Toni Schneiders Preview

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TONI SCHNEIDERS



TONI SCHNEIDERS


XXX, 19


SCHAUT HER! TONI SCHNEIDERS

STEIDL


Herausgegeben von Sebastian Lux

STIFTUNG F. C. GUNDLACH in Zusammenarbeit mit


FOTOFORM UND SUBJEKTIVE FOTOGRAFIE

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HAMBURG   BERLIN

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TONI SCHNEIDERS, ENTDECKER DES REALEN

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MENSCHENBILDER

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LANDSCHAFT

200

ÄTHIOPIEN

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MITTELMEERRAUM

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SKANDINAVIEN   ASIEN

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GRUSSWORT

SCHAUT HER! TONI SCHNEIDERS | FIGUR UND GESTALT |

SEBASTIAN LUX

FRANZISKA MECKLENBURG

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»Zum Kleinstadtfotografen »eigne ich mich nicht« | ANHANG

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HANS-MICHAEL KOETZLE

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GRUSSWORT Auch wenn drei Scheiben Brot außerordentlich unmittelbar scheinen mögen, so ist das fotografische Werk von Toni Schneiders (1920–2006) doch feinsinnig und vielfältig, vom formal gestalteten Einzelbild bis zur Fotoreportage. 1949 gründete Toni Schneiders mit fünf gleichgesinnten Fotografen die Gruppe »fotoform«, von der die wohl wichtigsten Bestrebungen zur Neubestimmung der Fotografie nach 1945 ausgingen. Ihr Ziel war das kreative Bild durch formale Gestaltung mit fotografischen Mitteln. In diesem Pioniergeist entdeckte Toni Schneiders mit seiner Kamera die Welt und den Menschen in ihr. Möglich geworden ist diese Retrospektive eines bedeutenden Lebenswerks durch die großzügige Übergabe des Gesamtarchivs von der Tochter des Fotografen, Ulrike Schneiders, an die Stiftung F.C. Gundlach. Neben den längst zu fotografischen Ikonen gewordenen Werken aus der Zeit der »fotoform« und der »subjektiven fotografie« kann so das gesamte Schaffen in Auszügen vorgestellt werden, darunter auch bisher unveröffentlichte Motive aus dem Negativarchiv und Belege seiner vielen Publikationen. Ulrike Schneiders, selbst Fotografin, hat ihrem Vater bei Fotoaufträgen assistiert und sein Archiv gepflegt, ihre Kenntnis seines Œuvres war bei Entstehung von Ausstellung und Buch von großer Hilfe. Das Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung ist traditionsreicher Schauplatz der Ausstellung Schaut her! Toni Schneiders. Hier war 2017 unter dem Titel Gestaltete Welt schon die Werkschau des »fotoform«-Fotografen Peter Keetman zu sehen, dessen Archiv sich ebenfalls in der Stiftung F.C. Gundlach befindet, ebenso wie 2008 die Ausstellung des »fotoform«-Mitglieds Heinz

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Hajek-Halke, Form aus Licht und Schatten, der mit Schneiders und Keetman freundschaftlich verbunden war und sich mit ihnen in fruchtbarem fotografischem Austausch befand. Die Präsentation des Schaffens von Toni Schneiders auf der Basis nachhaltiger Arbeit mit dessen fotografischen Archiven stellt so einmal mehr die Bedeutung einer fotohistorischen Epoche in Deutschland heraus. Wir danken allen Beteiligten, die durch ihre unermüdliche Aufmerksamkeit zum Gelingen des Projekts beigetragen haben, darunter Ulrike Schneiders für ihr Vertrauen, Franziska Mecklenburg für die Mitwirkung bei der Kuratierung, Gerhard Steidl und seinem Team für das Buch, von den Scans bis zum Druck, Claas Möller für die Gestaltung des Layouts, den Mitarbeiterinnen der Stiftung F.C. Gundlach, dem Kunstmuseum Singen unter der Leitung von Christoph Bauer als zweite Station der Ausstellung und dem Vorstand der Versicherungskammer Kulturstiftung, Dr. Frank Walthes, Isabella Pfaller, Franz Kränzler und Wolfgang Reif für die wohlwollende Unterstützung der Ausstellung. Sebastian Lux, Stiftung F.C. Gundlach und Isabel Siben, Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung

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Toni Schneiders in der Dunkelkammer, Lindau, 1951


SEBASTIAN LUX

SCHAUT HER! TONI SCHNEIDERS »Die Fotografie hat viele Gesichter! […] Aber ich bin kein Reporter. Mich interessiert es mehr, was ich mit dem vorhandenen Licht anfangen kann, um zu meinen Bildern zu kommen […] und die Menschen und die kleinen und großen Dinge ringsherum mit den Mitteln der Fotografie in eine bildhafte Form zu bringen.« (Toni Schneiders)

Toni Schneiders ist einer der stilprägenden Fotografen Deutschlands nach 1945. Mit seinen Aufnahmen aus der Zeit der »fotoform« ab 1949 und der »subjektiven fotografie« ab 1951 hat er entscheidend dazu beigetragen, die Bildsprache der fotografischen Avantgarde der 1950er-Jahre zu erneuern und zu erweitern. Aus diesen Anfängen schuf er ein umfangreiches Lebenswerk, vielfältig in den Motiven und zugleich wiedererkennbar im Ausdruck. Bis in die aktuelle Fotografie reichen die Traditionslinien aus der Befreiung der fotografischen Bildsprache durch Toni Schneiders und seine Weggefährten. Wirklichkeitsbezug und Gestaltungswillen – mit diesen beiden Prämissen steht Toni Schneiders’ Schaffen zwischen figurativer Darstellung und formaler Abstraktion oder zwischen Dokumentation und Gestaltung, immer jedoch

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zeichnet sich sein Werk durch einen bedingungslos fotografischen Blick aus. Für seine präzise komponierten Aufnahmen fand er die Schönheit der grafischen Form in den einfachen und naheliegenden Dingen, in der Natur, in Artefakten und den Spuren menschlicher Existenz. In seinem unmittelbaren Lebensumfeld im Alpenvorland und auf Reisen durch Deutschland, Europa und alle Welt hielt Toni Schneiders markante Momente der Wirklichkeit und des Lebens in Fotografien fest, deren Protagonist ein Mensch, ein Objekt, eine Stofflichkeit oder eine Landschaft sein konnten. Bei aller Strenge in der Bildästhetik lassen seine Motive dabei immer wieder die Anteilnahme des Fotografen erkennen. Mit Humor und Einfühlungsvermögen setzte er sein Lebenswerk in eine menschliche Perspektive. Von größter Bedeutung für den bildsprachlichen Ausdruck Toni Schneiders’ ist der Bildausschnitt, durch den er das große Ganze ordnete und fasste und den Betrachtenden einen Teil der Wirklichkeit bildwürdig vor Augen führte. Für seine von den Avantgarden der 1920er-Jahre inspirierten Aufnahmen rückte er Details in den Vordergrund, reduzierte sie auf Fläche und Linie, auf Kontur und Struktur und erzeugte in dieser Konzentration bisweilen geradezu abstrakte Bildmotive. Die daraus resultierende »Entwirklichung physischer Wirklichkeit«2 ist allerdings nicht die Folge künstlicher Arrangements, denn den inszenierenden Eingriff in den Bildgegenstand vor der Kamera vermied Schneiders fast grundsätzlich. Vielmehr wurde der Gegenstand durch die subjektive Perspektive zu einem formbaren Stoff transzendiert, den sich der Fotograf zu eigen machte und aus dem er mit fotografischen Mitteln seine Motive schuf. Als Vorbilder begriff Schneiders die Fotografie des Bauhauses und des Neuen Sehens und hob besonders Albert Renger-Patzsch, Erich Salomon und Alfred Ehrhardt hervor. Sein Verständnis von Bildkomposition und Duktus fußte aber auch auf einem Interesse an zeitgenössischer Malerei, das sich prägnant in seinem ersten Berufswunsch ausgedrückt hatte, Kunstmaler zu werden, bevor er sich dann 1936 dem Medium Fotografie zuwandte. Die Freundschaft und der Austausch mit dem Maler und Grafiker Julius Bissier erneuerte Ende der 1940er-Jahre diesen intermedialen Einfluss.

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Ebenso wichtig aber war für Toni Schneiders das gegenständliche Abbild einer Landschaft, einer Architektur, eines Menschen bei seiner Arbeit, in seinem Alltag. »Man muß nur bewußt machen, was ist!«3, sagte er der Lindauer Zeitung anlässlich seiner Ausstellung Epische Kamera 1963. Schneiders’ Bildberichte über Länder, Landschaften, Städte und ihre Bewohnerinnen und Bewohner erschienen in mehr als hundert Bildbänden, beginnend 1950 mit dem Band Lindau im Jan Thorbecke Verlag. Seinen Einstieg in die Welt der Illustrierten und Magazine bildete 1951 das – namentlich wegweisende – Sonderheft Verzaubertes Kursbuch der Zeitschrift Merian. In den folgenden Jahrzehnten unternahm Toni Schneiders oftmals lange Reisen innerhalb Deutschlands, in den Mittelmeerraum, nach Äthiopien, nach Skandinavien, Japan und Südostasien. Auch die dort entstandenen Aufnahmen wurden oftmals aktiv gestaltet. In lichten Landschaften und dunklen Werkhallen dienten ihm dabei Bildausschnitt und vor allem Lichtführung als wesentliche Gestaltungsmittel.

ANMERKUNGEN 1  Toni Schneiders: »Ich über mich«, in: 3 lindauer fotografen, hrsg. vom Art Studio Plaas, Lindau 1972, o. P.    2   Fritz Kempe: Strukturierte Welt oder: Die Fotografie der Oberflächen, in: Foto Prisma, Nr. 12, 1961, S. 410.   3  Toni Schneiders zit. n. N.N.: Toni Schneiders’ »Epische Kamera«, in: Lindauer Zeitung, 20.3.1963, S. 14.

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FOTOFORM UND SUBJEKTIVE FOTOGRaFIE

Unheimliches Nest, Bodensee, 1949


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Kristallisation, Hamburg, 1950 | Bizzarres BruchstĂźck, Hamburg, 1950

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Ausstellung fotoform auf der photokina, Kรถln, 1951


Von »fotoform«  z u »subjektiver fotografie«

Das Jahr 1949 wurde für Toni Schneiders zum Wendepunkt. In der Fotografie waren nach der Diktatur der Nationalsozialisten und dem Zweiten Weltkrieg viele avantgardistische Strömungen abgerissen, ihre Vertreterinnen und Vertreter verstummt, ermordet oder emigriert. Toni Schneiders war nach 1945 einer der jungen Fotografen, die sich dieser Situation bewusst waren und nach neuen Wegen suchten. Ihre Kritik am als rückschrittlich wahrgenommenen Bildempfinden des klassischen Fotografenhandwerks entzündete sich schließlich an den konventionellen Kriterien der Jury für die 2. Messe Ausstellung der PhotoKino-Industrie 1949 in Neustadt an der Haardt, die alles Avantgardistische, Experimentelle und visuell Neue ausjurierte. Von Toni Schneiders wurden immerhin vier Aufnahmen angenommen, darunter die Kehrseite des Frühlings, die amüsante Rückenansicht einer älteren Dame, die vorsichtig ihren Rock hebend einen schlammigen Weg betritt. Als Sezessionsbewegung rief Toni Schneiders gemeinsam mit Wolfgang Reisewitz, Otto Steinert und Ludwig Windstosser noch am Eröffnungstag der Ausstellung, am 7. Juli 1949, die Freie Arbeitsgemeinschaft junger Fotografen ins Leben. In den folgenden Wochen forderten sie Peter Keetman und Siegfried Lauterwasser zum Beitritt auf und gaben sich schließlich am 17. September 1949 in Stuttgart den Namen »fotoform«. Die Gruppe sah die Notwendigkeit, fotografische Strategien, die nicht nur sachlich-dokumentierend waren, »als legitime Medienpraxis ins Bewusstsein zu rufen.«4 Und so strebte die »fotoform« danach, der Fotografie den Mut zur Gestaltung zurückzugeben und eine neue Formensprache durchzusetzen.5 Die

Ausstellungslabel 2. Ausstellung Photographischer Kunst, Neustadt an der Haardt, 1949

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Toni Schneiders in der Photo-Kino-Ausstellung, 1950

Gruppe formulierte nie ein programmatisches Manifest, aus den Äußerungen einzelner Mitglieder entsteht jedoch ein Mosaik ihrer Intentionen: Ludwig Windstosser definierte am 4. November 1949: »›fotoform‹ ist der Name einer Arbeitsgemeinschaft von sechs jungen Berufs-Fotografen Westdeutschlands, die bemüht ist, eine neue Richtung in der Fotografie zu suchen.«6 Und Wolfgang Reisewitz ergänzte in einem Vorschlag für eine erste Presse-Notiz am 13. November 1949: »Als Grundvoraussetzung wurde einwandfreie Technik erkannt und damit sind der nun beginnenden freien Entwicklung der Mitglieder keine Grenzen mehr gesetzt.«7 Peter Keetman wiederum schrieb in einem Brief an Ludwig Windstosser am 8. Dezember 1949: »Was wir wollen, ist: den Konservativismus brechen, etwas Neues überzeugend bieten, den Leuten die Augen öffnen.«8 Und Otto Steinert fasste 1950 zusammen: »Heute streben wir zunächst nach einer formal gestalteten Fotografie, unter bewußter Auswertung aller rein fotografischen technischen Gegebenheiten. Dabei wenden wir alle Sicht- und Ausdrucksmöglichkeiten unserer Zeit an […], bemühen uns, hinter das Wesen der Dinge zu schauen und die Bewußtseinsinhalte unseres Lebens sichtbar zu machen.«9 Die neue Fotografie bezog sich in ihren auf die Moderne ausgerichteten Aspekten zunächst auf die Bildsprache der Avantgarde der 1920er-Jahre, suchte dann aber den Neuanfang und fand zu einem eigenständigen zeitgemäßen Ausdruck. Gegen die herrschende Orientierungslosigkeit unterwarfen Toni Schneiders und seine Weggefährten ihre Werke eigenen rigiden Maßstäben. In »Rundschreiben und Kritik-Runden«10 beurteilten die Sechs gegenseitig neue

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Motive, die im Umlaufverfahren von Mitglied zu Mitglied gesandt wurden. Nur Aufnahmen, die von allen Mitgliedern akzeptiert worden waren, durften unter dem Gruppennamen ausgestellt werden. Befreit vom Korsett fotografischer Regeln und in kreativer Auseinandersetzung mit progressiven Kräften in Kunst, Fotografie und Publizistik, entwickelten sie eine vielfältige Bildsprache, die sich als fotografische Gestaltung auf der Basis von Wirklichkeit durch Perspektive, Ausschnitt, Experiment und Abstraktion beschreiben lässt. Von der »fotoform« gingen damit wichtige Impulse zur Neubestimmung der Fotografie aus. Durch ihre ästhetischen Maßstäbe gaben sie sich selbst einen Rahmen und innerhalb dieses Rahmens die Freiheit zur selbstbestimmten kreativen Arbeit. Toni Schneiders machte von dieser Freiheit Gebrauch. Strukturen setzte er in feinen Graustufen auf der Bildfläche um, radikale Bildausschnitte führten seine Motive immer wieder von der Abbildhaftigkeit hin zur Bildgestaltung.11 Im Rahmen der »fotoform«-Ausstellungen zeigte er sowohl Detailstudien aus der Natur als auch situative Porträts und überzeugende Ergebnisse seiner raren fotografischen Experimente. Der erste gemeinsame Auftritt der Gruppe war die Ausstellung im progressiven Circolo Fotografico Milanese im Januar 1950. »Die Schau bestätigte in vollem Umfang das hohe technische und künstlerische Niveau der deutschen Schule«,12 schrieb die Zeitschrift Fotografia. Bereits auf der Photo- und Kino-

Ausstellungslabel des Circolo Fotografico Milanese, Mailand, 1950

Kontakte von Wasserstudien, 1951

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HAMBURG 1950  /  1951


Begegnung im Hafen, Hamburg, 1950

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Hafen, Hamburg, 1950 | Rรถdingsmarkt, Hamburg, 1950

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MENSCHENBILDER

Aus Mathon, Tirol, 1958


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Im Stadtteil Tempelhof, Berlin, 1959


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Melodie der Regentropfen, 1952


FRANZISKA MECKLENBURG

FIGUR UND GESTALT »Jedes Thema ist mir recht , wenn es wichtig genug ist, aber unerschöpflich und

immer wieder verpflichtend steht das Bild des Menschen im Mittelpunkt meiner Bemühungen«1, beschrieb Toni Schneiders die Rolle des Menschlichen und der menschlichen Gestalt in seiner Fotografie. Eine ungleich ambivalentere Einordnung erfuhr das Menschenbild in Toni Schneiders Werk im Spiegel der Kritik. Eine Besprechung der Photo- und Kino-Ausstellung in Köln 1950 beispielsweise nahm Bezug auf ein Porträt, aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich um das Bildnis des Schneiders-Freundes und späteren »fotoform«-Mitglieds Heinz Hajek-Halke (Abb. S. 37): »Toni Schneiders [bringt] das beispielhaft gegenwärtige Porträt eines schöpferischen Menschen unserer Tage, eines Einzelgängers, der uns so skeptisch, so mißtrauisch, so irre geworden und desillusioniert und dabei doch so aggressiv, so weltbewußt, so unbesiegt anschaut, als sei hier eine Situation unseres Daseins ein für allemal festgehalten.«2 Das fotografische Bildnis wird in seiner starken subjektiven Aussagekraft sowie der Wiedergabe von tief empfundenem Seelenzustand und psychologischer Verfasstheit hervorgehoben. Toni Schneiders erzielt diesen Effekt – ganz im Sinne der Gestaltungsprinzipien »subjektiver fotografie« – durch die formale Gestaltung der Aufnahme, welche bestimmt ist durch kompositionelle Strenge, gestochen scharfe Wiedergabe von Gesichtszügen und Hautbeschaffenheit sowie einer expressiven Abstufung in den Grautönen. In einer Besprechung des Bildbandes Archipelagus im Monatsmagazin Chronika stellte Matthias Harder 1999 dagegen heraus, dass Schneiders in Griechen-

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Zeitungsleser, Kopenhagen, 1962 | Im Park, Wien, 1957


Zeitungsleser, DĂźsseldorf, 1966 | Das Neuste, 1964

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Segelboot, in: Lindau, Jan Thorbecke Verlag, 2. Auflage, 1955


HANS-MiCHAEL KOETZLE

»ZUM KLEiNSTADT»FOTOGRAFEN EiGNE iCH »MiCH NiCHT« » TONi SCHNEiDERS ALS REiSEFOTOGRAF » UND BUCHAUTOR Zwei Jahre nach der Währungsreform , ein Jahr nach Gründung der Bundesrepu-

blik Deutschland, allerdings noch vor dem vielbeschworenen Wirtschaftswunder, erschien 1950 Toni Schneiders’ erstes eigenes Buch: Lindau. Gerade hatte er sich der – aus heutiger Sicht legendären – Gruppe »fotoform« angeschlossen oder besser: diese mit begründet – ein, wie es heißt, loser Verbund »zorniger junger Männer«1, die nicht nur eine durch Krieg beziehungsweise Kriegsteilnahme »gestohlene Jugend« verband, sondern auch eine ausgeprägte Affinität zum Medium Fotografie sowie der erklärte Wille, das ästhetisch stagnierende Lichtbild in Deutschland zu erneuern. Bereits 1950 konnte sich die Gruppe in Mailand präsentieren. Viel beachtete Auftritte in Darmstadt und auf der Kölner photokina sollten folgen. Mit dem wohl von Otto Steinert in Opposition zur fotografischen Routine jener Jahre eingeführten programmatischen Begriff

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In der Frankfurter Bahnhofshalle, Strahlenkranz der Schienen und Auf der Drehscheibe, in: Verzaubertes Kursbuch. Merian, Nr. 11, 1955


»subjektive fotografie« war mittlerweile auch ein griffiges Etikett gefunden – längst Headline für eine Dekade künstlerisch ambitionierter Fotografie in Deutschland mit insgesamt drei international beschickten Ausstellungen (1951, 1954 und 1958), flankierenden Publikationen sowie einem enormen Presseecho. Schon früh hatte es Kritik gegeben, deren Ton gegen Mitte des Jahrzehnts allerdings rauer werden sollte. Steinert selbst sprach angesichts eines Heers von Epigonen von grassierender »Strukturitis«2, und die inzwischen durch Wolf Strache wiederbelebte Jahresschau Das Deutsche Lichtbild meinte schon 1955 von einer »kurzen Blüte« experimenteller Fotografie sprechen zu können: man erwarte »keine Offenbarungen mehr.«3 Keine Frage: Toni Schneiders, 1920 im rheinischen Urbar geboren, 2006 in Lindau am Bodensee verstorben, hat als Mitglied der Gruppe »fotoform«, durch seine Teilnahmen an den programmatischen Ausstellungen der frühen 1950er-Jahre, seine Katalog- und Buchbeiträge, das Gesicht der »subjektiven fotografie« entscheidend mit geprägt und ist als bedeutender Vertreter dieser Richtung in die neuere Fotografiegeschichte eingegangen. Gleichzeitig hat er stets Distanz gewahrt, sich in späteren Interviews lediglich als »Mitläufer«4 an

Jaël und Sissera und Judith und Holofernes, in: Augsburg, Jan Thorbecke Verlag, 2. Auflage, 1955

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