Foto Hoffmann Drei Generationen Basler Fotografen David Marc Hoffmann Nana Badenberg
Christoph Merian Verlag
Inhalt
21
73
225
299
Stumme,
Die Stadt im Wandel
Alles Theater
«Obst ist gesund»
101
255
321
Gesichter
In den Bergen, in der Fremde
Natur pur
141
267
339
Achtung Bauarbeiten!
Am Fliessband und im Hafen
Verkehr
163
291
359
in die öffentliche Hand
Schüler, Pöstler,
Ästhetik des Objekts
Über den Rhein
Kerstin Brunner
Scherenschleifer
doch gesprächige Zeugen
Beat von Wartburg
23 Vom Photographischen Atelier zur Hoffmann Photo Kino AG
David Marc Hoffmann, Nana Badenberg
67 Von privater
69
197
Erinnerungen
Grosse Sprünge
375 Krieg und Krisen
eines Fotografensöhnleins
Felix Hoffmann
209 Basler Brauchtum
415 Anhang
Zeittafel Literatur Ausstellungen Dank Impressum
Stumme, doch gesprächige Zeugen
Mit dem stiftungseigenen Christoph Merian Verlag trägt die CMS immer wieder auch dazu bei, dass die Fotoarchive einem breiten Publikum erschlossen werden. So edierte der
Drei Generationen der Basler Fotografendynastie
Verlag einen eigenen Kalender mit historischen Fotografien,
Hoffmann schreiben Geschichte
brachte das Buch ‹Heimathafen Basel› mit Fotos aus dem SRN-Archiv heraus, ein Buch über den Sportfotopionier
Fotografie ist eine wunderbare, immer wieder überraschen- Lothar Jeck (‹Sportreporter Jeck›), die Sammlung Herzog de, mal laut, mal leise sprechende ikonografische Quelle (‹Im Licht der Dunkelkammer›), die Fotosammlung des für die Geisteswissenschaften, aber auch für die breite
Staatsarchivs Basel-Stadt (‹Blickfänger›) oder die ‹Sech-
Öffentlichkeit. Mit ihrer ‹Wirklichkeitshaltigkeit› führt sie
zigerjahre› von Kurt Wyss. Die CMS engagiert sich auch
uns vergangene Zeiten bild- und lebhaft vor Augen. Wir im digitalen Bereich für die historische Fotografie mit erkennen auf den ersten Blick den ästhetischen Wert und
dem ‹Basler Stadtbuch›, das auf Social Media und auf der
das Bildmotiv einer Fotografie, beim zweiten und dritten
eigenen Website anhand historischer Aufnahmen Bild-
Blick, beim Lesen des Bildes und Entdecken erhalten wir geschichten präsentiert (www.baslerstadtbuch.ch), sowie viele weitere Hinweise, Informationen, Erkenntnisse.
mit der umfangreichen Bildersammlung der Website ‹Natur
Das Zeitalter der analogen Fotografie geht mit der und Landschaft der Region Basel› (www.regionatur.ch). Digitalisierung zu Ende. Damit ist auch der Bestand an
Die vorliegende Publikation legt ein beredtes und
analoger Fotografie endlich. In Basel sind vier Fotografen- spannendes Zeugnis vom Wert der Fotografie als historidynastien und damit vier Archive besonders bedeutsam: sche Quelle ab. Dass das Fotoarchiv Hoffmann gesichert die Fotoarchive Höflinger, Hoffmann, Dierks/Wyss und werden und diese Publikation entstehen konnte, ist vor Jeck. Mit dem Fotoarchiv Hoffmann konnte nun ein wei- allem dem beherzten Engagement von David Marc Hoffteres der vier wichtigsten Basler Fotoarchive für die breite mann zu verdanken. Ihm, aber auch den beiden Brüdern Öffentlichkeit, die Forschung und die Nachwelt sicherge- Nils und Florian Hoffmann, dem Staatsarchiv und seiner stellt werden. Welche Schätze dieses Fotoarchiv birgt, offen- Leiterin Esther Baur, Nathalie Unternährer, die beide Probart die vorliegende Publikation auf eindrückliche Weise. jekte vonseiten der Stiftung umsichtig begleitet hat, und Darüber hinaus gibt es natürlich weitere historische
allen weiteren Beteiligten, den weiteren Geldgebern und der
Bildbestände, fotografische Nachlässe und Sammlungen. Co-Autorin Nana Badenberg sowie dem Verlagsteam danke Seit den späten 1990er-Jahren engagiert sich die Christoph ich im Namen der Christoph Merian Stiftung sehr herzlich. Merian Stiftung (CMS) für ihre Sicherung, Inventarisierung,
Dr. Beat von Wartburg,
öffentliche Zugänglichkeit und Vermittlung. So unterstütz-
Direktor der Christoph Merian Stiftung
te sie die Basler Mission bei der Aufarbeitung und beim Publizieren ihrer grossen digitalen Fotosammlung (www. bmpix.org). Sie sicherte das Archiv der Schweizerischen Reederei und Neptun AG (SRN-Archiv), sie ermöglichte die Überführung des Fotonachlasses von Alfred Kugler sowie der Fotoarchive von Peter Moeschlin und Christian Baur ins Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt. Und die CMS engagierte sich auch bei der ‹Photosammlung Herzog›. So lag es nahe, auch die Sicherung des Fotoarchivs Hoffmann, die Überführung ins Staatsarchiv Basel-Stadt und die vorliegende Publikation zu unterstützen. Es ist für Basel ein Glücksfall, dass dieses wertvolle Bildarchiv als Teil des kulturellen Erbes und des visuellen Gedächtnisses erhalten und zugänglich gemacht werden konnte.
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Vom Photographischen Atelier zur Hoffmann Photo Kino AG David Marc Hoffmann, Nana Badenberg
Schon früh warb Hoffmann mit Spezialleistungen wie unvergänglich eingebrannten Bildern auf Porzellan (Tassen, Medaillons für Grabplatten) oder Vereins- und Kinderaufnahmen und pries das «auf ’s Modernste eingerichtete» und «best renommierte Atelier» an. In den 1890er-Jahren war die Fotografie fürs breite Publikum
Drei Generationen Hoffmann
immer noch Neuland, sodass die «garantierte Haltbarkeit»
Gut hundert Jahre, von 1891 bis 1994, war das Fotogeschäft und die mässigen Preise in den Anzeigen ausdrücklich Hoffmann an der Clarastrasse 36 beheimatet. ‹Foti Hoff- hervorgehoben wurden. Interessant ist auch, dass Theodor ma› war eine Kleinbasler Institution und nach dem Ver- Hoffmann nicht bloss in der ‹Nationalzeitung›, sondern schwinden von Foto Spreng und Foto Wehrli der einzige
auch im ‹Basler Arbeiterfreund› und im ‹Vorwärts› inse-
Fotograf an der Clarastrasse. Seit den 1980er-Jahren war rierte und damit ausdrücklich in der Arbeiterschicht um es sogar das älteste Fotogeschäft der Schweiz, da andere Kundschaft warb. 3 Basler und Schweizer Fotografen zwar früher begonnen,
Während die frühen fotografischen Bilder im Direkt-
aber keine Nachfolger in der Familie hatten. So wurde Felix verfahren hergestellt wurden (Daguerrotypien) und somit Hoffmann in dritter Generation zum Vertreter der längsten Einzelstücke waren, war es durch die Technik des Negafotografischen Tradition in der Schweiz.
tiv-Verfahrens seit William Henry Fox Talbot ab den 1840er-Jahren möglich, von einem Negativ beliebig viele
Theodor Hoffmann (1860–1925)
Abzüge herzustellen. Bis zur Jahrhundertwende wurde
Der Gründer der Fotografendynastie August Eduard Theo- allgemein nur auskopiert, das heisst, lichtempfindliches dor Karl Hoffmann wurde am 21. September 1860 in Alt- Papier wurde in sogenannten Kopierrahmen unter die wasser, Kreis Waldenburg bei Breslau (damals Deutsches Negative montiert und mit Tageslicht belichtet, wodurch Reich, heute Wałbrzych, Polen), geboren. Der Sohn eines 1:1-Kontaktkopien entstanden. Später konnten mittels ehemaligen Kunstmalers und Wanderfotografen erlernte Vergrösserungsapparaten Abzüge in beliebiger Grösse bei seinem Vater das Fotografenhandwerk und wanderte
hergestellt werden.
Anfang der 1880er-Jahre nach Basel ein. 1883 heiratete er Elisabeth Schalch, Tochter des Verwalters von Schloss Bottmingen. 1897 wurde er in Basel eingebürgert. 1 Zunächst an der Bahnhofstrasse beim alten Badischen Bahnhof (heute Riehenring) wohnhaft, zog die junge Familie 1891 an die Clarastrasse 36, wo Hoffmann seine eigene ‹Photographische Anstalt› gründete und im
2
Das Ladengeschäft mit Schauvitrine vor dem Umbau 1934/35, Foto Carl Hoffmann, BSL 1045l 3-2 10 5
dritten Stock in einer Stahl-Glas-Konstruktion ein Oberlicht-/Nordlicht-Atelier für Porträtfotografie einbauen liess. 1896 konnten Theodor und Elise Hoffmann das Haus erwerben. 2
3 1
Inserat im ‹Basler Arbeiterfreund›, 29. 8. 1891
Theodor Hoffmann, Mitte der 1890er-Jahre, Sammlung Familie Hoffmann
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Die Möglichkeit der Reproduktion war schon für die frü- Schon 1910 wurde Carl Hoffmann in die Kleinbasler Ehrenhesten Fotografen ein Marketingargument, quasi ihre USP, gesellschaft zum Greifen aufgenommen und tanzte noch Unique Selling Proposition, gegenüber der Porträtmalerei vor dem Ersten Weltkrieg den Vogel Gryff, was ihm nach sowie eine gute Einkommensquelle dank Nachbestellungen. seiner vierjährigen Wanderschaft schnell wieder Wurzeln in Deswegen wurden die Negativplatten aufbewahrt und die
seiner Vaterstadt zu schlagen half. 1923 heiratete der bereits
Negativnummern darauf eingetragen. Gleichzeitig wollte 40-jährige Carl Hoffmann die 34-jährige Stephanie (Fanny) die Fotografie nicht einfach ein plumpes mechanisches Meyer aus Aesch/BL, 1926 wurde der Sohn Hans-Peter geVerfahren sein, sondern die Vergrösserungen wurden als
boren, 1929 folgte Felix.
Pendant zum Anspruch der Malerei ausdrücklich «in künstlerischer Ausführung» angefertigt. 4 – 5 Theodor Hoffmann blieb bis zu seinem Tod mit 65
Nach dem Tod seines Vaters 1925 hat Carl Hoffmann das Geschäft erfolgreich weitergeführt und modernisiert. Er amtete im Kantonalen Photographen-Verband beider Basel
Jahren 1925 aktiv im Geschäft, seit 1909 unterstützt von in den 1920er-Jahren als Kassier, 1926 als Vizepräsident. seinem Sohn Carl.
1941 wurde Carl Hoffmann dann in den Schweizerischen Werkbund (SWB) aufgenommen, dem er bis zu seinem
Carl Hoffmann (1883–1969)
Tode angehörte. Diese Mitgliedschaft war ein öffentliches
Eduard Karl (später Carl, bisweilen auch elegant Charles) Bekenntnis zur ‹neuen Fotografie›, wie sie Carl Hoffmann Hoffmann wurde am 30. September 1883 als erster von zwei in seinen Porträt-, Stadt-, Landschafts- und IndustrieaufSöhnen geboren. 6
nahmen mit einer eigenen modernen Kompositionsspra-
Nach der Schulzeit machte er eine Fotografenlehre bei che entwickelt hatte. seinem Vater und besuchte daneben die Kunstklasse der
Angesichts der immer populärer werdenden Amateur-
Allgemeinen Gewerbeschule Basel. Die darauffolgenden fotografie baute Carl Hoffmann 1934/35 die Liegenschaft Wanderjahre führten ihn zuerst für ein Jahr nach Nürnberg Clarastrasse 36 im Parterre völlig um: Im Hinterhaus wur(1904/05), dann nach Lausanne (1905/06) und danach den die ehemaligen Pferdestallungen zu Labors ausgebaut, über Budapest bis ins rumänische Bukarest. Dort war er und die ehemalige ‹Photo-Handlung› wurde zu einem zwei Jahre (April 1906 bis April 1908) als Mitarbeiter im Ladengeschäft mit grossem Schaufenster. Die moderne Atelier des Hoffotografen Ioan Spirescu, ‹Photographe de Fassadengestaltung war ein ganz neuer Aussenauftritt, das la Cour Royale›, tätig. 7–9 (Später sollte dann Carls dreizehn Ladengeschäft eine Visitenkarte der persönlichen Beratung Jahre jüngerer Bruder Franz, geb. 1896, für seine Tätigkeit und fachlichen Kompetenz. 10–11 als Kaufmann auf Carls Vermittlung nach Bukarest auswandern, wo er von circa 1920 bis 1945 tätig war und dann von dort mit seiner Tochter in die Schweiz zurückkehrte.) Nach seiner Rückkehr nach Basel 1908 oder 1909 trat Carl als Mitarbeiter in den väterlichen Betrieb ein. 1918 wurde dem Atelier ein Verkaufsgeschäft für Amateurfotografen angegliedert, in der Folge firmierte man als ‹Photo-Handlung und Portrait-Atelier Th. Hoffmann Sohn›.
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Vom Photographischen Atelier zur Hoffmann Photo Kino AG
4–5
Rückseiten von Trägerkartons für Porträtfotografien, 1890er-Jahre
7–9
Arbeitszeugnisse aus Carl Hoffmanns Wanderjahren: von Robert de Greck, Lausanne, 11.7.1906; von Ioan Spirescu, Bukarest, 15.4.1908; von Curt Kubica, Nürnberg, 6.5.1905, BSL 1045l 2-1 2
6
Carl Hoffmann als circa Zwanzigjähriger, um 1903, Foto Theodor Hoffmann, BSL 1045l 2-1 2 2
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10
Schaufenster und Ladeneingang, Zustand seit dem Umbau 1934/35 bis zur Gesch채fts체bergabe an Roland Schweizer 1994, BSL 1045l 3-2 10 6
12
Carl Hoffmann mit Rolleiflex im Familiengarten in Riehen, auch in der Freizeit stets im dreiteiligen Anzug mit Krawattenschleifchen, 1950er-Jahre, Familienschnappschuss, BSL 1045l 2-1 2 1
11
Fanny und Carl Hoffmann hinter der Ladentheke, 1956, Sammlung Familie Hoffmann 14
Felix Hoffmann, 21 Jahre alt, Foto Verena Kloetzer an der Fotoschule Vevey, Januar 1951, Sammlung Familie Hoffmann
13
Hans-Peter Hoffmann, Fotograf und Gesch채ftsf체hrer, um 1946 Foto Carl Hoffmann, Sammlung Familie Hoffmann
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Vom Photographischen Atelier zur Hoffmann Photo Kino AG
Carl Hoffmann hat das berufliche Erbe seines Vaters wei- Der noch nicht zwanzigjährige Hans-Peter hätte zur Vertergeführt, das heisst zuallererst die Porträtfotografie, die
tiefung seiner fotografischen und sprachlichen Kenntnisse
er nun nicht mehr im dritten Obergeschoss mit Tageslicht, einen Welschlandaufenthalt absolvieren sollen – wohl im sondern mit Kunstlicht (Photolumen- und Blitzlichtanlage) selben Atelier de Greck in Lausanne, bei dem schon sein im neuen Atelier im Erdgeschoss ausführte. Zunehmend Vater vierzig Jahre früher gewesen war –, als eine beidseitige widmete sich Carl Hoffmann auch der fotografischen Nierenentzündung den Hoffnungsträger der Firma innerDokumentation von Tagesaktualitäten: politische und halb einer Woche dahinriss. Er starb am 14. Oktober 1946. gesellschaftliche Ereignisse, Umzüge oder Flugschauen, Der Vater Carl Hoffmann fiel in eine lähmende Depression. Veränderungen im Stadtbild, die Auswirkungen der WeltFelix Hoffmann (1929–2016)
kriege, den Landesstreik, Unglücksfälle, Brände und Wetter-
extreme. Dies in der Aussicht, diese Bilder und Reportagen Nun lag die ganze Verantwortung für die Zukunft des Gean Zeitschriften und Zeitungen zu verkaufen, die mehr schäfts auf dem siebzehnjährigen Felix. Dieser hatte nach und mehr auf Illustrationen setzten.1 So fuhr er etwa am der Handelsschule eine kaufmännische Lehre begonnen, Neujahrsmorgen 1923 mit der Bahn nach Dornach, um die
sinnigerweise bei einem fotonahen Betrieb, bei ‹Carl Bitt-
Brandruine des in der Silvesternacht abgebrannten Goe- mann optische Geräte en gros› am Petersgraben 33. Für Felix theanums aufzunehmen. Seine Fotos vom Goetheanum- war es schnell klar, dass er diese Lehre abbrechen und auf brand hingen am nächsten Tag im damals vielbeachteten die Fotografenausbildung umsatteln musste, um einmal öffentlichen Aushang der ‹National-Zeitung› und wurden das Geschäft zu übernehmen und den Vater aus seiner Dedann in der ‹Schweizer Illustrierten› gedruckt.2 Schon in den 1920er-Jahren war Carl Hoffmann im
pression herauszuholen. Er rang sich zu diesem Entscheid durch (und schwor sich, dass dereinst seine Kinder nur die
Auftrag des Fotografenverbands an Lehrlingsprüfungen Ausbildung machen sollten, die sie wollten). Felix wechselte beteiligt und hat in seinem Betrieb selbst Lehrlinge aus- also in die Lehre bei seinem genesenden Vater und schloss gebildet, eine Praxis, die sein Sohn Felix später engagiert die Ausbildung im Dezember 1949 ab. weiterführen sollte. Seit 1940 war Carl Hoffmann auch als
Offenbar wollte Carl Hoffmann seinen Sohn noch in
akkreditierter Theaterfotograf aktiv; ebenfalls eine Tätig- einem anderen Betrieb ausbilden lassen. Da das Porträtfach keit, die Felix übernahm und dann bis 1968 weiterführte.
noch immer einer der zentralen Geschäftsbereiche der Hoff-
Mit der Übergabe der Firma ‹Photo Kino Hoffmann› an manns war, schickte er Felix 1947 in einen mehrwöchigen seinen Sohn Felix am 1. Juli 1960 zog sich Carl Hoffmann Porträtkurs in ein bekanntes Fotoatelier nach Stuttgart.3 aus der geschäftlichen Hauptverantwortung zurück, blieb Neben seiner fachlichen Vertiefung erlebte Felix dort auch aber bis wenige Monate vor seinem Tod 1969 als Fotograf die Misere des Nachkriegsdeutschlands hautnah – und im Einsatz. 12
machte nebenbei mit der Borgward-Limousine seines Vaters Furore. Nach dem Lehrabschluss trat Felix 1950 als
Hans-Peter Hoffmann (1926–1946)
Die Geschäftsübergabe war eigentlich anders geplant:
Fotograf in die väterliche Firma ein. 14 Seinen Militärdienst hat Felix Hoffmann als Fotograf
Hans-Peter, der Erstgeborene, hätte Carls Nachfolger wer- bei den Fliegertruppen absolviert. Nach der Rekrutenschule den sollen. Er hatte die Berufslehre absolviert und vertrat war er zunächst als Korporal, dann als Wachtmeister sowohl bereits als 19-Jähriger im Februar 1946 den Vater während bei Luftaufnahmen als auch im Labor tätig. Ein Grossteil dessen Ferien. Täglich schickte er Tagesrapporte über Auf- der Schweizer Fotografen und Fotolaboranten war damals träge, Labortätigkeit und das Geschäft im Laden. Seine
bei den Fliegertruppen eingeteilt, sodass Felix aus diesem
Rapporte begann er mit der Anrede «Herr Chef, Mama militärischen Milieu beste zivile Berufskontakte erwuchsen. und Papa» und zeichnete jeweils als «Euer Geschäftsführer und Sohn». Der Umstand, dass Hans-Peter im elterlichen Betrieb die Ausbildung absolvierte, machte aus dem Vater zugleich den Chef. Auch für Felix war der Vater, selbst in familiären Gesprächen, später immer «der Chef». 13
1 Die Auftragsarbeiten oder freien Angebote an illustrierte Zeitungen waren zunehmend von Bedeutung für das Geschäft. Am Anfang der Auftragsbücher aus den 1920er-Jahren sind die Adressen solcher Medien festgehalten, siehe dazu unten S. 38 f. 2 Der Name ‹Schweizer Illustrierte Zeitung› zeigt schon das weitgehende Alleinstellungsmerkmal dieser (Wochen-)Zeitung gegenüber den (Tages-) Zeitungen, die damals noch wenig illustriert waren. 3 Die Information über den Stuttgarter Porträtkurs stammt aus mündlichen Berichten von Felix Hoffmann. Um welches Fotoatelier es sich handelte, ist nicht dokumentiert.
27
Verena Hoffmann-Kloetzer (geb. 1931)
Kurz vor dem Lehrabschluss von Felix Hoffmann ist Verena
Im Anschluss an ihre französischsprachig absolvierte Lehre erweiterte Verena Kloetzer ihre Ausbildung in einem Spe-
Kloetzer in die Lehre bei der Firma Hoffmann eingetreten. zialatelier und -labor für Farbfotografie in Paris, wo sie sich Schon nach ein paar Monaten übernahm sie – zum gros- theoretische und praktische Kenntnisse im damals immer sen Erstaunen des Chefs – souverän die Arbeit der Haupt- noch aufstrebenden und exklusiven Fach ‹color› erwarb. 17 Kopiererin, die krank geworden war. Sonst war die Arbeit
Darauf folgten ein Stage als wissenschaftliche Foto-
«eher öde», wie sich Verena Hoffmann erinnert. Sie hatte als
grafin an der Clinique dermatologique in Genf und eine
‹Mädchen für alles› Bilder zu schneiden, aber als man sie
Saisonstelle im Fotoatelier Willy in Arosa. Der Kontakt
auch als Bedienung in den Laden stellen wollte, wurde sie
zu Felix Hoffmann hielt während der ganzen Lehrzeit in
aufmüpfig und wollte die Lehrstelle wechseln, zu einem Vevey und den Fortbildungen an, und im April 1954 heirarichtigen Kunst-Fotografen. Es scheint auch, dass der stür- teten Verena Kloetzer und Felix Hoffmann in Basel. Damit mische Felix dem Charme der bildhübschen 18-jährigen
trat Verena auch bei Foto Hoffmann als Fotografin ein. 18
‹Lehrtochter› erlegen ist, jedenfalls wurde das Lehrverhält- Dort hatte sie freilich keinen leichten Stand, die beiden nis nach einem Jahr beendet. Das trockene Zeugnis von Männer Carl und Felix Hoffmann beargwöhnten die junge Carl Hoffmann vom 1. Juli 1950 nennt als Grund für das ‹weltgereiste› Frau, die mit ihren akademisch-schulischen Ausscheiden «Gesundheitsrücksichten» und den «Wunsch Kenntnissen einiges genauer und besser zu wissen schien der Eltern». Verena Kloetzer führte dann ihre Lehre an der als die Praktiker von der Clarastrasse. Dazu brachte sie ‹Ecole des Arts et Métiers Vevey, Section de photographie› ‹Color-Erfahrungen› mit, was im reinen Schwarz-Weissweiter, wo sie 1952 erfolgreich abschloss.15–16 An dieser Atelier der Hoffmanns auch neu war. Dennoch konnte Schule unterrichtete auch der Solothurner Fotograf Her- sich Verena zunächst als Mitarbeiterin etablieren. Eine mann König (1907–2001). Durch seine Schülerin Verena Aufnahme zeigt sie im Einsatz am Kleinbasler Festtag Kloetzer wurde der verwitwete vierfache Vater Hermann ‹Vogel Gryff› im Januar 1955. 19 König mit der Mutter von Verena, Gertrud Kloetzer, auch
In diesem Januar 1955 kandidierte Verena (parallel zu
sie verwitwet und dreifache Mutter, bekannt. Wenige Jah- Felix) für die Meisterprüfungen zum eidgenössischen Fotore darauf heirateten die beiden, wodurch König Verena grafendiplom an ‹ihrer› Fotofachschule in Vevey. Mit der Kloetzers Stiefvater wurde.
Geburt des ersten Sohnes Nils (15. November 1955) fielen aber diese Pläne dahin, weil sich Verena Hoffmann – wie damals selbstverständlich – ganz der Rolle als Mutter und Hausfrau zu widmen hatte. Damit endete ihre Karriere als Berufsfotografin. Der weitere berufliche Weg von Felix Hoffmann
Felix Hoffmann erwarb sich 1955 den Titel eines diplomierten Fotografen und übernahm die Geschäftsführung der Firma. Da seine Meisterprüfung an der Fotofachschule in Vevey abgenommen wurde, stand er nun ausbildungsmässig nicht mehr hinter seiner Frau zurück und war seinem Vater und Chef mindestens ebenbürtig. Weil er sich zuerst à contre cœur zur Fotografenausbildung hatte durchringen müssen, wollte er mit einem eidgenössischen Diplom zeigen, wie ernst es ihm war. – Später erwarb sich Felix Hoffmann als Kompensation zur abgebrochenen kaufmännischen Lehre auch den Titel des eidgenössisch diplomierten Kaufmanns; die geschützten Titel ‹Dipl. Fotograf, Dipl. Kaufmann› hat er dann stolz in seinem Geschäftsbriefkopf geführt. 20–21
15
Verena Kloetzer, 20 Jahre alt, während ihrer Lehrzeit in Vevey,
28
1951, Foto Henry Hefti, Vevey, Sammlung Familie Hoffmann
16
Lehrabschlusszeugnis von Verena Kloetzer an der Fotoschule Vevey vom 7. 10. 1952, Sammlung Familie Hoffmann
17
Geschäftskarte ‹La boîte à couleurs›, Paris, Fortbildungsort von Verena Kloetzer vom Oktober 1952 bis Februar 1953, Sammlung Familie Hoffmann 18
Porträts von Verena Kloetzer, für den Aushang im Laden montierte Porträtserie, Foto Felix Hoffmann, Sammlung Familie Hoffmann
19
Verena Hoffmann als Fotografin am Vogel Gryff, Januar 1955, hinter dem Fotografen im hellen Trenchcoat, Foto Zimmer, Birsfelden, Sammlung Familie Hoffmann
20–21
Eidgenössische Diplome für Felix Hoffmann für die Höhere Fachprüfung als Fotograf (1955) und Kaufmann (1964), Sammlung Familie Hoffmann
22
Lehrabschlussprüfungen der Fotografenlehrlinge, April 1977, Gewerbeschule Basel; von links nach rechts: die Prüfungsexperten Felix Hoffmann, Rolf Jeck, Christian Baur, Roland Schweizer (Nachfolger von Felix Hoffmann an der Clarastrasse 36), Foto Lotti Link, Sammlung Familie Hoffmann
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Felix Hoffmann mit einer Leica mit Teleobjektiv und aufgestecktem Telesucher, Fotograf unbekannt, 1951, Sammlung Familie Hoffmann
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Felix Hoffmann beim Erteilen von Anweisungen für Interieuraufnahmen mit einer 4 × 5 inch Fachkamera, Muba 1967, Foto Adrian Stückelberger, Sammlung Familie Hoffmann 24
Felix Hoffmann mit der Rolleiflex (zweiäugige Kamera mit Schachtsucher), 1964 in Bulgarien, Foto Verena Hoffmann, Sammlung Familie Hoffmann
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Vom Photographischen Atelier zur Hoffmann Photo Kino AG
Von 1955 an hatte Felix Hoffmann die Geschäftsführung Im Laufe seiner Berufstätigkeit hat Felix Hoffmann alle inne, 1960 übernahm er die Einzelfirma ‹Photo Kino Hoff- technischen Revolutionen der Fotografie miterlebt: von mann› und gründete 1966 zusammen mit seinem Vater der Glasplatte über den Planfilm, den Rollfilm (6 × 6 cm) und seinem Compagnon, dem Fotografen Willy Bernet zum Kleinbildfilm (24 × 36 mm), von schwarz-weiss zu (1931–1989), die ‹Hoffmann Photo Kino AG›, wobei Felix color, von der Atelier-Holzkamera (18 × 24 cm) zu LinhofHoffmann 98 Aktien hielt und die beiden anderen Beteilig- und SINAR-Fachkameras (4 × 5 inch), von der Mittelforten je eine. Durch die Gründung einer Aktiengesellschaft war mat Rolleiflex (2 Objektive) zur Hasselblad (Spiegelreflex) eine wirtschaftliche Absicherung der Familie gegeben, und
und von der Leica-Kleinbildkamera mit Sucher über die
Felix hatte freie Hand zur Innovation in seinem Geschäft. Polaroidkameras zur modernen Spiegelreflexkamera mit Er führte die Porträt-, Theater- und Fasnachtsfotografie Autofokus und Belichtungsautomatik. Den Wechsel zur fort und baute den Zweig der Geschäfts- und Hochzeits- Digitaltechnik hat er nicht mehr mitgemacht. 23–27 reportagen sowie der technischen Aufnahmen in Messe,
Durch den technischen Fortschritt hat spätestens seit
Industrie und Städtebau weiter aus. In Atelier und Labor den 1920er-Jahren eine Vereinfachung und Privatisierung wurden zusätzliche Mitarbeiter eingestellt.
der Fotografie stattgefunden. Schon damals hatten die
1968 gründete Felix Hoffmann zusammen mit sechs Berufsfotografen über die Konkurrenz durch die Amateure anderen Basler Fotografen die AGEFOBA (Arbeitsgemein- geklagt. Mit dem Aufkommen der Spiegelreflexkamera in schaft der Fotografen Basel). Die Konkurrenten auf dem
den 1970er-Jahren fand noch einmal ein grosser Sprung
Platz Basel schlossen sich in einer denkwürdigen Verstän- statt. Mit einer bezahlbaren Spiegelreflexkamera und eidigung zusammen, um die boomende Messefotografie an nigem Basiswissen über Gegenlichtkorrektur, stürzende der Schweizerischen Mustermesse und den vielen Fach- Linien und Reflexe konnten Amateure qualitativ gute messen (IGEHO, INELTEC, Swissbau, Uhren- und Schmuck- Aufnahmen machen. Dadurch sank die Nachfrage nach messe etc.) untereinander aufzuteilen. Als Carl Hoffmann professioneller Fotografie. am 30. September 1969, seinem 86. Geburtstag starb, war
Felix Hoffmann hat über den Niedergang seines
die ‹Hoffmann Photo Kino AG› ein blühendes Geschäft Handwerks aufgrund der privaten ‹Knipserei› jahrelang mit einem halben Dutzend Mitarbeitern und mehreren gejammert, sodass er seinen drei Söhnen den Einstieg in Lehrlingen. – Felix Hoffmann war Lehrmeister von einer seinen Beruf nicht wirklich schmackhaft machen konnte. ganzen Generation von Fotografen, Fotolaboranten und Dazu hatte er sich geschworen, dass seine Söhne – anders Fotoverkäufern beiderlei Geschlechts. Und bei den kanto- als er damals – einen von ihnen gewählten Beruf ergreifen nalen Lehrabschlussprüfungen war Felix Hoffmann lange
sollten und nicht dem Wunsch des Vaters zu folgen hät-
Jahre als Experte tätig. 22
ten. Die drei Söhne haben das ihrem Vater gedankt und sind ihre eigenen Wege gegangen (als Pilot, Philologe und Informatiker). Und Felix Hoffmann hat am 1. April 1994 ohne Zögern das älteste Fotogeschäft der Schweiz, die ‹Hoffmann Photo Kino AG› aufgelöst und Geschäft mit Atelier und Labor an Roland Schweizer weitergegeben, der es seither als ‹Photo Basilisk AG› führt. Er blieb noch bis 2002 als selbstständiger Fotograf tätig, hauptsächlich für Reportagen und technische Aufnahmen. 2016 ist Felix Hoffmann im Alter von 87 Jahren gestorben. 26
Felix Hoffmann mit der einäugigen Mittelformat-Spiegelreflexkamera Hasselblad 500 C/M (6 × 6 cm), frühe 1980er-Jahre, Foto Nils Hoffmann, Sammlung Familie Hoffmann
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Felix Hoffmann mit der Kleinbild-Spiegelreflexkamera Minolta XE 1, Fasnacht 1978, Foto Nils Hoffmann, Sammlung Familie Hoffmann
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