Beat Schlatter
POST CARDS Christoph Merian Verlag
Beat Schlatter
POST CARDS
Christoph Merian Verlag
Beat Schlatter
POST CARDS Christoph Merian Verlag
Beat Schlatter
ICH BIN EIN BILDERS AMMLER
Als ich anfing, meine umfangreiche Postkartensammlung zu ordnen, wurde mir klar, dass dies eine Auseinandersetzung mit der Geschichte sein würde. Nicht nur mit der Geschichte im Allgemeinen, sondern auch mit meiner persönlichen Geschichte. Meine Leidenschaft für die Postkarte begann in der dritten Klasse. Ich war still und heimlich in Angelika verliebt, aber ich war zu schüchtern, ihr das zu gestehen. Keiner wusste von meinem Geheimnis. Jeden Tag freute ich mich auf die Schule, nicht wegen des Unterrichts, sondern weil ich ihr nahe sein würde. Die langen Sommerferien verbrachte ich mit meinen Eltern regelmässig in Engelberg. Es war kaum auszuhalten. Angelika und ich waren getrennt, auch wenn wir in der Schule nicht «zusammen» waren. Eines Tages entdeckte ich am Kiosk eine Postkarte, auf der sich zwei Kinder, ungefähr in meinem Alter, auf der Skipiste einen Kuss gaben. Obwohl es Hochsommer war, kaufte ich von meinem Taschengeld diese Postkarte. Ich schickte sie A ngelika und schrieb auf die Rückseite: «Wir haben schönes Wetter und das Essen ist gut.» 5
Von da an sehnte ich den ersten Schultag nach den Sommerferien regelrecht herbei. Ich war mir sicher, Angelika würde mir um den Hals fallen und mir die drei magischen Worte ins Ohr flüstern, für die das Postkartensujet stand. Ich wurde enttäuscht. Zwar bedankte sich Angelika für die Karte, doch dann gab sie mir ihr Poesiealbum und bat mich, etwas hinein zu zeichnen. Ich weiss nicht, was ich gezeichnet habe. Vielleicht habe ich die vier Ecken schwarz ausgemalt und geschrieben: «In allen vier Ecken soll Liebe stecken.» Oder ich habe eine Sonne gezeichnet und gedichtet: «Sali, sali, sali, d’Sunne schiint für alli.» Ich kann mich nicht mehr erinnern. Diese früh erwachte Leidenschaft für die Postkarte dauert bis heute an. Wann immer ich auf Reisen bin, egal wie kurz, schreibe ich Postkarten. An meine Familie, Freunde, Bekannte. Zwar sind heute keine küssenden Kinder mehr darauf, aber die Botschaft ist dieselbe: Die Postkarten zeigen eine Stimmung, die mich an die betreffende Person denken lässt. Es gibt viele Gründe, Postkarten zu schreiben: liebe Grüsse versenden, so wie ich es bei Angelika getan habe; jemandem mitteilen, dass es einem gut geht; die Rückkehr ankündigen; Aufmerksamkeit erregen. Onkel Kurt schickte unserer Familie immer Postkarten aus weit entfernten Ländern, mit bunten Briefmarken darauf. Bis heute bin ich den Verdacht nicht losgeworden, dass es ihm darum ging zu zeigen, zu welchem Wohlstand er es gebracht hatte. Postkarten sind wie gute Popsongs. Sie sind auf Anhieb verständlich, und sie lösen unterschiedliche Erinnerungen und Gefühle aus. Wenn zehn Menschen dieselbe Postkarte von einem Strand in Rimini anschauen, erinnert sich eine Frau vielleicht an ihre ersten Sommerferien mit ihrem Freund, eine andere denkt an die schmerzhafte Begegnung mit einer Feuerqualle, ein Jugendlicher träumt von einer ausschweifenden Strandparty und eine Familie erinnert sich an den gerissenen Keilriemen auf der Autostrada Adriatica kurz vor Faenza. Ich selbst erinnere mich bei Rimini-Postkarten immer an die beste Tagliata di Manzo vom Grill, die ich je hatte. Frau Fischer und ich hatten eine bestimmte Osteria zu unserem Ferienstammlokal erklärt und ver6
brachten jeden Abend dort. Als wir abreisten, schenkte uns der Padrone zwei wunderschöne Porzellanteller. Zwei Mal habe ich versucht, Postkarten selbst herzustellen. Beim ersten Mal hatte ich eine Ausstellung über Autogrammkarten besucht und eine Karte gesehen, auf der sich eine Hollywood-Diva der 1940er-Jahre vor ihrer 35-Zimmer-Villa zeigte. Zwei Wochen später brachte die ‹Bilanz› eine Ausgabe über die 100 reichsten Schweizer. Bei einigen Porträts war ein typähnliches Haus als Domizil abgebildet. Ich machte die Fotografin ausfindig, handelte mit ihr die Bildrechte aus und gab ihr im Gegenzug 8 Freikarten für eine meiner Aufführungen. Dann beauftragte ich einen Grafiker, eine Postkarte mit mir und der Villa zu gestalten, ganz nach dem Vorbild der Hollywood-Diva. «Die Residenz von Beat Schlatter» stand darauf. Als ich ein halbes Jahr später in eine neue Wohnung umzog, benutze ich diese Karte als Adressänderungskarte für Freunde. Eine davon gelangte in die Redaktion der auflagestärksten ‹Schweizer Illustrierten›, die sie, ohne zu recherchieren, auf einer halben Seite abdruckte. Nach zwei Tagen erhielt ich ein Einschreiben vom Anwalt des Villenbesitzers an der Zürcher Goldküste: Ich müsse die Postkarte unverzüglich und für immer verschwinden lassen, sonst hätte ich mit einer Klage zu rechnen. Der Villenbesitzer war von Beruf Gynäkologe. Wie ich später erfuhr, hatte er im Keller eine Schiessanlage. Sein Hobby waren Waffen. Bei meiner zweiten Eigenproduktion handelte es sich um eine Serie, bei der ich überzeugt war, dass ich damit meine Altersvorsorge sichern würde. Diesmal waren die Vorbilder Postkarten aus den 1970er-Jahren bis Anfang der 1980er-Jahre. Im Hintergrund ist meistens ein Strand zu sehen, im Vordergrund eine leicht oder gar nicht bekleidete Frau, oder ein Mann in knappen Badehosen beziehungsweise im Tanga. Mit Modellen aus dem Freundeskreis stellte ich diese Aufnahmen nach, aber nicht vor Stränden, sondern vor Schweizer Sehenswürdigkeiten: dem Zürcher Grossmünster, dem Rheinfall in Schaffhausen, der Luzerner Kapellbrücke, dem Matterhorn. Ich fuhr mit dem Modell, einem Fotografen und einer Maskenbildnerin an den Ort der Aufnahme, und auf der Karte hiess es dann in schöner Schrift: «Gruss aus Luzern», oder «Gruss aus Schaffhausen». Der Verkauf 7
liess zu wünschen übrig, niemand wollte die Karten haben. Heute noch lagern in meinem Keller mehrere Kisten davon. Seit vielen Jahren sammle und versende ich Postkarten. Mir geht es nicht darum, ein repräsentatives Archiv anzulegen oder eine Tauschbörse zu eröffnen, mir liegt daran, dass auch in der digitalisierten Welt die Postkarte als Kommunikationsmittel lebendig erhalten wird. Postkarten geben einem Dorf, einer Stadt, einer Landschaft ein Gesicht. Es ist ein geschminktes Gesicht. Sie zeigen den Ort und die Landschaft so, wie wir sie sehen sollen. Postkarten sind selten hässlich. Manche sind skurril, andere sind wehmütig, andere informativ: «Seht her, diese Strasse haben wir gebaut!» oder «Unser Schwimmbad hat eine sehr lange Bahn». Unter den mehr als dreitausend Postkarten, die für dieses Buch durch meine Hände gegangen sind, ist keine einzige, auf der es regnet. Ich weiss, dass es Postkarten gibt, die Regen zeigen, doch meistens sind es historische Karten oder Scherzpostkarten mit Zeichnungen. Ich wollte keinen Regen zeigen. Ich wollte Sonne zeigen. Schnee, Berge, Strassen, die sich durch die Berge winden, Strände, nächtlich erleuchtete Promenaden, Tiere und Menschen. Bei der Auswahl für dieses Buch war mir wichtig, dass mich das Sujet auch bei mehrfachem Betrachten nicht langweilen durfte. Wenn Sie meine Karten anschauen und jedes Mal etwas Neues darin entdecken, habe ich mein Ziel erreicht. Die Karten stammen aus den 1960er- bis in die 1980er-Jahre, als die Farben der Autos und Kleider noch bunter waren, die Schriften noch runder, alles in bestem Hochglanzdruck. Bei der Kombination habe ich darauf geachtet, dass sich die Karten innerhalb einer thematischen Gruppe visuell und inhaltlich gut vertragen. Postkarten haben etwas Anrührendes und Sentimentales. Diese einfache und direkte Art, Gefühle und Stimmungen auszudrücken, gefällt mir. Eine Postkarte muss einen besonderen Zauber haben, sie muss visuell und emotionell stimulieren. Sie kurbelt das Fernweh an und stillt vorübergehend die Sehnsucht. Die durchaus kitschigen, aber belebenden Empfindungen, die meine Postkartensammlung hoffentlich auch bei Ihnen auslöst, gehören dazu.
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Beat Schlatter
I AM A C OLLECTOR OF IMAG ES
When I began introducing some order into my extensive postcard collection it soon became clear that this would be an examination of history. Not only of history in general but also of my own personal history. My passion for the postcard began in third grade. I was silently and secretly in love with Angelika, but too shy to admit this to her. No one was aware of my secret. Every day I looked forward to school, not because of the lessons but because I would be close to her. I regularly spent the long summer holidays together with my parents in Engelberg. It was almost unbearable. Angelika and I were apart, even though in school we weren’t “together.” One day I discovered a postcard at the kiosk, which showed two children of approximately my age kissing on the ski slope. Although it was high summer I bought this postcard with my pocket money. I sent it to Angelika and wrote on the back: “We have beautiful weather and the food is good.” 9
From that moment on I longed intensely for the first day back at school after the summer holidays. I was sure that Angelika would fall into my arms and whisper in my ear the three magical words embodied by the image on the postcard. I was disappointed. For while Angelika thanked me for the card, she then gave me her autograph book and asked me to draw something in it. I don’t know what I drew. Perhaps I inked in the four corners and wrote: “Love should be found in all four corners.” Or I drew a sun and versified: “Sali, sali, sali, d’Sunne schiint für alli (Hello, hello, hello, the sun shines for all).” I can no longer remember. Awakened at such an early age, my passion for the postcard continues to this day. Whenever I am on a journey, however short, I write postcards. To my family, friends, acquaintances. And while these may no longer show images of kissing children, the message is the same: The postcards portray a mood that makes me think of the person involved. There are many reasons for writing postcards: to send your love, as I did to Angelika; to tell someone that you are okay; to announce your impending return; to attract attention. Uncle Kurt always sent our family postcards bearing colorful stamps from faraway countries. To this day I cannot shed my suspicion that his reason for doing so was to show us how prosperous he had become. Postcards are like good pop songs. They can be understood immediately and trigger a range of memories and emotions. If ten people look at the same postcard of a beach in Rimini, one woman might remember her first summer holiday with her boyfriend and another the painful encounter with a stinging jellyfish, a teenager dreams of a wild beach party while a family recalls the torn fan belt on the Autostrada Adriatica just before Faenza. When I look at postcards of Rimini myself I always remember the best grilled tagliata di manzo that I have ever eaten. Frau Fischer and I had declared that a certain osteria would be our holiday hangout and spent every evening there. Upon our departure, the padrone presented us with two wonderful porcelain plates.
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I have twice attempted to produce my own postcards. On the first occasion I had visited an exhibition about autograph cards and seen a card that showed a Hollywood diva from the 1940s in front of her 35-room villa. Two weeks later, the magazine “Bilanz” featured the 100 richest Swiss people. In some of the portraits a similar sort of house was depicted as their home. I tracked down the photographer and negotiated the image rights with her in exchange for eight free tickets to one of my shows. Then I commissioned a graphic designer to produce a postcard showing me and the villa exactly following the model of the Hollywood diva. It was labeled “The residence of Beat Schlatter.” When I moved into a new apartment six months later I used this card to announce my change of address to friends. One reached the editorial desk of Switzerland’s highest circulation glossy magazine, “ Schweizer Illustrierte,” which published it across half a page without doing any research. Two days later I received a registered letter from the owner of the villa on Zurich’s Gold Coast: If I didn’t immediately and permanently remove the card from circulation I would be facing legal action. The villa’s owner was a gynecologist. As I later discovered, he had a shooting range in the basement. Weapons were his hobby. My second in-house production was a series that I was sure was going to provide for me in my old age. The models this time were postcards from the 1970s and early 1980s. In the background you can generally see a beach and in the foreground a lightly clad or even completely unclad woman or a man in tight bathing trunks or a thong. I reproduced these images using friends as models and the backgrounds were no longer beaches but Swiss landmarks: the Grossmünster in Zurich, the Rhine Falls in Schaffhausen, Kapellbrücke in Lucerne, the Matterhorn. I drove to the location together with the model, a photographer, and a makeup artist and the card bore the text “Greetings from Lucerne” or “ Greetings from Schaffhausen” in a beautiful typeface. Sales left something to be desired, no one wanted the cards. To this day there are still several boxes stored in my cellar. I have been collecting and sending postcards for many years. The important thing to me is not the creation of a representative archive or the opening of an exchange platform but the fact that 11
the postcard retains its role as a means of communication, even in this digitalized world. Postcards give a face to a village, a city, or a landscape. It is a made up face. They show the place and the landscape as we are supposed to see them. Postcards are rarely ugly. Some are bizarre, some melancholic, and others informative: “Look here, we built this road!” or “Our swimming pool has a very long lane.” Amongst the more than three thousand postcards that passed through my hands while preparing this book there is not a single one upon which it is raining. I am aware that there are postcards that depict rain but these are mostly histori cal cards or humorous ones with drawings. I didn’t want to show any rain. I wanted to show the sun. Snow, mountains, roads winding through those mountains, beaches, boardwalks illuminated at night, animals, and people. While making the selection for this book it was very important to me that my subjects shouldn’t be boring, even after being looked at several times. If you examine my cards and discover something new every time, then I have achieved my goal. The cards date from the 1960s and 1970s, when the colors of the cars and clothes were even brighter and the typefaces even rounder, all printed using the best high gloss process. When combining the cards I took care to ensure that they fitted together well within thematic groups, in terms of both appearance and content. There is something poignant and sentimental about postcards. I like this simple and direct means of expressing feelings and moods. A postcard must have a special magic, it must inspire both visually and emotionally. It stimulates and momentarily satisfies our longing for faraway places. The thoroughly kitsch yet energizing emotions, which my postcard collection also, hopefully, triggers within you, are part of this process.
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Rhonegletscher, Galenstock und Furkastrasse / Rhône Glacier, Galenstock, and Furkastrasse
Kurfirsten (Toggenburg)
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Matterhorn
Lago Maggiore / Lake Maggiore Gambarogno
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Palma de Mallorca La Catedral / The Cathedral
Como Panorama
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Santa Margherita Ligure  Hotel Imperiale
Nairobi  City center
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Bern Der Bärengraben / The Bear Pit
Niagara Falls
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Montecatini Terme Ippodromo Sesana / Sesana racecourse
Zürich / Zurich Street parade
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Lorient (Morbihan) La Bretagne en couleurs / Brittany in colors
Engelberg Bergrestaurant / Mountain restaurant Brunni (Ristlis)
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Marbella Restaurante / Restaurant Los Papagayos
Wien / Vienna Blick von der Kahlenbergterrasse / The view from Kahlenberg Terrace
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Miramare (Rimini) La spiagga / The beach
Lignano Pineta (Udine) La spiaggia / The beach
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Cattolica Veduta panoramica della spiaggia / Panoramic view of the beach
Lido degli Scacchi (Ferrara) Panorama della spiaggia / of the beach
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Portoverde
Manarola
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Alassio
Bellaria
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Milano / M ilan Piazza del Duomo
Königsschlösser / Royal castles
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Roma / Rome Basilica di S. Paolo / The Basilica of St. Paul
Roma / Rome
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