Christoph Merian Verlag
RUDOLF MAEGLIN MALER / PAINTER
Christoph Merian Verlag
VORWORT UND DANK FOREWORD AND ACKNOWLEDGEMENTS 13 Alain Claude Sulzer FERN JEDER DRAMATIK FAR REMOVED FROM ANY DRAMATICS 21 Emanuel Christ IDEALZUSTAND IDEAL STATE 33 Reto Thüring MAEGLINS HUMANISMUS MAEGLIN’S HUMANISM 147 Werner Schmalenbach RUDOLF MÄGLIN 237 Zora del Buono GREEN EYES 245 RUDOLF MAEGLIN BIOGRAFIE BIOGRAPHY 257 WERKLISTE LIST OF WORKS 259 AUTORINNEN UND AUTOREN AUTHORS 265
VORWORT UND DANK
Der gelernte Arzt Rudolf Maeglin (1892–1971) spielt in der Kunstgeschichte Basels und der Schweiz eine Sonderrolle. Sein Werk lässt sich sowohl stilistisch als auch thematisch nur schwer ein- und zuordnen und sperrt sich gegen jegliche Kategorisierung. Zwar war er Gründungsmitglied der bedeutenden Künstler- und Architektenvereinigung Gruppe 33 und hatte – vor allem seit den 1960er-Jahren bis zu seinem Tod – auch kommerziell Erfolg, doch ist er weder ein Maler typischer Schweizer Motive noch ein Vertreter einer der wichtigen Kunstbewegungen der Nachkriegszeit. Maeglin ist Maeglin. Und so zurückgezogen und eigenwillig er sein Werk auf der Kleinbasler Seite des Rheins entwickelte, so hat sich auch die Auseinandersetzung mit Maeglins Kunst nach seinem Tod mehr und mehr aus dem nationalen kunsthistorischen Diskurs verabschiedet. Will man sich heute seinem Werk nähern, muss man sich vornehmlich auf ältere Texte von Kunsthistorikern, Kritikern oder Freunden Maeglins stützen. Die vorhandenen Beiträge legen den Fokus oftmals nur auf einen Aspekt des Œuvres, zum Beispiel die Baustellen- und Arbeiterbilder, oder sie rezipieren Maeglin vornehmlich im Kontext der Gruppe 33. Eine umfassende Monografie zu seinem Leben und Werk aber fehlt bislang. Die Entscheidung, ein grösser angelegtes Ausstellungsprojekt in drei Basler Galerien mit einer umfangreichen Publikation zu begleiten, lag also auf der Hand. Über die Berechtigung, wenn nicht sogar Notwendigkeit eines solchen Unterfangens war man sich schnell einig. Rudolf Maeglin. Maler entstand denn auch in enger Zusammenarbeit zwischen den Basler Galerien Knoell, Nicolas Krupp und Mueller sowie dem Christoph Merian Verlag. Im Vordergrund stand die Absicht, Leben und Werk des Malers Rudolf Maeglin aus aktueller Sicht zu untersuchen. Doch da Maeglin – wie andere herausragende Basler Künstlerinnen und Künstler auch – heute etwas in Vergessenheit geraten ist, muss die Publikation zunächst einmal auch ein Stück Erinnerungsarbeit leisten. Dass sie im 50. Todesjahr des Künstlers erscheint, ist dabei mehr dem Zufall geschuldet als umsichtiger Planung. Die Suche nach Werken für die Ausstellung und die Publikation führte uns nicht an einen einzelnen Nachlass-Ort, sondern zu zahlreichen in Basel und der Schweiz lebenden Privatpersonen. Es war eine Reise zurück in die Geschichte Basels und in die Basler Kunstgeschichte, vor allem aber in das Leben von Rudolf Maeglin, befanden und befinden sich doch grössere Konvolute seiner Bilder in Familien, die eine enge persönliche Beziehung zum Maler pflegten und auf diesem Weg auch zu Sammlerinnen und Sammlern seiner Werke wurden. Für die Publikation war es indes ebenso wichtig, den institutionellen Kontext und öffentlichen Raum, für den viele von Maeglins Bildern, Zeichnungen und Holzschnitten ursprünglich entstanden, zu berücksichtigen. Das Kunstmuseum Basel, die Kunsthalle Basel, der Kunstkredit 13
Basel-Stadt, die Sammlung der Bâloise, das Aargauer Kunsthaus Aarau und das Kunsthaus Zug waren grosszügigerweise bereit, uns Abbildungen ausgewählter Werke aus ihren Sammlungen zur Verfügung zu stellen. Die somit zusammengekommene stattliche, vielseitige und beinahe alle Werkphasen Maeglins repräsentierende Bildauswahl bildete die Basis für die Gestaltung dieses Buches. Und sie stellte auch den Ausgangspunkt für die hier versammelten Textbeiträge dar. Maeglins Schaffen – so die Idee – sollte sich einer jüngeren Generation von Betrachterinnen und Betrachtern aus unterschiedlichen Disziplinen primär visuell über seine Werke erschliessen. Den vier angefragten Autorinnen und Autoren war der Maler zwar nicht gänzlich, aber doch weitestgehend unbekannt. Im Blick auf die für Publikation und Ausstellung zusammengetragenen Arbeiten durften sie selbst entscheiden, welche Aspekte sie in ihren Texten besonders thematisieren wollten. Herausgekommen ist eine Sammlung frischer und sehr unterschiedlicher Sichtweisen auf Rudolf Maeglin und sein Werk. Der Schriftsteller Alain Claude Sulzer begibt sich auf eine Spurensuche in Maeglins Leben und seine Wahrnehmung Basels und er fragt nach der Stellung des Künstlers in der Schweizer Kunstgeschichte. Dabei bezieht sich Sulzer stark auf das vor allem dank der Technik des Holzschnitts bekannte und weitverbreitete Motiv des ‹Farbarbeiters›, einer Figur, die heute in der von der Pharmazeutischen Chemie geprägten Industrielandschaft Basels keine Rolle mehr spielt. Emanuel Christs Bildbetrachtungen nähern sich Maeglins Arbeiten mit dem Auge des Architekten: Entstanden ist eine persönliche Abhandlung über den Maler und seine Bilder, über Kunst und Architektur. Der Kunsthistoriker und Kurator Reto Thüring steuert einen auf präzise Werkbetrachtung gestützten Text bei, der neue, wichtige Erkenntnisse zutage fördert und als Grundlage für weitere Forschungen und Überlegungen zu Maeglin und seinem Werk dienen wird. Die Schriftstellerin Zora del Buono, ebenfalls Architektin von Hause aus, nutzt das vorliegende Material für eine Geschichte, in deren Zentrum ein Bild Maeglins aus den 1960er-Jahren steht, welches das Leben der beiden Hauptcharaktere des Textes, eines Grossvaters und seiner Enkelin, nachhaltig geprägt hat. Allen vier Autoren einen grossen Dank für ihre Bereitschaft, sich auf unbekanntes Territorium vorzuwagen und dieses Buch mit neuen, ganz eigenständigen Betrachtungsweisen zu Leben und Werk Rudolf Maeglins zu bereichern. Als Grundlage für die Beschäftigung kann der 1950 in der Zeitschrift ‹Werk› erschienene Text des deutsch-schweizeri schen Kunsthistorikers Werner Schmalenbach dienen, der hier mit freundlicher Genehmigung des Verlags Werk AG in voller Länge wieder abgedruckt ist. Auch der Werk AG gebührt unser Dank für die unkomplizierte Bereitstellung des Aufsatzes. 14
In unserem stark visuell und medial geprägten Alltag kommt der buchgestalterischen Positionierung und Kontextualisierung von Maeglin und seinem Werk eine zentrale Bedeutung zu. Der Grafiker Dan Solbach verfügt nicht nur über ein exzellentes Auge, sondern er hat auch ein Gespür dafür, wie man den Maler und sein Œuvre heute in einem Buch präsentieren kann. Gina Folly war für die fotografische Reproduktion der meisten abgebildeten Werke verantwortlich und erledigte dies wie immer professionell und zuverlässig. Die Realisierung eines solchen Projekts wäre ohne einen Partner wie den Christoph Merian Verlag nicht möglich gewesen. Die Zusammenarbeit mit Iris Becher und Oliver Bolanz war äusserst konstruktiv und geprägt von gegenseitigem Vertrauen, Mut zur Freiheit und Professionalität. Doris Tranter, Lektorin, und Simon Thomas, Übersetzer, halfen, die Texte in ihre endgültige Form zu bringen. Ihnen allen einen herzlichen Dank. Ein grosser Dank geht des Weiteren an die privaten und institutionellen Besitzer der Werke Maeglins, die in diesem Buch – teils erstmals – abgebildet und veröffentlicht werden können. Bei der Finanzierung ermöglichte uns die Spende einer privaten Gönnerin überhaupt erst die Aufnahme der Arbeiten an diesem Projekt. Auch die Swisslos-Fonds Basel-Stadt und Basel-Landschaft und die Freiwillige Akademische Gesellschaft Basel liessen sich von der Bedeutung des Malers und der Wiederaufnahme eines Diskurses über ihn überzeugen und beteiligten sich grosszügig an der Realisierung. Unser herzlicher Dank gilt ihnen allen. Carlo Knöll, Nicolas Krupp, Dominik Müller Basel, im Januar 2021
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Rudolf Maeglin in seinem Atelier / Rudolf Maeglin in his studio, ca. 1965
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FOREWORD AND ACKNOWLEDGEMENTS
The trained doctor Rudolf Maeglin (1892–1971) plays a special role in Basel’s and Switzerland’s art history. Both stylistically and thematically, his work is difficult to classify or pigeonhole – it defies categorisation. He was a founding member of the important artists’ and architects’ association Group 33 and also had commercial success, especially from the 1960s until his death, but he was neither a painter of typical Swiss motifs, nor a representative of any significant post-war art movement. Maeglin is Maeglin. Mirroring his withdrawal to Kleinbasel’s side of the Rhine, where he developed his unconventional work in seclusion, engagement with Maeglin’s art has increasingly departed from the discourse of national art history since his death. Anyone wishing to approach his work today must mainly rely on older texts by art historians, critics or Maeglin’s friends. The existing writings often focus on only one aspect of his oeuvre, such as the paintings of building sites and workers, or predominantly receive Maeglin in the context of Group 33. However, there has been no comprehensive monograph on his life and work until now. The decision to supplement a relatively large exhibition project in three Basel galleries with a comprehensive publication was therefore an obvious one to make. It was quickly agreed that such an undertaking was justified, or even neces sary. Rudolf Maeglin. Painter is also a result of close collaboration between the Basel galleries Knoell, Nicolas Krupp and Mueller, and the publishing house Christoph Merian Verlag. The foremost intention was to examine the life and work of the painter Rudolf Maeglin from a contemporary perspective. Nevertheless, as Maeglin, like other outstanding Basel artists, has been somewhat forgotten today, this publication also has to do a little remembrance work first. Its release coincides with the 50th anniversary of the artist’s death, although this is due more to chance than careful planning. The search for works to include in the exhibition and publication did not lead us to an estate at a single location, but to numerous private individuals living in Basel and Switzerland. It was a journey back into Basel’s history and Basel’s art history, but mainly into the life of Rudolf Maeglin, as relatively large quantities of his paintings were, and still are, held by families who maintained a close personal relationship with the painter and thus also became collectors of his works. For the publication though, it was equally important to consider the institutional context and the public space, for which many of Maeglin’s paintings, drawings and woodcuts were originally produced. Kunstmuseum Basel, Kunsthalle Basel, Kunstkredit Basel-Stadt, Bâloise, Aargauer Kunsthaus Aarau and Kunsthaus Zug were generously willing to provide us with images of selected works from their collections. The impressive multifaceted selection of paintings thus gathered, representing almost all periods in Maeglin’s oeuvre, formed the basis for the creation of this book and the starting 17
point for the texts compiled here. The idea was that Maeglin’s work should be made accessible to a younger generation of observers from different disciplines in a primarily visual way, via his artworks. The painter was not entirely, but largely, unknown to the four invited authors. Taking into account the works that had been brought together for the publication and exhibition, they were free to decide for themselves which aspects they particularly wanted to thematise in their texts. The result is a collection of fresh and very different perspectives on Rudolf Maeglin and his work. Writer Alain Claude Sulzer inquires about the artist’s position in Swiss art history, searching for clues in Maeglin’s life and perception of Basel. In so doing, Sulzer draws heavily on a motif that is well known and widespread, mainly thanks to the woodcut technique: the ‘paint worker’ or ‘colour worker’, a figure who now no longer plays a role in Basel’s industrial landscape, which is shaped by pharmaceutical chemistry. In Emanuel Christ’s visual observations, Maeglin’s works are approached with the eye of an architect, resulting in a personal treatise on the painter and his paintings, as well as on art and architecture. Art historian and curator Reto Thüring contributes a text based on precise examination of Maeglin’s artworks, which brings important new findings to light, thus also laying a foundation for further research and reflection on this artist and his oeuvre. Writer Zora del Buono, who is also an architect by training, uses the available material to tell a story revolving around a 1960s Maeglin painting that has a lasting impact on the lives of her text’s two main characters: a grandfather and his granddaughter. A big thank-you goes to all four authors for their willingness to venture into unknown territory and enrich this book with new, entirely distinct ways of looking at Rudolf Maeglin’s life and work. Serving as a basis for engagement, the text by GermanSwiss art historian Werner Schmalenbach, published in 1950 in the journal Werk, is reprinted here in full, by kind permission of publisher Werk AG, whom we also thank for providing the essay in such an uncomplicated manner. As our everyday world is very much shaped by visuals and media, the way in which Maeglin and his work are positioned and contextualised in a book design is highly impor tant. Graphic designer Dan Solbach not only has an excellent eye, but also a sense of how a painter and oeuvre can be presented in a book today. Professionally and reliably as always, Gina Folly took care of the photographic reproduction of most works shown here. The realisation of such a project would not have been possible without a partner like Christoph Merian Verlag, whose team members Iris Becher and Oliver Bolanz ensured extremely constructive collaboration, characterised by mutual trust, professionalism and the courage to act freely. Proofreader Doris Tranter and translator Simon Thomas helped to give the texts their final form. Heartfelt 18
thanks go to all of the above. Furthermore, a huge thank-you goes to the private and institutional owners of the pictured Maeglin works, some of which are published in this book for the first time. In terms of financing, it was a donation from a private benefactor that enabled us to start work on this project in the first place. Implementation was generously aided by those in charge of the Basel Stadt and Basel Landschaft Swisslos lottery funds, and the Freiwillige Akademische Gesellschaft Basel, who were also convinced of the importance of this painter and of the resumption of a discourse on him. Our heartfelt thanks go to them all. Carlo Knöll, Nicolas Krupp, Dominik Müller Basel, January 2021
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FERN JEDER DRAMATIK Alain Claude Sulzer
Als die Malerei abstrakt wurde und das Diffuse das Gegenständliche aufzulösen begann, als nicht mehr Objekte, sondern Formen und Farben und schliesslich Ideen die bildende Kunst bestimmten, sah es aus, als würden die Gegenstände nicht mehr zurückkehren. Mit ihnen würden auch deren Maler auf der Strecke bleiben. Wir wurden eines anderen belehrt. Mit der Abstraktion war nicht das letzte Wort gesprochen; die Gegenstände kamen zurück. Das Abbildbare wurde wieder abgebildet, auch wenn es sich anders darstellte als früher. Es war durch das heisse Bad der Moderne gegangen. Es war notwendig, ja unumgänglich gewesen, um die Dinge neu zu sehen. Doch als für einige Jahrzehnte Form und Farbe, Fläche und Textur über den Gegenstand triumphierten, hatten es all jene schwer, die weiter darauf beharrten, dass die Welt durch die Wiedergabe des Sichtbaren darstellbar sei. Während die Abstrakten längst keine Unverstandenen mehr waren und ihre Werke die Museen eroberten und bei Verkäufen Rekordsummen erzielten, fristeten die Nichtabstrakten Schattenexistenzen als Unzeitgemässe. Der Markt sonderte sie aus und verwies sie auf Nischenplätze. Betrachtet man die Kunstgeschichte der letzten tausend Jahre, nimmt die Zeit der Abstraktion vergleichsweise wenig Raum ein; dieser ist längst wieder offener und belebter geworden. Doch vieles, was im Lauf des Zwanzigsten Jahrhunderts aus dem Fokus der Wahrnehmung geriet, weil es nicht ins Weltbild der apodiktischen Kunstwelt passte, ist verschwunden, das meiste wohl für immer. Was wieder auftaucht, darf mit offeneren Augen, ohne Scheuklappen und abwertende Kommentare gesehen werden. Erbitterte Kämpfe um die richtigen Schulen sind so obsolet geworden wie der Kalte Krieg. Rudolf Maeglin gehört zu jenen Künstlern des vergangenen Jahrhunderts, die in Vergessenheit gerieten. Nach seinem Tod erinnerten sich gewiss ein paar Sammler, Kenner, Galeristen und Kunsthistoriker an ihn und sein Werk. Einer breiten Öffentlichkeit aber war er nicht bekannt. Nur wenige etwa wussten, von wem die zwischen 1966 und 1968 entstandenen drei Glasfenster im Treppenhaus des Kantonalen Arbeitsamts an der Utengasse in Basel stammten (S. 221–223). Wer täglich daran vorbeiging, bemerkte wohl die kräftigen monochromen Farben, das martialisch wirkende, sich in jedem Stockwerk andersfarbig wiederholende Sujet; wer genauer hinsah, mochte unangenehm berührt sein von den drei zentral platzierten, einander zum Verwechseln ähnlichen Gestalten – selbst der Schnitt ihrer Arbeitskleidung ist identisch –, von denen lediglich die rote ihr menschliches Antlitz zeigt, die Gesichter der beiden anderen sind hinter Schutzmasken verborgen. Gefällig waren diese drei ‹Farbarbeiter› (ein gelber, ein blauer, ein roter) im Amt für Arbeitslose nicht; sie sollten es auch nicht sein. Verkörperten sie nicht die unsichtbare 21
Seite des Reichtums, den die Stadt dem Einsatz von Malochern zu verdanken hatte, die eines Tages als Arbeitslose hier vorsprechen würden? Maeglin wollte in diesem Triptychon – das zu entwerfen ihm schwerfiel, obwohl ihm das Motiv des Farbarbeiters nicht neu war – Arbeiter in ihrem realen, auf ein Minimum reduzierten Umfeld zeigen. Das Individuum blieb so gut wie ausgeblendet; die Arbeit steht im Mittelpunkt; die Tätigkeit wird durch dreimal die gleichen Werkzeuge, Kleidungsstücke und Maschinenteile fast plakativ herausgehoben. Der Unterschied besteht allein in der Farbe. Ihr ist alles untergeordnet. Sie bestimmt den Alltag der Farbarbeiter. Die drei Männer repräsentieren nichts anderes als ihre tägliche, gefährliche und ungesunde Beschäftigung mit der Herstellung von hochgiftigen Farben, die buchstäblich auf sie abgefärbt haben; sie sind Farbe geworden. Leider fehlen dem potenziellen Betrachter die Musse oder zwingende Notwendigkeit, vor den Glasfenstern an der Utengasse zu verweilen. Achtlos steigt er an ihnen vorbei die Treppe hinauf oder hinunter, auch deshalb vielleicht, weil sie etwas dokumentieren, was sich weit von seiner Gegenwart entfernt hat, nicht nur thematisch, sondern auch ästhetisch. So arbeitet man nicht mehr, so stellt man Arbeit – wenn überhaupt – nicht mehr dar. Ihre grösste Wirkung würden die drei Bilder übrigens dann entfalten, wenn sie neben- oder untereinander ausgestellt wären; dann könnte das Auge des Betrachters oder der Betrachterin von einem zum anderen wechseln und so die serielle Gleichförmigkeit ebenso mit einem Blick erfassen wie die nicht weniger wichtigen kleinen Abweichungen. Manche erinnerten sich vielleicht an Maeglins Fabrikund Architekturbilder, vergassen darüber aber wichtige Teile seines übrigen umfangreichen Œuvres. Interessant bleiben sie allemal, insbesondere wenn man sie als Zeugen des uneingeschränkten, von keiner Kritik angekratzten Fortschrittsglaubens betrachtet, der zu ihrer Entstehungszeit herrschte. Der Maler hat diesen Glauben aufs Bild gebannt und erinnert damit an jene gesetzten Männer, die in meiner Jugend staunend wie Knaben an Bauzäunen standen und fasziniert verfolgten, was sich in den tiefen Baugruben tat, wo Maschinen und Menschen die Zukunft regelrecht aus dem Boden stampften. Maeglin, der stille Bewunderer, zeigt weder Schattenseiten noch Gefahren, weder Unfälle noch Bausünden, die Zukunft ist rein, von der Vergangenheit bleibt nichts übrig; sie ist hier ausgespart; hier wird stets aufgebaut, nie abgerissen. In seiner Architektur- und Baustellenmalerei erweist sich Maeglin als Idylliker und entfernter Verwandter der sozialistisch geprägten Realisten im Osten, auch wenn er deren Vorlieben für entindividualisierte Massen, die mit Hammer und Spaten im Gleichschritt Richtung rote Sonne marschieren, nicht teilt. Bleibt die Frage, in welcher Rolle sich Maeglin als 22
Städtebaumaler sah, der sich gern als williges Werkzeug dessen bezeichnete, was sich ihm als Motiv aufzwang. «Ich kann doch nicht malen, wie ich es will; die Dinge diktieren mir, wie ich es machen muss.» Angesichts seiner unverwechselbaren Art, die Dinge, die er sah, zu gestalten, darf man seine Aussagen bezüglich des Diktats der Dinge getrost relativieren. Sie stehen in deutlichem Widerspruch zu dem, was wir sehen: Gebäude kurz vor ihrer Vollendung, Veduten im Aufbau, lichtdurchlässige Gerüste, in den Himmel wachsende Kräne, Fabrikinterieurs. Immer neue Bauten und Baustellen, Fertiges und im Bau Befindliches vor dem neutralen Hintergrund eines hellgraublauen Himmels. Die Arbeiter sind wie mit Kinderaugen gesehen, der Maler als Knabe blickt staunend auf die Welt der Erwachsenen: Sind sie nicht alle Konstrukteure, grösser und mächtiger als er? Mit wenigen Strichen gelang es Maeglin, den dargestellten Bau-, Hafen- oder Fabrikarbeitern den Stempel einer flüchtigen Persönlichkeit aufzudrücken, ein kleines Wunder der Reduktion und zugleich ein Zeichen von malerischer Bescheidenheit. Der Blick Maeglins auf diese Szenerie – die nebenbei auch Stadtgeschichte und -entwicklung dokumentiert – ist weder naturalistisch noch kritisch, sondern distanziert, ja befangen, geradezu ehrfürchtig angesichts des gewählten Objekts (das ihn erwählt hatte?). Was er sieht und festhält, erzählt von seiner hingebungsvollen Liebe zu den körperlich arbeitenden Menschen, deren ganzes – notabene männliches – Tun darauf ausgerichtet ist, etwas zu erbauen, was Bestand hat. Sie sind keine Rädchen im unerbittlichen Räderwerk einer sich verselbstständigenden, rationalisierten Technik, wie Charles Chaplin sie in Modern Times in Szene setzte. Sie sind aber auch keine ‹freiwillig› zu Maschinen mutierten Arbeiterdarsteller, wie sie uns in den verlogenen Utopien kraftstrotzender sozialistischer Heldenmalerei begegnen. Sie sind, so anachronistisch uns das heute erscheinen mag, Herren ihres eigenen Tuns. Als Maeglin 1971 starb, standen Künstler wie Joseph Beuys, Christo oder Niki de Saint Phalle im Zentrum der Aufmerksamkeit des Kunstgeschehens. Möglicherweise starb Maeglin mit dem Gefühl, dass seine Kunst keinen Platz mehr habe, weil ihre Zeit vorbei sei. Doch seine Porträts junger Menschen sind der lebendigste und schlüssigste Beweis dafür, dass er, der Einsame in seinem kleinen Haus in Kleinhüningen, wohl gar nicht so einsam war, wie er von manchen wahrgenommen wurde. Die über seine Kunst schrieben, kannten ihn vielleicht doch nicht so gut, wie sie glaubten. Dass er nicht am Alten hing, belegen seine Bilder. Dass er ein waches Auge für die Jugend hatte, veranschaulichen seine Porträts. Die zahlreichen Bildnisse junger Menschen, die Maeglin hinterlassen hat, stehen im denkbar grössten Gegensatz zu seinen Architekturbildern. Als Porträtist verlor er dann die 23
Befangenheit, die man in vielen anderen Menschendarstellungen, insbesondere auf seinen Architekturbildern, zu spüren glaubt. Sobald er sich auf Menschen fokussierte, bekundete er Unmittelbarkeit und Nähe und ja, auch Erotik und Sinnlichkeit. Ob Zwei Jungen (1959, S. 170), Junge (ca. 1961, S. 217), Junge mit grünen Augen (1960, S. 180) oder Geigerin (ca. 1962, S. 185) – immer beschränkt er sich auf das Wesentliche, meist ist der Hintergrund nur Farbe, öfters Grün; es gibt so viele verschiedene Grün, die er uns alle zeigen will! Wie ein Fotograf, mit dessen Darstellungen seine Porträts kaum Ähnlichkeit haben, setzt er die Dargestellten vor den farblichen Hintergrund, der in seinen Augen am besten zu ihnen passt. Das muss genügen, und es genügt auch meist. Wer genau hinschaut, findet im Bild Sonntag in meinem Atelier nicht nur den Künstler am Herd, sondern auch einige seiner Modelle (und natürlich mancherlei Grün); ein weiteres Idyll nach Maeglins Art: ein Ort der Zuversicht und Vertrautheit. Als er es – gewiss aus dem Kopf – malte, hatte er seine Objekte sicher schon «tage-, wochen-, monatelang» studiert, wie er Werner Schmalenbach gegenüber äusserte. Maeglin galt als Aussenseiter, was handfeste biografische Gründe hatte. Er war es zweifellos. Der Einzelgänger Maeglin, als der er uns in den wenigen Zeugnissen entgegentritt, die wir aus dritter Hand haben, war homosexuell; es liesse sich auch aus den Porträts schliessen. Was damals ein Tabu war, wurde mit Worten wie «Er war ein Einsamer und ein Einzelgänger» [1] – so sein Arzt Rudolf Schmidt – umschrieben. «Eigentlich» – so Werner Schmalenbach – stand er «ausserhalb … sowohl durch sein persönliches Leben wie durch seine Malerei» [2]. Über solche Aussagen konnte man hinweglesen, vertiefen durfte man sie höchstens hinter vorgehaltener Hand. Waren Maler – nicht nur im protestantischen Basel – nicht immer schon Aussenseiter gewesen, und erst recht einer wie Maeglin, der vom rechten Weg abgewichen war, als er seinen studierten Beruf als Arzt an den Nagel hängte und nach Paris ging, um Maler zu werden. Aber natürlich meinte Schmalenbach mit seiner Zuschreibung etwas anderes als den Maler in seiner Heimatstadt. Rudolf Maeglin hatte ohne theatralische Geste mit seiner grossbürgerlichen Herkunft gebrochen und schien damit im Reinen zu sein. Er hatte sich buchstäblich auf die andere Seite des Flusses begeben, ins ‹mindere› Kleinbasel, wo er sich unter den Einheimischen geborgener und heimischer fühlte als unter ‹seinesgleichen›. Der Bruch muss sich still und undramatisch vollzogen haben, denn Dramatik war Maeglin fremd sowohl im Persönlichen wie im Künstlerischen; sein Selbstbildnis am weissen Kochherd mit abgewandtem Profil kommt diesbezüglich einem Bekenntnis gleich. Hier in der vertrauten Umgebung versammelt der Maler seine Modelle. Indem er sie schützt und behütet, schützt und behütet er auch sich selbst; es ist ein Bild vollkommener Ruhe und 24
1 Rudolf Schmidt: «Rudolf Maeglin». In: Sandoz Bulletin 80 / 1987. 2 Werner Schmalenbach: «Rudolf Mäglin». In: Werk. Die Schweizer Monatsschrift für Architektur, Kunst, künstlerisches Gewerbe. Band 37 (1950), S. 84–88; siehe S. 237 ff. in diesem Band.
Harmonie: der Künstler mit seinen Objekten im Rücken. Was könnte weniger theatralisch und zuversichtlicher sein als dieses Bild? «Wenn man in Basel bleibt, vermodert man» [3], schrieb er als Achtundzwanzigjähriger aus Genf. Als er 1929 nach ausgedehnten Reisen und Aufenthalten unter anderem in Paris und Mallorca nach Basel zurückkehrte, genügte der Schritt über den Rhein, um ins Neue aufzubrechen und damit das Alte endgültig abzulegen. Dort machte er gewiss auch «Bekanntschaft mit Leuten, die es nicht nötig haben, sich zu verstecken» [4], wie er sie bereits 1921 in Paris gemacht hatte. Man muss sich der Tatsache bewusst sein, dass Klein- und Grossbasel bis weit über die Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts hinaus zwei Teile einer Stadt waren, die sich oft kaum berührten. So wie die Kleinbasler nicht nach Grossbasel gingen, gingen die Grossbasler nicht nach Kleinbasel, man ignorierte sich gegenseitig. «Ich wollte in letzter Zeit so viel malen, aber ich weiss nicht mehr, was ich malen soll. Seit ich in Mallorca war, scheint es mir, dass man die ganze Schöpfung malen müsste, aber es hängt davon ab, wie. Es gab eine Zeit, in der ich wusste, was ich malen will, aber nicht wie. Jetzt wüsste ich wie, aber nicht was. So ist die Welt.» [5] 1929 bezog er ein Atelier an der Gärtnerstrasse 99. Bis 1936 arbeitete er als Hilfsarbeiter bei Gasometro und Sandoz. Er hatte nicht nur die bestimmende Umgebung gefunden, in der er leben wollte, sondern auch das Was, das er malen musste und fürderhin malen sollte.
3 Genf, 15. Januar 1920. 4 Paris, 22. Juni 1922. 5 Colombes, 22. September 1927. Aus Briefen an den Maler und Bildhauer Daniel Hummel (1895–1982), der wie Rudolf Maeglin in seiner Pariser Zeit mit James Joyce befreundet war. Zit. nach Angelo Casè: Rudolf Maeglin, Maler, 1892–1971. Ein bemerkenswerter Aufruhr (o.J.).
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