Geschichten, Bilder und Metaphern der Stadt

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Common Journal für Kunst & Öffentlichkeit commonthejournal.com

Nummer 06, 2016 GESCHICHTEN, BILDER UND METAPHERN DER STADT Bedeutungsüberschuss als schöpferisches Potential



Seite 4 Editorial Seite 6 Prolegomena zu einer Stadtmetaphorologie Andri Gerber

Seite 12 Stadt lesen… Ruedi Weidmann

Seite 18 Vom Elfenbeinturm in den Leuchtturm Seite 30 The City, Shaped by the Photo-Opportunity Peter Benz

Seite 38 Die Stadt als intelligente Maschine. Zum Eigenleben einer Metapher Sonja Hnilica

Seite 52 Stadt schreiben. Urbanität und Literatur von 1831 bis 1931 Basil Rogger

Seite 69 Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch Studierende der ZHdK, der HafenCity Universität Hamburg und der Hong Kong Baptist University, Academy of Visual Arts

Seite 115 — 123 Literaturliste, Biografien, Impressum

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Inhaltsverzeichnis

Janine Schiller


Editorial

Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen »Stadt« ist daher immer auch eine kontinuierliche Interpretationsarbeit, die mit vielschichtigen Bedeutungen umgehen können muss. Dabei gibt es immer einen »Überschuss an Bedeutung« dem wir in dieser Ausgabe von »Common – Journal für Kunst & Öffentlichkeit« ein kreatives Potential zuschreiben wollen. Uns interessiert das genaue Hinsehen auf die Symbole, Bilder und Metaphern, die im Denken und Sprechen über die Stadt zur Anwendung kommen. Dem durch diese erzeugten »Überschuss an Bedeutung« widmen wir unsere Aufmerksamkeit, zeigen Projekte, die zwischen künstlerischer Praxis, Lebenswelt und theoretischer Forschung entwickelt wurden. Wie kann mit diesem diffusen Zuviel an Bedeutungen umgegangen werden? Ist der Überschuss an urbanen Bedeutungen beispielsweise in Metaphern aufgehoben und mit diesen aufzufangen? Metaphern scheinen in einem direkten Zusammenhang mit urbanistischen und architektonischen Konzepten und mit kulturwissenschaftlichen Zugängen zu Stadt zu stehen. In ihrer Bildhaftigkeit verweisen sie auf die grundlegenden Konzepte, die dem jeweiligen Denken und Handeln zu Grunde liegen – und können die Ideologien einer Zeit sichtbar machen. Andri Gerber setzt sich mit Metaphern der Stadt in der Architektur- und Städtebaugeschichte auseinander. Eine »Stadtmetaphorologie« sei noch lange nicht geschafft, meint er – und verschafft uns einen Einblick in den Stand seiner Auseinandersetzungen. Seinen Beitrag betitelt er als »Vorbemerkungen« zu einer solchen Stadtmetaphorologie. Ruedi Weidmann nimmt uns als Historiker mit auf einen Spaziergang, in dem er uns regelrecht »Stadt« vorliest. Die Stadt wird bei ihm zu einer spannenden und oft auch überraschenden Lektüre. Ein ungewohntes Bild der Skyline von Hong Kong steht am Anfang der Überlegungen von Peter Benz. Dass in Städten

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Editorial

Städte sind als Phänomene so komplex, dass wir sie nur schwer als Ganzes denken und erfassen können. Nur aus spezifischen Blickwinkeln, mit konkreten Konzepten und Interessen im Hinterkopf lässt sich über Städte nachdenken und sprechen. Genau wie die Städte selbst verändern sich diese Blickwinkel, Konzepte und Interessen. Die Verstädterung der Welt erzeugt daher nicht nur ein grosses Spektrum an städtischen Entwicklungsmustern, sondern auch eine Vielzahl von Lesarten und Zugangsweisen. Diese Auseinandersetzung mit dem Phänomen Stadt versammelt gleichzeitig immer auch gesellschaftliche Hoffnungen und Ängste. Diese werden in Geschichten, Mythen und Metaphern fortlaufend konstruiert, sichtbar gemacht, kritisiert, weiterentwickelt – Städte generieren permanent neue (Sprach-)Bilder.


auch Orte gestaltet werden, an denen die »richtigen« und »guten« Fotografien der Stadt gemacht werden können/ sollen, und diese Bilder wiederum die Stadt prägen, hat in einer Stadt wie Hong Kong eine besondere, auch politische Bedeutung. Sonja Hnilica geht in ihrem Beitrag einer derzeit dominanten Metapher der Stadt nach: der Stadt als intelligenten Maschine. In der Aufarbeitung der Geschichte dieser Metapher wird nicht nur die Entwicklung, sondern das Eigenleben dieser Metapher deutlich. Über die Rolle von Hochschulen in der aktuellen Stadtentwicklung macht sich Janine Schiller Gedanken. An sechs konkreten, aktuellen Beispielen aus der Schweiz zeigt uns Janine Schiller das »neue« Verhältnis von Wissensarchitekturen und Stadtentwicklung auf.

Aber was wäre eine Ausgabe zum Thema Metaphern, wenn sie sich nicht explizit dem nicht-textlichen, den Bildern, Tönen, Filmen, Geräuschen, Gerüchen, Interaktionen von Städten widmen würde? Dieser, eher künstlerisch-gestalterisch ausgerichteten Betrachtungsweise von Stadt haben sich drei Hochschulen in einem gemeinsamen, einjährigen Projekt gewidmet. Studierende aus Zürich (Zürcher Hochschule der Künste), Hamburg (HafenCity Universität) und Hong Kong (Academy of Visual Arts, Baptist University of Hong Kong) haben gemeinsam inter- und transdisziplinäre Projekte realisiert, welche auf Grund von gegenseitigen Besuchen in allen drei Städten entstanden sind. Eine Auswahl der dabei entstandenen Arbeiten ist im Sammelbeitrag »Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch« zu sehen.

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Editorial

Im Beitrag von Basil Rogger wird deutlich, wie lange die Stadt in der Literaturgeschichte schon ein Thema ist. Subjektiv ausgewählte Titel aus den vergangenen 150 Jahren spannen einen Bogen von Victor Hugo bis Don DeLillo.


Prolegomena zu einer Stadtmetaphorologie

Den Versuch einer Metaphorologie, also einer Systematik der Metapher(n) haben bisher nur Wenige gewagt: So der Philosoph Hans Blumenberg mit seiner 1960 erschienen Studie Paradigmen zu einer Metaphorologie; oder in anderer Form der Philosoph Ralf Konersmann mit seinem systematischen Wörterbuch der philosophischen Metaphern, das 2007 erschienen ist. Diese Arbeiten bleiben aber Ausnahmen, was für ein so fundamentales Instrument unserer Sprache und unserer – verbalen wie visuellen – Kommunikation doch überrascht. Metaphern stellen jenseits ihrer auffälligen Präsenz und Verbreitung ein wahres Rätsel dar: sie sind vage, unbeständig, kaum zu erklären, wenn nicht über weitere Metaphern, was ein Prozess des skiddings – des Rutschens – provoziert, wie das der französische Philosoph Jacques Derrida in einer Studie zur Metapher festgehalten hat. Versucht man Metaphern zu erfassen, so verliert man den festen Boden unter den Füssen und rutscht von einem unfruchtbaren Versuch zum anderen. Man kann eine Metapher zwar umschreiben aber kaum präzise erfassen. Die Metapher ist im Prinzip ein literarisches »Transportmittel« – Derrida verweist im selben Aufsatz darauf, dass öffentliche Verkehrsmittel in Griechenland »Metaphern« heissen –, dass sie zwei Pole verbinden (Bildspender und Bildempfänger), die eigentlich nicht zusammengehören. Durch diesen Transport werden Eigenschaften des einen auf den anderen übertragen. »Richard ist ein Löwe« ist ein klassisches Beispiel aus den Metaphernstudien, das besagt, dass Richard Eigenschaften eines Löwen hat – er ist mutig und stark – Richard ist aber nicht wörtlich ein Löwe, nur figürlich. Man macht sich dabei ein Bild von etwas, was eigentlich gar nicht vorstellbar ist, wenn nicht als Chimäre: halb Mensch als Löwe. Solche Metaphern begegnen uns alltäglich, im Gespräch, in den Medien und in der Literatur, meistens sind wir uns dessen auch gar nicht bewusst. Viele Metaphern sind »tote Metaphern« wie sie der französische Philosoph Paul Ricoeur beschrieben hat. Es handelt sich um Metaphern, die einst neu waren, nun aber mittlerweile so geläufig im Sprachgebrauch sind, dass wir uns dessen gar nicht mehr bewusst sind, geschweige dass wir diese als Metaphern erkennen. Dabei spielen Metaphern in den kognitiven Prozessen und in der Strukturierung unseres Sprechens und Denkens eine so fundamentale Rolle, dass sich die Wissenschaftstheorie seit 50 Jahren damit auseinandersetzt. Es geht vor allem um die Frage inwiefern wir metaphorisch denken – d.h. wie unsere Gedanken durch Metaphern organisiert werden – und inwiefern Metaphern gebraucht werden um neuen Ideen zu gewinnen, indem sie unerwartetes Denken und das Entwickeln von neuen Modellen ermöglichen, das kreative Denken also fördern. Die Metapher schafft dabei ein Modell im Sinne einer Möglichkeit, die dann zu überprüfen ist. In der Literatur ver-

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Prolegomena zu einer Stadtmetaphorologie, Andri Gerber

Andri Gerber


binden Metaphern verschiedene Sinnes-, in der Wissenschaft verschiedene Bedeutungsebenen. Dennoch: wie Metaphern genau funktionieren bleibt bis heute unklar. Es bestehen unzählige verschiedene Theorien mit zum Teil divergierenden Thesen. Fest steht, dass Metaphern kontextabhängig sind und dementsprechend in ihrer Wirkungsweise und Wirkung auch unterschiedlich zu bewerten sind. Ein solcher Kontext ist zum Beispiel die Stadt.

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Prolegomena zu einer Stadtmetaphorologie, Andri Gerber

STADTMETAPHERN

Was verbindet aber Metaphern und die Stadt? Ist die Rede von einer Stadt, ihrer Stadtteile, ihres Stadtbildes, ihrer Architektur und Infrastruktur, dann tauchen Metaphern unumgänglich auf, nicht nur in Texten von Architekten oder Stadtplanern, sondern auch gerade auch in der Literatur und in den Medien. Überall finden sich unzählige Metaphern, wenn es darum geht, die Stadt zu beschreiben. Metaphern dienen hier vor allem dazu sich ein Bild davon zu machen, was man eben sonst nicht in knappen Sätzen oder einzelnen Bilder erfassen kann. Die Stadt ist zu komplex, zu vielfältig, zu dynamisch und auch stetig in Veränderung, um auf einen Nenner gebracht zu werden. Metaphern helfen hier ein Bild zu schaffen, in dem die Stadt mit etwas Anderem verglichen wird, was einerseits die Komplexität unserer eigenen Wahrnehmung reduziert, andererseits kommunizierbare Bilder produziert, die wir mit anderen Menschen austauschen können. Oft wird dabei auf etwas genau so Komplexes verwiesen wie der Körper, dessen funktionieren wir aber besser verstehen können. Gerade grosse Veränderungen sowohl im materiellen wie im auch im sozialen Gefüge der Stadt rufen nach Metaphern die helfen können, diese zu verstehen und auch zu akzeptieren. Dabei haben Metaphern natürlich eine starke poetische Seite, die gerade Unschönes oder Mehrdeutiges in etwas anderes, eher Ertragbares umwandelt. Der französische Dichter Charles Baudelaire beklagt sich in einem Gedicht, dass sich die Stadt schneller als das Herz eines Sterblichen verändern würde. Eine Metapher die uns vor Augen führt und verstehen lässt, wie schnell sich diese Prozesse in den Augen von Baudelaire vollziehen. Metaphern verschaffen uns also ein besseres Verständnis der Stadt und ihrer Natur, indem wir sie mit Bekanntem vergleichen können. Als 1997 das neue Guggenheim-Museum in Bilbao von Frank Gehry fertiggestellt wurde, regnete es in der Presse förmlich Metaphern, die dazu dienten, die ungewohnte Form mit etwas Vertautem zu vergleichen – in diesem Fall meistens mit einem Schiff, einem Kleid oder einer Skulptur. Die Stadt in all ihrer Komplexität ist dazu prädestiniert, Metaphern zu provozieren, wobei die Vorstellung, sie sei unbeschreibbar, nicht neu ist: die Stadt bedeutete schon immer eine Herausforderung für ihre Einwohner. Eines der schönsten Beispiele diesbezüglich bietet die Literatur über das Paris des 18. und 19. Jahrhunderts. Sie hat zum diesem Zweck unzählige Metaphern erfunden, selbst um die Schwierigkeit der Beschreibbarkeit selber zu umschrieben: Karlheinz Stierle zitiert in diesem Sinne Honoré de Balzac, der die Stadt Paris mit einem Ozean vergleicht, dessen Boden unergründlich bleibt.


Finden sich die Metaphern im Gedicht oder in der Erzählung, so gehören sie zwar auch zum Allgemeingut und zu den Bildern, die man sich von einer Stadt macht, sie bleiben aber meistens relativ harmlos. Problematisch werden Metaphern dann, wenn sie nicht nur beschreiben, sondern einen operativen Hintergrund haben, d.h. dass sie nicht nur einen Bestand zeigen, sondern gleichzeitig auch eine Vorstellung davon transportieren, wie man mit der Stadt umgehen soll, wie man sie verändern will. Hier haben die Metaphern eine normative Funktion, sie legitimieren mitunter sogar problematische Interventionen. Die berühmteste und wohl häufigste Metapher in diesem Sinne ist jene der »Stadt als Körper«. Hier wird die Stadt mit verschiedenen Aspekten des menschlichen Körpers verglichen, mit dem Skelett, was die Struktur der Stadt angeht, mit den Blutgefässen, was das Zirkulieren von Menschen und Wahren angeht. Vor allem aber wird die Gesundheit der Stadt zum Thema: so wie man einen kranken Menschen heilen kann, so kann man auch die »kranke Stadt« heilen. Das geht nicht zuletzt auf die Auseinandersetzung des Arztes Hippokrates mit der Gesundheit der Stadt zurück: bei ihm ist die Parallele zwischen dem gesunden Körpers (als Gleichgewicht der Körpersäfte) und der gesunden Stadt einfach zu vollziehen. Diese Vorstellung wurde in den Städtebautraktaten der Renaissance übernommen und weitergeführt. Die Metapher der »kranken Stadt«, die zu »heilen« ist, hatte um die Mitte des 19. Jahrhunderts Hochkonjunktur, als mit der Industrialisierung und der Landflucht, die Städte einen enormen Zustrom an Menschen verkraften mussten. Die dadurch bedingten katastrophal ungesunden Zustände verlangten nach Lösungen zur Verbesserung der hygienischen Bedingungen. Dass die meisten hier involvierten Politiker, Ärzte und Architekten durchaus mit sozialen und moralischen Motivationen aktiv wurden, steht ausser. Dennoch kann nicht darüber hinweg gesehen werden, dass viele erst agierten, als die unhaltbaren Zustände auch die Reichen in ihren Villenvierteln bedrohten – wie das Friedrich Engels bereits früh bemerkt hat. Oft war dann jedoch die Folge, dass sich frühe Formen der gentrification entwickelten, bei denen die Armen an die Peripherie der Städte gedrängt wurden und dort in ähnlich ungesunden, meist informellen Siedlungen hausen mussten. Die Probleme wurden damit nicht gelöst sondern nur verschoben. Vergleichbares lässt sich auch heute noch in vielen Slumclearance Programmen erkennen, bei denen zur Legitimation der Intervention ebenfalls oft auf die Metapher der »kranken Stadt« zurückgegriffen wird. Die Gefahr in solchen Anwendungen von Metaphern besteht einerseits darin, dass zu vorschnell und unkritisch deren ideologischen Konnotationen übernommen werden: So liebte zum Beispiel Le Corbusier – der wichtigste (und wohl auch meist kritisierte) Architekt der Moderne – die Verwendung von solchen Metaphern, weil sie seinen Vorstellungen entsprachen: auf der Grundlage einer tabula rasa der bestehenden Stadt wollte er seine gesunden Stadtmodelle verwirklichen. Seine extensive theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema ist voller Analogien zum

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Prolegomena zu einer Stadtmetaphorologie, Andri Gerber

DIE IDEOLOGIE DER METAPHER


menschlichen Körper – eine Strategie, die nicht zuletzt die Ideologien der Moderne und ihre radikale Neuheit legitimieren sollte. Andererseits besteht aber immer auch die Gefahr, dass Metaphern wörtlich (und nicht figürlich) verwendet werden – und so zum Beispiel Städte in Form von Palmen, Blumen oder anderen ausgefallenen Formen gebaut werden…

Ich habe mich bereits bei verschiedenen Gelegenheiten mit der speziellen Natur der Metaphern auseinandergesetzt – und bin dabei nicht der Einzige (siehe die Arbeit von Sonja Hnilica). Trotzdem würde man bei der Bedeutung und Komplexität der Phänomene mehr Auseinandersetzungen erwarten. Wir sind aber noch weit entfernt von einer Stadtmetaphorologie, die den spezifischen Kontext der Stadt durchleuchtet und eine Übersicht über die verschiedenen Formen von Metaphern liefern würde. Der englische Architekturhistoriker Peter Collins hat 1965 als einer der Ersten eine systematischen Untersuchung unternommen. In seinem Buch Changing Ideals in Modern Architecture 1750-1950 beschränkte er sich dabei zwar auf die Architektur und auf bestimmte Epochen. Dennoch kann seine interessante Arbeit als Grundlage für eine ähnliche Arbeit über die Metaphern der Stadt dienen. Bemerkenswert ist, dass Collins in seiner Arbeit von Analogien spricht – biologische, mechanische, gastronomische und linguistische – und nicht von Metaphern. Damit impliziert er, dass es sich bei der Wirkweise von Metaphern seiner Meinung nach nur um einen Vergleich und nicht um einen Transfer handelt. In meiner jetzigen Arbeit über die Entstehung der Disziplin Städtebau, befasse ich mich zwar nicht primär mit Metaphern. Dennoch habe ich (aus Gewohnheit oder Reflex) alle Metaphern gesammelt, denen ich in den verschiedensten Quellen begegnet bin. Es handelt sich dabei in erster Linie um französische, deutsche und englische Texte aus dem Architekturdiskurs zwischen 1880 und 1945. Es lassen sich geordnet nach der Häufigkeit ihres Auftretens folgende Typologien aufzählen (wobei oft im selben Text die Stadt mit mehreren Metaphern gleichzeitig beschrieben wird): »Stadt als Körper/Organismus« Und davon spezif isch »Stadt als kranker Körper«

88 12

»Stadt als Kunstwerk«

44

»Charakter der Stadt«

26

»Stadt als grosse Architektur«

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»Stadt als Symphonie«

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»Stadt als Haushalt«

8

»Stadt als Kleid«

6

»Stadt als Bienenstock/Ameisengesellschaft«

3

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Prolegomena zu einer Stadtmetaphorologie, Andri Gerber

PROLEGOMENA ZU EINER STADTMETAPHOROLOGIE


3

»Stadt als Pflanze«

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»Stadt als Geschichte in Stein«

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»Stadt als Fabrik«

2

»Stadt als Ornament«

1

»Stadt als Person«

1

»Stadt als Pilz«

1

»Stadt als Nebel«

1

»Stadt als Fischsalat«

1

»Stadt/Städtebau als Sprache«

1

»Stadt als ‚Krabbeln’«

1

»Stadt als Festung«

1

»Stadt als Hülle«

1

»Vergewaltigung der Stadt«

1

»Stadt als fremde Sprache«

1

»Stadt als Fluss«

1

»Stadt als Süssigkeit«

1

»Stadt als Märchen«

1

»Stadt als Kristall«

1

»Gesicht der Stadt«

1

»Stadt als Kristall«

1

»Stadt als Kristall«

1

Diese Metaphern (auf die man jeweils im Einzelnen detailliert eingehen müsste) erzählen uns sehr viel über die Zeit, in der sie verwendet wurden, über die Art wie Stadt damals wahrgenommen wurde und wie man mit ihr umgehen wollte. Metaphern gehören damit zu den besten Indikatoren der Ideologien der Zeit. Sucht man zu einem späteren Zeitpunkt nach den wichtigsten Stadtmetaphern, dann finden sich viele der oben genannten immer noch, es sind jedoch (bedingt durch die zeitgenössischen Ideologien) viele neue hinzu gekommen – heute zum Beispiel die verschiedenen Vorstellungen der »Stadt als Netzwerk«, der »Stadt als System«, der »Stadt als Programm« usw. Die Untersuchung und Besprechung von Metaphern (gerade im Kontext der Stadt) ist trotz – oder vielleicht gerade wegen – ihrer unfassbaren Natur ein wichtiges und spannendes Unterfangen, das viel über die jeweilige Gesellschaft und ihre Verhältnis zur gebauten Umwelt verraten kann. Eine

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Prolegomena zu einer Stadtmetaphorologie, Andri Gerber

»Stadt als Maschine«


Stadtmetaphorologie würde an dieser Stelle ansetzen müssen, könnte nur aber durch ein interdisziplinäres Kollektiv geleistet werden – so wie die Stadt selber nicht durch eine Disziplin allein erklärt und verändert werden kann.

Prolegomena zu einer Stadtmetaphorologie, Andri Gerber

LITERATUR — Blumenberg, Hans, Paradigmen zu einer Metaphorologie, 1960 — Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 1979 — Blumenberg, Hans, Theorie der Unbegrifflichkeit. Aus dem Nachlass, herausgegeben von Anselm Haverkamp, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007 — Collins, Peter, Changing Ideals in Modern Architecture 1750-1950, London: Faber & Faber, 1965 — Derrida, Jacques, „The Retrait of Metaphor“ [1978], in: Enclitic Vol. II., Fall 1978, S. 5-33 — Derrida, Jacques, „La mythologie blanche. La métaphore dans le texte philosophique“ [1971] in: Derrida, Jaques, Marges de la Philosophie, Paris: Les éditions de minuit, 1972, S. 247-324. — Gerber, Andri, Metageschichte der Architektur. Ein Lehrbuch für angehende Architekten und Architekturhistoriker, Bielefeld: Transcript Verlag, 2014 — Gerber, Andri, Patterson, Brent (Hsg.), Metaphors in architecture and urbanism, Transcript Verlag, Bielefeld, 2013 — Gerber, Andri, Theorie der Städtebaumetaphern, Peter Eisenman und die Stadt als Text, Zürich: Chronos Verlag, 2012 — Hnilica, Sonja, Metaphern für die Stadt: zur Bedeutung von Denkmodellen in der Architekturtheorie, Bielefeld: Transcript, 2012 — Konersmann, Ralf, Wörterbuch der philosophischen Metaphern, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2007 — Stierle, Karlheinz, Der Mythos von Paris. Zeichen und Bewusstsein der Stadt, Carl Hanser Verlag, Wien: Carl Hanser Verlag, 1993

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Stadt lesen… Ruedi Weidmann

Über Stadtblindheit und erste Lesehilfen Als Stadthistoriker unternehme ich oft Stadtrundgänge mit ganz verschiedenen Menschen. Es ist eine der schönsten Formen der Vermittlung von Wissen über die Stadt. Ziel ist es, Augen zu öffnen, was auch fast immer gelingt. Führungen sind konkret und anschaulich; die Teilnehmenden begreifen die Dinge im wörtlichen Sinn: sie können sie anfassen. Begegnungen mit Fachpersonen oder Leuten, die im Quartier leben (also Experten für das Benützen der Stadt), erlauben direkte Fragen und eine multiperspektivische Sicht. Im Lärm der Strassen wird die Sprache zwangsläufig einfach, das komplizierte Geschwurbel der Hörsäle darf hier wegfallen, was der Klarheit und dem Verständnis dient. Überraschende Ereignisse auf der Führung verankern das Erlebte und Begriffene tiefer im Gedächtnis als es Vorträge oder Textlektüre vermögen. Auf Führungen finde ich es immer wieder interessant zu beobachten, was Fachleute oder Studierende eines bestimmten Fachs entdecken und genauer anschauen, und an welchen Dingen sie achtlos vorübergehen. Auf dem gleichen Rundgang mit einer anderen Berufsgruppe werden ganz andere Dinge angesprochen und näher betrachtet. Leute, die sich berufshalber mit der Stadt beschäftigen, wie Architekturschaffende oder Sozialarbeiter, sehen mehr Dinge. Andere nehmen zunächst nur Schaufenster wahr oder Werbeplakate, für sie ist die Stadt in erster Linie Verkehrsgewühl und Einkaufsort. Doch wenn man sie darauf aufmerksam macht können alle plötzlich Vieles entdecken, was mit ihrem Leben zu tun hat. Auf einer Führung geht es deshalb darum, die Dinge in der Stadt mit dem Wissen der Teilnehmenden zu verknüpfen. Es sind manchmal fast magische Momente, wenn Menschen, die sich nicht gewohnt sind, die Stadt zu «lesen», die Dinge sehen lernen. Sie stellen dann staunend fest, dass sie bisher als Stadtlese-Analphabeten durch die Strassen wandelten. Nun geht ihnen eine Welt auf. Was sie gerade entdeckt haben,

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Stadt lesen…, Ruedi Weidmann

Vorschläge für einen möglichst effekt- und reizvollen Stadtlese-Unterricht an einer Fachhochschule. Normalerweise liest man Wörter; «Stadt lesen» ist wohl für die meisten Menschen eine verwirrende Metapher. Sie sehen den Zweck einer Ortschaft kaum in deren Lektüre – Orte sind schliesslich zum Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Ausgehen da, nicht zum Lesen. Wer aber eingreifen, an der Stadt etwas ändern, gestalten oder verbessern will, sollte wenigstens einigermassen verstehen, wie sie funktioniert. Das heisst: sehen lernen, wer und was da ist, wahrnehmen was sich verändert, und begreifen, wie die Dinge zusammenhängen. Das könnte man «Stadt lesen» nennen. Kein Mensch aber kann eine Stadt lesen wie ein Buch. Sie ist – wenn wir schon mit Metaphern arbeiten wollen – eher ein riesiger Buchladen mit unzähligen Abteilungen und Büchern, von denen wir nur einen kleinen Teil interessant finden und verstehen können.


Ganz oder weitgehend Stadtblinde sind oft dankbare Teilnehmer. Sie entdecken fast garantiert eine neue Welt. Eine grössere Knacknuss ist es hingegen, bereits versierte Stadtlesende auf Aspekte hinzuweisen, die sie bisher ignoriert haben. Etwa Naturfreunde auf Technikgeschichte, Architekturstudierende auf soziale Prozesse oder Sozialwissenschaftler auf Umweltthemen. Doch je grösser und komplexer unsere Ortschaften werden und je vielfältiger die Bevölkerung, umso wichtiger wird das Hinausblicken über den Tellerrand der eigenen Berufsinteressen. Manchmal sind eingespielte Wahrnehmungsmuster auch zum Lachen, etwa wenn Denkmalpfleger ihre Köpfe über einem schönen alten Wasserhahn zusammenstecken, während gerade jemand erklärt, warum das ganze Viertel abgerissen wird. Doch die Stadt mit ihrer überwältigenden Vielfalt an Sinneseindrücken ist gar nicht anders zu meistern als mit einer stark selektiven Wahrnehmung. Noch vor dem Bedeutungsüberschuss gibt es schon einen riesigen Überschuss an realen Dingen, die wir dank unseren Wahrnehmungsmustern herausfiltern und wieder vergessen, bevor sie unser Bewusstsein erreicht haben. Mehr oder weniger stadtblind sind wir also alle. Flanieren, forschen, flüchten Nicht nur das Fachgebiet bestimmt unsere Wahrnehmung. Auch physische und psychische Zustände, in die wir geraten können, machen bestimmte Aspekte der Stadt spürbar. Man nimmt andere Dinge wahr, wenn man sorgenvoll durch die Stadt hetzt, als wenn man sich bierselig eine laue Nacht um die Ohren schlägt, ob man zum ersten oder tausendsten Mal eine Strasse entlang läuft, ob man ein Ziel verfolgt oder flaniert, eine gebrechliche Person begleitet oder einen kleinen Wildfang zu bändigen hat. Ob man müde, hungrig, verunsichert, voller Angst, überwältigt von Eindrücken, auf der Flucht oder mit einem Forschungsauftrag unterwegs ist. Wer unter Migräneanfällen leidet, kennt die Stadt als Lärmterrormaschine. Wer oft einen Hungerast einfängt, hat

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Stadt lesen…, Ruedi Weidmann

sehen sie nun plötzlich an allen Ecken. Ich glaube, gerade darum sind Stadtrundgänge so beliebt. Wenn dieser Schritt einmal gemacht ist, fängt jeder Mensch an, die Stadt zu lesen. Bei Leuten mit viel Vorwissen geht das dann oft überraschend schnell. Zwei Beispiele: Ein Historiker mit Spezialgebiet Arbeiterbewegung lernte auf einem Rundgang mit mir die Fassaden und Innenhöfe in Aussersihl «lesen». Er kannte die historischen Schriften über das Elend der Arbeiter. Gemeinsam entdeckten wir nun, wo es vor hundert Jahren Kellerwohnungen, Wohnschuppen und bewohnte Dachböden gab. Der Spaziergang wirkte auf sein Wissen wie ein Pfefferminzbonbon in einer Flasche Cola. Eine Sozialarbeiterin aus einer ländlichen Gegend war von den Strassenszenen im Langstrassenquartier zunächst eingeschüchtert. Nach einigen «Lesehilfen», welche Figuren zu welcher Subkultur gehören, fand sie rasch heraus, welche Klientel sie aus ihrem Berufsalltag kannte – und verstand innert Minuten besser als ich, was hier abging.


die Take-away-Landkarte im Kopf. Wer Hüftschmerzen hat, weiss, wo Sitzbänke stehen, und Rollstuhlfahrer kennen alle öffentlichen Aufzüge. Unser Zustand steuert die Wahrnehmung zuweilen auch seltsam. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass an dem Tag, an dem ich vom Suizid meines Jugendfreundes erfuhr, die Farben der Häuserfassaden bunter leuchteten als jemals zuvor und danach.

Vom Lesen zum Begreifen Wer berufshalber in der Stadt intervenieren will, sollte seine Stadtblindheit fortlaufend abbauen. Dabei geht es immer darum, die eigenen Wahrnehmungsfilter auszutricksen, die vermeintlich bekannte Stadt von einer neuen Seite zu sehen und dann vom ersten Sehen zu einem tieferen Verständnis zu gelangen. Ziel muss es heutzutage sein, sich eine multiperspektivische Sicht anzugewöhnen, das heisst zu begreifen, dass eine Intervention für verschiedene Betroffene und Beteiligte ganz unterschiedliche Auswirkungen haben kann. Wer das gelernt hat, schlägt in der Regel nützlichere Projekte und tauglichere Prozesse vor. Der technokratische Ausdruck für Interventionen in der Stadt heisst Lösung. Viele «Lösungen» lösen zwar ein Problem, schaffen aber gleichzeitig neue, weil die Planenden nicht alle Folgen ihres Vorschlags bedachten. Eine nachhaltige Stadtentwicklung sollte nicht beabsichtigte Handlungsfolgen eines sektoriellen Vorgehens möglichst verhindern. Professionelles Stadtlesen muss darum heute nicht nur interdisziplinär sein, sondern auch die Perspektiven von Betroffenen einbeziehen. Man könnte sagen, professionelles Stadtlesen muss den Schritt von der selektiven zur kollektiven Wahrnehmung machen. Um das zu lernen, gibt viele Methoden. Fast alle sind effektiver, wenn man sie in der Gruppe anwendet. Da es um das Aneignen einer multiperspektifischen Sichtweise geht, drängt sich das Lernen in Gruppen ohnehin auf: — Zeichnen: wohl die älteste Stadt-Lesehilfe. Es zwingt zum genauen Hinzuschauen. Beim geduldigen Zeichnen tauchen von selber Fragen auf: Wozu dient eigentlich, was ich da sehe? Warum ist es hier? — Literatur: Je mehr ich weiss, umso beredter wird die Stadt. Fachliteratur liefert Grundlagenwissen über Mechanismen der Stadtentwicklung. Informationen über lokale Bedingungen erhält man allerdings fast nur auf Führungen mit Akteuren der Stadtentwicklung. — Geschichte: Die Stadt verändert sich fortlaufend. Wer sie lesen will, muss lernen, sie als Bündel von lang- und kurzfristigen Prozessen zu begreifen. Dabei helfen Bücher zur

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Stadt lesen…, Ruedi Weidmann

Solche Bewusstseinserweiterungen ermöglichen uns auch als Einzelperson eine multiperspektivische Sicht. Sie sind wertvoll und absolut valabel, denn eine Stadt sollte nicht nur für Starke und Gesunde, sondern auch für Hungrige und Erschöpfte, Kinder und Alte, Behinderte und Kranke angenehm sein.


Stadtgeschichte, eigene gezielte Recherchen in öffentlichen Archiven und Früher-Heute-Vergleiche. — Austausch: Gespräche, Interviews und Begehungen mit beteiligten Fachleuten, Betroffenen und Zeitzeugen der Veränderung sind eine der effizientesten Methoden, die Stadt wahrzunehmen und vor allem, die Zeichen «richtig» zu deuten. Kunstschaffende können x-beliebige Inspirationen aus der Stadt herauslesen. Eine realitätsnahe Stadtlektüre zu leisten würde jedoch heissen, dass eine Lesart auch für die betroffene Bevölkerung relevant sein sollte.

— Kategorisieren: Eine traditionelle Methode, um die Wahrnehmung zu schärfen, ist das Kategorisieren, Kartografieren und Inventarisieren von Dingen: Häuser, Strassen, Pflanzen, Tiere, Menschen, Berufe, Kunstwerke usw. Erfassen lassen sich Baujahre, Mietzinsen und Ladenumsätze, Materialien wie Beton, Stein, Holz, Rasen, Asphalt, Wasser. Erhellend sind vor allem Kategorien, die aus aktuellen Themen abgeleitet werden: Neulich habe ich mit einer Gruppe in einem Quartier auf die Erdgeschossnutzung geachtet und die Häuser eingeteilt in solche, die nur von ihrer urbanen Lage profitieren, und solche, die selber etwas zum Stadtleben beitragen. — Doch auch die absurdesten Kategorien schärfen die Wahrnehmung. Mit einem befreundeten Kulturwissenschaftler aus Berlin versuchte ich vor einiger Zeit, an jedem zugänglichen Pingpongtisch im Kreis 5 ein Match zu spielen; es wurde ein lehrreicher Tag. — Verfremden: Ebenso erkenntnisreich wie lustvoll sind Methoden zur Verfremdung vermeintlich bekannter Situationen. Das geschieht meist, indem man Tätigkeiten oder Dinge an einen ungewohnten Ort verschiebt. Bekannt sind die Experimente des Schweizer Stadtsoziologen Lucius Burckhardt, der in den 1970er-Jahren Lesungen auf Industriebrachen veranstaltete, was sowohl ein anderes Verständnis der Texte als auch eine neue Sicht auf die Umgebung zur Folge hatte. Bekannt ist auch das Inszenieren von historischen Szenen, etwa auf dem Zürcher Frauenstadtrundgang. In lebhafter Erinnerung habe ich die surrealistischen Szenen, die zwei Schauspieler etwa um 1990 für eine Velo-Safari durch Zürich Nord inszenierten: der Clochard im Schlafsack auf einer engen Treppe, der nackte Hippie beim Meditieren am Autobahnbord, die Graffiti-Putzer bei der Glattbrücke, die Federballspieler mitten auf dem gigantischen leeren Richti-Areal, der Fischer am Stettbach mit einem Turnschuh an der Angel… Alle Szenen verpflanzten bekannte Bilder in ungewohnte Stadtsituationen und eröffneten so den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich unkonventionelle Nutzungen für diese damals noch peripheren Orte vorzustellen.

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Stadt lesen…, Ruedi Weidmann

— Vergleichen: Eine gute Lesehilfe ist das Vergleichen mit anderen Ortschaften oder Ländern. Einfacher ist der Vergleich der heutigen Situation mit früher. Dabei helfen historische Stadtpläne und Fotos, zwei sehr anschauliche und leicht einsetzbare Hilfsmittel.


Einfache Sprache Meiner Erfahrung nach hilft eine einfache Sprache beim Stadtlesen enorm: angelesenes Fachwissen in einfachen Worten wiedergeben, zur Illustration von Fachausdrücken reale Fälle recherchieren und nacherzählen. Die gemeinsame Analyse einer konkreten Stadtsituation wirkt als Dekonstruktion der vermeintlich beschreibenden Fachbegriffe. «Die Stadt» löst sich in konkrete Einzelschicksale auf: die alleinerziehende Mutter in der Genossenschaftswohnung mit Schrebergarten, die Metzgerei, die nicht mehr rentiert, die tamilische Familie, die ihren Laden ausbauen möchte. Fachausdrücke sind fruchtbar, weil sie auf unsichtbare Mechanismen hinweisen, aber sie vernebeln auch die Sicht auf konkrete Realitäten und feine Unterschiede. Ausserdem stiften sie viel Verwirrung, weil sie in jedem Fach anders verstanden werden. Sie helfen nach der Analyse beim Zusammenfassen, doch die Komplexität der Realität können sie nicht transportieren. Dafür braucht es Erzählungen, sei es als Text oder in einem anderen Medium. Das ist beileibe kein Argument gegen die Fachliteratur. Wir brauchen sie als Augenöffner für Prozesse, die unsichtbar in der Stadt ablaufen, etwa die Mechanismen des Immobilienmarkts, die sozialen Folgekosten von Gentrifizierung, die Erfahrungen mit der Drogenprävention usw. Nach einer eigenen Stadtanalyse hat man aber ein geschärftes Bewusstsein für das Beurteilen von Literatur: Im Netz bleiben Texte hängen, die es schaffen, allgemeine Aussagen zu machen, ohne den Bezug zur Alltagsrealität zu verlieren. Stadt lesen und Land lesen Die Schweiz hat heute drei Landesteile: Kernstadt, Agglomeration und Land. Will man den Menschen und den Dingen gerecht werden, sind es allerdings mehr: Jura ist nicht gleich Alpen, Zermatt nicht Juf, Aussersihl nicht Zürichberg. So gesehen, gibt es Tausende Landesteile und in jeder Stadt Hunderte Quartiere. Doch sie nähern sich einander an. So verschieden wie noch vor zwei Generationen sind die Lebenswelten von Stadt- und Bergbevölkerung nicht mehr. Und 70 Prozent leben in der Agglo. Verkehrsinfrastruktur und mediale Vernetzung machen die Räume klein und verflechten sie stärker miteinander. Soziologisch wie wirtschaftlich gesehen, sind Teile der Schweizer Alpen städtische Erholungsräume. Darum hat «Stadt» als Arbeitsgebiet in einem Land wie der Schweiz kaum mehr eine sinnvolle Aussengrenze. Stadt lesen heisst auch Agglo lesen, Dorf lesen, Land lesen, Berge lesen.

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Stadt lesen…, Ruedi Weidmann

— Experimente: Bewusstseinserweiternde Wahrnehmungszustände wie Hunger, Erschöpfung, Angst, Rausch usw. lassen sich im Rahmen von Experimenten künstlich herstellen. Diese Methode verspricht ebenso viel Spass wie Lerneffekte und kann medial vielfältig dokumentiert werden. Für Stadtund Verkehrsplaner sollte es aber obligatorisch werden, bei Amtsantritt die Stadt einmal mit einem Kind im Kinderwagen oder einem Menschen im Rollstuhl zu durchqueren. In Lernübungen sind solchen Rollenspielen – wie überhaupt den Stadtlese-Lernmethoden – kaum Grenzen gesetzt.


Die beiden Grundprobleme, die Vielfalt der Phänomene und unsere selektive Wahrnehmung, sind überall die gleichen. Auch die Methoden zum Austricksen der eigenen Wahrnehmungsfilter bleiben ausserhalb der Kernstadt gleich. Verschiebungen gibt es nur auf der Literaturliste und bei den Fachleuten, die man auf Exkursionen treffen sollte.

Und danach? Wie soll man vom Stadtlesen zum Stadtgestalten gelangen? Es gibt keinen Grund, die Vielfalt der Sichtweisen, die sich als Methodik zur Analyse bewährt hat, auszusetzen, wenn wir von der Analyse zum Handeln übergehen. Im Gegenteil. Wer gemeinsame Formen von Wahrnehmung erprobt hat, wird danach auch den Mut und die Lust zu Formen von gemeinschaftlichem Handeln haben. Je komplexer unsere Lebensräume werden und je vielfältiger unsere Gesellschaft ist, umso angemessener sind partizipative Methoden und umso gefragter dürfen Fachleute sein, die damit Erfahrung haben. Denn in diesem riesen Buchladen ist verloren, wer alleine loszieht – sei es, um einfach etwas zum Lesen zu finden, sei es, um irgendwo eine Ecke besser einzurichten…

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Stadt lesen…, Ruedi Weidmann

Vom Begreifen zum Handeln Lernt man Stadt (und Land) lesen, sieht man bald mehr und kann immer besser verstehen, was man sieht. Das heisst aber noch lange nicht, dass man auch begreift, was die Dinge für die beteiligten und betroffenen Menschen bedeuten. Stadt und Land lesen lernen ist nötig, um zu merken, dass die Dinge so komplex sind, dass ein einzelner Mensch, ein einzelnes Amt oder eine einzelne Disziplin allein keine guten «Lösungen» für Probleme und Bedürfnisse finden kann. Diese Erkenntnis ist vielleicht der Haupteffekt und ein realistisches Ziel eines Stadtlesekurses an einer Hochschule.


Vom Elfenbeinturm in den Leuchtturm Janine Schiller

Ausgangspunkt der folgenden Ausführungen ist die Beobachtung, dass die Kunsthochschulen in Zürich, Basel und Luzern in städtischen Entwicklungsgebieten in die bauliche Infrastruktur investieren oder wie in Bern – um konkurrenzfähig zu bleiben – Investitionen für Erweiterungsbauten einfordern. Die Pädagogische Hochschule Zürich hat 2013 einen viel beachteten Neubau in der Stadtmitte über einer Shoppingmall bezogen, die ETH plant Erweiterungen für eine urbane Verdichtung der Science City Hönggerberg. Die Universität Zürich, die ETH und Universitätsspital schliesslich wollen das zentral gelegene, gewachsene Hochschulquartier erneuern und dieses mit dem Schauspielhaus und dem Kunsthaus um eine »Bildungs- und Kulturmeile« erweitern. Zugespitzt lässt sich im direkten wie übertragen Sinn die These formulieren, dass die unternehmerisch geführte Hochschule einen Umzug vom Elfenbeinturm in den Leuchtturm vollzieht. Durch diese Investitionen in die Corporate Architecture werden die Bedeutung des Standorts der Hochschulen und ihr Bezug zur Stadt akzentuiert. Dies lässt sich zum einen als Folge der Hochschulpolitik lesen, die sich im verstärkten internationalen Wettbewerb auf dem Bildungsmarkt bewähren muss. Darüber hinaus – und hier von besonderem Interesse – manifestiert sich darin baulich und sozial ein neues wechselseitiges Verhältnis von Wissensarchitektur und Stadtentwicklung: Hochschulen werden nicht mehr als in sich abgeschlossene Wissenssysteme gebaut und gedacht, sondern sie öffnen sich zunehmend zum städtischen Umfeld und nehmen darauf Bezug. Für die Kommunen sind die Hochschulen in urbanen Transformationsprozessen städtebaulich wichtige Bausteine und massgebliche Entwicklungsfaktoren. Diese beiden Perspektiven von Hochschule und Stadt sollen nachfolgend beleuchtet und anhand der eingangs erwähnten Beispiele ausgeführt werden. 1. Wissensarchitekturen als Corporate Architecture Mit der aktuellen Wissensgesellschaft haben sich die Rahmenbedingungen für die Bildung verändert, das Hochschulwesen ist einer globale Wettbewerbssituation ausgesetzt. Es geht um knapper werdende Budgets, innovative Forschungsergebnisse und eine immer mobilerer Bildungselite. Danach stehen nicht mehr Bildungschancen für alle im Zentrum sondern Prinzipien wie Exzellenz und Qualität. Hochschulen stehen damit vermehrt unter dem Druck, sich regional, national und international zu positionieren, um konkurrenzfähig zu bleiben. Je nach Bedarf und Leistungsziel wird entweder die Lehre oder die international ausgerichtete Forschung mit Innovationspotential als zentraler Treiber der Positionierung

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Vom Elfenbeinturm in den Leuchtturm, Janine Schiller

Welche Rolle spielen neue Hochschulbauten für die Stadt­ entwicklung? Was verändert sich für die Hochschulen, was für das städtische Umfeld? Die jüngsten Entwicklungen in der Hochschullandschaft der Schweiz als Anlass für eine Reflexion.


2. Stadtentwicklung durch »Studentification« Als öffentliche Institutionen prägten und prägen die Hochschulen das Gesicht und die Geschichte der Stadt mit. Dass Hochschulen als Orte des Wissens, als Impulsgeber für Kreativität, Innovation und Kultur verstanden und dementsprechend durch die Städte gefördert werden, ist an sich kein neuer Befund. In der wissensbasierten Gesellschaft nehmen die Hochschulen in urbanen Entwicklungsprozessen aber eine zunehmend bedeutendere Rolle ein. Die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zeigen sich im räumlichen System: So häufen sich in stadtentwicklungspolitischen Leitbildern die Formulierung von Zielen rund um den Begriff der »Wissensgesellschaft«. Unter Stichworten wie »Stadt des Wis-

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ins Zentrum der Hochschulstrategie gestellt. Forciert und getrieben wurde dieser Wandel u.a. mit dem im Jahr 2000 formulierten Beschluss des Europäischen Rats (Lissabonner Abkommen), demzufolge die Europäische Union sich zu einem der »wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsräume in der Welt« entwickeln sollte, sowie der Bologna-Reform, durch welche das Ideal eines einheitlichen europäischen Hochschulraums mit vergleichbaren Studienformaten erreicht werden sollte. Im Rahmen dieser Positionierung der Einzelinstitutionen und insbesondere mit der Entwicklung der Fachhochschulen, wurden in den letzten 10 Jahren auch in der Schweiz neue baulich-räumliche Anforderungen an die Bildungsinstitutionen gestellt. Viele Hochschulen investierten deshalb in ihre Standorte und Gebäude, sie leiteten umfassende Modernisierungsprojekte ein oder errichteten neue, teils spektakuläre Bauten. Die Gestaltung der neuen Hochschulen und deren Anbindung an die Stadt spielen in diesen Planungen eine zunehmend wichtigere Rolle, mit dem Ziel sich im Wettbewerb behaupten zu können. Die Bedeutung der Architektur und Infrastruktur wird damit für die Hochschule noch grösser. Nebst den inhaltlichen und baulichen Anforderungen sind ein attraktiver Standort und modernste Infrastruktur Teil von intensivierten Marketingmassnahmen im Sinne der Corporate Architecture. Das bedeutet, es wird architektonisch in die behauptete Potenz investiert, um der Exzellenz der Lehr- und Forschungsanstalten materiell wie visuell Ausdruck zu verleihen. Das Image und die Strahlkraft der Hochschule reichen über das Fächerspektrum, das Studienangebot und den Lehrkörper hinaus und unterstreichen bewusst Argumente des Standorts, sei es fürs Wohnen oder fürs Arbeiten. Damit sollen die begabtesten Studenten, die renommiertesten Forscherinnen und die besten Dozenten angesprochen werden. Im direkten wie übertragen Sinn, vollzieht die unternehmerisch geführte Hochschule damit den Umzug vom Elfenbeinturm in den Leuchtturm. Wie sich die Öffnung der Hochschulen hin zum urbanen Umfeld auf den Lehr- und Forschungsbetrieb auswirkt und wie sich mit der intensivierten Nachbarschaft der gesellschaftliche Anspruch an die Bildungsinstitution weiter verändert, lässt sich heute noch schwer abschätzen. Gewiss ist, dass damit die Hochschulen hinsichtlich der Legitimation und Verwertbarkeit des von ihnen »produzierten« Wissens stärker in den öffentlichen Fokus rücken.


In all ihrer Verschiedenheit zeugen die Überlegungen der »wissensbasierten« Stadtentwicklung davon, dass die Frage des Verhältnisses von Stadt und Wissen gegenwärtig neu verhandelt wird. Selten wird kritisch im Sinne der »Enträumlichungsthese« hinterfragt, ob für die Wissensproduktion denn überhaupt physisch-materielle Infrastrukturen, sprich ein Standort, notwendig sind. Ganz im Gegenteil: Das Konzept der »Proximity«, also Nähe-Beziehungen, spielt in der Regionalökonomie eine grosse Rolle; es setzt auf die sozialräumlich vorhandene Ressource Wissen, die nebst der globalen technologie-basierten Kommunikation, Face-to-Face in Wissensnetzwerken gebündelt werden soll. Die räumliche Nähe von unterschiedlichen Wissensträgern gilt auch gemäss Saskia Sassen als Voraussetzung für einen prosperierenden Standort. Global bedeutende Städte sind heute nicht mehr nur durch die Finanzökonomie geprägt, sondern zunehmend auch durch eine hochspezialisierte Wissensökonomie: Bestehend aus einem Netzwerk an Spezialisten, vertraut mit der lokalen Geschäftskultur, und einem hochdifferenzierten urbanen Wissenskapital, das die Besonderheit einer Stadt abbildet und damit eine besondere Begabung (»capacity«) verknüpft. Neben branchen- oder fächer-spezifischen Kompetenzen bilden Hochschulen generalisierende Handlungsfähigkeiten aus: die Fähigkeit, situationsadäquat neue Kompetenzen auszubilden und sie für Problemlösungen einzusetzen (Rudolf Stichweh). Diese Möglichkeit, Lerneffekte auf andere Problemstellungen zu übertragen, wird auch als »productivity spillover« bezeichnet. Deshalb ist der Wissensaustausch zwischen Hochschulen, Unternehmen und Stadt zentral wichtig. Aus diesen Darlegungen dürfte deutlich werden, warum die Kommunen Interesse an den Hochschulen, ihren Absolventinnen und Absolventen haben und mittels Stadtentwicklung die Qualität des Wissensstandorts sichern wollen. Dabei ist das Verhältnis von Hochschule und Stadtentwicklung nicht nur an ökonomisches Wachstum geknüpft, es ist vielfältiger. Auffallend ist, wie gerade in den städtischen Entwicklungsgebieten vermehrt auf Wissensarchitekturen gesetzt wird, um den Wandel und die künftige Nutzung eines Quartiers zu fördern. Für die Städte sind Bildungs- und Forschungsinstitutionen neben der wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung eigentliche »Urbanitätstreiber«. In Ergänzung zu den materiellen und baulichen Komponenten von Hochschulen in Entwicklungsgebieten, sind soziale Komponenten für die Areale

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sens«, »UniverCity«, »Science City« oder »Knowledge City« wurden und werden Forschungsprogramme und Wettbewerbe formuliert, die das städtische Zusammenspiel von Globalisierung, regionalem Strukturwandel und dem veränderten Stellenwert von Wissen für Politik, Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft untersuchen. Dies bekräftigt nicht zuletzt das Motto der Internationalen Bauausstellung IBA in Heidelberg: »Wissen-schafft Stadt«. Die IBA bezeichnet damit doppelsinnig das Wissen und die Wissenschaft als Motor der Stadtentwicklung. Auch wenn ein gehöriges Mass an Rhetorik, Stadtoder Standortmarketing drin steckt, ist diese Entwicklung durchaus Ernst zu nehmen.


3. Statt eines Fazits: Sechs Beispiele Wie konkret die Öffnung der Hochschule hin zur Stadt und der Einbezug von Wissensarchitekturen für die Stadtentwicklung geplant werden, sollen die nachfolgenden Beispiele aus der Deutschschweiz verdeutlichen. Anhand der realisierten oder geplanten Projekte, werden jeweils unterschiedliche Aspekte gestreift. Die Wertigkeit des Wissens in den Stadträumen und deren elementare Bedeutung für die Quartiere zeigen alle diese Leuchtturmprojekte auf. Eine Bilanz, wie das wechselseitige Verhältnis von Stadt und Hochschule an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft ausfällt, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht gezogen werden, dazu müssten die Akteure über ihre Alltagsrealität befragt werden. Für die städtebaulichen Prozesse indes gilt: Es muss mit einem Zeithorizont von mindestens 10 Jahren gerechnet werden. Dass einige »Stadtreparaturen« notwendig sind und folgen werden, zeichnet sich allerdings schon heute ab. —

1. Hochschule für Gestaltung und Kunst Luzern Viscosistadt: Vom Industrieareal zum Werkund Denkplatz Architektur: EM2N Architekten, Zürich, Masterplan MonosuisseAreal 2012 sowie Umbau für die Kunsthochschule Departement Kunst und Design im »Bau 745«, Bezug 2016.

Viscosistadt: Die Hochschule als öffentliche Institution ist Anker für die Planung im Zentrum des neuen Stadtteils zwischen Hallenplatz und Emme-Park (Situation Viscosistadt, EM2N)

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wichtig. Die Stadt kann für noch wenig belebte Gebiete ein junges, dynamisches oder kreatives Image generieren. Dies kommt insbesondere bei urbanen Transformationsprozessen zum Tragen, wo die grosse Zahl von Studierenden und Dozierenden die Entwicklung des Quartiers befördern. Kritik an der Tatsache, dass Hochschulangehörige damit als Statisten oder kritische Masse für die Stadtentwicklung instrumentalisiert werden, wird mit dem Stichwort »Studentification« – in Anlehnung an den Begriff der Gentrification – ausgedrückt.


Auf einer Fläche so gross wie die Luzerner Altstadt entsteht am Ufer der Kleinen Emme ein neuer Stadtteil, in dem Arbeit, Bildung und Kultur sowie Wohnen Platz finden sollen. Auf dem Industriegelände, dessen Bauten grossteils erhalten bleiben, sind mehr als 50 Firmen oder Freischaffende aus Industrie, Gewerbe und Bildung aus über 15 Branchen tätig. Kernstück und als öffentliche Institution ein wichtiger Anker für die Planung ist der und auf den Hauptplatz ausgerichtete »Bau 745«, das umgebaute Kunsthochschulgebäude, das rückseitig an 16‘000 Quadratmeter grossen Emmen-Park am Fluss grenzt. Rund 300 Studierende und 90 Dozierende der Hochschule werden 2016 an den neuen Standort ziehen. 2. Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel, FHNW Dreispitz-Areal: Campus der Künste Entwicklungskonzept Vision Dreispitz, Herzog & de Meron, Basel, 2003 Architektur: Hochhausneubau von Morger + Dettli Architekten Basel, Umbau Zollfreilager von Müller Sigrist Architekten Zürich, Bezug der Kunsthochschule im Sommer 2014

Luftbild Dreispitz-Areal, öffentliche Freiräume zwischen dem Hochhaus und dem umgebauten Zollfreilager als neuer Standort für die Kunsthochschule (HGK Basel)

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Visualisierung des neuen Standorts der Kunsthochschule in Luzern, angrenzend an den Emme-Park als Freifläche und öffentliche Zone (Visualisierung »Bau 745«, EM2N)


Vom Elfenbeinturm in den Leuchtturm, Janine Schiller

Freilager-Platz als zentraler Treffpunkt im Dreispitz-Areal vor der den Ateliers und Werkstätten der Kunsthochschule im umgebauten, denkmalgeschützten Zollfreilager (HGK Basel)

Ein Hochhaus für die Künste (HGK Basel)

Rund 750 Studierende und 200 Dozierende haben seit Herbst 2014 im neu erstellten Hochhaus sowie im umgebauten ehemaligen Zollfreilager ihre Studien- und Arbeitsplätze. Die von der Kunsthochschule genutzten Liegenschaften, die auf dem Dreispitz-Areal konzentriert wurden, stossen alle an den Freilager-Platz, dem als Treffpunkt und Veranstaltungsort eine übergeordnete und identitätsstiftende Bedeutung zukommen soll. Die Hochschule wird zum gewichtigen Faktor innerhalb der Quartierentwicklung, die zudem über Grün- und Freiflächen gestaltet wird. Das Areal wird von kulturellen Nutzungen sowie Wohnungen und Büros geprägt: Transitlager, Haus für elektronische Künste, Ausstellungsraum Oslo10, Internationales Austausch- und Atelierprogramm Region Basel iaab sowie das Archiv- und Wohngebäude des Architekturbüros Herzog & de Meuron.

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3. Zürcher Hochschule der Künste, Toni-Areal Von der Joghurtfabrik zur Kunsthochschule

Das Toni-Areal, mit rund 5000 Dozierenden, Studierenden und Angestellten, das neue Bildungszentrum inmitten des Entwicklungsgebiets Zürich-West. Das projektierte Stadion mit Mantelnutzung wurde vom Stimmvolk abgelehnt. (EM2N)

Das Toni-Areal im ehemaligen Industriequartier, seit 2014 Sitz der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK, Foto: Regula Bearth)

„Kulturboulevard“: Die Rampe der ehemaligen Molkerei soll das Stadtpublikum zu den über 1000 öffentlichen Veranstaltungen pro Jahr ins Toni-Areal bringen (ZHdK, Foto: Regula Bearth)

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Architektur: Umbau Toni-Areal, EM2N Architekten Zürich, Bezug Sommer 2014, Zürcher Hochschule der Künste ZHdK und Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHaW, Departemente Soziale Arbeit und Angewandte Psychologie


Die Zürcher Hochschule der Künste ZHdK ist im Sommer 2014 aus 35 Standorten ins Toni-Areal gezogen. Mit dem Bezug des Toni-Areals soll die Idee einer Kunsthochschule verwirklicht werden, die alle Kunst- und Designdisziplinen umfasst und an einem Ort vereint ist. Die Öffnung der Hochschule hin zur Stadt zeigt sich über ein so genannter »Kulturboulevard« mit Konzert-, Kino- und Ausstellungsräumen, die über die Rampe für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Auf der Stadtebene ermöglichen die Werkstätten einen Einblick in die Produktion der Hochschule, zudem laden ein Bistro und Musikklub zum Verweilen ein. 4. Pädagogische Hochschule Zürich, Europaallee Ein Haus des Lernens als Wegmarke im neuen Quartier Masterplan Europaallee: Kees Christiaanse, KCAP, Rotterdam, seit 2004 Architektur: Max Dudler Architekten, Zürich, Pädagogische Hochschule Zürich, Büro und Retail, Bezug Sommer 2012

Auftakt für die Stadtteilentwicklung Europaallee: Mit der Eröffnung des Hochschulgebäude für die PHZ im Baufeld A 2012 ist die erste Etappe abgeschlossen (Europaallee)

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Der Dachgarten als öffentliche Oase für das von Neubauten geprägte Quartier (ZHdK, Foto: Regula Bearth)


Im Sockel der Pädagogischen Hochschule Zürich steht eine Mall mit Einkaufszentren, die mit einem Angebot an für Outdoor, Travel, Adventure und Sport auf das studentische Umfeld reagiert (PH Zürich, Foto: Mike Krishnatreya)

Die Pädagogische Hochschule ist Teil des Stadtentwicklungsgebiets Europaallee, an zentralster Lage beim Hauptbahnhof Zürich. Das neue Quartier mit einem Nutzungsmix von Dienstleistung, Gewerbe und Wohnbauten soll auf einer Fläche von knapp 80’000 Quadratmetern die Innenstadt erweitern und ergänzen und eine stärkere Verbindung zu den Quartieren Aussersihl und Industrie herstellen. Die Hochschule wurde im Baufeld A als erstes Gebäude der neuen Überbauung auf dem Areal der SBB im Sommer 2012 eröffnet. Rund 600 Angestellte und über 2500 Studierende, die hier erstmals konzentriert an einem Standort zusammengefasst werden, stehen für die Bedeutung von Bildung. In unmittelbarer Nachbarschaft zur PHZ sind zudem die Fachhochschule Sihlhof, eine Privatschule sowie die Berufsschule angesiedelt.

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Maximale Dichte für die neuen Gebäude der Pädagogischen Hochschule, die den Campusplatz umschliessen (PH Zürich, Foto: Mike Krishnatreya)


5. ETH Zürich Hönggerberg From Science City to City of Science

Geplanter Ausbau im Modell: Mögliche Bauvolumen in der Science City, verstärkt werden soll die Diversität der Nutzungen durch Kongresszentrum, Wohnen und Gastronomie sowie einem Netzwerk von Wegen, um Innenhöfe, Plätze und Gärten zu verbinden (Kees Christiaanse, KCAP)

Renderings der zukünftigen Nutzung mit Anschluss an die Stadt: Kongresszentrum und Boulevard, Innenhöfe und Plätze, sowie die mit der Verlängerung des Trams umgestaltete Eingangssituation zum Campus (Kees Christiaanse, KCAP)

Zentrales Element für den Ausbau und Entwicklungsplan der ETH Hönggerberg, die in den 1970er Jahren auf der grünen Wiese für die auto-gerechte Stadt geplant wurde, ist mehr Diversität und Dichte in den Campus zu bringen. Mit Wohnungen für Studierende, mehr Restaurants, Läden und Gewerbebetriebe sollen urbane Qualitäten gestärkt und ein

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Masterplan für die Science City, Kees Christiaanse, KCAP, Rotterdam, seit 2005


Anschluss an die Stadt ermöglicht werden. Seit 1999 verfolgt die ETH Zürich eine Infrastrukturentwicklungsstrategie in den drei Wissensräumen ETH Zentrum, ETH Science City sowie ETH World. Es ist erklärtes Ziel, sämtliche Innen- und Aussenbereiche der ETH als Teil eines universitären Wissensraumes zu gestalten. Dies beginnt bei der städtebaulichen Planung – ETH Zentrum und Science City – wie auch bei dem durch Informationsarchitektur zu gestaltenden virtuellen Raum ETH World. 6. ETH Zentrum/ Universität Zürich, Universitätsspital, Bildungs- und Kulturmeile

Mögliche Neubaugebiete im gewachsenen Hochschulquartier. Die implizite Verzahnung von Hochschulbauten und Stadt soll durch eine raumplanerisch systematisch geplante ersetzt werden (Masterplan Hochschulgebiet Zentrum)

Damit die Hochschulen sich weiterentwickeln und konkurrenzfähig bleiben können, sind gemäss Plan Neubauten notwendig, die Akzente setzen (Masterplan Hochschulgebiet Zentrum)

Die Bauten von Universität und ETH Zürich thronen über der Stadt und verkörpern das Verhältnis von Bürgerlicher Gesellschaft und Bildung im 19. Jahrhundert. Um sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten, wollen Universität und ETH sowie das Universitätsspital das gewachsene

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City Campus: Zukunft des Hochschulstandorts Zürich Masterplan Hochschulgebiet Zentrum, Projektstand 2014


Modell des neuen Hochschulquartiers: Die Volumen der historischen Bauten von Universität und ETH, die über der Altstadt thronen, geben den Massstab für die Entwicklung vor (Masterplan Hochschulgebiet Zentrum)

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Hochschulquartier erneuern. Im Masterplan bildet eine neue Hochschul-Plaza von 150 mal 50 Meter, an den Universität und ETH sowie Universitätsspital grenzen, als Herzstück das öffentliche Zentrum, das mit einer Bildungs- und Kulturmeile entlang der Rämi- und Universitätsstrasse ergänzt wird, und Kunsthaus und Schauspielhaus miteinbezieht. Markante Neubauten sollen eine Verdichtung ermöglichen, ehemalige durch Institute genutzte Wohnbauten ans Quartier zurückgegeben werden. Der neue Hochschulbereich soll Bildung und Kultur räumlich durch Park- und Grünflächen verzahnen.


The City, Shaped by the Photo-Opportunity Pablo Müller

Not long ago, during a break in one of my classes, I noticed that one of my mainland Chinese students was smoking a Chinese brand of cigarettes sold in a tin can, rather than the usual cardboard pack. While this in itself initially would only warrant a brief glimpse of attention, what got me excited was the imagery on the can: a photo of Hong Kong’s Victoria Harbour. The picture shows the Northern shoreline of Hong Kong Island from a raised viewpoint on the Western part of the island, having the Hong Kong Convention and Exhibition Centre at its centre.

Can of cigarettes of the Double Happiness-brand

Now, why is that remarkable? Because this picture is unseen before. By this I don’t mean to imply the photo to be a fake. A fairly simple triangulation based on the positions of certain landmark buildings in the image indicates that it could’ve been

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The City, Shaped by the Photo-Opportunity, Pablo Müller

Ever since the opening of the Guggenheim-Museum in Bilbao in 1997 urban managers all over the world have been trying to re-create its impact by commissioning ever more extravagant buildings as a means of branding their cities. Largely un-noticed the perception of this so-called “iconic architecture” is very much influenced by the availability of adequate photo-opportunities that allow convenient, yet nonetheless spectacular images to be taken und subsequently disseminated in large numbers via social media platforms by tourists and other visitors. Taking Hong Kong as a starting point and case study this essay looks at the background, nature and workings of such urban photo-opportunities, and comes to the conclusion that potentially the photo-opportunity may even work – in terms of shaping the perception of a city – without any especially iconic building at all.


The City, Shaped by the Photo-Opportunity, Pablo Müller

taken from somewhere around Victoria Peak. It doesn’t really matter, for all I know the image is authentic. Instead my surprise is quite literally: a picture from this position, this angle and height is not commonly seen – or in a reversal of roles, not commonly shown – as it misses the point of Victoria Harbour: Hong Kong Island’s breath-taking skyline. This particular shot is exponentially less visually attractive than any shot taken from a position perpendicular to the shoreline, and therefore any “normal photographer” wouldn’t bother to take it. As becomes evident through a quick Google Image search of “Hong Kong Skyline” there are essentially only two motifs of Victoria Harbour that the common photo-buff and also commercial postcard publishers will come up with:

Can of cigarettes of the Double Happiness-brand

– either the picture is taken from the southern tip of Kowloon-side across the harbour, showing the Hong Kong skyline in all its glory as a more or less linear sequence of skyscrapers from left to right. These images are usually shot from somewhere along the lavish water front promenade in Tsim Sha Tsui, thus they vary slightly in terms of viewpoint and frame, but are nonetheless easily distinguished through their composition; or – the picture is taken from a position in the mountains behind – i.e. south of – the Central-district on Hong Kong Island.

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In the latter case almost every single picture – by professionals and laymen alike – can be traced to be taken from the one same principal spot, the Peak Tram station itself or from a small viewing platform located slightly east from there. This observation – that the first, say, 100 images of Hong Kong skyline found by Google are more or less all taken from only two different vantage points, but by different people at different times – is indeed very notable, and, I believe, warrants the question: why would that happen? In recent years much has been said and written about ‘iconic architecture’, and poor Frank O. Gehry hasn’t stopped cloning Guggenheim-franchises all around the world ever since the ‘Bilbao-Effect’ impacted in 1997 1, 2. The exteriors of his buildings and those of his star architecture peers manage to attract the visual imagination of 1 — ‘The Bilbao Effect | The Economist’, The Economist, 21 December 2013, http:// the general public, which reflects in their www.economist.com/news/specialcontinuous photographic representation report/21591708-if-you-build-it-will-theycome-bilbao-effect. ↩ through all media and platforms. These buildings thus lead a trend that approaches 3 — Chris Michael, ‘The Bilbao Effect: Is “Starchitecture” All It’s Cracked up to Be?’, an urban environment merely as a potenThe Guardian, 30 April 2015, http://www. tial for photo-opportunities. theguardian.com/cities/2015/apr/30/bilbao According to the American journalist effect-gehry-guggenheim-history-cities-50buildings ↩ and columnist William Safire the term ‘photo-opportunity’ was coined by a White

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The City, Shaped by the Photo-Opportunity, Pablo Müller

Postcards of Hong Kong Island as soon from the Peak-station, also by day and by night


In times of the Great Depression and later the Second World War it was deemed necessary to visually present the public with a physically capable, strong (=healthy) leader on top of the political situation – yet Roosevelt was essentially paralysed from the waist downwards. Therefore, before any press-encounter the President would be propped up – seated behind his presidential desk, or even ‘standing’ against a console – while the photographers were placed in particular positions within the office that would only allow certain picture angles etc. This would also allow the arrangement of a background fitting for the occasion, particular props to be recognisable on the desk, and other visual accessories to be in place. Roosevelt’s example is evidence for the principal intention, and the ultimate success of the practice of photo-opportunities: In total only two pictures are known showing Roosevelt in a wheelchair, and up until today most Americans – and yet more non-Americans – are not aware of President Roosevelt’s disability. Considering the press-exposure the American president also had in the 1930s/40s, this must be acknowledged as a very impressive achievement: almost perfect control of the photographic image. Today these kinds of photo opportunities are of course extremely common, in politics, but especially beyond: no new product launch, no event opening, no appearance of public figures is left to any photographic chance. Always the spatial rules of the photo-opportunity apply: • There has to be a clearly identifiable photographic object. This is – obviously – a key point of any photo-opportunity, though not always quite that easy or plausible to produce. For example it is the nature of many a public events to be essentially intangible, multi-layered, and very complex, thus not possible to be condensed into only one picture. The photo-opportunity therefore needs to provide an iconic substitute that can stand for the essence of the event in total. It appears, pretty girls in short dresses have unlimited potential to do just that. • The photo object is presented within a spatially defined setting: A room, a stage, a particular furniture, all of which effectively mark the frame for the picture. The setting will usually specifically differ from the further environment, be it through actual spatial features (surrounding walls, a raised platform etc.) or merely through a starkly contrasting style of the set.

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The City, Shaped by the Photo-Opportunity, Pablo Müller

House-aid of the Nixon-administration, when inviting the press (=the public) to pre-arranged, carefully staged occasions for picture-taking with the US-president in the Oval Office of the White House 3. The practice as such is of course much older: While there is a grey area of what is to be defined as a ‘proper’ photo-opportunity the scheduling 3 — William Safire, ‘On Language: In Nine Little Words’, The New York Times, 26 March of such photo-sessions in the White House 1989. can certainly be traced back at least to the 4 — ‘Photo-Op’, History Matters, accessed presidency of Franklin D. Roosevelt in the 24 June 2015, http://historymatters.gmu. 1930s 4. edu/d/6774/


• The optimal position for the photographer is made very obvious, sometimes blatantly through a ‘view point sign’, often more subtly through spatial arrangements of the situation. For example the default backdrop will inherently allow only for one (main) direction to see the object of desire etc. In all cases the minimal expected quality for a ‘perfect’ photo-position will be an un-obstructed view of the object of interest, but often more than merely that is offered: particularly exciting shooting angles, special lighting, closer proximity to the photo subject etc.

Now, while the common self-respecting, anti-authoritarian, anti-consumerist, politically educated position usually dismisses the photo-opportunity as a deeply fake and potentially vulgar occasion, it really is a most interesting phenomenon that allows revealing insights into the ways images are built and realities are constructed through clever manipulation of our primal visual urges. After all it shouldn’t be forgotten that no photographer – professional or amateur – is forced to make use of a staged photo-opportunity; participation is principally voluntary, he/she could always take pictures at other times or places. Yet: a well-planned photo-opportunity will be visually thus alluring that every red-blooded photographer in his right mind will instinctively ‘jump at the opportunity’. Already in her classic essay collection In Plato’s Cave (1973) Susan Sontag defines picture taking as the ultimate outcome of tourism: “Photographs will offer indisputable evidence that the trip was made, that the program was carried out, that fun was had. […] A way of certifying experience, taking photographs is also a way of refusing it – by limiting experience to a search for the photogenic, by converting experience into an image, a souvenir. Travel becomes a strategy for accumulating photographs.” 5 5 — Susan Sontag, ‘In Plato’s Cave’, in On Photography (London; New York, NY: Penguin, 2008), 9.

With today’s wide spread availability of digital cameras, camera-equipped mobile phones and all, even more people regularly produce continuously increasing numbers of photos. A new dimension to Sontag’s equation was added in the last decade through online image distribution opportunities, in particular of social networks and photo-sharing platforms. Taking a picture, and posting it on the Internet proves one’s presence at a location; the more spectacular the picture, the more prestigious to have been there. As a result contemporary ‘icono-obsession’ has become an issue for architects, city planners, and in particular urban management, as it can dramatically influence public acceptance of new infrastructure, and/or affect the international image of a city or region – as impressively shown

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The City, Shaped by the Photo-Opportunity, Pablo Müller

• A photo-opportunity also is generally accessible, i.e. the public or at least its representatives knows about it and can easily find it, get to it, and thus participate.


Problematic… unless one employs the tools of the photo-opportunity: Take a fairly coherently designed built entity, place it on a slightly raised platform in front of a more or less homogenous cityscape, provide an un-obstructed line of sight, and on this axis – preferably in a distance that suits the focal lengths of the most common cameras – put a sign ‘view point’ or – more sophisticatedly – install a visitors’ platform. Soon after tourist coaches will begin unloading their passengers there, and a little later Facebook, Instagram, Flickr and their likes will be filled with variations of the same recurring photo. If this sounds too simplistic: Take the time to search images of successful examples of ‘iconic buildings’ online (e.g. Guggenheim Bilbao, Sydney Opera – the mother of iconic buildings – etc.), and evaluate them on the photo-opportunity criteria outlined above. In case you have even a little more time: look up satellite images of the same buildings, but this time focus on the place opposite to the building, at the other end of the visual axis. You’ll usually find a platform, promenade, or other kind of view point in convenient distance. This suggest the possibility of a quite remarkable theoretical twist: might it be the existence of a photo-opportunity that indeed establishes the significance of the architecture it puts in scene? Potentially not the actual quality of the building is of relevance, but its photo-sensitive staging within its urban context? Thinking about it, this wouldn’t really be a surprise as essentially this is what happens all the time at the scale of product presentations and such like: a pompous photo-opportunity makes the product look more desirable than it actually is. Why should this be different for buildings or entire city brand? Ever since Guggenheim in Bilbao in the late 1990s urban managers around the world have tried to re-create a similar impact for their own city by commissioning ever more extravagant architectural projects. There might actually be an easier way: Could urban photo-opportunities potentially also work without particularly iconic buildings as long as a convenient photo-spot is provided? That is to say: would people take pictures of essentially any urban scene if triggered by the cues that is a photo-opportunity? Thinking this further: could it be that a city like Detroit continues to deteriorate exactly because the authorities didn’t provide a photo-opportunity that may generate a continuous and coherent stream of positive imagery of the city? Because of the lack of such opportunity people go out on their own

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by the Guggenheim in Bilbao. Accordingly, control over photographic imagery of buildings in professional magazines, official publications etc. is common professional practice of the field 6 – and also explains the professional obsession with photorealistic renderings. However, it is of 6 — Benedict Loderer, ‘Die Kommunikation ist ein Teil der Architektur: Benedikt Loderer course a lot more problematic to control befragte Jacques Herzog’, db-bauzeitung, no. the average citizen/tourist who will take 9 (1999): 20–21. pictures at whim, and publish them on all sorts of platforms on the internet, thus contributing to a gradually developing grass-root perception of a building and/ or city.


Kong University Press, 2001), 139.

The Extension of the HKCEC as seen from TST

Hong Kong’s return to China up until today is a major propagandistic achievement in the mainland, thus an image of Hong Kong on a tin of a Chinese cigarette brand call Double Happiness has to be understood entirely un-ironically.

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searching for photogenic images, and quite expectably come back with ever more photos of picturesque decline, thus effectively contributing to an incoherent, fractured, out-ofcontrol image of that city. Provided with this background, you may now understand my excitement about the image on the Chinese cigarette can: Hong Kong does have its photo-opportunities with a proven track record of impact. Yet that particular image seems to suggest that at least one photographer, and subsequently a graphic designer, an art director etc. resisted the proven visual power of a photo-opportunity, and gave preference to an entirely different view. Is this proof of photographic freedom? Unfortunately, probably not. As mentioned at the very beginning of this text the student smoking the particular brand in question is from mainland China as is the cigarette tin. And it is essentially this detail that proves that the photo-opportunity does after all executes its power also in this case. The overall composition of the image on the tin can very clearly focuses the Extension to the Hong Kong Convention and Exhibition Centre (HKCEC) at its centre. This extension was purpose-built 1994 to 1997 as the venue for the Hong Kong-handover ceremony in 1997, when the city territory was “returned to the motherland”: “Since the handover itself the nationalist associations of the Extension have been further underlined and strengthened, and a site has been created for Chinese national meanings which, despite the constitutional fact of the transfer of sovereignty, have 7 — David James Clarke, Hong Kong Art: Culture and Decolonization (Hong Kong: Hong (as yet) no easy place elsewhere in Hong Kong.” 7


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Obviously no visual match to the Bilbao Guggenheim of the same year, the HKCEC purposefully is present in many photographic representations of the famous Hong Kong Island skyline because of its position on reclaimed land right in front of the actual skyline; and because the local administration was clear-sighted enough to also have an extensive visitors’ platform built on the opposite side of the harbour. Visitors could take pictures from anywhere along the Kowloon-side harbour front, but because there is this elaborate platform in this particular spot – with all accessibility etc. – they will usually take them from there. However, from a mainland point of view the “classic” skyline view is symbolically and visually problematic: the HKCEC doesn’t stick out enough, doesn’t achieve the visual singularity it was built to demand; and the backdrop is littered with wrong references – a bit like a Gucci-handbag in front of a Louis Vuitton-backdrop. Thus the creative achievement of the photographer of the tin-image is to have found a third photo-opportunity for Hong Kong’s skyline, one that conforms with a particular political message: the extension of the HKCEC, the brightest light amongst the abundance of light in Hong Kong, set apart by the dark calm sea, yet still embraced by the city. A clever government will make sure to identify this photo-spot, and to grace it by an elevated viewing platform as well as access to public transportation. In no time mainland tourists will arrive in troops, but as their photos begin to flood social media platforms, others will want to join, and soon images with a slightly different message about Hong Kong will challenge the traditional domi8 — An shorter version of this paper with a different focus was published earlier nance of the old skyline. under Peter Benz, ‘The City and the Photo In the end the power of the photo-opOpportunity’, Singapore Architect, no. 265 (2011): 108–15. portunity succeeds. 8


Die Stadt als intelligente Maschine. Zum Eigenleben einer Metapher Sonja Hnilica

»Vielleicht ist die Universalgeschichte die Geschichte von ein paar wenigen Metaphern«, spekulierte Jorge Louis Borges in Die Sphäre Pascals. 1 Und er spitzte diese Vermutung noch weiter zu: »Vielleicht ist die Universalgeschichte die Geschichte der unterschiedlichen Betonung von ein paar wenigen Metaphern.« Keine Universalgeschichte soll hier erzählt werden, sondern eine Geschichte über die Wahrnehmung der industriellen und postindustriellen Großstadt. Genauer, eine Geschichte der unterschiedlichen Interpretationen der Stadt als intelligente Maschine. Die Metapher der Smart City ist als Lesart der postindustriellen Stadt momentan dominant. Der Begriff konnte sich gegenüber zahlreichen ähnlichen Wortschöpfungen (Digital City, Wired City, Intelligent City, Programmable City…) durchsetzen. 2 Er zielt darauf ab, eine Stadt als Computernetzwerk oder intelligenten 2 — Vgl. Rob Kitchin, »The real-time city? Big data and smart urbanism«, in: GeoJournal Algorithmus aufzufassen, wobei manchmal 2014, H. 79, S. 1–14, hier S. 1. https://www. mehr die Hardware, manchmal mehr die maynoothuniversity.ie/progcity/wp-content/ uploads/2014/02/GeoJournal-Real-timeSoftware in den Vordergrund gerückt wird. city-2014.pdf Der Sozialgeograph Rob Kitchin erforscht 3 — http://www.maynoothuniversity.ie/ derzeit, »how cities are translated into progcity/about/ Vgl. Rob Kitchin, »From code, and […] how code reshapes city life. 3 a single line of code to an entire city: Reframing thinking on code and the city«, The Programmable City. Working Paper 4, 2014. http://papers.ssrn.com/sol3/papers. cfm?abstract_id=2520435

Die Metapher der Stadt als intelligente Maschine mag im derzeitigen Diskurs dominant sein, trotzdem steht sie nicht für 2 — Diesen Umstand habe ich schon früher sich allein. Man denkt Städte eigentlich ausführlich dargestellt. Vgl. Sonja Hnilica, Metaphern für die Stadt. Zur Bedeutung von immer in Metaphern. 4 Menschen imaginieDenkmodellen in der Architekturtheorie, ren Städte als Wildnis oder Organismus, Bielefeld 2012. als Gedächtnis oder Bühne des Lebens. Architekten und Stadtplaner bilden hier keine Ausnahme. Sie sprechen etwa von der Stadtlandschaft und von urbanen Palimpsesten, von Siedlungszellen und der Stadt als Gesamtkunstwerk. Oder alles gleichzeitig. Die Stadt kann gar nicht gedacht werden, ohne dabei ihre unterschiedlichen und häufig auch widersprüchlichen Aspekte in verschiedene Metaphern zu fassen. Das gilt, wie George Lakoff und Mark Johnson in ihrem bekannten Buch Metaphors We Live By 1980 dargestellt haben, für alle komplexen Konzepte, neben der Stadt etwa die Liebe oder der Krieg. Max Black hat angedeutet, dass Metaphern wie die Spitze eines Eisbergs auf tiefer liegende Modelle oder Paradigmen hinweisen. 5 Metaphern in Fachdiskursen zu untersuchen ist also mitnichten eine literaturwissenschaft5 — Vgl. Max Black, »Mehr über die Metapher«, in: Anselm Haverkamp (Hg.), liche Fingerübung. Ganz im Gegenteil: Theorie der Metapher, Darmstadt 1996, S. Es gibt einen direkten Zusammenhang 379–413, hier S. 396. zwischen Stadtmetaphern und architektonischen bzw. urbanistischen Konzepten. »Neue Metaphern haben die Kraft, neue Realitäten zu schaffen«, schreiben Lakoff und Johnson. »Dieser Prozess kann an dem Punkt

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1 — Jorge Luis Borges, »Die Sphäre Pascals«, in: Ders., Essays 1952–1979, München/Wien 1981, S. 10–14, hier S. 10, folgendes Zitat S. 14 (Hervorhebung S.H.)


Die drei Konzepte Stadt – Maschine – Lebewesen, die die Metapher der Stadt als denkende Maschine konstituieren, sind seit geraumer Zeit über gegenseitige metaphorische Beziehungen miteinander verbunden. Die »Stadt als Maschine« gewann in der Moderne besondere Bedeutung, während die »Stadt als Lebewesen« auf antike Traditionen zurückgeht. Dabei sind über Metaphern hergestellte Beziehungen niemals einseitig. Max Black hat darauf hingewiesen, dass Metaphern nicht vorhandene »Ähnlichkeiten« abbilden, sondern diese überhaupt erst herstellen, indem sie verschiedenartige Dinge zueinander in Beziehung setzen. Die Interpretation der Metapher »homo hominem lupus« hängt sowohl von den Bedeutungen ab, die ich Menschen, als auch von denen, die ich Wölfen zuschreibe. Durch die Metapher werden einige Aspekte beider Konzepte betont, andere unterdrückt. Die Metapher organisiert so unsere Ansichten sowohl über Menschen als auch über Wölfe. 8 Es ist also gar nicht so verwunderlich, 8 — Vgl. Max Black, »Die Metapher«, in: Anselm Haverkamp (Hg.), Theorie der dass die Analogien, von denen hier die Metapher, Darmstadt 1996, S. 55–79, S. 68, Rede sein wird, nicht nur das Denken von 71f. Architekten über Städte betreffen, sondern auch das Denken von Medizinern über den menschlichen Körper und das Verhältnis zwischen Körper und Geist, oder das Verständnis von Maschinen. Der Diskurs über Städte integriert über Metaphern Konzepte aus anderen Disziplinen und gibt auf diesem Wege auch Ideen in andere Disziplinen weiter. Alle drei Konzepte – Stadt, Maschine und Lebewesen – waren im Betrachtungszeitraum großen Veränderungen unterworfen. So versteht man unter einer Maschine heute nicht mehr das gleiche wie während der industriellen Revolution. Bedeutungsverschiebungen und Transfers sollen im Folgenden in fünf Schritten skizzenhaft nachgezeichnet werden. 1. STADT ALS MASCHINE

Unter einer Maschine wird im Allgemeinen eine menschengemachte Anlage verstanden, die Stoffe, Energie oder Information wandelt, transportiert oder speichert. Mechanische Maschinen nehmen Antriebsenergie auf und wandeln diese in Bewegungsabläufe um. Solche Maschinen wurden schon lange vor der Industrialisierung konstruiert. Leonardo da Vinci

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beginnen, an dem wir anfangen, unsere Erfahrungen von einer Metapher her zu begreifen, und er greift tiefer in unsere Realität ein, sobald wir von einer Metapher her zu handeln beginnen.« 6 Wenn ich ein Slum als »Krebsgeschwür« verstehe, das die Gesundheit der Gesamtstadt bedroht, werde ich anders agieren, als wenn ich den gleichen Slum als gefährdetes »Biotop« deute, dessen ökologisches Gleichgewicht nicht gestört werden darf. Metaphern strukturieren die Wahrnehmung und bestimmen dadurch sowohl die Probleme als auch deren mögliche Lösungen. 7 Darin liegen 6 — George Lakoff/Mark Johnson, Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von einerseits Gefahren, da solche Bilder Sprachbildern, Heidelberg 2004, S. 167–168. unreflektierte Zuschreibungen beinhalten 7 — Vgl. Donald A. Schön, »Generative und den Blick verengen. Aber andererseits Metaphor. A perspective on problem-setting bergen Metaphern ein enormes kreatives in social policy«, in: Andrew Ortony (Hg.), Metaphor and Thought, Cambridge 1993, S. Potential, wie im Folgenden verdeutlicht 137–163, hier S. 143ff. werden soll.


»Ville Contemporaine pour trois millions d’habitants« von Le Corbusier, 1922 (Quelle: Le Corbusier et Pierre Jeanneret. Oeuvre complete 1910–1929, Zürich 1964)

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zeichnete zum Beispiel Wasserpumpen und Apparate, die den alten Menschheitstraum vom Fliegen erfüllen sollten. Schon der antike Philosoph Lukrez hatte von der machina mundi, der »Weltmaschine«, gesprochen, und im Mittelalter wurde der Kosmos als Maschine eine zentrale theologische Metapher. 9 Dies wurde motiviert durch die im 14. Jahrhundert eingeführten mechanischen Uhrwerke. 9 — Vgl. Regine Kather, »Gottesgarten, Weltenrad und Uhrwerk. Bilder vom Kosmos«, Deren technische Vollkommenheit, die 1995. www.forum-grenzfragen.de/downloads/ Regelmäßigkeit ihres Ganges und das kather_gottesgarten.pdf nahtlose Ineinandergreifen der einzelnen Rädchen und Federn prädestinierte sie zur Metapher für das göttliche Universum. Die Metapher integrierte theologische Dogmen und die aufkommenden naturwissenschaftlichen Anschauungen, wodurch sie noch an Bedeutung gewann. Dem Naturforscher Robert Boyle offenbarte sich Gott 1686 im Universum, das von seinem Schöpfer so klug ersonnen sei, wie die Uhr des Straßburger Münsters. 10 Gottfried Wilhelm Leibnitz griff die Uhrwerks-Metapher 1715 10 — Vgl. Robert Boyle, »A Free Inquiry into the vulgarly received Notion of Nature«, in: ein weiteres Mal auf, wobei er die Weltuhr The Works of the Honourable Robert Boyle, gleichzeitig – und hier schließt sich der London 1772, Bd. 5, S. 158–254, hier S. 163. ↩ Kreis – als große Stadt auffasste. 11 11 — Vgl. Gottfried Wilhelm Leibnitz, Die Architekten des frühen 20. Jahr»Streitschriften zwischen Leibnitz und Clarke«, in: Ders.: Hauptschriften zur hunderts hatten beim Gedanken an Grundlegung der Philosophie, Hamburg 1996, Maschinenstädte die Maschinen des Bd. 1, S. 81–182, hier S. 87. Vgl. Kather 1995. Industriezeitalters vor Augen – Dampfmaschinen, Lokomotiven, Autos, Fabriken. Man denke nur an die Abbildungen von Autos und Ozeandampfern, die der Architekt Le Corbusier in seinem berühmten Manifest Vers une Architecture (1923) zeigte. Verbrennungsmotor, Elektrizität und Dampfmaschine – das Symbol der industriellen Revolution – hatten das Maschinenbild nachhaltig verändert. Die drastisch gesteigerte Effizienz veränderte nicht nur die Produktionsweisen, sie ging auch einher mit einer tiefgreifenden Umgestaltung der Gesellschaft: Großstädte, Industrieproletariat, Massenkultur. Der Berliner Stadtbaurat Martin Wagner schrieb 1929: »Diese Masse, die wir heute in der Gestalt von Wohnhäusern zu formen haben […] will fettlos in Erscheinung treten, wie ein Flugzeug, eine D-Zug-Lokomotive, ein Motor usw.« 12 Die modernen Architekten bewunderten Maschinen für ihre Effizienz und Stärke – und für die 12 — Zit. in Ludovica Scarpa, Martin Wagner und Berlin, Braunschweig/Wiesbaden 1986, aus der Funktion abgeleitete Form jenseits S. 42. des tradierten künstlerischen Kanons.


Die Metapher der Stadt als Maschine impliziert, dass nicht Künstlerarchitekten, sondern rational kalkulierende Ingenieure gefordert sind. Sigfried Giedion betrachtete in Raum, Zeit, Architektur (1941) die »Stadt als technisches Problem«. 15 In dieser Formulierung kommt die Überzeugung der Moderne zum Ausdruck, dass man jedes Problem 15 — Siegfried Giedion, Raum, Zeit, Architektur. Die Entstehung einer neuen exakt wissenschaftlich definieren und auch Tradition, Zürich/München 1984, S. 455. mit technischen Mitteln lösen kann. Unter Einhoff. Federführung von Le Corbusier und Giedion wurde auf dem vierten CIAM-Kongress (Congrès Internationaux d’Architecture Moderne) 1933 in der Charta von Athen die Vision einer »Funktionellen Stadt« entwickelt. Besonders wichtig erschien den Architekten eine saubere Trennung der Funktionen: in Wohnen, Arbeiten, Erholung und Verkehr. Diese Metapher gewann große Bedeutung im Zuge des Wiederaufbaus zerbombter Städte nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch regten sich zunehmend Zweifel. Die Journalistin Jane Jacobs beschrieb in The Death and Life of Great American Cities (1961) Le Corbusier nicht als kühnen Techniker, der die Probleme der Menschheit löst, sondern als Kind, das mit technischem Spielzeug um die Aufmerksamkeit der Mutter buhlt. 16 Die reduktionistische Auffassung 16 — »His city was like a wonderful mechanical der modernen Architekten verkenne die toy. (…) It was so orderly, so visible, so easy to understand. (…) No matter how vulgarized komplexe Realität großer Städte. Es sei or clumsy the design, how dreary and ein Irrglaube, Städte nach Funktionen in useless the open space (…) an imitation of Le Corbusier shouts ›Look what I made!‹« Jane Jacobs, The Death and Life of Great American Cities, New York 1992, S. 23.

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Le Corbusier lieferte paradigmatische Entwürfe, in denen er Rasterpläne mit freistehenden Hochhäusern und Hochstraßen kombinierte. Stanislaus von Moos interpretierte Le Corbusiers Ville Contemporaine von 1922 als gigantische Autofabrik: »The metaphors that come to mind relate to the machine. The project looks like a giant motor, an accumulator of sorts or an air-filtering device that serves to heat, to cool or perhaps just to disinfect. […] More adequate perhaps, given the dimensions at stake, is the image of the factory: the whole presents itself as a colossal industrial plant with a huge assembly line in its central axis, where everything depends on punctuality and order […]. Indeed the city is a metaphor of the Ford plant itself, as it looked around 1920, with its factoryowned railway bringing coal to the blast furnaces in much the same way as the Voisins and Delages bring the businessmen to their offices in Le Corbusier’s diorama view.« 13 Diese Interpretation erscheint überzeugend. Viele andere Maschinenstadt-Utopien wurden in der ersten Hälfte 13 — Stanislaus von Moos, »Le Corbusier, the monument and the metropolis«, in: Columbia des 20. Jahrhunderts entwickelt. Sie sind documents of architecture and theory: D, 1993, S. 115–137, hier S. 124f. (Hervorhebungen zu zahlreich, um hier auch nur aufgezählt S.H.) zu werden. Interessanterweise überlebte trotz dieser kraftvollen Neuinterpretation der Maschinenmetapher auch die viel ältere theologisch inspirierte Uhrwerks-Assoziation. So schrieb Le Corbusier 1925 in Urbanisme: »Die Menschen scheinen im allgemeinen wie Zahnräder einer Maschine eine genau vorgeschriebene Bahn zu verfolgen. Ihre Arbeit ist regelmäßig, […] ihr Stundenplan ist unerbittlich exakt.« 14 Offensichtlich bedingen neu eingeführte Bedeutungsebenen bei tradierten Metaphern mitnichten, dass die 14 — Le Corbusier: Städtebau, Stuttgart 1979, S. 41. alten Bedeutungen gleichzeitig verlöschen.


Der Mensch als Industriepalast« von Fritz Kahn, 1926 (Quelle: Fritz Kahn, Das Leben des Menschen, 1926)

2. STADT ALS BELEBTE MASCHINE

Ganz so eindimensional wie von Jacobs kritisiert war die Maschinenstadt nicht. Le Corbusier nannte Paris einen »Motor mit Grippe« und verglich städtische Transportsysteme mit dem menschlichen Blutkreislauf. 18 Der Architekt Hannes Meyer schrieb 1928: »bauen ist ein biologischer vorgang. (…) elementar gestaltet wird das neue wohnhaus nicht nur eine wohnmaschinerie, sondern ein biologischer apparat für seelische und körperliche bedürfnisse.« 19 18 — Le Corbusier 1979, S. 82f., 259 Im Allgemeinverständnis wachsen na19 — Hannes Meyer, »Bauen«, in: Bauhaus, türliche Organismen von selbst, während 1928, H. 2, S. 12f. technische Apparate menschengemacht

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Gebiete einteilen zu können, wie es die Planer des CIAM versucht hätten. Eine städtische Straße diene etwa nicht nur dem Verkehrsfluss, sondern auch der Kinderbetreuung, der Sicherheit, dem öffentlichen Leben, der zufälligen sozialen Begegnung und dem Handel. Man könne getrost aufhören, nach einfachen Strukturen zu suchen. Stattdessen müsse man das scheinbare Chaos der Großstadt als System organisierter Komplexität verstehen, wie es die Naturwissenschaften vorgemacht hätten. 17 Jacobs’ Interpretation der Stadt als komplexes System wurde schon bald zum 17 — Vgl. Jacobs 1992, S. 434, 376. Standard, doch dazu später mehr.


Technische Metaphern prägten bis heute das Alltagsverständnis des menschlichen Körpers. Die Verbindung zwischen der Organismus- und der Maschinen-Metapher ist offensichtlich die optimal abgestimmte Funktion der einzelnen Teile. Der Ausdruck »Organismus« meint in der Biologie und Medizin ein individuelles Lebewesen; das kann eine Pflanze, ein Tier oder ein Mikroorganismus sein. Die Wortherkunft vom griechischen Organon (»Werkzeug«) verdeutlicht, dass dieses Lebewesen als ein abgeschlossenen System aus mehreren Organen gedacht wird, die sich wie eine perfekt konstruierte Maschine zu einem Ganzen fügen, das mehr ist als die Summe seiner Teile. 20 20 — Vgl. Hnilica 2012, S. 54ff. Und um die Dreiecksbeziehung zu vollenden, sei hinzugefügt, dass die Analogie zwischen Körper und Stadt eine Tradition hat, die in die Antike zurückreicht. Platon hatte den menschlichen Körper mit einer befestigten Stadt verglichen. 21 Der Architekt Francesco di Giorgio Martini formulierte das Bild im 15. Jahrhundert aus: eine Stadt solle wie 21 — Vgl. Platon, Timaios, 60a. ein großer Mann organisiert sein: der Kopf 22 — Vgl. Francesco di Giorgio Martini, (die Burg) regiert den Körper, die KathedTrattati di architettura, ingegneria e arte militare. Cod. Saluzziano, 148, fol. 3. Turin, rale ist dessen Herz und der (Markt-)Platz Biblioteca Reale. der Nabel, von dem aus die Stadt ernährt wird. 22

Anthropomorpher Stadtgrundriss von Francesco di Giorgio Martini, 15. Jh. (Quelle: Francesco di Giorgio Martini, Trattati di architettura, ingegneria e arte militare. Turin, Biblioteca Reale, Cod. Saluzziano, 148, fol. 3)

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sind. Ein »biologischer Apparat«, das erscheint zunächst als Katachrese. Man muss sich die Wechselseitigkeit der Metapher vor Augen führen. Le Corbusier und seine Kollegen sahen Maschinen als lebende Organismen, und der Arzt Fritz Kahn publizierte 1926 eine Reihe von Bildbänden namens Das Leben des Menschen, in der er biologische Vorgänge als technische Abläufe visualisierte. Eine gefeierte Darstellung namens »Mensch als Industriepalast« erklärt den Stoffwechsel: unter anderem werden kleine Sauerstoffkugeln von Seilbahnen zu einem Kolbenmotor (dem Herzen) transportiert.


Im Städtebaudiskurs des 20. Jahrhunderts überlagern sich die Metaphern der zellenförmigen und der organisch gegliederten Stadt. Von besonderer Bedeutung war die Zirkulationsmetapher, die den fließenden Verkehr als 23 — Vgl. Kathrin Sander, Organismus als Zellenstaat. Rudolf Virchows Körper-StaatBlutkreislauf und die Straßen als Adern inMetapher zwischen Medizin und Politik, Univ.terpretierte. 24 Der Verkehr sollte fließen – Diss., Heidelberg 2011. ob im Blutkreislauf oder auf einem Förder24 — Vgl. Hnilica 2012, S. 66ff., 76ff. band. Dieses Einhergehen von Natur und Technik wurde von den Akteuren nicht weiter kommentiert, also offensichtlich nicht als erklärungsbedürftig empfunden. 3. STADT ALS BESEELTE MASCHINE

Auch der Philosoph René Descartes sprach 1641 von der »Körpermaschine« (la machine du corps humain). 25 Der Philosoph sah jedoch zwischen Körper und Maschine einen gravierenden Unterschied: den Geist bzw. 25 — René Descartes, Meditationes de Prima Philosophia. Meditationen über die das Bewusstsein. Geist wohnt nur dem Grundlagen der Philosophie, Meditation II, menschlichen Körper inne, während eine VI, 16. Maschine nach klassischer Definition keinen eigenen Willen hat. Sie gehorcht ganz dem Willen dessen, der sich ihrer bedient. Die Maschinen-Metapher betont also die cartesianische Trennung zwischen Körper(maschine) und Geist. Le Corbusier sprach ganz selbstverständlich von der »Seele der Stadt«. 26 Dass eine Stadt eine Seele haben müsse, darin war man sich weitgehend einig. Der Kulturhistoriker Egon Friedell beschrieb 1912 das im Vergleich mit anderen europäischen Metropolen so junge Berlin als 26 — Le Corbusier 1979, S. 52. »wundervolle Maschinenhalle« und »riesi27 — Egon Friedell, Ecce Poeta, Berlin 1912, ger Elektromotor«, dem jedoch vorläufig S. 260. noch die Seele fehle. 27 Der Architekt Frank Lloyd Wright imaginierte 1901 in einer geradezu halluzinatorischen Passage den Blick auf die nächtliche Großstadt, als Blick auf ein großes Monster, dessen Fleisch sich ins Unendliche ausbreite. Ihr Nervenknoten sei die Kraftwerkzentrale, die die unablässige Produktion in Stahlwerken und Autofabriken steuere. Wright schließt: »[…] and the roar! – how the voice of this monstrous thing, this greatest of machines, a great city, rises to proclaim the marvel of the units of its structure […] Thus is the thing into which the forces of Art are to breathe the thrill of ideality! A SOUL!« 28 Für Wright kann nur die Kunst der Stadt eine Seele geben, denn sie erhebt die Architektur 28 — Frank Lloyd Wright, »The Art and the Craft of the Machine«, in: Ders., Writings and über die schiere Technik. Buildings, o.O. 1960, S. 55–7, S. 72f.

Die Stadt wird personifiziert – und kann also eine Seele haben und einen eigenen Willen entwickeln. Die Metapher einer willentlich agierenden Stadtmaschine fasste die ungeheure

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Diese Analogie wurde von Seiten der Medizin gegen Ende des 19. entsprechend einem gewandelten Körperbild aktualisiert. Während der anatomisch gegliederte Körper hierarchische Unterschiede in der Organisation betonte, dachte sich der Arzt Rudolf Virchow den Körper als liberalen Staat. Die vielen Zellen des menschlichen Organismus seien gleichsam die Bürger, Individuen, aus denen sich die »Republik« Körper zusammensetze. 23


Menschenverschlingende Maschine aus dem Film »Metropolis«, Regie: Fritz Lang, 1927 (Quelle: http://www.myfilmviews.com/wp-content/uploads/2012/12/metro_41.jpg)

Dieser Aspekt ist zentral für die Großstadt-Metaphern der Moderne, wobei man die Belebtheit der immer größer werdenden städtischen Maschinen zwar forderte, aber gleichzeitig fürchtete. Le Corbusier prophezeite: »Die kommende Stadt hat in sich einen furchtbaren Mechanismus, einen mächtigen Stier, einen Hochofen exakter und zahlloser Maschinen, einen gebändigten Typhon.« 30 Wie sollte man darauf 30 — Le Corbusier 1979, S. 57. Folgendes Zitat architektonisch reagieren? Der Bestie S. 134 huldigen, sie zähmen oder gar sie töten? Eine Großstadt (namentlich, Paris) städtebaulich gestalten, hieß für Le Corbusier eine »fürchterliche Schlacht« liefern. »Alles Schlag auf Schlag, atemlos, um der Bestie die Spitze zu bieten. Die BESTIE, die Großstadt, ist sehr viel stärker als alles dies. Sie braucht nur zu erwachen.« Eine ähnlich kämpferische Metaphorik verwendete eine Generation zuvor Georges-Eugène Haus31 — Haussmann hatte der Stadt mittels einer großen, zentralen Schneise den Bauch smann, den Corbusier für seine großen aufgeschlitzt, und sie nach eigenen Worten Gesten bewunderte. 31 geradezu »ausgeweidet«. Georges Eugène Haussmann, Mémoires. Grands Travaux de Paris, Paris 1893, S. 54.

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Dynamik der rasant wachsenden neuen Großstädte, die neuen Dimensionen und Geschwindigkeiten. In der frühen Großstadtliteratur adressiert das Bild des Maschinenmonsters den ungebremsten Kapitalismus, das Zusammenbrechen alter sozialer Ordnungen und Moralvorstellungen, das Wilde, Ungeregelte und die Anonymität des neuen Lebens. In Thea von Harbous Metropolis, der Romanvorlage zum berühmten Stummfilm ihres Ehemanns Fritz Lang (1927), verschlingt die Mutter ihre Kinder: »Die große, herrliche, fürchterliche Stadt Metropolis brüllt auf und verkündet, dass sie Hunger hat nach neuem Menschenmark und Menschenhirn, und das lebendige Futter wälzt sich wie ein Strom 29 — Thea von Harbou, Metropolis, Frankfurt/M. u.a. 1984, S. 26. in die Maschinensäle.« 29


Heute denkt man bei belebten Maschinen im Allgemeinen nicht an monströse Autofabriken. Man denkt an Smartphones oder Schwarmintelligenz. Die Referenzgröße ist der Computer. Die Auffassung von Maschinen hat sich so gravierend verändert, dass man eigentlich gar nicht mehr von »Maschinen« spricht, sondern von »technischen Systemen«. Schon in den 1940er Jahren hatte der Biologe Ludwig von Bertalanffy gefordert, man müsse angesichts der technologischen Entwicklung von Computern in Systemen denken. 32 Als »komplexe Systeme« wurden seither 32 — Ludwig von Bertalanffy, General System Theory. Foundations, Development, so unterschiedliche Sachverhalte wie die Applications, New York 1973, S. 3f. Ausbreitungsdynamik von Epidemien und soziale Beziehungen in großen Organisationen beschrieben. Komplexe Systeme sind per Definition dynamisch, offen und selbstorganisierend. Die denkende Maschine ist im Informationszeitalter kein Widerspruch. Ganz im Gegenteil: die Steuerung komplexer Abläufe ist ohne intelligente Maschinen gar nicht mehr denkbar. Für unsere Belange ist entscheidend, dass man sowohl das Internet, als auch Städte und lebende Organismen systemtheoretisch interpretiert. Die Stadt wurde zur Metapher für Computernetzwerke – und das bereits zu einem Zeitpunkt, als das World Wide Web noch eine ziemlich verwegene Zukunftsvision war. Der Science-Fiction-Autore William Gibson dachte sich »all the data in the world stacked up like one big neon city, so you could cruise around and have a kind of grip on it…« 33 Gibson knüpft an eine lange Tra33 — William Gibson, Mona Lisa Overdrive, 1988, http://www.voidspace.org.uk/cyberpunk/ dition an, die Architektur einer Stadt als monalisa.shtml (Hervorhebung S.H.) Speichermedium zu betrachten, etwa als 34 — Vgl. Sonja Hnilica, »Gedächtnis Stadt. Gedächtnis, Archiv oder Geschichtsbuch. Eine schwierige Metapher«, in: Fakultät Die Stadt als Datenbank ist ein weiteres Architektur und Raumplanung (Hg.), Stadt: Gestalten. Festschrift für Klaus Semsroth, Glied in dieser langen Kette. 34 In seinem Wien 2011, S. 10–15. 1984 erschienen Roman Neuromancer formuliert Gibson diese für das Internet ganz zentrale Metapher weiter aus: »Cyberspace. A consensual hallucination experienced daily by billions of legitimate operators, in every nation, by children being taught mathematical concepts… A graphic representation of data abstracted from the banks of every computer in the human system. Unthinkable complexity. Lines of light ranged in the nonspace of the mind, clusters and constellations of data. Like city lights, receding.« 35 Im Architekturdiskurs mündete das systemtheoretische Denken in utopische Stadtentwürfe. Bausysteme, so dachte man in den 1960er Jahren, würden bald die herkömmlichen Städte ersetzen. Der Architekt Richard 35 — William Gibson, Neuromancer, 1984, http://vxheaven.org/lib/mwg01.html Gibson R. Dietrich entwickelte das sogenannte prägte die Metapher des cyberspace 1982. METASTADT-System, um Architektur Die erste Worthälfte bezieht sich auf den Begriff »Kybernetik«, den der Mathematiker zum integralen Bestandteil eines weltumNorbert Wiener 1947 für die Steuerung spannenden »sozio-technischen Gesamtkomplexer Systeme prägte (abgeleitet von griech. Kybernétes, »Steuermann«). systems« zu machen. 36 Konstruktiv gesehen war die METASTADT ein Raumgitter aus 36 — Richard R. Dietrich, »Metastadt. Fertigteilen, aus dem große stadtähnliche Ein Versuch zur Theorie und Technik des Mensch-Umwelt-Systems«, in: Deutsche Gebilde konstruiert werden konnten. Bauzeitschrift, 1969, H. 1, S. 4–17.

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4. STADT ALS DENKENDE MASCHINE


Dietrich erläuterte seinen Ansatz folgendermaßen: »Ohne größere Vorausinvestitionen kann das Stadtbausystem mit allen seinen Trag- und Ausbauelementen in einem organismenhaft zellulären Wachstumsprozess aufgebaut, immer mehr verdichtet, auf wechselnde Anforderungen eingestellt und schließlich ständig regeneriert werden.« 37 Von Prototypen abgesehen, konnte Dietrich sein Konzept 37 — Richard R. Dietrich, »Metastadtprojekt 1 1965–66. Ein Beispiel«, in: Deutsche allerdings nicht realisieren. Bemerkenswert Bauzeitschrift, 1969, H. 1, S. 18–21, hier S. 19. ist jedoch, dass die Systemtheorie den Weg bereitet hat, Maschine und Organismus noch stärker in Überlagerung zu denken als je zuvor. Maschinenstädte konnten nun auch organisch wachsen. Als weiteres Beispiel seien hier die Megastrukturen der japanischen Metabolisten genannt, die dauerhafte Strukturen von monumentalen Dimensionen mit zyklisch veränderbaren Ausbauten vereinen wollten. Das Vorbild war Kenzo Tanges Tokyo Bay Project (1960). Die utopischen Entwürfe gewannen großen Einfluss auf die Architekturdebatte weltweit. 38 Einer von 38 — Zu Bausystemen, Megastrukturen und Systemtheorie vgl. Sonja Hnilica, »Systeme ganz wenigen systemtheoretisch inspirierund Strukturen. Universitätsbau in der ten Großstrukturen, die je gebaut wurden, BRD und das Vertrauen in die Technik«, in: Wolkenkuckucksheim 2014, H. 33, S. 211–233. ist die Erweiterung der Freien Universität http://cloud-cuckoo.net/fileadmin/issuesen/ Berlin von den Architekten Georges Canissue33/articlehnilica.pdf

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METASTADT von Richard R. Dietrich (Quelle: Richard J. Dietrich, METASTADT. Ein Stadtbausystem, München 1974)


dilis, Shadrach Woods und Alexis Josic (1963–80). Sie konzipierten ein »minimum structuring system where individual and group may determine desirable relationships«, wodurch sich im Laufe der Zeit spontane Zentren 39 — Jürgen Joedicke (Hg.), Candilis * Josic * Woods (= Dokumente der modernen bilden sollten. 39 Architektur, Bd. 6), Stuttgart 1968, S. 208.

Freie Universität Berlin von Georges Candilis, Shadrach Woods und Alexis Josic, 1963 (Quelle: Jürgen Joedicke (Hg.), Candilis * Josic * Woods, Stuttgart 1968)

Zeitgenössische Kommentatoren befanden, das Universitätsgebäude sei weltweit die stimmigste Verwirklichung des Konzepts der Megastruktur und damit das Modell für die »Stadt der Zukunft«. 40 Der Euphorie zum Trotz 40 — Chris Abel, »Evolutionary planning”, in: Architectural Design, 1968, S. 563–564, hier gab es kaum Nachfolger. S. 564.

Die utopischen Großstrukturen der Boomjahre waren getragen vom Glauben an stetiges Wachstum – eine Zuversicht, die bereits in den 1970ern nachhaltig erschüttert wurde. Die Technologien des 21. Jahrhunderts setzen weniger auf Größe, als vielmehr auf Kleinheit und Beweglichkeit. Die Vorstellung der Stadt als Organismus und denkende Maschi-

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Tokyo Bay Project von Kenzo Tange, 1960 (Quelle: Kenzo Tange u.a., „A Plan for Tokyo, 1960. Towards a Structural Reorganization“, in: The Japan Architect, April 1961)


Welche Rolle der Architektur und dem öffentlichen Raum in diesem Verhältnis zukünftig zukommt, ist unklar. Soll Architektur, metaphorisch gesprochen, Teil der Hardware bzw. der Infrastruktur sein, geht sie auf im Internet of Things oder bildet sie ein Interface zwischen dem User und den technischem Systemen? Häufig wird die Architektur der Smart City als Teil der technischen Infrastruktur klassifiziert. Der Begriff »Infrastruktur« wurde für den Unterbau von Eisenbahnschienensträngen geprägt. Zum strategischen Begriff wurde er, als 1951 ein sogenanntes »NATO-Infrastruktur-Programm« ortsfeste Anlagen wie Kasernen, Flughäfen und Pipelines forcierte. 44 Bald darauf fand der Begriff Eingang in 44 — Dirk van Laak, »Der Begriff der ›Infrastruktur‹ und was er vor seiner Erfindung die Planersprache und wurde ausgeweitet besagte«, in: Archiv für Begriffsgeschichte auf alle staatlichen Leistungen, die (meta1999, H. 41, S. 280–299. phorisch) als »Unterbau« für »Wirtschaftsund Sozialsysteme« bereitgestellt werden. In diesem Verständnis geht Infrastruktur weit über unterirdische bauliche Versorgungseinrichtungen wie Leitungen, Kanalsystem etc. hinaus und verbindet räumlich-konstruktive Dimensionen mit sozial-ökonomischen. Die scheinbar neutrale Vokabel dockte damit an systemtheoretische Sichtweisen an, sicherlich die

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ne hat dabei keineswegs an Bedeutung verloren. Man denkt Städte nach wie vor als komplexe soziotechnische Systeme. Allerdings imaginiert man diese inzwischen der technischen Entwicklung folgend nahezu immateriell als »a haze of software instructions«. 41 Das Bild des Nebels korreliert mit der ungleich bekannteren Metapher des 41 — Ash Amin/Nigel Thrift, Cities. Reimagining the Urban, Oxford 2002, S. 125. Cloud Computing. Sie suggeriert, dass die neuen Informationstechnologien leicht und flüchtig sind. So liest man etwa auf Wikipedia folgende Passage: »Die hochentwickelte Smart City kann ein Internet of Things and Services sein: Die gesamte städtische Umgebung ist dabei mit Sensoren versehen, die sämtliche erfassten Daten in der Cloud verfügbar machen. So entsteht eine permanente Interaktion zwischen Stadtbewohnern und der sie umgebenden Technologie. Die Stadtbewohner werden so Teil der technischen Infrastruktur einer Stadt.« 42 In dieser Perspektive verschwimmen alle Grenzen: der gebaute 42 — https://de.wikipedia.org/wiki/Smart_City Stadtraum und sogar die Stadtbürger werden als Teil eines virtuellen Datennetzwerks gedeutet. Die Smart City ist so attraktiv, weil der Glaube an die »Smartheit« der Informations- und Kommunikationstechnologien tief im allgemeinen Bewusstsein verankert ist. Selbstlernende technische Systeme integrieren Datenmassen (Big Data) und lernen, darin Muster zu erkennen (ihre Bedeutung zu verstehen) und selbständige Entscheidungen zu treffen. Damit wurzelt die Smart City fest in der Maschinenmetapher und auch das Vertrauen in den Fortschritt scheint ungebrochen. Gewandelt hat sich allerdings die dominante Technologie. Kritiker haben darauf hingewiesen, dass die Vorstellung der programmierbaren Stadt impliziert, dass alle Probleme korrekt modelliert und gemanagt werden können, wenn nur genügend Daten vorliegen. 43 Ökonomische oder politische Interessen werden ebenso verschleiert wie 43 — Vgl. Shannon Mattern, »Methodolatry and the Art of Measure«, in: Places Journal, Interessenskonflikte, in denen StadtplaNovember 2013. https://placesjournal.org/ article/methodolatry-and-the-art-of-measure/ nung zwangsläufig Position beziehen muss.


entscheidende Komponente für ihre durchschlagende Akzeptanz. Dass die Versuche, Architektur zu einer dynamischen Infrastruktur umzudenken, in der Vergangenheit kaum zu umsetzbaren Ergebnissen geführt haben, habe ich bereits geschildert.

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5. STADT ALS FÜHLENDE MASCHINE

Die technologische Entwicklung hat noch an anderer Stelle gravierende Konsequenzen für das Verhältnis von Maschinen und Organismen, denn auch Lebewesen werden in zunehmendem Maße technisch erzeugt. Längst sind in Industrienationen fast alle elementaren Lebensprozesse auch bei Menschen mit technischen Mitteln manipulierbar – von der Zeugung bis zum Tod. Die Biologin Donna Haraway hat 1985 in Ein Manifest für Cyborgs die Menschen des ausgehenden 20. Jahrhunderts als kybernetische Hybride aus Organismus und Maschinen beschrieben. Die tradierte Dichotomie zwischen Natur und Technik habe sich sich aufgelöst. 45 Der Urbanist Matthew Gandy wirbt für 45 — Donna Haraway, »Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den die Metapher der Cyborg City. 46 Die AttrakTechnowissenschaften«, in: Dies., Die tivität der Cyborg-Metapher liegt sicherNeuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt/M. 1995, S. 33–72. lich darin, dass sie neue Technologien integriert und gleichzeitig an die romantischen 46 — Matthew Gandy, »Cyborg Urbanization: Complexity and the Monstrosity in the Technikfantasien der Moderne anknüpft. Contemporary City«, in: International Journal In Metropolis war eine riesige mechanische of Urban and Regional Research, 2005, H. Maschine das Herz eines menschenfressen29/1, S. 26–49. http://onlinelibrary.wiley.com/ doi/10.1111/j.1468-2427.2005.00568.x/pdf den Stadtmonsters. Die Science-FictionLiteratur hat dieses Motiv für die Stadt als intelligentes soziotechnisches System fortgesponnen und den urbanistischen Diskurs um wirkmächtige Bilder bereichert, man denke etwa an den bereits zitierten Roman Neuromancer. Darin interagieren Menschen gleichberechtigt mit digitalen Lebensformen und bewegen sich über neuronale Schnittstellen in zwei parallelen Welten: der Stadt und der Matrix. Die Optimierung der Schnittstellen zwischen Menschen und Computern ist für die Entwickler aktueller Smart CityProgramme ein zentrales Problem. Die Stadt soll nicht bloß denken, sondern mittels entsprechender Sensoren auch fühlen können, ähnlich wie die Replikanten im Film Blade Runner. Vielleicht wird die Metapher der Smart City bald von der Sentinent City abgelöst werden. Über die Ausgestaltung der Interfaces, die Informationen in die »künstlichen Nervensysteme« der Stadt einspeisen, wird kontrovers diskutiert. 47 Sind die Stadtbürger eine Datenquelle unter vielen, sollten sie das Urban Operating System in ihrem 47 — Shannon Mattern, »Interfacing Urban Intelligence«, in: Places Journal, April 2014. Sinne regeln können, oder sogar in einem https://placesjournal.org/article/interfacingdemokratischen Prozess regelmäßig selbst urban-intelligence/ umprogrammieren? Entwickler von Benutzeroberflächen verwenden oft räumliche Metaphern wie Schwelle, Grenze, Zone oder Grundstück (Website). Kann auch der Stadtraum als Interface gedeutet werden? Der Soziologe Lucius Burckhardt imaginierte 1964 die öffentlichen Plätze einer Stadt als »ein System von Kontaktflächen, Orten des Umsteigens, des Einkaufs, der Begegnung und der freien Wahl des Weges in feinen Verästelungen durch die ganze Bebauung, bald ebenerdig, bald vertikal […]. In diesem Kontaktsystem läge vielleicht das eigentlich Städ-


tische, das wir alle suchen.« 48 Burckhardt klingt aus heutiger Sicht geradezu rührend analog, doch könnten seine Gedanken vielleicht Anknüpfungspunkte bieten. 48 — Lucius Burckhardt, »Stadtform, Lebensform und Urbanität«, in: Institut Andererseits gelten für Cyborgs alle für Städtebau und Wohnungswesen der technischen Apparate, die die Reichweite Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung München (Hg.), des Körpers vergrößern, als Prothesen Städtebauliche Beiträge, 1964, H. 2, S. 1–8, – nicht nur Hörgeräte, sondern auch hier S. 7. Smartphones oder Autos. Man kann die Wohnung mit ihrer künstlichen Klimatisierung, Kanalisation und Verkabelung ebenfalls als technischen Apparat zur Erweiterung des Körpers denken. Gandys Überlegungen zur Cyborg City gipfeln in der Vorstellung des »urban space as a prosthetic extension to the human body«, womit der Stadtraum zum Teil des Körpers eines jeden einzelnen diesen Stadtraum bewohnenden Cyborgs würde. 49 Damit schließt sich neuerlich eine Dreiecksbeziehung. Es bleibt festzuhalten, das17s Städte/soziotechnische Systeme, Lebewesen/organische Systeme und Maschinen/technische Systeme seit langer Zeit in Analogien gedacht werden. Die Grenzen allerdings scheinen mehr denn je porös. Städte sind Maschinen, Maschinen sind Städte, Lebewesen sind Städte, Städte sind Lebewesen und Maschinen ebenfalls. Das verbindende Konzept ist das »System«. Die nähere Untersuchung zeigt, dass diese dominante Idee durchsetzt ist mit Bruchstücken früherer Bedeutungen. Die Vorstellung der Stadt als belebte, denkende oder fühlende Maschine ist alt, wie hier skizzenhaft – und daher notwendigerweise oft verkürzend zugespitzt – dargestellt wurde. Eine lange Kette von unterschiedlichen Betonungen der Metaphern trägt zu der aktuellen metaphorischen Beziehung bei, reichert sie an und verleiht ihr Gewicht.

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48 — Gandy 2005, S. 29


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Phaidros: Du aber, Sokrates, bist doch ein ganz wunderlicher Kauz. Denn genau wie du sagst: einem Fremden, der sich hier führen lassen muss, gleichst du, und nicht einem Einheimischen. So wenig kommst du über die Grenzen des Stadtgebiets hinaus; ja nicht einmal über die Mauer scheinst du mir überhaupt hinauszugehen. Sokrates: Halte mir das zu gut, mein Bester. Ich bin eben lernbegierig. Die Örtlichkeiten nun und die Bäume wollen mich nicht lehren, dagegen die Menschen in der Stadt. 1 1 — Phaidros V.230. Platons Dialog Phaidros. Fast scheint es, als liesse sich aus der eingangs zitierten Stelle aus Platons Dialog Phaidros bereits bei den alten Griechen eine Lobrede auf die Stadt festmachen. Wer Austausch sucht, ideelle Bereicherung, Kontakt mit anderen Menschen, der sei in der Stadt besser bedient als ausserhalb, so der Text. Schon im antiken Athen, so könnte man vorschnell folgern, wurde also Urbanität als etwas Positives und Bereicherndes angesehen. Dabei gälte es aber zu bedenken, dass der antike Stadtbegriff mit einem heutigen fast gar nichts mehr zu tun hat, dass also die Übertragbarkeit dieser Sokrates in den Mund gelegten Aussagen gut bedacht werden sollte. Denn eine antike Stadt hatte klare Grenzen, in mehreren Hinsichten: Sie war geschlossen, sie war exklusiv, sie war mit ökonomischer und politischer Macht über das umliegende Land ausgestattet – sie war schlicht ein Herrschaftszentrum und damit weit entfernt von dem, was wir heute unter einer Stadt und ihren inhärenten Gegensätzlichkeiten verstehen. Ungebremste Wachstumsoder Schrumpfungsprozesse waren ihr ebenso fremd wie ausfransende Grenzen zum Umland oder die Koexistenz von grossen Gegensätzem zwischen arm und reich, alt und neu, prunkvoll und verwahrlost, gestaltet und gewachsen. Kurz: Die antike Stadt ist mit einer heutigen in keiner Weise zu vergleichen. Das Bild der antiken Polis, die auch über eine Art von »Demokratie« verfügte (Stimmrechte für männliche Vertreter von Bürgerfamilien), blieb bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die Blaupause für ein Stadtverständnis vorindustrieller und vorrevolutionärer Prägung. So etwa auch im »Limmat-Athen« des 18. Jahrhunderts, wo Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger den Traum einer freien Ästhetik träumten, die sie gegen die starre Schönheitslehre des deutschen Literaturpapstes Johann Christoph Gottsched zu etablieren trachteten. Die Stadt aber, wie wir sie heute kennen, ist ein Kind des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Voraussetzungen für ihre Entstehung waren vielgestaltig und betrafen weit mehr als nur die Fragen der Urbanität: Wissenschaftliche Entdeckungen, zuvorderst diejenige der mechanischen Kraftübertragung und der Krafterzeugung mittels Elektrizität, die Arbeitsteilung in einer manufakturiellen und später industriellen Produktions-

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Übersetzt, erläutert und mit ausführlichem Register versehen von Constantin Ritter. Leipzig, Felix Meiner, 1922, S. 34


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weise, die Einführung der Lohnarbeit, die durch die französische Revolution ausgelösten politischen Beteiligungsprozesse der unteren Schichten der Gesellschaft, all dies führte zu einer europaweiten Veränderung der Gesellschaft in einem sehr grundlegenden Masse. Missernten führten ebenso wie die Verheissungen auf ein geregeltes Einkommen durch Fabrikarbeit zu Landflucht, zu ungebremsten Binnenmigrationsströmen und damit zu einem Wachstum der Vorstädte und Peripherien, 1845 unübertrefflich geschildert von Friedrich Engels in seinem Werk »Die Lage der arbeitenden Klasse in England« (Leipzig, Otto Wigand), einem heute zu Recht als frühen Klassiker der Stadtsoziologie bezeichneten Standardwerk.

Einen weitgehend vergessenen Vorläufer hatte Engels ausgerechnet in der Schweiz, wo es zwar kaum grössere Städte gab, umso mehr aber Landflucht. 1820 erschien im Verlag »Huber und Comgagnie« in St. Gallen die Schrift »Meine Armenreisen in den Kanton Glarus und in die Umgebungen der Stadt St. Gallen in den Jahren 1816 und 1817 nebst einer Darstellung, wie es den Armen des gesammten Vaterlandes im Jahr 1817 erging. Ein Beitrag zur Charakteristik unserer Zeit. In Abendunterhaltungen für die Jugend, jedoch für Jedermann, von P[eter] Scheitlin, Professor«, eine Sozialreportage über die Folgen der schlechten Versorgungslage der ländlichen Prekarisierten, ihre Wohn- und Hygiene-Verhältnisse und Familiensituationen, oder einfach über Hunger, Armut und Elend der helvetischen Modernisierungsverlierer.

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Weitaus früher haben sich die Künste mit dem Phänomen der gegenwärtigen Stadt auseinandergesetzt. Dies soll hier exemplarisch am Beispiel der Literatur gezeigt werden. Die Auswahl der Werke erhebt keinerlei Ansprüche auf Vollständigkeit oder Repräsentativität, sie spiegelt lediglich subjektive Präferenzen des Verfassers. Die frühesten Beispiele stammen aus den 1830er-Jahren, und seither ist die Stadt ein nicht mehr wegzudenkendes Thema in der Literatur – aus den unterschiedlichsten Perspektiven.

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Scheitlin verstand sein Werk nicht als Literatur, sondern als politisch-aufklärerische Praxis eines aufgeklärten Theologen, Lehrers und Jounalisten. Lesenswert bleibt das Werk, genauso wie dasjenige Engels’, als Zeugnis eines derartigen und derart frühen Engagements zwischen aufklärerischer Praxis und gesellschaftlicher Reflexion alleweil. Denn es sollte noch mehr als ein halbes Jahrhundert dauern, bevor überhaupt eine »Wissenschaft von der Gesellschaft« mit einem AutonomieAnspruch ihre Stimme zu erheben begann. Erst an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert begannen Theoretiker wie Emile Durkheim, Georg Simmel oder Max Weber das theoretische Feld der Gesellschaftswissenschaft zu bereiten, und untrennbar damit verbunden war von Beginn an die Untersuchung der zeitgenössischen Stadt als gesellschaftliches Phänomen (Georg Simmel: »Die Grossstädte und das Geistesleben«, 1903. [In: »Die Grossstadt. Vorträge und Aufsätze zur Städteausstellung«. Jahrbuch der Gehe-Stiftung Dresden, hrsg. von Th. Petermann, Band 9, 1903, S. 185–206); Max Weber: »Die Stadt«, In: »Wirtschaft und Gesellschaft«, 2. Teilband, S. 514 ff. (Tübingen, Mohr, 1921).]


Knapp zehn Jahre später, 1842/43, schuf Eugène Sue mit »Les Mystères de Paris« nicht nur einen der erfolgreichsten Romane der französischen Literaturgeschichte überhaupt, er begründete damit gleichzeitig auch ein neues Genre: dasjenige des Groschenromans. Zwischen Juni 1842 und September 1843 erschienen in der Tageszeitung »Le Journal des Débats«

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1831 erschien bei Charles Gosselin in Paris ein Buch mit dem Titel »Notre Dame de Paris«. Es war möglicherweise nicht das erste Mal, aber es ist doch bezeichnend, dass ein Gebäude die titelgebende Figur eines Romans ist. Die Titelvignette zeigt eine junge Frau, die einem Gefesselten ein Getränk einflösst: Esmeralda erbarmt sich und lindert den Durst des an den Schandpfahl gefesselten Quasimodo. Obwohl die Handlung des Buches im Mittelalter spielt, lohnt es sich, Victor Hugos Blick auf Paris aus der damaligen Gegenwart zu betrachten. Das Werk ist unter anderem deswegen so erfolgreich und anschlussfähig, weil es viele Handlungsstränge integriert und zahlreiche einander widerstrebende Akteure zu bündeln vermag. Eine derartige Grösse und Dichte bei gleichzeitiger maximaler Heterogenität ist das, was Louis Wirth hundert Jahre später als Definitionskriterium für Urbanität postulieren wird [Louis Wirth: »Urbanism as a Way of Life«. In: American Journal of Sociology, Vol. XLIV, July 1938, No. 1, S. 1–24]. Zugleich gibt es – immer wieder – den Blick von oben, von den Zinnen der Kathedrale, auf das städtische Paris, den Blick des einsamen, unmenschlich aussehenden aber menschlich fühlenden Quasimodo auf all das, was er begehrt und verachtet, was ihm aus der Nähe zu erleben nicht vergönnt ist.


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mehrmals wöchentlich neue Episoden aus dem Leben der Pariser Unterschicht, die vom harten Alltag zwischen Hunger, Armut und Elend geplagt, aber auch von hinterhältigen Adeligen und Bürgerlichen gepiesackt werden. Die Serie war derart erfolgreich, dass sie alsbald in Form von eigenständig publizierten Heften verkauft wurde. Es ist wohl nicht falsch, »Les Mystères de Paris« als »die Mutter aller Groschenromane« zu bezeichnen und es wäre interessant, einmal zu untersuchen, wie partizipativ die Abfassung der Fortsetzungen tatsächlich erfolgte: Vieles an Anregungen aus der Leserschaft sei da eingeflossen und habe dazu beigetragen, dass die Episoden so lebendig und glaubhaft blieben. Ob sich der aus einer wohlhabenden Arztfamilie stammende Sue aus diesem Grund zu einem Sozialisten und engagierten Schriftsteller wandelte, ist nicht bekannt.

Ganz im Gegensatz zu Eugène Sue war Charles Dickens alles in die Wiege gelegt, auf dass er nie Fragen zu Authentizität und eigener Anschauung beantworten musste. Seine Familie war arm und als sein Vater wegen Schulden ins Gefängnis musste, war er als ältester Knabe von acht Kindern derjenige, der ausserhalb des Gefängnisses leben durfte, der aber als Zwölfjähriger für »seine« Familie zu sorgen und Geld zu verdienen hatte. Er begann als Journalist zu arbeiten und veröffentlichte ab 1836 in monatlichen Fortsetzungen die »Pickwick Papers«. 1838 erschien »Oliver Twist, or, the Parish Boy’s Progress« unter dem Pseudonym »Boz«, der

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Rest ist Geschichte. Was man aus Charles Dickens’ Werken, neben den bereits erwähnten namentlich auch aus dem stark autobiografisch gefärbten »David Copperfield« über London in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lernen kann, ist unglaublich dicht und reich. Selten hat eigene Anschauung, präzise Beobachtung und Sensibilität für soziale Differenzen zu lebendigeren Bildern geführt. Auch wenn Dickens seine Werke nicht als »Bilder einer Stadt« verstand, sondern eher als Bilder von Menschen und ihren Lebensgeschichten, so ist doch all das, was er über London und insbesondere dessen ärmere Viertel erzählt, von ungeheurer Wucht und Präzision – dichte Beschreibung im besten Sinn des Wortes.

Auf ähnliche Weise ethnographisch genau, fast auch ein bisschen auto-ethnographisch, hebt der nächste, zwei Jahre nach »Oliver Twist« veröffentlichte Text an: »Vor noch nicht langer Zeit, bei Anbruch eines Abends im Herbste, sass ich am grossen Bogenfester des Kaffeehauses D––– in London. Einige Monate lang hatte ich mich bei schlechter Gesundheit befunden, doch war ich nun wieder auf dem Wege der Besserung, und indessen mir die Kräfte zurückkehrten, fand ich mich in einer jener glückhaften Stimmungen, welche so gänzlich das Gegenteil von Ennui sind, … Stimmungen wachester Sinnenfreude, wo der Schleier vom geistigen Auge fällt, […] und der Intellekt sich mächtig über seinen Alltag erhebt. […] Schon das blosse Atmen war eine Lust; und selbst den ausgesprochenen Quellen des Leides wusste ich Freudigkeiten abzugewinnen. Ich empfand ein gelassenes, doch rege-waches Interesse an allen Dingen um mich her. Eine Zigarre im Mun-

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So schildert der Amerikaner Edgar Allan Poe in »The Man of the Crowd« den Blick des Beobachters auf die von Gaslaternen erleuchteten Londoner Strassen [zitiert nach der deutschen Werkausgabe in vier Bänden, Olten, Walter, 1967, Bd. 2, S. 706. Übersetzt von Arno Schmidt und Hans Wollschläger]. Kurz danach verlässt der namenlos bleibende Erzähler das Restaurant und verfolgt einen alten Mann, der ihm ob seines Verhaltens aufgefallen ist und der scheinbar ziellos durch die Stadt wandert. Nach zwei Tagen unablässigen Verfolgen gibt der Erzähler schliesslich auf und gesteht sich ein, dass sich ihm nichts über die Ziele des alten Stadtwanderers erschlossen habe, ausser dass er immer Teil der Menschenmasse sei – ein »Massenmensch«. Erschienen ist dieses »ethno-fiktionale Protokoll avant la lettre« im Jahr 1840 im »Burtons Magazine«, wo Poe zu dieser Zeit redaktioneller Mitarbeiter und regelmässiger Autor war. Hier leuchten zwei Phänomene auf, die für den Diskurs über die Stadt bald wichtig werden: einerseits die mit dem französichen Begriff des »ennui« gefasste »Blasiertheit« des Stadtbewohners, auf die sich sechzig Jahre später Georg Simmel in seinem Text »Die Grossstadt und das Geistesleben« ausführlich beziehen und sie als erster nicht mehr negativ, sondern positiv würdigen sollte; andererseits die Idee des Flaneurs, der sich der Hektik und den Zwängen des beschleunigten Grossstadtlebens entzieht, sich distanziert und die beschriebene Mischung von Aufmerksamkeit und Langsamkeit findet, die es ihm erlaubt, die Stadt wahrzunehmen, ja, sie zu lesen, dem sich aber eine Sinnhaftigkeit von Stadt dennoch nicht zu erschliessen vermag. Fällt der Begriff »ennui« und der Name Edgar Allan Poe, so ist es ein kurzer Weg zum Poe-Übersetzer Charles Baudelaire. Als 36-Jähriger veröffentlichte er 1857 sein Hauptwerk »Les Fleurs du Mal«, nachdem er zuvor mehrere Erzählungen Poes ins Französische übertragen hatte. »Les Fleurs du Mal« ist ein durchkomponierter Gedichtband, bestehend aus sechs Abteilungen, deren zweite die Überschrift »Tableaux Parisiens« trägt. Nicht nur der bereits erwähnte »ennui«, auch

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de und eine Zeitung auf dem Schoss, so hatte ich mich über den grössern Teil des Nachmittages hin vergnügt, hatte ein bisschen in den Anzeigen gestöbert, dann wieder die bunt gemengselte Gesellschaft im Raume gemustert und schliesslich durch die rauchgetrübten Scheiben auf die Strasse geguckt. In dieser Strasse spielt sich der Hauptverkehr der City ab, und den ganzen Tag schon war sie überaus belebt gewesen. Doch als die Dunkelheit hereinbrach, nahm das Gedränge jeden Augenblick zu; und um die Zeit, da die Laternen in vollem Lichte aufflammten, rauschte die Bevölkerung in pausenloser dichter Doppelflut an der Türe vorbei. Zu dieser besonderen Stunde hatte ich mich noch nie zuvor in ähnlicher Situation befunden, und das tumultuosende Meer von Menschenköpfen erfüllte mein Gemüt daher mit köstlicher, noch nie gekannter Bewegung und Erregung. Bald schon erlosch meine Teilnahme für die Vorgänge im Innern des Gasthauses, und ich versank in der Betrachtung des Schauspiels draussen.«


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ein ungeschöntes Paris, dessen Schmutz, Lärm, Gestank, die Hässlichkeiten, das Zerfallende und das Morbide sind Themen, die nicht auf-, aber doch eindringlich in den Gedichten zum Ausdruck gebracht werden.


Les sept Vieillards (A Victor Hugo)

Fourmillante cité, cité pleine de rêves, Où le spectre en plein jour raccroche le passant! Les mystères partout coules commes des sèves Dans les canaux etroits du colosse puissant

Un matin, cependant que dans la triste rue Les maisons, dont la brume allongeait la hauteur simulaient les deux quais d’une rivière accrue,

Un brouillard sale et jaune inondait tout l’espace, Je suivais, roidissant mes nerfs comme un héros Et discutant avec mon âme déjà lasse, Le faubourg secoué par les lourds tombereaux.

Tout à coup, un vielliard dont les guenilles jaunes Imitaient la couleur de ce ciel pluvieux Et dont l’aspect aurait fait pleuvoir les aumônes, Sans la méchanceté qui luisait dans ses yeux. […]

Baudelaire gilt heute als einer der Begründer der literarischen Moderne, in Frankreich ist sein Einfluss auf Symbolismus, Expressionismus oder Surrealismus (Arthur Rimbaud, Paul Verlaine oder Stéphane Mallarmé) kaum zu unterschätzen. Und auf eine besondere Art wirkte er nach Deutschland, wenn auch mit einiger Verzögerung: 1923 erschien in Heidelberg bei Richard Weissbach der »fünfte Druck des Argonautenkreises«: »Tableaux Parisiens. Deutsche Übertragung mit einem Vorwort zur Aufgabe des Übersetzers von Walter Benjamin«. Benjamins übersetzerisches Werk ist reich, neben der Teil-Übersetzung von Prousts »Recherche« (gemeinsam mit Franz Hessel) ist die Baudelaire-Übertragung sicher der für Benjamin wichtigste übersetzte Text gewesen. Und er war auch von grossem Gewicht in seiner Publikationsliste, denn Benjamins übersetzerisches Werk ist zu seinen Lebzeiten fast gleich gewichtig wie sein publiziertes Werk als Autor. In Buchform veröffentlichte er neben seiner Dissertation (»Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik«,

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Et que, décor semblable à l’âme de l’acteur


Nur am Rande sei angemerkt: Natürlich beginnt die »Literaturgeschichte der Stadt« in Deutschland nicht erst mit Walter

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1920) und seiner zurückgezogenen Habilitationsschrift (»Der Ursprung des deutschen Trauerspiels«, 1928) lediglich zwei Titel, davon eines unter Pseudonym (»Deutsche Menschen«, Pseudonym Detlef Holz, 1936). Über das andere, »Einbahnstrasse«, schrieb sein Freund und Proust-Co-Übersetzer Franz Hessel bereits 1928, im Jahr des Erscheinens: »Dem Philosophen, der hier auf die Strasse geht, ist Erkenntnis kein Abseits, keine Einsamkeit, kein Verzicht. Aus seinen Worten spricht dauernde Einladung, mitzutun, mitzudenken. […] Er liest seine Politeia vom Feuermelder, weissagt aus einem Kaiserpanorama die Inflation, […]. Wir lernen Weltgeschichte an Briefmarken, Geographie im Frachtdampfer, bei der Kartenschlägerin Ethik, Ethnologie in der Kinderstube. An Sterbebetten begreifen wir Flaggensignale. […] Sasha Stone, unser bester Techniker der Photomontage, hat den Einband gemacht: Anschauungsbilder zu einem Lehrbuch, das uns Lust macht, in die Sexta des Lebens zu gehen.« [zitiert nach der Hessel-Werkausgabe, hrsg. von Hartmut Voller und Bernd Witte, Oldenburg 1999, Bd. 5, S. 137]. »Einbahnstrasse« ist kein »Buch einer Stadt« oder »Buch über eine Stadt«. Es ist eine Sammlung von Betrachtungen, Beobachtungen, Feststellungen in Aphorismenform, die aber ohne »Stadt« nicht zu denken wäre, die Stadt gleichsam atmet und braucht, als Nährboden, als Bedingung, um überhaupt zeitgenössisch denken und schreiben zu können. So zeitgenössisch wie der Einband und die gesamte Gestaltung des schmalen, lediglich 84 Seiten umfassenden Bändchens.


Benjamin. So sei hier exemplarisch angeführt: Dora Dunckers Roman »Grossstadt«, Berllin 1900

Die Bezeichnung »Der Roman einer Stadt« ist der vom Autor gesetzte Untertitel eines ganz anderes Werkes, dessen deutsche Übersetzung ein Jahr zuvor, 1927, ebenfalls von Franz Hessel besprochen wurde: »Manhattan Transfer ist ein Buch, das bei der ersten Lektüre durch seine Fülle überwältigt und verwirrt wie ein Fiebertraum und dann beim Wiederlesen – man kann es oft wieder lesen und dann auf jeder Seite aufschlagen – immer mehr entdecken lässt von dem seltsamen Lebewesen New York.« Der Verzicht auf eine durchgängige Handlung, das mosaikartige Abbilden von kleinen Einzelteilen, eine sichtlich vom Film inspirierte Montage-Technik – all dies machte den Roman einzigartig. John Dos Passos, Amerikaner mit spanischen Wurzeln, hatte den Roman 1925 im Alter von 29 Jahren veröffentlicht und darin erstmals die Stadt zur Protagonistin eines literarischen Werks gemacht. »Hauptperson seines [Dos Passos’] Werkes ist die Stadt selbst; er erzählt 25 Jahre New Yorker Stadt- und Weltgeschichte indem er von Kellnern, Grosskaufleuten, Schauspierinnen, Näherinnen, Journalisten, Strolchen, Schmugglern, von Tätern und Träumern berichtet. Und diese 25 Jahre sind im rollenden Ablauf wie ein Tag. diese Stadt erlebt die Vorgänge in ihren Strassen und Häusern wie ein Organismus das, was in seinem Innern vorgeht, sie spielt mit ihren Bewohnern wie ein Kind

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und der Gedichtband »Grossstadtlyrik«, hrsg. von Heinz Möller, Leipzig, 1903, mit Beiträgen von Ferdinand Avenarius, Richard Dehmel, Hugo von Hofmannsthal, Christian Morgenstern u.va.


Die verstörende Intensität und Vielschichtigkeit des Buches wie der Stadt, der Sog der Geschichten, der alle Sinne ansprechende Text (Gerüche und Geräusche spielen eine tragenden Rolle), all dies hat Dos Passos weder allein noch als Erster vorgeführt, aber auf einem ungemein überzeugenden Niveau, von der Machart her vergleichbar allenfalls mit Andrej Belyjs »St. Petersburg« (1916) oder mit James Joyces »Ulysses« (1922), wobei diese beiden aber durchaus noch andere Erzähl-Absichten verfolgen als dasjenige der Abbildung des »Bewusstseinsstroms einer Stadt«. Auf Analogien in der Musik (etwa Edgard Varèse: »Amériques« (1921) oder Walter Ruttmann: »Berlin. Symphonie einer Grossstadt« (1927) kann hier nicht eingegangen werden, sie liegen aber auf der Hand. Hingegen darf ein Werk nicht unerwähnt bleiben, das 1929, ein Jahr nach Walter Benjamins Einbahnstrasse, im Fischer Verlag erschien: Alfred Döblins »Berlin Alexanderplatz«. »Die Geschichte vom Franz Biberkopf«, so der sprechende Untertitel, ist zwar ein Roman mit Handlung, Protagonisten, Aufbau etc., aber ähnlich wie bei Dos Passos tritt die Stadt quasi als Akteur auf, beeinflusst alles. Das zeigt sich gleich am Anfang des Buches, als Franz Biberkopf, nach mehrjähriger Strafe aus dem Gefängnis Berlin Tegel entlassen, wieder einen Bezug zur Stadt aufbauen sollte, vor der ihn die Mauern der Institution geschützt hatten: »Man setzte ihn wieder aus. Drin sassen die andern, tischlerten, lackierten,

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mit seinem Spielzeug, macht sie zu Puppen, die sie streichelt und zerbricht. Die Strasse dringt mit ihrem kollektiven Leben in alle Schicksale ein.« So noch einmal Hessel.


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sortierten, klebten, hatten noch zwei, drei, fünf Jahre. Er stand an der Haltestelle. Die Strafe begann. Er schüttelte sich, schluckte. Er trat sich auf den Fuss. Dann nahm er einen Anlauf und sass in der Elektrischen. Mitten unter den Leuten. Los. […] Er drehte den Kopf zurück nach der roten Mauer, aber die Elektrische sauste mit ihm auf den Schienen weg, dann stand nur noch sein Kopf in der Richtung des Gefängnisses. Der Wagen machte eine Biegung, Bäume, Häuser traten dazwischen. Lebhafte Strassen tauchten auf, Leute stiegen ein und aus. In ihm schrie es entsetzt: Achtung, Achtung, es geht los. […] Er stieg unbeachtet aus dem Wagen, war unter Menschen. Was war denn? Nichts. Haltung, ausgehungertes Schwein, reiss dich zusammen, kriegst meine Faust zu riechen. Gewimmel, welch Gewimmel. Wie sich das bewegte.» Durch den ganzen Roman hindurch wird die Stadt Franz Biberkopf peinigen und er wird, trotz zahlreichen und ehrenhaften Versuchen, an sich und an ihr scheitern – bis zu Tod und Wiedergeburt. Der Linken war das Buch ein Greuel (weil eine »proletarische« oder »agitatorische« Perspektive überhaupt keine Rolle spielt), aber auch Walter Benjamin sah darin einen letztlich spätbürgerlichen Reflex auf gesellschaftliche und urbanistische Entwicklungen, die von dieser Warte aus nur als Niedergang wahrgenommen werden konnten [vgl. seine Rezension »Krisis des Romans. Zu Döblins Berlin Alexanderplatz«. In: Gesammelte Schriften. Band III, Frankfurt am Main 1972, S. 263]. Trotz dieser (und weiterer ähnlicher) kritischer Stimmen war »Berlin Alexanderplatz« überaus erfolgreich, verkaufte sich vor Kriegsbeginn mehr als 50’000 mal, wurde mehrfach verfilmt und gilt bis heute als wichtigster Beitrag zur Stadtliteratur aus Deutschland.


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Im selben Jahr wie »Die Geschichte vom Franz Biberkopf« erschien ein weitaus erfolgloseres Bändchen, welches aber die Wiedergeburt einer Stadt-Figur einläutete, die bis heute anhält: »Spazieren in Berlin. Ein Lehrbuch der Kunst in Berlin spazieren zu gehen. Ganz nah dem Zauber der Stadt von dem sie selbst kaum weiss. Ein Bilderbuch in Worten«. Das Büchlein erschien im nicht gerade bekannten »Verlag Dr. Hans Epstein«, der von 1927 bis zum frühen Tod des Verlagsgründers im Jahr 1932 nicht mehr als ein gutes Dutzend Titel veröffentlichte, vorwiegend im Bereich der Kulturgeschichte, insbesondere Bildbände von europäischen Städten. Der Autor war der bereits als Rezensent erwähnte Franz Hessel. Walter Benjamin, dessen »Einbahnstrasse« ja von Hessel ein Jahr zuvor rezensiert worden war, revanchiert sich nun seinerseits mit der Besprechung, die er mit »Die Wiederkehr des Flaneurs« betitelte. Auf diese Würdigung ist auch der nicht von Hessel selbst stammende, aber heute gängige Titel des Buches »Ein Flaneur in Berlin« zurückzuführen.

»Und wenn er [Hessel] sich nun aufmacht und durch die Stadt geht, so kennt er nicht den aufgeregten Impressionismus, mit dem so oft der Beschreibende seinen Gegenstand antritt. Denn Hessel beschreibt nicht, er erzählt. Mehr, er erzählt wieder, was er gehört hat. »Spazieren in Berlin« ist ein Echo von dem, was die Stadt dem Kinde von früh auf erzählte, Ein ganz und gar episches Buch, ein Memorieren im Schlendern, ein Buch, für das Erinnerung nicht die Quelle, sondern die Muse war. […] Der Flaneur ist der Priester des genius loci. Dieser unscheinbare Passant mit der Priesterwürde und dem Spürsinn des Detektivs – es ist um seine leise Allwissenheit etwas wie um Chestertons Pater Brown, diesen Meister der Kriminalistik. […] Baudelaire hat das grausame Wort von der Stadt, die schneller als Menschenherz sich wandle, gesprochen. Hessels Buch ist voll tröstlicher Ab-

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Die leise Melancholie, die in den Hesselschen Stadtbeobachtungen ebenso wie in Benjamins Betrachtungen liegt, erscheint uns heute als ein Ahnen des sich anbahnenden Grauens, das bald Europa und fast die gesamte Welt überziehen sollte. 1929 war ja nicht nur ein künstlerisch-literarisch reiches Jahr, das Jahr etwa, in dem Georges Bataille zusammen mit Michel Leiris und Carl Einstein in Paris die ersten Nummern der Zeitschrift »Documents« herausgab, oder das Jahr, in dem Bruno Taut die »Neue Baukunst in Europa und den USA« und Le Corbusier den »Städtebau« veröffentlichten. Am 25. Oktober 1929 erfolgte der grosse Zusammenbruch, der »Black Friday«, das Ende der »Roaring Twenties«, der sehr realökonomische Vorbote des späteren politischen Zusammenbruchs. Als letzter Vorkriegszeuge sei hier noch der Lyrik-Band »Um uns die Stadt. Eine Anthologie neuer Grossstadtdichtung«, herausgegeben von Robert Seitz und Heinz Zucker aus dem Jahr 1931 angeführt.

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schiedsformeln für ihre Bewohner.« [zitiert nach Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Bd. III, Frankfurt am Main, 1972, S. 194ff ]


Unter den zahlreichen Beiträgen sei abschliessend exemplarisch derjenige des notorisch unterschätzten Paul Zech vorgestellt:

Liebesballade im Regen

Auf den Strassen, zwischen den Schienensträngen, glitzerte Waser. Und manchmal spritzte es unter den Bahnen silbern empor bis zu den Fussgängerwegen. Und die jungen Bäume dort liessen Fahnen aus maisgrüner Seide so traurig herunter hängen

Unter dem Glasdach einer verwitterten Kinoreklame habe ich lange nach dem letzten Nachtauto gefroren. Und da kamst Du mir grade gelegen: so knabenhaft schmal in den Hüften und wie geboren für meine Gefühle. Denn ausser Dir stand keine Dame im Regen.

Und als wir uns ansahn die kurzen Sekunden und garnicht mehr frugen, wie einer den anderen fände, da kam uns das Blut schon auf halbem Wege entgegen und ich küsste unter dem Schirm die die zitternden Hände und habe zuletzt auch dein Herz gefunden im Regen.

Für Dein Herz … da habe ich gleich ein Gedicht geschrieben, denn wir sassen wortlos beglückt an den dunklen Tischen in einem Café. Und aus den tropisch durchglühten Gehegen der Geige begann jetzt Dein lüsterner Atem zu zischen, bis ich dich mitnahm. Sonst wärst du alleine geblieben im Regen.

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im Regen


In dieser Nacht aber ist alles ganz anders verlaufen, wie ich es mir ausgedacht hatte in meinen Gefühlen. Und als ich beschämt Dir was schenkte, da sagtest du lächelnd: weswegen? Und liessest auf meinen Lippen nur einen kühlen Geschmack Deiner Armut zurück. den wird sich kein anderer mehr kaufen

Für das zweite, noch nicht abgeschlossene Jahrhundert der Stadt-Literatur bräuchte es – trotz Subjektivität und Mut zur Auslassung – mehr Platz, mehr Zeit, längeren Atem und vielleicht noch etwas Distanz. Paul Wührs »Gegenmünchen« wäre ebenso zentral zu behandeln wie Hubert Fichtes »Palette« oder Rolf Dieter Brinkmanns »Rom. Blicke«, es gälte, differenziert auf aussereruropäische Literaturen zu schauen, zunehmend auch auf neue Genres, andere Medien (Graphic Novel, Online-Publikationen etc. etc.). Und es gälte im traditionellen Feld der europäisch-amerikanischen Literatur insbesondere das Genre der Kriminalliteratur in den Blick zu nehmen, dem wir zentrale Auseinandersetzungen mit der Stadt verdanken. Was wüssten wir von Paris ohne Georges Simenon oder Léo Malet, was von Barcelona ohne Manuel Vázquez Montalbán, was von Stockholm ohne Maj Sjöwall und Per Wahlöö, was von New York ohne Jerome Charyn und Ernest Tidyman, was von Wien ohne Helmut Zenker? Nicht nichts, aber viel zu wenig.

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im Regen.


Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch Studierende der ZHdK, der HafenCity Universität Hamburg und der Hong Kong Baptist

The attractivity of cities is usually described as a result of economical development. But there is another, far more important aspect: Cities create images and stories, symbols, myths and metaphors. To a large extent, the worldwide attractivity of cities is based on this multitude of meanings. It creates a character of vanguard and cultural orientation. In cities, new forms of work and life, of mobility and habitation, new cultures and fields of art arise. Therefore, city as a laboratory or city as a melting pot are appropriate metaphors. The urban studies project „Metaphors of the City“, a cooperation between Zurich University of the Arts (Master Art Education / Master Transdisciplinary Studies), Hong Kong Baptist University, Academy of Visual Arts (Master in Visual Arts), and HafenCity University Hamburg (Master Urban Design) is dedicated to this creative potential that connects artistic practice, living environment and theoretical research. Within the scope of this one-year-collaboration 40 students from Zurich, Hamburg and Hong Kong realized crossdisciplinary projects based on field trips and research in all the three cities. “Same Same But Different” shows the results of this project in Connecting Space Hong Kong and at the Zurich University of the Arts in a simultaneous two-site-exhibition. The sixth issue of “Common. Journal for Art and the Public Sphere” is dedicated to the “City Metaphors” project and is launched on the occasion of exhibition opening. —

Die Anziehungskraft von Städten wird häufig als Ergebnis eines ökonomischen Wandels verstanden. Darüber hinaus kreieren Metropolen aber v.a. Bilder und Geschichten, Symbole, Mythen und Metaphern. Die weltweite Anziehungskraft von Städten basiert zu einem grossen Teil auf dieser Vielfalt ihrer Bedeutungen: In Städten entstehen neue Formen des Arbeitens und (Zusammen-)Lebens, der Mobilität, des Wohnens, der Kultur und der Kunst. Städte sind insofern Laboratorien und Schmelztiegel der Gesellschaft, ihrer Ökonomie, Politik und Kultur. Das Stadtforschungsprojekt »Metaphern der Stadt«, eine Kooperation zwischen der Zürcher Hochschule der Künste (Master Art Education / Master Transdisziplinarität) mit der Baptist University Hong Kong – Academy of Visual Arts (Master Visual Arts) und der HafenCity Universität Hamburg (Master Urban Design) verschreibt sich diesem kreativen Potenzial – ein Potenzial, das künstlerische Praxis, Alltag und Theorie – und damit die drei Städte verbindet. Innerhalb des Jahresprojekts haben 40 Studierende aus Zürich, Hamburg und Hong Kong transdisziplinäre Projekte realisiert, die auf Feldrecherchen in allen drei Städten basieren. Die Resultate der entsprechend der Herkunftsdisziplinen der Studierenden plurimedial und vielfältigen Projekte werden in

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Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch

University, Academy of Visual Arts


der vorliegenden Nummer von »Common – Journal für Kunst & Öffentlichkeit« vorgestellt. Darüber hinaus werden die Schlussarbeiten in der Ausstellung »Same Same But Different« gleichzeitig im Toni-Areal der Zürcher Hochschule der Künste und im Connecting Space in Hong Kong präsentiert. PARTICIPATING INSTITUTIONS AND PERSONS

City Metaphors – Teaching Project Zurich University of the Arts Master programmes in Art Education and Transdisciplinary Studies Lecturers: Basil Rogger, Janine Schiller, Carmen Weisskopf Participating Students: Diana Bärmann, Nadia Canonica, Daniel Drognitz, Laura Ferrara, Bruno Heller, Eve Hübscher, Benjamin Jagdmann, Laura Sabel, Charlotte Sarrazin, Inbal Sharon, Philipp Spillmann, Tobias Markus Strebel, Erika Unternährer

Lecturers: Gesa Ziemer, Lene Benz Participating Students: Feena Fensky, Julian Gadatsch, AnnaAmalia Gräwe, Renke Gudehus, Helena Hahn, Yannik Hake,, Jakob Kempe, Marie Knop, Julia Lerch-Zajaczkowska, Frank Müller, Selina Müller, Maj Neumann, Lisa Noel, Martin Rieger, Marie-Christin Schulze, Ana Stoeckermann, Nora Unger, Mara von Zitzewitz, Max Walther, Anais Wiedenhöfer, Lena Wolfart

Hong Kong Baptist University, Academy of Visual Arts Master in Visual Arts Lecturer: Peter Benz Participating Students: Cheuk Wing-Nam; Fung Kuen-Suet, Michelle; Siddharth Choudhary; Lau Ming-Wai, Maggie; So ManWa, Arabii; Tang Yiu-Ho, Perry

Common – Journal for Arts & Public Sphere – Publication Project Editor-in-Chief: Michèle Novak

Same Same But Different – Exhibition Projekt Curatorial Team of the Exhibition: Bruno Heller, Eve Hübscher, Lau Ming-Wai, Charlotte Sarrazin Locations of the Exhibition: Zurich University of the Arts, Connecting Space Hong Kong www.connectingspaces.hk www.zhdk.ch/trans www.zhdk.ch/mae www.ud.hcu-hamburg.de www.ava.hkbu.edu.hk

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Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch

HafenCity University Hamburg Master in Urban Design


Sound is a vibration that propagates and varies through compressible media such as air, water, solids. However, for me, sound is an alternative way of nature observation. I keep a “sketchbook” filled with sounds of the surroundings for inspiration. This process helps me to link up with my context. My intention for my project was to compare the interactions of people and urban environments between two cities via their soundscapes: Hong Kong and Zürich. Through getting hold of the urban sound, new perspectives may be discovered through auditive similarities. The correlation between these two cities could even be more significant: May it be possible to deduct some fundamental (sound) elements for urban formations? By recording audio fingerprints of Hong Kong and Zürich, and playing – visualising – them in parallel I am hoping to identify a common core in the experience of city. — Schall ist eine Welle, die sich durch elastische Medien, wie Luft, Wasser oder auch Festkörper, fortpflanzt. Für mich ist Schall aber auch eine alternative Möglichkeit der Weltbeobachtung. Zu meiner Inspiration führe ich ein Klang-“Skizzenbuch”, dass mir hilft mich zu verorten. Die Absicht meines Projekts ist es, am Beispiel Hong Kongs und Zürichs das Zusammenspiel von Menschen und städtischen Räumen anhand ihrer Klangbilder zu vergleichen. Vielleicht können wir durch nur hörbare Ähnichkeiten neue Einsichten zu Städten finden? Vielleicht liessen sich Übereinstimmungen in diesen beiden Städten sogar weiter verallgemeinern, und man könnte allgemeingültige (Klang-) Bausteine aller Städte identifizieren? Durch das parallele Abspielen – und Projezieren – von Klang’abdrücken’ aus Hong Kong und Zürich, hoffe ich einen gemeinsamen Kern in der Erfahrung von Stadt zu finden. SO Man-Wa, Arabii

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Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch | City Metaphors as Distinct Sounds / Die Stadt als Klang’abdruck’

City Metaphors as Distinct Sounds / Die Stadt als Klang’abdruck’


Die zunehmende Relevanz der Wissensgesellschaft und der wissensbasierten Wirtschaft üben großen Einfluss auf Städte aus. Die steigende globale Wettbewerbsfähigkeit von Städten verstärkt den Druck auf Hochschulen und ihre Rolle in der Stadt 1. Wissen wird zu einem Schlüsselfaktor für erfolgrei1 — vgl. Benneworth et al. 2010; Etzkowitz et al. 2000 che Stadtökonomie und damit auch für die Konkurrenzfähigkeit von Städten im globalen Wettbewerb. Die Zusammenarbeit von Universitäten und Städten, insbesondere in Stadtentwicklungsprojekten, wird immer wichtiger. In Zürich-West zwischen Bürobauten, Zugschienen, Brücken und mehrspurigen Schnellstraßen befindet sich das Toni Areal. Einst eine Molkerei, nun Heimat gleich zweier Hochschulen sowie unzähliger weiterer Einrichtungen und Funktionen. Im Sommer 2014 wurde das neue Gebäude bezogen. Aus 35 unterschiedlichen Standorten fanden sich in der ehemaligen Molkerei unterschiedliche Institute zusammen, um eine Kunsthochschule zu verwirklichen, an der alle Kunst- und Designdisziplinen an einem Ort vereint sind: Die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Neben der ZHdK ist ebenfalls die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) vor Ort vertreten. Außerdem beherbergt das Toni Areal einige Eigentumswohnungen im hochpreisigen Segment, einen Musikklub, ein Kino, eine Bibliothek und das Schaudepot des Museums für Gestaltung. Bei unserem Aufenthalt erfahren wir, dass im Toni Areal über 1000 Veranstaltungen im Jahr stattfinden. Das Toni Areal ist also mehr als nur ein Campus. Es ist eine »Stadt in der Stadt«, so beschreiben es die Architekten vom Büro EM2N, die sich für den Umbau des Toni Areals maßgeblich verantwortlich zeichnen. Deutlich wird jedoch in jedem Moment und überall: Das Toni Areal hat eine überaus wichtige Funktion in bzw. für Zürich. Es verkörpert mehr als nur zwei Hochschulen. Das Toni Areal ist für die Stadt ein Leuchtturmprojekt, soll das industriegeprägte ZürichWest aufwerten und sein Kulturangebot maßgeblich bereichern, dabei insbesondere die Kreativwirtschaft stärken. Wie wurde auf architektonischer Ebene versucht, der Beziehung zwischen der Hochschule und ihrem Standort, der Stadt Zürich, Rechnung zu tragen?

2— EM2N

Das Toni-Areal als »Stadt in der Stadt« – so wird es zumindest häufig von ArchitektInnen, PlanerInnen, nutzenden Hochschulen, aber auch JournalistInnen beschrieben – ist in seinen Nutzungen und Funktionen vielfältig. Die Architekten 2 sprechen gar von einem »inneren Urbanismus«. Bei der Planung des Areals wurde ein besonderer Fokus auf eine starke Beziehung zwischen dem Drinnen und Draußen gelegt. Den Eingängen des Toni-Areals kommt dabei eine wichtige, jedoch auch paradoxe Rolle zu. Sie bilden gleichzeitig eine Trennung und eine Verbindung zur Stadt. Mit welchen gestalterischen und städtebaulichen Elementen wird versucht eine Verbindung vom äußeren zum inneren Urbanismus herzustellen? Wir begeben uns auf einen photographisch-essayistischen Rundgang in und um das Toni-Areal.

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Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch | »EINGANG DURCHGANG RUNDGANG«

»EINGANG DURCHGANG RUNDGANG«


Treppe rauf, Tür auf, durch und wieder raus. Mit einem fast naiv kindlichen Blick wollen wir auf Eingänge, Aufgänge und Durchgänge achten. Begleitet werden wir dabei vom Architekt Christopher Alexander, der in seinem 1977 erschienenen Handbuch »Pattern Language« (Eine Mustersprache) den ArchitektInnen und PlanerInnen praktische Hinweise und Regeln nahe legt, die beim Entwurf von Gebäuden zu beherzigen sind. Mit dabei auf ist auch der französische Schriftsteller George Perec, der uns mit Hilfe seines Romans »Träume von Räumen« (1974) praktische Übungen und Sichtweisen auf die Stadt sowie das Gebaute liefert und das, was sich darin abspielt. Außerdem schmückt ein Zitat von Bruno Latour, dem alten Scherzkeks, ein ganz besonderes alltägliches Element der Baukunst. Finde es!

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Hereinspaziert.

»Wir behaupten sogar, dass der zentrale Eingang, der die Leute wie durch einen Trichter in ein Gebäude führt, schon von seiner Beschaffenheit her Macht ausstrahlt; das Muster vieler offener Stiegen, die von den öffentlichen Straßen direkt zu den Privattüren führen, strahlt hingegen Unabhängigkeit, beliebiges Kommen und Gehen aus.« [Christopher Alexander 1977, S. 806]

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»Praktische Übungen Von Zeit zu Zeit eine Straße beobachten, vielleicht mit etwas systematischer Aufmerksamkeit. Sich dieser Beschäftigung hingeben. Sich Zeit lassen. Den Ort aufschreiben:

Der Haupteingang des Toni Areals

die Zeit aufschreiben:

Zwei Uhr am Nachmittag

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das Datum aufschreiben:

05. Januar 2015

das Wetter aufschreiben:

schön

Aufschreiben was man sieht. Was sich an Erwähnenswerten ereignet. Vermag man zu sehen was Erwähnenswert ist? Gibt es etwas, das uns auffällt?« [George Perec 1974, S. 84-85]

Ein Aufgang ist ein Treppenhaus, das zu anderen Geschossen eines Gebäudes führt. Bekannt ist der Begriff ebenfalls aus der Astronomie. Da bedeutet Aufgang das Erscheinen eines Himmelskörpers über dem Horizont des Beobachters. Weite, Sichtbezüge, Offenheit – Die Aufgänge des Tonis lassen viel Platz für den Horizont.

Hinterer Eingang – Förrlibuckstrasse (Zugang zum Musikclub, Kino, Arbeitsstätten)

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Ein riesiger Klotz aus Beton und Stahl, so der erste Eindruck. Einer, der sichtlich bemüht ist um Industriechic-Ästhetik. Er liegt in einer postindustriellen Stadtlandschaft umgeben von verwobenen Schichten städtischer Infrastrukturen, Verkehrsströmen, Bürogebäuden und modernen (Luxus-)Wohnungsbauten. Da rattert ein Zug vorbei, dort ein Tram, weiter hinten rauscht der Autoverkehr über die Duttweilerbrücke, unter der Bahnbrücke werden Fahrräder geparkt. Vor den Eingängen des Gebäudes versammeln sich RaucherInnen und Sonnenhungrige. Im (Strassen-)Café wird Koffein getankt und geplaudert.


Rampe – Eingang Pfinstweidstrasse

Der Eingang ist das zentrale Element eines Gebäudes. Er ermöglicht Einschluss, Ausschluss, Durchgang. Die Gestaltung des Eingangs sagt viel aus über die Bedeutung eines Gebäudes – pompös, schlicht, geheim, offensichtlich, repräsentativ; Funktionen, Nutzungen, Bilder werden einem Gebäude automatisch mit der Gestaltung der Eingänge eingeschrieben

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Ehemalige Zufahrtsrampe, heute Boulevard


»Das Wichtigste ist, dass sich der Eingang von seiner unmittelbaren Umgebung stark unterscheidet (…) Leg den Haupteingang an eine Stelle, wo er unmittelbar von den Hauptzugangswegen zu sehen ist, und gib ihm eine ins Auge fallende Form, die vor das Gebäude herausragt.« [Christopher Alexander 1977, S. 586]

Tatsächlich bieten die Plateaus am Ende der Treppen und Rampen vor den Eingängen des Toni-Areals einen guten Ausblick auf den Straßenraum und auf das, was sich dort abspielt. Wie ein roter Faden ziehen sie sich auch im Inneren des Gebäudes in Form von Treppenkaskaden weiter und bilden eine Art Grundgerüst des Areals.

Kaskade – im Inneren des Toni

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Haupteingang Toni Areal (Pfingstweidstrasse)


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Offenen Treppen in städtischen Raumen spricht Christopher Alexander eine interessante Wirkung zu: sie hätten eine enthierarchisierende, soziale Bedeutung: »Es geht um folgendes: Eine Gesellschaft, die auf individuelle Freiheit setzt, versucht soziale Strukturen aufzubauen, die von der Person oder Gruppe, die »am Ruder« ist, nicht leicht beherrscht werden zu können. Sie versucht die sozialen Strukturen zu dezentralisieren, sodass es viele Zentren gibt und keine Gruppe übermäßig viel Kontrolle hat (…) Offene Treppen, die eine Ausweitung der öffentlichen Welt darstellen und wirklich bis zur Schwelle jedes einzelnen Haushalts und jeder Arbeitsgruppe führen, lösen dieses Problem. Diese Räume sind dann direkt mit der Welt draußen verbunden. Von der Straße aus erkennt man jeden Eingang als echten Bereich von Menschen – und nicht von Großunternehmen und Institutionen, die die tatsächliche oder potentielle Macht zur Tyrannei haben.« [Christopher Alexander 1977, Muster Nr. 158, S. 807]

Im Inneren – zentraler Platz mit Stammtisch und Zugang zu den Hörsälen

Laut Christopher Alexander bilden kleine Plätze »einen Knoten der Aktivität (…) Es kann sogar durch seine bloße Existenz einen Knoten erzeugen, wenn es richtig am Schnittpunkt von häufig benutzten Wegen angeordnet ist.« Der Stammtisch liegt durchaus an einer häufig frequentierten Stelle: Wer zum Café, in die Mensa oder ins Museum Schaudepot will, kommt hier vorbei. [Christopher Alexander 1977, S. 627-628]

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Plätze bilden ein eminent wichtiges Element für das städtische Leben. Hier kann man sich Müßiggang hingegeben, das Straßengeschehen beobachten, Leute treffen und genau so wichtig, gesehen werden. Das Chez Toni, ein Straßencafé an der Pfingstweidstraße, direkt am Ende der Treppen zu einem der Eingänge, liegt an einem belebten, dynamischen Platz. Hier schlendern FußgängerInnen umher, fahren Trams und FahrradfahrerInnen vorbei und rauschen Autos über die Duttweilerbrücke. Als ruhig kann man diese Ecke wahrlich nicht bezeichnen, dennoch scheinen die Sitzplätze draußen und direkt an den Fensterfronten des Cafés äußerst beliebt zu sein. »Die Straße wird keinesfalls funktionieren, wenn ihre Gesamtfläche nicht so klein ist, dass sie von den Fußgängern gefüllt wird. Leg entlang der Straße häufig Eingänge und offene Treppen an; vermeid innere Gänge, um die Leute herauszubringen; diese Eingänge sollten eine gewisse Zusammengehörigkeit haben und als System betrachtet werden können – die Leute sollten lnnen- und Außenräume mit Blick auf die Straße haben und die Straße sollte eine raumbildende Form haben.« [Christopher Alexander 1977, S. 529]

Piazza – Vorplatz des Haupteingangs Pfingstweidstrasse

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Chez Toni – Café an der Pfingstweidstrasse


Tür

»Mauern sind eine schöne Erfindung, aber wären sie nicht von Öffnungen durchbrochen, so gäbe es keine Möglichkeit, durch sie hindurch zu gelangen; wir wären von Mausoleen und Gräbern umgeben. Wenn man Öffnungen in den Mauern ausspart, fangen jedoch die Schwierigkeiten an, denn jeder beliebige oder alles beliebige kann nun hindurchkommen: Kühe, Besucher, Staub, Ratten, Lärm und, am schlimmsten von allem Kälte. Unsere ArchitektenUrahnen haben daher folgendes Hybridwesen erfunden: ein in der Mauer ausgespartes Loch, im allgemeinen »Tür« genannt.« [Jim Johnson; 2006]

Eingang Rückseite – Duttweilerstrasse

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Die Türen im Toni zeichnen sich durch viel Glas aus; Transparenz ist hier das Credo. Nicht nur die Außentüren zur »Öffentlichkeit«, sondern auch die Türen innerhalb des Tonis beinhalten häufig Partien aus Glas. Sichtbezüge schaffen, Ermöglichung von Kollaboration und Austausch; das Toni als Stadt in der Stadt setzt auf Partizipation.


Große, dreidimensional schiefe Lettern machen auf die Eingänge bei der Tramhaltestelle und der Betonrampe aufmerksam. Auch im Gebäudeinnern werden die großen Buchstaben aus Stahlblech als Orientierungshilfe eingesetzt: sie bezeichnen die jeweiligen Stockwerke. Abgesehen von dieser funktionalen Beschriftung finden sich keine weiteren Elemente der Kategorie Kunst am Bau. Das ToniAreal, schon von weitem als ein grausam großes, graues Gebäude erkennbar, frönt stattdessen der rohen As-Found-Ästhetik.

Toni Areal – 3 D-Logo an der Pfinstweidstrasse

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»Wenn die größeren Wege durch und neben einem Gebäude wirklich öffentlich sind und durch einen Gebäudevorsprung, eine niedrige Arkade mit Öffnungen zum Gebäude – viele Türen, Fenster und durchbrochene Wände – überdacht werden, dann fühlen sich Menschen von dem Gebäude angezogen; sie sehen, was darin vorgeht und fühlen sich, wenn auch nur im Vorbeigehen, am Geschehen beteiligt. Sie werden vielleicht zuschauen, hineingehen und eine Frage stellen.« [Christopher Alexander 1977, S.627-628]


Von der Molkerei zur Party- und Event-Location zum modernen Hochschulcampus und vielleicht auch zum Leuchtturmprojekt mit internationaler Ausstrahlung? Das Toni-Areal steht sinnbildlich für die Veränderungen in Zürich West, das sich in den letzten Jahrzehnten vom Industriequartier zum Kulturdienstleistungs- und (hochpreisigen) Wohnviertel gewandelt hat. Es handelt sich beim Toni-Areal nicht bloß um einen neuen Hochschulstandort mit regionaler bildungspolitischer Bedeutung, sondern um ein wichtiges Leuchtturmprojekt für die künftige städtebauliche und wirtschaftliche Entwicklung Zürichs. So soll es die hiesige Kreativwirtschaft fördern, neue Urbanität ausstrahlen und die Belebung sowie die Attraktivität des umliegenden Quartiers (weiter) steigern. Ob dies tatsächlich gelingt, wird sich zeigen. Vermutlich müssen die NutzerInnen des Toni-Areals das Gebäude erst einmal annehmen, es für ihre Zwecke nutzen und aneignen lernen bevor es die gewünschte Strahlkraft entwickeln kann. Denn ein Gebäude beginnt erst mit seiner Nutzung wirklich zu leben. Fotos: Lena Wolfart Zeichnungen: Julia Lerch-Zajaczkowska Konzept & Text: Nora Unger, Lena Wolfart, Julia Lerch-Zajaczkowska

LITERATUR — Alexander, Christopher [1977]: Eine Mustersprache Städte – Gebäude – Konstruktion; Löcker Verlag, Wien, 1995. — Benneworth P., Charles D., Madanipour A. (2010): ‘Building localized interactions between universities and cities through university spatial development’, in: European Planning Studies, 18, 10, October 2010, S. 1611-1629. — Etzkowitz H., Webster A., Gebhardt,C., & Terra, B. R.C. (2000): The future of the university and the university of the future: evolution of ivory tower to entrepreneurial paradigm. Research Policy, 29 (2), S. 313-330.

— Johnson, Jim (2006): Die Vermischung von Menschen und Nicht-Menschen: Die Soziologie eines Türschließers. In: Bellinger, Andréa / Krieger, David J. (Hg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld: Transcript, S. 237-258. — Perec, Georges: [1974]: Träume von Räumen, diaphanes, Zürich-Berlin, 2013.

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Toni Areal – Logo an der Duttweilerstrasse


Expertinnen für Irgendetwas – Führungen als Wissensorte. Formate und Potentiale von guided tours.

weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen. Außerdem wird mit der englischen Bezeichnung der guide eine Person bezeichnet, die eine Führung, wobei es keine Rolle spielt welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlt.

Im Rahmen einer Exkursion nach Zürich nahmen wir an mehreren Führungen teil. Thema der Exkursion war die Verknüpfung von Wissensorten mit der Stadt und ihre Rolle in der Stadtentwicklung. Als Wissensorte galten vorwiegend universitäre Orte, sodass wir uns drei unterschiedliche Hochschulen in Zürich anschauten. Im Vordergrund standen deren Standorte in und ihre Verbindungen zur Stadt, die verschiedenen Bauweisen und die von den Architekt*innen geplante so wie die tatsächlich stattfindende Nutzung. Bei den Führungen fiel uns auf, dass sich die besuchten Orte nicht nur planerisch, strukturell und architektonisch von einander unterschieden, sondern auch, dass die Führungen selbst den Orten auf unterschiedliche Weise Gestalt gaben. Das Wissen, das in einer Führung vermittelt wird, definiert sich nicht nur aus den Fakten über den jeweiligen Ort, die sich jede*r anlesen könnte. Es wird zudem durch die Profession und das fachspezifische Wissen des jeweiligen guides, aber auch massgeblich durch das individuelle Interesse und die persönliche Meinung und Einstellung der Person geprägt. Unsere Erfahrungen zeigten darüber hinaus, dass sowohl das fachliche und soziale Verhältnis zwischen Teilnehmer*innen und guides als auch das Format der Führung und die Art des Informationsaustausches die Produktion eines für die Teilnehmenden vorher unbekannten Ortes beeinflussen. Gleichzeitig wurde uns klar, dass keine spezielle Qualifikation notwendig ist, um Führungen anzubieten. Jede*r ist Expert*in für irgendetwas, so scheint das Motto. Wir stellten uns also die Frage, wie Führung und vermitteltes Wissen zusammenhängen. Welches Wissen produziert die Führung? Welche Rolle spielen dabei der guide selbst und sein Verhältnis zu den Teilnehmenden? Und wie produziert das vermittelte Wissen den Ort selber? Während unserer Woche in Zürich fielen uns bestimmte, sich in den unterschiedlichen Führungen wiederholende Begriffe auf: Transparenz, Lichtkonzept, Farbakzente, Parzellen, Sichtachse und repräsentativ sind nur einige der Wörter, die uns regelrecht zu verfolgen schienen. So unterschiedlich die Führungen auch waren, konnten wir durch die Begriffe immer wieder Verknüpfungen herstellen. Folglich begannen wir auch auf Grund dieser wiederkehrenden Begriffe, zunehmend nicht nur auf den Inhalt der Führungen zu achten, sondern uns über das Format Führung selber Gedanken zu machen. In der Auseinandersetzung mit dem Thema entstanden während unserer Exkursionswoche und darüber hinaus verschiedene Annahmen

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Wir alle kennen sie, die Führung. An einer Führung, einer guided tour, nehmen wir teil, um etwas über einen Ort – sei es ein Gebäude, eine Stadt oder ein Stadtteil – zu erfahren. Wir wollen den Ort kennenlernen, Informationen zu seiner Geschichte oder Planung erhalten, von Ortsansässigen oder von Expert*innen 1 an das Alltägliche oder das Spezifische des Ortes herange1 — In diesem Artikel wird die Geschlechterschreibweise mit Gender Gap verwendet, führt werden. Aber was macht eigentlich eine in der ein Sternchen eine Lücke für die Menschen lässt, die sich nicht ausschließlich Führung aus und wie können wir das in einer oder entschieden dem männlichen oder Führung vermittelte Wissen bewerten?


Führungen als wandernde Orte des Wissens Unsere Auseinandersetzung mit dem Thema der Führung basiert auf Erfahrungen der besuchten Führungen, so wie einer selbst konzipierten und durchgeführten Führung. Im Vordergrund dieses Artikels sollen also Führungen, guided tours stehen. Gleichzeitig spielt das Exkursionsthema Wissensorte ebenfalls eine Rolle, denn wir betrachten die Führung als solche ebenfalls als Wissensort. Dieser ist möglicherweise nicht an einen bestimmten Punkt gebunden, da sich Führungen meist bewegen. Dennoch ist die Führung als wandernder Wissensort stets zu lokalisieren und steht oft in Verbindung zu sehr spezifischen Orten. Die erste Führung in Zürich fand im Toni Areal statt, in dem seit ungefähr einem Jahr die Züricher Hochschule der Künste (ZHdK) zu Hause ist. Eine Professorin des Studiengangs Kunst und Vermittlung, die ausserdem Koordinatorin der Exkursion war, zeigte uns unterschiedliche Seminarräume, Werkstätten, Ateliers und Büros sowie die architektonischen Besonderheiten des Gebäudes. Beispielsweise die grosse Kaskade, die durch das gesamte Gebäude führt und das Gebäude wie einen Teil der Stadt wirken lässt, der öffentlich zu durchqueren ist. Da die Zürcher Studierenden und Lehrenden sich in einer ähnlichen Situation befinden wie wir (Umzug der Universität von unterschiedlichen Standorten in ein neues oder neu umgebautes Gebäude mit hohem architektonischen Standard, in dem Ästhetik teilweise vor Nutzbarkeit zu stehen scheint), wurde die Führung schnell zu einem Austauschformat über Baumängel, Nutzungspraktiken und Bedeutung freier Flächen, Bürostrukturen und Arbeitsbedingungen und -atmosphären im Fokus einer omnipräsenten Transparenz. Durch die Gemeinsamkeit auf sozialer und fachlicher Ebene fand die Führung eher als Austausch, Rundgang und Vergleich der universitären Gebäude, Nutzbarkeit, Aneignung und (städte-)baulichen Erfolgen sowie Schwächen statt. Dabei fand die Kommunikation nicht hierarchisch von guide zu Teilnehmenden statt. Während unsere Begleiterin vor allem die Richtungen angab und auf einige Besonderheiten am Bau sowie Kuriositäten in der Nutzung hinwies entwickelten sich wechselnde Gespräche zwischen Studierenden und Lehrenden. Eine erste offiziellere Führung erwartete uns in der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH), deren Campus oberhalb der Stadt auf dem Hönggerberg erbaut wurde. Als offizieller bezeichnen wir diese Tour darum, weil unser guide Mitglied des offiziellen Führungs-Teams der ETH war. Mit dieser Information im Hinterkopf waren wir überrascht, einen Master Studenten der Ingenieurswissenschaften anzutreffen, der nicht viel älter schien als wir. Wir hatten einen Vertreter erwartet, der sämtliche Vorzüge, Auszeichnungen und Alleinstellungsmerkmale dieser international anerkannten Elite-Universität aufzeigt. Es wurde jedoch sofort spürbar, dass unser guide sich explizit mit der erwarteten Gruppe auseinandergesetzt hatte. Er sprach uns als Kulturwissenschaftler*innen an und stieg mit einer Frage an uns als Expert*innen in die Tour ein, die ihn in der alltäglichen Nutzung/ Aneignung des Campus beschäftigte. Die Führung verlief nach einem klaren Muster und wir liefen strukturiert hinter unserem guide

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und Thesen. Bisher gibt es sehr wenig (kultur-)wissenschaftliche Literatur zum Thema Führungen. Wir stützten uns daher vorwiegend auf eigene empirische Daten, auf eigene Beobachtungen und Reflexionen unserer Erfahrungen.


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her, um an Orten halt zu machen, an denen es etwas zu berichten oder zu sehen gab. Die Führung war vorwiegend auf die Architektur und die unterschiedlichen Bauweisen und -zeiten der verschiedenen Gebäude und deren Zusammenspiel als Campus ausgerichtet. Unser guide lieferte uns allgemeine Fakten rund um die Bauwerke und speziellen Forschungsfelder der ETH, für die die Lage auf dem Land und entfernt vom Stadtkern wichtig ist, suchte jedoch gleichzeitig den fachlichen Austausch mit uns und wurde nicht müde, nach unserer Meinung zu fragen. Es schien fast, als wäre er froh mit seinen Fragen an die Gebäude und die seines Erachtens fehlende Campus Atmosphäre auf dem Hönggerberg, in uns adäquate Gesprächspartner zu finden. Wir standen vielen planerischen Ideen und Umsetzungen ebenfalls kritisch gegenüber. Wider Erwarten entwickelte sich diese Führung obgleich ihrer klaren Struktur und des offiziellen Vertreters der Universität als zielgruppengerecht und interdisziplinär reflektierend mit einer Kommunikation zwischen Teilnehmenden und guide auf Augenhöhe. In einem deutlichen Kontrast zu den bereits genannten Führungen steht die Tour durch das neue Gebäude der Pädagogischen Hochschule (PH) in unmittelbarer Nähe der ebenfalls neu geplanten Europaallee im Stadtkern von Zürich. Als guide empfing uns die ehemalige Assistentin des Architekten, die zur Zeit der Planung und des Baus aktiv am Prozess beteiligt war. Eine Besonderheit der PH ist, dass im Stadtzentrum durch die Anordnung der Gebäude eine Art öffentlich zugänglicher Innenhof entsteht, auf dem das studentische wie auch das städtische Leben zusammenkommen soll. Die Gebäude erzeugen durch ihre Materialität und rechtwinklige Anordnung jedoch eine eher kühle Atmosphäre und werfen Schatten auf den als Campus geplanten Platz. Hinzu kommt eine spärliche Ausstattung mit Sitzgelegenheiten, die wir als solche erst nach Erläuterung durch unseren guide erkannten. Unseres Erachtens schien eine Nutzung und Aneignung des Platzes durch Student*innen und Menschen, die in der Umgebung arbeiten, eher fragwürdig. Diese Annahme wurde gestützt durch die konsequente Erläuterung der besonderen Materialien, der aussergewöhnlichen Bauweise und Planung von Büros sowie Sozialräumen und dem Einsatz von Kunst am Bau. Unser guide vermittelte keinen Zusammenhang zwischen Planung und alltäglicher Nutzung; auf Nachfragen aus der Gruppe zu diesem Thema wurde die Nutzung der Flächen, Räume und des Mobiliars lediglich vom Grad der Materialabnutzung hergeleitet. Durch unser konsequentes Hinterfragen wurde deutlich, dass zwischen dem Architekturbüro und den tatsächlichen Nutzer*innen keine Evaluation, Rückmeldung oder Analyse stattfindet. Das Hinterfragen der Informationen, die von der Expertin für Architektur dargelegt wurden, brachten diese zunehmend aus ihrer Rolle und veränderte die Kommunikationsstruktur der Führung. Nachdem wir zunächst mitgelaufen und eher Fakten konsumiert hatten, kam unsere Gruppe an den Punkt, diese so nicht stehenlassen zu können. Unser guide, sichtlich stolz auf die Einzigartigkeit des Gebäudes, vermittelte uns einen Blickwinkel der Fachrichtung Architektur, der uns höchst fragwürdig und nicht dem heutigen Anspruch an ein (universitäres) Gebäude entsprechend erschien. In der dabei entstehenden Diskussion fiel unser guide aus der Rolle und änderte die Kommunikationsstruktur dahingehend, dass sie versuchte, ihr Gesagtes unseren Erwartungen entsprechend zu formulieren und uns in unserer Sichtweise Recht zu geben. Dies führte


Inwiefern produzieren Führungen einen Ort? Kann die Führung als eine Metapher für Orte und somit auch für eine Stadt verstanden werden? Metapher ist ein »sprachlicher Ausdruck, bei dem ein Wort (eine Wortgruppe) aus seinem eigentlichen Bedeutungszusammenhang in einen anderen übertragen wird, ohne dass ein direkter Vergleich die Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem verdeutlicht; bildliche Übertragung«. 2 Folgt man der Annahme, die Führung sei eine Metapher für einen Ort, wäre 2 —http://www.duden.de/rechtschreibung/ Metapher ihr Inhalt – das durch sie vermittelte Wissen, die Fragen die sie aufwirft und all das, was sie offen lässt sowie die Beziehung, die zwischen guide und Teilnehmenden entsteht – demzufolge eine Verdeutlichung, Verbildlichung des Ortes. Dieses Bild entsteht assoziativ und subjektiv, wobei die Führung als Input stets die Basis bildet. Welche Informationen, Fragen und Beobachtungen jede*r Einzelne für sich aus ihr zieht, bleibt dabei offen. Da der guide, wie oben beschrieben, für den Verlauf der Führung eine wesentliche Rolle einnimmt, hängt die Produktion des Bildes von einem Ort gleichermassen von ihm*ihr ab. Da jemand, der eine Führung anbieten will, keine spezielle Qualifikation benötigt, kann angenommen werden, dass jede*r zum guide werden kann, solange er oder sie sich als Expert*in für irgendetwas bezeichnen kann. Expertinnen für Irgendetwas Nach all den Beobachtungen in Zürich hatten sich bei uns also Annahmen und auch offene Fragen zu guided tours entwickelt, sodass es uns reizte, es selbst einmal auszuprobieren. Der zweite Teil unserer Auseinandersetzung mit dem Format der Führung war die Konzeption und Durchführung einer eigenen Tour. Wir wollten uns dem Thema, das wir bisher aus der Perspektive der Teilnehmenden betrachtet hatten, auch aus der Perspektive der guides annähern. Die dadurch gewonnenen Erfahrungen sollten als zusätzliches empirisches Material helfen, unsere Annahmen zu überprüfen und zu erweitern. Geplant war eine Tour an unserer Universität, der HafenCity Universität Hamburg, für eine Gruppe von Kunststudent*innen aus Zürich und Hongkong. Unsere Rolle als guides definierte sich dabei einerseits durch unser Verhältnis zu dem Ort der Führung und andererseits durch unser Verhältnis zu den Teilnehmenden: An der uns vertrauten HCU sind wir in erster Instanz Alltagsexpertinnen. Zusätzlich dazu haben wir uns in bestimmten Bereichen spezifisches Fachwissen und Fakten über die Universität bzw. das Gebäude angeeignet. Aus diesen beiden Formen des Wissens, über das wir verfügen, resultierte das Thema der Führung. Sie setzte sich grösstenteils mit dem Aspekt der tatsächlichen Nutzung des Gebäudes auseinander. So wollten wir Schleichwege benutzen und Formen der Aneignung des Gebäudes evozieren. Unsere Rolle gegenüber den Teilnehmenden zeichnete sich dadurch

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allerdings eher dazu, dass wir ihre Rolle als guide und Expertin noch weniger ernst nehmen konnten. Angesichts dieser unterschiedlichen Führungen treiben uns folgende Fragen um: Wie wären die einzelnen Führungen verlaufen, hätte uns beispielsweise das Präsidium der ZHdK durch das neue Gebäude geführt, ein Professor für Architektur durch die ETH oder eine Pädagogik-Studentin durch die PH? Wie würde sich das gesammelte Wissen verändern und damit unsere Wahrnehmung der Orte?


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aus, dass sie auch Studierende waren, die wir grösstenteils bereits kannten. Dadurch war eine verhältnismässig hierarchiefreie Begegnung absehbar, die durch das von uns gewählte Format der Führung aufgegriffen und verstärkt wurde. Trotzdem wurden wir in unserer Rolle als Expertinnen angenommen. Spannend waren zwei Faktoren, die uns teilweise aus dieser Rolle herausfallen liessen: Zum einen ein weiterer HCU Student – also ebenfalls ein Experte – unter den Teilnehmenden, der sein Wissen in die Gespräche einbrachte und somit teilweise spontan unsere Aufgabe, die des Erklärens von Fakten, übernahm. Zum anderen die Anwesenheit einer teils beobachtenden, teils teilnehmenden Lehrperson, wodurch für uns eine Prüfungssituation hervorgerufen wurde. In ihrer Gegenwart war es ungewohnt als richtungsweisende und Aufgaben erteilende Personen aufzutreten, also die alltäglichen Rollen zu tauschen. Zur Vorbereitung unserer Tour hatten wir an einer von der Universität angebotenen Führung teilgenommen, eine zwar klassische Führung, die aber trotzdem genug Raum für spontane Fragen und Diskussionen und daraus entstehende Themen gelassen hatte. Ausserdem sprachen wir mit einer für die offiziellen Führungen mitverantwortlichen Person, die über besonders viel fachliches Wissen über die HafenCity Universität und das Gebäude verfügte. Ein weiteres Gespräch führten wir mit einer Expertin zum Thema künstlerische/performative Führungen, was für uns schon aufgrund des Mangels an Literatur zu dem Thema sehr hilfreich war. Wir entwarfen eine Tour, die sich aus drei Teilen zusammensetze: Im ersten Abschnitt zeigten wir der Gruppe die oberen Stockwerke des Gebäudes, wobei wir dem Muster einer klassischen Führung folgten. Wir wählten im Voraus bestimmte Orte aus, an denen wir stehen blieben um etwas zu zeigen und zu erklären. So lieferten wir bestimmte Fakten zum Gebäude der HCU. Wir begannen die Tour am verschlossenen Ausgang zur Dachterrasse. Auf dem Weg zu den anderen Stockwerken nutzten wir verschiedene Treppenhäuser, sowohl das zentrale, häufig genutzte, als auch die kleinen, versteckten geheimen Treppen. Im zweiten Teil unserer Tour wollten wir versuchen, die stringente Wissensvermittlung die allein von den guides ausgeht, zugunsten eines offeneren, interaktiven Austausches aufzubrechen. Dazu sollten die Teilnehmenden in Gruppen die unteren Stockwerke (welche wir in unserem Unialltag am häufigsten nutzen) erkunden und Aufgaben erfüllen. Sie waren dazu aufgefordert, sich als Gruppe einen bestimmten Ort auszusuchen, der in irgendeiner Hinsicht ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, und diesen mit assoziativ gesammelten, auf Post-its notierten Begriffen zu kennzeichnen. Abschliessend wollten wir mit der gesamten Gruppe diese Orte besichtigen und in eine gemeinsame Diskussion über die ausgewählten Orte übergehen. In der Durchführung bereitete uns zunächst einmal das Zeitmanagement ein Problem. Es war schwieriger als gedacht, die ganze Gruppe durch das belebte Gebäude zu navigieren und wir benötigten insgesamt mehr Zeit als vorhergesehen. Ausserdem wurde uns klar, dass es schwierig aber von enormer Bedeutung ist klare Ansagen zu machen.


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Auch wenn man keine Hierarchie erzeugen will, ist eine deutliche und unmissverständliche Moderation erfolgsentscheidend und zeitsparend. Die von uns gestellten Aufgaben wurden schnell angenommen und bearbeitet, obwohl der Auftrag recht offen formuliert war. Spannend waren für uns vor allem die Themen und Aspekte, die von den Teilnehmenden zur Sprache gebracht wurden. Grösstenteils waren es dieselben Themen, die auch für uns HCU-Studierende zur Diskussion standen. Dazu zählen zum Beispiel die Nutzung und Aneignung der unverputzten Betonwände – bei uns aus Gründen der Brandschutzverordnung untersagt aber trotzdem permanent praktiziert – oder die augenscheinlich problematische Konzeption der Arbeitsbereiche, bei denen aufgrund der Offenheit ein hoher Lärmpegel herrscht. Auch die Überproportionalität der nicht funktionalen, repräsentativen Flächen wurde thematisiert, von manchen negativ konnotiert (zu viel Platz, fehlende Sitzmöglichkeiten), von anderen positiv („free space“). Immer wieder wurde auch auf die verschiedenen Materialien, auf Kontraste und daraus resultierende Atmosphären eingegangen. Interessant war für uns auch ein anderer der ausgewählten Orte, der als eine Art Geheimversteck (»hidden«, intimate«, »observation spot«) identifiziert wurde und der bei einer klassischen Führung wohl nicht beachtet worden wäre. Eine Teilnehmerin fand in einem Seminarraum einige Stücke Kreide und begann ihren Weg durch das Gebäude mit einer Kreidelinie an der Wand zu markieren.


Was uns unsere Führung verdeutlicht hat, war aber auch, dass es extrem schwierig ist, innerhalb einer Führung klassische Elemente einer stringenten Wissensvermittlung mit eher spielerischen, interaktiven Methoden zu vermischen. Der Spagat zwischen diesen beiden Modi ist uns wohl nicht so gut gelungen, wie erhofft. So waren die unterschiedlichen Teile der Führung stark voneinander getrennt. Aufgrund der gemachten Erfahrungen stellt sich uns nun die Frage, wie es möglich ist, die Vermittlung von Informationen und Fakten über einen Ort mit performativen, interaktiven Elementen zu vereinen, um die nur in eine Richtung verlaufende Wissensvermittlung zugunsten eines Dialoges aufzubrechen. Denn unsere Erfahrungen mit Führungen haben uns gezeigt, das wirkliches Lernen oft erst dann stattfindet, wenn man als Teilnehmende*r nicht nur Wissen konsumiert, sondern in ein Gespräch, in einen gegenseitigen Austausch kommt. In dem Format der Führung steckt viel mehr als die Möglichkeit blosser Wissensvermittlung, denn es trägt das Potenzial in sich, guides und Teilnehmende von dem Wissen der jeweils anderen profitieren zu lassen und so letztendlich neues Wissen zu schaffen. Die Frage ist nur, wie man diese Wissensproduktion gestaltet und

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Sie sagte, das Gebäude käme ihr so überproportional gross und die Wände extrem hoch vor, sodass sie dieses Missverhältnis mit den Markierungen festhielt, die sie in einer für sie angemessenen Höhe anbrachte. Diese ungeplante Intervention zusammen mit den Post-it-Zetteln war genau das, was wir uns von der Führung unter anderem erhofft hatten: Spuren der Aneignung, die noch über Wochen hinweg im Gebäude zu sehen waren und die den Besuch der Studierenden anderer Universitäten und ihre Eindrücke von unserem Gebäude (temporär) in das Gebäude einschrieben.


Führungen als Forschungsmethode Der Tourismus hat das Format der Führung schon lange für sich erschlossen. Dabei ist auffällig, dass immer mehr alternative Führungen und Rundgänge zu speziellen und kleinen Themenbereichen angeboten werden, bei denen Kunst/Performance und touristische Stadtführung verschmelzen. Zunehmend spielen aber auch Künstler*innen mit dem Format der Führung. Denn gerade wenn man Führungen – ob in ihrer klassischen Form oder als partizipatives, spielerisches Vorgehen – als Methode begreift, um sich kollektiv mit einem Ort auseinanderzusetzen, erkennt man ihr Potenzial als Forschungsmethode in der Stadtforschung. Um die Führung als solche zu nutzen und zu etablieren, müssen aber vor allem die Rolle des guides, der Teilnehmenden und der Kommunikationsstruktur in der Produktion von Wissen reflektiert werden. Umso erstaunlicher ist es für uns, dass die (kultur-)wissenschaftliche Literatur sich dem Thema bisher eher spärlich zuwendet – und umso mehr sehen wir uns in unserem Vorhaben bestätigt, uns mit dem Thema der Führung auseinanderzusetzen. Selina Müller, Lisa Noel

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inwiefern man den gegenseitigen Austausch von Wissen planen oder vorgeben kann und will bzw. inwiefern dieser Austausch spontan geschieht, wenn nur – und darin gleichen die Führungen der gebauten Architektur – genügend Freiräume für spontane Interventionen und Interaktionen der Teilnehmenden bzw. Nutzer*innen vorhanden sind. In der Auseinandersetzung mit dem Format der Führung konnten wir also verschiedene Potenziale entdecken. Führungen produzieren Wissen; massgeblich wird diese Wissensproduktion von der Rolle des guides und von seinem Verhältnis zu den Teilnehmenden, das heisst durch die jeweilige Kommunikationsstruktur, beeinflusst. Durch das kollektiv hergestellte Wissen über einen Ort wird der Ort selber (re-)produziert. Gleichzeitig sehen wir die Führung als eine Metapher eines Ortes oder einer Stadt sehen, wobei diese Verbildlichung der Stadt/des Ortes stets assoziativ und subjektiv ist und wiederum je nach guide, mit seinem Fachwissen, der Performance und der Kommunikation mit den Teilnehmenden variiert. Diese Analogie zwischen Führung und Metapher ist allerdings bisher nur unsere Annahme und muss noch fundierter untersucht werden.


What would you do if a stranger offered you a candy in a public space? A Sweeter Journey is an ongoing artistic exercise in the form of a social experiment. The project undertook a comparative study of social interactions, or the lack of it, in public spaces, such as that of mass transport systems. Initiated in Hong Kong, the project extended its geographical scope to Mumbai, ZĂźrich and Hamburg. The project manifested itself across different mediums at different stages. It began as a performative act in public spaces, in which I directly interacted with the audiences. The act, recorded as video footage, formed the basis for further artistic exercise; painting. The paintings distill my journey across three very different cities. Through the development of the paintings, I was able to freeze very special fleeting moments, in which I shared temporary yet extraordinary relationships with strangers. A relationship built on

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Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch | A SWEETER JOURNEY

A SWEETER JOURNEY


Siddharth Choudhary

Hong Kong

Zürich

Mumbai

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Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch | A SWEETER JOURNEY

trust, faith and mutual respect. Working each canvas layer by layer allowed me to stretch the moment over weeks and engage with it in a personal way. As I commute by public transport systems in Hong Kong, India or elsewhere, I can not help but wonder why an integral public space, where millions of commuters spend a substantial amount of time each day should remain a place for deliberate social disengagement and isolation. Through my project A Sweeter Journey, I attempted to get past the unsociability and create an enjoyable social exchange. Would the commuters be receptive to such an exchange should an opportunity present itself ? To find out, I intervened in transport systems of various cities by distributing pieces of candy to commuters unknown to me. A simple and seemingly harmless action lends itself to being read in various ways, depending on age, gender, ethnicity of the participants as well as their social and cultural contexts. My aim was to evoke a response, hopefully positive. In its development, the project evolved conceptually and was accordingly altered. For the experiment to be successful it was imperative that its condition be constant across all cities. For example, an intervention in Mumbai’s trains carried out by me with Indian ethnic origin could not be equated with the same act by me in Zürich or in Hong Kong. In the latter, my gesture and motivation were more likely to be misconstrued owing to my nationality, linguistic limitations, ethnicity and related social and cultural connotations, thereby contaminating the experiment. I, therefore, facilitated the experiment in Zürich with the help of local volunteers. Back in Hong Kong, I am in the process of redoing the experiment, to be carried out by the locals. I would be be keen to see if there indeed exists a difference in audiences’ response to the same act by a local or a foreigner.


Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch | Polluta: Floating Artist Colony in the Sky / Polluta: die am Himmel schwebende Künstlerkolonie

Polluta: Floating Artist Colony in the Sky / Polluta: die am Himmel schwebende Künstlerkolonie

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Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch | Polluta: Floating Artist Colony in the Sky / Polluta: die am Himmel schwebende KĂźnstlerkolonie


In 2084, Plan Polluta solves China’s pollution issue—industrial waste is condensed into building bricks, and these bricks build green vibrant live/work communities for artists!

FUNG Kuen-Suet, Michelle

— Im Jahr 2084 löst der Polluta-Plan Chinas Umweltkrise: aller Industrieabfall wird zu Bausteinen verdichtet, mit denen schliesslich lebenswerte, grüne Künstlerkolonien gebaut werden. Meine Arbeit besteht aus zwei Teilen: einer kleinen Broschüre und einer Performance im Hong Konger Ausstellungsteil. Die Broschüre “Einführung für Einwohner Pollutas” ist eine nicht ganz ernst gemeinte Gebrauchsanweisung für neue Einwohner Polluta. Die Kolonie scheint zu gut, um war zu sein. Die schlechte Nachricht ist: sie ist tatsächlich zu gut. Diese Anfangsidee bekommt eine zusätzlich Erlebnisdimension durch Live-Interviews, die ich, in der Rolle der Vorsitzenden des Polluta-Ministeriums, mit Ausstellungsbesuchern während der Eröffnung führen werde. Die Gespräche umfassen praktische Fragen des Lebens in solch einer Kolonie, die bis and den Rand der Lächerlichkeit reichen. Die Interviews zeigen die Absurdität des Polluta-Projekt auf, verdeutlichen gleichzeitig aber auch den inakzeptablen Grad an Umweltbelastung mit dem die Einwohner Hong Kong’s und Chinas schon heute leben müssen. FUNG Kuen-Suet, Michelle

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My work is comprised of two parts—a printed booklet and a live performance at the Hong Kong-venue of the exhibition. The booklet “Residents‘ Guide to Polluta” is a tongue-in-cheek introductory manual for new residents of Polluta. The colony seems too good to be true! The bad news is that it is. The idea is given an experiential and temporal dimension when I, as the president of the Ministry of Polluta, invite visitors to live entry interviews at the opening night. Interview questions range from practical to ridiculous. The absurdity highlights that of the Polluta project, but more importantly, that of the unacceptable level of pollution Hong Kong and China are putting up with.


Das Brettspiel Utopoly ist eine Weiterentwicklung des 1904 von Elizabeth J. Magie als Kapitalismuskritik entworfenen Spiels The Landlord’s Game. Utopoly reproduziert das historische und soziale Gewebe einer Stadt, welches immer von Konflikten und unterschiedlichen Interessen geprägt ist. Gleichzeitig basiert es auf der Auseinandersetzung mit alternativen Orten der drei Städte Hamburg, Hongkong und Zürich, die utopisches Potenzial in sich tragen, aber immer wieder auch von kapitalistischen Strukturen geprägt sind. Utopoly will dies für die Spielenden nicht nur erlebbar machen, sondern auch zu möglichen Alternativen inspirieren. Durch das Hinzufügen von Spielregeln und -elementen haben wir das ursprüngliche Spiel nach der damaligen Praxis modifiziert und aktualisiert. Mit Utopoly laden wir dazu ein, die Bedingungen des »Rechts auf Stadt« zu diskutieren und neu zu denken. Unser Vorbild The Landlord’s Game ist die Grundlage des heute weltweit bekannten Spiels Monopoly. Verbreitung fand das Spiel vor allem über Mund-zu-Mund-Propaganda und leicht veränderte, selbst erstellte Einzelausgaben. Jahrzehntelang galt Charles Darrow, dem die Firma Parker Brothers 1935 das Patent »seines« Spiels abkaufte als Erfinder von Monopoly. Während er bald zum Millionär wurde, geriet Elizabeth J. Magie in Vergessenheit. Erst in den 1970er Jahren wurde aufgedeckt, dass sie die eigentliche Erfinderin des Spiels ist. Die feministische Quäkerin und Anhängerin des Ökonomen Henry George hatte The Landlord’s Game entwickelt, um dessen wirtschaftspolitische Theorien einer breiten Bevölkerung zu vermitteln. Der US-amerikanische politische Ökonom war Mitte des 19. Jahrhunderts der einflussreichste Verfechter der Einheitssteuer auf Grundbesitz, wozu er eigens ein neues Steuersystem entwickelte. Diese Forderung ging aus seinem Grundgedanken hervor, dass Boden und Rohstoffe Gaben der Natur seien und sie nicht durch menschliche Arbeit erzeugt oder vermehrt werden können. Folglich sollten alle Menschen das gleiche Recht auf den Boden und seine Schätze haben.

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Utopoly


Die Enteignung der Volksmasse vom Grundbesitz war für George die Ursache für die Spaltung der Bevölkerung in Arme und Reiche. The Landlord’s Game sollte anschaulich und niederschwellig zeigen, wie monopolistischer Landbesitz die Verarmung der Landbevölkerung verursacht. Im Gegensatz zum späteren und heute noch gespielten Monopoly war Elizabeth J. Magie’s Landlord’s Game anti-kapitalistisch konzipiert. Utopoly greift diesen ursprünglichen Gedanken wieder auf, aktualisiert und erweitert ihn um Potentiale des Utopischen. Utopoly lässt sich herunterunterladen, ausdrucken, spielen, verbreiten und anpassen. Diana Bärmann, Daniel Drognitz, Laura Sabel, Tobias Strebel

In der Reihe »Liebe Feuer Fleisch und Stein« von Tobias Strebel ist ein Video zu Utopoly entstanden.

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»if now was somewhere else« ist ein Live-Audio-Walk. Der Spaziergang fand zeitgleich in Zürich, Hamburg und Hong Kong statt. Während 15 Minuten wurden die Teilnehmenden von drei Stimmen über die jeweilige Brücke geführt. Die Zuhörer_innen befanden sich in einem Kaleidoskop aus Bestandsaufnahmen von drei verschiedenen Situationen. Die wahrgenommene Gegenwart wurde so zur Fiktion. Die drei Erzählerinnen beschreiben Momente, die teilweise mit dem Selbsterleben korrespondierten, sich auf einen anderen Ort bezogen oder auf Texte, die die Brücke als Ort thematisierten. Die auditive Überlagerung kann auf einer Brücke mit folgendem Link selbst erlebt werden. Laura Ferrara / Benjamin Jagdmann / Désirée Meul / Benjamin Pogonatos / Charlotte Sarrazin Projektpartner in Hamburg: Marie Knop, Mara von Zitzewitz Projektpartner in Hongkong: Siddharth Choudhary (Sid), Lau Ming- Wai (Maggie), Cheuk Wing Nam (Wing

— „If now was somewhere else“ is a live audio walk that took place simultaneously in Zurich, Hamburg, and Hong Kong. Over the course of fifteen minutes, participants were led over bridges in their respective cities, while accompanied by narrators and city sounds from all three cities played over loudspeaker. The narrators recited texts taken from a variety of sources, including their own experience, descriptions of their respective surroundings, as well as texts highlighting the bridge as a place in itself. In this way, the visitor’s experience of crossing the bridge was transformed into a kind of fiction. This journey can be relived on any bridge by going to the following link. Laura Ferrara / Benjamin Jagdmann / Désirée Meul / Benjamin Pogonatos / Charlotte Sarrazin Collaborators in Hamburg: Marie Knop, Mara von Zitzewitz Collaborators in Hong Kong: Siddharth Choudhary (Sid), Lau Ming-Wai (Maggie), Cheuk Wing Nam (Wing)

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Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch | If now was somewhere else

If now was somewhere else


In diesem Aufsatz möchten wir verdeutlichen, wie zur Zeit die Diskussion um Wissensarchitektur dafür verwendet wird, städtische Quartiere in spezifischer Weise neu zu strukturieren und Eingriffe zu legitimieren. Das kulturelle Leitmotiv von Bildung und Forschung tritt dabei zunehmend als Flagge auf dem Schiff der Stadterneuerung in Erscheinung. Neben der Tatsache, dass Wissen immateriell ist, hilft es, sich zu vergegenwärtigen, dass es kein Zufall ist, dass genau in dem Moment, in dem Bildungsinstitutionen in zu entwickelnde Stadtquartiere verpflanzt werden, auch ein Diskurs über Wissensarchitektur geführt wird, der sich zunächst eher mit dem Bau von Universitätsgebäuden beschäftigt als mit der strukturellen Organisation von komplexen Systemen. Wir möchten dies anhand von zwei Bauprojekten in der jüngeren Vergangenheit skizzieren: Sowohl im Entwicklungsquartier Zürich West mit dem Bau des Campus ToniAreal wie in der Hamburger HafenCity mit der HafenCity Universität entstanden neue Hochschulstandorte. Von Wissens- zu Investitionsarchitektur In beiden Städten entstand die grundlegende Idee einer städtebaulichen Veränderung zu dem Zeitpunkt, als man erkannte, dass sich in einem zentrumsnahen Industrieareal durch eine Neu- bzw. Umnutzung mit urbaner Ausstrahlung Mehrwerte grösseren Stils erwirtschaften lassen. Selbstverständlich folgen die Grundbesitzer und Investoren den Pfaden der pekuniären Mehrwertschöpfungspotenziale, einem Wertschöpfungssystem, dass sich unter dem dualen Sinnhorizont lohnend – nichtlohnend konstituiert. Für die Investition ist es letztlich nicht entscheidend, wo sie stattfindet: Ob in Moskau, Taipeh oder in Zürich; Hauptsache sie verspricht Mehrwerte. Die unterschiedlichsten Risiken und Unwägbarkeiten können eingeschätzt werden – von möglichen Naturkapriolen, Mode- und Geschmackspräferenzen bis zum Risiko der Enteignung von Kapital. Um die neu geschaffene Immobilienzone attraktiv zu Inszenieren, schaffen namhafte Architekturbüros mit aufwendiger Formensprache und unter Verwendung wertiger Materialien städtische Dioramen. Interessanterweise verspricht die Ansiedlung einer Universität im jeweiligen Stadtentwicklungsgebiet eine attraktive Urbanisierungskatalysatorfunktion: Eine Maschine, die Stadt, wie wir sie kennen, erst werden lässt. Die neuen Hochschulen können in ihrer globalen Vernetzung einerseits weit über die Stadtgrenzen hinaus strahlen, andererseits bringen sie junge Menschen ins sonst eher hochpreisoptimierte Quartier der vornehmlich männlichen Führungskräfte-Midager. So heißt es im Masterplan des größten Hamburger Stadtentwicklungprojektes aus dem Jahr 2006, dass »die Studierenden nicht primär in der HafenCity wohnen, sondern durch ihre Wohnortwahl außerhalb der HafenCity positiven Einfluss auf die Sozial- und Dienstleistungsstruktur benachbarter Quartiere ausüben und so zur sozialräumlichen Integration der HafenCity beitragen sollen«. Selbstverständlich bieten grosse Neubauquartiere die Möglichkeit, erweiterte Raumbedürfnisse der Akademien aufzunehmen. Man kann aber die Gründung einer selbsternannten Universität für Baukunst und Metropolenentwicklung auch als eine gewisse Unver-

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Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch | Wissensarchitektur: Über Statisten und Sinnhaftigkeit

Wissensarchitektur: Über Statisten und Sinnhaftigkeit


Schmuckeremiten Im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert wurde es Mode der Adelsgeschlechter, sich zur Kennzeichnung der erreichten Macht Schmuckeremiten zu leisten. Diese Menschen band man in die englischen Landschaftsgärten ein und gab ihnen eine Aufgabe: Sie sollten gegen ein geringes Salär auf dem Anwesen unter ärmlichen Bedingungen, etwa in einer Höhle oder einer kargen Holzhütte, leben und die Bibel lesen – doch ihre Hauptaufgabe war, sich gelegentlich zu zeigen. Ein komisches, absonderliches Gebaren sowie ein für heutige Begriffe ungepflegtes Erscheinungsbild wurde gerne in Kauf genommen, wenn nicht sogar erwartet. Der Schmuckeremit war das passende Menschenmaterial für die Ausstattungen eines zeitgemäßen Landschaftsgartens. Der adelige Besitzer konnte mit

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frorenheit, die einer zum Hegemonialen neigenden Überheblichkeit entstammt, deuten: »Wir exportieren nicht nur Schiffe, Stadien oder Philharmonien, wir nehmen auch gerne Bestellungen für ganze urbane Millieus entgegen, in Asien, Afrika, Südamerika«. Dabei dienten doch Universitäten ursprünglich höheren Zielen. Zumindest wollen uns die Allegorien, die ihre Fassaden schmücken, dies weismachen: Uneigennützig und unablässig wurde hier zu Gunsten der Sozietät geforscht, gelehrt und zur Freude der akademischen Gemeinschaft auch Orchideenfächer zur Blüte getrieben. Nicht selten liegen den Universitäten Gründungsmythen in der Wiege oder Überväter, die als Namensgeber dienen, werden als geistige Paten zitiert. Häufig wurde repräsentativ und bisweilen protzig gebaut. Die spätere Maxime »Wissen ist Macht« war dem akademischen Denken stets immanent – schließlich hing das Wohl einer Gemeinschaft und deren Zukunft von der Akademie ab. An der glorreichen, hoffnungsvollen und durch und durch positiven Zukunft, wollte man auf jeden Fall auch als gestaltende Instanz teilnehmen. Zu einem städtischen oder dörflichen Entwicklungsquartier gehörte als unmittelbare Zentralität die Gründung einer Kirche; Heute ist es eher eine Hochschule. Die Art dieser Hochschule ist nicht unentscheidend für den Erfolg des Stadtquartiersentwicklungsprozesses. Doch warum sind es gerade mit ZHdK und HafenCity Universität zwei akademische Einrichtungen, die sich Kunst beziehungsweise Baukunst verschrieben haben? Es scheint gerade auf die Unterschiede in den Wissenschaften und insbesondere in der Praxis der Wissens-Schaffung anzukommen. Schon allein die Vorstellung, chemische Laboratorien oder ein Institut für Schwerionenforschung im Toni-Areal oder in der HafenCity zu platzieren, ist schlichtweg wenig sexy. Die Kenngröße für die anzusiedelnde Hochschule besteht nur teilweise in ihrer wissenschaftlichen Reputation. Vielmehr ist entscheidend, dass man die wissenschaftliche Einrichtung als ein spezifisches Bild ihrer selbst inszenieren kann: Wissenschaftsglaube bzw. Wissensarchitektur als Mantra. Dass in die Gründungszeit der HafenCity und Zürich-West auch gerade die Reintegration der Künste in die akademischen Diskurse fällt, mag sich als echte Zukunftschance oder auch als Farce erweisen. Das gelegentliche Unbehagen der Studierenden an diesen Universitäten entsteht nicht zuletzt, dass sie wesentlicher Bestandteil dieser großen Inszenierung sind, bei der sie ungefragt eine Rolle spielen und deren Reflexion ihnen zuweilen enorm schwerfällt. Sie sind sich innerhalb ihrer Ausbildungsprogramme gar nicht bewusst, dass sie hier eine Statistenrolle bekleiden.


Eremitage ZHdK – Eremitage HCU Doch was macht eigentlich das Surplus der Wissensarchitektur für ein zu monetarisierendes Viertel aus, wenn der von der Hochschule produzierte Inhalt letztlich zweit- oder drittrangig ist? Auch hier lohnt sich ein Vergleich mit den prämodernen Schmuckeremiten: Ein geschaffener Mehrwert ergab sich für den Gutsherrn höchstens unmittelbar. In unseren Hochschulen haben wir große Fenster, man kann reingucken und etwa die Eremiten, die dort Tanz studieren, betrachten und sich an ihrem Anblick erfreuen. Sie sind ein Konsumgut geworden. Die Marketingabteilungen werden möglicherweise schon bald Mittagsführungen für die geschäftige Nachbarschaft durch die Hochschule anbieten. Das attraktive Moment heutiger Schmuckeremiten an Universitäten und Hochschulen ist nichts schöngeistiges, sondern eine spezifisch sexuelle Form. Philosophisches Theater Prinzipiell hätte der moderne Schmuckeremit ja eine gesicherte Zukunft. Immerhin unterhält er das Publikum und wird so zum veritablen geldwerten Standortvorteil. Die modernen Schmuckeremiten vermieden es bisher, sich ihre Anwesenheit sachgerecht

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seinem Schmuckeremiten prahlen, Geschichten über schräge Zusammenkünfte mit ihm erzählen. Dabei ist dieser eine Ergänzung des Gartenbildes und sich seiner Rolle bewusst. Ähnlich geriert es sich mit der Situation der Studierenden in den angesprochenen neuen Wissensarchitekturen: Anstelle eines Landschaftsgartens gibt es ein Stadtgebiet, in dem sich der studierende Einzelne zu zeigen hat und zur Stadtteilbelebung beitragen soll, was nichts anderes meint, als sich den angestammten legitimen Bewohnern mit allerlei Schrägheiten zu zeigen, als Gesprächsstoff und zur Belebung der Straßendioramen zu dienen. Um dies bestmöglich zu garantieren, gibt es den Wissensarchitekturkanon: Und der besteht vor allem aus Durchlässigkeit oder Transparenz. Man kann schauen, was die vielen Schmuckeremiten da treiben! Gelegentlich laden sie sogar zu Ausstellungen ein. In ihrer Mensa kann man günstig Speisen zu sich nehmen und ihre abstrusen, weltfremden und naiven Erörterungen beobachten, die weit entfernt sind von der erstrangiger Verwertungslogik: connecting generations, giving images of visionary futures (so könnte beispielsweise der Claim der knackigen Bildungsförderung lauten). Nun wird gerne argumentiert, dass dies nicht die einzige Funktion der Universität sei, schließlich wird hier akademischer Nachwuchs ausgebildet, vielleicht sogar Forschung betrieben usf. Diese Argumentationslinien deuten darauf hin, dass man der eigenen Rolle gerne mehr Relevanz zuschreiben möchte; als ob die vermeintliche Irrelativsetzung die Betroffenen narzisstisch kränke. Zum einen sei gesagt, dass mitunter die Rolle nicht nutzlos und schon gar nicht wertlos ist – zumindest momentan, wo das wirtschaftliche System sich einen geldwerten Vorteil aus der Ansiedlung von Schmuckeremitenuniversitäten und Schmuckeremitstudierenden sieht –, zum anderen, dass diese Ausbildung ja durchaus akademisch qualifiziert. Etwa zum Supereremiten oder zu denjenigen, die die Eremitagen verwalten oder neue Refugien für sich und ihresgleichen erschließen – es gibt noch genügend Entwicklungsquartiere, die nach Universitäten dürsten – oder die Beschäftigungsinhalte für die Eremiten erstellen. Die postmoderne Form der Wissensproduktion ist ein Füllhorn ohne Boden.


Frank Müller, Tobias Strebel, Max Walther

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vergüten zu lassen. Den Mehrwert der Arbeit streicht – wie könnte es auch anders sein – der Besitzende ein. Die Eremiten könnten (und sollten) prinzipiell als Dienstleister ein gerechtes Salär bei der Stadtentwicklungsgesellschaft, den Immobilieneigentümern und nicht zuletzt den Bewohnern des attraktiven Wohnviertels einfordern. Dazu fehlt ihnen aber neben ausreichend Chuzpé auch die notwendige Reflektion über die Rolle in der Inszenierung. Es wäre auch die einzige wirksame Irritation des Wirtschaftssystems. Selbst der vor Ihnen liegende Text besitzt, egal wie aufrührerisch er geschrieben sein mag, kaum den Inhalt, der eine Reaktion rechtfertigen würde: Wir könnten uns nackt vor unsere Universitätsgebäude stellen und so lange schreien, bis die Polizei uns verhaften würde. Wir hätte damit unsere Rolle als Schmuckeremiten hervorragend erfüllt! Oder wir könnten die vielen Fensterscheiben zukleben, um uns der Beobachtung zu entziehen, wir könnten wilde Drohungen gegen unsere Beobachtenden aussprechen: Auch so würden wir – wenn auch anders schräg – unsere Daseinsberechtigung erfüllen. Gerade diese Schräge vermittelt die Öffnung der Türen des Denkens und bietet den vordergründigen Nachweis, dass die Stadt offen für das Fremde ist, das sich hier zeigt – die zur Schau gestellte Offenheit ist unter Marketingaspekten betrachtet Bares wert.


I visited the cemeteries in Zurich, Hamburg and Hong Kong. I saw some headstones, which have been renewed from 19th to 21st century. Throughout those centuries, there are lot of changes, such as discontinuation of churchyard, protestant reformation, WWII, computer invention, digital world development and so on. However, many families’ graves are kept there. It is a sign of resistance to the rapid change in this modern century. When I strolled around the cemetery, I felt that I was visiting their homes. Every family headstone has its own structure. In some families‘ graves, each family member has he/she own headstone separately; however, some headstones are like a genealogical record of a family, engraving every family member name on a headstone, from fathers to sons, mothers to daughters throughout centuries. I believe that this expresses their wish to dwell to this final resting place together as a family. I listened to the sound file recorded in Zurich. I heard that there was the sound of children walking on the rocks (actually for the Zurich they always play in cemetery in daytime). As an interdisciplinary sound artist, those footsteps have inspired me to become the key element of my sound sculpture which you are listening. Those back and forth footsteps are like the ghosts / spirits of those who were buried in this cemetery, walking back to their family graves as their final resting places. Today it is very common to travel: people migrate to other countries, they live in foreign countries for many years, and they may even forget what their family members at home look like. However in this world of continuous movement the notion of “going home” at the end of one’s life – to rest in peace – still gives peace of mind. People may not have seen each other in a lifetime, but they take comfort in the prospect of staying together after life. This idea has never changed. CHEUK Wing-Nam

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Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch | Necropolis: A City of Last Homes / Nekropolis: Eine Stadt aus letzten Ruhestätten

Necropolis: A City of Last Homes / Nekropolis: Eine Stadt aus letzten Ruhestätten


Die heutige Zeit ist geprägt von Wanderungen: Menschen verlassen ihre Heimat, ziehen in/durch verschiedene Länder, leben viele Jahre in der Fremde, vergessen möglichweise sogar, wie ihre Angehörigen daheim aussehen. In dieser Welt der dauernden Bewegung spendet die Vorstellung, am Ende des Lebens »heimzukehren«, jedoch immer noch Trost. Familien mögen sich zu ihren Lebzeiten nicht gesehen haben, die Aussicht aber auf ein Zusammensein nach dem Tod hilft dem Seelenfrieden. Inseln aus Kieselsteinen markieren den Weg. Unsichtbare Schritte schreiten über die Inseln in die Stadt der Toten.

Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch | Necropolis: A City of Last Homes / Nekropolis: Eine Stadt aus letzten Ruhestätten

CHEUK Wing-Nam

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Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch | City Kit

City Kit

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Die Einwegfotokamera war das einzige Tool aus dem Kit, welches ausnahmslos von allen TeilnehmerInnen benutzt wurde. Daher ergeben die Fotografien den dichtesten Eindruck der diversen Blickweisen – und sie regen zu Vergleichen an. Die Bildauswahl zeigt Fotografien der je sechs Teilnehmer/innen aus den drei Städten Zürich, Hamburg, Hong Kong. Die mit einer analogen Einwegkamera aufgenommenen Bilder wurden eingescannt und sind nach den drei Städten aufgeteilt. Interessant erscheinen mir die Blicke auf Bekanntes und Alltägliches. Routen die man täglich zurücklegt, Plätze, an denen man jeden Tag vorbeikommt, Häuser in die man unzählige Male ein- und ausgeht. Die Blicke auf diese vermeintlich gewöhnlichen Orte, zeigen die Sichtweisen von Bewohnern auf ihre Stadt. Statt touristischer Attraktionen zeigen die Bilder Lieblingsorte, Verstecke und Lebensräume von unterschiedlichen Personen in drei verschiedenen Städten. Durch die Nebeneinanderstellung der Bildresultate aus drei verschiedenen Städten, entstehen Vergleiche, Bezüge, Ähnlichkeiten und Differenzen. Inbal Sharon

— „City Kit“ is a project that collects cultural probes from the three cities of Zurich, Hamburg, and Hong Kong. Locals from all three cities were asked to document their environments with the help of the „City Kit“, consisting of an instruction book, disposable camera, note pad, pencil, USB-stick, small plastic bags, and stickers. What resulted was a collection of many different personal impressions of the three cities of Zürich, Hamburg, and Hong Kong. Inbal Sharon

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Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch | City Kit

»City Kit« ist ein Projekt, das Cultural Probes aus den drei Städten Zürich, Hamburg und Hong Kong versammelt. Je sechs Einwohner/ innen aus allen drei Städten wurden angefragt, ihre Umgebung mit der Hilfe des »City Kit« zu dokumentieren. Dieses enthält eine Gebrauchsanleitung in Bild und Text, eine Einwegkamera, ein Notizbüchlein, einen Stift, einen USB-Stick, kleine Druckverschlussbeutel und farbige Klebepunkte. Es war den Teilnehmer/innen freigestellt, wie sie das Kit anwenden und was sie zurückschicken, als Hilfestellung diente eine Bedienungsanleitung in Text und Bild.


Repetition doesn’t make an expert

Sehen kann man den Sand aber nicht. Er liegt im Beton, im Zement oder im Glas unserer Fenster, Glühbirnen und Smartphone-Displays. »In every grain of sand there is a history of the earth«, schrieb die Biologin Rachel Carson 1940. Sie gilt als Begründerin der US-amerikanischen Umweltbewegung und war eine der ersten, welche die Bedeutung von Sand für das Ökosystem erkannt haben. Inzwischen ist Sand direkt nach Wasser die meistgenutzte Ressource weltweit,. Man findet ihn in Sonnenbrillen, Flugzeugen oder Plastiksäcken. Das in Sand enthaltene Siliciumdioxid dient unter anderem zur Herstellung von Wein, Zahnpasta oder Haarspray. Ausserdem enthält er wertvolle Industriemetalle wie Thorium, Titan oder Uran. Sand ist das unsichtbare Bindemittel, das unser modernes, urbanes Leben zusammenhält. In unseren Mauern und Fenstern unsichtbar geworden, wird Sand zu einer Gegenmetapher – einem Nichtbild – moderner Städte. Der Sand, der zum Bau unserer Gebäude, Strassen und Tunnel verwendet wird, ist eine knappe Ressource. Da der Transport teuer ist, stammt nach Möglichkeit der Sand, den wir verbauen, aus lokalen Minen und Kieswerken. Doch die Nachfrage übersteigt oft das lokale Angebot und so ist der Abbau von Sand an Stränden und Meeresböden zu einem lukrativen Geschäft geworden. Da die meisten Länder Umweltauflagen haben und regeln, wie viel Sand von Meeresböden, Landstreifen oder Stränden abgeschöpft werden darf, boomt das Geschäft mit illegal abgebautem Sand. Auf den Malediven begannen arbeitslose Fischer damit, Sand zu schöpfen. In Indien, Bangladesch oder Marokko entstanden regelrechte SandMafias, die bei Nacht mit Baggern und Transportern anfahren, um das rare Gut zu holen. Das Ausmass des illegalen Sandabbaus ist schwer abzuschätzen. Othmane Mernissi, Präsident der marokkanischen Vereinigung der Granulathersteller sagte in einem Interview mit der Schweizer Zeitung „Handelsblatt“ 2013: »Bis heute wurden 40 bis 45 Prozent des Sandes gestohlen. Das ist eine riesige Menge und ein echtes ökologisches Fiasko, denn der Sand stammt vor allem von den Stränden«. Aber globale Datenerhebungen fehlen. Es ist weder klar, wie viel Sand illegal abgebaut und wie viel Geld damit erwirtschaftet wird, noch, wo dieser landet und welche Unternehmen darin verstrickt sind. Es mangelt grundsätzlich an Fakten darüber, welche Ausmasse das Geschäft mit dem Sand überhaupt hat. Die Zahlen für den offiziellen jährlichen Abbau schwanken zwischen 15 und 60 Milliarden Tonnen. Das Handelsblatt spricht von einem Handelsvolumen von 70 Milliarden US-Dollar. Gemäss Unep, dem Umweltprogramm der UNO, ver-

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Sand ist das unsichtbare Fundament jeder modernen Stadt: Unsere Städte sind buchstäblich aus Sand gebaut. In einem durchschnittlichen Einfamilienhaus ruhen ungefähr 200 Tonnen Sand. In einem Krankenhaus sind es bereits 3000 Tonnen, in einem Kernkraftwerk ganze zwölf Millionen. Jeder Kilometer Autobahn erfordert 30’000 Tonnen Sand. Dazu kommt, dass viele der Städte mit Einwohnern über 10 Millionen Menschen – wo in Zukunft ein Grossteil der Menschheit leben wird – am Wasser gebaut sind. Das fordert, nicht zuletzt wegen dem steigenden Meersespiegel, immense Mengen Sand für die künstliche Landaufschüttung. Ohne Sand gibt es keine Stadt.


Philipp Spillmann

Links: in 90 Ländern. http://www.lafargeholcim.com/where-we-operate Bangladesch http://www.wired.com/2015/04/adam-ferguson-illegal-sand-mining/ Indien http://www.independent.co.uk/news/world/asia/indias-illegal-sand-miningtrade-has-claimed-hundreds-of-lives-in-recent-years-posing-threat-to-theenvironment-10341321.html Marokko http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/raubbau-aneinem-wichtigen-rohstoff-diese-pluenderer-haben-unsere-straendezerstoert/8301722-6.html

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brauchen wir zurzeit doppelt so viel Sand, wie alle Flüsse der Welt jährlich herstellen, rund 60 Milliarden Tonnen. Knapp die Hälfte davon wandert in die Bauindustrie. Feststellen, wieviel des jährlich hierzulande verbauten Betons aus illegalen Quellen kommt, lässt sich praktisch nicht. Die 16 inländischen Kiesgruben und Steinbrüche des Schweizer Baustoffherstellers Holcim liefern nach eigenen Angaben jährlich gerade einmal sieben Millionen Tonnen Kies, Sand und Schotter. Die Transport- und Distributionskette des globalen Sandgeschäfts ist sehr verflochten und bei der Sandverarbeitung werden Erzeugnisse aus verschiedensten Gebieten zusammengebracht. Aus dem Beton lassen sich die Sandkörner nur schwer nachträglich extrahieren. Und selbst wenn man anhand von Proben zeigen kann, woher die Körner stammen, ist der illegale Abbau damit nicht zwingend nachgewiesen. Letztlich ist das Wissen über das Geschäft mit dem Sand ebenso unsichtbar, wie der Sand als Material in den zahllosen Produkten, die diese Industrie ermöglicht. Meine Videoarbeit »Repetition doesnt make an expert« thematisiert das Sandgeschäft von diesen Wissenslücken her. Die Idee besteht darin, die nicht zugänglichen und nur schwer abschätzbaren Informationen wie Absatzzahlen, Netzwerke, Transportwege, Geschäftsverbindungen, Handelsvolumen etc. von ihrer Absenz her zu thematisieren. Dafür gehe ich an Orte, wo der Raubsand mutmasslich landet: Baustellen. Und imitiere den Raubakt, indem ich Sand von diesen Baustellen enteigne. Die nächtlichen Raubaktionen werden auf Video dokumentiert: Ein fast schwarzes Bild, ohne Information über Zeit und Ort, das wenig verrät und viel Raum für Imagination lässt.


»Liebe Feuer Fleisch und Stein« ist ein zyklisches »Neurolabium« der audiovisuellen Reflexion. Darin wird die Frage nach Lebensstilen und Kulturen im Kontext des Zusammenlebens in künstlich kreierten Gemeinschaften (Städten) thematisiert. Das Ziel von «Liebe Feuer Fleisch und Stein» ist die Produktion von 96 Videotracks von je 15 Minuten Dauer, die zusammen einen kompletten Tagesablauf von 24 Stunden ergeben. Jeder Track ist einer bestimmten Viertelstunde im Tageslauf zugeordnet und behandelt ein spezifisches Thema. — „Love Fire Flesh and Stone“ (LFFS) is a cyclical „neurolabium“ of audio-visual reflections on the contemporary culture of living in artificial contexts. The aim of the project is to produce a series of 96 15-minute-long video clips that, when played sequentially, run the course of a full 24-hour day. Each clip is assigned to a specific quarter of an hour, and deals with a particular theme. Tobias Markus Strebel LFFS 07 24:00 U T O P O L Y https://vimeo.com/139549678 LFFS 03 01:15 Hurt https://vimeo.com/138357970 LFFS 01 08:30 Apokalypse und Erlösung https://vimeo.com/138357970 LFFS 06 09:00 UrbanTemple https://vimeo.com/138375089 LFFS 05 16:30 Utopolis https://vimeo.com/132410034 LFFS 02 19:45 Feuer, Fleisch und Stein https://vimeo.com/135194722

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Metaphern der Stadt. Die Stadt als Erfahrungsaustausch | Liebe Feuer Fleisch und Stein — Die Stadt als mein Körper

Liebe Feuer Fleisch und Stein — Die Stadt als mein Körper


Literaturliste Pro qm, die thematische Buchhandlung zu Stadt, Politik, Pop, Ökonomiekritik, Architektur, Design, Kunst und Theorie aus Berlin, hat für »Common – Journal für Kunst & Öffentlichkeit« aktuelle Literatur zum Thema zusammengstellt: Camillo Sitte Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen Birkhäuser 2007 Camillo Sittes Arbeit, erstmals 1889 in Wien publiziert, veränderte die Stadtplanung in vieler Hinsicht. Der Autor präsentierte sie nicht nur als Manifest, das Kontroversen auslöste; sie war darüber hinaus seit Albertis Schrift („De re aedif icatoria“) das erste Buch, das die künstlerischen Aspekte des Städtebaus systematisch darstellte. Heute macht der Blick auf die Geschichte früherer städtebaulicher Leistungen und Projekte das ganze Ausmaß des Verlusts sichtbar und spürbar, das Krieg und Nachkriegsstadtplanung bewirkt haben. Der romantisierende Blick, der schon Sitte eigen war, kann der gegenwärtigen Stadtplanung vielleicht hilfreich sein. Kevin Lynch Das Bild der Stadt (Bauwelt Fundamente 16) Birkhäuser 2014 (Original 1965) Wie orientieren wir uns in einer Stadt? Was haftet im Gedächtnis? Woher rühren unsere ganz fest umrissenen visuellen Vorstellungen? Was bedeutet die sichtbare Gestalt der Stadt den Bewohnern? Um diese Fragen beantworten zu können, studierte Kevin Lynch Lynch – ehemaliger Professor für Stadtplanung am Massachusetts Institut of Technology und ein Schüler von Frank Lloyd Wright – die Erfahrungen von Menschen, die in Los Angeles, Boston und Jersey City wohnen. Aus einer Fülle von Daten bildet Lynch ein neues Kriterium: das der „Einprägsamkeit“, „Lesbarkeit“, „Vorstellbarkeit“, dessen möglichen Wert für den Auf bau und Wiederauf bau von Städten er aufzeigt. Er zeigt damit, wie man das Bild der Stadt wieder lebendiger einprägsamer machen könnte. Patrick Keiller The View from the Train. Cities & other Landscapes Verso 2013 In his sequence of f ilms, Patrick Keiller retraces the hidden story of the places where we live, the cities and landscapes of our everyday lives. Now, in this brilliant collection of essays, he offers a new perspective on how Britain works and sees itself. He discusses the background to his work and its development – from surrealism to post2008 economic catastrophe – and expands on what the f ilms reveal. Referencing writers including Benjamin and Lefebvre, the essays follow his career since the late 1970s, exploring themes including the surrealist perception of the city; the relationship of architecture and f ilm; how cities change over time, and how f ilms represent this; as well as accounts of cross-country journeys involving historical f igures, unexpected ideas and an urgent portrait of post-crash Britain. Matthias Beyrow, Constanze Vogt Städte und ihre Zeichen. Identität, Strategie, Logo AV Edition 2014 Ca. 600 Logos aller deutschen Städte über 20.000 Einwohner und Best-practice-Beispiele städtischer Markenführung Städte unterwerfen sich bei der Zeichenentwicklung stark einem paradigmatischen Werbediktat. So versuchen sie mit kuriosen visuellen wie verbalen Einfällen zu überzeugen – aber wen eigentlich und wovon? Zur Wohnortentscheidung trägt ein Logo in der Regel nicht bei; für die Ansiedlung von Unternehmen sind infrastrukturelle und monetäre Argumente entscheidend. Zeichen werden dazu missbraucht, möglichst viele Aspekte gleichzeitig zu präsentieren und sie als Benef it zu propagieren. Einer partout optimistischen Demonstration sind die

leisen Töne gewichen. Neben einem vollständigen Katalog der Logos aller deutschen Städte über 20.000 Einwohner ordnet das Buch die Zeichen nach formalen und thematischen Kategorien und bietet Reflexionen zu Strategien und Möglichkeiten städtischer Markenführung. Der Autor stellt die Frage neu, was Stadtzeichen leisten können und was sie leisten sollten. Edward Robbins, Rodolphe El-Khoury (Hg) Shaping the City. Studies in History, Theory and Urban Design Routledge 2013 Taking on the key issues in urban design, Shaping the City examines the critical ideas that have driven these themes and debates through a study of particular cities at important periods in their development. As well as retaining crucial discussions about cities such as Los Angeles, Atlanta, Chicago, Detroit, Philadelphia, and Brasilia at particular moments in their history that exemplif ied the problems and themes at hand like the mega-city, the post-colonial city and New Urbanism, in this new edition the editors have introduced new case studies critical to any study of contemporary urbanism – China, Dubai, Tijuana and the wider issues of informal cities in the Global South. The book serves as both a textbook for classes in urban design, planning and theory and is also attractive to the increasing interest in urbanism by scholars in other f ields. Shaping the City provides an essential overview of the range and variety of urbanisms and urban issues that are critical to an understanding of contemporary urbanism. Mara-Daria Cojocaru Die Geschichte von der guten Stadt. Politische Philosophie zwischen urbaner Selbstverständigung und Utopie Transcript Verlag 2012 Obschon Städte zurzeit vor allem durch ihre drastischen Probleme in unser Bewusstsein treten, ist es sinnvoll, auch nach der urbanen Wende an einer Vorstellung von der »guten Stadt« festzuhalten. Dieser Topos bildet eine Konstante der normativen Reflexion der menschlichen Lebensform, die dadurch, dass die Stadt das menschliche Habitat par excellence geworden ist, neue Bedeutung erlangt. Durch eine kritische Rekonstruktion der Geschichte von der »guten Stadt« anhand klassischer sowie zeitgenössischer Beiträge – von Platons Kallipolis bis zu von Borries‘ Klimakapseln – zeigt Mara-Daria Cojocaru, wie ein gewisser Rest-Utopismus das gesellschaftliche Handeln in den Städten begleiten kann. Sie zeigt: Nicht die gebaute Umwelt bringt bedeutsame Formen von Gesellschaft hervor – vielmehr verhält es sich umgekehrt. Alex Lehnerer Grand Urban Rules NAI010 Publishers 2013 ‘Grand Urban Rules’ offers a compilation and discussion of signif icant urban rules that have been invented and implemented by European, North American, and Asian cities. Not only does the reader get an overview of the functionality and repercussions of these rule sets, but also gains insight into the context and situation of specif ic cities through the lens of rule-based governance. Based on a database of approximately 100 relevant urban rules that have been created and researched at the ETH in Zurich, these rules describe built form with regard to physical characteristics, qualities and consequences as well as the distribution of program, density, urban performance and aesthetics.

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Literaturliste Andri Gerber, Brent Patterson (Hg.) Metaphors in Architecture and Urbanism: An Introduction Transcript Verlag 2013 Architecture and urbanism seem to be »weak« disciplines, constantly struggling for a better understanding of their nature and disciplinary borders. The huge amount of metaphors appearing in the discourse of both not only reference to their creative nature but also indicate their weakness and the missing piece strengthening their own understanding: a def inition of space for architecture and of city for urbanism. But using metaphors in this f ield implies a problem – though metaphors achieve to bring opposites together, there remains the question how literal they can actually become in order to relate to these subjects properly. In this volume, several authors from various f ields using different approaches discuss this question. Sonja Hnilica Metaphern für die Stadt. Zur Bedeutung von Denkmodellen in der Architekturtheorie Transcript Verlag 2012 Architekten denken Städte in Metaphern – von der Stadtlandschaft und dem urbanen Palimpsest zur Siedlungszelle oder dem Stadtgedächtnis. Während die Bedeutung von Metaphern in kreativen Prozessen seit längerem im Fokus der Wissenschaftsforschung steht, wurde sie in der Architektur bislang kaum beachtet. Sonja Hnilica schließt diese Lücke: Ausgehend von einer Lektüre der städtebaulichen Schriften Camillo Sittes untersucht sie Metaphern viel beachteter Architekten von Vitruv bis Rem Koolhaas und legt dabei einen direkten Zusammenhang zwischen Stadtmetaphern und architektonischen Konzepten offen. Ein frischer Blick auf zentrale Traditionen und Kontroversen des urbanistischen Diskurses. Nader Seraj (Hg) Yona Friedman. The Dilution of Architecture Park Books 2015 Der 1923 geborene Architekt und Künstler Yona Friedman gilt als einer der bedeutendsten Vorreiter der urbanistischen Avantgarde der 1960er-Jahre. Im Konzept der ‚Räumlichen Stadt‘ (1956), seinem bekanntesten Werk, strebt er maximale Flexibilität an durch über Städten und anderen Orten zu errichtende ‚Megastrukturen‘. Die Bewohner sollen darin ihre Behausung selbst entwerfen, um so über ihr unmittelbares Lebensumfeld eigenständig entscheiden und ihre Unabhängigkeit vergrössern zu können. Dieses neue Buch bietet einen umfassenden Überblick zu Friedmans visionärem Werk. Texte und rund 700 Fotos, Skizzen, Zeichnungen und Aquarelle von Friedman selbst werden durch eine Vielzahl an Dokumenten zu seinem Schaffen und dessen Rezeption ergänzt. In einem zweiten Teil analysiert der Architekturhistoriker Manuel Orazi Friedmans Œuvre. Er folgt ihm durch scheinbar weit auseinanderliegende Fachgebiete und geograf ische Regionen, die Friedman unablässig durchstreifte, und betrachtet dabei auch historische, soziale und politische Kontexte. Eine Dokumentation von Friedmans intellektuellen Beziehungen, ein Gespräch mit dem Architekten Bernard Tschumi sowie eine umfassende Bibliograf ie runden den Band ab. Constanze Klotz Vom Versuch, Kreativität in der Stadt zu planen. Die Internationale Bauausstellung IBA Hamburg Transcript Verlag 2014 Mit dem Hype um »kreative Städte« ist eine stadtpolitische Handlungspraxis entstanden, die als »strategische Kreativplanung« weltweit Verwendung f indet. Constanze Klotz zeigt beobachtbare Ansätze der Praxis auf und ver-

ortet sie mithilfe der Cultural Theory im Gesamtkontext von »Kreativität« und »Stadt«. So werden Unterschiede ebenso wie Wechselwirkungen zwischen städtischen und nicht-städtischen Strategien sichtbar. Am Beispiel der Internationalen Bauausstellung IBA Hamburg (20072013) und mithilfe von Experteninterviews arbeitet die kulturwissenschaftliche Studie stadtpolitische Interventionsmöglichkeiten für das Steuerungsparadoxon »Kreativität« heraus. Lucius Burckhardt (Author), Marcus Ritter, Martin Schmitz (Ed) Why is Landscape Beautiful? The Science of Strollology Birkhäuser 2015 Lucius Burckhardt (1925-2003) taught architectural theory at Kassel University and, in the 1980s, coined the term „Promenadology“or the science of Strollology and developed this into a complex and far-sighted planning and design discipline. Given that „the landscape“ as an idea only exists in our heads, Burckhardt’s writings (and drawings) are not so much concerned with beautiful vistas, but focus instead on the multi-faceted interaction a simple walk-taker has with his environment. To those who observe the environment with their eyes wide open, interesting questions will arise again and again; for example, why „city“ and „country“ can no longer be separated so easily in the face of progressive urbanization. Or why we consider a viaduct to be beautiful, but a nuclear power station an intrusion. And also, why gardens are works of art and should therefore be appraised as such. This book contains 28 texts by the design and planning critic, for the f irst time in English, with the focus on landscapes, gardens as an art form and the science of strollology. Geraldine Pratt, Rose Marie San Juan Film and Urban Space. Critical Possibilities Edinburgh University Press 2014 This book traces the dynamic relationship between f ilm and the city. How do f ilm and urban space work together to challenge and forge our changing ideas of modern urban life? How does f ilm intervene with what is erased or retained from the existing urban fabric? What are the possibilities and limits of contemporary utopic visions built into urban form? How does f ilm itself work as a utopic space? How has the space of the cinema created a vibrant public space over the course of last century, and what is its future? These are some of the questions tackled in this book. Drawing on f ilms as diverse as Man with a Movie Camera, Bicycle Thieves, Dogville, Safe, Los Angeles Plays Itself, Chungking Express and The Circle, the book identif ies and analyses the major debates about the crucial historical relationship between f ilm and the city to consider existing and future possibilities. Iván Villarmea Álvarez Documenting Cityscapes. Urban Change in Contemporary Non-Fiction Film Wallf lower Press 2015 While f ilm studies has traditionally treated the presence of the city in f ilm as an urban text operating inside of a cinematic one, this approach has recently evolved into the study of cinema as a technology of place. From this perspective, Documenting Cityscapes explores the way the city has been depicted by nonf iction f ilmmakers since the late 1970s, paying particular attention to three aesthetic tendencies: documentary landscaping, urban self-portraits, and metaf ilmic strategies. Through the formal analysis of f ifteen works from six different countries, this volume investigates how the rise of subjectivity has helped to develop a kind of gaze that is closer to citizens than to the institutions and corpora-

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Literaturliste tions responsible for recent major transformations. Documenting Cityscapes therefore reveals the extent to which cinema has become an agent of urban change, in which certain f ilms not only challenge the most controversial policies of late capitalism but also are able to produce spatiality themselves. Andreas Lepik, Hilde Strobl (Hg) Zoom. Architektur und Stadt im Bild / Picturing Architecture and the City Verlag der Buchhandlung Walther König 2015 „Zoom!“ zeigt Fotograf ien und Videoarbeiten von siebzehn internationalen Künstlern, die sich mit der Beziehung und Abhängigkeit von Architektur und gesellschaftlichem wie wirtschaftlichem Wandel beschäftigen. In ihren Arbeiten konzentrieren sie sich nicht auf eine Repräsentation von Bauten, sondern auf eine Annäherung an Stadtstrukturen und deren Veränderungsprozesse sowie auf individuelle Lebensräume. Im Nebeneinander der Aufnahmen aus verschiedenen Ländern und Kontinenten – von Italien bis Nigeria und China – werden Brüche und Gemeinsamkeiten sichtbar. Jan Gehl Städte für Menschen Jovis 2015 Seit mehr als 40 Jahren befasst sich der Architekt und Stadtplaner Jan Gehl damit, Plätze, Straßen, ja ganze Stadtviertel zum Wohle der Bewohner neu oder umzugestalten. Er stützt sich dabei auf Erkenntnisse, die er durch langjährige Untersuchungen von Großstadtsituationen in verschiedenen Ländern gewonnen hat. Indem Gehl selbst Millionenstädte kleinmaßstäblich und im Detail betrachtet, entwickelt er Mittel und Wege, dysfunktionale und unwirtliche Stadtlandschaften entscheidend zu verändern. Dabei f inden demograf ische Entwicklungen und sich wandelnde Lebensstile ebenso Berücksichtigung wie gestalterische Prozesse. Wichtigster Grundsatz für Jan Gehls Stadtplanung nach menschlichem Maß: Der Stadtraum muss mit der Geschwindigkeit eines Fußgängers erlebt werden statt aus einem Fahrzeug heraus. Nur so kann es gelingen, sowohl traditionelle Metropolen wie die schnell wachsenden Städte von Entwicklungs- und Schwellenländern zu „Städten für Menschen“ zu machen. Das Buch präsentiert Jan Gehls Arbeit im Bereich Neubau sowie der Umgestaltung städtischer Räume und Verkehrsflächen. Darstellungen seiner Planungsmodelle in Text und Bildern sowie Planungsprinzipien und Methoden veranschaulichen, wie einfach lebendige, sichere, nachhaltige und gesunde Städte in Zukunft entstehen können. Wilkins Gretchen (Hg) Distributed Urbanism. Cities After Google Earth Routledge 2010 What form of housing will emerge in Dubai, where the majority of the population are non-citizens and the average length of stay is three days? How will depopulating cities reclaim vacant space, reorganize infrastructure and redef ine their economic identity? What type of architecture results from the prevalence of airborne contaminants? What kind of urbanism does Google Earth produce? Exploring the increasingly decentralized systems through which cities are organized and produced, Distributed Urbanism highlights the architectural practices that are emerging in response. Unlike early models of urbanism, in which centralized models of production, communication and governance were sited within a central business district, contemporary urbanism is shaped by remote, distributed mechanisms such as information technologies, (i.e. SatNav, Google Earth, E-trade, Photosynth or RSS web feeds) cooperative economic models and environmental networks, many of which are physically remote from the cities they shape.

Consisting of a collection of case studies on global cities including Rotterdam, Tokyo, Barcelona, Detroit, Hong Kong, Dubai, Beijing and Mumbai, Distributed Urbanism draws on these cities in relation to current events, urban schemes and demographic data. All the contributors, a combination of commentators on urbanism and architecture, as well as practitioners in the f ield, are admired for their work in the area of urban change. Winfried Nerdinger (Hg) L’architecture engagée. Manifeste zur Veränderung der Gesellschaft Edition Detail 2012 Während die Themen »L’art engagé« und »Littérature engagée« bei bildenden Künstlern und Schriftstellern ganz geläuf ig sind, f inden sich nur relativ wenige Architekten, die nicht nur die Umwelt der Menschen verbessern, sondern mit ihren Manifesten und Bauten auch eine Veränderung der Gesellschaftsform bewirken wollen. Das Architekturmuseum der TU München zeigt in einer Ausstellung in der Pinakothek der Moderne das gesellschafts- und wirtschaftspolitische Engagement von Architekten und Theoretikern wie Robert Owen, Charles Fourier, Ebenezer Howard, Hendrik Berlage, Bruno Taut, Yona Friedman und Frei Otto sowie die Versuche zur Erziehung eines neuen Menschen in Kibbutzim, Kommunehäusern und Bandstädten. Der Blick auf architektonische Konzepte zur Verbesserung oder Veränderung von Gesellschaftsformen könnte helfen, die gegenwärtigen Diskussionen um die soziale Bedeutung der gebauten Umwelt historisch zu vertiefen. David Pinder Visions of the City. Utopianism, Power and Politics in Twentieth-Century Urbanism Edinburgh University Press 2006 Visions of the City is a dramatic account of utopian urbanism in the twentieth century. It explores radical demands for new spaces and ways of living, and considers their effects on planning, architecture and struggles to shape urban landscapes. Such visions, it shows, have played a crucial role in informing understandings and imaginings of the modern city. The author critically examines influential traditions in western Europe associated with such f igures as Ebenezer Howard and Le Corbusier, uncovering the political interests, desires and anxieties that lay behind their ideal cities, and drawing out their ’noir side‘. He also investigates oppositional perspectives from the time that challenged these rationalist conceptions of cities and urban life, and that disturbed their dreams of order, especially from within surrealism. At the heart of this richly illustrated book is an encounter with the explosive ideas of the situationists. Tracing the subversive practices of this avant-garde group and its associates from their explorations of Paris during the 1950s to their projects for an alternative ‚unitary urbanism‘, David Pinder convincingly explains the signif icance of their revolutionary attempts to transform urban space and everyday life. He addresses in particular Constant’s vision of New Babylon, f inding within his proposals for future spaces produced through nomadic life, creativity and play a still powerful challenge to imagine cities otherwise. The book not only recovers vital moments from past hopes and dreams of modern urbanism. It also contests current claims about the ‚end of utopia‘, arguing that reconsidering earlier projects can play a critical role in developing utopian perspectives today. Through the study of utopian visions, it aims to rekindle elements of utopianism itself.

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Biografien Andri Gerber (1974) ist Stadtmetaphorologe. Er ist als Dozent für Städtebaugeschichte am Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur und Dozent für Architekturgeschichte an der Universität Liechtenstein tätig. Zur Zeit arbeitet er am Institut gta der ETH Zürich an einer Habilitation (gefördert durch ein Ambizione-Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds der Wissenschaften SNF). Ruedi Weidmann, geboren 1966, aufgewachsen in Schlieren ZH, Studium der Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Zürich und Berlin mit Schwerpunkt Stadtentwicklung, Lizentiat 1999 zur Planungsgeschichte der ersten Hochhäuser in Zürich. Längere Aufenthalte in San Francisco, Paris und Lausanne. 1995–1997 Redaktor bei der Pressebildagentur Keystone, Zürich. 2000–2014 Redaktor bei der Fachzeitschrift «Tec21» für Architektur, Ingenieurwesen und Umwelt des Schweizer Ingenieur- und Architekten Vereins (SIA) in Zürich. Daneben seit 1994 Aufträge im Bereich Text, Fotografie, Redaktion, Buchprojekte, Aufsätze und Führungen u. a. zu Baukultur, Siedlungsentwicklung, Verkehrsgeschichte und Denkmalpflege. Seit 2006 Partner bei Häusler + Weidmann, Büro für Geschichte und Kulturvermittlung in Zürich. Janine Schiller hat Kulturwissenschaften sowie Geschichte und Theorie der Architektur studiert und forscht zu Stadt-, Wohn- und Alltagskultur. Als Dozentin an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK unterrichtet sie im Studiengang Kulturpublizistik und verantwortet u.a. die Publikationen zum Toni-Areal: Ein Themenheft von Hochparterre, den Toniblog (http:// blog.zhdk.ch/toniblog) sowie eine Buchpublikation zur Hochschule am neuen Standort, die 2016 erscheint. Peter Benz Mr. Peter Benz holds a degree in Architecture from the Bauhaus-University Weimar in Germany. Since September 2006 he has taken up teaching spatial design, and more recently experience design at the Academy of Visual Arts of Hong Kong Baptist University.

For recent years Peter’s main research focus was in the exploration of experience as an object in/of design. Further he is interested in everyday design, in particular in everyday products – Peter is an avid collector of spoons – and in ‘un-designed’ marginal spaces. Beyond that Peter is also involved in various research activities about visual education as well as on creative economics. Sonja Hnilica ist Architekturtheoretikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Dortmund. Studium der Architektur und Promotion an der TU Wien. Seit 2014 Habilitationsprojekt über Großstrukturen der Nachkriegsmoderne im Rahmen des Forschungsverbunds „Welche Denkmale welcher Moderne?“ in Kooperation mit der Bauhaus-Universität Weimar (finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF). Basil Rogger (*1964), Studium der Philosophie, Psychologie und Pädagogik an den Universitäten von Bern und Zürich (lic. phil. I). 1991-2000 tätig in Forschungsprojekten des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung. 1998-2000 Mitglied des Research Department des Gottlieb Duttweiler Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft. 2000–2015 tätig für Lucerne Festival, 2006-09 als Redaktionsleiter, 2009–2015 als Leiter Brand & Publications. Seit 2000 selbständig als Berater, Forscher, Herausgeber, Texter und Ausstellungsmacher an der Schnittstelle von Kultur und Wirtschaft. Seit 2003 Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste, 2004–2007 im Leitungsteam des Studienschwerpunkts Style & Design im Departement Design an der Zürcher Hochschule der Künste. Seit 2008 im Kernteam der Vertiefung Publizieren & Vermitteln des Master of Arts in Art Education im Departement Kulturanalysen und Vermittlung. Seit 2009 im Kernteam des Master of Arts in Transdisziplinarität im Departement Kulturanalysen und Vermittlung.

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Editorialboard Michèle Novak In unterschiedlichen Bereichen widmet sich Michèle Novak dem theoretischen und praktischen Feld der »Kunst im öffentlichen Raum«. In der Theorie der Gestaltung und Kunst steht die Auseinandersetzung mit Raumtheorien, zeitgenössischen Konzepten von Landschaft und deren Verbindung zu künstlerischen Verfahren im Vordergrund. Im Kunstbetrieb einer Galerie beschäftigte sie sich mit dem Betreuen und Ausstellen von Kunstprojekten wie auch mit der Konzeption und Redaktion von Publikationen. Die Vermittlung von theoretischen und praktischen Aspekten zeitgenössischer künstlerischer Ansätze und Verfahren steht in der Lehre im Zentrum der Aufmerksamkeit. Matthias Böttger Architekt, Städtebauer und Raumtaktiker mit Schwerpunkt in der räumlichen Aufklärung und Intervention bringt Erfahrungen in der Raumtaktik, in der Lehre, in der Forschung, im Publizieren und im Ausstellen und Aufführen mit. Annemarie Bucher Als Landschaftshistorikerin und Kunstwissenschaftlerin hat Annemarie Bucher verschiedene Ausstellungen, Publikationen, Filme und Forschungsprojekte realisiert. Sie ist ausserdem in der Lehre und der Forschung tätig. Thilo Folkerts ist Landschaftsarchitekt. Am Anfang aller seiner Projekte steht der Arbeitsbegriff des Gartens, der auf die kulturelle Herkunft unserer gestalteten Umwelt verweist. Über sein Arbeiten in Gestaltung, Experiment und Bauen hinaus verfolgt er auch als Autor, Herausgeber und Übersetzer sein Interesse an Garten- und Freiraumkultur. Andrea Knobloch In zahlreichen kuratorischen und künstlerischen Projekten mit Fokus auf Bedingungen und Möglichkeiten von Kunst und heterogenen Öffentlichkeiten außerhalb institutioneller Räume arbeitet Andrea Knobloch seit Jahren an der Schnittstelle zwischen künstlerischer Praxis, Reflexion und Theorie. Rachel Mader ist Kunstwissenschaftlerin und leitet den Forschungsschwerpunkt Kunst & Öffentlichkeit an der Hochschule Kunst & Design in Luzern. Sie hat einige Forschungsprojekte geleitet und war als Assistentin, Mentorin, Kritikerin, Kuratorin und Tagungsorganisatorin tätig.

Barbara Preisig Die Kunsthistorikerin und Philosophin beschäftigt sich Barbara Preisig in Forschung und Vermittlung mit dem Ephemeren und Kunst und Öffentlichkeit. Tanja Scartazzini Sowohl als Juristin wie auch in Kunsttheorie ausgebildet, ist Tanja Scartazzini als »Projektleiterin Kunst am Bau« beim Kanton Zürich beschäftigt. Als Expertin für Kunst und Recht, Präsidentin und Vorstandsmitglied in verschiedenen Verbänden, Kommunikationsbeauftragte, Kuratorin und Projektleiterin bringt sie Themen aus verschiedenen Feldern ein. Christoph Schenker ist Leiter des Instituts für Gegenwartskunst an der Zürcher Hochschule der Künste. Er ist Autor monografischer und thematischer Beiträge zur Kunst der Gegenwart und war Kurator von Ausstellungen im In- und Ausland. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kunst und öffentliche Sphären sowie künstlerische Forschung. Imanuel Schipper Als Dramaturg und Kurator forscht und doziert Imanuel Schipper mit einem transdisziplinären Ansatz an der Zürcher Hochschule der Künste über und zu künstlerisch-performativen Analysen und Produktionen des Öffentlichen in urbanen Räumen. Irene Vögeli ist im Leitungsteam des Master in Transdisziplinarität an der Zürcher Hochschule der Künste. Mit langjähriger Erfahrung als Grafikerin und Theoretikerin arbeitet Sie in Lehre und Forschung an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis. Andreas von Gunten ist Spezialist für e-Kommuniaktion führt den Buch- und Online-Verlag »buch & netz«, in welchem Bücher unter einer Creative Commons Lizenz ins Web publiziert und gleichzeitig in allen anderen Formaten, auch gedruckt, angeboten werden. Ruedi Widmer ist in der Fachrichtung Kulturpublizistik der Zürcher Hochschule der Künste tätig. Er sondiert und reflektiert alte und neue Paradigmen von Kunst und Öffentlichkeit und ihre medialen Implikate.

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Partner Kanton Zürich, Fachstelle Kultur Die Fachstelle Kultur des Kanton Zürich unterstützt Kulturinstitutionen, Kulturprogramme in den gemeinden, Kulturschaffende, Kunsträume, Projekte und Produktionen. Sie kaufen Werke für die kantonale Kunstsammlung an, zeichnen herausragende kulturelle Leistungen und Lebenswerke aus, vergeben Atelieraufenthakte und vertreten den Kanton in Gremien von Kulturinstitutionen. www.fachstellekultur.zh.ch/internet/justiz_inneres/kultur/de/home.html Ernst und Olga Gubler-Hablützel Stiftung Die Ernst und Olga Gubler-Hablützel Stiftung wurde 1988 von Frau Olga GublerHablützel in Zürich ins Leben gerufen. In den vergangenen 20 Jahren hat die Stiftung gemäss ihrem allgemeinen Stiftungszweck mit Beiträgen an mehr als 700 Projekte verschiedenster künstlerischer Richtung aus allen Regionen der Schweiz und vereinzelt aus dem Ausland das kulturelle Schaffen breit unterstützt. Seit dem Jahr 2008 konzentriert sich die Stiftung grundsätzlich auf die Förderung der Bildenden Künste. www.gubler-habluetzel.ch Stadt Zürich, Kultur Das Präsidialdepartment der Stadt Zürich unterstützt alternative Kunstorte und Aktivitäten, welche von KünstlerInnen für KünstlerInnen oder von KuratorInnen für KünstlerInnen betrieben respektive organisiert werden. www.stadt-zuerich.ch/content/kultur/de/index/foerderung.html Master in Transdisziplinarität Künstlerische und gestalterische Disziplinen arbeiten häufig miteinander, vermehrt aber auch mit den Wissenschaften und in alltagspraktischen Zusammenhängen. Transdisziplinarität erscheint als eine Form der Kooperation, die innovative Perspektiven, Fragen und Lösungen eröffnet. Der Master of Arts in Transdisziplinarität der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK verbindet transdisziplinäre Praxisformen und Professionalität. www.zhdk.ch/?trans Institut für Gegenwartskunst – IFCAR Institute for Contemporary Art Research Das Institut für Gegenwartskunst der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK verfügt über zwei Forschungsschwerpunkte: »Wissensformen der Kunst« sowie »Kunst, Urbanität und Öffentlichkeit«. Darüber hinaus ist es Sitz des Departemente und Disziplinen übergreifenden Forschungsschwerpunkts »Public City«. www.ifcar.ch proqm Die thematische Buchhandlung zu Stadt, Politik, Pop, Ökonomiekritik, Architektur, Design, Kunst & Theorie aus Berlin. www.pro-qm.de Kunstbulletin Das Kunstbulletin ist eine in der Schweiz basierte Zeitschrift für zeitgenössische Kunst. Sie porträtiert Künstlerinnen und Künstler, berichtet über aktuelle Ausstellungen, Veranstaltungen, publiziert Kunstwettbewerbe, Kurznotizen, eine ausführliche Ausstellungsagenda und ist mit zahlreichen internationalen Künstlerdatenbanken verlinkt. www.kunstbulletin.ch www.european-art.net

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ARTbibliographies Modern ARTbibliographies Modern (ABM) is the premier source of information on modern and contemporary art dating from the late 19th century onwards, including photography since its invention. The database provides full abstracts of journal articles, including book and exhibition reviews, as well as art publications such as exhibition catalogs, monographs and artists’ books. www.proquest.com public city Stadt und Öffentlichkeit, Urbanität und öffentliche Räume sind die Themen des übergreifenden Forschungsschwerpunkts PUBLIC CITY an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK. Dieser setzt sich zur Aufgabe, Forschende der ZHdK und anderer nationaler und internationaler Forschungseinrichtungen, die sich mit verschiedenen Aspekten urbaner Transformationsprozesse auseinandersetzen, zusammenzuführen. Unterschiedliche künstlerische, wissenschaftliche und theoretische Zugänge sollen miteinander in Dialog gebracht werden. www.zhdk.ch/?public-city

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Impressum Common — Journal für Kunst & Öffentlichkeit www.commonthejournal.com HERAUSGEBERIN Michèle Novak VERLAG (EBOOKS & PRINT) buch & netz REDAKTION Michèle Novak, Chefredaktion Redaktion »Common – Journal für Kunst & Öffentlichkeit« Albert-Schneider-Weg 25 8047 Zürich redaktion@commonthejournal.com WEBDESIGN Nicola Winzer GRAFIK Guillaume Mojon LEKTORAT Lukas Zurf luh COPYRIGHT Die Redaktion von »Common — Journal für Kunst & Öffentlichkeit« ist politisch, wirtschaftlich und ethisch unabhängig und selbständig. Die Texte repräsentieren die Meinungen der AutorInnen, nicht jene der Redaktion. Copyrights für alle Informationen und Bilder liegen bei Common. Eine kommerzielle Nutzung der Texte und Abbildungen – auch auszugsweise – ist ohne die vorherige schriftliche Genehmigung der Urheber respektive der Urheberinnen nicht erlaubt. Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernimmt Common keine Haftung für die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der verlinkten Seiten sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich. CREATIVE COMMONS LIZENZ Dieses eBook ist unter einer Creative Commons Lizenz vom Typ Namensnennung – Nicht Kommerziell – Keine Bearbeitung – 3.0 Schweiz (CC-BY-NC-ND 3.0) publiziert. Die Texte in diesem Werk sind, wo nicht anders angegeben unter einer Creative Commons Lizenz vom Typ Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen – 3.0 Schweiz (CC-BY-SA 3.0) publiziert. Das bedeuted, dass sie die Texte in diesem Werk auch in einem kommerziellen Umfeld kopieren und nutzen dürfen, solange Sie die Autoren und die Quelle nennen und das von Ihnen erstellte Werk unter gleichen Bedingungen lizenzieren (siehe Beispiel weiter unten). Das eBook selbst dürfen Sie kopieren und im nichtkommerziellen Rahmen weitergeben. Sie dürfen es aber nicht ohne Erlaubnis des Verlages verändern, verkaufen oder auf andere Weise kommerziell verwerten. Falls Sie am Wiederverkauf des eBooks oder an anderen kommerziellen Modellen interessiert sind, melden Sie sich gerne bei buch & netz: info@buchundnetz.com Um eine Kopie dieser Lizenzen einzusehen, konsultieren sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/ch/ bzw. http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/ch/ oder wenden Sie sich brief lich an Creative Commons, 444 Castro Street, Suite 900, Mountain View, California, 94041, USA. Bitte referenzieren sie die Texte, die sie unter CC-BY-SA nutzen auf folgende Weise: Quelle: Common — Journal für Kunst und Öffentlichkeit, http://commonthejournal.com – Verlag (eBooks): buch & netz, http://buchundnetz.com, Autor: (Name des Autors)

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