Möglichkeiten gegeben.51 Johann Ludwig aber wollte beweisen, dass die Investition, die sein Vater in seine Londoner Ambitionen getätigt hatte, nicht vergebens war. Er wollte ökonomisch auf eigenen Beinen stehen und die Opportunitäten im Wettrennen um die Erforschung Zentralafrikas und des Nahen Ostens nutzen.52 Er ging seinen eigenen Weg, kompromisslos, diszipliniert und fokussiert. Und vielleicht hatte dieser Weg ja tatsächlich nicht nur mit seiner Anglophilie zu tun, sondern auch mit einer imaginären Gegenwelt : der grossen Faszination fürs Reisen und 40
Zwischen Revolution und Restauration
Erforschen, so wie er sie in der Lektüre der Reisebeschreibung von James Cook in Neuchâtel entdeckt hatte oder in der Welt des Robinson Crusoe, den er in Aleppo übungshalber ins Arabische übersetzt hatte. Die Gespräche mit Sir Joseph Banks, der Cook bei seiner Weltumseglung begleitet hatte und ihm den Auftrag der ‹ African Association › anvertraut hatte, dürften das Übrige dazu beigetragen haben.
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