FLANEUR DER PRÄZISION PETER HEMAN
144 BASEL.
DER ANGEWANDTEN FOTOGRAFIE
Was für eine Vielfalt an fotografischen Ausdrucksweisen! Und was für ein breites Spektrum an Themen, immer mit hohen Ansprüchen und grosser Sorgfalt umgesetzt. Dass Peter Heman ein herausragender Architekturfotograf war, wusste man in Basel schon lange, in der übrigen Schweiz weiss man es spätestens seit seiner Ausstellung im Architekturmuseum Basel 2003. Aber erst jetzt, dank der ersten umfassenden Monografie von Peter Röllin, sind auch die weniger bekannten Seiten seines Schaffens zu entdecken. ‹Entdeckung› ist das richtige Wort, denn man staunt, was die gründliche Sichtung und Erforschung des Nachlasses alles zutage gefördert hat. So zum Beispiel, dass Heman einer der wichtigsten Fotografen der legendären Schweizer Landesausstellung von 1939, der ‹Landi›, war und wohl die meisten Bilder im ‹Goldenen Buch der LA 39› von ihm stammen – publiziert wurden sie allerdings unter dem Namen seines damaligen Chefs und Lehrmeisters Robert Spreng. Doch diese interessante Erkenntnis wird fast zur Randnotiz angesichts der überwältigenden Fülle von Bildern und den Ausführungen von Peter Röllin, aus denen deutlich wird, dass Peter Heman nicht einfach als ‹Architekturfotograf› abgestempelt werden darf. Die Zusammenarbeit mit bedeutenden Architekten oder mit der Basler Denkmalpflege waren zwar prägende Konstanten seines Schaffens, die als Geschäftsmodell gut funktionierten. Aber auch als Porträtfotograf, in der modernistischen Sachfotografie, bei Farbexperimenten, mit Momentaufnahmen im Stil des poetischen Realismus oder bei Aufträgen für die Werbung bewies Heman grosse Meisterschaft. Doch warum tauchte der Name Peter Heman bisher nicht im klassischen Kanon der Schweizer Fotografie auf? Abgesehen davon, dass die starke Konzentration auf die Stadt Basel für die überregionale Rezeption eher hinderlich gewesen sein dürfte, hat sein Fehlen im Kanon auch mit der allgemeinen Wahrnehmung und Bewertung fotografischen Schaffens zu tun: In den Jahrzehnten, in denen Peter Heman seine wichtigsten beruflichen Erfolge erzielte, bot der Fotojournalismus fast die einzige Möglichkeit, national oder gar international Bekanntheit zu erlangen. Zeitgenossen wie Gotthard Schuh, Hans Staub, Paul Senn, Werner Bischof oder René Burri wurden vor allem durch ihre Reportagen – zum Teil in Buchform — berühmt. Hohes Ansehen genossen nach dem Zweiten Weltkrieg auch der subjektive Ausdruck eines Jakob Tuggener oder die radikale Introspektion eines Robert Frank, die beide explizit als Künstler auftraten. Die fotojournalisti-
sche oder die freie künstlerische Arbeit wurden in dieser Zeit deutlich höher eingestuft als die ‹Gebrauchsfotografie›, die im Ruf kommerzieller Gefälligkeit stand. Peter Heman hingegen hatte keine Berührungsängste, wenn es um Werbung und angewandte Fotografie ging, womit er – zu Unrecht – weitgehend unter dem Radar der Fotogeschichtsschreibung blieb.
Dass Auftragsarbeiten die fotografische Kreativität durchaus befeuern und zu hervorragenden Werken führen können, zeigt sich bei Peter Heman besonders schön. Sein solides Handwerk, seine intensive Auseinandersetzung mit modernen gestalterischen Prinzipien, sein Interesse an technischen Innovationen und sein direkter Zugang zur chemischen Industrie boten ihm ein perfektes Rüstzeug, um in unterschiedlichen Feldern der Fotografie ästhetisch überzeugende Lösungen zu finden. Manche seiner Bilder prägen sich sofort ein – ganz unabhängig vom ursprünglichen Entstehungszusammenhang. Die zwischen Baumskeletten verlorene Frau in Laon (1950, Cover 6 ), der als Solarisation realisierte Akt (1956, 113 ) oder der Blick aufs Basler Totengässlein (1959, 92 ) haben ikonische Kraft; das gilt aber auch etwa für die raffinierte Augen-Montage für ein Schlafmittel von Ciba (1955–1960, 69 ) oder eine eindrückliche Doppelbelichtung für das Cover einer GeigyFirmenschrift (1955). 71
Mit dem Kultur- und Kunstwissenschaftler Peter Röllin hat der Nachlass von Peter Heman den idealen Forscher gefunden: Als Neffe des Fotografen hatte der Autor einen privilegierten Zugang zu den Quellen und konnte auf persönliche Erinnerungen an seinen Onkel zurückgreifen. Röllins profundes kulturgeschichtliches Wissen sowie seine eigenen Studien zu urbanen Lebensräumen waren überdies ein entscheidender Vorteil, um den Blick über die enge fotohistorische Analyse hinaus auszuweiten. So gelingt es ihm, nicht nur die fotografischen Qualitäten von Hemans Schaffen zu würdigen, sondern auch die geistige Herkunft, das soziale und künstlerische Netzwerk, die technischen und verlegerischen Fähigkeiten oder die wichtigen Verbindungen Hemans zur Architekturszene und zur Werbung akribisch nachzuzeichnen. Dadurch ist diese Monografie nicht nur ein gültiges Referenzwerk für alle kommenden Auseinandersetzungen mit dem bisher viel zu wenig beachteten Fotografen Peter Heman; Röllins breiter, interdisziplinärer Ansatz ist auch beispielhaft für die Analyse und das Verständnis anderer fotografischer Werke, die an der Schnittstelle zwischen Auftragsarbeit und gestalterischer Freiheit entstanden sind.
Peter Pfrunder Direktor Fotostiftung SchweizPeter Hemans Fotografien gilt es für ein breites Publikum erst noch zu entdecken. Anders als bei international bekannten Fotografen, deren Ikonen so häufig abgedruckt werden, dass sich beim Betrachten rasch ein Wiedererkennungseffekt einstellt, sind die Aufnahmen des Basler Fotografen und Verlegers nur einem kleinen Kreis von Kennern geläufig. Doch Heman war ein ebenso einfühlsamer wie präziser Chronist der Stadt Basel. Er war mit der Stadt, ihren Häusern, Dächern und Winkeln, mit den Menschen, die dort leben und arbeiten, innig vertraut und folgte ihren Bewegungen, den Veränderungen im Stadtbild und dem beständigen Wandel des urbanen Lebens mit seiner Kamera.
Diese Publikation fasst Hemans vielfältiges Schaffen im kulturellen Kontext der Region und Stadt Basel zusammen. Zentral ist dabei sein Blick auf die Stadt, auf die Kunst oder auf die Natur, die Art, wie er das städtische Leben eingefangen und in späteren Jahren auch in Bildbänden komponiert hat. Der Schwerpunkt liegt also auf den Fotos selbst, die in einer repräsentativen Auswahl vorgestellt werden und in Bildstrecken eine eigene Wirkung entfalten können. Hemans Aufnahmen wurden zur präziseren Einordnung vom Autor dieser Publikation mit erläuternden Titeln versehen.
Erst die Sichtung des Nachlasses in den zwei Jahrzehnten nach Hemans Tod 2001 machte eine solche qualitativ vertiefte Würdigung möglich. Ein erster Rückblick auf sein Lebenswerk gelang gleichwohl schon zwei Jahre nach seinem Hinschied mit der Ausstellung ‹Peter Heman 1919–2001. Architektur Fotografie› im Architekturmuseum Basel. Auch die kurz darauf von Esther Baur und Jürg Schneider herausgegebene Publikation ‹Blickfänger – Fotografien in Basel aus zwei Jahrhunderten› zur gleichnamigen Ausstellung im Historischen Museum
Basel 2004/05 rückte Peter Hemans Schaffen in die Liste des fotografischen Kulturguts von Basel-Stadt. Als Architekturfotograf war Heman auch international unterwegs.
Bekannte Bildbände zum europäischen Barock in Süd- und Mitteleuropa weisen auf sein breites Wirken hin.
Auftragsarbeiten seitens der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte Bern, der Denkmalpflege und der Archäologischen Bodenforschung des Kantons Basel-Stadt sowie zahlreicher weiterer öffentlicher und privater Institutionen ermöglichten Heman eine Existenzgrundlage als selbstständiger Fotograf. Der Auftrag, für die Einweihungsschrift des Spitalneubaus 1945 die Fotografien zu liefern, hatte den jungen Heman auch in Fachzeitschriften rasch schweizweit bekannt gemacht.
Nach Einschätzung der Kunstkritikerin Annemarie Monteil war Heman nicht nur einer der wichtigsten Fotografen der «alten Substanz» der Stadt, sondern er dokumentierte auch den Wandel und die bedeutenden Nachkriegsbauten der Region Basel. Für das damals bekannte Architekturunternehmen Suter + Suter war er in den 1960er- und 1970erJahren der Hausfotograf.
Ebenfalls wichtig für Hemans Schaffen ist die experimentelle Fotografie. Für die Basler Chemieunternehmen, allen voran für die Werbeabteilungen von Geigy, Ciba und Sandoz, hat Peter Heman eine Vielzahl origineller Arbeiten geschaffen. Die 2009 bei Lars Müller erschienene Publikation ‹Corporate Diversity. Schweizer Grafik und Werbung für Geigy 1940–1970› zeigt eine Reihe von Hemans feinsten Glanzleistungen, die in Zusammenarbeit mit dem Geigy-Grafiker Max Schmid entstanden sind. Fotogramme, Montagen, Überblendungen und Solarisationen fanden in den in Gestaltung und Typografie hochstehenden Schriften des Unternehmens für seine internationale Kundschaft Verwendung. In den 1960er-Jahren, als die Fotografie als künstlerisches Medium noch nicht volle Anerkennung gefunden hatte, versuchte sich Heman zudem mit Fotogrammen in Farbe. Fototechnische Mittel wie Solarisation und Montage hat er auch zur politischen Schärfung von Bildaussagen verwendet, um etwa auf Probleme von Stadtrandsiedlungen und Verkehr aufmerksam zu machen. In den 1980er-Jahren hielt er Protestaktionen und Graffiti von jungen Aktivisten fest. Als Chronist der Stadt war Heman nicht nur in fremdem Auftrag unterwegs. In den 1950er-Jahren begann er, seine Aufnahmen in eindrücklichen Fotobroschüren und Fotobüchern zusammenzustellen: In zahlreichen von ihm konzipierten Editionen lässt sich sein künstlerischer Blick nachverfolgen. Sein 1963 in Kooperation mit dem Pharos Verlag erschienener Bildband ‹Basel. Bilder der Stadt – Spiegel der Zeiten› ist eine der schönsten und zugleich eine konzeptionell verblüffende Hommage an die Stadt am Rheinknie. Hemans ‹Drehbuch› beginnt mit der Prozedur der Zollkontrollen im Grenzbahnhof Basel. Mit fragenden Sperberaugen inspizieren die Beamten Weinflaschen in den geöffneten Koffern. Während Stadtbücher meist mit den Sehenswürdigkeiten ihres Ursprungs beginnen, hüpfen hier Kinder über Grenzsteine oder blicken in eben fertiggestellten Stadtrandsiedlungen staunend den Fotografen an. Belebt ist diese originelle Stadtannäherung durch zauberhafte Gegenlichtaufnahmen, jahreszeitliche Wechsel und Menschen, die dem Fotografen in Werkarealen, Wohnquartieren, Freizeitanlagen oder am Rhein und im Rheinhafen begegnen. Sicher hatte Heman bei diesen poetischen und doch so realitätsnahen ‹Reportagen› auch grosse Vorbilder. Blickfänge wie jene von Henri Cartier-Bresson oder Jakob Tuggener waren für Heman zentral.
In der Lebensmitte angekommen, löste sich Peter Heman mehr und mehr von der reinen Berufsfotografie und erklärte sich zum Verleger. Sein grosser und über Jahrzehnte erfolgreicher Bestseller war 1967 der Bildband ‹Zillis. Die romanische Bilderdecke der Kirche St. Martin›. Dieser erschien noch im Jahr der Erstausgabe in Koeditionen auch in Barcelona, London und New York. Hemans Selbstverständnis als Verleger kamen die beruflich und freundschaftlich engen Kontakte zu Archäologen, Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern, Journalistinnen und Journalisten, Politikern und finanzstarken Unternehmen sehr zugute. Diese leisteten Fachbeiträge zu den vielen kulturgeschichtlichen Editionen in Hemans Eigenverlag. Als Person war der Fotograf ebenso umtriebig wie pragmatisch, er war ein Flaneur, der mit der Kamera präzise beobachtete, aber auch ein talentierter Projekteschmied, Buchgestalter und Geschäftsmann.
An dieser Stelle möchte ich als Autor meine persönliche Beziehung zur Familie des Fotografen und damit auch zum Entstehen des vorliegenden Bildbands ansprechen. In meiner Jugendzeit war Peter Heman einfach mein Onkel, mein Pate oder auch der ‹Mann mit der Kamera›. Zum Bruder meiner Mutter und seiner Frau Eva Heman-Burri kam ich als Kind aus St. Gallen regelmässig in den Frühjahrsferien zu Besuch. Der Fotograf ging tagsüber ruhelos seinen Arbeiten nach, er fotografierte und entwickelte, vergrösserte, fixierte, wässerte unter Mithilfe seiner Angestellten in der Dunkelkammer das Eingefangene und brachte es in die Papierform. Für mich waren die vor Lebensfreude sprühende Eva Burri und ihr Töchterlein Charlotte viel präsenter. Mit Eva verbinden sich meine frühen Besuche von Kinos, Theatern, Museen und einigen Künstlerateliers. Sonntägliche Ausflüge mit Peter Heman in die Umgebung, auch ins nahe Elsass, haben meine eigene Liebe zur Stadt und Region Basel stark geprägt. Die hohe Qualität der Fotografien meines Onkels erkannte ich erst mit der Zeit, ein Schlüsselerlebnis war 1963, als er mir seinen damals erschienenen Bildband ‹Basel. Bilder der Stadt –Spiegel der Zeiten› mit einer handschriftlichen Widmung überreichte und seine für die damalige Zeit gigantischen Vergrösserungen in den Schaufenstern der Schweizerischen Kreditanstalt hingen. Meine Begegnungen mit ihm intensivierten sich in seinen letzten Lebensjahren, umso mehr, als seine einzige Tochter damals schon in England lebte. Diese persönlichen, familiären Bindungen und die in Peter Hemans Haus am Nadelberg verlebten glücklichen Zeiten sind denn auch Movens für mein Engagement zur Sicherung und Pflege des breiten Nachlasses gewesen.
Die Würdigung des Nachlasses von Peter Heman wurde schon kurz nach dem Tod des Fotografen von Kennern und Kulturschaffenden nicht nur unterstützt und begünstigt, sondern sogar angestossen. Dank Ulrike JehleSchulte Strathaus, der damaligen Leiterin des Architek-
turmuseums Basel, kam 2003 in Zusammenarbeit mit der Tochter des Fotografen, Charlotte Haenlein-Heman, und dem Schreibenden die Ausstellung zur Architekturfotografie Peter Hemans zustande. Zeitlich parallel dazu arbeitete eine ‹Interessengemeinschaft für Historische Fotografie Basel› unter Leitung von Esther Baur, der heutigen Staatsarchivarin des Kantons Basel-Stadt, an einer Enquête über Inhalte und Zustände von privaten, gewerblichen und institutionellen Fotoarchiven in der Region Basel. Ohne diese institutionelle Gunst, diesen optimalen Humus für die Aufarbeitung der Geschichte der Fotografie in Basel sowie die frühe Unterstützung durch Esther Baur und den vielen im Dank aufgeführten Persönlichkeiten wäre die Sicherung des kulturellen Erbes Peter Hemans in dieser Form nicht zustande gekommen.
Der fotografische Nachlass Peter Hemans, der sich seit dessen Tod 2001 in Familienbesitz befindet, wird nach Erscheinen dieser Publikation an das Staatsarchiv Basel-Stadt gehen und nach vollständiger Erschliessung in der dortigen Bildersammlung öffentlich einsehbar sein. Weitere, zum Teil umfangreiche Bestände von Peter Hemans fotografischem Schaffen werden bereits in thematisch einschlägigen Archiven aufbewahrt (siehe die Zusammenstellung im Anhang), so in den Archiven der Kantonalen Denkmalpflege und der Archäologischen Bodenforschung Basel-Stadt, im Schweizerischen Wirtschaftsarchiv SWA, im Novartis Firmenarchiv, dem Fotoarchiv der Kunsthalle Basel sowie in der Sammlung der Fotostiftung Schweiz in Winterthur.
Peter Röllin, im Mai 2023