Heim für obsolete Medien Home for Obsolete Media
RAFFAEL DÖRIG FLO KAUFMANN (HG./EDS.)
H.o.Me.
Christoph Merian Verlag
Heim für obsolete Medien Home for Obsolete Media
RAFFAEL DÖRIG FLO KAUFMANN (HG./EDS.)
H.o.Me.
Christoph Merian Verlag
Inhaltsverzeichnis Content 6 10
Einleitung Introduction
Raffael Dörig
Raffael Dörig, Flo Kaufmann Mediengeschichte/ Media History
Optisch-chemisch: Foto und Film Optical-chemical: Photo and Film 44 Rillen: Schallplatten und Co. Grooves: Records and Co. 70 Wellen: Radio und Fernsehen Waves: Radio and Television 92 Magnetisch: Ton- und Videobänder Magnetic: Audio and Video Tapes 126 Optisch-digital: Compact Disc und Co. Optical-digital: Compact Disc and Co. 24
Raffael Dörig, Eva-Maria Knüsel Künstlerinnen und Künstler/Artists
Dardex Flo Kaufmann 38 Asi Föcker 40 Alexandra Navratil 42 Mobileskino 60 Strotter Inst. 62 Christian Marclay 64 Sarina Scheidegger & Rodrigo Toro Madrid 80 Jonathan Frigeri 90 !Mediengruppe Bitnik 104 Manuela Imperatori 122 Max Egger, Michael Egger, Flo Kaufmann 124 Ted Davis 134 Fornax Void 18 22 66
Essays
Zur Erhaltung von Medienkunstwerken in musealen Sammlungen 141 Conservation of Media Art in Museum Collections Martina Haidvogl 144 Obsoleten audiovisuellen Medien eine Zukunft geben 148 On Giving Obsolete Audio-Visual Media A Future Yves Niederhäuser 152 Obsolete Medien als Social Media-Stars 154 Obsolete Media: Stars of Social Media Raffael Dörig 156 Wie man eine Endloskassette macht How to Make a Cassette Tape Loop 138
Amulets (Randall Taylor)
Der Herr der Rille 167 The Lord of the Groove Hannes Grassegger 174 Geräteheilung 179 Healing Devices Kristen Gallerneaux 182 Das Ding namens Nostalgie 185 A Thing Called Nostalgia The Mutha_Ship Landing 188 Die Fotografie als politische Materie am Beispiel der analogen Praxis von Rhea Storr 193 Photography as Political Matter. On the Analog Practice of Rhea Storr Doris Gassert 196 Klingende Schatten 199 Musical Shadows Peter Kraut 160
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Raffael Dörig
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Einleitung Während dem Schreiben dieser Einleitung lese ich vom Tod von Lou Ottens, dem Erfinder der Musikkassette. Nachrufe auf den niederländischen Ingenieur erschienen in allen grossen Zeitungen, die Kommentarspalten sind voll mit Sätzen wie «Was wäre die Jugend von vielen von uns ohne die Musikkassette gewesen...»1. Nebst Erinnerungen an Mixtapes und Bandsalat (so oft gabs den doch gar nicht?) ist in den Artikeln vom Revival die Rede, von jungen Bands, die ihre Musik auf Kassette rausbringen, weil sie «wärmer klinge» und man «nicht einfach zum nächsten Song skippen kann»2. Kassetten werden also immer noch produziert, auch Abspielgeräte. Man staunt: die Musikkassette, sollte die nicht längst veraltet sein – oder eher tot? Obsolet gemacht von der CD (an deren Entwicklung Lou Ottens übrigens auch beteiligt war), dem iPod, Spotify? Befasst man sich ein wenig mit der Geschichte der audiovisuellen Medien, merkt man allerdings schnell, dass diese nicht als lineare Fortschrittserzählung funktioniert. Das Neue braucht zwar das Obsolete beziehungsweise die «für die Moderne charakteristische Geste des Für-ObsoletErklärens»3, doch klare Brüche sucht man vergebens. Es gibt Gleichzeitigkeiten, Überschneidungen, es bleiben eingespielte Praktiken (und daneben bilden sich neue), und es bleibt viel Material: Geräte und Aufzeichnungen: «Das Obsolete zeichnet sich […] gerade durch sein Überdauern aus, während die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen sich dem Neuen zuwendet»4. Der amerikanische Medienwissenschaftler Charles R. Acland verwendet den Begriff ‹residual media›, auf deutsch etwa ‹übrigbleibende› oder ‹verbleibende Medien›5. Um die Beschäftigung mit diesem Verbleibenden geht es in diesem Buch. Sie führt uns zu verschiedenen Facetten des Themas. Zunächst soll hier vom Kernaspekt der Erinnerung und Überlieferung die Rede sein. Das Mixtape von der ersten grossen Liebe, die Super-8-Filme aus der Kindheit, das Fotoalbum der Grossmutter und ihre Erzählungen dazu – beim Durchblättern dieses Buchs werden unweigerlich Erinnerungen geweckt.
Die audio-visuellen Medien, von denen hier die Rede ist, sind ja Erinnerungsmaschinen im mehrfachen Sinn, «kulturelle Formen, die sowohl Sinn in Form von Inhalt vermitteln, als auch in ihrem Design und ihrer Funktion mit Sinn angereichert sind»6. Ton- und Bildträger sind Zeitkapseln nicht nur wegen der gespeicherten Inhalte, sondern auch wegen medienspezifischen Ästhetiken, etwa der Farbwiedergabe eines VHS-Tapes, oder wegen damit verbundenen Praktiken, Organisationen und Ökonomien, etwa dem Besuch der Videothek oder dem Aufzeichnen von Fernsehsendungen. Obsolete Medien sind dadurch Material und Gegenstand für die Geschichtsschreibung und Gedächtnisinstitutionen ebenso wie für persönliche und kollektive Erinnerungen. Der sentimentale Wert wird dabei mitunter zur verklärenden Nostalgie oder gar zum kulturpessimistischen Reflex von ‹früher war alles besser›. Zudem lässt sich Nostalgie als popkulturelle Retromanie nahtlos in kapitalistische Verwertungslogiken einbinden. In unserem Projekt sind wir gegenüber solch konsumistischer Nostalgie kritisch eingestellt, ebenso wie gegenüber Regelwerken, die orthodoxe Originaltreue anstreben. Der sentimentale Erinnerungswert, die Idee von Überlieferung und Bewahrung wertvollen Kulturgutes oder die Bewunderung für vergangene Qualitäten sind auch ein wichtiger Teil des Heims für obsolete Medien. Der Zugang ist jedoch ein offener, experimenteller. Dies wiederum ist verbunden mit dem zweiten Kernaspekt, der Widerspenstigkeit, die in der Beschäftigung mit dem Obsoleten liegt. Diese widersetzt sich der Fortschrittslogik und dem Technodeterminismus. Sie insistiert auf die Rolle der Nutzerinnen und Nutzer, die ein Medium mitformen, ganz besonders wenn sie es anders und länger benutzen als vorgesehen. Das Veralten ist insofern auch eine Erlösung, es setzt ein Potential frei und beinhaltet Möglichkeiten der Umdeutung oder Neu-Erfindung eines Mediums gegen das Diktat des richtigen Benutzens7. Wenn es per se falsch ist, eine als veraltet geltende Technologie zu benutzen, gibt es auch kein richtiges Benutzen mehr, 7
dafür alle Möglichkeiten kreativer Fehler. Dazu kommt, dass der Moment des Obsoletwerdens Material zum Experimentieren oft massenhaft und kostenlos oder günstig anspült, im Müll, auf dem Flohmarkt, bei der Auflösung von Sammlungen.8 «Historisches Gebrauchsgut wird wieder zu einer Art Rohmaterial».9 Dass dieses Material mit Erinnerung und Überlieferung aufgeladen ist, wie oben beschrieben, öffnet den Möglichkeitsraum noch weiter, auch im Sinne einer utopischen Idee: Es hätte anders sein können und könnte heute anders sein. Das Benutzen obsoleter Medien lässt sich als Teil eines konsumkritischen und umweltbewussten Handelns verstehen.10 Es ist ein Gegenbild zur Logik des profitgetriebenen Für-Obsolet-Erklärens, die Konsumentinnen und Konsumenten dazu bringen möchte, «etwas ein bisschen Neueres, ein bisschen Besseres, ein bisschen früher als nötig»11 zu kaufen. Dass sich die Medien- und Gerätezyklen auf der Basis dieser Logik beschleunigt und globalisiert haben, wissen wir aus eigener Erfahrung. Es braucht oft nicht einmal geplante Obsoleszenz im Sinne eingebauter Materialschwächen.12 Es reicht ein Softwareupdate oder die verinnerlichte Werbebotschaft, dass das iPhone 11 irgendwie besser als seine (suggestiv nummerierten und also nun überholten) Vorläufer sei. Wenn wir vom Smartphone sprechen: Hier konvergiert die Entwicklung. Ein Computer, der in jede Hosentasche passt und für viele Menschen Telefon, Kamera, Walkman, Tonaufnahmegerät und mehr ersetzt hat: Statt vieler Geräte eine Universalmaschine, statt physische Ton- und Bildträger und zeitgebundenes Fernsehen beziehungsweise Radio nicht einmal mehr gespeicherte Dateien, sondern zeitversetzte Streams. Und gleichzeitig kommt es zu Dingen wie dem eingangs erwähnten kleinen Kassettenrevival – kein Widerspruch. Willkommen in der lebendigen Parallelwelt der obsoleten Medien!
Heim für obsolete Medien
Dieses Buch erscheint anlässlich der Ausstellung ‹H.o.Me. – Heim für obsolete Medien› im Kunsthaus Langenthal im Frühling 2021. Die Ausstellung versammelt Geräte, Bild- und Tonträger aus der Sammlung von Flo Kaufmann, sowie Werke von ihm und rund fünfzehn 8
weiteren Kunstschaffenden, die mit und zu obsoleten Medien arbeiten. Flo Kaufmann begann mit dem Sammeln als Kind, wurde später DJ, Schallplattenretter, Musiker, Ingenieur, Künstler und, so seine treffende Selbstbezeichnung, «bricoleur universel», Universalbastler. Zu seiner Sammlung sagt er, das sei alles einfach Strandgut, das er aufsammle. In der Tat sind nur wenige Stücke durch eine gezielte Suche zu ihm gekommen. Er ersteigert nicht den raren Walkman, von dem er als Teenager träumte, er durchkämmt keine Flohmärkte nach Preziosen. Es gibt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder einen Fokus auf exemplarische, ikonische Stücke, wie sie ein Museum sammeln würde. Vielmehr erhält er einen Anruf, wenn irgendwo ein audiovisuelles Studio geräumt wird, oft wenn schon die Abfallcontainer da stehen. Oder die Leute deponieren die Sachen gleich vor seinem Haus. Denn man weiss inzwischen: Kaufmann rettet Geräte, Bild- und Tonträger. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – es da keine Systematik gibt, ist die Sammlung von enormer Vielfalt und Fülle. Und: Flo Kaufmann geht es um die Aktivierung, nicht Archivierung. Er rettet Dinge, um sie später einmal zu brauchen, für eigene Arbeiten, für befreundete Kunstschaffende, oder um etwas im Auftrag zu restaurieren und zu digitalisieren. Die Objekte sind in Gebrauch, in Reparatur, werden gerade ausgeschlachtet oder transformiert, jemandem ausgeliehen oder verschenkt; oder sie warten auf eine dieser Möglichkeiten in einem der zahlreichen Dachböden, Schränke, Kammern und Kisten in Kaufmanns Haus in der Solothurner Altstadt und seinem Lager in einer abgelegenen Ecke des Emmentals. Es gibt keine Vitrinen, keine schön gestaltete Ausstellung, keine Pläne für ein Privatmuseum. Für das Projekt der Ausstellung und des Buches ‹H.o.Me. – Heim für obsolete Medien› habe ich Flo Kaufmann vorgeschlagen, seine Sammlung für ein neues Publikum zu aktivieren. Zentraler Teil der Ausstellung sind Hands-on-Stationen, an denen die Besucherinnen und Besucher Kassetten, Schallplatten oder CDs, Videokassetten oder Super-8-Filme selbst auswählen/einschieben/auflegen und hören beziehungsweise schauen können. Dazu kommen Auslegeordnungen mit ausgewählten Geräten, Ton- und Bildträ-
gern, die einen Eindruck von der Fülle der Sammlung geben. Die Ordnung der Ausstellung nach den Grundprinzipien von Aufzeichnung und Übertragung haben wir auch für dieses Buch übernommen; es bietet mit erklärenden Texten und Bildern ausgewählter Objekte aus der Sammlung einen medienhistorischen Überblick. Mit einer entscheidenden Beschränkung allerdings: H.o.Me. konzentriert sich weitgehend auf analoge audiovisuelle Medien, da diese den Kern der Sammlung bilden. Die parallel dazu verlaufende Computergeschichte wäre ein eigenes Projekt. Zentral für unser Projekt ist die künstlerische Beschäftigung mit obsoleten Medien. Die in der Ausstellung gezeigten und in diesem Band dokumentierten und beschriebenen Arbeiten von rund fünfzehn Kunstschaffenden bieten ganz unterschiedliche Zugänge zum Thema, von der Transformation von Objekten über historische Recherche bis zur Arbeit mit persönlichen und kollektiven Erinnerungen. Viele der Kunstschaffenden sind Flo Kaufmann seit langem durch die Arbeit an gemeinsamen Projekten oder als Teil eines Netzwerks Gleichgesinnter verbunden. In der Mitte der Ausstellung ist eine Werkstatt platziert, in der Kaufmann und Gäste aus Kunst und Musik arbeiten. Sieben Essays von Fachleuten vertiefen einzelne Aspekte des Themas. Der Frage der Erhaltung obsoleter Medien widmen sich die Texte von Martina Haidvogl und Yves Niederhäuser. Die Restauratorin Haidvogl berichtet von ihren Erfahrungen mit der Konservierung von Medienkunst in Museen, während der Historiker Niederhäuser beschreibt, wie mit obsoleten Medien in Gedächtnisinstitutionen, aber auch im privaten Rahmen konservatorisch umgegangen werden sollte. Die Medienwissenschaftlerin und Fotokuratorin Doris Gassert plädiert dafür, die Geschichte und Gegenwart analoger Fotografie ideologiekritisch zu betrachten und analysiert eine künstlerische Arbeit, die die Fotografie als politisches Medium zeigt. Peter Kraut, Experte für experimentelle Musik, schreibt über die Verbindung von technologischer Entwicklung und musikalischer Kreativität zwischen Fortschritt und Rückgriff. Der Journalist Hannes Grassegger steuert ein Porträt bei, das die Rettung der für obsolet erklärten Schallplatte und Flo Kaufmanns besondere Rolle in diesem Zusammenhang beleuchtet.
Kristen Gallerneaux, Medienhistorikerin, Kuratorin und Künstlerin, knüpft hier an und spannt die Brücke vom ‹Heilen› von Geräten zu Heilgeräten und esoterischen technologischen Hilfsmitteln, die eine Art parallele Mediengeschichte bilden. Der Essay des interdisziplinären Kollektivs The Mutha_Ship Landing aus Südafrika dreht sich um die besondere Rolle audiovisueller Medien bei der Bildung eines neuen kollektiven Gedächtnisses nach der Apartheid. Wir hoffen, dass Ihnen dieses Buch Lust macht, in den Keller zu steigen oder auf den Flohmarkt zu gehen und alte Medien mit neuen Augen zu sehen. Vielleicht haben wir Sie auch zum Experimentieren angeregt. Einen Einstieg könnte die Anleitung zum Erstellen von Tonbandschlaufen des Musikers Amulets bieten.
Dank
Zum Schluss möchte ich allen Beteiligten meinen Dank aussprechen, allen voran Flo Kaufmann für seine Kunst und seinen umfassenden Einsatz für unser Projekt. Dieser reicht vom Bereitstellen der Sammlung (inklusive diverser Reparaturen), dem Teilen von Wissen und Geschichten, bis hin zu den Fotos der Objekte in diesem Buch. Den Künstlerinnen und Künstlern danke ich für ihre wunderbaren Werke und den Austausch zum Thema. Ich danke den Autorinnen und Autoren für ihre anregenden Beiträge, P’INC Communication Design für die fabelhafte Gestaltung und allen anderen Mitwirkenden dieses Buches für die Fotos, die Übersetzungen, das Lektorat und die Ideen. Ich danke meinem grossartigen Team am Kunsthaus Langenthal. Für das Vertrauen und die Begleitung der Publikation danke ich dem Christoph Merian Verlag. Unser Projekt wäre nicht möglich gewesen ohne die finanzielle Unterstützung durch Projektbeiträge der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte, der Ernst und Olga Gubler-Hablützel Stiftung, der Temperatio Stiftung, des Lotteriefonds des Kantons Solothurn und des Migros-Kulturprozent. Das Kunsthaus Langenthal ist finanziert durch Beiträge der Stadt Langenthal, des Kantons Bern und des Gemeindeverbands Kultur der Region Oberaargau sowie unseren Partnern, Gönnern und Mitgliedern. Auch ihnen gebührt grosser Dank. 9
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Kommentar von Andy Steiner unter dem Ottens-Nachruf der Online-Ausgabe der Zeitung Blick vom 11.3.2021.
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So Jonathan Winkler von der Band Hermann im Ottens-Nachruf von Radio SRF2 Kultur in der Sendung Kultur Aktuell vom 12.3.2021.
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Vgl. Krauss, Rosalind E.: Reinventing the Medium. In: Critical Inquiry, vol. 25, no. 2, 1999, S. 289-305.
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Bevor sie allenfalls wieder selten, gesucht, zur teuren Rarität werden. Acland 2007, S. xvii.
Zum Paradox, dass einer kurzen Nutzungsdauer eine lange Haltbarkeit als (toxischer) Abfall entgegensteht, vgl. Kaerlein/Udenhofen 2019, S. 16.
So der Ingenieur und Designer Brooks Stevens, zitiert nach Kaerlein/Udenhofen 2019, S. 16.
Zur Geschichte der geplanten Obsoleszenz vgl. Krajewski, Markus: Fehler-Planungen. Zur Geschichte und Theorie der industriellen Obsoleszenz. In: Technikgeschichte 81/1, 2014, S. 91-114.
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Ebd.
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Kaerlein, Timo/Udelhofen, Stefan: Einleitung: Obsoleszenz als kulturelle Figuration des Besonderen. In: Boschung, Dietrich/Kaerlein, Timo/Udelhofen, Stefan: Kulturelle Figurationen der Obsoleszenz, Würzburg, 2019, S. 11-36, S. 13.
Consumption of the “Obsolete” Vinyl Record. In: Acland 2007, S. 222-236, S. 223.
Acland bezieht sich dabei auf Raymond Williams’ Konzept von aufstrebenden, dominanten und residualen Formen aus dem Feld der Cultural Studies. Acland, Charles R.: Introduction: Residual Media. In: Acland, Charles R. (Hg.): Residual Media, Minneapolis, 2007, S. xii-xxvii. Davis, John: Going Analog: Vinylphiles and the
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Raffael Dörig (*1976), leitet das Kunsthaus Langenthal. Studium der Kunstgeschichte, Medienwissenschaft und Germanistik an der Universität Basel. Von 2005 bis 2011 am Medienkunstforum [plug.in] und dem Haus für elektronische Künste (HeK) in Basel tätig. Mitgründer und -leiter von Shift – Festival der elektronischen Künste (2007–2011).
Introduction News broke of the death of Lou Ottens, the inventor of the music cassette, just as I was writing this introduction. Obituaries for the Dutch engineer appeared in all the major newspapers, and the comments columns were flooded with people wondering “What would have become of us, as teenagers, had music cassettes not been around.”1 Besides reminiscences of mixtapes and “band salad” (though the latter was pretty rare, wasn’t it?), the articles are full of talk of a revival, of young bands releasing their music on cassette because it “has a warmer sound that way” and “it’s impossible to skip a song.”2 So, cassettes are clearly still being produced, and cassette players, too. “But aren’t music cassettes obsolete by now—or even, long since dead and buried?” people ask, in astonishment. “Weren’t they catapulted into oblivion by CDs (— which Lou Ottens helped develop, by the way), then by the iPod and Spotify & Co?” However, as anyone who takes a 10
closer look at the history of audiovisual media fast realizes, this linear view of progress is way off the mark. New devices may well depend on older media’s disappearance or at the least on the “gesture of declaring-obsolete that is characteristic of modernity,”3 but clean breaks are nonetheless few and far between. There are simultaneities, overlaps, abiding well-rehearsed practices, and the new ones forged alongside them; and, too, a lot of material vestiges such as devices and records. “The obsolete is characterized ... precisely by its persistence, while contemporaries turn their attention to new things.”4 The American media scientist Charles R. Acland uses the term “residual media”5— and that is exactly what we explore in this book. In doing so, we delve into various facets of the topic. First of all, we talk about the core issue of memory and transmission. The mix tape gifted by our first great love,
the Super 8 home movies from our childhood, grandmother’s photo album and the tales she has to tell—leafing through this book will inevitably stir some memories. The audiovisual media under discussion here are memory machines in several respects, because “technologies are cultural forms, both transmitting meaning in the form of content, but also encoded with meaning in their design and function.” 6 Sound and image carriers are time capsules themselves, therefore, not only because of the content stored in them, but also on account both of their media-specific aesthetics—the particular color reproduction of a VHS tape, say— and of the practices, organizations, and economies they spawn, such as late-night forays to a video store, or home-recording TV or radio shows. Obsolete media— the content and the time capsules themselves—are insofar subject matter for historiographers and memory institutions, as well as for individual and collective trips down memory lane. It is true that such trips occasionally land us in the rose-tinted-glasses realm of nostalgia, and perhaps even provoke the pessimistic knee-jerk claim that “everything was better in the old days,” to say nothing of how seamlessly nostalgia can be integrated into the capitalist exploitation machine, as pop-cultural retromania. Our project, however, is critical of such consumerist nostalgia and likewise of any purist strivings for orthodox fidelity to the original. Sentimental value may be as crucial a feature of our “Home for Obsolete Media,” as our unerring commitment to handing down and preserving valuable cultural assets simply because we appreciate their enduring qualities. But our approach is decidedly open and experimental. This is connected in turn with the second core aspect: that the recalcitrance implicit in any engagement with the obsolete thwarts the logic of progress and techno-determinism. It insists on the role of users who help shape a medium, in particular when they use it differently, and for longer, than intended. Obsolescence in this respect is also redemptive; it holds potential for reinterpretations or even reinvention of a medium which fly in the face of its “proper” use.7 If we are mistaken per se to use a technology deemed obsolete, there is no longer any right way to use it but, instead, an open field for
endless creative error. And all the more so given that material, once declared obsolete, often washes up en masse in the trash, or at flea markets and estate sales, for free or going cheap, and so affords experimentation.8 “Historical commodities become raw material again.”9 The fact that such material is laden with memory and lore, as described above, also forges new opportunities with a utopian dimension: things could have gone this way or that way, so they can go any which way now. The use of obsolete media can also be read as part of a consumption-critical and environmentally conscious agenda.10 It is a marker of resistance to that dictate of profit-driven obsolescence which sets out to persuade consumers “to own something a little newer, a little better, a little sooner than is necessary.” 11 We know from our own experience how media and device cycles accelerate and globalize, owing to this dictate. Often, there isn’t even any need for planned obsolescence in the sense of built-in material flaws.12 All it takes is a software update, or the internalized market insistence on the inherent superiority of, say, an iPhone 11 over its (successively numbered and therefore seemingly outdone) predecessors. Speaking of smartphones: the pocketsized computer has for many people taken the place of a telephone, camera, Walkman, sound recorder, and more besides. Instead of many devices, a single sleek all-rounder; instead of physical sound and image carriers and real-time TV and radio, not even digital files, but streams, anytime and anywhere. Yet, amazingly, we are seeing phenomena like the cassette revival I mentioned at the start— and it’s no contradiction. Welcome to the lively parallel worlds of obsolete media!
H.o.Me. — Home for Obsolete Media
This book goes to print on the occasion of the exhibition “H.o.Me.— Home for Obsolete Media” at the Kunsthaus Langenthal, in spring 2021. The exhibition brings together manifold objects from Flo Kaufmann’s collection, as well as works by him and around fifteen other artists who work with and on obsolete media. 11
Flo Kaufmann began collecting as a child, and meanwhile became a DJ, record rescuer, musician, engineer, artist, and an aptly self-declared bricoleur universel, a universal tinkerer. His collection, he says, is simply flotsam and jetsam that came his way. And it’s a fact that he hardly ever goes out of his way to find stuff. He neither goes to auctions to bid for the rare Walkman he dreamed of as a teenager, nor combs flea markets for precious items; neither aspires to a complete collection nor sets his sights on exemplary, iconic pieces such as museums seek to acquire. Likelier by far is that someone will give him a call about the imminent clearance of an audiovisual studio, often when the dumpster is already parked outside. Other people deposit stuff right on his doorstep—because they know by now: Kaufmann salvages image and sound carriers that no one else wants. Although— or perhaps, precisely because—there is no systematic approach, his collection is tremendously diverse and abundant. And: Flo Kaufmann is interested in activating, not archiving his finds. He salvages things in order to use them one day in projects of his own or of artist friends, or to restore and digitize content on someone else’s behalf. The objects are in use, in repair, in the process of being cannibalized or converted, loaned to someone or given away; or they are awaiting their fate in one of the numerous attics, closets, rooms, and boxes in Kaufmann’s house in historic downtown Solothurn or in his warehouse in the far-flung reaches of the Emmental. There are no display cases, no exquisitely designed exhibits, no plans for a private museum. For the present exhibition and book project “H.o.Me. – Home for Obsolete Media,” I proposed that Flo Kaufmann activate his collection for a new audience. A central feature of the exhibition is accordingly hands-on stations, where visitors can independently select, insert, switch on, and listen to or watch cassettes, records, CDs, video cassettes, or Super 8 films. A display of selected objects conveys an impression of the vast scope of his collection. The exhibition’s division into sections on the basic principles of recording and transmission is mirrored in the structure of this book: explanatory 12
texts illustrated by selected objects from the collection offer a brief guide to media history. With one crucial limitation, however: the primary focus of H.o.Me. is analog audiovisual media, since these are the core of Kaufmann’s collection. The parallel history of computers merits a project of its own. Artistic engagement with obsolete media is the defining feature of our project. The work of some fifteen artists or so, on show in the exhibition and documented in this volume, evinces wide-ranging approaches to the subject, from the transformation of original material, to historical research based on personal and collective memories. Many of the artists are long-standing associates of Flo Kaufmann, who have collaborated with him either directly or as members of a network of kindred spirits. The focal point of the exhibition is a workshop, where Kaufmann and guests from various art and music scenes will tinker and talk. Apropos media peculiarities: some things are bound to happen at short notice—which is why it is impossible to mention, before going to print, all the guests and projects that may drop in or pop up during the exhibition. In seven essays, professionals in the field examine in depth pertinent aspects of the topic. Conservator Martina Haidvogl and historian Yves Niederhäuser discuss issues arising in the preservation of obsolete media. Haidvogl reports on her experience of media art conservation in museums, while Niederhäuser describes strategies for handling obsolete media in memory institutions as well as in the private sphere. Media scientist and photo research curator Doris Gassert posits that the past and present of analog photography cannot be explored in an ideological vacuum, and illustrates her point with a critical analysis of an art work that reveals photography’s political implications. Social scientist Peter Kraut, an expert on experimental music, writes about the connection between technological development and musical creativity. Journalist Hannes Grassegger contributes a portrait highlighting the rescue of the long-deemed-obsolete vinyl record, and Flo Kaufmann’s special role in that. Kristen Gallerneaux, artist, curator and media historian, expands on this theme
with a quasi, otherworld media history, spanning an arc from the “healing” of devices to actual healing devices and other esoteric technological aids. Finally, The Mutha_Ship Landing, an interdisciplinary collective from South Africa, discusses the particular role played by audiovisual media in forging a new collective memory in the wake of apartheid. We hope that this book will encourage you to revisit your cellar, attic, or local flea market and take a fresh look at old media. Perhaps we have even sparked an inclination to experiment? If so, the musician Amulet’s guide to cassette loops would be an excellent place to begin.
Gubler-Hablützel Stiftung, the Temperatio Stiftung, the Solothurn Canton Lotteriefonds, and the Migros-Kulturprozent. Kunsthaus Langenthal itself receives funding from the Stadt Langenthal, Bern Canton, and the Gemeindeverband Kulturförderung Region Oberaargau, as well as from our partners, sponsors, and members. My heartfelt thanks go to each and every one of them. 1
Comment from Andy Steiner on the Ottens obituary in the online edition of the newspaper Blick, 11.3.2021.
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So said Jonathan Winkler of the band Hermann, in an Ottens obituary broadcast by Swiss radio station SRF2 Kultur, in the program Kultur Aktuell, 12.3.2021.
Kaerlein, Timo/Udelhofen, Stefan: “Einführung: Obsoleszenz als kulturelle Figuration des Besonderen.” In: Boschung, Dietrich/Kaerlein, Timo/Udelhofen, Stefan: Kulturelle Figurationen der Obsoleszenz, Würzburg, 2019, 11–36, here, 13.
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Thanks
I would like now, also on behalf of my wonderful, hard-working, and wholly indispensable team at Kunsthaus Langenthal, to express thanks to everyone involved: first and foremost, to Flo Kaufmann for his all-out commitment to our project, be it through his art or his willingness to share his knowledge and stories, to loan to us (and repair, if necessary) his collection, and to produce photographs for this book! I am grateful also to all the other artists for presenting their wonderful work and sharing their thoughts on the topic. I thank the authors for their fascinating essays, P’INC Communication Design for their fabulous graphic design, and all the various freelancers who contributed to the book’s realization with photography, translation, proofreading, or ideas. I am most grateful to the Christoph Merian Verlag for believing in and supporting the project. To fully realize the project would not have been possible without generous donations from the Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte, the Ernst und Olga
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Ibid.
Acland is referring to Raymond Williams’ concept, in the Cultural Studies field, of emergent, dominant, residual forms. Acland, Charles R.: “Introduction: Residual Media.” In: idem. (ed.): Residual Media, Minneapolis, 2007, xii-xxvii.
Davis, John: “Going Analog: Vinylphiles and the Consumption of the “Obsolete” Vinyl Record.” In: Acland 2007, 222–36, here, 223.
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See Krauss, Rosalind E.: “Reinventing the Medium.” In: Critical Inquiry, vol. 25, no. 2, 1999, 289–305.
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Admittedly, only until they once again grow scarce and become expensive rarities.
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Acland 2007, xvii.
On the paradoxical fact that a short useful life is followed by long-term existence as (toxic) waste, see. Kaerlein/Udenhofen 2019, 16.
To quote the engineer and designer Brooks Stevens, as cited in Kaerlein/Udenhofen 2019, 16.
On the history of planned obsolescence, see Krajewski, Markus: “Fehler-Planungen. Zur Geschichte und Theorie der industriellen Obsoleszenz.” In: Technikgeschichte 81/1, 2014, 91–114.
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Raffael Dörig (*1976) is director of the Kunsthaus Langenthal. He studied Art History, Media Studies, and German Studies at the University of Basel. From 2005 until 2011 he was engaged at [plug.in] and the House of Electronic Arts (HeK), both in Basel. He was co-founder and co- director of the Shift electronic arts festival (2007–2011).
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Dardex In einer Vitrine liegen Faustkeile, Speerspitzen und einfache Messer – roh geschliffen und mit Drähten und Kabeln umwickelt. Die Machart und museale Präsentation der Objekte erinnern an archäologische Funde aus der Bronzezeit. Tatsächlich bestehen die Waffen aus elektronischen Abfallmaterialien, aus denen das Altmetall extrahiert, eingeschmolzen und in handgefertigte Formen gegossen wurde. Dardex nehmen dabei antike Techniken zur Waffenherstellung ebenso auf wie Verfahren, wie sie in der nichtindustriellen Recycling-Praxis im Globalen Süden verbreitet sind. Das Künstlerduo geht in seiner Arbeit oft von vorhandenen Materialien aus, deren kulturelle Codes es freilegt und mittels künstlerischer HackingStrategien umdeutet und neu interpretiert. Ein spezielles Interesse gilt dabei der Erforschung von Rohstoff-Kreisläufen im digitalen Kontext. Durch die Verwandlung von Hi-Tech-Geräten in primitive Werkzeuge steht die Waffenserie ‹Refonte› (dt. «Einschmelzen», aber auch «Erneuerung», «Neuorganisation») für eine (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit technologischem Fortschritt: Am Beginn des Kreislaufs prägen kriegerische Verstrickungen die Rohstoffproduktion und -verteilung. Und am Ende entsorgt man tonnenweise Computerabfälle aus den USA und Europa in Indien, wo die wertvollen Rohstoffe auf primitive Weise herausgelöst werden, statt dass sie sauber rezykliert werden. Die Gewalt steckt insofern tief im Material. Das Set könnte auch aus einem postapokalyptischen Szenario stammen, worin sich die Menschheit aus zivilisatorischen Überresten neue Waffen schmiedet. (EK)
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Dardex Quentin Destieu *1980, lebt und arbeitet in Cahors / lives and works in Cahors; Sylvain Huguet *1979, lebt und arbeitet in Aix-en-Provence und Marseille / lives and works in Aix-en-Provence and Marseille (FR)
Crudely polished hand axes, spearheads, and simple knives wrapped in wires and cables lie in a showcase. The way the objects have been fashioned and their museum-style display bring to mind archaeological finds from the Bronze Age. In fact, the weapons are made from scrap metal which was extracted from electronic waste, smelted down, and cast in handmade molds. Dardex thereby pursued ancient weapon-making techniques as well as processes common to non-industrial recycling practices in the Global South. The artist duo often draws in its work on existing materials, whose cultural codes they uncover and reinterpret using creative hacking strategies. A particular interest is exploring raw material cycles in a digital context. By transforming hi-tech devices into primitive tools, the weapon series “Refonte” (which in English means “smelting down,” as well as “renewal,” “reorganization”) stands for a (self-)critical examination of technological progress: at the start of the cycle, warmongering entanglements shape the production and distribution of raw materials; and at its end, tons of computer waste from the USA and Europe are disposed of in India, where the valuable raw materials are extracted in primitive ways instead of being recycled cleanly. Violence insofar runs deep in the raw materials. The set here could well come from a post-apocalyptic scenario in which humanity forges new weapons from the remains of civilization. (EK)
Dardex, Refonte, 2014–2015 Photo: Luce Moreau Courtesy of the Artists S./p. 20: Ausstellungsansicht/ Exhibition View Kunsthaus Langenthal, 2021 Photo: Martina Flury Witschi
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Flo Kaufmann Objekte aus Fundstücken
In einer Reihe von Kaufmanns Arbeiten beschäftigen sich aus dem menschlichen Gebrauch aussortierte Geräte sozusagen selber. Ein Röhrenfernseher, der nach der Abschaltung des analogen Signals mit seiner Antenne nichts mehr empfangen kann, zeichnet Linien in Rot-Grün-Blau, den Grundfarben des Farbfernsehens (‹Sue›, 2014). Ein staubiger Taschenrechner rechnet vor sich hin und kommt immer auf die Zahl 666, als bereite er sich darauf vor, bald in der Elektroschrott-Hölle zu landen (‹Ibico 1222›, 2016). Stärkere Transformationen erfuhren ein Staubsauger und mechanische Schreibmaschinen, die ein neues Innenleben bekamen und so zu Musikinstrumenten für Konzerte wurden. ‹Satrap Aktiv› (2009) enthält Analogsynthesizer-Elemente. Bei den Schreibmaschinen-Instrumenten ‹Typosynth› (2009) und ‹Underwood Model 2› (2012) verstärken Tonabnehmer die mechanischen Geräusche und die Schreibwalze ist mit Tonband beklebt, dessen Signale ein Tonkopf beim Darüberfahren abliest. Beide Instrumente verweisen mit Witz auf Klischees von Rock- und Elektronikmusik, der Staubsauger auf die ikonische Rockgitarre, die Schreibmaschinen auf die Laptops – eigentlich ja auch Schreibgeräte –, die zur Entstehungszeit die Bühnen in der elektronischen Musik dominierten. (RD)
Recycled Found Objects
In one of Kaufmann’s work series, devices no longer in everyday use are newly attuned to their inner selves. A tube TV set, whose antenna can receive nothing more, now that analog signals are a thing of the past, draws lines in red, green, and blue, the primary colors of color TV (“Sue,” 2014). A dusty pocket calculator works incessantly yet reaches no other result than the number 666, as if it were preparing soon to land in electro-scrap hell (“Ibico 1222,” 2016). A vacuum cleaner and mechanical typewriters undergo more radical transformation: new innards turn them into instruments for Kaufmann’s concerts. “Satrap Aktiv” (2009) contains analog synthesizer components. In the typewriter contraptions “Typosynth” (2009) and “Underwood Model 2” (2012), piezo microphones amplify mechanical sounds while the audiotape-coated roller is read by the tape head traversing it. All these instruments play humorously on rock and electro music scene clichés: the vacuum cleaner on the iconic rock guitar; the typewriters on the laptop—itself a writing machine—which was taking centerstage in electronic music at the time these works were made. (RD)
S./p. 21: Flo Kaufmann, Satrap Aktiv, 2009–2012
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Flo Kaufmann *1973, lebt und arbeitet in Solothurn / lives and works in Solothurn (CH)
Flo Kaufmann, Gebetsmühle, 2010 Ausstellungsansichten / Exhibition Views Kunsthaus Langenthal, 2021 Photos: Martina Flury Witschi Courtesy of the Artist
Optisch -chemi sch Optical -chemi cal Foto und Film Photo and Film
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«Beim Abdrücken fällt für einen kurzen Moment Licht durch das Kameraobjektiv auf ein lichtempfindliches Material. In den meisten Fällen ist das ein rollbarer, dünner Film aus Kunststoff, der mit der sogenannten Emulsion beschichtet ist. Lichtempfindlich sind kleine Körnchen von Silbersalzen (meist Silberbromid) in der Emulsion. Licht löst eine chemische Reaktion aus, die Verbindung zerfällt in Silber und Brom, wobei das Silber tiefschwarz sichtbar wird. Beim Entwickeln werden die nicht belichteten Silbersalz-Körner ausgewaschen. Danach kann wieder Licht darauf fallen, ohne dass sich das Bild verändert. Meist wird im Negativ-Positiv-Verfahren fotografiert. In der Kamera entsteht das Negativ, auf dem alles, was in der Realität hell ist, dunkel erscheint. Die Negative werden dann auf ein Fotopapier gelegt (Kontaktabzug) oder mittels einer Optik vergrössert darauf projiziert. Das Papier ist ebenfalls mit Emulsion beschichtet, aus zweimal negativ gibt es ein positives Bild. Nur bei sogenannten Umkehrfilmen wie Diafilmen entsteht direkt in der Kamera ein Positiv. Bei der Fotografie ist – im Grundsatz – die Chemie das Entscheidende. Die Physik (d.h. die Optik) ist eigentlich simpel: Als Kamera reicht im Prinzip eine Schachtel mit einem Löchlein, eine Lochkamera. Damit kann man bereits super Bilder machen.»
Flo, wie funktioniert die analoge Fotografie? Flo, how does analog photography work?
“When you press the shutter, light entering through the camera lens falls for a brief moment onto a light-sensitive material. Generally, this is a rolled-up thin celluloid film coated in what is known as an emulsion. Tiny grains of silver salts (usually silver bromide) in this emulsion are sensitive to light, which is to say, light triggers a chemical reaction: the emulsion decomposes into silver and bromine, and the silver shows up as black. The unexposed silver salt grains are washed out during development of the film. After that, exposure to light no longer changes the images. Photographs are mostly taken using the negative-positive process. On the negative created in the camera, as above, everything that in reality is light shows up as dark. Before being “exposed” (to light), the negative is either placed directly on a sheet of photographic paper (contact print), or projected onto it by means of an optical system (“enlarger”), with which the image size can be varied at will. The paper, too, is coated in emulsion; and in the negative of the negative is a positive image. Only in the case of so-called reversal films such as slide films is a positive created directly in the camera. The decisive factor in photography is chemistry, as a rule. The physics (i.e., the optics) of it is incredibly simple: a so-called pinhole camera actually consists of nothing more than a box with a small hole in it. That’s all you need to take super photos!”
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Von der Erfindung zum Massenphänomen
Die Fotografie war das erste moderne technische Medium. Erstmals konnte direkt mittels eines Apparates quasi automatisch Wahrnehmung in Aufzeichnung übersetzt werden. Ein Foto hält mechanisch einen Augenblick fest, der nun länger und genauer betrachtet werden kann – und damit eine Erweiterung der menschlichen Wahrnehmung ermöglicht. 01 Bildverfahren wie die Malerei entstehen dagegen über
längere Zeit und vereinen oft mehrere Momente auf einem Bild. Die Fotografie mit ihrer spezifischen räumlichen und zeitlichen Perspektive wirkte in der Folge auch auf diese älteren Verfahren zurück. Die Entstehung der Fotografie wird gemeinhin in den 1830er-Jahren verortet, parallel in Frankreich und Grossbritannien mit unterschiedlichen Methoden. Während etwa bei der Daguerreotypie Unikate entstanden (auf lichtempfindlich gemachten Kupferplatten), machte das Negativ-PositivVerfahren erstmals möglich, dass Bilder identisch reproduziert werden konnten. Dies sollte zu einer der zentralen Eigenschaften des Mediums werden. 01
Zeiss-Ikon Box-Tengor, 1933 (DE)
In den ersten Jahrzehnten war die Fotografie vorwiegend ein Medium für Fachleute. Die Apparate waren gross, die chemischen Verfahren kompliziert, und sie mussten vom Vorbereiten der Negative bis zum Entwickeln beherrscht werden. Für jedes Bild brauchte man eine einzelne, mit Emulsion behandelte Glasplatte. Glasnegative wurden von Profis in der Studiofotografie noch bis in die 1930erJahre benutzt, jedoch seit Ende des 19. Jahrhunderts für die meisten Anwendungen vom Rollfilm (zunächst auf Papier, 1870er-Jahre) abgelöst. Dieser machte die Fotografie einfacher und auch für Laien attraktiver. Wichtig für die Popularisierung der Fotografie war die Firma Kodak, die 1888 den Zelluloid-Rollfilm marktreif machte. Entscheidend war dabei weniger die technische Innovation als vielmehr das geschickte und aggressive Marketing und die Einbindung der Technologie in ein Service-System. «You Press the Button, We Do the Rest», war der berühmte Slogan. Die Firma lieferte die Kamera mit eingelegtem Film. Nach dem Fotografieren schickte man die ganze Kamera ein, zurück erhielt man zusammen mit den Abzügen wieder eine geladene Kamera. «Aus der Frühzeit der Fotografie habe ich kaum Apparate in meiner Sammlung. Das überlasse ich den Raritätensammlern und Museen. Erst die Fotografie als Massenphänomen produzierte viel Strandgut in Form von Fotos und Geräten. Die abgebildete Zeiss-Ikon aus den 1930er-Jahren ist eine Boxkamera, also von dem Typus einfacher und günstiger Rollfilm-Kameras für Laien, den Kodak popularisierte.»
From Invention to Mass Phenomenon
Photography was the first modern technical medium. Never before had a quasi, automatic device been able to translate things seen by the human eye into a recording. A photograph mechanically captures a moment in time, thus enabling it to be viewed for longer, and more closely, so vastly expanding the scope of human perception. A visual medium such as painting, on the other hand, is created over a longer period of time and often combines several or even numerous moments in a single image. Photography, given its specific spatial and temporal perspective, subsequently had an effect on these older fields. 27
Photography is generally held to have been invented in the 1830s in France and Great Britain, in parallel yet different forms. While the daguerreotype, for example, produced unique images (on copperplates made sensitive to light), the negativepositive process made it possible for the first time ever to serially reproduce identical images. It was this which would become one of the defining characteristics of the medium. In the first decades, photography was largely the preserve of professionals. The equipment was bulky and the chemical processes were complex: everything from preparing the negatives to developing them had to be mastered. A single glass plate coated in emulsion was required for each image. Glass negatives were still in use for professional studio photography until the 1930s, but for most other applications were replaced in the late nineteenth century by rolls of film (first in the 1870s, with ones made of paper). This made photography simpler and more appealing, also for amateurs. The popularization of photography owed much to the Eastman Kodak Company, which launched celluloid film rolls in 1888. Crucial to its success was not so much the technical innovation as astute and aggressive marketing and the integration of the technology into a service system. “You Press the Button, We Do the Rest,” was the famous slogan. The company supplied the camera with film already inserted. After taking pictures, the whole camera was sent off, and the prints were returned along with a new loaded camera. “I’ve hardly anything from the early days of photography in my collection. I leave that to the rarity collectors and photography became a mass phenomenon that it produced a lot of flotsam and jetsam in the form of photographs and equipment. The 1930s Zeiss Ikon pictured (p. 27) is a box camera, that is, the type of simple and inexpensive roll-film camera for amateurs that was popularized by Kodak.”
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Fotografie für alle, in Farbe
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Fotografieren endgültig zum Massenphänomen, zunächst in schwarzweiss, bald auch in Farbe. Farbfotografie-Verfahren gab es seit den Anfängen des Mediums, doch erst in den 1930er-Jahren entstand der Dreischichtenfilm, der sich in der Folge durchsetzte. Hier gibt es je eine Fotoemulsionsschicht (mit Silberbromid und sogenannten Farbkupplern), für blaues, grünes und rotes Licht. Weil der Farbfilm mehr kostete und wegen der geringeren Lichtempfindlichkeit oft ein (Einweg-)Blitz nötig war, blieb zunächst der Schwarzweissfilm populär. In den 1970er-Jahren wurden die Filme günstiger, und Kompaktkameras bekamen eingebaute elektrische Blitze. So wurde für das private Fotografieren die Farbe zum Standard. Schwarzweissfotografie blieb etwa in der künstlerischen Fotografie (wo die Farbe lange verpönt war) und der Presse wichtig (manche Zeitungen beispielsweise blieben noch bis ins 21. Jahrhundert ohne Farbe). «Ich begann das Fotografieren mit einer günstigen Kompaktkamera, ähnlich der abgebildeten. Ich dokumentierte damit frühe Schweizer Hip-Hop-Partys Ende der 1980er-Jahre. Das sind interessante Zeitdokumente, doch leider ziemlich schlechte Fotos. Hätte ich doch den Fotokurs am Gymnasium ein paar Jahre früher machen können!» 02
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Comodor Indo 127, ca. 1968 (FR) Nikon L35TWAF, 1987 (JP) Durst M370BW, 1983 (IT)
Es braucht Chemie
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Photography for All, in Color
In the economic boom years after the Second World War, photography became the definitive mass phenomenon, initially in black and white but soon in color too. Color photography processes had existed since the early days of the medium, but it was not until the 1930s that the three-layer film was launched and established. Here, blue, green, and red light are catered for by one coating each of photo emulsion composed of silver bromide and a so-called color coupler. Color film cost more, however, and often required a (disposable) flash due to its lower light sensitivity, so black-and-white film remained popular, initially. In the 1970s, film became cheaper and compact cameras with built-in electronic flashes came onto the market, so color soon became standard in amateur photography. Black-and-white photography remained the norm in areas such as artistic photography (where color was long frowned upon) and in the press; some newspapers, for example, began using color only in the twenty-first century. “In the late ’80s I started taking photos with an inexpensive compact camera, a bit like the Nikon, above, also some of early Swiss hip-hop parties. The photos are an interesting record of the era, but pretty bad, unfortunately. If only I could have taken that high-school photography class a few years earlier!”
War es in den Anfängen der Fotografie eine Notwendigkeit, selbst zu entwickeln, wurde es später zum Distinktionsmerkmal, das Profis und ambitionierte Amateurinnen und Amateure von der ‹knipsenden Masse› unterschied. Tatsächlich fotografiert man nicht nur beim Abdrücken – der optischchemische Prozess bietet viele Gestaltungsund Experimentiermöglichkeiten. Heute entdeckt eine neue Generation diese Möglichkeiten, auch angesichts der Tatsache, dass heute nicht mehr an jeder Ecke günstig entwickelt werden kann. Ob selbst entwickelt oder nicht: Zum analogen Fotografieren braucht es Chemie sowie Filme und Fotopapier. «Fotoapparate, Belichter und andere Geräte hat die Digitalisierung massenhaft auf den Gebrauchtmarkt oder in den Elektroschrott gespült. Filme hingegen kann man im Gegensatz etwa zu Tonbändern nur einmal benutzen, und viele grosse Firmen haben die Produktion eingestellt. Trotzdem herrscht kein grundsätzlicher Versorgungsengpass, nicht zuletzt dank engagierten Fans. So hat etwa in der Nische des Sofortbildes Florian Kaps mit seinem Impossible Project 2008 mithilfe der Community die letzte Polaroid-Produktionsstätte vor der Schliessung bewahren können. Dann gibt es erfolgreiche Läden wie Ars Imago in Zürich, die alles rund um die Analogfotografie verkaufen und eigene Geräte für einfaches Entwickeln zuhause auf den Markt gebracht haben.»
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